für Gesundheitsförderung - Gesundheit Berlin

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für Gesundheitsförderung - Gesundheit Berlin
Info Dienst
für Gesundheitsförderung
Zeitschrift von Gesundheit Berlin-Brandenburg
10. Jahrgang • 4. Ausgabe 2010
4 10
In diesem Info-Dienst
Personalien
2
Gesunde Bundespolitik
3
Bewegung in BerlinBrandenburg
11
Kinder und Jugendliche
14
Altern und Gesundheit
17
Soziale, gesunde Stadt
18
Gesundheitsförderung in der
Arbeitswelt
20
Suchtprävention
24
Patienteninteressen
25
Termine/Veranstaltungen
27
Publikationen
28
Impressum
28
Editorial
Was braucht es, um allen Kindern Chancen auf
ein gesundes Aufwachsen zu eröffnen? Was
fördert Wohlbefinden und Aktivität im Alter?
Wie kann gesundheitliche Versorgung bedarfsgerecht und finanzierbar gestaltet werden? Dies sind Fragen, die die gesundheitspolitischen Diskussionen im Bundestag bestimmen, die aber auch in Berlin und Brandenburg in zahlreichen Veranstaltungen dis-
kutiert werden. In den Fachgesprächen und
Gesundheitskonferenzen auf Landes- und Bezirks- bzw. kommunaler Ebene geht es um
bessere Abstimmung, um Erreichbarkeit von
Menschen, die gesundheitliche Angebote
noch zu selten nutzen, und um Stadtentwicklung, die allen Bewohner/innen ein Mehr an
Lebensqualität vermittelt. Fachliche Konzepte
wie z.B. das Dormagener Modell einer Präventionskette oder das Leitbild einer familienund seniorengerechten Kommune werden vorgestellt. Gemeinsam möchten wir beraten,
was davon für lokale Prozesse nutzbar gemacht werden kann.
Die Rahmenbedingungen für die Umsetzung
solcher gesundheitsförderlichen Prozesse auf
kommunaler Ebene werden sich in absehbarer
Zeit wohl nicht verbessern. Allein die Kürzungen, die der Bundestag für das Programm
Soziale Stadt beschlossen hat, werden die
Handlungsmöglichkeiten für eine gesundheitsförderliche Stadtentwicklung massiv
einschränken. Entgegen der Stellungnahme
der Bauministerkonferenz der Länder wurden
aktivierende und beteiligende Ansätze in
Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf massiv gekürzt.
Auch Investitionen in Bildung, die allen Kindern eine individuelle Förderung ihrer Fähigkeiten ermöglichen, bleiben in den meisten
Bundesländern ein Posten auf dem Wunschzettel.
Fehlende Ressourcen im Bildungs-, Sozialund Stadtentwicklungsbereich unterliegen
nicht der Verantwortung der Gesundheitsministerien. Aber Entscheidungen, die hier
getroffen werden, beeinflussen auch die Gesundheitschancen der Betroffenen. Wie eng
der Zusammenhang von Zukunfts-, Bildungsund Gesundheitschancen ist, das haben der
Sachverständigenrat für die Begutachtung der
Entwicklung im Gesundheitswesen und die
Kommission des 13. Kinder- und Jugendberichtes im vergangenen Jahr aufgezeigt. Und
die Diskussionen um die Konsequenzen, die
aus diesen Befunden zu ziehen sind, haben
weiterhin hohe Aktualität.
Auf dem 16. Kongress Armut und Gesundheit
werden sie unter dem Motto ‚Verwirklichungschancen für Gesundheit’ stattfinden. Gesundheit, das werden viele Beiträge belegen, ist
Voraussetzung, um Chancen in unserer
Gesellschaft nutzen zu können. Es bedarf aber
auch der Befähigung, so der 13. Kinder- und
Jugendbericht, und des Zugangs z.B. zu Bildung, um Chancen in einer Gesellschaft nutzen zu können. Verwirklichungschancen stehen damit nicht nur für ein Konzept, das Teilhabe verbessert, sondern auch nachhaltig
Gesundheit fördert.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich an
diesen Diskussionen und am 16. Kongress
Armut und Gesundheit beteiligen.
Ihre Carola Gold
Personalien
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
In diesem Info-Dienst
Personalien
Vorstand von Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V. bestätigt
2
Auf der Mitgliederversammlung am 26. Oktober
wurde der Vorstand von Gesundheit BerlinBrandenburg e.V. für weitere drei Jahre in seinen
Ämtern bestätigt. Die acht gewählten Mitglieder
sind: Prof. Dr. Rolf Rosenbrock (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung), Franz Josef
Lünne (AOK Berlin-Brandenburg), Monika Gordes (stv. Geschäftsführerin des Städte- und
Gemeindebunds Brandenburg), Prof. Dr. Ulrike
Maschewsky-Schneider (Berlin School of Public
Health), Hartmut Brocke (Stiftung SPI, Sozialpädagogisches Institut Berlin – Walter May),
Kathrin Feldmann (Stadtkontor) Dipl.-Med.
Hendrik Karpinski (Geschäftsführer der Klinikum Niederlausitz GmbH, Chefarzt der Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin, Leiter des Niederlausitzer Netzwerks Gesunde Kinder) und
Ingrid Papies-Winkler (Plan- und Leitstelle Gesundheit, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg).
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock und Franz Josef Lünne
fungieren erneut als Vorsitzende.
Büro für medizinische
Flüchtlingshilfe
ausgezeichnet
Seit Jahren ermöglicht das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe eine anonyme und kostenlose oder kostengünstige Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Im Rahmen der 7. Landesgesundheitskonferenz am 28. Oktober würdigte Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher nun die
Arbeit des Berliner Büros für medizinische
Flüchtlingshilfe. Das Recht aller Menschen auf
körperliche Unversehrtheit und bestmögliche
medizinische Versorgung sei ein Menschenund nicht nur ein Bürgerrecht, so Lompscher in
ihrer Laudatio. Das Büro für medizinische
Flüchtlingshilfe setze sich für die Verwirklichung dieses Rechts in hohem Maße ein, so
Lompscher weiter.
Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe
wurde mit einer Summe von 2.000 Euro ausgezeichnet. 1.500 Euro stellte der BKK Bundesverband zur Verfügung.
Gesunde Bundespolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . .3
Bundestag berät Kindergesundheit . . . . . . . .3
Kindeswohl durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . .3
Gesundheitschancen von sozial
benachteiligten Kindern verbessern . . . . . . .5
Interview mit Volker Wanek . . . . . . . . . . . . . . .6
Netzwerke in der Gesundheitsförderung . . . .7
Interview mit Klaus D. Plümer . . . . . . . . . . . . .7
Rezension „Lehrbuch der Gesundheitsförderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8
Zielerreichungsskalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9
Die Methode Projektlogik . . . . . . . . . . . . . . .10
Bewegung in Berlin-Brandenburg . . . . . . . . .11
Resümee 7. Landesgesundheitskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
Tag der Zahngesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . .12
Gesundheits- und Bewegungsförderung bei
älteren Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . .14
Kinder sind nicht nur
„Heranwachsende“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
Netzwerke Gesunde Kinder . . . . . . . . . . . . . .16
Integrationspreis für
Verbesserung von
Berufschancen
Das Vivantes Institut für berufliche Bildung im
Gesundheitswesen und das Bildungswerk in
Kreuzberg bekamen am 26. Oktober im Roten
Rathaus den „Integrationspreis 2010“ überreicht. Der Landesbeirat für Integrations- und
Migrationsfragen würdigte beide Unternehmen
für deren Engagement in Ausbildung und
Beschäftigung von jungen Menschen mit
Migrationshintergrund und den Einsatz für
Projekte zur Förderung der kulturellen Vielfalt.
Beide Unternehmen engagieren sich zudem in
interkulturell angelegten sozialen Projekten
mit Migrantenorganisationen und mit dem
Land Berlin.
Der mit 5.000 Euro dotierte Integrationspreis
wird unter dem Motto „Diversity leben“ seit
2004 jährlich an Berliner Unternehmen vergeben, die sich in besonderer Weise interkulturell geöffnet haben.
Altern und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .17
Gesund und aktiv älter werden . . . . . . . . . . .17
Soziale, gesunde Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . .18
Soziale Stadt-Programm . . . . . . . . . . . . . . . .18
Psychotherapeutische Versorgung von
Migrant/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19
Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt . .20
Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen . . .20
Gesundheitsrisiko Erwerbslosigkeit . . . . . . .21
Schichtarbeit und Gesundheit . . . . . . . . . . .22
Interview mit Ulrike von Haldenwang . . . . .23
Suchtprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24
Alkoholkonsum werdender Mütter . . . . . . . .24
Neuro-Enhancement:
Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24
Patienteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25
Psychiatriebeschwerdestelle
in Berlin eröffnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25
Patientenfürsprecher/innen in
Krankenhäusern stärken . . . . . . . . . . . . . . . .26
Termine/Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . .27
Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesunde Bundespolitik
Gesunde Bundespolitik
Bundesstagsausschuss berät Kindergesundheit /
WZB-Herbsttagung / Gesundheitschancen von sozial
benachteiligten Kindern / Leitfaden Prävention /
Netzwerke / Buchrezension / Zielerreichungsskalen /
Die Methode Projektlogik
Bundestag berät Kindergesundheit
Familienausschuss diskutiert Schlussfolgerungen aus
dem 13. Kinder- und Jugendbericht
Neun geladene Expert/innen stellten in der
öffentlichen Anhörung im Familienausschuss
am 25. Oktober ihre Schlussfolgerungen aus
dem 13. Kinder- und Jugendbericht vor.
Professor Heiner Keupp, der Vorsitzende der
Berichtskommission, forderte eine neue ressortübergreifende Strategie, die nicht von den
Defiziten der Kinder und Jugendlichen, sondern
von ihren Potentialen ausgeht. Gleichzeitig
bemängelte er „Strukturdefizite“ in der Prävention und Gesundheitsförderung. Die vier Sozialgesetzgebungen, die entsprechende Rege-
lungen beinhalten, führen zu einer unübersichtlichen Komplexität und teilweise sogar zu
„schwarzen Löchern“, so Keupp. Er sprach sich
daher für ein einziges Gesetz zur Förderung der
Kinder- und Jugendgesundheit aus. Auch Professor Raimund Geene von der Hochschule
Magdeburg-Stendal verdeutlichte, dass ein
Ausbau der Gesundheitsförderung auf Dauer
nicht ohne ein „Gesundheitsförderungsgesetz“
möglich sei. Damit könne es gelingen, die
vielfältigen „Schnittstellenprobleme“ zu bewältigen. Um die Teilhabe- und Verwirklichungs-
Kindeswohl durch Gesetz?
Herbsttagung im WZB diskutiert Verwirklichungschancen von
Kindern und Jugendlichen in Deutschland.
Wer trägt Verantwortung für ein gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen? So
einer der zentralen Diskussionspunkte, die auf
der gemeinsamen Fachtagung der Arbeitsgruppe Public Health des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), des
AOK Bundesverbands und von Gesundheit
Berlin-Brandenburg am 7. Oktober beraten
wurden.
Prof. Rolf Rosenbrock, Leiter der AG Public
Health des Wissenschaftszentrums Berlin, ver-
wies in seinem Beitrag noch einmal auf die seit
Jahren bekannten Befunde: Rund 20 Prozent
der Kinder eines Geburtsjahrgangs, das sind
jeweils etwa 140.000 Jungen und Mädchen,
wachsen in Deutschland mit erheblichen
sozialen und gesundheitlichen Belastungen
heran. Daraus resultiert ein bereits in jungen
Jahren schlechter Gesundheitszustand, der in
der Regel mit einer reduzierten Bildung gesundheitsrelevanter Ressourcen einhergeht.
Die Ursachen dieser geminderten Entwick-
chancen von Kindern und Jugendlichen zu
sichern, fehle es an einem Gesamtkonzept,
bemängelte Professorin Birgit Babitsch von der
Charité Berlin. Hier sei eine stärkere Verzahnung von Familien-, Bildungs-, Kinder- und
Jugend- sowie Gesundheitspolitik gefragt. Laut
Babitsch können nur auf diesem Wege verbindliche Standards sowohl auf kommunaler
als auch auf Länder- und Bundesebene geschaffen werden. Die Sachverständigen waren
sich einig, dass in diesem Zusammenhang auch
ein ressortübergreifendes Denken in der Politik
nötig sei und bedauerten, dass die Anhörung
ohne Beteiligung des Gesundheitsausschusses
stattfand.
Anlass der Anhörung war der 13. Kinder- und
Jugendbericht. Dieser befasste sich unter dem
Titel „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen“
erstmals mit Gesundheitsförderung in der
Kinder- und Jugendhilfe.
Weitere geladene Experten waren Prof. Dr. Ute
Thyen (Sozialpädiatrisches Zentrum, Klinik für
Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), PD Dr. Fabienne
Becker-Stoll (Staatsinstitut für Frühpädagogik),
Norbert Müller-Fehling (Geschäftsführer Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.), Dr. Christian Lüders
(Deutsches Jugendinstitut München), Prof. Dr.
rer. soc. Elisabeth Wacker (Technische Universität Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften/Rehabilitationssoziologie) und Prof.
Dr. med. Jörg M. Fegert (Universität Ulm Klinik
für Kinder- u. Jugendpsychiatrie/Psychotherapie).
lungschancen begründen sich vor allem in der
sozialen Lage der Eltern und Faktoren wie
Arbeitslosigkeit, geringer Bildung, Migrationshintergrund und psychischer Erkrankung immer in Verbindung mit materieller Armut.
Entsprechend lautete auch das Fazit von Dr.
Herbert Reichelt, AOK-Bundesverband: „Wir
haben kein Wissens-, sondern ein Handlungsdefizit“. Als Vorsitzender des größten deutschen Kassenverbands forderte er eindringlich
eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
für ein gutes Aufwachsen aller Kinder ein.
Entsprechend solle ein Konzept realisiert
werden, das für alle Kinder Chancen auf ein
gesundes Aufwachsen eröffne. Nach dem
Verständnis der AOK beinhalte dies auf Landesund kommunaler Ebene eine Umschichtung
von Mitteln, beziehungsweise Bündelung der
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Gesunde Bundespolitik
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Ressourcen gesundheitlicher Prävention sowie
eine steuerfinanzierte Verbesserung der Bildungsangebote, insbesondere für sozial benachteiligte Kinder. So könnten ein kostenfreier Kita-Besuch und kostenfreie Gemeinschaftsverpflegung sowie ausreichende Sport-,
Bewegungs- und Freizeitangebote als zentrale
Bausteine einer guten Entwicklung finanziert
werden. Die Gesamtkosten, um die Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, würden sich nach Berechnungen des AOK Bundesverbands auf 11,9
Milliarden Euro belaufen. Ein Teil des Geldes,
3,9 Milliarden Euro, sei bereits jetzt für entsprechende Investitionen vorgesehen. Insgesamt sei erforderlich, so Herbert Reichelt, dass
die Finanzierung kurzfristiger Maßnahmen, die
zudem noch den falschen Schichten zugute
kommen, beendet werden müsse.
Unterstützung so früh wie möglich
Dass sich Prävention für eine Gesellschaft
rechnet, war eine zentrale Aussage von Prof.
Hans Bertram, Direktor des Instituts für
Soziologie der Berliner Humboldt-Universität
und Mitglied zahlreicher kinder- bzw. familienpolitischer Beiräte. Im Rückgriff auf amerikanische Studien verwies er darauf, dass Förderund Unterstützungsbedarfe im Verlauf der
gesamten Entwicklung von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden müssen.
Investitionen in die Unterstützung der Familien
sollten zwar so früh wie möglich ansetzen. Dies
enthebe jedoch nicht von der Verantwortung
für die Rahmenbedingungen, unter denen die
weitere Entwicklung der Jungen und Mädchen
erfolge. Bildungssysteme, die sich der individuellen Förderung von Kindern verschrieben
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haben, wie das finnische Schulwesen, seien
dabei dem deutschen Bildungswesen weit
überlegen. Sie können der Unterschiedlichkeit
Heranwachsender Rechnung tragen und sie
entsprechend ihrer Fähigkeiten fördern, statt
fehlende Teilhabe der Familien zu reproduzieren.
Lässt sich Kindeswohl durch
Gesetz verwirklichen?
Das war die zentrale Frage der Abschlussdiskussion mit dem Kindheitswissenschaftler Prof.
Raimund Geene, dem langjährigen Abteilungsleiter des Bundesfamilienministeriums Prof.
Reinhard Wiesner, Bernhard Scholten, Abteilungsleiter des rheinland-pfälzischen Familienministeriums, und Ulrike Plogstieß, AOK Bundesverband.
Einvernehmen bestand zwischen allen Podiumsteilnehmenden, dass die Tendenzen zu
Überwachung und Kontrolle großen Schaden
anrichten. Reinhard Wiesner rief in Erinnerung,
dass mit den Regelungen der Kinder- und Jugendhilfe im Sozialgesetzbuch VIII vorrangig
präventive Ansätze gestärkt werden sollten.
Aus seiner Sicht erfordere Schutz des Kindeswohls vor allem ein Selbstverständnis, bei dem
Jugendämter als Partner der Eltern wahrgenommen werden und diese in ihren Ressourcen
stärken. Diskussionen, die sich vorrangig an
Defiziten und Diagnosen orientieren, erhöhen
demgegenüber Ängste in den Familien und
machen die Zusammenarbeit unmöglich.
Entsprechend wurde in der Diskussion eine
Wertehierarchie eingefordert, die sich konsequent an Schaffung von Kindeswohl und entsprechender Stärkung der Ressourcen der Familien orientiert. Zuweisungen eines Defizits,
so Raimund Geene, wiederholten demgegenüber Stigmatisierungen und verhinderten Beteiligung und Inklusion der betroffenen Familien.
An dieser Zielorientierung muss auch staatliches Handeln ausgerichtet sein. Alle Familien,
so ein Hinweis in der Diskussion, könnten in
Situationen kommen, in denen sie Hilfe und
Unterstützung benötigten. Die Rahmenbedingungen für ein solches, konsequent am Kindeswohl orientiertes Handeln, lassen sich
durch Gesetz schaffen.
Vor diesem Hintergrund stießen die familienpolitischen Maßnahmen in Rheinland-Pfalz,
von denen Bernhard Scholten berichtete, auf
großes Interesse. Das Kinderschutzgesetz
Rheinland-Pfalz, so sein Statement, regelt keine Detailfragen, engt die Jugend- und Gesundheitsämter nicht ein, sondern fördert den
Aufbau lokaler Netzwerke zum Schutz des
Kindeswohls und der Kindergesundheit. Das
Gesetz eröffnet Optionen und verhilft so den
Jugend- und Gesundheitsämtern zu Handlungsalternativen, die sie für ihre Region, ihre
Stadt, ihren Landkreis selbst gestalten können.
Über eine Servicestelle beim Landesjugendamt
erhalten insbesondere die Jugendämter eine
fachliche Beratung und Unterstützung, die
nicht kontrollierend und regulierend eingreift,
sondern mithilft, Prozesse zu initiieren und zu
gestalten. Mit einem finanziellen Zuschuss an
die Jugend- (7 Euro pro Kind bis 6 Jahren pro
Jahr) und Gesundheitsämter (3 Euro pro Kind
bis 6 Jahren pro Jahr) sorgt das Land auch dafür,
dass Jugend- und Gesundheitsämter zusätzliche Ressourcen erhalten, um die Prozesse
langfristig zu begleiten.
Solche Ansätze müssten, so Ulrike Plogstieß,
ausgewertet werden und für die Umsetzung
von Konzepten, die allen Kindern ein gutes
Aufwachsen ermöglichen, genutzt werden.
Ein erster Schritt, der ‚Gesundes Aufwachsen
für alle Kinder’ konkret unterstütze, so Raimund Geene, wären Rahmenvereinbarungen
zwischen Kommunen und gesetzlichen Krankenkassen, die den Aufbau kommunaler Netzwerke für gesundes Aufwachsen fördern und
den Einstieg in die systematische Förderung
von Kindeswohl leisten.
Thomas Altgeld, Moderator dieser sehr spannenden Abschlussdiskussion, blieb das Fazit,
dass mit der diesjährigen Herbsttagung ein
sehr fruchtbarer Austausch zwischen Kinderund Familienhilfe einerseits und Gesundheitsförderung andererseits gelungen ist. Gewünscht wurde aber auch, dass die Stimme von
Public Health insgesamt in den sozial- und familienpolitischen Auseinandersetzungen wieder deutlicher zu hören ist und gesundheitliche
Konsequenzen, die sich mit Gesetzen und politischen Entscheidungen verbinden, aufgezeigt werden.
Carola Gold
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesunde Bundespolitik
Gesundheitschancen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen verbessern!
8. Kooperationstreffen „Gesundheitsförderung bei sozial
Benachteiligten“
In den mittlerweile sieben Jahren seines Bestehens hat der Kooperationsverbund Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten umfangreiches Handlungswissen zur Verbesserung der Kindergesundheit in schwieriger
sozialer Lage gesichert. Welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus diesem Wissen zu ziehen sind, stand daher im Mittelpunkt
des 8. Kooperationstreffens am 8. September
2010 im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Potenziale von Prävention und
Gesundheitsförderung noch nicht
ausgeschöpft
Die Verbesserung der Gesundheit und Zukunftschancen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen, so Rolf Rosenbrock,
Leiter der AG Public Health am WZB, in seinem
Eröffnungsbeitrag, sei nach wie vor eine der
großen gesundheitspolitischen Herausforderung. Mit Verweis auf das Sondergutachten des
Sachverständigenrats 2009 mahnte er die gesamtpolitische Verantwortung zur Reduzierung
von Kinderarmut an.
Auch wenn, gemessen an den Ursachen sozialer Benachteiligung, Prävention nur einen
Beitrag zur Verbesserung der Kindergesundheit
leisten kann, bleibt die Entwicklung in Deutschland dazu weit hinter dem Möglichen zurück.
Dies gilt insbesondere angesichts der Vielzahl,
meist verhaltensorientierter und wenig nachhaltiger Präventionsprogramme. Erschwerend
kommt hinzu, dass die Programme nur von
kurzer Laufzeit sind, es vielfach an Evaluation
und Ergebnissicherung fehlt und eine systematische Weiterentwicklung der Prävention
kaum gefördert wird. Angesichts dieser strukturellen Defizite betonte er die Bedeutung des
Kooperationsverbunds, der wirksame Konzepte
für Zielgruppen mit dem höchsten Präventionsbedarf ermittelt und dazu beiträgt, die
Qualität in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung nachhaltig zu verbessern.
die fehlende Bereitschaft kritisiert, erfolgreiche
Ansätze, deren Wirkung wie bei den Familienhebammen (vgl. Informationen in der Praxisdatenbank
www.gesundheitliche-chancen
gleichheit.de) gut evaluiert ist, in Regelangebote zu überführen. Statt Projekterfahrungen systematisch zur Verbesserung der
Angebotsqualität zu nutzen, würden Programme – häufig ungeachtet bereits bestehender Strukturen – „ausgeschüttet“. Eine
Überprüfung der Ergebnisse und Erfahrungen
ist selten vorgesehen.
Dabei ist – auch dies bestätigten die Diskussionen in den Arbeitsgruppen – Gesundheitsförderung für ein gesundes Aufwachsen
aller Kinder nur im Zusammenwirken unterschiedlicher Ressorts möglich. Vielerorts besteht jedoch die „Versäulung“ des Jugend- bzw.
Gesundheitsbereichs fort, so dass Zusammenarbeit und abgestimmtes Handeln nur
schwer gelingt. Eine wichtige Forderung lautete
daher, kommunale Konzepte zu entwickeln, die
gemeinsames ziel- und prozessbezogenes
Handeln auch von Verwaltung unterstützt.
Solche kommunalen Visionen, die unterschiedliche Partner zusammenbringen und
Ressourcen bündeln können, sind ein wichtiger
Beitrag zur Verbesserung der Kindergesundheit.
Bei dieser Zusammenarbeit, das zeigten auch
die teils kontroversen Diskussionen, besteht
noch erheblicher Entwicklungsbedarf. Das bezieht sich sowohl auf die Stärkung von
Ansätzen der Gesundheitsförderung in verschiedenen Fachgebieten, zum Beispiel in der
Bildungs- und Jugendarbeit, aber auch auf das
Zusammenwirken der verschiedenen Partner.
Empfohlen werden dafür regionale Prozesse
bei denen die Partner, zum Beispiel die
gesetzlichen Krankenkassen, von Beginn an in
die Entwicklung und Zielformulierung einbezogen werden.
dass eine professionelle Haltung erforderlich
ist, die sich konsequent an den Ressourcen der
Nutzer/innen orientiert und diese auf Augenhöhe anspricht. Das strukturelle Dilemma
vieler Angebote, wonach zunächst eine Defizitbeschreibung erfolgen muss, erhält
Stigmatisierungen aufrecht. Erforderlich ist
daher auch in der Prävention mit Kindern und
Eltern, dass konsequent partizipative und
befähigende Ansätze verfolgt werden, wie sie
die Qualitätskriterien der Gesundheitsförderung des Kooperationsverbunds fordern. Die
Umsetzung dieser Qualitätserfordernisse ist
ein beharrliches Ringen um Professionalität,
zum Beispiel in Kindertagesstätten und Familieneinrichtungen.
Die Ergebnisse und Diskussionen der Arbeitsgruppen des 8. Kooperationstreffens sind
ausführlich auf der Website
www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/
:kooptreffen8 dokumentiert. Harald Lehmann,
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA), kündigte zudem an, dass Handlungsempfehlungen und eine Fachpublikation zu
diesen Themen folgen werden. Neben einer
Neuauflage der Arbeitshilfen für Prävention
und Gesundheitsförderung im Quartier wird
derzeit auch eine Werkstatt entwickelt, die
Praktiker/innen aus der Stadtteilarbeit und
Kindertagesstätten in der Anwendung der
Kriterien Guter Praxis der Gesundheitsförderung unterstützt.
Carola Gold
Zusammenarbeit unterschiedlicher
Ressorts stärken
Wie erfolgreiche Praxis verbreitet werden kann,
stand daher auch im Mittelpunkt der Diskussionen. In sechs Arbeitsgruppen berieten die
rund 80 Vertreter/innen der Mitgliedsorganisationen gemeinsam mit Wissenschaftler/innen erforderliche Strategien. Dabei wurde auch
In den Kommunen ist vielfach Wissen vorhanden, welche Zielgruppen hohen gesundheitsrelevanten Belastungen ausgesetzt sind
und wo diese Familien zu finden sind. Gleichwohl mangelt es in regionalen Netzwerken
häufig an Nutzerorientierung und die Perspektive der Zielgruppen wird wenig eingebracht. Hier betonen die Kooperationspartner,
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Gesunde Bundespolitik
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Die Beteiligung der Kommunen ist
unverzichtbar
Interview mit Dr. Volker Wanek, GKV-Spitzenverband, zum
überarbeiteten Leitfaden „Prävention“
6
Info_Dienst: Der
GKV-Spitzenverband
hat am 27. August
eine überarbeitete
Fassung des „Leitfaden Prävention“
zum § 20 SGB V herausgebracht. Was ist
der Stellenwert, die
Verbindlichkeit
dieses Leitfadens?
Wanek: Der GKV-Leitfaden Prävention konkretisiert die Gesetzesvorgaben der §§ 20 und 20a
SGB V und stellt damit so etwas wie den Leistungskatalog der Krankenkassen in der Primärprävention und betrieblichen Gesundheitsförderung dar. Er definiert die inhaltlichen
Handlungsfelder und qualitativen Kriterien, die
für die Krankenkassen und mögliche Leistungserbringer vor Ort verbindlich gelten. Alle von
den Krankenkassen geförderten Leistungen
müssen den im Leitfaden enthaltenen Anforderungen entsprechen. Innerhalb dieses Rahmens können die Krankenkassen eigene
Schwerpunkte setzen – und tun dies selbstverständlich auch. Wie verbindlich der GKVLeitfaden Prävention ist, zeigt sich daran, dass
die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen in
Bund und Ländern ihn bei ihren Prüfungen als
Maßstab zugrunde legen.
Info_Dienst: Die Lebenswelten, die im Rahmen
von § 20 Abs. 1 SGB V zu fördern sind, sind
nach dem Leitfaden Kindertagesstätten, Schulen und Kommunen/Stadtteile? Weswegen
haben Sie diese drei Settings ausgewählt?
Wanek: In der Primärprävention setzt die GKV
insbesondere für sozial benachteiligte Zielgruppen auf Settings bzw. Lebenswelten als
geeignete Interventionsfelder und Zugangswege. Hierbei kommt es vor allem darauf an,
die Menschen in denjenigen Lebenswelten
anzusprechen, in denen sie einen Großteil ihrer
Zeit verbringen. Mit Setting-Ansätzen werden
alle Menschen unabhängig von ihrem sozialen
Status erreicht – zusätzlich besteht die Chance,
auch das Lebensumfeld gesundheitsförderlich
umzugestalten. Wir haben im Leitfaden Vorgehensweisen für die Gesundheitsförderung
nach dem Setting-Ansatz für KiTas, Schulen
und Stadtteile beispielhaft konkretisiert.
Neben den genannten Settings ist es möglich
und erwünscht, dass Krankenkassen auch in
anderen Settings, wie zum Beispiel Altenheimen, Projekte durchführen. Dies sieht der
GKV-Leitfaden ausdrücklich vor und die Kassen
engagieren sich hier in zunehmendem Maß.
Info_Dienst: Können aus Ihrer Sicht mit der
Neufassung des Leitfadens Fortschritte in Richtung gesundheitlicher Chancengleichheit erzielt werden?
Wanek: Wir denken: Ja! Erstens haben wir die
Erkenntnisse der GKV-Gesundheitsförderungsprojekte an Schulen insbesondere für sozial
Benachteiligte aus den letzten zehn Jahren
verarbeitet. Zum Beispiel zeigte sich, dass
Schulen zu Projektbeginn eine relativ engmaschige externe Unterstützung brauchen.
Zweitens haben wir auch die Erfahrungen anderer, z. B. des Bund-Länder-Modellprogramms
„Soziale Stadt“ sowie des „gesunde-StädteNetzwerks“ in die Vorgehensbeschreibungen
zur Gesundheitsförderung in Kommunen /
Stadtteilen eingebracht. Gerade in diesem Feld
ist es unverzichtbar, dass die Kommunen selbst
eine Initiativ- und Koordinationsfunktion übernehmen und sich auch mit Eigen- bzw. anderweitig beschafften Drittmitteln in die Aktivitäten einbringen; dann können Krankenkassen
Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Kommunen nach § 20 SGB V fördern. Drittens haben wir Kriterien für eine erleichterte Inanspruchnahme von Präventionsleistungen durch
sozial Benachteiligte, zum Beispiel Langzeitarbeitslose, definiert. Wir empfehlen den Kassen
diese Versicherten so weit wie möglich von Vorleistungen bzw. Eigenanteilen freizustellen.
nfo_Dienst: Man hört oft, dass gesetzliche
In
Krankenkassen Versicherte mit „hohen Risiken“ gar nicht so gerne für sich gewinnen
möchten. Gleichzeitig haben „Risikogruppen“
wie beispielsweise Arbeitslose einen besonders hohen Bedarf an Gesundheitsförderung
und Prävention und sollen nun stärker von der
GKV berücksichtigt werden. Welche Angebote
können diesen Gruppen gemacht werden?
Wanek: Als solidarisches und nicht-gewinnorientiertes System gehört für die GKV eine
Versorgung entsprechend dem Bedarf der
Versicherten zu den unumstößlichen Grundsätzen. Dabei haben Risikoselektion und Ausgrenzung keinen Platz. Es liegt sogar im Interes-
se der einzelnen Krankenkasse, sozial Benachteiligte, zum Beispiel Arbeitslose, in wirksame
und wirtschaftliche Präventionsmaßnahmen
einzubeziehen und ihnen spezifisch auf sie
zugeschnittene Angebote zu unterbreiten. Die
Krankheitskosten gerade dieser Menschen
übertreffen die Beiträge, die von den Arbeitsagenturen an die Krankenkassen überwiesen
werden, deutlich. In der Praxis haben sich
gemeinsam von den Arbeitsagenturen und den
Krankenkassen getragene Projekte – wie zum
Beispiel das Job-Fit-Programm in NRW – als
erfolgreich erwiesen, um die mit Arbeitslosigkeit einhergehenden Risiken zumindest teilweise zu kompensieren. Hierzu sind regionale
bzw. landesweite Vereinbarungen zwischen
Krankenkassen und geeigneten Trägern (zum
Beispiel Träger der Grundsicherung) notwendig.
Info_Dienst: Welche Aufgaben hat der GKV
Spitzenverband jenseits des Leitfadens noch in
der Prävention bzw. Gesundheitsförderung?
Wanek: Wir unterstützen die Krankenkassen bei
der Qualitätssicherung ihrer Leistungen, indem
wir sie zu einer einheitlichen Anwendung des
Leitfadens beraten und ihnen Instrumente zur
Angebotsprüfung und Evaluation zur Verfügung
stellen. Nicht zuletzt ist der GKV-Spitzenverband natürlich auch der zentrale Gesprächspartner der Politik und der Kooperationspartner
zu allen Fragen rund um die Gesundheitsversorgung einschließlich Prävention und Gesundheitsförderung.
Nationales Zentrum Frühe
Hilfen: Finanzierung für vier
weitere Jahre gesichert
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat
dem Nationalen Zentrum für Frühe Hilfen
(NZFH) die Finanzierung für vier weitere Jahre
zugesichert. Dies teilte Schröder auf dem
Bundeskongress des NZFH „Von Anfang an.
Gemeinsam.“ am 13. und 14. November 2010
im Berliner Umweltforum mit. Zeitgleich
kündigte die Ministerin an, noch in diesem
Jahr ein neues Bundeskinderschutzgesetz
auf den Weg zu bringen.
Neben einem umfassenden Resümee der
vergangenen Jahre und Ausblicken in die
zukünftige Arbeit lag ein Fokus der Veranstaltung auf Möglichkeiten, Frühe Hilfen zu
verstetigen. Wie die Regelfinanzierung von
Frühen Hilfen gesetzlich verankert werden
kann, verdeutlichte Prof. Dr. Knut Hinrichs
von der HAW Hochschule für Angewandte
Wissenschaften Hamburg in seinem Beitrag
„Mit Frühen Hilfen müssen Sie rechnen –
Chancen der Verstetigung“.
Weitere Informationen zu dem Kongress
finden Sie unter: www.fruehehifen.de
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesunde Bundespolitik
Netzwerke versus Networking –
Was braucht eine gute Praxis der Gesundheitsförderung?
Workshop am Freitag, 3. Dezember auf dem 16. Kongress
Armut und Gesundheit
Das Thema „Vernetzung“ ist ein Schlüsselbegriff für die Praxis der Gesundheitsförderung.
Vom unverbindlichen Informationsaustausch
bis zur verstetigten Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure trägt Vernetzung dazu bei,
gesundheitsfördernde Interventionen problemgerecht auszurichten, in die jeweiligen Lebenswelten einzubetten und die verfügbaren Ressourcen zu bündeln. Doch ist das wirklich so
einfach? Netzwerkarbeit ist für alle Beteiligten
eine Investition, die Zeit und Personal erfordert
– meist, ohne dass sofort ein unmittelbarer
Nutzen erkennbar ist. Wann also ist der Aufbau
kontinuierlich arbeitender Netzwerkstrukturen
sinnvoll? Wie können diese Netzwerke trotzdem offen für neue Mitglieder und Themen
bleiben? Wann sind dem gegenüber problemorientierte, nur vorübergehend arbeitende
Netzwerke sinnvoller? Und wo beginnt die
„Über-Vernetzung“?
Der Workshop beschäftigt sich mit den Potenzialen von Netzwerkarbeit, fragt aber auch
nach den Grenzen der Vernetzung. Drei Beiträge beleuchten das komplexe Thema aus
unterschiedlichen Perspektiven:
Prof. Egon Endres (Katholische Stiftungsfachhochschule München) stellt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu Netzwerkarbeit vor.
„Netzwerke sind keine Vereine!“
Interview mit Klaus D. Plümer, Akademie für öffentliches
Gesundheitswesen, Düsseldorf
Info_Dienst: Was
macht gute Netzwerkarbeit aus?
Plümer: Bei der
Netzwerkarbeit
geht es darum, gemeinsam Ziele zu
erreichen. Die Frage
ist: Wen brauche
ich, um bestimmte
Dinge zu erreichen?
Dafür schafft das
Netzwerk
eine
unterstützende
und
zielführende, projektbezogene Infrastruktur.
Und wenn das Ziel erreicht ist, dann kann sich
das Netzwerk in dieser Konfiguration auch
wieder verabschieden und sich für andere
Zwecke neu konfigurieren. Flexibilität und
Offenheit, die Möglichkeit sich immer wieder
neu aufzustellen, das ist entscheidend. Ein
Netzwerk, dessen Arbeit sich darauf beschränkt, sich ein oder zweimal im Jahr zu
treffen, um sich auszutauschen und seiner
Existenz selbst zu vergewissern, wird vermutlich weder eine starke Lobbyfunktion
erfüllen, noch wirklich Dinge ins Werk setzten
können. Dies entspricht eher dem Wesen von
Vereinen, die sich oft aus guten Gründen, um
ihrer selbst willen gründen.
Info_Dienst: Wieviel Struktur braucht diese
Flexibilität?
Plümer: Für mich ist das eigentlich ein Widerspruch: Strukturen haben die Tendenz zu
erstarren, wenn sie erst einmal ins Werk gesetzt sind. Gute Netzwerke sind aber gerade
dadurch gekennzeichnet, dass sie offen, flexibel, den Erfordernissen gemäß anpassungsfähig sind. Das heißt nicht, dass sie instabil
sind und über längere Zeiträume nicht existieren können. Im Gegenteil, ihre Veränderungsfähigkeit, je nachdem welche Ziele anstehen und welche Aufgaben erreicht werden
sollen, macht die Stärke von Netzwerken aus.
Andererseits, je manifester sich ein Netzwerk
über eigene Strukturen definiert, desto mehr
ist es mit sich selbst beschäftigt.
Info_Dienst: Dann ist der Protest gegen das
Projekt „Stuttgart 21“ ein Netzwerk in diesem
Sinne?
Er beleuchtet die Faktoren, die eine erfolgreiche Vernetzung begünstigen und zeigt auf,
wo Grenzen von Vernetzung liegen.
Der beratende Arbeitskreis des Kooperationsverbundes „Gesundheitsförderung bei sozial
Benachteiligten“ hat Kriterien für gute Praxis in
der Netzwerkarbeit entwickelt, auf deren
Grundlage gute Beispiele für Netzwerkstrukturen der Gesundheitsförderung ausgewählt
werden. Der Beitrag von Klaus D. Plümer
(Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen
in Düsseldorf und Mitglied des beratenden
Arbeitskreises) stellt die Good Practice-Kriterien für Netzwerkstrukturen vor und erläutert
den Auswahlprozess.
Abschließend präsentierten Martina Hartmann
und Friederike Goschenhofer REGSAM, die
regionalen Netzwerke für soziale Arbeit in
München (www.regsam.net). Das Netzwerk arbeitet seit 2003 flächendeckend in 16
Münchener Regionen und wurde als erstes
Good Practice-Beispiel für Netzwerke ausgewählt.
Holger Kilian
Plümer: Netzwerke sind eigentlich dazu da,
etablierte Strukturen und eingefahrene Prozesse aufzubrechen und neu zu konfigurieren.
Aber nicht als Selbstzweck, sondern um gewisse Dinge zu erreichen, die anders nicht
erreichbar sind. Die Protestbewegung gegen
„Stuttgart 21“ ist ein hervorragendes Beispiel,
wie Netzwerke entstehen, funktionieren und
sich irgendwann auch wieder auflösen werden.
Aus Netzwerken entstehen Bewegungen. Dafür
braucht es Anlässe, die dann auch jenes
Commitment bei allen Beteiligten erzeugen,
wodurch Netzwerke erst tragfähig und belastbar werden. Netzwerke sind letztlich zu verstehen als Instrumente, um Veränderungen zu
befördern und sozialen Bewegungen eine
ansprechbare, verhandlungsfähige Instanz zu
verleihen. „Vermitteln und vernetzen“ ist eine
Handlungsprämisse der Ottawa Charta, d. h.
ein Netzwerk kann dies nur leisten, wenn es
eine lebendige, offene soziale Instanz ist. In
dem Sinne, ist ein Netzwerk nicht durch eingetragene Mitgliedschaft zu realisieren. Dies
zeichnet vielleicht einen Verein aus, aber kein
Netzwerk. Im Übrigen wird nirgends in der
Ottawa Charta dazu aufgerufen, Netzwerke zu
gründen, sondern Veränderungen zu bewirken,
um gesundheitliche Chancengleichheit herzustellen. „Gesundheit für alle“ war und ist das
handlungsleitende Motto der Gesundheitsförderung.
7
Gesunde Bundespolitik
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Lehrbuch der Gesundheitsförderung
Aktualisierte Auflage mit zahlreichen Informationen und Beispielen zur
Situation in Deutschland
die zentralen Begriffe „Gesundheit“ und
„Krankheit“ und geht anschließend auf die
Einflussfaktoren für Gesundheit ein. Hier und
im weiteren Verlauf des Lehrbuches bleibt es
nicht bei der reinen Wissensvermittlung: Das
Buch regt zum Weiterdenken an und motiviert
den Lesenden, über den Tellerrand der eigenen
Fachdisziplin hinauszudenken. So berührt der
Abschnitt zur Ethik der Gesundheitsförderung
ein Thema, das in der Fachdiskussion bislang
noch viel zu wenig reflektiert wurde.
Der zweite Teil stellt in enger Anlehnung an die
Ottawa-Charta Strategien und Methoden der
Gesundheitsförderung vor und schlägt den
Bogen von der Kompetenzentwicklung bis zur
gesundheitsfördernden Gesamtpolitik. Zudem
werden Möglichkeiten und Grenzen medial
vermittelter Gesundheitsförderung auf begrenztem Raum sehr differenziert dargestellt.
8
Das „Lehrbuch der Gesundheitsförderung“ von
Jennie Naidoo und Jane Wills erschien erstmals
vor sieben Jahren. Es war das erste in deutscher
Sprache verfügbare Arbeitsbuch zu Konzepten
und Handlungsansätzen in der Gesundheitsförderung. Nun hat die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine aktualisierte und stark erweiterte zweite Auflage
herausgegeben.
Das fast 500 Seiten starke Buch gliedert sich in
vier große Teile: Teil 1 beschäftigt sich mit den
Grundlagen der Gesundheitsförderung. Es klärt
Stimmen zum Kongress
Thomas Altgeld,
Geschäftsführer
Landesvereinigung für
Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin
Niedersachsen
Welche Bedeutung hat
der Kongress „Armut
und Gesundheit“ für die Gesundheitsförderung von sozial Benachteiligten?
„Armut und Gesundheit“ schafft alle Jahre
wieder einen gelungenen Austausch zwi-
Teil 3 widmet sich ganz dem Setting-Ansatz als
zentralem Konzept der Gesundheitsförderung
und stellt Handlungsansätze in fünf ausgewählten Settings (Schule, Betrieb, Wohnviertel,
Krankenhaus, Gefängnis) vor.
Der abschließende vierte Teil ist überschrieben
mit „Durchführung der Gesundheitsförderung“
und behandelt Ansätze, den Bedarf zu erfassen
und zu bewerten sowie gesundheitsfördernde
Angebote zu planen und zu evaluieren.
Die Inhalte des Lehrbuchs sind gut gegliedert
und verständlich dargestellt. Es setzt keine
schen Wissenschaft und Praxis. Allerdings ist
dies keine Einbahnstraße wie meistens üblich
in diesen Kontexten, dass die Praxis andächtig mehr oder weniger brauchbarer
Wissenschaft lauscht, sondern der Diskurs ist
gleichberechtigt.
Die vielfältigen Ansätze der Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten, die hier
vorgestellt werden, regen Wissenschaft und
Qualifizierungsangebote an und sind genauso sprachfähig, spannend und streitbar.
Das ist in dieser Kombination und der Füllen
von Themenbereichen und Teilnehmenden
einzigartig.
Fachkenntnisse voraus und ist sowohl für Studierende der Gesundheitsförderung als auch
für interessierte Quereinsteiger/innen aus
allen für die Gesundheitsförderung relevanten
Professionen geeignet. Regelmäßig eingeschobene Textkästen mit weiterführenden Informationen, Beispielen und Arbeitsaufgaben lockern die Darstellung auf und motivieren zum
Selber-Denken. Jedoch hätten ein Stichwortverzeichnis und eine kommentierte Zusammenstellung der zentralen Begriffe (Glossar)
den Zugang zu den umfangreichen Informationen erleichtert und den Nutzwert als Arbeitsbuch weiter abgerundet. Die aktualisierte
und erweiterte Auflage beinhaltet zudem auch
zahlreiche Beispiele und Informationen zur
Situation in Deutschland, die Originalausgabe
beschränkte sich noch auf Beispiele aus
Großbritannien. Das Gesamtfazit: Der „blaue
Band der Gesundheitsförderung“ ist ein kompetenter und motivierender Einstieg in das
Arbeitsfeld Gesundheitsförderung zu einem
günstigen Preis.
Naidoo, Jennie; Wills, Jane 2010:
Lehrbuch der Gesundheitsförderung.
Überarbeitete, aktualisierte und durch
Beiträge zum Entwicklungsstand in
Deutschland erweiterte Neuauflage,
hrsg. von der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Gamburg: Verlag für Gesundheitsförderung.
24,90 Euro (zzgl. Versandkosten)
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesunde Bundespolitik
Zielerreichungsskalen im Projekt BLIQ –
Bewegtes Leben im Quartier
Über ein partizipatives Instrument zur Formulierung und Über prüfung von Zielen in Prävention und Gesundheitsförderung
und den Arbeitsprozess zeitlich zu strukturieren.
Ein ausführlicher Leitfaden für die Anwendung
von Zielerreichungsskalen in der Gesundheitsförderung ist abrufbar unter:
www.evaluationstools.de/methodenkoffer/
uebergreifende-instrumente.html.
Martina Block, Ina Schaefer
Zielerreichungsskalen wurden ursprünglich für
die Evaluation im Bereich der klinischen Psychologie entwickelt mit dem Ziel, Patienten/innen stärker in den Behandlungsprozess und
seine Bewertung einzubinden. Die Anwendung
von Zielerreichungsskalen erfordert es, ein
oder mehrere konkrete und messbare Ziele
festzulegen. Anschließend wird überlegt, wie
überprüft werden kann, ob das Ziel erreicht
wurde und welches Ergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt erwartet wird. Davon
ausgehend werden zwei Stufen nach oben
(„mehr als erwartet“ und „viel mehr als erwartet“) und zwei Stufen nach unten („weniger
als erwartet“ und „viel weniger als erwartet“)
gebildet. Die Zielerreichung kann zunächst für
ein nahes Zwischenziel beschrieben und
anschließend fortgeschrieben werden.
Auswahl der Ziele in den BLIQ-Gebieten
Im IN FORM-Projekt BLiQ – Bewegtes Leben im
Quartier werden in zwei lokalen Aktionsbündnissen, Marzahn NordWest und Potsdam, Zielerreichungsskalen als partizipativ anwendbares Planungs- und Evaluationsinstrument eingesetzt. Um Ziele festzulegen wurde im Sommer 2009 gemeinsam mit den Kooperationspartner/innen ein Auftaktworkshop durchgeführt.
Bei beiden Bündnissen bestand der Bedarf,
bereits zu Beginn der Projektlaufphase, übergreifende Ziele in den Bereichen Nachhaltigkeit, Fähigkeitsentwicklung und Veränderung der Verhältnisse festzulegen. Daraus
sollten zunächst Ziele für die Anfangsphase
des Projektes abgeleitet werden. Nach Erreichen dieser Ziele wurden die Skalen für die
weiteren Projektphasen fortgeschrieben. Die
Formulierung der Ziele ist eng an Interventionen angelehnt, die aus einem integrierten
Handlungskonzept zur Bewegungsförderung
von sozial benachteiligten Kindern entwickelt
werden und orientiert sich an dem Zeitplan des
Projektes.
In insgesamt vier Aktivitätsbereichen werden
Angebote im Sinne einer strukturellen Prävention zur Bewegungsförderung gemacht: „Bewegte Spielplätze“, „Bewegte Winterspielplätze“, „Bewegte Wege“ und „Bewegte Räume“.
Diese wurden gemeinsam von Akteuren und
auch Eltern erarbeitet. Um in der Lage zu sein,
die Kinder und ihre Familien dauerhaft zu betreuen und anzuleiten, werden Multiplikator/innen und Eltern als BLiQ-Bewegungstrainer/innen ausgebildet. Nachhaltigkeit
Die Zielerreichungsskalen aus Sicht der
Praxis
durch die Ausbildung von Multiplikator/innen
zu sichern wurden in Potsdam und Marzahn
NordWest für die Zielerreichungsskala ausgewählt. Eine weitere Skala wurde für das Ziel
„Förderung der Bewegungsaktivität von Kindern“ mit Hilfe der Anlage „Bewegter Wege“ in
Marzahn NordWest gebildet.
Erste Erfahrungen mit den
Zielerreichungsskalen
Der erste Schritt, der für die Ausbildung der
Multiplikator/innen von Sommer bis Herbst
2009 geplant und verwirklicht wurde, war es,
Schulungskonzepten gemeinsam mit den beteiligten Einrichtungen zu entwickeln. Auch für
die Gestaltung der „Bewegten Wege“ galt es,
die späteren Nutzer/innen an der Konzeptentwicklung zu beteiligen. Kooperationspartner/innen bzw. Kitas zu beteiligen wurde demnach als erstes Ziel formuliert. Gegenstand der
ersten Fortschreibungen war Teilnehmer/innen zu gewinnen und Schulungen durchzuführen sowie ein Gestaltungskonzept für die
„Bewegten Wege“ zu entwickeln und umzusetzen.
Aufgrund aktueller Einflüsse und zeitlicher
Verschiebungen war es nötig, die Skalen anzupassen. In beiden Quartieren lag das erste
Teilziel „Nachhaltigkeit“ über den erwarteten
Ergebnissen. In Bezug auf die „Bewegten
Wege“ wurden im Frühjahr 2010 in einem der
beiden Quartiere gleich mehrere Skalen formuliert. Alle Ziele wurden erreicht, d. h. die
Wege wurden gestaltet und eingeweiht und in
beiden BLIQ Gebieten wurden Multiplikator/innen ausgebildet, die auch langfristig die
Fortführung der Angebote sicherstellen.
Die Arbeit mit den Skalen wurde von den
Akteur/innen als Bereicherung erlebt. Sie halfen, die Zielsetzungen konkret zu formulieren,
einen zeitlichen Rahmen zu setzen, die Strategie für das Erreichen der Ziele zu präzisieren
Ein Interview mit Kerstin
Moncorps, lokales
Aktionsbündnis Marzahn
NordWest
Info_Dienst: Welche Erfahrungen haben Sie
mit den Zielerreichungsskalen gemacht?
Kerstin Moncorps: Mit den Zielerreichungsskalen habe ich ein Instrument zur Formulierung und Verfolgung von Zielen kennen
gelernt, das der Ergebnissicherung dient.
Info_Dienst: Was ist Ihnen positiv oder auch
negativ beim Einsatz der Skalen aufgefallen?
Kerstin Moncorps: Sehr hilfreich, um in die
Arbeit mit den Skalen herein zu kommen,
waren der Einführungsworkshop und die
anfängliche externe Begleitung des Prozesses. Wenn man das System verstanden
hat, eignen sich die Skalen sehr gut, um über
Ziele und deren Erreichungsgrad zu diskutieren. Dieses unterstützt den Verständigungsprozess. Einen weiteren Vorteil sehe
ich in der Verbindlichkeit für alle Beteiligten
durch die schriftliche Fixierung, damit auch
die Überprüfbarkeit.
Info_Dienst: Haben Sie Tipps für Kolleg/innen für die Benutzung der Skalen, die Sie
weitergeben möchten?
Kerstin Moncorps: Es ist sinnvoll, die Ziele
kleinteilig zu formulieren. Anwender/innen
müssen sich darüber im Klaren sein, dass
Zeitabläufe und unbeeinflussbare Faktoren
(zum Beispiel wann eine Genehmigung erteilt
wird) die konkrete Formulierung in Bezug auf
den Zeitpunkt der Erfüllung hemmen. Für die
Erfüllung und Fortschreibung der Skalen ist
es hilfreich, wenn es eine Person gibt, die den
Zieleprozess im Auge behält. Bleiben diese
Dinge unberücksichtigt, so kann sich das
negativ auf den Prozess auswirken.
Das Interview führte Martina Block.
9
Gesunde Bundespolitik
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Planungsaktivitäten einer Intervention
darstellen und beschreiben
Über die „Methode der Projektlogik“ in der Prävention und
Gesundheitsförderung
Die Methode der Projektlogik (PL) basiert auf
dem seit etwa 30 Jahren international verwendeten Ansatz des Logic Models. Als Planungsinstrument bietet es die Möglichkeit, Ressourcen, Planungsaktivitäten, Intervention und
erwartete Ergebnisse mit einander in Beziehung zu setzen und visuell darzustellen. Dadurch wird die zugrunde liegende Logik aller
Interventionsphasen erkennbar. Die Methode
der Projektlogik bietet eine fundierte Grundlage, um Anträge zu formulieren. Außerdem
dient sie einer effektiveren Kommunikation. Sie
fördert die projektinterne Diskussion und kann
damit auch die interne Qualitätssicherung
unterstützen. Darüber hinaus kann sie aber
auch gegenüber Außenstehenden für Transparenz sorgen und als Argumentationshilfe für
Entscheidungsprozesse dienen.
10
Fünf Arbeitsschritte
Die Methode der Projektlogik umfasst fünf
Arbeitsschritte: Im ersten Schritt müssen die
Mitarbeiter/innen eines Projektes dafür gewonnen werden, sich am Prozess zu beteiligen.
Zudem wird eine Arbeitsgruppe gebildet.
Im zweiten Schritt muss dafür gesorgt werden,
dass alle Beteiligten ausreichend Zeit mitbrin-
gen. um regelmäßige Treffen zu organisieren.
Auch für die Anwendung der PL-Methode muss
genügend Zeit eingeplant werden, um die
Elemente der Methode zu ermitteln und
schriftlich niederzulegen.
Der dritte Schritt beschreibt die Planungsphase. Hierbei erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der Ressourcen (zum Beispiel Anzahl der Mitarbeiter/innen, Finanzen, Räumlichkeiten, Voraussetzungen der Kommune/Gemeinde). Anschließend werden die Planungsaktivitäten beschrieben. Hierunter fallen alle
Aktivitäten, die ein Projekt leisten muss, um
eine Maßnahme zu entwickeln. Überlegungen,
ob eine Weiterbildung von Mitarbeiter/innen
notwendig ist, um sie für die Durchführung der
Intervention zu qualifizieren, gehören beispielsweise dazu. Des Weiteren muss geklärt
werden, wie die Konzeption der präventiven/
gesundheitsfördernden Maßnahme aussehen
soll. Hier sind auch die Auswahl und die
Bestandsaufnahme des Bedarfs der Zielgruppe
von Bedeutung.
Schließlich, in Schritt vier, erfolgt die Durchführung der Maßnahme/Intervention. An dieser Stelle werden alle Aktivitäten innerhalb des
Angebotes beschrieben.
Partizipation braucht Zeit und personelle
Ressourcen
Interview mit Uwe Nowotsch, Projektleiter bei „Fixpunkt“
„Fixpunkt“ leistet aufsuchende Arbeit mit in
der Öffentlichkeit Alkohol konsumierenden
Menschen im Bezirk Spandau und arbeitet mit
den Methoden der partizipativen Qualitätsentwicklung.
Info_Dienst: Welche Bedeutung hat Partizipation für Ihre Arbeit?
Nowotsch: Partizipation spielt bei unserer Arbeit eine große Rolle. Partizipative Arbeitsansätze sind im Träger auf verschiedenen Ebenen
verankert. So hat der Träger u.a. an dem Projekt
„Paritzipative Qualitätsentwicklung“ der DAH
teilgenommen. Beim momentanen Aufbau des
Projekts in Spandau beziehen wir die Ziel-
gruppen unserer Arbeit aktiv mit ein. Sie entscheiden zum Beispiel bei der Frage mit, ob es
eine „nasse“ Einrichtung (Einrichtungen, in
denen das „kontrollierte Trinken“ praktiziert
wird. Anm. d. Red.) werden soll oder welche Tätigkeiten das Beschäftigungsangebot beinhalten wird.
Info_Dienst: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Vorteile partizipativer Methoden, was
die Nachteile?
Nowotsch: Der zentrale Vorteil partizipativer
Methoden liegt m.E. darin, dass Einrichtungen
ein Angebot bieten können, dass im besten
Der fünfte Schritt beschreibt die Ergebnisse der
Maßnahme, also die unmittelbare Wirkung und
die Breitenwirkung. Die unmittelbaren Wirkungen kennzeichnen erhoffte Ergebnisse der
Intervention. Die Breitenwirkung beschreibt die
(möglichen) Wirkungen, die über die unmittelbaren (zielgruppenbezogenen) Wirkungen hinausgehen (Verhältnisprävention). Diese schließen nicht nur beabsichtigte, sondern auch
unbeabsichtigte Wirkungen ein: Wenn sich
beispielsweise im Rahmen eines Sprachkurses
für Migrant/innen eine Selbsthilfegruppe bildet, die sich für die Belange ihres Quartiers
engagiert.
Es bietet sich an, die Methode der Projektlogik
zu benutzen, um sich einen Überblick zu
verschaffen und dann mit der Methode zur
Entwicklung lokaler Ziele und Wirkungswege
(ZiWi-Methode) die Projektlogik differenzierter
darzustellen. Die Schlichtheit der Methode ist
Stärke und Schwäche zugleich. Sie erlaubt
nicht, in die Tiefe zu gehen. Wirkungswege
einer Intervention werden außer Acht gelassen
und Bezüge zum Kontext werden nicht hergestellt.
Unter
www.partizipative-qualitaetsentwicklung.de
finden Sie im „Methodenkoffer“ weitere Informationen zur Methode der Projektlogik und
zahlreiche weitere Instrumente und Praxisbeispiele (Martina Block, Hella von Unger,
Michael T. Wright 2008).
Marco Ziesemer
Falle von Anfang an auf die Bedarfe der Zielgruppe abgestellt ist, da diese in Planung und
Durchführung beteiligt waren. Partizipation
braucht allerdings auch Zeit und personelle
Ressourcen, was im Projektalltag nicht durchgängig zu gewährleisten ist.
Info_Dienst: Wie und zu welchem Zweck haben
Sie die Methode „Projektlogik“ eingesetzt?
Nowotsch: Zu Beginn des Streetworkprojekts
in Spandau haben die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Projekts eine Exploration des
Maßnahmegebiets durchgeführt, d.h. lokale
Akteure, Anwohner, Angehörige der Zielgruppe
befragt und teilnehmende Beobachtungen
durchgeführt. Ich habe die Methode genutzt,
um die Datenmengen auszuwerten, Schlussfolgerungen zu ziehen und für die Entscheider
in der Bezirkspolitik aufzubereiten. Anhand der
einfachen Systematik der Projektlogik ist das
Vorgehen und die Beschreibung des Sachstands auch von Außenstehenden gut nachvollziehbar.
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Info_Dienst: Welche Erfahrungen haben Sie bei
der Anwendung der Methode „Projektlogik“ im
Rahmen Ihrer praktischen Tätigkeiten gesammelt?
Nowotsch: Ich war überrascht, wie sehr die
Methode mir geholfen hat, die Dinge zu
strukturieren und einzuordnen. Nachdem ich
das geschafft hatte, fiel es mir auch nicht mehr
schwer, die aufbereitete Datenlage und meine
Schlussfolgerungen analog der Projektlogik für
den Zuwendungsgeber schlüssig zu Papier zu
bringen.
Gesunde Bundespolitik / Bewegung in Berlin-Brandenburg
Bewegung in
Berlin-Brandenburg
Wozu dienen Gesundheitsziele? / Tag der
Zahngesundheit / Gesundheits- und
Bewegungsförderung bei älteren Menschen
Stimmen zum Kongress
Thomas Gebauer,
Geschäftsführer
medico international
Welche Bedeutung
hat der Kongress
„Armut und
Gesundheit“ im
Hinblick auf die gerechte Verteilung von
Gesundheitschancen?
Wozu dienen Gesundheitsziele?
7. Landesgesundheitskonferenz am 28. Oktober in Berlin
11
Die Chance, Gesundheit für alle zu
verwirklichen, war nie größer als heute.
Der globale Reichtum und das Wissen
über die Zusammenhänge des Lebens
ließen es längst zu, allen den Zugang zu
bestmöglicher Gesundheit zu ermöglichen. Die Realität aber ist eine andere.
Die voranschreitende Kopplung von Gesundheit an die Kaufkraft der Einzelnen
hat das Ziel in weite Ferne rücken lassen.
Alljährlich werden über 100 Millionen
Leute in die Armut getrieben, weil sie aus
eigener Tasche für ihre Gesundheitskosten aufkommen müssen.
Es ist höchste Zeit für Alternativen. Alternativen, die nicht alle neu erdacht werden
müssen, sondern in den Kämpfen für die
Durchsetzung und den Erhalt solidarischer Gesundheitssysteme bereits angelegt sind: im Süden wie im Norden. Es
fehlt nicht an Ressourcen, sondern allein
am Willen und der politischen Organisierung. Wo ließe sich letzteres besser
entfalten, als an dem Ort, der in Deutschland wie kein anderer für „Public Health“
steht: dem Kongress Armut und Gesundheit!
Informationen zu der Arbeit von medico
international finden Sie unter:
www.medico.de
Berliner Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher auf der 7. Landesgesundheitskonferenz
Verbessert sich die Gesundheit der älteren
Bevölkerung durch die Formulierung von Gesundheitszielen? Oder, wie Dr. Matthias Wismar in seinem Eröffnungsbeitrag fragte: Wozu
dienen Gesundheitsziele und wer hält sich
dran? Die 7. Landesgesundheitskonferenz Berlin am 28. Oktober im Rathaus Schöneberg
machte deutlich, dass allein während der
Diskussion über mögliche Ziele und Maßnahmen schon viel Bewegung entsteht. Denn
eines ist klar: Gesundheitsziele können nur
eine Wirkung entfalten, wenn sich Viele in
ihrem Handeln an den gemeinsamen Zielen
orientieren und diese mittragen. In ihrem
Eröffnungsbeitrag machte Senatorin Lompscher daher auch deutlich, dass die 7. Lan-
desgesundheitskonferenz Teil eines Prozesses
ist und die an diesem Tag erarbeiteten Ergebnisse in die Arbeit der LGK einfließen. Die
Fachstelle für Prävention und Gesundheitsförderung, die als Geschäftsstelle fungiert und
die LGK Berlin fachlich begleitet, unterstützt
dieses Anliegen. Sie träge Sorge, dass die
Arbeit in der Öffentlichkeit bekannt ist und sich
Interessierte mit ihren Vorstellungen und
Erfahrungen einbringen können.
Die Fachforen in diesem Jahr griffen wieder
Aspekte aus dem Gesundheitszielprozess
„Selbständigkeit und Lebensqualität im Alter“
auf. Zum wichtigen Handlungsfeld der psychischen Gesundheit beleuchtete ein Fachforum,
Bewegung in Berlin-Brandenburg
welche Unterstützung ältere Menschen in
Lebenskrisen benötigen.
Stand im letzen Jahr das „demenzfreundliche
Krankenhaus“ im Mittelpunkt, wurde in diesem
Jahr das Konzept der „demenzfreundlichen
Kommune“ anhand von Beispielen aus den
Bezirken Lichtenberg und CharlottenburgWilmersdorf in einem Fachforum vorgestellt.
Weiterführend soll beraten werden, wie solche
Modelle, die auf die Integration von dementen
Menschen in das tägliche Leben im Kiez abzielen, übertragen werden können.
Zur Weiterentwicklung der geriatrischen Versorgung in der Stadt griff das Fachforum III die
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Forderungen von der 6. Landesgesundheitskonferenz 2009, die Schnittstellen zwischen
den einzelnen Versorgungsbereichen für ältere
Menschen zu verbessern, auf. Ausgehend vom
Geriatriekonzept 2010 der Ärztekammer Berlin
wurde über Maßnahmen diskutiert, die dienlich sind, Lücken in der geriatrischen Versorgungskette zu schließen.
Dass Männer und Frauen anders altern,
zeichnet sich nicht nur in den statistischen
Zahlen der Gesundheitsberichterstattung ab,
sondern auch in einem unterschiedlichen Gesundheitsverhalten. Im Fachforum IV ging es
daher besonders um die Konsequenzen für die
so stellte auch Daniel Rühmkorf abschließend
fest.
„Lachen ist gesund“
Jubiläumsveranstaltung zum 20. Tag der Zahngesundheit 2010
Rühmkorf und Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann prämiert. Die originellsten und
kreativsten Entwürfe waren in einer Ausstellung im Foyer des Theaters zu sehen. Nach
der Preisverleihung erlebten über 400 Schülerinnen und Schüler aus 12 Schulen eine
mitreißende interaktive Bühnenshow zur
Kariesprophylaxe des Künstlers „Mausini“.
12
Seit 1991 rückt der „Tag der Zahngesundheit“
im September bundesweit die Mundgesundheit ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der
traditionelle Slogan „Gesund beginnt im
Mund“ wird alljährlich durch ein aktuelles
Motto ergänzt. „Lachen ist gesund“ lautete das
Motto im Jubiläumsjahr 2010 und macht die
Freude über die Erfolge der Prävention
deutlich.
Die Stadt Brandenburg an der Havel war am 9.
September Gastgeber der Jubiläumsveranstaltung des Landes Brandenburg zum 20. Tag
der Zahngesundheit. Den Auftakt bildete die
Preisverleihung zum Schülerwettbewerb „Tolle
Zähne – na logo!“. Um der Brandenburger
Gruppenprophylaxe ein Erkennungszeichen zu
geben, hatte die Gesundheitsministerin im
März alle Fünftklässler des Landes aufgerufen,
ein Logo zu entwerfen. Der Schülerwettbewerb
wurde ein voller Erfolg. 1.091 Einsendungen
aus 17 Landkreisen und kreisfreien Städten
bewertete eine 7-köpfige Jury. 4 Preisträger
wurden ausgewählt. Diese wurden im Brandenburger Theater von Staatssekretär Dr. Daniel
Ausgestaltung präventiver und medizinischer
Angebote. Deutlich wurde aber auch, dass
anders altern auch heißen kann, dass homosexuelle Menschen in die Jahre kommen und
vorurteilsfreie und akzeptierende Unterstützungsangebote brauchen.
Abschließend betonte Gesundheitsstaatssekretär Prof. Hoff den Wunsch, dass sich
weiterhin so viele Akteure an den regen
Diskussionen der LGK Berlin beteiligen.
Von der Veranstaltung wird es eine schriftliche
Dokumentation geben, die über die Fachstelle
bezogen werden kann.
Stefan Pospiech
„Kinderzähne heute viel gesünder“
Parallel dazu fand für die Gäste aus den
Bereichen Gesundheit, Bildung, Politik und
Verwaltung eine Fachtagung statt. Dr. Daniel
Rühmkorf erläuterte Strukturen und Inhalte
des Bündnisses Gesund Aufwachsen in Brandenburg und dem Gesundheitszieleprozess zur
Kindergesundheit. Dr. Elke Friese, Referatsleiterin im Gesundheitsministerium, stellte das
Handlungsfeld Mundgesundheit und die Ergebnisse der für 2010 vereinbarten Mundgesundheitsziele vor. So haben 63 Prozent der 5
Jahre alten Kita-Kinder kariesfreie Gebisse und
12 Jahre alte Schüler/innen haben inzwischen
weniger als einen bleibenden Zahn mit Karieserfahrung (DMF-T 0,8). Bei den 15-jährigen
Jugendlichen liegt dieser Wert bei 1,9. Die
Zielstellungen zur Mundgesundheit wurden
landesweit erreicht. Ein deutlicher Kariesrückgang und messbarer Gesundheitsgewinn
ist in allen Altersgruppen zu verzeichnen, so
Elke Friese. „Kinderzähne sind heute viel gesünder als vor 20 Jahren. Dazu hat vor allem
das Engagement der Zahnärzt/innen, Eltern,
Lehrer/innen, Krankenkassen und Teams der
Zahnärztlichen Dienste beigetragen, das weit
über den Tag der Zahngesundheit ausstrahlt“,
Den wissenschaftlichen Schwerpunkt der Fachtagung bildete der Vortrag von Prof. Roswitha
Heinrich-Weltzien, Universität Jena. Sie referierte über die Besonderheiten der Mundgesundheit im Kleinkindalter. Die Darstellungen
der frühkindlichen Karies mit ihren multikausalen Ursachen und Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder waren für die Zuhörer/innen besonders beeindruckend.
Ingo Ziswiler, Schulzahnklinik Basel, erläuterte
aus Schweizer Sicht die Veränderungen im
Prophylaxebereich und stellte seine Erfahrungen mit der interdisziplinäre Zusammenarbeit
vor. Als gelungenes und erfolgreiches Praxisbeispiel informierte Dr. Petra Haak aus Frankfurt (Oder) über das Präventionsprojekt „Kita
mit Biss“.
Erfolge von Prävention fortsetzen
Die Veranstaltung verdeutlichte, dass Mundgesundheit ein integraler Bestandteil der Kindergesundheit ist. Die Arbeit in Netzwerken
weiter zu entwickeln ist von großer Bedeutung,
um den Gesundheitsgewinn für die Kinder und
Jugendlichen nachhaltig zu sichern und weiter
auszubauen. Um die Mundgesundheit der
Brandenburger Kinder und Jugendlichen weiter
zu verbessern, soll auch die Erfolgsgeschichte
der Prävention fortgesetzt werden. Neue
Zielstellungen bis zum Jahr 2020 zeigen, in
welche Richtung alle Beteiligten gehen werden.
Nachzulesen sind sie unter:
www.buendnis-gesund-aufwachsen.de.
Bettina Bels
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Bewegung in Berlin-Brandenburg
Gesundheits- und Bewegungsförderung bei
älteren Menschen
Chancen für alternde Kommunen in Brandenburg
Stimmen zum Kongress
Staatssekretär
Dr. Daniel Rühmkorf,
Ministerium für Umwelt,
Gesundheit und
Verbraucherschutz des
Landes Brandenburg
Wie schätzen Sie die
Bedeutung des
Kongresses „Armut und Gesundheit“ ein?
In Zusammenarbeit mit der Stadt Eberswalde
fand am 16. September 2010 die Fachtagung
„Alternde Kommunen als Chance!? Ressourcen
einer sozialraumbezogenen Gesundheits- und
Bewegungsförderung bei älteren Menschen“
statt. 160 Teilnehmer/innen unter anderen aus
Brandenburger Städten und Kommunen, Seniorenvertretungen, Wohlfahrt, Wohnungsunternehmen und Soziale-Stadt Quartieren waren
der Einladung des Zentrums für Bewegungsförderung Brandenburg gefolgt. Dabei standen
die Themen Barrierefreiheit, ansässige Wohnungsunternehmen als Kooperationspartner
und generationenverbindende Maßnahmen im
Mittelpunkt der Diskussionen in den Fachbeiträgen und Workshops.
Alternde Kommune als Chance!
In seinem bewegenden Grußwort machte der
Bürgermeister der Stadt Eberswalde Friedhelm
Boginski deutlich, dass auch seine Stadt altert
und er dennoch große Potenziale sieht. „Die
über 65-Jährigen hatten 1990 einen Anteil von
5.500 Menschen in unserer Stadt. Mittlerweile
sind wir bei 11.000 und ich darf ganz klar sagen,
die Tendenz ist steigend. Und das deutet auch
an, wo wir Probleme haben. Trotzdem setze ich
hinter die Frage „Alternde Kommune als
Chance?“ nicht ein Fragezeichen, sondern ganz
klar ein Ausrufezeichen. Ich sehe da wohl eine
Chance und finde den Slogan Alter hat Zukunft
sehr passend. Nicht nur, weil ich selbst in eine
Phase des persönlichen Alterns komme. Ich
glaube wirklich, dass man sich dieser Entwicklung als Stadt stellen und versuchen sollte,
positive Ansätze zu finden. (…) Politik, Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger sind gefordert, gemeinsam Konzepte für eine alternde
Kommune zu entwickeln, sodass wir hinter
diese Chance auch wirklich ein Ausrufezeichen
setzen können. Ich persönlich sehe sehr optimistisch in die Zukunft“, so Boginski.
Partner und Netzwerke für
verbesserte Lebensqualität
In ländlichen Gemeinden braucht es Partner
und Netzwerke, die sich gemeinsam dem Thema gesund Altern widmen. Die häufig von
Rückbau und Abwanderung betroffenen Kommunen können entstehende Freiflächen zum
Beispiel für Generationenparks sinnvoll nutzen.
In Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden,
Sportvereinen und ortsansässigen Wohnungsunternehmen entstehen dann aktive Begegnungsstätten für Jung und Alt im Stadtteil. So
kann die Lebens- und Wohnqualität von älteren
Menschen verbessert werden und die Attraktivität des Viertels steigt. Wie solch gute Praxis
gelingen kann, zeigte Jan Toron vom SV Medizin
Eberswalde e.V. im Rahmen eines Workshops.
In der Abschlussdiskussion machten Vertreter/innen der Interessenverbände von Senior/innen darauf aufmerksam, die Zielgruppe
in die Entwicklung von Maßnahmen mit einzubeziehen. So könnte konkret nach den Bedürfnissen älterer Menschen gehandelt werden. In der Folge wären auch Akzeptanz und
Inanspruchnahme höher.
Gesundheit Berlin-Brandenburg wird den
Prozess der Bewegungs- und Gesundheitsförderung bei älteren Menschen weiter begleiten. Ein Beitrag hierzu ist das Expertenforum im Dezember zum Thema ältere Männer
im Sport.
Marisa Elle
Seit Jahren besuche und begleite ich den
Kongress „Armut und Gesundheit“. Nicht
etwa, weil es Anfang Dezember so üblich
ist, sondern weil ich mich mit meiner
Teilnahme klar an der Seite der Schwachen in unserer Gesellschaft aufstelle und
gleichzeitig meine Bereitschaft zur Veränderung zum Ausdruck bringen möchte.
Dieser Kongress hat es geschafft, die
schambesetzte Situation vieler armer
Menschen und ihre gesundheitliche
(Unter-) Versorgung in den Mittelpunkt zu
stellen. In einem der reichsten Länder der
Welt wird Armut gerne ausgeblendet. Der
jährliche Kongress ist deshalb ein steter
Dorn im Fleische einer oftmals selbstzufriedenen Gesellschaft.
Der jährliche Austausch von Akteuren, die
der Gesundheit auch der Armen verpflichtet sind; die Benennung von Gesundheitszielen, aber auch die Vorstellung von
Projekten: Ohne diesen Kongress würden
einem besonderen Bereich der Gesundheitsversorgung wichtige Impulse verloren gehen.
13
Kinder und Jugendliche
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
– erstmal schön krank werden, sonst können
wir Euch nicht helfen!
Kinder und Jugendliche
Kinder sind nicht nur „Heranwachsende“/
Netzwerke Gesunde Kinder
Kinder sind nicht nur „Heranwachsende“
14
Ressourcen- statt Defizitorientierung für Kindeswohl
Diese Defekt- und Defizit-Orientierung spiegelt
sich in allen fachlichen Blickwinkeln auf Kindheit: Die Pädagogik geht vom unwissenden
Kind aus, die Sozialpädagogik vom hilfebedürftigen; die Psychologie kennt zunächst Bindungsstörungen und Entwicklungsverzögerungen, die Pädiatrie screent den kindlichen
Körper auf Erkrankungen. Dabei wird in der
konkreten Arbeit mit den Kindern in allen
Bereichen deutlich, dass Lernprozesse hin zu
mehr Wohlbefinden – der Wortstamm von
‚Kindeswohl’ – stets über positive Motivation
angestoßen wird. Auch wenn dieser positiven
Ressourcenorientierung durch rechtliche und
medizinische Vorgaben oft Grenzen gesetzt
werden, brechen sie sich doch Bahn in Praxis
und Wissenschaft.
Dabei zeigen sich in den verschiedenen
fachlichen Disziplinen neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede in den Konzepten
sowie der Terminologie. Sprechen wir in den
Gesundheitswissenschaften von Salutogenese, passt das in der Psychologie dominierende
Ressourcenmodell vor allem auf den ResilienzBegriff. In der Elementarpädagogik wird von
„Respekt“ gesprochen und einer professionellen Haltung zum „Kind im Blick“, was sich für
die Inklusionspädagogik und die DiversityStudies durchaus übersetzen lässt in Wertschätzung von Vielfalt. Während die Sozialpädagogik das Konzept der Lebensweltorientierung hochhält und sich dabei stark auf den
gemeindepsychologischen Ansatz von Empowerment bezieht, meint die Übersetzung als
Setting-Ansatz in der Primärprävention etwas
durchaus anderes – ganz zu schweigen vom
Begriff des therapeutischen Settings, wie er in
Pädiatrie und Psychologie verwendet wird.
„Kinderarmut – Lebensrealitäten
und Praxisansätze“
Die wachsende Zahl von Kindern und Familien
in Armut zeigt deutlich, dass soziale Benachteiligung und Chancenungleichheit nicht nur
Randthemen der Gesellschaft sind, sondern
Zukunftsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt
existenziell bedrohen. Doch unser Versorgungssystem springt weiterhin immer dann an,
wenn Defizite festzustellen sind, das Kind
sprichwörtlich bereits in den Brunnen gefallen
ist.
Förderungen und Unterstützung im Sozial- und
Gesundheitswesen erfolgen immer erst dann,
wenn Diagnosen Erkrankungen feststellen:
Schreibabys, jugendliche Essstörungen oder
Baby-Blues müssen sich erst zu körperlichen
Symptomatiken oder manifesten Depressionen
ausweiten, bevor sie „behandelt“ werden.
Unterhalb der Schwelle akuter Behinderung
oder Behinderungsbedrohung besteht kein
Rechtsanspruch auf Jugend- und Familienhilfe
Statt sich aber in dieser babylonischen Sprachverwirrung zu verlaufen, zielt die Satellitenveranstaltung „Kinderarmut – Lebensrealitäten
und Praxisansätze“ zum 16. Kongress Armut
und Gesundheit am Donnerstag, 2.Dezember
im Rathaus Schöneberg darauf ab, den verschiedenen Gedankengängen und fachlichen
Logiken zu folgen, um Gemeinsamkeiten
herauszuarbeiten und eine Sprache zu finden.
Das Ziel: Gesunde Kinder und der Abbau sozialer Ungerechtigkeiten. Hier zeigt sich fächerübergreifend, dass ein früher präventiver lebensweltgestaltender Ansatz notwendig ist,
eine Gesundheits- statt Krankheitsorientierung.
Hier können die Kindheitswissenschaften einen
wichtigen Beitrag leisten, bündeln sie doch
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
multidisziplinär verschiedene Sichtweisen auf
das Kind. Dabei herauszustellen ist die kindheitswissenschaftliche Prämisse der ‚Subjektorientierung’, also die Lebensrealität der
Kinder in den Vordergrund zu rücken. Kinder
sind im Sinne eines emanzipatorischen Verständnisses nicht nur Zukünftige/ Werdende/
„Becomings“, sondern vor allem leben sie im
hier und jetzt als „Beings“ (Seiende). Als Kinder
haben sie ihre eigenen Interessen – die nicht
nur über ihre Zukunft als Erwachsene bestimmt
sind! Und diese sind völlig unterschiedlich:
Jedes Kind hat andere Interessen, verschiedene
Kinder und Jugendliche
Fähigkeiten und Ausdrucksformen. Auch wenn
wir sie zum Beispiel gesellschaftskritisch als
Produkte ihrer (benachteiligten) Lebensverhältnisse sehen, so empfinden sie auch diese
deprivierte Lebenssituation als ihre eigene.
Besonders deutlich zeigt sich dies in den
jüngsten Ergebnissen aus der Kinderarmutsforschung: Die Kinder selber wehren die
Zuschreibung als arm oder benachteiligt strikt
ab. Schon die Diskussion darüber empfinden
sie als Angriff auf ihre Familien und verwehren
sich strikt gegen solcherart Loyalitätskonflikte,
die ihnen mit dieser Außen-Zuschreibung
Interview mit Colin MacDougall
Assoziierter Professor für Public Health an der
Flinders Universität, Adelaide, South Australia
Info_Dienst: Professor MacDougall, einer ihrer
Forschungsbereiche ist der Aushandlungsprozess zwischen Eltern und Kindern über selbständige Mobilität. Warum halten sie Mobilität
für ein wichtiges Thema?
MacDougall: Selbständige Mobilität hat einen
hohen Stellenwert nicht nur für körperliche
Bewegung sondern auch für Bildung und die
kindliche Entwicklung hin zu selbständigen
Erwachsenen. Außerdem ist selbständige Mobilität ein Indikator dafür wie unsere Gesellschaft Sicherheit und die Entwicklung von
Kindern bewertet.
Info_Dienst: Welches sind die aktuellen
Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen
Der 16. Kongress „Armut und Gesundheit“
bietet auch in diesem Jahr zahlreiche
Möglichkeiten, die gesundheitliche Lage
von Kindern und Jugendlichen zu diskutieren. Die Workshops zu den Themen
„Kinder und Jugendliche“ und „Frühe Hilfen“ bilden hierbei den Schwerpunkt. Das
Themenspektrum ist breit: So stehen Themen wie Gesundheitsförderung bei sozial
benachteiligten Kindern und Jugendlichen,
Zugänge zu Kindern und Jugendlichen,
Prävention von Kinderunfällen sowie Sexualaufklärung und Familienplanung auf der
Tagesordnung. Zudem verdeutlichen zahlreiche Projekte, wie die Gesundheit von
Kindern in den Settings „Kita“ und „Schule“
nachhaltig gestärkt werden kann. In diesem
Zusammenhang werden auch Ansätze der
schulischen Mobbing-Prävention und zur
Stärkung der psychischen Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen thematisiert.
verpasst wird. Sobald wir uns in die innere
Logik armutsbetroffener Kinder hineindenken,
sehen wir deutlich ihre berechtigte, rationale
Abwehr gegen unseren Armutsbegriff, der sie
eben auch schnell zu Objekten macht und
ihnen den Subjekt- und Autonomiestatus
streitig macht. Aber gerade darin liegt ihr hohes
Selbstwirksamkeits- und folgend Gesundheitspotenzial, das beim Satelliten kindheitswissenschaftlich-multidisziplinär herausgearbeitet werden wird.
Raimund Geene, Claudia Höppner
Herausforderungen in der kindzentrierten Forschung?
MacDougall: Es gibt viele Herausforderungen.
An dieser Stelle möchte ich zwei von ihnen
benennen: Wir müssen einer einseitigen, erwachsenenzentrierten Sicht auf Kinder entgegentreten. Und wir müssen „gender“ als ein
machtvolles gesellschaftliches Konstrukt vermehrt in den Blick nehmen. Mehr darüber
können sie bei meinem Vortrag auf dem
Satellitenkongress am 2. Dezember. erfahren.
Ich freue mich auf eine spannende Diskussion.
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Kinder und Jugendliche
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Frühe Hilfen für Eltern und Kinder
Ergebnisse zur Evaluation der Netzwerke Gesunde Kinder im
Land Brandenburg
Im Gefolge einer in den letzten Jahren zunehmenden Berichterstattung über Kindeswohlgefährdung haben viele Kommunen eine Neustrukturierung der Jugendhilfe vorgenommen.
Auch Bundes- und Landesministerien haben
mit Aktivitäten auf das Problem reagiert. So hat
das Bundesfamilienministerium im Jahr 2006
das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) ins
Leben gerufen. Die Landesregierung in Brandenburg hat in einem Maßnahmenpaket für
Familien- und Kinderfreundlichkeit im Dezember 2005 unter anderem folgende Vorhaben
vorgestellt:
■ Eltern-Kind Zentren
■ Netzwerke Gesunde Kinder (NGK)
■ Lokale Bündnisse für Familien
16
Eine vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) im Jahr
2006 durchgeführte Evaluation1 zeigte, dass
die Projekte zur Familienhilfe mehrheitlich
einen risikogruppenspezifischen Ansatz wählen. Die grundsätzlichen Charakteristiken der
Brandenburger Netzwerke sind dagegen:
1. Vernetzung aller Akteure und Leistungen von
Gesundheit (SGB V) und Jugendhilfe (SGB
VIII)
2. Anbindung der Netzwerkorganisation an
Institutionen auch jenseits der Gesundheitsoder Jugendämter
3. Familienbesuche durch ehrenamtliche Patinnen zu mindestens 10 Terminen
4. Bevölkerungsweiter, nicht risikogruppenspezifischer Ansatz
Evaluation der „Netzwerke Gesunde Kinder“
Die NGK werden seit 2007 intern und extern
vom Berliner Institut FB+E evaluiert. Zentrale
Evaluationskriterien sind:
■ Netzwerkaufbau und –transfer (darunter der
Aufbau der Netzwerke an den einzelnen
Standorten und auch die Gewinnung von
ehrenamtlichen Paten)
■ Gewinnung von Familien
■ Förderung der gesundheitlichen und sozialen Entwicklung der Kinder bis zum Alter
von 3 Jahren
Bisherige Ergebnisse
Netzwerkaufbau
Das erste Netzwerk wurde im Juni 2006 in
Senftenberg und Lauchhammer gestartet.
Noch im gleichen Jahr kamen die Stadt Ebers-
walde und der gesamte Kreis Havelland dazu.
Im Jahr 2007/2008 wurden 9 weitere Standorte
etabliert, im Jahr 2009/2010 weitere 6, so dass
derzeit 18 Standorte bestehen. Lediglich im
Landkreis Prignitz und in Potsdam sowie
Frankfurt/Oder gibt es bislang noch keine
Netzwerke.
Netzwerkstandorte
Die Trägerstruktur ist heterogen und reicht von
Kliniken über Gesundheits- und Jugendämter
bis zu Vereinen und Trägern der freien Wohlfahrtshilfe. Alle Netzwerke verfügen über eine
Netzwerkorganisation, in der neben der Pro-
Senftenberg und Lauchhammer sowie im
Havelland mit 50% bzw. 40% sehr hohe
Reichweiten realisiert werden. Insgesamt
können Orientierungsgrößen in Abhängigkeit
von der Laufzeit genannt werden. Im ersten
Jahr sollten ca. 10%, im zweiten Jahr ca. 20%,
im dritten Jahr bis zu 35% und im vierten Jahr
schließlich mindestens 50% der neugeborenen
Kinder erreicht werden.
Soziale Struktur der Familien
Auch wenn es sich um einen bevölkerungsweiten Interventionsansatz handelt, zeigt die
Analyse der Struktur der teilnehmenden Familien, dass alle sozialen Schichten erreicht
werden, aber deutlich überproportional auch
Familien mit niedrigem Sozialstatus.
Gesundheitliche Situation der Kinder
Auch wenn die Prüfung der gesundheitlichen
Effekte erst durch eine vergleichende Analyse
Gesundheitszustand der Kinder nach dem Schulabschluss der Mutter
jektleitung und -koordination die Lenkungsgruppe die zentrale Vernetzungsinstitution
darstellt, da sie sich in der Regel aus allen
relevanten Akteuren der Region zusammensetzt. Im Rahmen einer Kofinanzierung durch
das Landesfamilienministerium verpflichten
sich die Netzwerke, die genannten Ziele und
Methoden zu verfolgen und sich an der
Evaluation zu beteiligen. Mit einer Ausnahme
im Havelland, das im ersten Lebensjahr der
Kinder mit Hebammen aufsuchende Arbeit
leistet, arbeiten alle Netzwerke mit Ehrenamtlichen, so dass die Zahl und Qualifikation
der Paten zu einer Grundbedingung einer
erfolgreichen Netzwerkarbeit gehört. Die
Eignung der Paten ist durch intensive Bewerbergespräche und ihre Qualifikation durch
umfangreiche, standardisierte Schulungen gesichert.
Zahl der Paten und Familien
Insgesamt werden in den NGK derzeit ca. 3000
Familien von insgesamt etwa 1000 Paten betreut. Allerdings sind die Zahlen an den
einzelnen Standorten sehr unterschiedlich und
von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig.
Die Qualität der Netzwerkarbeit kann allerdings
nicht mit absoluten Zahlen bewertet werden,
vielmehr müssen diese Zahlen auf die Geburtenzahlen im jeweiligen Standort bezogen
werden und um die Laufzeit standardisiert
werden. Zusammenfassend kann zu dieser Programmreichweite gesagt werden, dass in
zwischen Netzwerkkindern und Nichtnetzwerkkindern auf der Grundlage der KITA-Untersuchungen vorgenommen werden kann, zeigt
eine erste Analyse des Gesundheitszustandes
der Kinder, dass die üblichen sozialepidemiologischen Befunde hierzu nicht bestätigt
werden können.
Der Gesundheitszustand der Netzwerkkinder
unterscheidet sich nicht nach der sozialen Lage
der Familie. Bei aller Vorsicht hinsichtlich der
noch relativ geringen Fallzahlen halten wir
diesen noch summativen Befund für einen
ersten positiven Ergebnisindikator der Netzwerkarbeit.
Zusammenfassend kann den Netzwerken
insgesamt eine bisher sehr gute Arbeit
attestiert werden, die allerdings auch in der
weiteren Gewinnung von Paten und Familien
verstetigt und auch noch optimiert werden
muss.
Hendrik Karpinski, Simone Weber (Klinikum
Niederlausitz) und Wolf Kirschner (Forschung
Beratung + Evaluation, Berlin)
1 DJI: „Kurzevaluation von Programmen zu frühen
Hilfen für Eltern und Kinder und sozialen Frühwarnsystemen in den Bundesländern“, Abschlußbericht, 2006
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Altern und Gesundheit
Altern und Gesundheit
Gesund und aktiv älter werden / „Gesund Altern“ auf
dem 16. Kongress
Gesund und aktiv älter werden
Satellitenveranstaltung am Donnerstag, 2. Dezember 2010
zum 16. Kongress „Armut und Gesundheit“
Im Jahr 2050 wird jeder Dritte 60 Jahre oder
älter sein, wie aus Berechnungen des statistischen Bundesamtes hervorgeht. Und auch
die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Diese Entwicklungen zeigen wie wichtig es ist, das Leben
auch im Alter selbstbestimmt, aktiv und gesund zu gestalten. Obwohl die Menschen
immer länger leben, haben viele Ältere ihren
Alltag mit chronischen Erkrankungen und
körperlichen Einbußen zu gestalten. Prävention und Gesundheitsförderung für ältere
Menschen bergen deshalb in unserer älter werdenden Gesellschaft ein hohes Potenzial.
Obwohl schon zahlreiche Projekte das Ziel
verfolgen, die Gesundheit älterer Menschen
nachhaltig zu stärken, gibt es noch eine Menge
zu tun. Die Veranstaltung „Gesund und aktiv
älter werden“ will dazu einen Beitrag leisten
und thematisiert Herausforderungen unserer
älter werdenden Gesellschaft. Ziel ist es auch,
die Verbreitung erfolgreicher gesundheitsfördernder Konzepte zu unterstützen.
In themenbezogenen Workshops sind Teilnehmende aus Wissenschaft, Politik, Verbänden und Praxis eingeladen, sich aktiv in die
Diskussion um ein gesundes Älter werden
einzubringen. Die Veranstaltung geht dabei im
Besonderen auf die Belange sozial benachteiligter und schwer erreichbarer Bevölke-
So wird beispielsweise thematisiert, wie die
Selbstständigkeit älterer Menschen erhalten
werden kann. Gezielte Bewegungsförderung
spielt in diesem Zusammenhang eine große
Rolle und stellt Inhalt eines Workshops dar. Ein
weiterer Themenblock behandelt, wie sozial
Benachteiligte an der Entwicklung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung beteiligt
werden. Beispielhaft werden erfolgreiche
partizipative Ansätze der Gesundheitsförderung bei älteren Menschen vorgestellt und
diskutiert. Der dritte inhaltliche Schwerpunkt
erörtert Ansätze, die gesundheitliche Versorgung und Beratung auch im Alter sicherstellen.
Hier steht im Mittelpunkt, wie sozial benachteiligte Migrat/innen durch Beratungsangebote erreicht werden können. Auch das Thema
Demenz und dessen Bedeutung für die
medizinische Versorgung und Beratung von
älteren Menschen werden behandelt.
Anmeldungen für die Veranstaltung, die Gesundheit Berlin-Brandenburg in Kooperation
mit der Landesvereinigung für Gesundheit und
Akademie für Sozialmedizin und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
durchführt, sind ab sofort unter www.satellit.
gesundheitberlin.de möglich. Das vollständige
Programm steht Ihnen unter www.armut-undgesundheit.de zur Verfügung.
Vorbildliche Praxis 2010: „Gesund im Alter:
Selbstbestimmt wohnen und aktiv bleiben“
Eine älter werdende Gesellschaft wirft im
Besonderen die Frage auf, wie ein gesundes
und aktives Alter in den eigenen vier Wänden
sichergestellt werden kann. Innovative und
zukunftstaugliche Wohn- und Lebensformen
sind hier gefragt. Denn schließlich ermöglicht
ein seniorengerechtes Wohnumfeld, Menschen
auch im Alter so selbstbestimmt und aktiv wie
möglich das eigene Leben zu gestalten.
rungsgruppen wie zum Beispiel allein stehende, körperlich oder gesundheitlich eingeschränkte Personen und Migrant/innen ein.
Gerade sozial Benachteiligte haben im Alter ein
höheres Risiko körperliche Einschränkungen
und Pflegebedürftigkeit zu erfahren.
Der Preis „Gesund im Alter: Selbstbestimmt
wohnen und aktiv bleiben“ thematisiert Herausforderungen an ein aktives und selbstbestimmtes Wohnen im Alter. Bis zum 1. November 2010 konnten sich Ansätze und Projekte aus dem gesamten Bundesgebiet bewerben. Drei Gewinner werden auf der
Veranstaltung „Gesund und aktiv älter werden“
am 2. Dezember 2010 prämiert. Der Preis
möchte erfolgreiche Ansätze bekannter machen und zur Nachahmung anregen. Die drei
Preisträger erhalten jeweils ein Preisgeld in
Höhe von 1.000 Euro. Als Grundlage für die
Auswahl der Preisträger dienten die GoodPractice Kriterien des Kooperationsverbundes
„Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“.
17
Altern und Gesundheit / Soziale, gesunde Stadt
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Stimmen zum Kongress
Ulrika Zabel,
KompetenzZentrum
Interkulturelle Öffnung
der Altenhilfe in Berlin
(AWO+Caritas)
Welche Bedeutung hat
der Kongress „Armut
und Gesundheit“ für
Sie?
Der bundesweite Kongress „Armut und
Gesundheit“ jährt sich zum 16. Mal. Der
Kongress hat sich zu einer nicht mehr
wegzudenkenden Institution etabliert, ein
verlässlicher Partner in Bezug auf das
Anmahnen von Chancengerechtigkeit im
Bereich Gesundheit. Die „Fachmesse“ ist
ein unverzichtbarer jährlicher Treffpunkt
für ressortübergreifenden Austausch mit
vielen Akteuren zu den unterschiedlichen
Themenbereichen im Gesundheitsbereich. Hier bekommen Teilnehmer/innen,
praktisch Tätige und Betroffene gleichermaßen, die Gelegenheit, mit den politisch
Verantwortlichen und Vertreter/innen der
Krankenkassen, der Wissenschaft und der
Ärzteschaft ins Gespräch zu kommen.
18
Der Kongress ist eine Schnittstelle, der
vorhandene formelle sowie informelle
Initiativen befördert und bündelt. Besonders vor dem Hintergrund einer Zuwanderungsgesellschaft bietet die Organisation Rahmenbedingungen für praxisnahe Best-Practice-Modellen zum Abbau
von Ungleichheit in Bezug der Inanspruchnahme von Angeboten zur gesundheitlichen Förderung. In Folge dessen
wäre dann noch ein barrierefreier Zugang
zum Kongress für Interessierte und Betroffene, die über weniger materielle Ressourcen verfügen wünschenswert.
„Gesundheit im Alter“ auf dem
Kongress „Armut und Gesundheit“
Auch in diesem Jahr beleuchtet der Kongress zahlreiche Aspekte rund um das Thema „Gesundheit im Alter“. Im Mittelpunkt
steht hierbei die Frage, wie ein gesundes
und selbst bestimmtes Älterwerden gewährleistet werden kann. Dabei werden beispielsweise auch Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung im Quartier sowie Folgen und politische Antworten auf Altersarmut diskutiert. Weitere Themen sind:
„Pflegerische Versorgung – Gleiche Qualitätschancen für Alle?“, „Umwelt, Gesundheit und Alter(n)“ und „Verwirklichungschancen am Lebensende?“. Bitte beachten
Sie auch die Satellitenveranstaltung „Gesund und aktiv älter werden“ am Donnerstag, 2. Dezember 2010 (mehr dazu in dem
Beitrag auf Seite 17).
Soziale, gesunde Stadt
Soziale Stadt-Programm / Psychotherapeutische
Versorgung von Migrant/innen
Zukunfts- und Gesundheitschancen
sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher
verbessern!
Soziale Stadt-Programm fördert gesundes Aufwachsen
in Berlin Marzahn-Hellersdorf
Kinder und Jugendliche brauchen ein anregendes und verlässliches Umfeld, um sich
erfolgreich entwickeln zu können. Jungen und
Mädchen, deren Familien besonderen sozialen
Belastungen ausgesetzt sind, müssen zusätzliche Hürden überwinden, um ihre Entwicklungsaufgaben zu meistern. Sie sind in besonderem Maß auf Förderung der individuellen
Potentiale angewiesen. Beginnend in der
Schwangerschaft der Mutter, später in jeder
Lebensphase, brauchen sie ein anregendes
und beteiligendes Umfeld.
Stärkung von Ressourcen
in allen Lebensphasen
Gesundheit Berlin-Brandenburg hat im Rahmen des Berliner Soziale Stadt-Programms
Aktionsraum plus dazu ein Modellvorhaben
entwickelt. Unter dem Motto „Zukunfts- und
Gleichheitschancen sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher verbessern!“ geht es nicht
vorrangig um die Gestaltung neuer Angebote.
Vielmehr sollen bei Akteur/innen gesundheitsförderliche Kompetenz auf- und ausgebaut
sowie die Qualität von Angeboten und Maßnahmen weiterentwickelt werden. Ziel ist es,
die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen
in jeder Lebensphase so zu gestalten, dass
Prävention und Stärkung gesundheitsrelevanter Ressourcen Teil des Alltags werden.
Besonders zu beachten sind dabei Phasen des
Übergangs wie der Beginn der Elternschaft, der
Eintritt in die Kita, der Übergang in die Grundschule und das Jugendalter mit Orientierung im
Bezug auf die Berufs- und Lebensperspektive.
Hier liegen Chancen und Risiken eng beieinander. Chancen, dass ein Übergang erfolgreich
gelingt und sich gute Perspektiven für den
nächsten Entwicklungsschritt eröffnen. Risiken, dass diese Phase zu Überforderung und
Belastung führt, denen die Familien nicht gewachsen sind.
Das Vorhaben „Zukunfts- und Gleichheitschancen sozial benachteiligter Kinder und
Jugendlicher verbessern!“ unterstützt die Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (mehr dazu
lesen Sie in einem Interview in diesem
Info_Dienst) sowie die Gesundheits-, Jugend-,
Bildungs-, Sozial- und Stadtentwicklungsressorts des Bezirks. Gemeinsames Ziel ist es,
gerade die Kinder, Jugendlichen und Familien
zu stärken, die auf Grund ihrer sozialen Lage
einen besonderen Unterstützungsbedarf haben. So werden die Bedarfe armer Familien,
insbesondere Alleinerziehender und junger
Eltern, besondere Berücksichtigung finden.
Das Projekt wurde im Mitte September 2010
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
gestartet und hat eine Laufzeit von drei Jahren.
Im Rahmen der Förderung sollen erfolgreiche
Ansätze, wie zum Beispiel der Familienbildungsgutschein des Bezirks, verbreitet und
jeweils orientiert am Bedarf der Zielgruppen
weiterentwickelt werden. Dass alle relevanten
Ressorts bereits ihre Unterstützung signalisiert
und erfolgreich in die Konzeptentwicklung des
Modellprojekts eingebunden wurden, hat
einen guten Start ermöglicht.
Soziale, gesunde Stadt
An der Förderung beteiligen sich, neben der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und
der Bezirk, auch die Senatsgesundheitsverwaltung und die gesetzlichen Krankenkassen.
Sie haben einvernehmlich die Mittel für den
Regionalen Knoten um jährlich 42.000 Euro
erhöht. Damit wird auch sichergestellt, dass
die Kompetenz, die im Rahmen des Kooperationsverbunds Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten in Sachen Qualitäts-
Gesundes Aufwachsen von der Schwangerschaft bis zum Schulabschluss begleiten
Interview mit Dagmar Pohle, Bezirksbürgermeisterin MarzahnHellersdorf, über das Projekt „Aktionsraum plus“
Info_Dienst: Was sind aus Ihrer Sicht die
Chancen des Projektes für den Bezirk?
Pohle: In Marzahn-Hellersdorf haben wir insbesondere in den Stadtteilen, in denen Gebiete
der „Sozialen Stadt“ sind, gut funktionierende
Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen sowie Erfahrungen mit (Modell)Projekten. Mit
dem Modellvorhaben bietet sich die Möglichkeit, den für den Aktionsraum plus formulierten Handlungsansatz im Bereich Bildung
mit Fokus auf die gesundheitliche Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen zu verknüpfen.
Info_Dienst: Was sind die besonderen Herausforderungen in Marzahn-Hellersdorf?
Pohle: Als Herausforderung sehe ich die
Verknüpfung der Ressourcen vor Ort mit dem
Modellvorhaben zur Weiterentwicklung von
Strukturen. Zielstellung ist die nachhaltige
Verankerung entsprechender Angebote. Das
heißt, insbesondere mit den Akteuren und
Gut versorgt, gut verstanden oder doch allein
gelassen?
Salongespräch im Familienplanungszentrum Balance am 15.
September
Berlin verfügt bundesweit über die höchste
Dichte an psychologischen Psychotherapeut/innen, doch haben diese kaum Fremdsprachenkenntnisse. Zwischen 2002 und 2006
erhielten in Berlin 375 Therapeut/innen eine
Approbation. Darunter waren nur acht mit
Migrationshintergrund. Das stellt die von
zahlreichen Vereinen und Einrichtungen formulierte „Berliner Erklärung“ zur Verbesserung
der psychologischen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund fest und
fordert daher eine interkulturelle Öffnung des
Gesundheitssystems.
Über das Thema der psychologischen Versorgung von Migrant/innen debattierten unter
dem Motto „Gut versorgt, gut verstanden oder
doch allein gelassen?“ am 15. September 2010
rund 50 Teilnehmende in einem Salongespräch
im Familienplanungszentrum Balance in Lich-
tenberg. Die Veranstaltung war eine Kooperation von Balance und dem Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin (bzfo).
Wie steht es um psychotherapeutische
Versorgung von Einwander/innen?
Dr. Meryam Schouler-Ocak, leitende Oberärztin
an der Psychiatrischen Uniklinik der Charité
und Leiterin des Berliner Bündnisses gegen
Depression, plädierte in ihrem Vortrag dafür,
die Kultur der Patient/innen, aber auch
des/der Arztes/Ärztin, in der Behandlung zu
berücksichtigen. Das Potenzial sprachlicher
und kultureller Missverständnisse sei groß. „Es
kann sein, dass sie völlig aneinander vorbei
reden“, so Schouler-Ocak. Gründe dafür seien
nicht nur geringe Deutschkenntnisse der
Patient/innen, sondern auch unterschiedliche
Bildungs- und Wissenshintergründe, Erwar-
entwicklung aufgebaut wurde, diesem Vorhaben zugute kommt.
Um die Übertragbarkeit der Ergebnisse des
Modellvorhabens zu erleichtern, wurde parallel
ein kleineres Tandemprojekt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestartet. Hier geht es vor
allem Stärkung der Elternkompetenz. Der
besondere Schwerpunkt liegt hier bei Familien
türkischer und arabischer Herkunft.
Andrea Möllmann
Partnern vor Ort, vorhandene Ansätze bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und zu sichern.
Besonderer Schwerpunkt soll dabei auf Regionen des Aktionsraumes liegen, die bisher
noch nicht im Blick der sozialen Stadtentwicklung lagen.
Info_Dienst: Inwiefern kann das Projekt aus
Ihrer Sicht einen Beitrag zur Verbesserung der
Zukunfts- und Gesundheitschancen sozial benachteiligter Kinder- und Jugendlicher in Ihrem
Bezirk leisten?
Pohle: Mit der im Projekt entwickelten „Präventionskette“ besteht die Chance das gesunde
Aufwachsen der Kinder beginnend mit der
Schwangerschaft bis zum Schulabschluss zu
begleiten. Die Entwicklung gesundheitsförderlicher Lebensstile bei Kindern und Jugendlichen wird durch die partizipative Gestaltung gesunder Lebenswelten gefördert.
tungen und Vorstellungen über Krankheiten
sowie unterschiedliche sprachliche Interpretationen. Schouler-Ocak machte zum Beispiel
für Neukölln – hier leben rund 35.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund –
einen Sonderbedarf von drei Türkisch sprachigen Psychotherapeut/innen aus.
Im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin
(bzfo) werden pro Jahr über 500 Patient/innen
betreut. Derzeit kommen die meisten von ihnen
aus der Türkei, Tschetschenien und dem Iran,
viele leiden unter Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD). Wie Katrin Schock
vom bzfo berichtete, werden für ihre Behandlung muttersprachliche Dolmetscher/innen eingesetzt.
Praktische Einblicke in die Kriterien einer guten
psychologischen Versorgung von Menschen
mit Migrationshintergrund gab die Psychologin
und Psychotherapeutin Anisa Saed-Yonan, die
im Verein SOS-Kinderdorf in Moabit in der
Erziehungs- und Familienberatung tätig ist.
Saed-Yonan berät insbesondere Familien mit
türkischem und arabischem Migrationshintergrund. Sie hat festgestellt, dass die Familien
zu ihr – unabhängig von ihren Deutschkenntnissen – zunächst ein größeres Vertrauen
19
Soziale, gesunde Stadt / Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt
hätten als zu Therapeut/innen deutscher Herkunft. Der Andrang ist groß: Auf ein Erstgespräch warten die Betroffenen bis zu vier
Wochen. Saed-Yonan sagte, dass sich über die
Beratung bei den Eltern „ein neues Bewusstsein“ entwickelt habe. In Moabit habe
sich herumgesprochen, dass der SOS-Kinderdorf e.V. ein multiethnisches Team hat, was
auch Familien mit anderen Migrationshintergründen anspricht. Mittlerweile sei das Vertrauen der Eltern in die Beratung so groß, dass
sie nun auch Beratungsgespräche mit den
deutschen Mitarbeiter/innen in Anspruch
nähmen.
Aufgabe des Familienplanungszentrums Balance ist es, Männer und Frauen aller Nationalitäten zu Themen wie etwa Partnerschaft,
Sexualität, Lebensgestaltung zu beraten und
zu unterstützen. Je nach Bedarf können
Dolmetscher/innen in der jeweiligen Sprache
für die Beratung eingesetzt werden.
Isabel Merchan
Stimmen zum Kongress
20
Prof. Dr. Matthias David,
Charité Berlin – Klinik für
Frauenheilkunde
Wie wichtig ist für Sie
der Kongress „Armut
und Gesundheit“ im
Hinblick auf das Thema
„Migration und
Gesundheit“?
In bewährter Weise findet nun schon zum
fünften Mal das Migrationssymposium
der Charité-Frauenklinik unter dem Dach
des bundesweiten Kongresses „Armut
und Gesundheit“ statt, wiederum in
Kooperation mit der Alice Salomon
Hochschule, in diesem Jahr zum Thema:
„Schwangerschaft, Geburt und frühe
Kindheit – wie beeinflussen Migration und
Akkulturation soziale und medizinische
Parameter?“ Für uns bietet diese interdisziplinär ausgerichtete Veranstaltung
das ideale Forum, um ein interessiertes
Fachpublikum verschiedener Professionen zu erreichen.
Unsere kleine Arbeitsgruppe bemüht seit
1996 um eine kontinuierliche Forschung
zum Thema „Migration und Gesundheit/
Krankheit“. Dieser wissenschaftliche
Schwerpunkt, die Migrationsstudien wie
auch die Versorgungsforschung allgemein, sind in Deutschland in medizinischen Publikationen und auf medizinisch-wissenschaftlichen Kongressen
immer noch ein Randthema. Deshalb
danken wir dem Organisationsteam von
„Armut und Gesundheit“ für die langjährige gute Zusammenarbeit.
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesundheitsförderung in
der Arbeitswelt
Gesundheitsförderung bei Langzeitarbeitslosen /
Gesundheitsrisiko Erwerbslosigkeit / Schichtarbeit
und Gesundheit / Haftpflichtversicherung von
Hebammen
Gesundheitsförderung bei
Langzeitarbeitslosen
Fachgespräch am 13. Oktober in Berlin
Die gesundheitlichen Belastungen durch Arbeitslosigkeit sind vielfach gut belegt. Das
Problem ist zunehmend Thema sowohl bei den
Akteuren aus Arbeitsförderung als auch der
Gesundheitsförderung und Prävention. Die
Programme, die bislang entwickelt wurden
(zum Beispiel JobFit, AmigA, AktivA), können
ihre positiven Wirkungen belegen. Eine systematische Einbindung gesundheitsfördernder
Angebote in Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ist trotz des großen Bedarfs
bislang jedoch erst in Ansätzen erfolgreich
realisiert worden. So berichtete Katrin Kunert
(AOK Berlin-Brandenburg) als Vertreterin der
Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)
von ersten Erfahrungen mit dem AktivA-Konzept in Berlin und Susanne Aßmann-Horny vom
JobCenter Charlottenburg-Wilmersdorf von
einer JobFit-ähnlichen Maßnahme in ihrem
Bezirk.
Für das Land Berlin haben die Senatsverwaltungen für Gesundheit und Arbeit und
die GKV nun die Initiative ergriffen und über
den Regionalen Knoten des Kooperationsverbundes „Gesundheitsförderung bei sozial
Benachteiligten“ einen Fachaustausch zu
diesem Thema realisiert.
Am 13. Oktober 2010 kamen dazu 40 Vertreter/innen der Berliner JobCenter, der GKV
und der Berliner Bezirke mit der Staatssekretärin für Arbeit, Kerstin Liebich, und dem
Staatssekretär für Gesundheit, Professor Ben-
jamin-Immanuel Hoff, zu einem Fachgespräch
zusammen. Ziel war es, dass sich die Beteiligten zunächst kennenlernen und eine
„gemeinsame Sprache“ finden. Darüber hinaus
sollten aber auch Handlungsbedarf identifiziert
und Möglichkeiten gemeinsamer Schritte ausgelotet werden. Der dreistündige Austausch
verdeutlichte auch die unterschiedlichen Perspektiven und Erwartungen sowie das Interesse
an zielorientierten Kooperationen.
Dr. Sabine Hermann von der Senatsverwaltung
für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz gab einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und
Gesundheit anhand der Ergebnisse der Berliner
Gesundheitsberichterstattung. Dabei wurden
die Belastungen im psychosozialen Bereich
besonders deutlich, aber auch, dass die
Arbeitslosigkeit sich für unterschiedliche
Personengruppen ganz unterschiedlich auswirkt.
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Handlungsdruck besteht sowohl in einer adäquaten Situationsanalyse – welches sind die
Ressourcen, aber auch die Schwierigkeiten,
wenn zum Beispiel häufige Krankschreibungen
vorliegen? – als auch darin, die Betroffenen im
Alltag und bei der Jobsuche zu unterstützen.
Ein JobCenter-Vertreter formulierte, dass man
eigentlich viele Betroffene vom Zustand der
Mutlosigkeit bis zur Wiedereinmündung in
Beschäftigung kontinuierlich begleiten müsse.
Große Chancen wurden darin gesehen, kompetente Koordinator/innen einzubeziehen und
Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt
zu vernetzen. Hier wurde beispielsweise das
„Fallmanagement-Team“ des brandenburgischen Programms „AmigA“, mit einer Psychologin und einem Sozialmediziner, als Erfolg
versprechend hervorgehoben, ebenso wie die
„Job-Assistenz“, die in Friedrichshain-Kreuzberg und in Spandau an die JobCenter
angegliedert wurde.
Die Handlungsspielräume, der an diesem
Gespräch beteiligten Partner (JobCenter, Krankenkassen, Bezirke und Senatsverwaltungen),
Gesundheitsrisiko Erwerbslosigkeit
Gelungenes Vernetzungstreffen in Hamburg
Dem Gesundheitsrisiko Erwerbslosigkeit entgegenzuwirken, war das Ziel der gleichnamigen
Fachtagung am 10. Oktober 2010 in Hamburg.
Einander kennen zu lernen und die verschiedenen Akteure im Bezirk Hamburg-Mitte
zu vernetzen, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung. Die Veranstaltung wurde initiiert
vom Regionalen Knoten der Hamburgischen
Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung
e. V. (HAG). Kooperationspartner/innen waren:
Agentur für Arbeit, team.arbeit.mitte, Behörde
für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, Bezirk Hamburg-Mitte.
An der Veranstaltung nahmen Akteure aus dem
Gesundheitssektor, der psychosozialen Beratung, dem Bezirksamt, JobCenter und ARGE
sowie von Beschäftigungs- und Bildungsträgern teil. Besonders hervorzuheben ist, dass
die Fachtagung auf Aktivität und Beteiligung
ausgerichtet war. So waren die Namensschilder
der Teilnehmenden durch farbige Klebepunkte
gekennzeichnet, wobei jede Farbe eine Berufsgruppe symbolisierte. Um den lokalen Bezug
herzustellen, war im Zentrum des Veranstaltungsraumes eine große Planungskarte des
Bezirks Hamburg-Mitte aufgebaut, auf der die
Teilnehmenden mit einem weiteren Klebepunkt
den Standort ihrer Organisation kennzeichneten. Dies erleichterte das Gespräch und den
gegenseitigen Austausch. Der Tag startete mit
einem Gespräch zwischen den Kooperationspartner/innen (anstelle eines Grußworts), gefolgt von einer soziometrischen Aufstellung,
die die Vielfalt der Teilnehmerschaft sichtbar
machte.
In seinem Eröffnungsvortrag verdeutlichte Dr.
Alfons Hollederer (LIGA.NRW) die Zusammenhänge zwischen Erwerbslosigkeit und Gesundheit und ging auf die aktuelle Situation in
Hamburg ein. Er machte in seinem Vortrag auch
auf den wichtigen Aspekt aufmerksam, dass
Angebote freiwillig sein sollten. Dies wurde in
sind durch eine engere Abstimmung in der
Planung von Maßnahmen ganz offenbar zu
erweitern. Daher verständigte man sich darauf,
bereits bestehende Ansätze aufzubereiten und
diese Ergebnisse auf der nächsten Fachtagung
auszuwerten. Weitere Akteure, beispielsweise
aus der Wirtschaft oder anderen Verwaltungsbereichen, sollen an den weiteren Diskussionen beteiligt werden.
Stefan Bräunling
der Diskussion später aufgegriffen. Im Anschluss stellten sich gute Interventionsprojekte, wie JobFit, AmigA und AktivA in einem
Marktplatz vor: Ein kurzes Statement der Projektakteure machte „Appetit“ auf mehr: In zwei
Durchläufen à 30 Minuten hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit zwei Projektstationen
im Saal zu besuchen und näher kennenzulernen.
„Es ist wichtig, von einander zu wissen“
Nach der Mittagspause wurden in einem Methoden-Mix aus „World-Café“ und „Planning
for real“ in kleinen Diskussionsgruppen (6
Vertreter/innen – alle Berufsgruppen „bunt“
gemischt) gebildet. Die folgenden drei Gesprächrunden verfolgten das Ziel 1. Austausch/
Bezug zum Thema in meinem Arbeitsalltag, 2.
Darstellung des Handlungsbedarfes und 3.
Sichtbarmachen der eigenen Ressourcen und
4. Entwicklung von Projektideen. Es kam zu
einem regen Austausch zwischen den Teilnehmenden. Die Methode erleichterte es den
Akteuren, zu Gesprächen zusammenzufinden:
Problematiken und Vorbehalte konnten offen
ausgesprochen werden, Annäherungen zwischen verschiedenen Perspektiven waren möglich und erste Kooperationen wurden gefördert.
Es ist mit dieser Veranstaltung in Hamburg
erstmalig gelungen, die verschiedenen Akteure
zusammenzubringen. Die Agentur für Arbeit
nannte als besonderen Handlungsbedarf die
Kommunikation. Die ARGE team.arbeit.hamburg benannte das Ziel, Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzubieten sowie als Netzwerkpartner zur Verfügung zu
stehen. Einig waren sich alle Beteiligten über
den positiven Effekt der Veranstaltung: Es ist
sehr wichtig, voneinander zu wissen und miteinander zu reden.
Zum Abschluss erhielten alle Anwesenden ein
Stück roten Faden. Dieser soll an die guten
Kooperationsabsichten sowie an das gemeinsame Ziel – die nachhaltige Verbesserung der
Gesundheit von Arbeitslosen – erinnern.
Pia Block
21
Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt
Info_Dienst für Gesundheitsförderung4_10
Wie kann Schichtarbeit gesund gestaltet werden?
Studie des Netzwerks HealthCapital „Schichtarbeit und Gesundheit“
untersucht Ansätze und Potenziale
Zwischen 20 und 25 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung seien derzeit in einer Form
von Schichtarbeit beschäftigt, wie das Netzwerk Health Capital zur Veröffentlichung der
Studie „Schichtarbeit und Gesundheit“ meldet.
Zudem steige diese Zahl stetig an. Dies wiederum führe dazu, dass die mit Schichtarbeit
einhergehenden gesundheitlichen Risiken zunehmen.
22
Um zu erfahren, welche Einflüsse in diesem
Zusammenhang die Gesundheit negativ oder
auch positiv beeinflussen, haben die BGF
GmbH und die SOMNICO GmbH im Auftrag des
Netzwerks HealthCapital Berlin Brandenburg
Befragungen in Betrieben durchgeführt. Hierfür
wurden drei Branchen in die Analyse einbezogen: Verkehr, öffentliche Verwaltung und
Krankenhäuser. Die Untersuchung beinhaltet
einen Branchenvergleich sowie branchenspezifische Untersuchungen.
Die Ergebnisse sind in der vorliegenden
Studie zusammengefasst
Die Studie zeigt, dass die Wahrnehmung der
Arbeitsbedingungen und einzelne Gesundheitsindikatoren wie Arbeitsfreude, Gereiztheit, Erschöpfung oder körperliche Beeinträchtigungen sich in den einzelnen Branchen
deutlich unterscheiden. So nehmen Beschäftigte in Krankenhäusern hochsignifikant
mehr Gereiztheit, Erschöpfung und körperliche
Beeinträchtigungen wahr als Befragte aus der
öffentlichen Verwaltung. Befragte aus der
Verkehrsbranche erleben im Vergleich zu Befragten aus den anderen untersuchten Brachen
signifikant weniger Arbeitsfreude.
Identifikation, Information und Beteiligung,
Entscheidungsspielraum, Entwicklungschancen und Anerkennung sind in der Studie als
Gesundheitspotenziale definiert. Hier zeigt die
Untersuchung deutliche Wahrnehmungsunterschiede zwischen den drei Branchen: So
gaben die Befragten aus der öffentlichen Verwaltung deutlich mehr Identifikation, Information und Beteiligung sowie faire Beurteilung
und fachlichen Austausch mit Kollegen an als
die Kolleg/innen aus der Verkehrsbranche und
Krankenhäusern. Befragte aus der Verkehrsbranche hingegen empfinden deutlich mehr
Entwicklungschancen. Entscheidungsspielräu-
me und Lernmöglichkeiten wurden wiederum
eher in öffentlicher Verwaltung und Krankenhäusern angegeben.
Gesundheitsgefährdungen waren ebenfalls
Bestandteil der Untersuchung. Dazu gehören
vor allem Zeitdruck, Unterbrechungen, Überforderung oder auch Verantwortungsdilemma,
Arbeitsplatzunsicherheit und körperliche Belastungen. Hier schneiden in den meisten
Bereichen die öffentlichen Verwaltungen am
besten ab.
Im Anschluss an den branchenübergreifenden
Vergleich werden die Bedingungen der Schichtarbeit in den drei Bereichen genauer unter-
sucht. Abschließend bietet die Studie eine
Diskussion der Ergebnisse sowie Empfehlungen. Ziel der Studie ist es, organisatorische
Einflussfaktoren zu identifizieren, die den
negativen Einfluss von Schichtarbeit auf die
Gesundheit lindern. Dabei habe sich vor allem
gezeigt, dass ein positiver Umgang mit
Klienten, Lernmöglichkeiten, hohe Identifikation, Entscheidungsspielräume und Anerkennung als Puffer wirken können. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, die organisatorischen Abläufe in Betrieben anpassen zu
können, um Belastungen zu reduzieren.
Die Studie steht unter www.healthcapital.de
zum Download zur Verfügung.
Stimmen zum Kongress
Robert Rath, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und
technische Sicherheit Berlin
Wie schätzen Sie die Bedeutung des Kongresses „Armut und Gesundheit“
im Hinblick auf Verwirklichungschancen in der Arbeitswelt ein?
Die Arbeitswelt verändert sich genauso rapide, wie sich unser Leben entwickelt: Sich dynamisch verändernde Berufsanforderungen verlangen von
Beschäftigten lebenslange Weiterbildung. Stetige Arbeitsverdichtung erwartet vom Arbeitnehmer/innen, rechtzeitig Strategien gegen Überbeanspruchung und
gesundheitsschädliche Belastungen zu entwickeln, und veränderte Arbeitsformen wie
Praktika, Leiharbeit oder befristete Arbeit nehmen den Beschäftigten Sicherheit und
Planbarkeit ihrer Zukunft. Wie kann in diesem Umfeld menschengerechte Arbeit entwickelt
werden? Wie kann der Arbeitgeber gesetzliche Pflichten mit unternehmerischen Entscheidungsspielräumen vereinbaren? Und wie ist es um die Selbstverwirklichungschancen von
Berufsanfängern, jungen Beschäftigten, dem akademischen Prekariat und von Beschäftigten mit geringen Freiräumen zur eigenständigen Gestaltung der Arbeit bestellt?
Beim 16. Kongress „Armut und Gesundheit“ möchte ich unbedingt erfahren, welche
Verwirklichungsperspektiven in der Arbeit bestehen. Besonders auf den Input der
Betroffenen in den Workshops bin ich neugierig.
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt
Unsere Leistung ist gesundheitsfördernd!
Interview mit Ulrike von Haldenwang, Vorsitzende des
Hebammenverbandes in Berlin
Die Vergütung von Hebammenleistungen und
insbesondere die Erhöhung der Haftpflichtprämie für selbständige Hebammen ist nach
wie vor ein aktuelles Thema. Seit dem 1. Juli
2010 müssen Hebammen, die in der außerklinischen Geburtshilfe tätig sind, jährlich
3.689 Euro statt bisher 2.370 Euro zahlen
(Info_Dienst 3_2010 berichtete). Viele freiberufliche Hebammen sind dadurch gezwungen,
ihre geburtshilfliche Tätigkeit aufzugeben. So
haben von bundesweit 4000 freiberuflichen
Hebammen mit Geburtshilfe derzeit bereits
400 ihren Dienst aufgegeben, wie der Hebammenverband bestätigt. Bis zum Jahresende
sei von einem weiteren Rückgang auszugehen,
so dass es in einigen Regionen schon zu Versorgungsengpässen komme.
Die Petition „Heilhilfsberufe – Sofortmaßnahmen zur wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe“ im Bundestag fand breiten
Zuspruch. Der Deutsche Hebammenverband
fordert neben der flächendeckenden Versorgung durch Hebammen die Sicherung der
freien Wahl des Geburtsortes für werdende
Mütter und Familien. Ein großer gemeinsamer
Abschluss der Protestaktionen fand am 21.
Oktober 2010 in Berlin statt, an dem die Hebammen vor dem Bundesgesundheitsministerium protestierten.
Der Info_Dienst sprach mit Ulrike von Haldenwang, Vorsitzende des Hebammenverbandes in Berlin, über die aktuellen Entwicklungen sowie Situation in Berlin:
Info_Dienst: Seit dem 1. Juli 2010 sind die
Berufshaftpflichtversicherungen für freiberufliche Hebammen deutlich gestiegen. Wie stellt
sich die aktuelle Situation in Berlin dar?
Ulrike von Haldenwang: Ich weiß von einigen
Hebammen, dass sie aufhören oder erstmal
eine Pause machen, andere arbeiten nur noch
das ab, was sie schon angenommen hatten. Sie
werden also bis Ende des Jahres noch tätig sein
und dann neu entscheiden. Einige haben sich
zu Teams zusammengeschlossen. Das Thema
ist noch nicht abgeschlossen. Wenn sich keine
Lösung findet, wird sich eine große Versorgungslücke ergeben. Das Problem ist, dass die
Hebammen, die jetzt aufhören, sich neue
Existenzen schaffen. Sie gehen nicht einfach
wieder zurück, wenn das Problem gelöst ist.
Damit geht ganz viel Engagement und Wissen
verloren. Es sind auch die Vor- und Nachsorgehebammen, die sich anders orientieren.
Viele hören auf zu arbeiten, weil es so viel
Arbeit für zu wenig Geld ist.
Info_Dienst: Wie wird es weitergehen – in
Berlin und auf Bundesebene? Was passiert
nach der Abschlussmahnwache am 21. Oktober
2010?
Ulrike von Haldenwang: Es werden auf jeden
Fall einige Bundesländer streiken, unter
anderem auch Berlin. Wir werden, wenn bis
dahin nichts passiert, zwei Tage lang unsere
Tätigkeiten in der Freiberuflichkeit einstellen.
Wir sind sehr wohl bereit, das fortzuführen, bis
es zu einer Änderung gekommen ist, denn der
Streik ist nicht symbolisch! Es fällt den
Kolleginnen schwer, denn sie haben das Gefühl, ihre Frauen allein zu lassen. Wichtig zu
betonen ist, es geht nicht nur um die
Berufshaftpflicht! Es geht auch darum, dass wir
mit der Steigerung unseres Einkommens, die
uns von der Schiedsstelle und den Krankenkassen zugesprochen ist, nicht mal einen
Inflationsausgleich erreichen. Und es geht
darum, dass wir mit einem Einkommen existieren müssen, das generell unser Leben nicht
sichern kann. Die Sicherung des Grundeinkommens ist das wichtigste Ziel! Es geht um
den Beruf Hebamme, das ist ein ganz kompetenter und verantwortungsvoller Job!
Info_Dienst: Welche Forderungen stellt der
Deutsche Hebammenverband konkret an die
Bundesregierung?
Ulrike von Haldenwang: Erstens stellen wir die
Forderung an die Krankenkassen, dass der
Einkommenssockel der Hebammen um mindestens 40 Prozent erhöht wird! Wir brauchen
einen großen quantitativen Einkommenssprung in Bezug auf alle Gebühren, die wir
abrechnen können.
Das Zweite, was wir fordern, ist eine Lösung für
die Berufshaftpflicht! Hier möchten wir, dass
Krankenkassen und Politik an einem Tisch
sitzen!
Die dritte Forderung ist die gesetzliche Übernahme aus der Reichsversicherungsordnung
heraus in das SGB V und dass endlich anerkannt wird, dass unsere Leistung gesundheitsfördernd ist!
Die Fragen stellte Danielle Dobberstein
Betriebliche Gesundheits förderung auf dem Kongress
„Armut und Gesundheit“
Auch in diesem Jahr beschäftigen sich zahlreiche Veranstaltungen auf dem Kongress
„Armut und Gesundheit“ mit der Frage wie
die Gesundheit von Beschäftigten nachhaltig gestärkt werden kann. Dabei wird in
diesem Jahr im Besonderen auf Verwirklichungsperspektiven in den verschiedenen
Phasen des Berufslebens eingegangen. Wie
sich Handlungsspielräume auf die eigene
Arbeit auswirken verdeutlichen die Positionen einzelner Akteure im Rahmen einer
Podiumsdiskussion. Die Frage wie ein gutes
Wiedereingliederungsmanagement gestaltet werden kann steht außerdem zur Diskussion.
23
Suchtprävention
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Suchtprävention
Alkoholkonsum werdender Mütter /
Neuro-Enhancement: Chancen und Risiken
Alkoholkonsum werdender Mütter
Mehr Aufmerksamkeit notwendig
24
Viele Frauen verzichten während der Schwangerschaft auf Alkohol – zu viele Frauen trinken
jedoch weiter. Dies meldet die Fachstelle für
Suchtprävention im Oktober. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gelinge es
nur zwei von zehn Frauen, in der Schwangerschaft komplett auf Alkohol zu verzichten.
Jedes Jahr werden laut Fachstelle für Suchtprävention etwa 10.000 alkoholgeschädigte
Kinder (FASD) in Deutschland geboren, davon
4.000 Kinder mit dem Vollbild des Fetalen Alko-
holsyndroms (FAS), einer schweren körperlichen
und geistigen Behinderung. Diese Behinderung
trete doppelt so häufig auf wie das Down-Syndrom und sei bei völligem Verzicht auf Alkohol zu
100 Prozent vermeidbar, so heißt es weiter.
Nicht nur intensiver Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft führe zu Schädigungen bei Ungeborenen, sondern auch geringere
Mengen Alkohol und gelegentliche Trinkexzesse.
Anlässlich des „Tages des alkoholgeschädigten
Kindes“ am 9. September 2010 hat die Fachstelle
Neuro-Enhancement: Chancen und Risiken
Ausblick auf einen Workshop auf dem Kongress
„Armut und Gesundheit“
Die Berichte über die zunehmende Verbreitung
so genannten Neuro-Enhancements (NE) reißen
seit geraumer Zeit auch in Deutschland nicht ab.
Im engeren Sinne kann unter NE die gezielte
Steigerung der kognitiven Leistungs- und emotionalen Verarbeitungsfähigkeiten mit Hilfe von
Medikamenten beschrieben werden, ohne dass
eine medizinische Indikation vorliegt.
Neben der Debatte darum, ob die stark ansteigenden Verschreibungen von Methylphenidat
(Ritalin) empirisch und ethisch gerechtfertigt
sind, betrifft dies auch den Arzneistoff Modafinil
(Vigil), dessen konzentrationsfördernde Eigenschaften bislang vor allem in den USA zu einer
bedenklichen Verbreitung als „Hirndoping“Substanz vor Prüfungen und am Arbeitsplatz
geführt hat. In Deutschland stellte der DAKGesundheitsreport 2009 fest, dass fünf Prozent
der Arbeitnehmer/innen bereits chemische Mittel zur Verbesserung der psychischen Leistungsfähigkeit eingenommen haben.
Ein Workshop im Rahmen des Kongresses
„Armut und Gesundheit“ widmet sich daher der
Relevanz des Themas und wagt einen Ausblick in
die Zukunft. Dabei sollen die ethischen Fragen
des NE im Mittelpunkt stehen.
Dr. Katrin Lohmann stellt für eine Forschungsgruppe der FU Berlin Ergebnisse einer Studie vor,
die die Bereitschaft von FU-Studierenden untersucht, zu Mitteln des „Neuro-Dopings“ zu greifen. Schon 2009 hatten die Forscher festgestellt,
dass ein beträchtlicher Teil der Studierenden
für Suchtprävention im Land Berlin dazu im
Rahmen der Berliner Gemeinschaftskampagne
zur Alkoholprävention „Na klar…!“ ein bundesweit einzigartiges Benefizkonzert veranstaltet.
Der Erlös dieses Konzertes wurde heute gemeinsam durch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, und die Leiterin
der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, Kerstin Jüngling, an die Wohngemeinschaft
für Menschen mit Fetalen Alkohol-Spektrum-Störungen (FASD) des evangelischen Vereins Sonnenhof e.V. übergeben.
„Das Thema Schwangerschaft und Alkohol und
die damit verbundenen Gefahren werden noch
zu wenig von der Öffentlichkeit beachtet und das
müssen wir ändern. Denn wir gehen davon aus,
dass alle werdenden Mütter und ihre Partner
gesunde Kinder heranwachsen sehen wollen“,
so Kerstin Jüngling.
Weitere Informationen unter:
www.berlinsuchtpraevention.de
Veranstaltungstipp auf dem
Kongress „Armut und Gesundheit“
„Sündenbock oder Held – Ich bin mehr.
Perspektiven eröffnen für Kinder aus suchtbelasteten Familien“ am Samstag, 4. Dezember 2010 um 9 Uhr und „Frauen und
Rauchen – Wie erreichen wir sozial benachteiligte Frauen?“ am Samstag, 4. Dezember 2010 um 11 Uhr.
Medikamente einnimmt, meist ohne ärztliche
Verordnung und zudem in einer gesundheitlich
kritisch zu nennenden Frequenz.
Professorin Isabella Heuser (Charité) ist Teil einer
Wissenschaftlergruppe zur Erforschung von
Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und Mitautorin des Memorandums „Das
optimierte Gehirn“, das 2009 in der Zeitschrift
Gehirn & Geist veröffentlicht wurde (Download
unter www.gehirn-und-geist.de/ memorandum).
Die Kernaussagen des Memorandums werden im
Rahmen des Workshops skizziert. Die Expert/innen plädieren für eine möglichst unvoreingenommene, neutrale Bewertung von NE und verweisen darauf, dass in der modernen Leistungsgesellschaft in aller Regel besonderes Ansehen
genieße, wer seine eigene Leistungsfähigkeit
verbessere. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen
ist das Recht eines jeden entscheidungsfähigen
Menschen, über sein persönliches Wohlergehen,
seinen Körper und seine Psyche selbst zu bestimmen. Diese grundsätzliche Positionierung
verdeutlicht die große Tragweite des Phäno-
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
mens, wenn man von freien, selbstverantwortlichen Individuen in einer liberalen Gesellschaft
ausgeht. Sie rührt jedoch auch an grundsätzlichen Fragen wie den (Patienten- und Selbstbestimmungs-)Rechten psychisch Beeinträchtigter und dem gesellschaftlichen Umgang mit
dem Gebrauch gänzlich illegalisierter psychoaktiver Substanzen. Andererseits verweisen die
Autoren selbst auf die heute kaum abschätzbaren Risiken eines entstehenden „Nötigungsdrucks“, sollte NE künftig soweit enttabuisiert
und verbreitet sein, dass diejenigen um ihre
gesellschaftlichen Beteiligungschancen fürchten
müssen, die Leistungssteigerung durch Medikamente eigentlich ablehnen.
Dr. Thomas Bär, Mitarbeiter der Bundespsychotherapeutenkammer, rundet den Workshop ab
mit einer kritischen Sicht auf individuelle Risiken
des dauerhaften Gebrauchs psychotroper Substanzen und der Veränderung gesellschaftlicher
Normen und Erwartungen an individuelle Leistungsfähigkeit durch zunehmendes NE.
Der Workshop findet am Freitag, 3. Dezember
2010 von 16.15 bis 17.45 Uhr statt.
Rüdiger Schmolke
Stimmen zum Kongress
Kerstin Jüngling,
Leiterin der Fachstelle für
Suchtprävention Berlin
Welche Bedeutung hat
der Kongress „Armut
und Gesundheit“ für Sie?
Es ist nicht neu, es lohnt
sich dennoch es immer
wieder zu betonen: Die Verbesserung von
Lebens-, Bildungs- und Verwirklichungschancen wirkt präventiv und bereitet
einen guten Boden für die Gesundheit
jeder und jedes Einzelnen.
Der Kongress Armut und Gesundheit
beleuchtet hier erneut nicht nur die
unterschiedlichen Settings und schafft es,
politische Verantwortungsträger einzubinden. Das Menschenbild, das durch den
Kongress darüber hinaus gestärkt wird, ist
das demokratisch-emanzipatorische im
Sinne der WHO-Ottawa-Charta. Paternalistischen Tendenzen entgegen zu wirken, Gesundheit aus der Public Health
Perspektive zu betrachten und immer
wieder die Rahmenbedingungen mitzudenken und zu diskutieren – das ist das
Wertvolle am Kongress Armut und Gesundheit. Er leistet einen Beitrag für
vorurteilsfreie, respektvolle und wertschätzende Kommunikation mit dem
Wissen um Unterschiede der Geschlechterrollen, sozialen Lagen und Kulturen –
und das stärkt auch das gesellschaftliche
Miteinander.
Suchtprävention / Patienteninteressen
Patienteninteressen
Beschwerde- und Informationsstelle
Psychiatrie / Patientenfürsprecher/innen in
Krankenhäusern stärken
Psychiatrische Versorgung: Anlaufstelle für
unabhängige Beratung und Beschwerden
Gesundheit Berlin-Brandenburg eröffnet zentrale Berliner
Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie
Berlin verfügt über ein breites und ausdifferenziertes Angebot in der stationären und
ambulanten psychiatrischen Versorgung. Trotz
des umfassenden Angebotes bestehen Lücken
und Mängel in der psychiatrischen Behandlung
und Betreuung. So kommt es neben individuellen Beschwerden hinsichtlich einer als
unrechtmäßig oder fehlerhaft wahrgenommenen Behandlung auch immer wieder zu
Beschwerden über die Angebotsstruktur.
Das Beschwerdemanagement im Rahmen der
psychiatrischen Hilfe ist den Patient/innen
jedoch oft nicht bekannt oder wird als zu nah
am Versorgungssystem empfunden. Der Berliner Landesbeauftragte für Psychiatrie, Heinrich Beuscher hat daher 2008 ein Konzept für
ein Sozialpsychiatrisches Beratungs- und Beschwerdemanagement in die Diskussion
gebracht. Das Konzept umfasst drei zentrale
Säulen: So soll eine unabhängige Beschwerdeund Informationsstelle eingerichtet, die Patientenfürsprecher/innen in den Psychiatrien gestärkt sowie mit dem Einsatz unabhängiger
Besuchskommissionen strukturelle Defizite in
den Psychiatrien aufgespürt werden.
Gesundheit Berlin-Brandenburg baut in diesem
Rahmen nun die zentrale Berliner Beschwerdeund Informationsstelle Psychiatrie auf. Die
Einrichtung soll für Patient/innen, ihre Angehörigen und Mitarbeiter/innen in psychia-
trischen und angrenzenden Hilfesystemen eine
Anlaufstelle sein für Beschwerden und Informationen im Bereich der psychiatrischen Versorgung in Berlin. Nutzer/innen psychiatrischer
Einrichtungen und deren Angehörige sollen mit
dieser neuen Anlaufstelle gestärkt werden.
Zum Team der Beschwerdestelle gehört eine
psychiatrie-erfahrene Mitarbeiterin, um die
Perspektive der Betroffenen einzubeziehen.
Von großer Bedeutung ist, dass die Stelle von
allen Beteiligten als neutrale Einrichtung wahrgenommen wird, die nicht von Trägern der
psychiatrischen Versorgung abhängig ist.
Ebenso wichtig wird es sein, Vertrauen in die
Nachhaltigkeit der Arbeit der Beschwerdestelle
herzustellen und den Zugang zur Beschwerdestelle möglichst barrierefrei zu gestalten.
Dazu wurden und werden zahlreiche Gespräche mit Angehörigen- und Betroffenenverbänden, Trägern psychiatrischer Einrichtungen
und weiteren Expert/innen geführt. Die zukünftigen Räume der Beschwerdestelle in der
Grunewaldstraße 82 werden derzeit hergerichtet, um möglichst bald die ersten beschwerden annehmen und bearbeiten zu
können. Sobald die Besuchskommissionen
eingerichtet sind, werden auch sie von der
Beschwerdestelle betreut.
Stefan Weigand
25
Patienteninteressen
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Patientenfürsprecher/innen in Krankenhäusern stärken
Arbeitskreis Patientenfürsprecher/innen diskutiert Leitfadenentwurf mit
Bundespatientenbeauftragtem
Berufungskriterien gelten. Die Krankenhäuser
sollten den Fürsprecher/innen angemessene
Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen.
Perspektivisch sollen die Patientenrechte
selbstverständlicher Teil der Arbeit der Krankenhäuser werden. Dabei verstehen sich die
Patientenfürsprecher/innen als Mittler zwischen den Patient/innen und den Mitarbeiter/innen der Kliniken. Besonderer Wunsch der
anwesenden Patientenfürsprecher/innen war
es, mehr Öffentlichkeit für dieses Amt und
seine Aufgaben zu schaffen.
26
Wie kommen wir zu einheitlichen Regelungen
und Qualitätsstandards für die Arbeit der
Patientenfürsprecher/innen in den Krankenhäusern des Landes Berlin? Diese Frage stellt
sich umso dringender, als die Bedingungen
nicht nur zwischen den Bundesländern,
sondern sogar zwischen den Kommunen und
einzelnen Bezirken stark variieren.
Bundespatientenbeauftragter MdB Wolfgang
Zöller hat hierzu mit seinem im April herausgegebenen Entwurf eines Leitfadens für die
Patientenfürsprecher/innen einen Vorstoß unternommen. Am 23. September 2010 hatte Zöller die Patientenfürsprecher/innen von Berlin
und Brandenburg, die seinen Entwurf mit einem
eigenen Papier kommentiert hatten (download
als PDF unter: www.gesundheitberlin.de), zu
einem Austausch ins Bundesgesundheitsministerium geladen.
Schnell bestand Einigkeit über das gemeinsame
Anliegen, möglichst einheitliche Rahmenbedingungen für Patientenfürsprecher/innen bundesweit zu schaffen und die Rolle der Fürsprecher/innen in den Krankenhäusern zu stärken. Besonders betont wurde in der Diskussion
mit Wolfgang Zöller, dass die Patientenfürsprecher/innen sich als unabhängig und damit
explizit nicht als Mitarbeiter/innen der Krankenhäuser verstehen sollten. Um diese Neutralität zu wahren und zu stärken, sollen die
Fürsprecher/innen von einer politischen Stelle
außerhalb des Krankenhauses gewählt und
finanziert werden. Dazu sollen einheitliche
Wolfgang Zöller zeigte sich sehr aufgeschlossen und versprach, den von ihm verantworteten Leitfadenentwurf deutlich zu überarbeiten. Der Leitfaden soll in den kommenden
Monaten veröffentlicht und bundesweit den
Fürsprecher/innen, Krankenhäusern und zuständigen politischen Stellen kommuniziert
werden. Zudem soll der Bundesbeauftragte
das Anliegen der Patientenfürsprecher/innen
auf der Gesundheitskonferenz der Länder vortragen, damit es möglichst Berücksichtigung
bei der Gestaltung der jeweiligen Landesgesundheitsgesetze findet.
Stefan Weigand
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Termine
Termine
Weitere Termine auch unter
www.gesundheitberlin.de und
www.gesundheitliche-chancengleichheit.de
Kontakt für Veranstaltungen (falls nicht anders angegeben): Gesundheit Berlin-Brandenburg,
Friedrichstraße 231, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 31 90 60; [email protected]
Arbeitskreise von
Gesundheit BerlinBrandenburg
Arbeitskreistreffen
Migration
Mittwoch, 26. Januar 2011, ab 17 Uhr
Ort: Geschäftsstelle Gesundheit BerlinBrandenburg, Friedrichstraße 231,
10969 Berlin
Arbeitskreistreffen
Kind und Familie
Mittwoch, 16. März 2011, 10 bis 12 Uhr
Ort: Geschäftsstelle Gesundheit BerlinBrandenburg, Friedrichstraße 231,
10969 Berlin
Tagungen organisiert
oder mitorganisiert
von Gesundheit
Berlin-Brandenburg
Fachtagung
Kinder im Kontext häuslicher Gewalt –
Hinsehen, verstehen und handeln – aber wie?
Dienstag, 30. November 2010
Ort: Potsdamer Staatskanzlei, Heinrich-MannAllee 107, 14473 Potsdam, Veranstalter:
Veranstalter: Gesundheit Berlin-Brandenburg,
Regionaler Knoten Brandenburg in Kooperation mit dem Brandenburger Ministerium für
Arbeit, Soziales, Frauen und Familie
www.gesundheit-berlin.de
Satellitenveranstaltung zum 16. Kongress
Gesund und aktiv älter werden
Donnerstag, 2. Dezember 2010
Ort: Rathaus Schöneberg Berlin
Tel.: (030) 44 31 90 60
www.armut-und-gesundheit.de
Satellitenveranstaltung zum 16. Kongress
Kinderarmut – Lebensrealitäten und
Praxisansätze
Donnerstag, 2. Dezember 2010
Ort: Rathaus Schöneberg Berlin
Veranstalter: Kinderstärken e.V.
Tel.: (03931) 21 87 48 78
www.kinderstaerken-ev.de
16. Kongress Armut und Gesundheit
Verwirklichungschancen für Gesundheit
Freitag, 3. Dezember bis
Samstag, 4. Dezember 2010
Ort: Rathaus Schöneberg Berlin
Tel.: (030) 44 31 90 60
www.armut-und-gesundheit.de
Fachtagung
Männer wollen ihren Sport
Dienstag, 7. Dezember 2010
Ort: Jugendbildungszentrum Blossin,
Waldweg 10, 15754 Heidesee
Veranstalter: Gesundheit Berlin-Brandenburg,
Zentrum für Bewegungsförderung
Brandenburg in Kooperation mit dem
Brandenburgischen Präventions- und
Rehabilitationssportverein e.V.
www.gesundheit-berlin.de
Fachtagung
Präventionskette Dormagen – ein Modell für
gesundes Aufwachsen für alle?!
Mittwoch, 8. Dezember 2010, 10 bis 15 Uhr
Ort: Ärztekammer Berlin, Veranstalter:
Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V., Regionaler
Knoten Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung
www.gesundheit-berlin.de
Veranstaltungen in
Berlin-Brandenburg
Konferenz
3. Breitensportkonferenz „Aktiv gemeinsam
Zukunft gestalten“
Samstag, 27. November 2010
Ort: Landessportverbund Berlin, Jesse-OwensAllee 2, 14053 Berlin
Veranstalter: Landessportbund Berlin
Tel.: (030) 30 00 21 27
www.breitensportkonferenz.lsb-aktiv.de
Fachgespräch
Patient/innen stärken – Plädoyer für mehr
Patientenrechte
Montag, 29. November 2010
Ort: Deutscher Bundestag, Paul-Löbe-Haus,
Raum E 300
Veranstalter: Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Tel.: (030) 227 72 307
www.gruene-bundestag.de
Gesundheitskonferenz Marzahn-Hellersdorf
Bewegungsförderung von Anfang an
Dienstag, 30.November 2010
Ort: Wilhelm-von-Siemens-Oberschule Berlin
Veranstalter: Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf
Tel.: (030) 902 93 42 64
Bitte teilen Sie uns mit, wenn sich Ihre Adresse
geändert hat:
Gesundheit Berlin-Brandenburg,
Friedrichstraße 231, 10969 Berlin
Tel.: 030/ 44 31 90 60, Fax: 030/ 44 31 90 63
Email: [email protected]
Kongress
Demographie in der Arbeitswelt –
Den Wandel aktiv gestalten
Ort: Moska, Karl-Marx-Allee 34, Berlin
Dienstag, 7. Dezember 2010
Veranstalter: Bundesministerium für Arbeit
und Soziales & Initiative Neue Qualität der
Arbeit (INQA)
Tel.: (030) 515 48 40 00
www.inqa.de/demographiekongress
Symposium
16. Symposion Frühförderung 2011
Donnerstag, 31. März bis
Samstag, 2. April 2011
Ort: Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstalter: Vereinigung für Interdisziplinäre
Frühförderung e.V.
Tel.:(089) 54 58 98 27
http://symposion.frühförderung-viff.de
Veranstaltungen im
Bundesgebiet
Fachtagung
Gesundheit! – auch für Menschen ohne Arbeit
Montag, 29. November 2010
Ort: Kronshagen
Veranstalter: Landesvereinigung für
Gesundheitsförderung e.V. in SchleswigHolstein
Tel.: (0431) 94 2 94
http://lvgfsh.de/gesundheitsfoerderung/
startseite.php
Tagung
Wettbewerbsvorteil Gesundheit, Gesunde
Arbeit – die Arbeitswelt von morgen aktiv
gestalten
Dienstag, 30. November bis
Mittwoch, 1. Dezember
Ort: Köln , Veranstalter: BKK Bundesverband
Tel.: (02 01) 5 65 96 11
www.bkk.de
Kongress
Mit Leib und Seele ankommen – psychische
und psychosomatische Krankheiten in unserer
Zuwanderungsgesellschaft
Donnerstag, 9. Dezember bis Samstag, 11.
Dezember 2010
Ort: Düsseldorf, Veranstalter: Dachverband der
transkulturellen Psychatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik im deutschsprachigen
Raum e.V.
Tel.: (02182) 91 08
www.transkulturellepsychiatrie.de
Konferenz
2. Nationale Impfkonferenz: Impfen –
Wirklichkeit und Visionen
Dienstag, 8. Februar bis
Mittwoch, 9. Februar 2011
Ort: Stuttgart
Veranstalter: Ministerium für Arbeit und
Sozialordnung, Familien und Senioren BadenWürttemberg
Tel.: (0711) 12 33 833
www.nationale-impfkonferenz.de
27
Publikationen
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 4_10
Wie werden aus Akteuren Partizipateure?
Ein Buch macht Partizipation praxisnah sichtbar und
anwendbar
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„Es besteht ein hoher Grad an Beteiligungsmöglichkeiten für die Zielgruppe sozial Benachteiligter.“ Diese scheinbar so einfache Definition von Partizipation liest der interessierte
User, auf der Webseite des Kooperationsverbundes Gesundheitsförderung bei sozial
Benachteiligten. Welcher Anspruch sich für die
Gesundheitsförderung und Prävention dahinter
verbirgt, ist vielen Akteuren ebenso wenig bewusst, wie der Nutzen einer tatsächlichen Partizipation der Zielgruppe für die Wissenschaft
und die Praxis. Der Begriff Partizipation wird
oftmals verwendet, um eine Beteiligung der
Zielgruppe bei der Entwicklung und Umsetzung
von Interventionen zu beschreiben, ohne dass
in der Realität eine wirkliche Mitwirkung oder
gar Entscheidungsmacht stattfindet.
Diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit will der von Michael T. Wright herausgegebene Sammelband zur „Partizipativen Qualitätsentwicklung“ schließen. Es greift die Ergebnisse auf, die die Forschungsgruppe Public
Health am Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB) im Rahmen von zwei
umfangreichen Forschungsprojekten zur Partizipativen Qualitätsentwicklung sammeln konnte. Zu Beginn erläutern die Autor/innen die
Bedeutung der Partizipativen Qualitätsentwicklung (PQ) für die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit von vulnerablen Gruppen und nähern sich den Begriffen
„Qualitätssicherung“ und „Partizipation“ an.
Am Beispiel der European Foundation for
Quality Management“ (EFQM) wird dargelegt,
dass Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung im Non-Profit Bereich nicht im Widerspruch zur Qualitätssicherung in Wirtschaftsunternehmen steht. Allerdings sieht PQ
die Mitwirkung aller Beteiligten, einschließlich
der Nutzer, in den verschiedenen Phasen des
„Public Health Action Cycles“ vor. Was zur
Verbesserung der Konzept- Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität von Maßnahmen beiträgt.
Damit verbunden ist, dass die Aktivitäten auf
die „Schaffung eines gesundheitsförderlichen
Settings“ ausgerichtet werden. „Partizipation“
bedeutet hier, dass alle Akteursgruppen im
Setting ihre Bedarfslagen aktiv einbringen und
die Strategien zur Setting-Entwicklung aktiv
mitgestalten können. Dies wirkt sich wiederum
positiv auf die Identifikation mit dem Setting,
das soziale Klima und die Selbstbestimmung
auswirkt. Durch den PQ-Ansatz erfährt die
Stakeholder-Perspektive somit eine deutliche
Stärkung. Nicht zu letzt entspricht dies einer
Forderung im aktuellen Leitfaden „Prävention“
des GKV-Spitzenverbandes (vgl. Interview mit
Volker Wanek auf Seite 6).
Das Buch bietet in verschiedenen Kapiteln, für
die einzelnen Phasen eines Projektes, verschiedene methodische Instrumente und Konzepte
an, die auch eine niedrigschwellige Beteiligung
aller Betroffenen ermöglicht. Deren wissenschaftlicher Hintergrund und praktische Nutzen
wird jeweils dargelegt und durch Praxisbeispiele verdeutlicht. Somit können auch Einsteiger in dieses komplexe Themenfeld schnell
Rückschlüsse für die eigene Arbeit ziehen.
PQ gibt Antworten auf zwei Schlüsselfragen der
soziallagenbezogenen Gesundheits-förderung.
Zum einen: Wie erreiche ich die Zielgruppe?
Zum anderen: Wie kann ich die Wirkung von
gesundheitsförderlichen Maßnahmen erhöhen
und sie sichtbar machen?. Insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die ökonomische
Perspektive in der Gesundheitsförderung und
Prävention zunehmend in den Blickpunkt gerät,
stellt die jahrelange Arbeit der Forschungsgruppe beim WZB einen wichtigen Beitrag in
Richtung einer evidenzbasierten Gesundheitsförderung dar.
Rolf Reul
Impressum
Herausgeber und Verleger:
Gesundheit Berlin-Brandenburg,
Arbeitsgemeinschaft
für Gesundheitsförderung
Friedrichstr. 231,
10969 Berlin,
Tel. 030-44 31 90-60,
Fax 030-44 31 90-63
E-Mail:
[email protected],
www.gesundheitberlin.de
Redaktion:
Carola Gold (V.i.S.d.P), Rike Hertwig, Merle Wiegand
Weitere Auto/innen:
Thomas Altgeld, Bettina Bels, Martina Block, Pia
Block, Stefan Bräunling, Mathias David, Danielle
Dobberstein, Marisa Elle, Thomas Gebauer, Raimund
Geene, Claudia Höppner, Kerstin Jüngling, Hendrik
Karpinski, Holger Kilian, Wolf Kirschner, Colin
MacDougall, Andrea Möllmann, Uwe Nowotsch, Klaus
D. Plümer, Stefan Pospiech, Robert Rath, Rolf Reul,
Daniel Rühmkorf, Ina Schaefer, Rüdiger Schmolke,
Volker Wanek, Simone Weber, Stefan Weigand, Ulrika
Zabel, Marco Ziesemer.
Namentlich gekennzeichnete Beitrage geben die
Meinung der Autor/innen wieder, nicht unbedingt
die der Redaktion.
Auflage: 6.500
Satz und Layout:
Connye Wolff, Brachvogelstraße 5, 10961 Berlin
Telefon (030) 61 20 34 86, www.connye.com
Druck:
Allprintmedia GmbH
Blomberger Weg 6a, 13437 Berlin
Copyright:
Gesundheit Berlin-Brandenburg, November 2010
Beiträge und Ankündigungen für den
Info-Dienst 1/2011 bitte bis 28. Januar 2011 per
E-Mail an: [email protected]
ISSN 1614-5305
Bildnachweise:
S. 4: Stephanie Hofschläger; www.pixelio.de,
S. 5: André Wagenzik, S. 6: Volker Wanek,
S. 7: Klaus D. Plümer, S. 8: Thomas Altgeld,
S. 9: Stephan Bräunling. S. 11: Thomas Gebauer,
André Wagenzik S. 12: Sabine Geiler, www.pixelio.de,
S. 13: Fotolia, Daniel Rühmkorf,
S. 14: Anschi, www.pixelio.de, S. 17: Fotolia,
S. 18: Ulrika Zabel, StockXChance, S. 20: Matthias
David; Paul-Georg-Meister, www.pixelio.de,
S. 21: Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für
Gesundheitsförderung, S. 22: Robert Rath,
S. 25: Kerstin Jüngling, S. 26: Fotolia

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