Das Vaterspiel von Eva Menasse

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Das Vaterspiel von Eva Menasse
DAS VATERSPIEL
Eva Menasse
Was ist eine gute Literaturverfilmung? Zählt die möglichst werkgetreue Bebilderung oder die Freiheit, auf anderen Wegen zur Substanz vorzustoßen? Zwei Extrembeispiele für die unterschiedlichen Herangehensweisen sind „Revolutionary
Road“ von Sam Mendes nach Richard Yates, und „Das Vaterspiel“ von Michael
Glawogger, nach dem Roman von Josef Haslinger. Mendes hat es mit der Buchstabentreue versucht, was angesichts der überwältigenden Meisterschaft von
Yates’ Roman, den man getrost zu den besten US-amerikanischen Romanen des
Zwanzigsten Jahrhunderts zählen darf, wohl auch ein Gebot der Demut war. Er ist
dem Buch von Richard Yates nicht nur in den Dialogen, sondern auch in den Bildern wie in einer Mimikry gefolgt und hat es dabei trotzdem geschafft, dessen
Geist und Seele zu bewahren und nicht wie ein Klon zu wirken. Das ist, gerade
bei einer so makellosen und dabei schon recht „filmischen“ Vorlage, kein kleines
Kunststück. „Revolutionary Road“ mit den Weltstars Leonardo diCaprio und Kate
Winslet und seinen sorgfältig besetzten Nebenrollen ist die perfekte, schöne,
werkgetreue, den Liebhaber befriedigende Literaturverfilmung, die trotzdem oder
gerade deshalb immer die kleine, giftige Frage offenlässt: Musste das unbedingt
sein? Hat denn die Verfilmung dieses literarischen Meisterwerks irgendwem gefehlt?
Michael Glawogger hat einen anderen Weg beschritten. Er hat seine Vorlage zerhackt, verändert, fast bis aufs Skelett entfleischt, dafür neue Motive hinzugefügt.
Haslingers Geschichte zu verfilmen lag, anders als bei Yates, nicht unbedingt
nahe. „Das Vaterspiel“ ist ein zwischen seinen beiden Hauptsträngen seltsam unentschiedener, mit seinen vielen Nebensträngen etwas überladener Roman, der
eine große moralische Frage aufwirft, sich ihrer Beantwortung aber, man muss
fast sagen: schnöde, entzieht.
Da ist einerseits Rupert „Ratz“ Kramer und die Geschichte einer österreichischen
Jugend. Rupert, perfekt besetzt mit dem schlurfigen Helmut Köpping, hasst seinen autoritären Vater, einen eitlen, verlogenen SPÖ-Minister, und bastelt in jahrelanger Arbeit das titelgebende Computerspiel, dessen Clou ist, dass es sich
personalisieren lässt. Jeder Nutzer braucht bloß sein persönliches Feindbild einzuscannen. Danach tragen alle zu erschießenden Spielfiguren dieses Gesicht.
Die zweite Geschichte ist viel schwerwiegender. Es sind die Tonbandprotokolle
des Jonas Shtrom, der als Junge die Massaker an den litauischen Juden überlebt
hat und seither seinen ehemaligen Schulkameraden Algis Munkaitis sucht, der
unter tausenden anderen auch Jonas’ Vater ermordet hat.
Dieser Algis wiederum ist, weil es die Geschichte so will, der Großvater von Mimi,
der ersten und einzigen Liebe des Rupert Kramer. Seit Jonas Shtrom Algis in den
Sechziger Jahren fast enttarnt hätte, hält er sich in seinem Keller auf Long Island
versteckt. Als Enkelin Mimi jemanden braucht, um Großpapas Keller diskret zu
renovieren, fällt ihr der Studienkollege Rupert ein, da er vor Jahren ihre Studentenbude ausgemalt hat. So schließt sich der Kreis.
Anders als der Roman, der sich in den tragikkomischen Beschreibungen von Ruperts Kindheit fast verliert, bis er dann endlich, gegen Ende, zur Arbeit im Kellerverließ kommt, teilt Glawogger die Geschichte streng in zwei Hälften. In der
ersten kämpft sich Rupert mit dem Auto durch einen Schneesturm in Richtung
Flughafen. Attila Boas Schnee- und Grieselbilder, zusammen mit der Musik von
Olga Neuwirth, erzeugen dieselbe bodenlos desorientierte, bedrohliche Atmosphäre, als säße man selbst am Steuer. So leicht lässt die verhasste Heimat Rupert eben nicht los. Die Fahrt dehnt sich ins Endlose. Draußen im Schnee,
eigentlich in Ruperts Vorstellung, hetzt die Computerfigur seines Vaters neben
ihm her, versucht ihn aufzuhalten. Das sind schöne, überzeugende Bilder. Und in
diese unheimliche Fahrt schneidet Glawogger die Rückblenden in Ruperts Jugend
hinein, die Auseinandersetzungen mit dem Vater, die ersten Begegnungen mit
Mimi. Und die Zeugenaussagen des Jonas Shtrom.
Die bestialischen Details der Judenverfolgung haben wir längst viel zu oft gehört,
um uns davon noch groß berühren zu lassen. Sie filmisch oder literarisch aufzubereiten gehört zum Heikelsten überhaupt. Doch Michael Glawogger nimmt diese
Hürde wie im Schlaf. Eine vollkommen starre Kamera, ein kahler Raum und ein
großer Schauspieler wie Ulrich Tukur, dessen Emotionen sich hier nur in der Unruhe seiner Daumen, im Aufblitzen seiner strahlend weißen Manschetten ausdrücken - das reicht, ja gerade diese Reduktion zwingt, sich ganz auf die Worte
zu konzentrieren. Als wären wir in einem Buch.
Irgendwann legt Tukur/Shtrom Fotos vor, die uns die Kamera gar nicht zeigt,
denn die entscheidenden Worte und Bilder haben sich da schon im Kopf festgesetzt, der Pyjama, den Shtroms Vater noch trug, als er die Treppe hinunter und
auf die Straße hinausgeprügelt wurde, das Muttermal auf der rechten Wange von
Algis, die Armbinde, die er nicht, wie alle anderen, am Oberarm, sondern am Unterarm trug.
Dies ist eine der prägnantesten Stellen für Glawoggers Kunst, die Intentionen des
Romans zu herauszuarbeiten. Haslingers geschriebene Zeugenaussage klingt wie
eine Geschichte unter vielen, denn sie hebt sich sprachlich zuwenig vom Umgebungstext ab. Ein Albert Drach hätte das anders gemacht.
Doch im Film sind diese Aussagen, die einzig durch nachdenkliche Gegenschnitte
auf die rotierenden Spulen des Aufzeichnungsgerätes unterbrochen werden, der
klassisch strenge Kontrapunkt zur übrigen Handlung, wo der Regisseur schon
wegen der Computerspiel-Motivik mit Formen, Farben und Details spielt.
Zum Beispiel Mimi, die geheimnisvolle Auftraggeberin, für die Rupert alles tun
würde: Sabine Timoteo spielt sie in einem faszinierend monotonen Singsang, der
an die Freundlichkeit und Kälte einer Computeranimation erinnert. Glawogger
wiederum dichtet der Figur eine seltene Krankheit an, Alopezie, totale Haarlosigkeit. Deshalb trägt sie ständig wechselnde Perücken, in allen Farben und Längen,
filmisch ein gewagtes Verfahren. Doch Timoteos irgendwie verlangsamte Künstlichkeit macht, dass man sie in jeder neuen Verkleidung sofort wieder erkennt,
als die Frau ohne Eigenschaften sozusagen, als Ruperts unfassbare Projektionsfläche. Zum Vergleich: In Haslingers Roman trägt Mimi bloß ausgefallene Hüte.
Aber aller Mimi-Faszination zum Trotz: Wie es möglich ist, dass der schüchterne
Loser Rupert, dieser sympathische Antiheld, des Massenmörders Keller überhaupt renoviert und sich mit dem unheimlichen Alten da unten noch beinahe anfreundet, lassen Buch wie Film offen. Und das bleibt die Crux dieser Geschichte.
Ruperts Widerstand erschöpft sich in dem folgenlosen Satz: „Einem Nazi helfen?
Sonst noch was! Das kann ich nicht machen, mein Großvater war in Dachau“.
Denn dann packt ihn doch der Ehrgeiz, wahrscheinlich auch, weil das Handwerkliche nicht seines Vaters Sache war. Tipps und Werkzeuge bekam er immer vom
Großvater, dem Dachau-Häftling. Und während er unter den Tiraden seines Vaters meistens geschwiegen hat, ist es hier im Keller nun er, der spricht. Beinahe,
als wollte er, der Bildschirmmörder, um den echten werben.
Schweigend sitzt, in der zweiten Hälfte von Glawoggers Film, Itzhak Finzi als
Algis Munkaitis im Keller und räumt stoisch sein Essen weg, als es zu stauben beginnt, weil Rupert die Deckenverkleidung herunterreißt. Erst tut er nur den Mund
auf, um Rupert zu belehren, doch nach einer Weile trinken sie zusammen Bier,
und Rupert darf dem Alten den Käse salzen.
Erst am Ende, als Mimi ihren österreichischen Gast nach getaner Arbeit wieder
loswerden will, konfrontiert sie ihn mit den Akten, mit Jonas Shtroms Aussagen.
Es ist Weihnachten. Der alte Algis hat sich einen Anzug angezogen, ein elektrischer Christbaum singt und tanzt auf der Anrichte, der ganze Keller ist picobello
renoviert und ein überforderter Rupert fragt nach der Wahrheit.
Es ist die perfekte Antiklimax.
Denn Algis gibt unumwunden alles zu, er hat so viele Menschen erschossen, wie
man eben schafft, wenn man mehrere Stunden lang an einem Maschinengewehr
steht. Er bereut nichts und glaubt weiterhin an das Überleben der Starken. Darauf weiß Rupert nichts mehr zu sagen, er verlässt den Keller und muss dann
auch schon bald heimfliegen, weil sich sein richtiger Vater, der zum Vaterschwein
hochgetunte Normalbürger, vollkommen unerwartet das Leben genommen hat.
Es ist eine höchst seltsame, fast amoralische Geschichte, die Josef Haslinger in
seinem Roman entwirft. Es gibt keine Rache, keine Vergeltung, kein Verstehen
und kein Verzeihen, ja, dieser Rupert verpfeift den Alten im Keller nicht einmal,
für den ein paar Jahre Gefängnis doch wirklich keine Strafe wären. Da hätte er
doch sogar mehr Licht und Luft als im Keller.
Diese große Frage des Schlusses, die Frage, was von dem Ganzen bleibt, von der
gekränkten Kindheit und dem Kontakt mit dem Mörder im Keller, was Rupert
davon mitnehmen könnte in sein weiteres, nun plötzlich vaterloses Leben, konnte
auch Michael Glawogger nicht beantworten. Doch es ist es ihm zweifellos – und
dabei klug und unterhaltsam – gelungen, die entscheidenden Aspekte und Motive
trennscharf herauszuarbeiten. Mit diesem Rupert hat er eine Figur gezeichnet,
die von echten und falschen Vätern umstellt ist und sich väterlichen Abhängigkeiten nicht zu entziehen vermag.
Eine Literaturverfilmung, die ihre Vorlage vorteilhaft beleuchtet, zuspitzt und weitertreibt: Was kann man mehr wollen? Beim „Vaterspiel“ haben einander die
Genres überzeugend befruchtet, Michael Glawoggers eigenständige künstlerische
Leistung scheint mir daher beinahe größer als die des perfekten Nachbildners
Sam Mendes.
Trotzdem schimmert der Webfehler hindurch. Am Ende bleibt doch der tragische,
herzzerreißende Jonas Shtrom als stärkste Figur übrig. Er, ein zu früh erwachsen
gewordener Junge, kann für seinen im demütigenden Pyjama zum Erschießungsplatz getriebenen Vater nichts anderes mehr tun, als nach dessen Mörder zu suchen. Das ist die wirkliche Welt, das ist das echte Blut, die Michael Glawogger
gezeigt hat, in dem er sie nicht zeigte.

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