Jeder darf so sein, wie er will. Auch seltsam. Auch
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Jeder darf so sein, wie er will. Auch seltsam. Auch
4 Fragen an die Höhner 1. Als Band haben Sie bereits den Durchbruch geschafft. Wann dürfen wir mit akrobatischen Tanzeinlagen à la Funkemariechen rechnen? Die gibt es doch schon längst – wenn auch nicht à la Funkemariechen – aber im Rahmen unserer Höhner-Rockin‘Roncalli-Show sind die einzelnen Höhner durchaus mit zirzensisch/artistischen Einlagen zu erleben. In diesem Jahr übrigens wieder jeweils zwei Wochen lang in Mainz und in Koblenz im Zeitraum Mai/Juni 2012. 2. Das diesjährige Motto „Jedem Jeck sing Pappnas‘“ bringt so seine Problemchen mit sich: Bützen mit sperriger Pappnas‘ ist ziemlich kompliziert. Welche Tipps können Sie geben? Wo ein Wille ist – da ist auch ein Weg! Grundsätzlich empfehlen wir die weichen Schaumgummipappnasen…. 3. „Die Karawane zieht weiter“ sorgt Jahr für Jahr für enorme Umsatzschübe in den Kaschemmen. Wie viele Präsentkörbe und Dankesbriefe haben Sie bisher schon von den kölschen Brauereien bekommen? Gute Frage! Die erstaunte Antwort lautet: Wir haben bislang nicht einmal den Ansatz eines Dankeschöns bekommen. Hoffentlich liest nun ein barmherziger Brauereibesitzer diese Zeilen und erkennt daraufhin „unseren wahren Wert“! 4. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Lieber einen baldigen Champions-League-Sieg des FC oder Platin für‘s nächste Album? Natürlich den Champions-League-Sieg (übrigens ein schönes, melodiöses Wort)! …und danach Platin für die FC-Hymne! 04 • Kölner Rosenmontagszeitung cr-alaaf_h_0405.indd 1-2 Die Pappnase steht jedem An Karneval wird sie ganz deutlich: Die Fähigkeit des Kölners, Unterschiede einzuebnen. Hinter einer roten Nase kann jeder Jeck so sein, wie er wirklich ist. Oder sich fühlt. Jeder darf so sein, wie er will. Auch seltsam. Claudia Lehnen Sollte es Aussicht auf den Weltfrieden geben, ne Steuerprüferin oder treusorgende Mutter. er wird in dieser Stadt beginnen. Wahrschein- Sondern vielleicht mal so beschwingt wie ein lich am frühen Abend von Weiberfastnacht, Tanzmariechen, so cool wie ein Cowboy in der irgendwo zwischen Chlodwigplatz und Ro- Prärie, so mutig wie ein Eisbär, so niedlich wie onstraße. Schunkelnde Jecken, singende ein Kätzchen, so verrucht und sexy wie eine Massen, ja. Aber unter der hemmungslosen Teufelin. Und was könnte die Schwelle zur Oberfläche blitzt sie immer wieder auf, die- Identitätserweiterung niedriger machen als se sagenumwobene Fähigkeit der Menschen eine Maske, eine Verkleidung, hinter der es dieser Stadt, Unterschiede einzuebnen. Sie uns leichter fällt, den Alltag abzustreifen. Wir nicht wichtig zu nehmen. Jeden so sein zu las- können aus der Rolle fallen, die uns im Rest sen, wie er ist, wie er eben des Jahres in eine bestimmsein will. Außergewöhnlich. te Schublade zwängt. Wir „Es verlassen an Seltsam. Wunderlich vielWeiberfastnacht Teebeutel können ausbrechen aus den leicht. Mit einer SchweinsZwängen der durchorganidas Haus, um mit genase aus Plastik im Gesicht. sierten Welt. Wir können Eischuppten Meerbrassen genschaften ausprobieren, Mit Piratenhut auf dem schütteren Haar. Mit lächerdie wir an uns mögen, die zu zu tanzen.“ lichen Pippi-Langstrumpfleben uns aber die Etikette Zöpfen oder nichts als Krankenschwester- und der Ernst des Lebens sonst verbieten. strapsen über den nackten Beinen bei drei Wer eine Pappnase trägt, muss nicht mehr Grad Außentemperatur. „Jedem Jeck sing seriös sein. Er kann so albern sein, wie man Pappnas“, wie das Sessionsmotto es in die- mit einer Pappnase ohnehin schon aussieht. sem Jahr verspricht. Kollektive Entgrenzung. Geschwisterliche Ekstase. Jeder feiert mit Natürlich lässt der Wunsch nach individueller jedem. Ob du Geld hast, ist egal, schließlich Verkleidung an Karneval auch Einfallsreichbist du auch Kölle. Selbst wenn du aus Pul- tum zu, der über rote Knollennase und einheim kommst, dem Schwarzwald oder der geschweißte „Sexy Hexe“ aus dem Kaufhaus Türkei und mal ein ganz anderer sein willst. hinausgeht. Es verlassen an Weiberfastnacht Kein Bürokaufmann, kein Familienvater, kei- Teebeutel das Einfamilienhaus, um mit ge- schuppten Meerbrassen zu tanzen. Niemand wundert sich, wenn er USB-Sticks in grauen Stoffschläuchen sichtet, die eine menschengroße Tüte Pommes rot-weiß angraben. Auch hier gilt in Köln in diesen Tagen: Erlaubt ist, was gefällt. An Karneval leben die Jecken nach dem Grundsatz: Auch Marienkäfer, die ihre Figur mit einem unvorteilhaft rundlichen Kostüm noch unterstreichen, werden nach Möglichkeit nicht ausgelacht, sondern im Sinne des Weltfriedens gleichberechtigt mit Marilyn Monroes und einer ganzen Freundinnengruppe von Squaws zu einem „Drink doch eene met“ untergehakt. Bei allem Frohsinn hat die Verkleidung auch politische Aussagekraft. Als der Stadtrat 2008 die Volkssitzung auf dem Neumarkt verhinderte, brachte das Festkomitee den Widerstand in seiner Maskerade zum Ausdruck: Alle Pappnasen waren auf einmal schwarz. Massenhaft tauchten sie in der Stadt auf, eine Volksbewegung der schwarzen Nasen. Die Erfolg hatte. Der Stadtrat ließ die Volkssitzung auf dem Neumarkt schließlich wieder zu. „Jedem Jeck sing Pappnas“ – das Motto für 2011/12 hatte in seiner freiheitlichen Gesinnung schon damals Bestand. Auch dicke Marienkäfer werden untergehakt. Ein Text von Günter Otten Wer Pappnase trägt, muss nicht seriös wirken. Die schwarze Pappnase hatte politischen Erfolg Kölner Rosenmontagszeitung • 05 20.01.12 18:58