im auge des betrachters

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im auge des betrachters
n r . 2 i J U NI - AU G U S T 2 0 1 3
IM AUGE
DES
BETRACHTERS
Wie sieht Schönheit aus?
BRILLE MACHT SEXY
BLIND UND ÜBERS AUSSEHEN HINWEG
HAZ LIVE: NEUER WIND BEI SPOT25
Die
Macht
Visuellen
Feiert
unddes
macht
mit!
----------------------------Fabien GyselBei
----------------------------Es ist omnipräsent
und allmächtig:
Bewerbungsgesprächen
oder Businesslunchs, bei Dates oder der Partnerwahl, beim Chatten oder im Ausgang spielt das Aussehen eine wichtige, ja entscheidende Rolle. Manche schätzen es als völlig überbewertet ein.
Dennoch, wer sieht, kann sich vom Aussehen nicht einfach entziehen. Schon der erste Blick, morgens in den Spiegel, ist von
Gesellschaftsregeln und eigenen Erwartungen geprägt. Ob bei
Fashion Victims, Modemuffeln oder Hipsters, die Sprache der
Ästhetik ist allgegenwärtig – und mit ihr auch die Frage nach
der Schönheit, welche gleich viele Definitionen wie Betrachter kennt. Alle sind davon betroffen, auch die Gestalter und die
Leser der gelungenen neuen HAZ-Webseite.
Alle? Nicht ganz. Als blinder Mann erklärt Thomas in diesem
Heft, weshalb Schönheit nicht zwingend mit dem Aussehen verbunden ist. Er führt uns in eine Welt, wo andere Sinne beim
Kennenlernen und Flirten entscheidend sind. Sinne, die bei
vielen Leuten unter dem Druck des Visuellen zu kurz kommen.
Für die Hälfte der Menschheit ist ausserdem das genaue Hinschauen ohne Glaskorrektur unmöglich. Vor einigen Jahren galt
eine Brille noch als einen Liebeskiller. Heute ist sie sexy geworden. Wie es zu dieser spektakulären Wende kam und inwiefern
Schwule sie ermöglicht haben, erzählt in den nächsten Seiten
das Inhaberpaar der Kalkbreite Optik, Hansjörg und Roland.
Das Leben eines schwulen Models, der Unterschied im Auftritt
von Lesben und Schwulen und eine Reise durch die männlichen
Schönheitsideale im Laufe der Zeit sind weitere Aspekte unserer Sommerthematik.
Als einer der Leiter der Jugendgruppe spot25 kümmert
sich Marco Fritschi zielstrebig um ganz andere
Realitäten: Coming-out, hohe Suizidversuchsrate
bei jungen Schwulen und Rolle der Schule in der
Akzeptanz von Homosexualität stehen hier im
Vordergrund. In einem Interview schildert er die
Situation und Bedürfnisse der Jugendlichen, die
in einer heteronormierten Welt „anders lieben“.
Möge die jüngere Generation die vollständige
Gleichstellung von morgen gestalten.
Fabien Gysel
Chefredakteur
HAZ-Vorstand
Inhalt
Modehype
07 Schwule Vorreiter
08 Schön von Beruf
10 Schönheit ohne Betrachter
13 Dicklich war auch mal sexy
14 Coole Shirts fürs lesbische
Aussehen
15 Unsere neuen Visitenkarten
03 Die Lustvolle Brillenära ist kein
Die Kolumne von Anna Sophie
Wendel
16 DVD-Tipp: Tomboy und
Ma vie en rose
18 Buchtipp: The Line of Beauty
20 Musiktipp: Hugh Laurie
21 HAZ Live mit Marco Fritschi:
15 Agenda
Zielstrebig mit spot25
impressum Nr. 2 / Juni 2013 HAZMagazin, HAZ, Postfach 3121, 8021 Zürich [email protected] Redaktionsteam: Karin Grundboeck, Fabien
Gysel, Serge Kuhn, Marguerite Meyer,
Martin Mühlheim, Alex Rudolf, Michi
Rüegg Lektorat: Tina B. Zimmermann
Fotografen: Lorenz Cugini, Markus
Tschaggelar Cover: Fotolia.de Illu­
strationen/Layout: Brigitte Schüepp mit
navneloes.ch Aufl.: 2000 Ex. Nächste
Nummer: Ende September 2013 Redak­
tionsschluss: Mitte September 2013
Kontakt Inserate: [email protected]
Inse­
rate-Annahmeschluss: Mitte September
2013 Druck: ROPRESS Zürich (klima­
neutral) Homepage: www.haz.ch
l Die Macht des Visuellen l
Die lustvolle Brillenära ist
kein Modehype
----------------------------- Von Fabien Gysel -----------------------------
Brillen helfen nicht nur beim Sehen. Immer mehr werden sie zu einem Trendaccessoire, welches das Aussehen lustvoll mitgestaltet oder sogar aufwertet. Auch gut sehende Fashion
Victims greifen dazu. Früher eine Krücke, heute sexy? „Absolut!“, betonen Hansjörg Blaser
und Roland Wey, die in Zürich seit zehn Jahren ihren gemeinsamen Familienbetrieb, die
Kalkbreite Optik, führen. Ein stilsicheres Paar, das sich dennoch keineswegs als Berater für
kurzlebige Modehypes sieht.
„D
ie Leute haben gemerkt,
dass das Brillentragen
nichts Dramatisches ist sondern
Spass macht und sie damit mit
ihrem Image spielen können“,
fasst Hansjörg zusammen, um
den Trend zu erklären. „Mit
der starken Präsenz einer Brille
im Gesicht kannst du, je nach
Kontext, in eine andere Rolle
schlüpfen“, fügt der lebens­
frohe Optikermeister mit grosszügigem Bart hinzu. Gesagt,
getan: während des Interviews
wechselt er laufend die Brille,
um den Fotografen zu verwirren. Insgesamt besitzt er etwa
zehn davon, stellen wir lachend
fest.
„Je nach Situation, Laune, Wetter oder Jahreszeit trägt man
andere Kleider – dasselbe tue
ich auch beim Brillentragen“,
kommentiert Hansjörg (50) in
aller Selbstverständlichkeit. Aus
dem Munde eines von Kopf
bis Fuss so modischen Herrn
könnte der Vergleich nicht besser klingen. Kurz: Was für die
Klamotten stimmt, gilt auch
fürs Nasenfahrrad. Man habe ja
nicht unbedingt Lust, an einer
Party die gleiche Brille wie bei
der Arbeit zu tragen.
l Die lustvolle Brillenära ist kein Modehype l
Hansjörg Blaser
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 3 l
gestell ist dieses Ziel schon fast
erreicht“, erklärt Roland (51)
wie ein Imageberater.
Früher war dieses Wechselspiel undenkbar. Damals habe
man sich eine einzige Brille
für Jahre gekauft, erinnert das
Duett. Das Stück war verhältnismässig viel teurer als heute
und dessen Qualität ausschlaggebend, weil man es lange
austragen musste. Man wechselte das Gestell meistens
erst dann aus, wenn es kaputt
ging. Seit 50 Jahren sei der
Brillenpreis stabil geblieben –
die Löhne und die Kaufkraft
sind hin­gegen gestiegen. Nun
könne man sich eine zweite
oder sogar mehrere Brillen
leisten.
Das schlechte Vorbild:
Justin Bieber
Roland Wey und Hansjörg Blaser
Geschäftsfrau und „Girlie“
So könne sich beispielsweise
eine Anwältin, je nach Bril­
lenwahl, in ein flirtendes Pariser „Girlie“ verwandeln oder
in eine taffe Geschäftsfrau,
beschreibt Hansjörg etwas überspitzt. Sein Partner bestätigt
und erzählt aus dem Ladenalltag: „Eine junge Lehrerin kam
mal zu uns und erklärte, sie
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Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
müsse gegenüber den Schülern streng wirken, weil die
Teenager sie sonst nicht ernst
nähmen. Wir haben dann mit
ihr die passende Brille aus­
gesucht.“ Die Kalkbreite Optik
zähle auch junge Geschäftsprüfer zu ihrer Kundschaft,
die kompetenter wirken wollen. „Mit einem klassischen silbrigen oder goldenen Brillen­
Begeistert erzählt das Männerpaar, wie stimulierend sich diese
Veränderungen und die neue
Wertschätzung, welche Brillen heute geniessen, auf ihren
Beruf ausgewirkt haben. Als
das Stichwort „Hipster“ fällt,
ist jedoch der Spass für Roland
vorbei. Der Kaufmann und Vermarkter erwähnt das „ganz
schreckliche Beispiel“ von Justin
Bieber: „Plötzlich setzt er sich
eine überdimensionale NerdBrille auf, obwohl er keine
Korrektur braucht. Das ist eine
Art Verkleidung, die über das
Ziel schiesst.“ Denn verkleiden wollen unsere humorvollen Gastgeber ihre Kunden
nicht. „Wenn Leute nur aus
rein modischen Gründen zu
uns kommen und wie Justin
l Die lustvolle Brillenära ist kein Modehype l
Bieber aussehen wollen, dann schicken wir
sie zu H&M, wo sie eine Fake-Brille kaufen
können. Das klingt vielleicht arrogant – wir
müssen aber unseren Berufsethos wahren und
sowohl zur verkauften Brille als auch zum Brillenträger stehen können.“
Modehype, nein – stilvoller Trend, ja: So könnte
man die individuelle Beratung im Laden an der
Badenerstrasse zusammenfassen. „Wir besuchen die grossen Brillenmessen in Europa und
kaufen das Trendigste ein, zum Teil auch bevor
es hier zum Trend wird“, betont Roland in
bester werberischer Manier.
schmunzelt Roland und schaut
seinen Mann an: „Es braucht
manchmal Überzeugungskraft,
wenn Hansjörg eine nun wieder trendige Brille nicht im
Laden haben will, weil er früher
davon übersättigt worden ist.“
Am beliebtesten aber bleibe
nach wie vor der zeitlose klassische Stil, der schon vor 10
Jahren und in den 80er-Jahren
beliebt und damals schon ein
Revival der 50er-Jahre war.
„Das, was gestern schön war,
Metall meldet sich zurück
ist es heute noch und wird es
Was liegt denn im Trend? „Die Metallbrille auch morgen sein“, so Roland.
meldet sich zurück“, sieht der Vermarkter vor­
aus. Brillen à la Helmut Kohl, die früher als Linsen nur noch als Ergänbieder wahrgenommen worden sind, würden zung?
nun beliebt bei den Jungen, die diese Zeit nicht Trend hin oder her, jeder zweite
erlebt haben. „Beim Einkaufen müssen auch Kunde kommt mit einer vorgewir manchmal über unseren Schatten springen“, fassten Vorstellung, wie seine
Wir müssen
zur Brille
und zum
Brillenträger
stehen
können
Werbebild von Coblens
l Die lustvolle Brillenära ist kein Modehype l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 5 l
Sie fühlen
sich besser
und wirken
selbstbewusster
Brille aussehen sollte, beobachtet Roland. Nicht jeder kann
aber alles tragen. Aus technischen und ästhetischen Gründen ist ein grosses Gestell aus
den 80ern für eine besonders
starke Korrektur ungeeignet.
Oft seien die Kunden aber
darüber überrascht was ihnen
gut steht. „Viele gehen mit
einer Brille aus dem Laden,
die sie sich zu tragen nicht
zu­
getraut hätten und haben
Freude daran. Sie fühlen sich
besser und wirken selbstbewusster. Das ist unsere Auf­
gabe“, schildert er mit Genugtuung.
Man solle aber deswegen nicht
glauben, dass das brillenfreie
Aussehen nun völlig out wäre.
„Es gibt immer noch viele
l 6 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Leute, die finden, eine Brille zu tragen verunstalte sie. Linsen-Onlineshops
haben einen Riesenerfolg“, betont Roland.
Hansjörg relativiert: „Heute tragen immer mehr
Leute beides, ob zu Hause oder draussen. Früher
war man noch viel eher entweder bebrillt oder
ein Linsenträger, der seinen Augen zuliebe eine
Stunde pro Tag eine Brille getragen hat.“
Damals sei auch er Linsenträger gewesen.
Heute benutzt er die Linsen nur noch beim
Sport oder am Strand, wo er sich dazu eine
unkorrigierte Sonnenbrille aufsetzt.
Modeboutiquen: die neue Konkurrenz
Das friedliche Zusammenleben von Brillen und
Linsen setzt voraus, dass das lustvolle Brillentragen ein nachhaltiges Phänomen bleiben
wird. Nicht nur zum Vorteil der Optiker. „Heute
verkaufen nämlich auch schon Kleiderläden
Korrekturbrillen, die von Fashionlabels in
Zusammenarbeit mit Glasherstellern produziert
werden. Angepasst wird die Brille natürlich
nicht und die Gläser dazu sind die einfachsten,
l Die lustvolle Brillenära ist kein Modehype l
aber mit deren Preis können wir nicht konkur- Discounter stattgefunden. Das Sortiment von
renzieren“, bedauern unsere Fachmänner.
Fielmann in Zürich könnte die Nachfrage der
ganzen Stadt abdecken!“ Dank seiner TrendniWenn man ihn naiv nach der Umsatzsteigerung sche und seinen qualitativ hochstehenden Profragt, welche die Kalkbreite-Optik dank dem dukten läuft es dem schwulen Familienbetrieb
Brillentrend erreicht haben soll, schaut Roland dennoch gut: „Die meisten Leute schätzen, dass
konsterniert: „Es gibt viel weniger Optiker­ wir unseren Job 'leben' und sie mit uns auch über
geschäfte als noch vor zehn Jahren! Es hat eine Privates reden können.“
Verlagerung zugunsten der Grossbetriebe und
Schwule Vorreiter
----------------------------- Von Fabien Gysel -----------------------------
Der Brillenboom hat vieles den einst belächelten „Tucken“ zu verdanken, stellt Hansjörg
Blaser fest. Dank ihrer Art, alles etwas zu überspitzen und oft anzuecken, haben sie das
Brillentragen modetauglich gemacht. Eines der besten Beispiele dafür war Elton John, der in
den 70er Jahren angefangen hat, verschiedene extravagante Modelle zu tragen.
„Die Modestylisten, von denen
die meisten schwul sind, haben
vor ein paar Jahren plötzlich
ihren männlichen und weibli­
chen Models Brillen aufgesetzt“, bestätigt Roland Wey.
In seinem Film „The Single
Man“ hat der schwule Regis­
seur Tom Ford noch den letzten Schubs gegeben, um den
Trend des Retro-Revivals grosszügig zu verbreiten, ergänzt
sein Partner.
Elton John in den 1970ern
„F
ür jedes seiner Bühnenkostüme gab es eine
andere Brille“, erinnert sich der
Optiker. Der englische Sänger
gehört zu den extrovertierten
„Promischwestern“, die den Leuten einfach zeigen wollten,
dass es sie gibt. „Diese Figuren haben den anderen Schwu-
l Schwule Vorreiter l
len in verschiedenen Bereichen den Weg geebnet“, meint
Hansjörg. Sie hätten es ermöglicht, dass danach auch „Normalo-Schwule“ angefangen
haben, spezielle oder mehrere
Brillen zu tragen, bevor dann
die Heterosexuellen unter schwulem Modeeinfluss soweit waren.
Schwule Kunden zählt die Kalkbreite Optik selbstverständlich
viele. „Von ihnen alleine könnten wir aber nicht leben“, betont Roland, der sich über
die langjährige Treue der Kundschaft freut. „Die ModelabelTanten kommen hingegen nicht
zu uns.“
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 7 l
Schön von Beruf
----------------------------- Von Michi Rüegg -----------------------------
François Schoders Körper hat so manches Hochglanzmagazin geziert, sein Gesicht blickte
von Plakatwänden auf der ganzen Welt. Der junge Schweizer ist Model. Und er liebt den Job,
auch wenn er mittlerweile noch einen anderen hat.
stil hat ihm gefallen. „Aber so
glamourös, wie es klingt, ist es
nicht“, meint François.
Fotos, Fotos, Fotos
François Schoders
M
Never
fuck
the company
l 8 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
odel zu werden sei schon immer sein
Wunsch gewesen, sagt François Schoder.
Trotzdem liess er sich Zeit, nachdem er mit
achtzehn auf der Strasse von einem Agenten
angesprochen wurde. Erst ein halbes Jahr später
rief er die Nummer auf der Visitenkarte an. Das
war vor bald zehn Jahren. Heute ist François
27, und seit einem Jahr ist Model nur mehr ein
Nebenberuf. Jahrelang hat er davon gelebt, und
das auch nicht schlecht. „Ich war längere Zeit
in Mailand, London, Los Angeles und Barcelona“, sagt der gebürtige Aargauer. Der Lebens-
Die erste Zeit als Model rennt
François von einem Fotografen zum nächsten. Die machen
Bilder, eine Gage erhält er
aber nicht. Dafür kann er die
Fotos von sich verwenden.
Jedes gute Bild erhöht die
Chance, gebucht zu werden.
Nach kurzer Zeit wechselt er
die Agentur, trifft schliesslich
denjenigen Agenten, „dem ich
alles zu verdanken habe“, wie
François sagt.
Bereits nach drei Monaten wird
er für die erste nationale Kampagne der Kleiderladenkette
Companys gebucht. Irgendwann
entdeckt er sich selbst auf einem
25 Meter hohen Plakat an
der Zürcher Bahnhofstrasse:
„Das Gefühl kann man nicht
beschreiben.“
In Mailand lässt er sich daraufhin für Diesel Underwear
ablichten. Die Arbeit macht
ihm Spass, er fühlt sich wohl
im Team. „Ich hatte nie das
Gefühl, schlecht dargestellt zu
werden“, so François. Egal in
welcher Stadt, der Tagesablauf
gleicht demjenigen eines Büroangestellten. Von morgens bis
abends geht man an Castings.
Erst wenn man gebucht wird,
l Schön von Beruf l
kommt der Auftrag, und dann die Kohle.
Wieviel? „Och, von 300 bis...“ – Tausende? –
„Ja, unter Umständen.“
Hungern ist Frauensache
Mit 181 Zentimetern gehört er eher zu den kleineren männlichen Models. Bei Anzügen trägt
er Grösse 46, beim Rest meist S. Für Fotos sei
das weniger ein Problem, wenn schon spiele die
Grösse für den Laufsteg eine Rolle. Dort sollte
man 185 oder 186 Zentimeter messen. Das war
für François nie ein Hindernis, trotzdem steht
er lieber vor der Kamera als auf dem Laufsteg.
Die Entbehrungen dafür halten sich in Grenzen:
„Als Mann musst du in der Regel nicht hungern,
im Gegensatz zu den Frauen“.
François trainiert wenig und muss beim Essen
nicht auf sein Gewicht achten. Er ist quasi von
Natur aus schön. Ein grosser Vorteil. „Viele der
Frauen nehmen Drogen, auch um das Hungergefühl zu unterdrücken“. Also stimmt das Klischee doch, Mode, Drogen, kaputte Existenzen?
„Viele Leute kommen aus schwierigen Fami­
lienverhältnissen“, sinniert er. „In Mailand habe
ich viele junge Leute ohne unsere Wertvorstellungen kennengelernt. Die haben nichts zu verlieren.“ Er selber habe sich von diesen Kreisen
distanziert. „Ich trinke nicht mal Alkohol, meine
einzige Droge ist die Zigarette.“ Und musste
er schon mal für einen Auftrag etwas gar
intensiv mit einem Kunden flirten? „Nein, mein
Grundsatz war immer: Never fuck the com­
pany. Daran habe ich mich gehalten“, insistiert
François.
Mit 26 in Teilpension
Vor rund einem Jahr zog er sich teilweise zurück
aus dem Job. Nach drei Jahren Beziehung mit
einem Piloten sehnten sich beide nach etwas
geordneteren Verhältnissen. „Ich habe die Familie und meine Freunde vermisst und wollte nicht
immer nur allein sein“, so François. „Nun arbeite
ich in einem Reisebüro und modle nur noch
nebenher.“ Aber auch das mache ihm Spass.
„Ich will noch viele Jahre weitermachen.“ Geht
denn das? Man wird ja schliesslich auch älter?
l Schön von Beruf l
„Bei Männern ist die gute Zeit, wenn du ganz
jung bist und dann wieder ab 30.“ Einige männliche Models seien bereits 45 oder älter. Und
er sehe sowieso jung aus, findet François. Später will er auch wieder hauptberuflich vor die
Linse.
Moment, wie war das vorhin? War François
denn wirklich immer allein, bei all den schönen
Männern, die ihn umgeben haben? „In diesem
Milieu macht man sich keine Freunde“, meint
er lapidar. „Man ist kein Mensch, sondern eine
Ware. Viele Junge werden deswegen depressiv“, findet François: „Ich liebe Fashion, aber
das Drumherum muss ich nicht haben.“ Und,
wollen wir wissen, ist denn von den Gagen
auch etwas übriggeblieben? Versoffen hat er sie
schliesslich nicht. „Ja, natürlich ist noch etwas
davon übrig.“ Mehr erfahren wir nicht.
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 9 l
Schönheit ohne Betrachter
----------------------------- Von Martin Mühlheim -----------------------------
Man spricht vom Aus„sehen“ und behauptet, Schönheit liege im Auge des Betrachters. Fürs
HAZ Magazin beschreibt Thomas Moser, was er als Blinder an einem anderen Mann schön
findet – und welche Macken von Sehenden ihn bisweilen verwundern.
W
Man ist ja
nicht nur mit
den Augen
schwul
l 10 l
enn ein(e) Sehende(r) die Wohnung
von Thomas Moser betritt, fällt ihm oder
ihr wohl als erstes die CD-Sammlung auf, die
sich eine ganze Wand entlang vom Boden bis
zur Decke erstreckt. Die verschiedensten Stilrichtungen finden sich hier, wobei – wie Thomas
erklärt – der Schwerpunkt bei klassischer
Musik liegt und Pop oder Rock nur einen kleinen Teil der Sammlung ausmachen, „also etwa
500 CDs.“ Thomas hört sich Musik allerdings
nicht nur an: Er ist zwar hauptberuflich Korrektor bei der Schweizerischen Bibliothek für
Blinde, Seh- und Lesebehinderte (www.sbs.ch),
aber auch ausgebildeter Musiker und Sänger
und reist deswegen immer wieder mal in ferne
Länder.
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Musik und Geräusche
Ob er auch sonst gern reise?
Für viele sei Reisen fast gleichbedeutend mit „Sightseeing“ –
und das komme für ihn, Thomas, natürlich nicht in Frage.
Ausserdem reise er zwangsläufig langsamer als Sehende,
da er gerade in einer unbekannten Umgebung immer wieder
auf Hilfe angewiesen sei. Auch
deswegen komme er aber vielleicht leichter mit Einheimischen in Kontakt, denn zum
Glück sei Hilfsbereitschaft fast
überall vor-handen. Kurz, er
l Schönheit ohne Betrachter l
reise gerne und geniesse die
neuen Eindrücke: Gerüche,
Geräusche, fremdsprachiges
Stimmengewirr – wer bloss
von einer „Sehens“würdigkeit
zur nächsten renne, verpasse
einiges.
das Überrascht- oder Überfordertsein thematisiere – und er
frage sich manchmal, ob wir
generell in einer Welt leben,
in der es schwierig geworden
ist, zu Unzulänglichkeiten und
Unsicherheit zu stehen.
Für Thomas trifft letzteres auch
auf den Umgang mit Mitmenschen zu: Er staune beispielsweise beim Chatten immer
wieder, wie viel Bedeutung
Fotos beigemessen wird; ein
einziger Blick genüge manchen, um über andere ein
definitives Urteil zu fällen. Ob
Sehende denn grundsätzlich
oberflächlicher seien? Nein,
wehrt Thomas ab, das könne
man so nicht sagen, und es
sei ja auch nicht schlimm, wenn
man ersten Eindrücken ein
gewisses Gewicht gebe. Erlösche aber nach dem Zustellen
eines Fotos das Interesse am
bisher spannenden Gespräch
plötzlich, dann verwundere ihn
das schon.
Ob es andere Aussagen oder
Verhaltensweisen von Sehenden gebe, mit denen er manchmal Mühe habe? Eine Frage,
die ihn jeweils erstaune, sei:
„Wie weisst du denn, dass du
auf Männer stehst, wenn du
doch nichts siehst?“ – „Man
ist ja nicht nur mit den Augen
schwul,“ erwidere er darauf in
der Regel, was meist auch verstanden werde.
Köstliche Düfte und schöne
Stimmen
Gerüche beispielsweise seien
ja nicht nur für Blinde zentral; auch Sehende nehmen
sie wahr, vielleicht weniger
bewusst, aber wichtig sind sie
für alle: Nicht umsonst heisst
es, dass Menschen, die sich
verstehen, einan­der gut riechen
können. Ebenso wichtig sei
die Stimme – Tonlage und
Lautstärke sowie kleine Stimmungsnuancen, für die er,
Thomas, wohl ein besseres
Gehör habe als die meisten
Sehenden: „Ich bin schliesslich im Umgang mit Menschen
darauf angewiesen, da ich das
Befinden meines Gegenübers
Ein wenig überfordert
Gefragt, wie Männer rea­gieren,
wenn sie von seiner Blindheit
erfahren, wird Thomas nachdenklich. In seinem Onlineprofil stehe das nicht, und wenn
er es dann bei­
spielsweise im
Tele­fongespräch erwähne, gebe
es unterschiedliche Reaktionen:
Die einen gestehen offen ein,
dass sie überfordert sind, andere geben vor, es mache keinen Unterschied, werden aber
plötzlich befangen oder klemmen das Gespräch nach einer
Weile ab. Ihm sei es, ehrlich
gesagt, lieber, wenn jemand
l Schönheit ohne Betrachter l
Thomasʼ CD-Sammlung
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 11 l
Ob ihn angesichts dessen die Redewendung
störe, die da behauptet, Liebe mache blind?
Thomas verneint, denn gemeint sei damit eine
andere Blindheit, die nichts mit den Augen zu
tun habe; er wisse, auch aus eigener Erfahrung, dass die Liebe – oder vielleicht besser:
das Frisch-Verliebtsein – dem Urteilsvermögen
manchmal abträglich sei, was allerdings nichts
an der Schönheit solcher Gefühle ändere.
Ehrlichkeit und Respekt
Wenn wir beim Thema Liebe sind: Wir reagieren die Leute, wenn sie erfahren, dass Thomas
schwul ist? Familie, Freunde, Bekannte –
alle wüssten mittlerweile, dass er auf Männer
stehe, und wer ihn neu kennenlerne, der würde
es recht bald erfahren; ein Versteckspiel gebe es
für ihn hier nicht.
Thomas Moser
nicht vom Gesicht oder von Gesten ablesen
kann.“ Ausserdem höre man, wenn jemand
gehe, sich setze, an die Türe klopfe oder
einen Gegenstand abstelle, ob diese Person
grob oder eher scheu, ausgelaugt oder überschwänglich sei. Zu guter Letzt sei, ganz
einfach, das Gespräch zentral, ob dieses
nun verbal oder über Berührungen ablaufe:
„Wenn’s stimmt, können Hände ganze Dialoge
führen.“
Von seinen Mitmenschen würde sich Thomas
manchmal einen ähnlich offenen Umgang wünschen, wenn es um seine Behinderung und ihre
Reaktion darauf geht: Unangenehme Gefühle
solle man ansprechen, und wer eine Frage habe,
solle sie stellen; es gebe nichts Mühsameres,
als einen Wall von Zurückhaltung um sich zu
spüren – ausser vielleicht jene Übereifrigen,
die nicht fragen, ob Hilfe gebraucht wird, sondern Behinderte wie Kinder behandeln: „Wenn
sie sehen, dass ich blind bin, sehen sie plötzlich nichts anderes mehr.“ Sagt’s und lächelt
plötzlich verschmitzt: „Zum Glück haben auch
Blinde einen Sinn für Humor.“
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Dicklich war auch mal sexy
----------------------------- Von Serge Kuhn -----------------------------
Von welchem Typ Mann träumte der schwule Neandertaler-Jüngling? Der alte Abt im
Mittelalter hinter den Mauern seines Klosters? Oder der europäische Auswanderer auf hoher
See? Wir können es nur erahnen – und vermuten, dass die bekannten schwulen Künstler, die
damals Männer abbildeten, einigermassen dem Zeitgeist zudienten.
G
rundsätzlich gilt, dass von
einer Gesellschaft zumeist
als schön empfunden wird, was
Erfolg verspricht oder ausdrückt. Die Statuen der Antike
zeigen athletische Männerkörper, aber nicht typi­scherweise
sehr muskulöse Kerle. Chris
Smith erklärt dies im schwulen Geschichtsblog „The Macaronis“ (als „Macaronis“ wurden im England des 18.
Jahrhunderts junge modisch
gekleidete Männer bezeichnet)
mit den Erfordernissen der
Kriegsführung: In der Antike
war Geschwindigkeit wichtig,
gekämpft wurde in leichter
Rüstung.
Wert des Seltenen
Ganz anders im Mittelalter.
Die Ritter mussten nun breite
Schultern und kräftige Nacken
aufweisen, um sich in den
schweren Rüstungen überhaupt
bewegen zu können. Rugby­
spieler der Gegenwart hätten
also auch im Hochmittelalter bei Schwulen mutmasslich
punkten können.
Im späten Mittelalter, einer krisenhaften Epoche mit Kriegen,
Seuchen und Hungersnöten,
waren wohlgenährte bis dick­
liche Männer gefragt, wenn
auf die Künstler der damaligen Zeit Verlass ist. Hier
l Dicklich war auch mal sexy l
zeigt sich eine zweite generelle
Ten­denz des Schönheitsempfindens: Begehrt ist üblicherweise,
was selten ist. Es ist auch
kein Zufall, dass Jugendlichkeit
gerade in den westlichen Ländern der Gegenwart mit ihrer
hohen und steigenden Lebens­
erwartung so positiv konnotiert
ist.
Wer damit hadert, dass auf dem
aktuellen Fleisch- und Liebesmarkt die Jüngeren und Schlankeren besser ankommen, sollte
sich die Alternative vor Augen
führen: Wenn es von Jungen
und Fitten wimmelt und Wohlgenährte und Alte fehlen, sind
die Lebensum-stände für die
Massen meist mies.
Bezeichnend ist beim Punkt
„Wert des Seltenen“ auch eine
Beobachtung aus Finnland.
In wenigen anderen Ländern
machen Bären und deren Liebhaber einen so bedeutenden Teil
der Schwulenszene aus – wohl
kein Zufall. Gerade hier haben
viele Männer keine sonderlich
imposante Körperbehaarung.
Lob der Abwechslung
Die dritte Tendenz des Schönheitsideals ist besonders banal:
Die Abwechslung. Auf Opulenz
und Fülle wie im 17. Jahrhundert zur Zeit des Sonnenkönigs
folgt mit schöner Regelmässigkeit Strenge und schlichte
Erscheinung, auf Freude am
Bartwuchs die penible Rasur.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wechseln sich die
Idealvorstellungen in immer
schnellerer Folge ab – wodurch sie an Bedeutung verlieren und zunehmend beliebig
erscheinen. So konnte etwa
die britische Zeitung „The
Guardian“ 2003 den Mann
mit Bauchansatz als neues
schwules Idealbild vermelden.
Die einstigen Schönheitsideale
sind blossen Trends gewichen.
Mit Trends lässt sich’s leben,
irgendeinen wird man schon
mögen – und irgendeinem entsprechen.
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 13 l
Coole Shirts fürs lesbische Aussehen
----------------------------- Von Karin Grundböck -----------------------------
„Meine Kleidung unterstreicht meine Attitüde, darum haben wir T-Shirts anfertigen lassen für
die selbstbewusste Frau“, sagt Chantal Genoud, Mitgründerin des Schweizer Onlineblogs
lesbianchic.ch. Im HAZ Magazin äussert sich das Frauenteam über das lesbische Aussehen.
kel einfach nicht weit genug,
damit auch feminine Frauen als
lesbisch und männliche Männer als schwul wahrgenommen
werden durften.
A
ussehen und Style hat in
der homosexuellen Szene
eine ähnliche Bedeutung wie in
allen anderen auch: Es geht um
Status und persönlichen Ausdruck, aber auch um Akzeptanz
und Zugehörigkeit. Hört man
sich bei Lesben unterschiedlichen Alters um, war das auch
in der Vergangenheit schon
so. Prägten früher Themen wie
Feminismus, Selbstbestimmung
und Abgrenzung zur Heterowelt das Aussehen von Lesben,
will sich heute die junge Generation nicht in eine Schublade
einordnen lassen. Neben den
androgynen und sportlichen gibt
es immer mehr modebewusste
und feminine Lesben. Dank der
vielen Promis, die sich in den
letzten Jahren geoutet haben,
wurde die Pluralität von Lesben
und Schwulen öffentlich sichtbar. Früher war der Blickwin-
l 14 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Machen sich Lesben, dem Klischee entsprechend, weniger
Gedanken über Aussehen und
Style als Schwule? Mitnichten,
bei Lesben spiele das Aussehen eine wichtige Rolle, auch
wenn das manchmal nicht so
wirke, betonen viele von ihnen.
Eine Lesbe erkenne man oft
an ihrem Style. Es stecken
Überlegungen dahinter damit
alles lässig unüberlegt daherkomme.
Kommentaren, politischen und
wissenschaftlichen Beiträgen
und einem Überblick über Ausgehmöglichkeiten. Per Ende
August sind eigene T-Shirts in
dessen Online-Shop erhältlich.
Ob Frau oder Mann, Homosexuelle haben in den letzten
30 Jahren die Gesellschaft mit
ihrem Aussehen beeinflusst,
erklärt Chantal Genoud. Was sie
verbinde sei die erfolgreiche
Infragestellung der Geschlechterrollen, die sie in die Wege
geleitet haben: „Früher musste
ein Mann männlich und eine
Frau weiblich sein. Heute
dür-fen sich auch Männer
schminken und eine Frau ist
Als Frau oder Queer
nicht weniger Frau, wenn sie
Ob Lipstick Lesbian, Femmes als männlich wahrgenommen
oder Butch, die Klischees blei- wird.“
ben hartnäckig, stellt Carolin
Marie Lange von Lesbian chic Gut gekleidet reicht nicht
fest. „Ich kenne allerdings viele „Man zieht das an, was man verFrauen, die sich mittlerweile sucht zu repräsentieren. Mode
fernab von all diesem bewegen kann das Aussehen unterstütwollen. Der queere Begriff wird zen und betonen“, fügt Flora
immer moderner“, widerspricht Immler hinzu. „Beim Kensie. Allerdings sei es auch wun- nenlernen schaut man sich
derschön, sich als Frau definie- zuerst den Style an: Wie ist
ren zu können, und verschiede- die Person gekleidet, was will
nen Einstellungen gegenüber sie damit aussagen? Will sie
etwas aussagen? Mode muss
offen zu sein.
zu einem passen. Man kann
Lesbian chic wurde gegrün- gut gekleidet sein – was nicht
det, „um etwas von Femmes bedeutet, dass man gut ausfür Femmes zu schaffen“. Der sieht und umgekehrt“, relatiBlog bietet eine Mischung aus viert die Bloggerin.
l Coole Shirts fürs lesbische Aussehen l
AGENDA
Unsere neuen
Visitenkarten
Bis vor fünf Minuten habe ich insgesamt 1217
Mal eine Taste gedrückt, um 1217 PowerPointFolien mit Untertiteln für einen Film zu zeigen.
Jetzt stehe ich mit einem Drink in der Hand
vor dem Kinosaal unter den Besucherinnen
der Freiburger Lesbenfilmtage und betrachte
die Szene. Es gibt diese typische LGBT-Filmfestivalgängerin. Sie ist um die 50, hat kurze,
ungefärbte Haare und ist leger angezogen:
Jeans, ein T-Shirt und bequeme Schuhe.
Nicht nur im Schwarzwald, auch in Zürich und
Luzern treffe ich sie ständig an. Hier an den
Lesbenfilmtagen passt diese Beschreibung auf
fast alle. Ich grinse vor mich hin, so deplatziert
komme ich mir vor, nicht mehr ganz halb so alt,
mit langen Haaren (für deren Pflege ich Summen ausgebe, über die ich gar nicht nachdenken
möchte) und einem Outfit, dessen Zusammenstellung viel zu viel Zeit in Anspruch genommen hat.
Im Gegensatz zu unseren schwulen Freunden,
die sich entgegen der Heteronorm schon lange
ein strenges Schönheitsregime auferlegt haben,
scheint unsereins zwar noch immer grösstenteils auf allgemein anerkannte Schönheits­ideale
zu pfeifen. Und trotzdem: Wenn ich mich –
ausserhalb des Kinosaals – etwas
umschaue, finde ich immer neue
lesbische Identitäten, die sich
teilweise sehr auf das Äussere
konzentrieren. Mich freut’s
– und den Herrn Joop wohl
auch, bemerkte er doch kürzlich: «Kleidung ist eine Visitenkarte und eine Form von
Höflichkeit.»
Anna Sophie
Wendel
l Unsere neuen Visitenkarten l
SZENE
FR 05.07.13
Offstream
In der Pfingstweide,
ab 23.00Uhr
SA 07.09.13
Offstream
Im Exil, ab 23.00Uhr
H A Z - C en t r o
DI 09.07.13
Spot 25
ab 19.00Uhr
FR 09.07.13
Gay: my way
ab 20.00Uhr
FR 12.07.13
FreitagsCentro
ab 19.30Uhr
O U T D OOR
SA 06.07.13
Bergwanderung in
Ducanfurga (GR)
SA 20.07.13 –
SO 21.07.13
Bergwanderung Rawilpass (BE)
DO 01.08.13 –
SA 03.08.13
Bergwanderwochenende im
Vorarlberg (Ö)
SA 17.08.13 –
SO 18.08.13
Bergwanderung FellilückeFellihorn (UR)
Details zu den Outdoor-Events und Septembertermine unter www.haz.ch/outdooraktuell.
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 15 l
Sieht so ein Mädchen aus?
----------------------------- Von Martin Mühlheim -----------------------------
Die 1980 in Pontoise (F) geborene Céline Sciamma dürfte Zürcher KinogängerInnen ein Begriff
sein: Ihr Film Naissance des pieuvres (dt: Water Lilies: Der Liebe auf der Spur) lief 2008 an Pink
Apple und war für drei Césars – die „französischen Oscars“ – nominiert. Wer dachte, besser
könne es nicht kommen, sieht sich aber getäuscht: Sciammas neuester Film, Tomboy, ist
ein psychologisches Meisterwerk – und besonders interessant im Vergleich zu Alain Berliners
Ma vie en rose.
lich als Michaël durchgeht,
muss die Hose auch entsprechend ausgefüllt sein. Aus
Knetmasse wird deshalb flugs
ein Ersatzpenis geformt, und
der Blick in den Spiegel bestätigt: So sieht bestimmt kein
Mädchen aus! Nur: Wird das
beim Herumtollen im Wasser
auch wirklich gut gehen?
Tomboy
Subtil und intim
D
ie Geschichte von Tomboy ist eigentlich simpel:
Die Kinder aus einer Wohnsiedlung irgendwo in Frankreich begegnen dem zu Beginn
der Sommerferien neu in die
Gegend gezogenen Michaël
zuerst mit leichter Skepsis,
doch schon bald nehmen sie
ihn in ihre Gruppe auf – nicht
zuletzt dank der hübschen Lisa,
die Michaël sofort sympathisch
findet und sich sogar in ihn verliebt. Das Problem: Michaël
heisst eigentlich Laure und ist
ein Mädchen.
nicht häufig zu Hause, und die
hochschwangere Mutter muss
den Grossteil des Tages liegend
im Bett verbringen. Auch ihre
kleine Schwester Jeanne lässt
Laure im Dunkeln – und schon
bald fragt man sich, wie lange
das wohl gut gehen kann.
Genau diese Frage bildet die
Grundlage für die teilweise
fast unerträgliche Spannung,
die Sciamma mit eigentlich
alltäglichen Szenen erzeugt.
Als beispielsweise die anderen Kinder Michaël/Laure zum
Baden im nahegelegenen See
Ein Doppelleben
einladen, reicht es nicht, aus
Die Eltern von Laure wissen dem Badeanzug für Mädchen
nichts von alledem: Der Vater eine Badehose für Jungs zu
ist aus beruflichen Gründen schneidern; damit Laure wirk-
l 16 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Einer der Gründe dafür, dass
man als Zuschauer derart mit
Laure/Michaël mitleidet, sind
die grossartigen Schauspielleistungen, allen voran jene
von Zoé Héran in der Hauptrolle. Hinzu kommt Sciammas
Gespür für Atmosphäre und
Details: Selten hat man den
Familien- und Kinderalltag so
unspektakulär und trotzdem
packend auf der Leinwand
(bzw. auf dem Bildschirm)
gesehen.
Tomboy macht es sich zudem
nie einfach. So gibt es keine
bösen, verständnislosen Eltern,
die dem Glück von Laure/
Michaël im Weg stehen wollen; im Gegenteil, sie sind
liebe- und verständnisvoll und
wollen, ganz offensichtlich,
für ihre Kinder nur das Beste.
Doch was ist das Beste, anl Sieht so ein Mädchen aus? l
Ma vie en rose
gesichts der Umstände? Und wie geht es nach sie vielleicht auch sein könnte. Kein Film kann
den Sommerferien weiter? Tomboy ist schlicht alleine alles leisten – weshalb man sich beide
gross­artiges Kino – und nun endlich auch auf gönnen sollte.
DVD erhältlich.
Kontrastprogramm
Schon vor einigen Jahren auf DVD erschienen, aber als Gegenstück zu Tomboy besonders
sehenswert ist Ma vie en rose (Mein Leben in
Rosarot) des belgischen Regisseurs Alain Berliner. Hauptfigur ist der kleine Ludovic, der gerne
Mädchen-kleider anzieht und sich ausmalt, wie
es wäre, den Nachbarssohn zu heiraten – was
bei den Erwachsenen in der Nachbarschaft
überhaupt nicht gut ankommt.
--------------------------------------------------------------------------Tomboy (F 2011, R: Céline Sciamma, DVD: Alamode)
Mein Leben in Rosarot (OT: Ma vie en rose, F/B/UK 1997, R: Alain
Berliner, DVD: Ascot Elite Home Entertainment – erhältlich in der
Schwubliothek)
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Bei aller thematischen Ähnlichkeit gehen die
Filme stilistisch weit auseinander: Während
Tomboy nüchtern-realistisch bleibt und uns die
Innenwelt von Michaël/Laure nur indirekt zeigt,
bietet Ma vie en rose bunt-fantastische Tagtraumsequenzen, in denen wir beispielsweise
erfahren, wie sich Ludovic sein Anderssein
erklärt. Entsprechend ist die Stimmung in Ma
vie en rose gelöster; man ertappt sich des Öfteren mit einem Lächeln auf den Lippen.
Realität und Utopie
So ergänzen sich die beiden Filme perfekt: Tomboy analysiert intelligent und sensibel die Probleme von Heranwachsenden, die sich ausserhalb
etablierter Geschlechtsbilder bewegen; Ma vie
en rose hingegen ist bewusst kindlich (manchmal sogar ein wenig kindisch) im Bemühen, die
Welt zu zeigen – nicht wie sie ist, sondern wie
l Sieht so ein Mädchen aus? l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 17 l
Schöne Männer in finsterer Zeit
----------------------------- Von Serge Kuhn -----------------------------
In einer Ausgabe, die dem Thema Schönheit gewidmet ist, drängt sich eine Besprechung
von Alan Hollinghursts preisgekröntem Roman „Die Schönheitslinie“ („The Line of Beauty“,
2004) geradezu auf. Schön ist allerdings in erster Linie, dass die Zeit, in der das Buch spielt,
vorbei ist.
Toby, Nick Guest und Wani (BBC-Verfilmung)
D
ie 1980er-Jahre waren in vielerlei Hinsicht
eine grauenerregende Dekade, insbesondere in Grossbritannien und ganz besonders
für Schwule. Es ist die Epoche, in der AIDS
ungebremst wütet und die Politik der konser­
vativen Premierministerin Margaret Thatcher
das britische Königreich umpflügt.
Als Hollinghursts Hauptfigur Nick Guest 1983
nach London zieht, sind die Schrecknisse der
Dekade allerdings noch weitgehend verborgen. Nick ist Anfang zwanzig und interessiert
sich nicht für Politik, sondern für Literatur
und Kunst, er träumt von der ersten Liebe und
schwärmt für seinen knackigen Hetero-Mit­
studenten Toby, dessen Familie er in der Folge
In der Regierungszeit der „Iron Lady“ passiert kennenlernt.
zum ersten Mal seit rund 100 Jahren wieder ein
homophobes Gesetz das britische Parlament. Detailreiche Schilderungen
Thatcher habe die Schwulen- und Lesben­ Vater Gerald Fedden ist konservativer Parla­
bewegung in Grossbritannien um Jahrzehnte mentsabgeordneter, Mutter Rachel eine schwerzurückgeworfen, sagt Schauspieler Ian McKel- reiche Dame der besseren Gesellschaft. Problelen („The Lord of the Rings“) nach dem Tod me hat vordergründig nur die Tochter, Catherine,
der Politikerin in diesem April gegenüber der die zu den spannendsten Figuren des Buches
zählt; sie ist manisch-depressiv, neigt zu reichZeitung „Mirror“.
l 18 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
l Schöne Männer in finsterer Zeit l
lich ungeeigneten Männern, hat Ausschweifende Partys
aber ein scharfes Auge für die Nach einem scharfen Schnitt
setzt die Geschichte, die von
Schwächen anderer.
der BBC 2006 zu einem TVDie Feddens, die nicht kom- Dreiteiler aufbereitet wurde,
plett verknöchert sind, lassen einige Jahre später wieder
Nick bei sich wohnen, erwar­ ein. Nick ist mittlerweile Liebten jedoch im Gegenzug, dass haber des arabischstämmigen
er Catherine beisteht. Das Geschäftsmannes Wani Ouradi.
Arrangement funktioniert vor- Die beiden lassen nichts aus,
erst nicht schlecht und lässt feiern Partys, konsumieren
Nick Raum, sich an schwules Koks in Massen und ficken mit
Londoner Leben heranzutas- etlichen Dritten. Dem Schein
ten. In Leo, einem schwarzen nach betreiben sie eine Firma.
Angestellten der Kommunal- Wirtschaftlich sind es Boomverwaltung, findet er bald einen Jahre, wenn auch auf Sand
Freund.
gebaut.
Die Welten, in denen sich
Nick und Leo bewegen, sind
gänzlich unterschiedlich. Ausgiebig schildert Hollinghurst
vor allem die gesellschaftlichen Anlässe der Oberschicht,
wobei Nick das politische und
wirtschaftliche Treiben seiner
Umgebung quasi aus Halbdistanz verfolgt. Detailreich
beschrieben werden dagegen
Möbel, Bilder und Körper, vor
allem diejenigen von Männern.
Bei den Feddens gibt sich die
„Lady“ höchstpersönlich die
Ehre, doch die Phase, in der ihr
Ehrerbietung entgegengebracht
wird, neigt sich dem Ende zu. In
der Schwulenszene macht die
Angst vor AIDS die Runde. Insbesondere im zweiten Teil entwickelt „The Line of Beauty“
einen starken Sog, was daran
liegt, dass Hollinghurst den
Lesern wie bei einer TV-Serie
Cliffhanger hinhält.
Woran ist die Beziehung von
Nick und Leo gescheitert?
Hat Gerald wirklich etwas mit
seiner Sekretärin? Auch die
Frage, welche der schwulen
Figuren das AIDS-Massaker
der späten 1980er überleben werden, drängt sich auf.
„Die Schönheitslinie“ ist keine
leichte Strandlektüre. Wer sich
an ein komplexes Epos aus
einer finsteren Zeit heranwagt,
wird belohnt: Auch mit Schönheit.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Alan Hollinghursts, Die Schönheitslinie, Blessing Verlag, 2005. (Erhältlich in der Schwubliothek)
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l Schöne Männer in finsterer Zeit l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 19 l
Doctor, please play me the Blues
----------------------------- Von Marguerite Meyer -----------------------------
Dem breiten Publikum wurde Hugh Laurie als miesepetriger, misanthropischer Arzt in der
TV-Serie Dr. House bekannt. Nun hat der Brite sein zweites Album vorgelegt, mit dem er sich
als Blues-Master beweist.
Hugh Laurie
her hat er sich in verschiedensten Filmgenres
erfolgreich ausprobiert, Romane geschrieben,
Musik gemacht und schlussendlich mit Dr. House
den kommerziellen Durchbruch gefeiert. Dass
der 54-Jährige, der einen Abschluss in Archäologie und Anthropologie von der University of
Cambridge hat, auch unheimlich gut singen
kann, bewies er spätestens mit seinem Debüt
„Let Them Talk” Anfang 2011.
Wenn der Blues mit dem Tango
O
hne Zweifel, James Hugh Calum Laurie ist
ein begnadeter Schauspieler. Seiner Rolle
als Dr. House wird er mehr als gerecht. Aber
Hugh Laurie, wie er sich beruflich seit langem
nennt, tanzt wahrlich auf mehreren, wenn nicht
allen, Hochzeiten – und er tanzt dabei irrsinnig
gut.
Tausendsassa der Bühnen
Mit seinem Comedy-Partner Stephen Fry machte
sich Laurie in Grossbritannien schon mit dem
Duo „Fry & Laurie” einen Namen, unter anderem in der bitterbösen Serie „Blackadder“. SeitTricky
False Idols
Mit Lauries zweitem Studio-Album „Didn’t It
Rain” wird klar, dass hier ein Mann mit äusserst
viel musikalischem Talent am Werke ist. Laurie, der nebst Gesang auch fünf Musikinstrumente beherrscht, reist mit uns an verschiedene
Schauplätze des Blues, der ab und an eine heisse
Affäre mit dem Tango oder einen wilden Flirt
mit dem Honky Tonk eingeht. Laurie singt
sich sarkastisch und kratzend, verzweifelt und
liebes­toll durch das reichhaltige Song-Bouquet.
Bei „Didn’t It Rain” ahnt man, dass man vom
Musiker Hugh Laurie in Zukunft sicher noch
mehr hören wird. Es ist ein Album voller
Lässigkeit, Laszivität und Schmerz – richtiger
Blues eben.
Grossstadt­
geflüster
Sigur Ros
Kveikur
Oh, Ein Reh!
Gewohnt düster und groovig,
gleichzeitig unglaublich zart. Cleaner Sound trifft Dub und Dunkelfunk. Gelegentliche optimistische Ausflüge. Für Erholungs­
suchende und Grübler. MMe
l 20 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Erfrischend, humorvoll, augenzwinkernd, skurril. Textlich und
melodisch top. Hochhüpf-Töne
und der ganz normale Wahnsinn. Für Selbstironische und
Ex-Hipster. MMe
Neue aufregende Wundertüte der
isländischen Kultband. Epische
Elegien, im Spannungsfeld zwischen Aggressivität und Elfenklängen. Für Sehnsüchtler und
Orgasmushörer. MMe
l Doctor, please play me the Blues l
Zielstrebig mit spot25
----------------------------- Ein Interview von Fabien Gysel -----------------------------
Die vor einem Jahr frisch lancierte Tankschtell heisst nun spot25, wie die frühere Jugendgruppe
der HAZ. Dabei treffen sich 20 bis 30 Jungs und Mädels pro Abend. Marco Fritschi ist einer
ihrer Leiter und seit kurzem auch HAZ-Vorstandsmitglied. Sehr engagiert spricht der 19-jährige Informatiklehrling aus Winterthur über das Neuste bei spot25, das Coming-out, die Rolle
der Schule, Suizidgefährdung, seinen eigenen Weg und den Wunsch, später Kinder zu haben.
M
arco, der Sommer ist endlich da. Hat
spot25 Grillabende geplant?
Ja, wir werden sicher einmal gemeinsam grillieren oder in die Badi gehen – es wird vom Wetter und den Wünschen der anderen abhängen.
Neben den Treffen alle zwei Wochen im HAZCentro, organisieren wir tatsächlich auch ab und
zu andere Anlässe.
Marco Fritschi
Im Frühling 2012 haben ein paar Jungs die
„Tankschtell“ selbständig lanciert. Wieso nun
der Wechsel zurück zum früheren Namen?
Es gab bereits damals Diskussionen, ob wir uns
spot25 nennen sollen. Damals hatte der alte
Name keine Mehrheit gefunden. Nachdem die
Jugendgruppe immer mehr Zuwachs erhalten
hat, haben wir uns im letzten Winter entschieden
richtig durchzustarten. In diesem Rahmen habe
ich vorgeschlagen, die Jugendgruppe wieder
umzubenennen. Unter anderem, da vielen Tank­
schtell als Name nicht zusagte – unter anderem
mir.
Wieso nicht?
Er war mir zu wenig ansprechend. Der frühere Sind auch Mädels und Biʼs bei euch dabei?
Name eignet sich einfach besser für eine Wir nennen uns bewusst eine Gender and Sexual
Diversity (GSD) Jugendgruppe. Bei uns kommen
Jugendgruppe.
auch lesbische Frauen und Bisexuelle genauso
Was hat sich sonst noch geändert?
wie Transmenschen vorbei. Unsere Tür steht allen
Am Anfang waren wir acht Jugendliche im Lei- Jugendlichen zwischen 14 und 27 Jahren offen.
tungsteam. Leider haben uns fünf von ihnen wie- Im Leitungsteam sind wir zurzeit nur homoder verlassen. Dafür konnten wir drei neue, moti- und bisexuelle Männer. Ich hoffe aber, dass wir
vierte Jungs dazugewinnen. Heute organisieren wir auch hier bald etwas mehr Vielfalt erhalten.
alles zu sechst. Jeder von uns hat sein „Ämtli“ –
auf einen Chef verzichten wir aber bewusst. Die Was bietet eine Jugendgruppe an, was die
Treffen finden heute zwei Mal und nicht mehr nur sozialen Medien nicht anbieten können?
einmal im Monat statt. Ausserdem ist spot25 an Soziale Medien wie purplemoon.ch sind natürlich sehr wertvoll, um sich zu vernetzen und in
der Pride mit vielen Jugendlichen mitgelaufen.
l Zielstrebig mit spot25 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 21 l
sozialen Umfeld und die Akzeptanz der eigenen
sexuellen Orientierung die häufigsten Gründe
dafür sind, zeigt uns, wie wichtig unsere
Jugendgruppe und andere Angebote sind.
Ist es denn für einen jungen Schwulen immer
noch so schwierig, sich zu akzeptieren?
Einfach ist es nicht! Vielen Jugendlichen wird
tagtäglich eine heteronormative Welt vermittelt.
Sie merken erst spät, dass es auch noch anderes
gibt, das genauso natürlich wie Heterosexualität
ist. Dank dem Internet hat man heute die Möglichkeit, mit anderen Jugendlichen zu chatten,
die auch „anders lieben“. Das Coming-out ist
aber nach wie vor für viele ein schwerer Schritt.
Die Toleranz in der Gesellschaft ist zwar
gestiegen. Doch „schwul“ bleibt heute eines der
meistgebrauchten Schimpfwörter unter Jugendlichen. Ich verstehe es, wenn sich dann jemand
nicht getraut, sich zu outen.
Was muss sich noch ändern, damit das
Coming-out den Jugendlichen einfacher
Kontakt zu bleiben. Doch wir wollen auch fällt?
Gleichaltrige persönlich kennenlernen und uns Die Gesellschaft muss unbedingt über die
austauschen, ohne an Partys oder in Bars gehen zu Toleranz hinauswachsen, verschiedene sexuelmüssen. Die spot25-Abende ermöglichen es uns. le Orientierungen und Geschlechtsidentitäten
bedingungslos akzeptieren. Dazu gehört zum
Seid ihr eine Selbsthilfegruppe?
Beispiel, dass man in der Schule fächerüber­
Nein. Wir bieten in erster Linie ein geschütztes greifend auch über andere Lebensformen
Umfeld, bei welchem nicht Sex oder Aufriss im spricht, und dass das Wort „schwul“ als
Vordergrund steht. Natürlich sind wir auch fürein- negative Bezeichnung genauso wie rassistische
ander da, wenn jemand Fragen oder Probleme Äusserungen unterbunden wird. Es darf keine
hat. Wir geben einander Rückhalt. Für Beratun- Rolle mehr spielen, wie sich jemand definiert.
gen und ähnliches verweisen wir die Jugend­
Welche Rolle soll die schwullesbische
lichen aber beispielsweise an du-bist-du.ch.
Gruppe GLL spielen?
Laut einer im Februar von Dialogai (Genf)
und der Uni Zürich publizierten Studie versucht in der Schweiz jeder fünfte Schwule,
sich umzubringen – die Hälfte davon vor
dem 21. Lebensjahr. Hat dich diese Nachricht überrascht?
Ich hatte schon vermutet, dass die Suizidgefähr­
dung höher ist als bei Heteros. Doch die Zahlen der Studie sind enorm hoch, was mich
schockiert hat. Die Tatsache, dass Probleme im
l 22 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich
Ihre Besuche in den Schulklassen sind eine
super Sache für Lehrerinnen und Lehrer, die
das Thema mit den Schülern vertiefen möchten.
Ich sehe sie als eine Ergänzung zu den Einrichtungen, die im Lehrplan nötig sind.
Hattest du dich in der Schule geoutet?
Ja. In der Oberstufe merkte ich, dass ich mich
in einen Mitschüler verliebt hatte. Als Sprüche
kamen wie „du bist schwul“ habe ich einfach mit
l Zielstrebig mit spot25 l
„ja“ geantwortet, dumme Bemerkungen habe
ich ignoriert. Als ich dann mit 17 meinen ersten
Freund hatte, nahm ich ihn wie selbstverständlich überall mit – niemand aus meinem Freundeskreis hatte ein Problem damit. Für mich war
meine eigene Homosexualität nie etwas Spe­
zielles. Das hab ich meiner Mutter zu verdanken.
Als kleiner Junge habe ich sie einmal gefragt,
ob ich auch einen Mann anstatt einer Frau heiraten dürfe. Sie antwortete einfach mit „ja“.
Warst du also privilegiert?
Beschränkt sich Homophobie immer mehr
auf ein rein kulturelles Problem, das zu­
gezogene Familien aus konservativeren
Ländern betrifft?
Nein. In diesen Ländern ist Homophobie sicher
weiter verbreitet, weil dort die Aufklärung fehlt.
Viele Migranten haben immer nur schlechtes
gehört über Homosexualität. Schwule und Lesben aus den betroffenen Familien haben deswegen mehr Angst, sich zu outen. Aber auch
in Schweizer Familien kann beispielsweise
die Religion eine negative Rolle spielen. Um­
gekehrt bin ich in der Familie einer muslimischen Freundin besonders willkommen, weil
die Eltern wissen, dass ich als Schwuler nichts
mit ihrer Tochter anstellen würde... (lacht).
Eindeutig, im Vergleich zu den meisten Geschichten, die ich unter anderem bei spot25
höre! Ich bin in meinem engsten Umfeld noch
nie mit Homophobie konfrontiert geworden.
Meine Familie hat mir viel Rückhalt gegeben.
Auch mein Vater ist heute stolz auf mich und Du bist JUSO-Mitglied und auch sonst sehr
mein Engagement, obwohl er es früher nicht engagiert als Member von etwa 20 Organisationen... Was motiviert dich derart?
mitteilen konnte.
Ich engagiere mich gerne für Anliegen und
------------------------------------------- anzeige ------------------------------------------Menschen, die mir wichtig sind. Ich kann
beispielsweise Fakten, wie sie die Studie zur
Suizidgefährdung aufzeigt, nicht einfach ignorieren. Auch die aktuelle rechtliche Situation (Eheverbot, Adoptionsverbot, kein echter Diskriminierungsschutz), welche uns zu Bürger/innen
zweiter Klasse macht, ist für mich nicht hinnehmbar. Und jeder kleine Erfolg, der erreicht
wird, macht mich glücklich, was mir wiederum
noch mehr motiviert.
Seit zwei Jahren bist du beim Verein
Regenbogenfamilien dabei. Möchtest du
später Kinder haben?
Ja. Am Anfang habe ich gar nicht an eigene
Kinder gedacht, sondern wollte einfach mit den
betroffenen Mütter und Väter für die rechtliche
Anerkennung von Regenbogenfamilien kämpfen, da mich diese Diskriminierung sehr stark
berührt hat. Mittlerweile ist für mich aber klar,
dass ich eines Tages selbst auch Kinder haben
will.
--------------------------------------------------------------------------www.spot25.ch
www.dubistdu.ch
--------------------------------------------------------------------------l Zielstrebig mit spot25 l
Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich l 23 l
bitte
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Email:
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Strasse:
Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich
Sihlquai 67
8005 Zürich
Schweiz
Ich möchte HAZ-Mitglied werden
Ich bin interessiert, bitte haltet mich auf dem Laufenden.
Ich möchte spenden, bitte schickt mir einen
Einzahlungsschein.
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end
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Dein an:
09-4
8
2
5
80PC herzlich
ist
men
m
o
k
will
Gebühr
Schwubliothek &
Schlüsseldepot
Für die Nutzung der Schwubliothek wird anstelle eines Depots
neu eine einmalige Gebühr von 30 Franken erhoben. Personen, die
ihr Depot gerne zurückerhalten möchten, können dies bis 15. September 2013 zurückfordern. Entgegen dem kürzlich an die Mitglieder
versandten Brief, können die Depots für die Schwubliothek zu 100%
nachvollzogen und den Nutzerinnen und Nutzern zugeordnet werden.
Das Präsidium entschuldigt sich ausdrücklich für diesen Fehler.
Bei vielen Schlüsseldepots fürs Centro hingegen ist die Nachvollziehbarkeit nicht mehr gegeben. Wer sein Depot zurück erhalten
möchte, möge dies mit Aushändigung des Centroschlüssels
ebenfalls bis 15. September 2013 tun bzw. uns melden,
dass der Schlüssel benötigt wird.
Eure HAZ

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