Die SPD nach der Wahl - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Die SPD nach der Wahl - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
FORSCHUNGSJOURNAL N S B . JG. 7. HEFT 4. 1994
HU
Editorial
tfj
2
Essay
Albrecht Müller
Die SPD nach der Wahl.
Analytische Anmerkungen zum Ergebnis und zum Wahlkampf
10
Thomas Ohlemacher
Schmerzhafte Episoden:
Wider die Rede von einer rechten Bewegung im wiederveremigten Deutschland
16
Werner Bergmann/Rainer Erb
Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was?
Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen Rechtsextremismus
26
Christoph Butterwegge
Mordanschläge als Jugendprotest - Neonazis als Protestbewegung?
Zur Kritik an einem Deutungsmuster der Rechtsextremismusforschung
35
Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek
Soziale Netzwerke und Gruppenprozesse Jugendlicher in Ostdeutschland ein Nährboden rechter Mobilisierung?
42
Wolfgang KowalskyAVolfgang Schroeder
Rechtsextremismusforschung:
Desintegration, Deprivation und andere begrifflich-theoretische Dilemmata
54
Zur Geschichte der Bewegungsforschung
Frank Nullmeier
Hannah Arendt: Bewegung und Dauer
65
Pulsschlag
Analysen, Forschungsberichte, Tagungsrückblick
76
Treibgut
Material, Infos
89
Bewegungsliteratur
Armin Pfahl-Traughber
Gesellschaftliche Desintegration und Individualisierung:
Die Heitmeyer-Schule
93
Annotationen
110
Aktuelle Bibliographie
Abstracts
115
124
lim
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Where are they ? Wo sind die neuen sozialen
Bewegungen, wie sie vornehmlich Gegenstand
der europäischen Bewegungsforschung der
vergangenen 15 Jahre gewesen sind? In Folge
des Bildes, das aufgrund der Mobilisierungserfolge 'der' neuen sozialen Bewegungen
entstanden ist, kommt man - sofern nicht von
Latenzphasen die Rede ist - kaum umhin, ihr
nahezu völliges Verschwinden zu konstatieren.
Denn was ist noch übrig von der manifesten
Präsenz der Ökologie-, Dritte-Welt-, Friedens-, Anti-AKW- oder Frauenbewegung ?
Sicher: Im Einzelfall lassen sich immer noch
Beispiele anführen, etwa die Anti- 'Golfkrieg 'Demonstrationen oder der jüngste Widerstand
gegen die Atommülltransporte. Insgesamt
betrachtet, scheint es sich dabei jedoch um
Ausnahmen von der Regel zu handeln. Verglichen mit früher, drängt sich daher der Eindruck auf, daß wir gegenwärtig - bezogen auf
'die' neuen sozialen Bewegungen - von einer
'Bewegungsgesellschaft' weiter weg sind als
je zuvor.'
Es ist fraglos stiller geworden um 'die'neuen
sozialen Bewegungen. Bewegt sich in dieser
Republik also gar nichts mehr? Mitnichten.
Hält man nach Bewegungsphänomenen jüngeren Datums Ausschau, so bietet sich spätestens aufmerksam gemacht durch die
Ereignisse in Rostock, Mölln, Solingen, Magdeburg usw. - selbst dem weniger aufmerksamen Auge am rechten Rand der Gesellschaft
ein Bild ständiger Aktivitäten, das durchaus
Anlaß gibt, zumindest von den Anfängen einer
sozialen Bewegung von rechts zu sprechen.
Umstritten ist gleichwohl, ob es sich dabei
tatsächlich schon um eine neue soziale Bewegung handelt oder vielmehr nicht bloß um
'kollektive Episoden' ohne jeden Bewegungscharakter. Die Meinungen gehen hier auseinander.
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Mit Verve wird von wissenschaftlichen Begleitern der progressiven sozialen Bewegungen
der 70er und 80er Jahre gegen die Bezeichnung dieser Phänomene als soziale Bewegung
allein schon deshalb optiert, weil man verhindern möchte, daß jene Jugendliche, die verantwortlich sind für Brandanschläge und
Gewalttaten gegen Ausländer und Asylanten,
das Gefühl bekommen, in ihrem Unwesen
öffentlich noch aufgewertet und somit bestätigt zu werden. Eine Aufwertung durch Wissenschaft soll unterbleiben. Der normative
bias dieses Arguments bedarf freilich der
Erläuterung.
Gerade in der deutschen Diskussion über
'die' neuen sozialen Bewegungen verbindet
sich mit der Frage „Gibt es Bewegungen von
rechts ? " eine bezeichnende Irritation, führt
sie doch unter veränderten Vorzeichen zurück
an die Ausgangsdiskussion über soziale Bewegungen Anfang der 60er Jahre. Zu dieser
Zeit mußte sich jeder Versuch der Beschäftigung mit sozialen Bewegungen vom langen
Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Konnotationen lösen, die den
Bewegungsbegriff mit der Partei der Bewegung ' in Zusammenhang brachten. Seitdem
schien der noch in den 60er Jahren wirksame
Vorbehalt vor allem dadurch ausgeräumt, daß
die neuen sozialen Bewegungen,die sich im
Ausgang der Studentenbewegung in den
westlichen Demokratien mehr oder weniger
einflußreich zur Geltung brachten, in Zielorientierung, Selbstverständnis und normativer
Ausrichtung insgesamt als demokratische
Fortsetzung und Vertiefung des Projekts der
Moderne gedeutet werden konnten.
Freilich: Hier gab es auch zahlreiche Zweifel
und Einwände, ob es sich nicht doch um ein
antimodernes Phänomen handele, und sicherlich waren diese nicht immer unberechtigt.
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Dennoch konnte sich als Gesamtbewertung
der Eindruck durchsetzen, daß 'die' neuen
sozialen Bewegungen als kollektive Akteure
gerade jene Themen im politischen Raum
artikulierten, die einerseits im Kräftespiel der
Interessenvermittlung keine durchsetzungsstarken Fürsprecher hatten, die andererseits
zu einer Steigerung der Reflexivität der Moderne hinsichtlich der Verwerfungen und
Folgeproblemen ihrer eigenen Fortschrittsdynamik beitrugen. Dieser Eindruck färbte im
großen und ganzen die Diskussion über die
neuen sozialen Bewegungen derart, daß sich
die damit verbundenen normativen Wertungen
dieser kollektiven sozialen Akteure gleichsam
intern mit der Analyse ihrer Entwicklung im
sozialen und politischen Raum verbanden. So
scheint gerade die deutsche Bewegungsdiskussion durch die These dominiert, daß soziale Bewegungen einen demokratischen Charakter haben und einen wichtigen Beitrag zur
Demokratisierung der liberalen Elitendemokratie darstellen.
2
Die analytischen Fortschritte der internationalen Bewegungsforschung sind kaum zu
bestreiten. Dabei ist der europäischen Bewegungsforschung vor allem der Austausch mit
der weitgehend dem Rational Choice-Ansatz
verhafteten amerikanischen Bewegungsforschung zugute gekommen. Bei der Angleichung von europäischem und US-amerikanischem Paradigma blieb jedoch der sich vertiefende Abstand zu den impliziten Annahmen,
die in demokratietheoretisch-normativer
Hinsicht an 'die' neuen sozialen Bewegungen
geknüpft waren, weitgehend unbemerkt. Es
besteht offenbar Diskussionsbedarf über das
Verhältnis von deskriptiv-analytischer Bewegungsforschung und der Normativität ihrer
Annahmen.
3
Deutlich wird dieses Problem insbesondere
durch die Fragestellung des vorliegenden
Themenheftes. Die Analyse sozialer und
politischer Akteure des neuen Rechtsextremismus mit dem Instrumentarium der professionalisierten Bewegungsforschung scheint
ebenso ertragreich wie notwendig. Zugleich
aber wird die normative Kluft deutlich, die
sich hinsichtlich inhaltlicher Ausrichtung und
symbolischer Integration rechter Bewegungen
- wenn es sich denn um solche handelt gegenüber den links-libertären Bewegungen
der 70er und 80er Jahre und ihren institutionalisierten Fortsetzungen auftut. Dieses Problem dürfte innerhalb der künftigen Bewegungsdiskussion einen zentralen Stellenwert
einnehmen. Vertieft werden sollte daher die
Diskussion über das Selbstverständnis der
Bewegungsforschung, das sich nicht allein
aus einem etablierten Methodeninstrumentarium und einem Set analytischer Eingrenzungen ihres Gegenstandes ergibt. Vielmehr
gewinnt die Frage nach der normativen Imprägnierung ihrer theoretischen Grundannahmen an Gewicht.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig hilfreich,
wenn beide Dimensionen der Diskussion
einfach gegeneinander ausgespielt werden.
Zum einen sollte der Erkenntnis gewinn, den
eine Analyse rechtextremistischer Entwicklungen mit Hilfe des Methoden- und Analyseinstrumentariums der Bewegungsforschung
verspricht, mit wissenschaftlicher Nüchternheit bilanziert werden können, ohne daß der
mit moralischer Entrüstung vorgetragene
Verratsvorwurf im Räume steht. In der bloßen
Identitätsbehauptung von normativen Ausrichtungen sozialer Bewegungsakteure — wie
sie dem Verständnis 'der' neuen sozialen
Bewegungen entspricht — mit der Sozialform
der Bewegung schlechthin mag der Grund
liegen, daß Entwicklungen am rechten Rand
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der Gesellschaft die Bezeichnung als soziale
Bewegung vorenthalten werden soll. Aus der
Perspektive der Verfechter eines solchen
Gebrauchs des Bewegungsbegriffs scheint es,
als ob es sich um einen genuin links-libertären Begriff von sozialer Bewegung handelt,
der sich allein an diesem Bewegungstyp
orientiert und dafür gleichsam reserviert ist.
Die Möglichkeit rechts-autoritärer Bewegungen fiele aus diesem Begriffsverständnis dann
definitorisch heraus, und es würden all die
wichtigen Anschluß]ragen verpaßt, die sich
aus der Anerkennung ihrer möglicherweise
anhaltenden oder gar wachsenden Bedeutung
einstellen. Zu diesen Anschlußfragen gehört
nicht zuletzt auch die nach der Dynamik von
Bewegung und Gegenbewegung in einem
ausdifferenzierten Bewegungssektor.
4
Gegenüber einer derart normativ argumentierenden Verweigerungshaltung wird aber auch
analytisch behauptet, daß das Phänomen
selbst - gemessen an geläufigen Definitionen
des Begriffs sozialer Bewegung - es nicht
rechtfertigt, von einer neuen sozialen Bewegung von rechts zu sprechen, da es die Kriterien nicht zu erfüllen vermag, die das gestatten würden. Zieht man jedoch gerade die
Definition Joachim Raschkes heran, wonach
es sich bei einer sozialen Bewegung (1) um
einen mobilisierenden kollektiven Akteur
handelt, der (2) mit einer gewissen Kontinuität (3) auf der Grundlage hoher symbolischer
Integration und (4) geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen (5) das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu
verhindern oder rückgängig zu machen, so
gibt es durchaus Indizien dafür, von einer
neuen sozialen Bewegung von rechts zu sprechen.
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Zieht man die Möglichkeit in Betracht, daß
sich diese neue soziale Bewegung von rechts
noch im Anfangsstadium befindet, stellt sich
(1) die Frage, inwieweit es zulässig erscheint,
von einem mobilisierenden kollektiven Akteur
zu sprechen. Verglichen mit 'den'neuen sozialen Bewegungen in ihrer Hochzeit bringt diese
Bewegung (noch) relativ wenige Aktive auf
die Straße, was auf ein geringes Mobilisierungspotential zu verweisen scheint. Aber
wie ging es denn mit 'den' neuen sozialen
Bewegungen los? Sicherlich handelte es sich
bei ihnen nicht schon zu Anfang um Zehntausende, die zur Verfügung standen; das ist mit
den Jahren gewachsen. Möglicherweise verzeichnet aber auch eine rechte Bewegung 'in
the beginning' bei einer vergleichbar günstigen 'political opportunity structure' ähnliche
Wachstumsraten wie 'die' neuen sozialen
Bewegungen gegen Ende der 70er Jahre.
Zudem ist 'kollektiv' bei Raschke nicht näher
bestimmt; es müssen somit nicht erst 500.000
Menschen auf der Straße sein, um von einer
sozialen Bewegung zu sprechen.
6
Was (2) den Aspekt der Dauer betrifft, so
sprechen die seit Anfang der 90er Jahre
anhaltenden Aktivitäten - Gewalttaten, Aufmärsche etc. - durchaus für eine gewisse
Kontinuität, mit nachweisbaren, intern gekoppelten 'cycles of protest', ohne daß absehbar
wäre, wann und weshalb Schluß damit sein
sollte. Hinsichtlich der symbolischen Integration ist (3) festzustellen, daß sich dieses Phänomen - ob nun als Rechtsextremismus oder
sonstwie bezeichnet — mittlerweile nicht nur
als 'nationale Bewegung' versteht, mit spezifischen Kristallisationspunkten wie der 'Ausländerfrage', der Migrationsproblematik oder
dem Revisionismus als übergreifender, alles
verbindender Thematik. Überdies hat diese
rechte Sammlungsbewegung zum Teil europäische Ausmaße angenommen, wofür (4) auch
spricht, daß es trotz fehlender Führerpersön-
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lichkeiten ein relativ gut ausgebautes Netzwerk gibt , dem es - in enger Zusammenarbeit mit etablierten Rechtsparteien und anderen rechten Organisationen - gelingt, europaweit Aktionen und Veranstaltungen zu koordinieren und durchzufuhren. Schließlich ist (5)
unabweisbar, daß diese neue rechte Bewegung recht klare Vorstellungen davon hat, daß
sich etwas ändern soll; sozialer Wandel ist
somit erklärtes Ziel, wenn die Realisierung
auch mißlingen mag. Aber das traf im Grunde
auch für 'die' neuen sozialen Bewegungen zu.
Fazit ist, daß durchaus eine Reihe von Anzeichen dafür spricht, daß es sich auch hierbei
um eine soziale Bewegung handelt, wenngleich von rechts.
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Es erscheint daher durchaus fragwürdig, den
analytischen Begriff der sozialen Bewegung
nur auf einen bestimmten Fall anzuwenden dies kann nicht Zweck einer Definition sein.
Insofern wäre allenthalben zu fragen, inwieweit vorliegende Begriffsbestimmungen - ob
die von Raschke oder andere - gerade in ihrer
spezifischen Ausprägung Merkmale auf weisen, die nicht verallgemeinerbar sind. Ließen
sich diese Besonderheiten im wesentlich auf
implizite normative wie inhaltlich-substantielle Annahmen zurückführen, dann wäre dies
deutlicher zu machen. Zugleich wäre die
Bestimmung eines allgemeinen analytischen
Begriffs von sozialer Bewegung zu überdenken, der in der Lage ist, den sozialen Formenreichtum des Phänomens zu integrieren;
wobei es aus dieser Logik kein Entrinnen gibt,
da es nur sinnvoll ist, von einer sozialen
Bewegung zu sprechen, wenn weitgehend
Übereinstimmung darüber herrscht, wie diese
im Prinzip verstanden wird.
Dieses Gebot der Begriffsklärung, wahrscheinlich sogar einheitlicher Theoriebildung,
gilt auch für die empirische Erforschung des
Phänomens. Denn ohne daß zumindest eine
grobe Verständigung darüber besteht, was an
notwendigen Merkmalen für eine soziale
Bewegung als Maßstab anzulegen ist, ob nun
'submerged network', Mikro- und Mesomobilisierung, Framing, kollektive Identität oder
Zielrationalität, kann auch Empirie keine
trennscharfen Beobachtungen vornehmen.
Insofern steht Begriffsklärung - ob induktiv
oder deduktiv - am Anfang auch empirischer
Untersuchungen, welche Korrekturen dies
mittels feedback-Verfahren für das Begriffsverständnis auch immer mit sich bringen mag.
Festzuhalten ist, daß Bewegungsforschung mit
einem gravierenden Revirement in ihrem
Gegenstandsbereich konfrontiert ist, dem sie
sich stellen muß. Während auf der einen Seite
'die' neuen sozialen Bewegungen zunehmend
im Zustand der 'latency' (Melucci) verharren
und an ihrer Stelle allenfalls die von ihnen
auf den Weg gebrachten Bewegungsorganisationen ein institutionelles wie professionelles
Eigenleben zuführen begonnen haben, dessen
Bedeutung gleichwohl nicht unterschätzt
werden darf, rumort es am rechten Rand der
Gesellschaft gewaltig. Zu fragen bleibt daher
nicht nur, ob diesen rechten Phänomenen
nicht die Qualität einer im zeitlichen Sinne
„neuen" sozialen Bewegung zugesprochen
werden muß, sondern auch, inwieweit sich in
Auseinandersetzung mit diesem Phänomen
ein für vergleichende Analysen geeignetes
theoretisches Instrumentarium der Bewegungsforschung bewährt.
Gefragt werden muß auch danach, welche
impliziten inhaltlichen wie normativen Erwartungen und Annahmen wir bislang mit dem
Attribut 'der' neuen sozialen Bewegungen
verbunden haben. Angesichts des Formwandels der Bewegungsakteure der 70er und 80er
Jahre könnte das erneute Anknüpfen an dieser
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Fragestellung — in Verbindung mit der Verabschiedung vom liebgewordenen Akteursmythos der neuen sozialen Bewegungen - den
Blick in politischer Hinsicht dafür schärfen,
daß politische Veränderungspotentiale mit
Institutionalisierungsprozessen nicht zum
Stillstand kommen müssen. Dann wäre auch
der Blick dafür frei, daß solche Veränderungspotentiale „von Parteien zu Bewegungen, von
diesen zur unorganisierten Öffentlichkeit und
politischen Kultur, von dort stärker zu Verbänden und Parteien etc. zurückwandern. Entsprechend müßte die theoretisch-normative
Zuschreibung politischer Privilegierung
selber dynamisiert werden."'"
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nes zentralen mobilisierenden Akteurs wirke
sich negativ auf die Chancen für eine massenhafte Mobilisierung aus. Ferner sei zu berücksichtigen, daß die sozialwissenschaftliche Kennzeichnung rechter Phänomene als Bewegung
nicht intendierte Effekte haben kann, da rechte
Aktivisten sich dadurch aufgewertet fühlen
könnten.
Demgegenüber schlagen Werner Bergmann
und Rainer Erb - ausgehend von einem systemtheoretischen Konzept sozialer Bewegung
als Reproduktion undVerknüpfung von Mobilisierungsereignissen - vor, das in sich vielfältig
differenzierte und vernetzte rechte Lager durchaus als soziale Bewegung von rechts zu beWas die Auswahl der vorliegenden Aufsätze schreiben, die sich vor allem über den Protest
betrifft, so wurde überwiegend auf Vortragsma- gegen „Einwanderung" konstituiert. Dabei verterial derTagung 'Rechtsradikalismus im verei- spricht ihnen gerade das Bewegungskonzept
nigten Deutschland: Soziale Bewegungen oder durch seine integrative Kraft analytischen Gekollektive Episoden?'amWissenschaftszentrum winn, da es erlaube, organisationssoziologische
Berlin für Sozialforschung Anfang Mai dieses Herangehensweisen, Wahl-, Jugend-, SubkulJahres zurückgegriffen; ausdrücklich dankt die tur- und Gewaltforschung, Ideengeschichte u.a.
Redaktion Thomas Ohlemacher für die kon- miteinander zu verknüpfen. Die Kritik an der
zeptionelle Mitwirkung an diesemThemenheft. Verwendung des Bewegungsansatzes zur Analyse des Rechtsextremismus weisen sie dageDie Beiträge des Themenheftes - mit Ausnahgen zurück, da diese auf einem teils normativ
me der Arbeit von Wolfgang Kowalsky und
gefaßten, teils rationalistisch und organisatoWolf gang Schroeder, die sich dem Phänomen
risch verengten Bewegungsbegriff gründet.
Rechtsextremismus mehr von dessen Ursachen
her zuwenden - kreisen um die zentrale Fragestellung: Gibt es eine neue soziale Bewegung Ebenso wie Ohlemacher wendet sich auchChrivon rechts?
stoph Butterwegge vehement gegen die BeSo lautet Thomas Ohlemachers Antwort, daß
trotz des Anstiegs der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten zu Beginn der 90er Jahre im
wiedervereinigten Deutschland nicht von einer
sich stabilisierendenrechtenBewegung gesprochen werden kann. Dazu seien die Mobilisierungsstrukturen für eine erfolgreiche rechte
Bewegung zu schwach; insbesondere das Fehlen organisatorischer und öffentlicher Unterstützung, einer einheitlichen Ideologie und ei-
zeichnung dieser rechten Phänomene als einer
neuen sozialen Bewegung von rechts. Dazu
rekonstruiert er auf der einen Seite jenen Diskurs der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit, der
für diese Bezeichnung als Bewegung eintritt,
um auf Mängel und Irrtümer aufmerksam zu
machen. Auf der anderen Seite geht es Butterwegge darum, das Begriffsverständnis von Protest und sozialer Bewegung selbst normativ
aufzuladen, um von daher zu zeigen, weshalb es
unzulässig sei, die Bewegung am rechten Rand
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der Gesellschaft als eine neue soziale Bewegung von rechts zu bezeichnen.
Theorem sozialer Deprivation, das im Zusammenhang mit der Unzufriedenheitsthese fruchtbar gemacht wird.
Wolfgang Kühnel und Ingo Matuschek beschäftigen sich in ihrem Beitrag in dreifacher
Hinsicht mit den jüngsten Aktionen rechtsradikal, nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellter Gruppen: Aus einer jugend- und gruppensoziologischen Perspektive wird das Innenleben der Gruppen betrachtet. Sodann geht es
ihnen aus einer organisationsbezogenen Perspektive um Möglichkeiten und Grenzen der
Instrumentalisierung von Jugendlichen durch
rechtsradikale Parteien und Gruppen. Zuletzt
werden aus einer bewegungssoziologischen
Perspektive die Chancen und Barrieren für eine
Etablierung und Stabilisierung von Infrastrukturen für rechtsradikale Politik analysiert. Fazit
ihrer Überlegungen ist, daß allenfalls von 'Vorformen einer sozialen Bewegung' die Rede sein
kann und ansonsten Vorsicht geboten sei, was
die Uberzeichnung dieses Phänomens in Wissenschaft und Öffentlichkeit betrifft.
Mit einem Beitrag von Frank Nullmeier über
Hannah Arendt ist seit längerem wieder unsere
Rubrik „Zur Geschichte der Bewegungsforschung" vertreten. Gerade im Kontext einer
Debatte über rechte Bewegungen scheint eine
Auseinandersetzung mitArendts totalitarismustheoretischemVerständnispolitischerBewegungen von Interesse. Diese werden nicht nur über
politologisch-soziologischeAnnäherangen, sondern über einen makrotheoretischen Bezugsrahmen von Sozialstruktur, politischen Organisations- und Staatsformen in den Blick genommen.
Die von Arendt thematisierten, vor allem politischen Bewegungen von rechts sind weniger
durch Interessen als vielmehr durch Weltanschauungen angeleitet. In totalitären Regimen
wird Bewegung zum Selbstzweck, wohingegen
das alternative Modell der freien Republik gegen die Permanenz von Bewegungen und eine
daraus resultierende Instabilität den institutioZuletzt geht es Wolfgang Kowalsky und Wolf- nellen Gründungsakt eines Raumes öffentlicher
gang Schroeder darum, darauf aufmerksam zu Freiheiten durch politische Bewegungen repumachen, daß, obwohl die Erforschung des blikanischer Provenienz setzt. Unbegriffen bleiRechtsextremismus zu den vordringlichen Auf- ben für Arendt dabei die Spannungen zwischen
gaben der Sozial- und Politikwissenschaft ge- Bewegung und Institutionen, ist sie doch mehr
hört und bis Anfang der 90er Jahre eine kaum an einer (Wieder-)Errichtung eines republikaniüberschaubare Zahl von Veröffentlichungen vor- schen Ideals - in Konfrontation mit Liberalislag, dennoch entscheidende Desiderate beson- mus und Totalitarismus - interessiert.
ders auf theoretischem Gebiet bestehen blieben.
Arendts internationale Betrachtungsweise poliNach einer Diskussion der Probleme, die die
tischer Bewegungen, ihrer massengesellschaftRechtsextemismus-Terminologie aufwirft, greilichen Voraussetzungen sowie der Bedeutung
fen dieVerfasser den 1967 von Erwin K. Scheuch
ihrer politisch-ideologischen Formierung zu pound Hans-Dieter Klingemann vorgeschlagenen
litischen Akteuren könnenAnregungen für eine
Ansatz der 'relativen Deprivation' wieder auf
analytisch orientierte Bewegungsforschung geund unternehmen einen Versuch der Aktualisieben. Eine normative Anschlußfähigkeit der
rung, der sich einfügt in die neuere Diskussion
Arendt'schen Überlegungen an ein zivilgesellüber den Zusammenhang von Rechtsextremisschaftlich-demokratisches Leitbild des Politimus und gesellschaftlichen Desintegrationsproschen scheint NuUmeier freilich nur dann mögzessen. Eng verknüpft mit diesemAnsatz ist das
lich, wenn an Stelle der in einem republikani-
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sehen Elitismus begründeten Motivationsbasis
interessenloser Politik (Ruhm und innerweltliche Unsterblichkeit) ein funktionales Äquivalent benannt werden kann, das über Bewegungen, Initiativen und kommunikative Macht eine
egalitär-demokratische Öffentlichkeit mit dauerhaften Impulsen versorgt.
Besonders hingewiesen sei an dieser Stelle auch
auf den Rezensionsteil, der in direkter Verbindung mit dem Themenschwerpunkt steht. Hier
findet sich vor allem eine ausführliche Analyse
und Kritik des Rechtsextremismus-Ansatzes des
Bielefelder Pädagogikprofessers WilhelmHeitmeyer (Armin Pfahl-Traughber).
Kai-Uwe Hellmann/Ansgar Klein
Anmerkungen
Zugleich erhebt sich die Frage, ob der Begriff
„Bewegungsgesellschaft" nicht mehr beinhaltet als
ein auf einen spezifischen Akteurstypus zielendes
Konzept intermediärer Politik. Er könnte - im Anschluß an Diskussionen über „reflexive Moderne",
„reflexive Demokratie" oder „reflexiven Institutionalismus" - die Möglichkeiten der Lernfähigkeit
und Veränderbarkeit ausdifferenzierter „systemischer" Bereiche der Gesellschaft mit der Suche
nach Möglichkeiten der Politik verbinden. Der
Akteurstypus der sozialen Bewegung wäre dann
nur eine Komponente der in dieser Weise verstandenen Bewegungsgesellschaft, in der sich unschwer
auch Anknüpfungen an die Diskussionen der „civil
society" und der „politischen Gesellschaft" wiederfinden ließen.
Bereits Michael Th. Greven hat in seiner an die
Bewegungsforschung adressierten Kritik von 1988
diese Problematik hervorgehoben, die in der schlichten Unterstellung eines demokratischen wie demokratisierenden Charakters der neuen sozialen Bewegungen enthalten ist: Michael Th. Greven 1988:
Zur Kritik der Bewegungswissenschaft, in: Forschungsjournal NSB, Jg.l, Heft 4, 51-60: 56 ff. In
dieser Demokratieunterstellung, so Greven in ei1
2
1994
nem neueren Text, drücke sich eine Konfusion
hinsichtlich „deskriptiver und normativer Aspekte
der politischen Sphäre aus, die durch unabhängige
Assoziationen und ihre miteinander verbundenen
Handlungen gebildet wird". (Michael Th. Greven
1994: The Pluralization Of Political Societies: Can
Democracy Persist?, in: Adolf Bibic/Gigi Graziano
(Eds.): Civil Society, Political Society, Democracy, Ljubljana 17-41: 32.)
Daß normative Annahmen jedes Verständnis des
politischen Prozesses bestimmen, scheint eine keineswegs triviale Aussage zu sein. Noch in der
Konzeption der Politik als rationalem Interessenhandeln und allen darauf bezogenen Modellannahmen der Interessenaggregation kommt ein bestimmtes Vorverständnis des Politischen zum Tragen.
Nur in Konfrontation mit anderen Verständnisweisen des Politischen und deren wirklichkeitserschließender Kraft, nicht aber in bloß anwendungsorientierter Übernahme - etwa des Rational ChoiceModelles - tritt die kaum hinterfragte Dominanz
des Rationalitätsmodells der Interessenvermittlung
in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang hat
etwa die demokratietheoretische Bezugnahme auf
die neuen sozialen Bewegungen seitens des civil
society-Konzeptes Aspekte einer „politics of identity" oder deliberativer politischer Entscheidungsfindung hervorgehoben, wird aber auch - innerhalb
des Rational Choice-Ansatzes - nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Ausbildung von
Metapräferenzen des Handelns gefragt, welche den
Prozeß rationalerpolitischer Entscheidungsfindung
befördern. Die in politischer Theorie wie Demokratietheorie geführten Diskussionen haben Auswirkungen also auch auf die analytische Bewegungsforschung, auf deren Kategorien und Begriffe. Diesen Zusammenhang gilt es weiter auszuleuchten.
3
Vgl. für erste Annäherungen das Themenheft 2/91
zu „Bewegung, Gegenbewegung und Staat" des
Forschungsjournals.
Vgl. Joachim Raschke 1985: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß. Suhrkamp 77.
Hier ist zu fragen, ob die Mobilisierungsformen
rechter Bewegungen überhaupt vergleichbar sind
mit denen der neuen sozialen Bewegungen. Immerhin nimmt das spezifische Mobilisierungspotential
rechter Bewegungen gemeinhin ganz andere Grö-
4
5
6
ßenordnungen an, was möglicherweise auch strukturell andere Formen der Mobilisierung (z.B. spontane Gewaltakte in Kleingruppen, Einzeltäterschaft,
konspirative Treffen etc.) zur Folge hat.
Vgl. Martin Klingst 1994: Ein Netz und viele
Spinnen, in: DIE ZEIT, Nr. 7 vom 11.2.94, S. 3;
Ernst Uhrlau 1994: Vernetzungstendenzen im deutschen Rechtsextremismus, in: Rainer Erb/Werner
Bergmann (Hrsg.): Neonazismus und rechte Subkultur. Metropol (im Druck) 143-152.
Vgl. Juliane Wetzel 1994: Die Maschen des rechten Netzes. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremen Spektrum, in: Wolfgang
Benz (Hrsg.): Rechtsextremismus in Deutschland.
Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen.
Fischer 154-178; Fromm, Rainer/Kernbach, Barbara 1994:... und morgen die ganze Welt? Rechtsextreme Publizistik in Westeuropa. Schüren.
7
8
Vgl. diesbezüglich Hans-Gerd Jaschke 1993: Formiert sich eine neue soziale Bewegung von rechts?
Über die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, in: Mitteilungen. Institut für Sozialforschung,
Jg. 2, Heft 2,28-44; Claus Leggewie 1994: Rechtsextremismus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder (Hrsg.):
Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz. Westdeutscher Verlag 325-338; Werner
Bergmann/Rainer Erb 1994a: Eine soziale Bewegung von rechts? Entwicklung und Vernetzung
einer rechten Szene in den neuen Bundesländern,
in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 80-98.
Frank Nullmeier 1993: Zivilgesellschaftlicher
Liberalismus, in: Forschungsjournal NSB, Heft 3,
13-26: 24.
9
10
Tagung der Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen in Kooperation mit
der Gustav-Heinemann-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung Freudenberg
zum Thema:
„Kommunitarismus und Gerechtigkeit"
Zwischen Philosophie und praktischer Politik
vom 7. bis 9. April in Freudenberg (b. Siegen)
Der Ruf nach mehr Gemeinsinn oder eine stärkere Verantwortung für die Gemeinschaft wird in
modernen Industriegesellschaften immer lauter. Nicht zuletzt unter dem Druck der defizitären
öffentlichen Haushalte appellierten Politiker aller Strömungen für mehr Engagement der Bürger
in Politikfeldern, die bislang dem Staat zugewiesen waren.
Die Konsequenzen dieser sich anbahnenden „Neuen Politik" werden auf der KommunitarismusTagung kontrovers diskutiert. Vier Wissenschaftler und Parteikenner untersuchen die praktische
Umsetzung der Kommunitarismus-Debatte in der CDU/CSU, der FDP, der SPD und bei den
Grünen.
Referate zur internationalen Debatte und zur Rezeption des Kommunitarismus-Konzepts und zu
den psychologischen Implikationen ergänzen das Tagungsangebot.
Anmeldungen und Rückfragen an: Dr. Thomas Leif, Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen, Marcobrunner-Str. 6, 65197 Wiesbaden, Tel. 06 11-49 51 51
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Die SPD nach der Wahl
Analytische Anmerkungen zum Ergebnis und zum Wahlkampf
1.
Zur Bewertung des Ergebnisses
1.1
Es ist verständlich, daß das
Ergebnis der SPD positiv
dargestellt wird, ja sogar
schön geredet wird.
Die SPD kann sich eine beschönigende Analyse jedoch nicht leisten; zu häufig schon ist mit
beschönigenden und falschen Analysen der erste Schritt in die nächste Niederlage getan worden.
1.2
Das Ergebnis muß man an den
selbst gesteckten Zielen messen.
Demnach ist es ein Mißerfolg.
- Wohlbegründet wollte die SPD den „Kanzlerwechsel".
- „Stärkste Partei" sollte die SPD werden.
- Als weniger ehrgeiziges Ziel wurde propagiert, man werde erreichen, daß ohne die
SPD nicht regiert werden kann.
1.3
Das Ergebnis muß auch im Lichte der Fragen bewertet werden,
ob es in absehbarer Zeit noch
einmal so gute Chancen wie im
Jahre '94 geben wird und wie
dringlich der Wechsel für unser
Land ist.
Es spricht vieles dafür, daß sich die Chancen
einer sozialdemokratischen Partei in Deutsch-
land in vier Jahren nicht wesentlich verbessern
werden. Außerdem verlangt die Dringlichkeit
der Probleme und die Gefahr, die aus der Fortsetzung konservativer Politik folgt, heute den
Kanzlerwechsel und nicht erst in vier oder acht
Jahren. Vieles, was die Konservativen tun, ist
nicht mehr rückholbar (Privatisierung etc.). Vieles, was heute versäumt wird, kann später nur
mit sehr viel höheren Kosten oder gar nicht
korrigiert werden (Chancen für perspektiv- und
berufslose Jugendliche, Ökologische Erneuerung, Klimapolitik etc.).
Die weitere Veränderung der Macht- und Medienstrukturen in konservativer Richtung
spricht zudem leider dafür, daß zu jeder späteren Zeit der Machtwechsel noch schwieriger
sein wird als heute. Die Asymmetrie zu Lasten
der SPD verschärft sich. Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, die politische
Konkurrenz vollziehe sich im Quasi-Automatismus eines „Pendelschlags". Das ist das falsche Bild. Wir sitzen auf einer schiefen Ebene
- dieses Bild paßt viel besser zu Lage der
SPD: wenn sie einen Haltegriff zu ergreifen
versäumt, wird weiteres Terrain verloren.
Das von Rudolf Scharping propagierte Bild
vom Langstreckenlauf ist deshalb nicht sonderlich realistisch. Es ist übernommen aus den
60er Jahren in eine heutige Situation, die in
dafür wesentlichen Teilen der damaligen Situation nicht entspricht. Die Wählerbindung
ist geringer, die Fluktuation ist größer; Wählerpotentiale bauen sich nicht über weite Zeiträume auf. Für diese Beobachtungen sprechen
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ja schon die großen Schwankungen in den Befragungen, die wir in den letzten 12-15 Monaten erlebt haben.
Auch die Vorstellung, man hätte später größere Chancen, wenn Kohl nicht mehr zum Kanzler kandidiert, hat wohl etwas kurze Beine.
Man sollte sich dessen erinnern, daß man noch
vor 8 Monaten gerade Kohl eher als eine Belastung der CDU/CSU betrachtet hat denn als
ein Pfund, mit dem die Union wuchern könnte.
1.4
Beschönigung des Ergebnisses
verhindert das Nachdenken über
die negativen Folgen der Anpassungsstrategie.
ra
sich die SPD; laut Politbarometer mit deutlich
positiver Tendenz für die SPD. Der Fall „ins
tiefe Loch" wurde für die SPD offenbar dadurch verhindert, daß in der Schlußphase Stimmen von den Grünen/Bündnis 90 abgezogen
wurden.
Diese verschiedenen Zeitabschnitte sind dekkungsgleich mit zwei verschiedenen von der
SPD-Führung verfolgten Strategien:
@ Bis zur Zäsur in Sommer dominierten bei
der SPD die folgenden strategischen Elemente:
- entscheidend sei, wer die materiellen Interessen der Wähler besser zu befriedigen weiß;
die Wahl entscheide sich in der Wirtschaftspolitik;
Insgesamt gilt: Wenn nicht jetzt, wann sollte
die SPD dann den Machtwechsel schaffen. Das
Wahlergebnis als Erfolg darzustellen gleicht - Anpassung an konservative Grundlinien;
einer Beschönigung, die böse Folgen haben
Kurskorrektur in für viele Sozialdemokrawird. Sie wird vor allem dazu verleiten, nicht
ten wichtigen Sachfragen (s.u. Ziffer 1.2);
über die innere Veränderung der SPD nachzudenken, die in den letzten Jahren betrieben - keine Betonung grundsätzlicher, auch weltwurde und die eine der Hauptursachen für die
anschaulicher Unterschiede zur Regierung;
Chancenlosigkeit der SPD auf Bundesebene
ist.
- Offenlassen der Koalitionsfrage; erkennbare Neigung zur Kooperation mit der FDP
2.
Zur Analyse des Wahlkampfes,
und harsche Ablehung der Grünen und eines Zusammengehens mit den Grünen.
der Strategien, der Wahlwerbung
etc.
- Konzentration auf den Vorsitzenden und
2.1
Der Strategiewechsel im Sommer
Kanzlerkandidaten.
hat das Schlimmste verhindert;
er kam aber für den Kanzler@ Seit der Wahl in Sachsen-Anhalt sind Korrekturen in wichtigen, wenn auch nicht in
wechsel zu spät.
allen Fragen erkennbar:
Es gab - grob skizziert - zwei Phasen im Wahl- Offenheit für eine Zusammenarbeit mit den
kampf der SPD:
Grünen, jedenfalls keine öffentlich erklärte
Ablehnung,
Bis kurz nach der Europawahl/Wahl in Sachsen-Anhalt ging es bergab mit der SPD und
bergauf mit der CDU/CSU. Dann stabilisierte - Troika,
12
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
- Betonung des Reformgedankens,
- vor allem aber: Betonung des grundsätzlichen, gesellschaftspolitischen Unterschieds
zur Union.
1994
- die Zustimmung zur Reform des Gentechnikgesetzes,
- die Kurskorrekturen in der inneren Sicherheit und Rechtspolitik,
Leider eben zu spät. Der Vorschlag zu dieser - die Reduzierung der Medienpolitik auf reiStrategie, nämlich selbst eine Richtungsentne Standortpolitik usw.
scheidung aus der Wahl zu machen, lag übrigens seit März 1993 dem SPD-Vorstand und Mit dieser Strategie der Kurskorrektur und Ander Bundestagsfraktion vor.
passung sind eine ganze Reihe wichtiger Bedingungen für einen Wahlsieg der SPD entfallen:
2.2 Die Strategie der Anpassung
und ihre Folgen
• Die SPD konnte ihre Vielfalt und die VielEs galt im Vorfeld und im ersten Teil des Wahlfalt der Menschen, die als Mitglieder oder
kampfes die strategische Grundlinie, daß die
Sympathisanten für sozialdemokratische
SPD sich an die sogenannte Mitte (was das
Ziele eintreten, nicht ausspielen.
auch immer sei) anpassen müsse, daß sie inhaltliche Positionen bereinigen und Kurskor- Wichtige Anhängergruppen wie z.B. die frierekturen machen müsse, um für die Wähler denspolitisch Engagierten, die ökologisch Inder Mitte und für potentielle Umsteiger von teressierten, die rechtspolitisch Interessierten,
der CDU/CSU wählbar zu sein. Eine Fülle von die medienpolitisch Engagierten usw. haben
.Bereinigungsarbeit" und „Beseitigung von po- ihr Zutrauen und ihre Argumentationsfähigtentiellen Konflikten" ist geleistet worden; zum keit verloren. Sie sind als Multiplikatoren und
Beispiel:
teilweise auch als Wähler ausgefallen.
- die positive Haltung zur Privatisierung und
Deregulierung,
® Das klare alternative Profil ist nicht deutlich geworden.
- der Asylkompromiß,
@ Die SPD-Anhänger waren in weiten Teilen
emotional nicht motiviert. Ohne Emotionen
kommt die SPD jedoch nie gegen die mediale Übermacht der anderen an.
- das „Niedrighängen" der ökologischen Erneuerung,
- das als Korrektur verstandene Hin und Her
in Sachen Tempolimit,
- das Ja zu den out-of-area-Einsätzen,
- die Zustimmung des Bundesrats zum Planungsgesetz Transrapid,
® Die Mitglieder und Sympathisanten der SPD
fielen als Multiplikatoren, als solche, die in
der Straßenbahn oder im Freundeskreis das
Thema auf die Wahl bringen und für ihre
Partei werben, weitgehend aus.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB,
2.3
Tn
N
UFFT 4,
1994
Die ursprüngliche Konzentration
auf Wirtschafts- und Finanzpolitik und auf das Ausbleiben des
Aufschwungs war absehbar ein
zu hohes Risiko.
Es ist ohne Zweifel wichtig und in gewisser
Weise die Basis eines Erfolges, daß die SPD
wirtschaftspolitische Kompetenz ausstrahlt. Es
war auch wichtig, auf diesem Felde Schwerpunkte zu setzen. Es ist aber leichtfertig gewesen, darauf zu setzen,
- daß es der Regierung Kohl und ihren Gehilfen nicht möglich wäre, selbst leichte Anzeichen eines Aufschwungs in einen wirklichen Aufschwung umzudeuten,
- und darauf zu setzen, daß die Arbeitgeber
und Unternehmer, mit denen man so freundlich ins Gespräch kam, dadurch davon abgehalten würden, sich für die Koalition auszusprechen.
Die Strategie der Konzentration auf Wirtschaftsthemen ist mit den ersten vermeintlichen Anzeichen eines Aufschwungs zusammengebrochen. Auch die Strategie des Gesprächs mit den Managern entpuppte sich als
negatives Markenzeichen. Die SPD erschien
(siehe Brief Rudolf Scharpings an Herrn Stihl)
als abgewiesener Liebhaber.
Selbst in Krisenzeiten ist es fraglich, ob die
SPD Wahlen gewinnt, wenn sie vor allem auf
die materielle Interessiertheit der Menschen
setzt. Es reicht nicht aus, den Leuten zu sagen,
wir wollten die Steuern nicht erhöhen. Wenn
die SPD mit dem bürgerlichen Lager vor allem beim Thema „Geldbeutel" konkurriert,
wird dieses bürgerliche Lager am Ende immer
gewinnen und sei es nur mit der Drohung, bei
einem Sieg der SPD würde das Kapital das
Land verlassen. Das mußte man zu Anfang
13
des Wahlkampfes wissen. Man hat auch hier
zu spät, nämlich nach den Juniwahlen, korrigiert und die Unterschiede im sozialen und
gesellschaftlichen Bereich (zu spät) stärker betont.
2.4
Es fehlten die „Klammer"
und die großen Konflikte
Im Wahlkampf waren weder die Klammer für
die einzelnen Aussagen der SPD, noch waren
große Konflikte erkennbar. Wenn man eine Regierung, wie die Regierung Kohl, ablösen will,
wenn man die eigenen Anhänger motivieren
will, dann muß man klar machen, daß es nicht
um ein paar nichtige Veränderungen geht. Es
muß klar werden, zumal bei einer Sozialdemokratie, daß man eine wirkliche reformerische Veränderung der Gesellschaft will. Für
eine kleine Veränderung schlägt man sich nicht,
für eine kleine Veränderung kämpft man nicht
und spendet man nicht. Zum Beispiel: Der Unterschied zwischen dem Solidarbeitrag und der
Ergänzungsabgabe reicht nicht, um Facharbeiter von der CDU/CSU wegzuholen.
Für die SPD erfolgreiche Wahlkämpfe waren
meist geprägt von großen Konflikten mit den
Konservativen. Diesmal ist es jedoch fast nie
gelungen, die Meinungsführerschaft zu erringen. Das ist ein klarer Planungsfehler.
Immer war klar, daß Themata und Konflikte,
die den Wahlkampf bestimmen sollen, nicht
vom Himmel fallen, sondern gezielter Planung
bedürfen. Ingesamt mußte man hier wie auch
bei der Auswahl von Slogans und Bildern den
Eindruck gewinnen, daß die Entscheidungen
in nicht kompetenten Gremien und zwischen
Tür und Angel getroffen worden sind. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß kreative Wahlkampfthemen, kreative Konflikte, kreative Slogans
und optische Signale das Ergebms harter konzentrierter Teamarbeit sind. Offenbar fand das
14
FORSCHUNGSJOURNAL NSB,
in diesem Wahlkampf nicht in ausreichendem
Maße statt.
2.5
2.7
Zu viele Verluste an
Glaubwürdigkeit
JG. 7, Hi i
4 1
Slogans, Fotos und andere Werbemittel waren nicht optimiert.
Zu viele Pannen, zu viele verschiedene Plakate und Slogans Mangelnde Professionalität.
Einige Beispiele:
Einige Beispiele:
Nach den Erfahrungen der letzten Wahl wäre
es wichtig gewesen, an die Steuerlüge Kohls
zu erinnern und ihn als „Steuerlügner" darzustellen. Das konnte die SPD nicht mehr glaubhaft und mit Durchschlag tun, nachdem sie in
diesem Wahlkampf selbst die Konstanz der
Staatsquote versprochen hat. Man muß ja nicht
für Steuererhöhungen eintreten. Das ist selbstverständlich. Die Garantie der konstanten
Staatsquote schürt jedoch die Unglaubwürdigkeit, wo es wichtig gewesen wäre, gerade die
Unglaubwürdigkeit des politischen Gegners,
der Regierung Kohl, anzuprangern.
„Arbeit, Arbeit, Arbeit" ist eher eine Drohung
als ein hoffnungsvolles Versprechen. Zu viele
Fotos waren schlecht. Man hätte Rudolf Scharping nicht als jungenhaft darstellen sollen, wie
etwa auf dem Fahrrad oder auch auf dem Kanzlerwechsel-Foto, wenn Kohl wie ein Fels steht.
Dasselbe gilt für das Hin und Her bei der Geschwindigkeitsbegrenzung . Es gilt für die verschiedenen Abstimmungsverhalten im Bundestag und Bundesrat (siehe Transrapid).
2.6
Der Wahlkampf war von zu vielen
Ungeschicklichkeiten begleitet,
z.B.
- brutto und netto,
- die Ernennung von Beratern, die erklärten,
sie würden C D U oder Grüne wählen,
- die Attacken auf die FDP nach der Bundespräsidentenwahl.
2.8
Gescheitert ist die Etappenstrategie. Leichtfertig war die
Umfragegläubigkeit.
Es war fahrlässig, darauf zu hoffen, daß man
nach der Niedersachsen-Wahl auch die Bundespräsidentenwahl, die Europawahl, die Sachsen-Anhalt-Wahl und dann die Bayernwahl gewinnt und sich so von Wahlerfolg zu Wahlerfolg nach oben hangelt.
Es war ein großer Fehler, sich von den Umfragen im vergangenen Jahr und Anfang dieses
Jahres täuschen zu lassen. Fachleuten mußte
klar sein, daß diese Umfragen punktuelle Aufnahmen sind, die nichts sagen über die Lage
am Wahltag. Da hätte man nur Helmut Kohl
zuhören müssen und sich dessen erinnern müssen, wie groß das Aufholpotential Kohls und
der C D U bisher schon bei vielen Wahlen war.
Hier hat der Nutzen, den diese guten Umfragezahlen innerparteilich gebracht haben, zur
Täuschung geführt, daß sie etwas mit der Realität zu tun haben würden. Später, als es bergab ging, konnte die SPD-Führung, nachdem
sie zuvor die Umfragegläubigkeit genutzt und
gefördert hatte, schlecht sagen, von Umfragen
sei nichts zu halten.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B . J e 7. HEFT 4,
2.9
1994
Die Medienbarriere hätte ein
großes Thema werden müssen.
Sie wurde zu spät thematisiert.
Man hat sich von der gewissen Offenheit und
Liberalität der Medien in der Vorphase des
Wahlkampfes täuschen lassen. Man hat nicht
beachtet, daß sich das Mediensystem in der
Bundesrepublik weiter so zu Lasten der SPD
verändert hat, daß in der Schlußphase die meisten Medien für Kohl Partei ergreifen. Dann
war es aber zu spät, die Medien und ihre Einseitigkeit anzugreifen. Das mußte man früher
tun, um die eigenen Anhänger rechtzeitig gegen die Dauerberieselung des KampagnenJournalismus zu immunisieren. Man mußte es
früher und gelassener tun. So wirkten die späten Klagen häufig wehleidig.
2.10 Die PDS-Kampagne der CDU/
CSU hätte zum großen Konflikt,
zum Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Union gewendet werden
könnnen.
Von der PDS-Kampagne der Union hat man
sich ins Bockshorn jagen lassen. Es gab in der
eigenen Partei Leute, die z.T. aus verständlichen Gründen, dazu rieten, in Sachsen-Anhalt
der von der CDU/CSU empfohlenen Strategie
zu folgen und auch ansonsten die PDS-Kampagne der Union zu unterstützen. Es mußte
jedoch klar sein, daß man bei einer solchen
Strategie zum Getriebenen wird. Deshalb gab
es nur die Option, sich so zu verhalten, wie die
SPD-Führung in der Schlußphase votiert hat:
Klar zu sagen, daß man sich von Leuten, die
mit Blockflöten zusammenarbeiten, Blockflöten ins Parlament wählen und das Geld und
die organisatorische Kraft der Blockflötenparteien übernommen haben, keine Belehrungen
erteilen läßt. Auf diese Strategie hätte man sich
von Anfang an verständigen müssen, dann wäre
auch damit zu gewinnen gewesen. Das PDSThema mußte kein Negativ-Thema bleiben.
2.11 Diffuse Aussagen dazu, wie man
den „Kanzlerwechsel" schaffen
wolle, mit welcher Koalition etc.
Die Aussagen zur möglichen Koalition und
die Antwort auf die Frage, wie man den Kanzlerwechsel herbeiführen wolle, waren ausgesprochen diffus: am Anfang mit Distanz zu
Rot-Grün, dann eher Pro-Rot-Grün, zumindest
unausgesprochen Pro-FDP, dann total gegen
die FDP.
2.12 Der Umgang mit den BündnisGrünen oder: Potentielle Partner
diffamiert man nicht.
Uber weite Strecken des Vorwahlkampfes war
der Umgang mit den Bündnis-Grünen so, wie
das bürgerliche Lager dies gefordert hat: aggressiv und versehen mit heftigen Attacken zur
Regierungsunfähigkeit der Grünen. Wenn man
sich zum Mit-Förderer solcher Kampagnen gegen Rot-Grün macht, dann braucht man sich
nicht zu wundern, wenn das Gesamtpotential
von SPD und Bündnis 90/Grüne am Ende nicht
reicht. Die SPD hat so leider auch in diesem
Vorwahlkampf mitgeholfen, zur Stigmatisierung eines potentiellen Partners beizutragen.
Im zweiten Teil des Wahlkampfes war dies
dann sonderbarerweise verschwunden.
Albrecht Müller
Der Autor war MdB für die SPD (1987-1994)
und früher (1973) Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Seit 1982 auch als
politischer und wirtschaftspolitischer Berater
freiberuflich tätig.
16
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
Thomas Ohlemacher
Schmerzhafte Episoden:
Wider die Rede von einer rechten
Bewegung im wiedervereinigten
Deutschland
Die Gewalt gegen Ausländer im wiedervereinigten Deutschland schien unaufhörlich zu steigen. Neueste Zahlen belegen jedoch: 1993 sind
weniger Gewalttaten zu verzeichnen - vor allem die Zahl der Anschläge gegen Asylantenheime ist laut Angaben der Bundesregierung
deutlich zurückgegangen. Gefahr gebannt? Keinesfalls, mag man mit Blick auf immer wieder
aufflammende Gewalt sagen - so z.B. aus Anlaß des Geburtstags von Adolf Hitler im April
1994 in Bielefeld. Weitere Ausbrüche von Gewalt scheinen durchaus und jederzeit möglich.
Viele wissenschaftliche und journalistische
Beobachter befürchten gar ein organisatorisches Erstarken der Rechten, wähnen eine rechte Bewegung auf dem Weg zur Macht. Sie
sehen die Demokratie in Gefahr, ihre Institutionen bereits unterwandert. Der folgende Beitrag möchte im Kern den Begriff der Bewegung, bisherige Forschung im Feld und Einschätzungen zu rechten Bewegungen unter einen Hut bringen - dies ist vom Anspruch her
vermessen, muß zwangsläufig Rudiment bleiben. Der Beitrag ist skizzenhaft, in Teilen essayhaft, hofft jedoch Anlaß zur Diskussion geben zu können.
es nützlich erscheint, zu wissen, worüber ich
im folgenden reden werde (1). Danach wird es
um ein kleines Modell gehen, welches die Bedingungen der Stabilisierung von sozialen Bewegungen zusammenfasst. Diese Modellvorstellung wurde geschult anhand der linken postmaterialistischen, den sogenannten neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre und der Forschung zu diesem Phänomen (2). Das Modell wird abschließend mit
den Befunden der neueren Literatur zu rechten
Phänomenen konfrontiert (3).
1.
Zum Begriff der Bewegung
Greift man die weitgehend akzeptierte (bzw.
geflissentlich ignorierte) Definition von Joachim Raschke auf, so handelt es sich bei sozialen Bewegungen um „... einen mobilisierenden kollektiven Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher
symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisationsund Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu
verhindern oder rückgängig zu machen." (1987:
77). Ersetzt man die Zielvorstellung grundleDabei soll wie folgt vorgegangen werden: zum genderen sozialen Wandel z.B. durch Wandel
Auftakt wird der Begriff Bewegung in der De- des politischen Systems oder - mehr oder wefinition von Joachim Raschke aufgegriffen, da niger weitreichende - Ziele im Rahmen des
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
bestehenden politischen Systems, so lassen sich
etwa politische Bewegungen von Protestbewegungen und sozialen Bewegungen differenzieren. Raschke zufolge ist im Rahmen der vorherrschenden Vorstellung von Bewegungen ein
Konsens vorhanden, es handele sich bei Bewegungen um ein strukturiertes und rationales
Phänomen. Keinesfalls gehe es um amorphe,
unverbundene Episoden eines gesellschaftlichen Phänomens. Bewegungen sind sich selbst
organisierende, vernetzte kollektive Akteure,
ausgestattet mit einem Bewußtsein einer gemeinsamen Anstrengung (gleichsam „Bewegung für sich"), für deren Handlungen (zumindest für den größten Teil) eine „globale
Rationalitätsannahme" gemacht werden kann
(Raschke 1987: 17). Die Vorstellungen der „collective behaviour"-Schule, die durchaus noch
irrationale Elemente einer Massenpsychologie
a la LeBon beinhaltete, wurden beiseite gelegt
(Nullmeier/Raschke 1989). Diese Weichenstellung und der damit verbundene „Bias" muß
meines Erachtens bei der Bewertung der
sozialwissenschaftlichen Forschung zu rechten sozialen Bewegungen mitbedacht werden.
17
2.
Ein Modell der Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen
Bewegungen aller Art sind im letzten Jahrzehnt verstärkt zum Objekt methodisch kontrollierter Begierde geworden (Diani/Eyerman
1992). Die Forschung in Westeuropa konzentrierte sich dabei vor allem auf linkslibertäre,
postmaterialistische oder kurz: sogenannte neue
soziale Bewegungen (Rucht 1991). Es wurde
in der Tat eine Art „normative Entscheidung"
für (und gegen) bestimmte Anliegen getroffen
(Bergmann/Erb 1994a: 80).' In den USA war
die Forschung auf das gesamte politische Spektrum erweitert, „collective action" aller Art
wurde berücksichtigt (vgl. zusammenfassend
McAdam, McCarthy and Zald 1988). Auf der
Basis dieser und eigener Studien ist in der
Abteilung 'Öffentlichkeit und soziale Bewegungen' des WZB ein Schema entwickelt worden, welches die Entstehungs- und Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen zu
verdeutlichen sucht (Neidhardt/Rucht 1993).
Schaubild 1
Schema: Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen
1
Individuelle
J
Erfahrungsebene
2
Kollektive
Deutungsebene
A Bedingungen der
Problematisierung
Al Deprivation
B Bedingungen der
Mobilisierung
BI Gemeinschaftsgefühle
«-
C Bedingungen der
Stabilisierung
C l Erfolgs_^C2 Strategiewahrnehmungen
programme
it
t
*
^
3
Strukturebene
A2 Skandalisierungs- A3 strukturelle
muster
«- •+• Spannungen
t
I
B2 Ingroup/Outgroup B3 Mobllislerungskonzepte
«- -*• strukturen
ti
C3 gesellschaftliche
*- -»• Gelegenheitsstrukturen
aus: Neidhardt/Rucht 1993
18
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Analytisch unterscheidet das Schema auf der
ersten Dimension Bedingungen der Problematisierung (a), der Mobilisierung (b) und der Stabilisierung (c). Die Bedingungen der Entstehung einer Bewegung (a,b) und der Möglichkeit, die Bewegung auf Dauer zu stellen
(c), werden abgetragen auf einer zweiten D i mension. Hier werden die individuelle
Erfahrungsebene (1), eine kollektive Deutungsebene (2) und die Strukturebene (3) relevant.
Während die erste Dimension die Bewegung
abbildet, unterscheidet die zweite gesamtgesellschaftliche Prozesse. Ebene (1) der zweiten Dimension könnte mit der gesellschaftlichen Mikroebene gleichgesetzt werden, während auf der zweiten und dritten Ebene Mesound Makrophänomene in den Blick kommen.
Die Autoren heben hervor, ein entscheidender
Fortschritt in der Bewegungsforschung der letzten Jahre sei vor allem durch die verstärkte
Untersuchung der Strukturebene gelungen.
Neben grundlegenden strukturellen Spannungen (3a), die vor allem auf Modernisierungsund damit verbundene Differenzierungsprozesse zurückzuführen seien, benennen sie die für
sich stabilisierende Bewegungen nützlichen
Mobilisierungsstrukturen (3b) und eine sie begünstigende gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur (3c).
1994
in sozialen Bewegungen stattfinden. Die Rede
von „pre-existing networks" und „micro-mobilization contexts" (McAdam 1986), „cooptable communication networks" (Freemann
1983) und gastgebenden „host organizations"
als Mobilisierungsvoraussetzungen, die Sicht
von Bewegungen als „Netzwerke von Netzwerken" (Neidhardt 1985), die Verknüpfung
von micro-Kontexten durch „soziale Relais"
(Ohlemacher 1993), die Beschreibung von
Mobilisierung von Organisationen durch Bewegungsorganisationen als „Mesomobilization" (Gerhards/Rucht 1992) ist nicht nur rein
theoretisch formuliert, sondern auch empirisch
gut abgesichert worden. Größere Forschungslücken bestehen lediglich weiterhin auf der
Mesoebene (McAdam et al. 1988: 729). Mobilisierungsstrukturen all dieser Art sind eine
der Voraussetzungen für sich stabilisierende
soziale Bewegungen. Fehlen diese strukturellen Grundlagen, wird sich eine soziale Bewegung nur schwerlich konsolidieren können.
Mit der Analyse gesellschaftlicher Chancenstrukturen wird vor allem angeknüpft an das
Konzept der „political opportunity structure"
(Tarrow 1983,1991, Kriesi 1991). Hierbei wurde die Frage nach den „Gewinnaussichten und
Kostenbelastungen kollektiver Aktionen" und
deren Auswirkungen auf die Kalkulationen von
Mit Mobilisierungstruktaren ist die Chance ge- Bewegungsakteuren gestellt (Neidhardt/Rucht
meint, soziale Isoliertheit aufzuheben. Protest- 1993: 7). Weitergefaßt und soziologisch gebewegungen können nicht entstehen, wenn die nauer kann man fragen nach den Bezugsgrupvon sozialen Spannungen betroffenen Indivi- pen von Bewegungen (etwa Medien, Polizei,
duen sich nicht kennen und die Lage der ande- Gerichte usw.) und der Art der Beziehungen,
ren nicht wahrnehmen. Alle Ähnlichkeiten in den wechselseitigen Perzeptionen der Bezugsder Erfahrung von Deprivation, alle Überzeu- partner, die stabilisierend oder destabilisierend
gungskraft von ingroup/outgroup-Konzepten wirken können (Neidhardt 1992). Erst in dieverpuffen wirkungslos, wenn die Individuen sem Wirkungsgeflecht und der speziellen
sozial isoliert sind und damit „zueinander nicht Interaktionsdynamik wird verstehbar, warum
kommen" können. Neuere Bewegungsfor- Bewegungen überdauern, wachsen, vergehen
schung hat durch die Prägung von Begrifflich- und vielleicht wieder entstehen - rein bewekeiten und nachfolgende Untersuchungen va- gungsendogene Analysen dürften zu kurz greilide nachweisen können, daß solche Prozesse fen. In diesem Bereich hat die Bewegungsfor-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
19]
1994
schung zu links-libertären, postmaterialistischen Bewegungen erste erfolgversprechende
Schritte in das empirische Feld unternommen
(della Porta/Rucht 1991, Koopmans 1992). Interessant erscheint auch der Versuch, die Interaktionsdynamik von Bewegungen und Gegenbewegungen in den Griff zu bekommen (Forschungsjournal NSB 2/91). An dieser Stelle
sind u.a. paradoxe Effekte von Interaktionsprozessen zu beobachten - Aktionen von Gegenbewegungen werden u.U. von den Gegnern als Werbung in eigener Sache einkalkuliert und wirken auch in dieser nicht intendierten Weise (vgl. Blattert/Ohlemacher 1991 zu
Republikanern und Antifa). Im Vergleich zu
Mobilisierungsstrukturen ist an dieser Stelle
jedoch noch stärker zu arbeiten.
Soziale Bewegungen werden sich also nicht
stabilisieren können - dies darf mit großer Si-
cherheit angenommen werden wenn sie nicht
in der Lage sind, auf eine differenzierte Struktur von Mobilisierungs- und Resonanzchancen
zurückzugreifen. Bewegung braucht strukturelle Einbettung in die „Beziehungsbahnen der
Gesellschaft" (Neidhardt) - auf individueller,
organisatorischer und institutioneller Ebene.
Fördemde Elemente auf allen Ebenen sichern
das Überleben, fehlende Unterstützung macht
ein Überleben schwierig.
3.
Neue Erkenntnisse zu neueren
Phänomenen?
Nimmt man die Literatur, die Ende der achtziger bzw. zu Beginn der neunziger Jahre zu
rechtsradikalen bzw. -extremen Phänomenen
in Deutschland veröffentlicht wurde, so zeigt
sich zweierlei. Zunächst ist die Literaturlage
trotz der Fülle an veröffentlichten Titeln als
2
20
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
äußerst unbefriedigend zu bezeichnen. Es dominieren Arbeiten zur Ideengeschichte der
Rechten, zur Organisationsentwicklung, Aktivistenporträts und journalistische Betrachtungen der rechten Szene. Allenfalls im Bereich
der Jugendforschung finden sich empirische
Arbeiten qualitativer und quantitativer Art, die
methodischen Standards genügen können (zur
Literaturübersicht vgl. Ohlemacher 1994: 223).
Das zweite Ergebnis betrifft klare Defizite und
Desiderata der Forschung zu rechten politischen Protesten. Macht man den Versuch, die
Schwerpunkte der Studien dem oben vorgestellten Schema zuzuordnen, so zeigt sich ein
klares Ergebnis: Die Bedingungen der Problematisierung rechter Politikissues sind alle relativ gut untersucht. Dies gilt für Phänomene
der Benachteiligung, der Skandalisierung und
der ihnen möglicherweise zugrundeliegenden
gesamtgesellschaftlichen Probleme. Die
Schwerpunkte der Forschung im Bereich Mobilisierung liegen eindeutig bei Ingroup/Outgroup-Konzepten und dem organisierten, sichtbaren Teil der Mobilisierungsstrukturen. Informelle Prozesse, wie die Bildung und Stabilisierung von Gruppen, die direkte Mobilisierung zu Aktionen, aber auch die Herstellung
von Gemeinschaftsgefühlen, bleiben weitgehend unbearbeitet.
3
Die interessantesten, weil theoretisch folgenreichsten Einzelergebnisse jüngerer empirischer
Studien sind folgende:
4
(1) Eine aktuelle materielle Notsituation ist
nicht notwendig mit dem Entschluß zur Gewalt verbunden, vielmehr scheint die Angst
vor einem zukünftigen sozialen Abstieg eine
gewichtige gewaltauslösende Rolle zu spielen.
(2) Gewalttaten gegen Ausländer sind Gruppentaten zumeist Jugendlicher. Unpolitische
Cliquen spielen dabei eine größere, bedeutendere Rolle als „rechte Jugendkulturen".
1994
(3) Die Motive der Jugendlichen sind in der
Regel nicht explizit rechtsextremistisch. Die
Jugendlichen verfügen in der überwiegenden
Mehrheit nicht über Kontakte zu rechtextremen Organisationen, verweigern sich sogar oft
explizit. Langeweile und Alkohol scheinen neben einer diffusen Ablehnung von Fremden
- die Grundlage für Gewalt gegen Ausländer
zu sein.
Alle Felder der Stabilisierungsbedingungen
sind Leerstellen, die nur am Rande in der Forschung erwähnt, in keinem Falle systematisch
untersucht wurden. Damit bleibt festzuhalten,
daß die beiden wichtigsten strukturellen Voraussetzungen für linke soziale Bewegungen,
die sozialen Mobilisierungsstrukturen jenseits
(z.B. im Vorfeld) der von Bewegungen
(selbst-)organisierten Kontexte und die gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur, keine systematische Thematisierung erfahren haben.
Kann man auf der Basis dieser Befunde von
einer existierenden oder aufkommenden sozialen Bewegung von rechts sprechen? Im Gegensatz zu Jaschke (1993), Willems (1992:
445f) und Bergmann/Erb (1994, vgl. auch den
Beitrag in diesem Heft) würde ich die „Gefahr" geringer einschätzen. Man kann, wählt
man den oben eingeführten Begriff der Bewegung, kaum von einer bereits existenten Bewegung sprechen. Bergmann/Erb sind meiner
Beobachtung nach z.Zt. die wissenschaftlich
profiliertesten Vertreter der These einer rechten Bewegung. In mehreren Veröffentlichungen u.a. in dieser Zeitschrift (1994a) und in
Beiträgen zu einem von ihnen herausgegebenen Sammelband (Bergmann/Erb 1994, Bergmann 1994b), haben sie ihre These theoretisch
differenziert dargestellt und versucht, empirische Belege heranzuziehen. Begrifflich fassen
sie soziale Bewegungen sehr weit, indem sie
sich auf die Vorstellung von Diani beziehen.
Hiernach sind soziale Bewegungen lose ge-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
koppelte Interaktionen von Personen, Gruppen und Organisationen, die auf der Basis einer gemeinsamen kollektiven Identität in politischen oder kulturellen Konflikten engagiert
sind. Theoretisch beziehen sie sich - wie auch
dieser Beitrag - auf die Mobilisierungsmodelle
der Abteilung „Öffentlichkeit und soziale Bewegung" des WZB, konzentrieren sich dabei
jedoch auf die Vorstellung von Mikro- und
Mesomobilisierungen sowie die korrespondierenden Framing Prozesse (vgl. grundlegend
Gerhards/Rucht 1992). Empirisch ziehen sie
Material von Feldforschungen aus Berlin und
Brandenburg nach dem Fall der Mauer heran
(Bergmann/Erb 1994a: 80) - ohne jedoch Erhebungs- bzw. Analyseverfahren näher zu beschreiben. A n dieser Stelle setzt meine erste
Kritik an: Für den Leser ist nicht überprüfbar,
ob die These tatsächlich bestätigt wird, soll
heißen: in welcher Beziehung das gesamte
Material zu den Annahmen steht. Zum zweiten stellt sich die Frage, ob die zitierten Jugendcliquen tatsächlich Mikromobilisierungsakteure
darstellen. Zu groß scheint die Distanz zwischen ihnen und den Mesomobilisierungsakteuren, sprich rechtsextremen Organisationen. Bergmann/Erb sehen dieses Problem, wissen auch um gescheiterte Versuche der Einbindung von Jugendcliquen (87), erachten die Verbindung über Meinungsbrücken (z.B. das
Ausländerthema) jedoch als hergestellt und
tragfähig. Zum dritten frage ich mich, ob es
tatsächlich ein „einheitliches Milieu der rechten Bewegung" (90) gibt. Bergmann/Erb sichern diesen Begriff durch den der Szene ab,
der m.E. jedoch ähnlich unscharf bleibt. Eine
Szene, ein Milieu werden behauptet, empirische Belege gibt es m.E. jedoch (noch) nicht.
Allerdings scheint - viertens - auch von Bergmann/Erb nicht bestritten zu werden, daß es
den Rechten an „großräumigen Protestrelais
oder Gastgeber-Organisationen" (85) fehlt, z.B.
Kirchen und Universitäten. Diese Drehpunkte
dienten bei linkslibertären Bewegungen nicht
21
nur der Mobilisierung von Aktionen und Aktiven, sondern auch von Sympathie und Unterstützung in der breiten Bevölkerung. Die Rechten müssen auf Medien als Äquivalente ausweichen - sowohl was die Kommunikation untereinander (Stichworte: Computernetze, Funknetze, Videos), als auch mit der Gesellschaft
(Massenmedien, Mail Boxes) angeht. Gerade
diese von Bergmann /Erb so bezeichneten constraints einer rechten Bewegung auf der M i kro- und Mesoebene (Distanz Jugendcliquen/
rechte Organisationen, Fehlen von Relais und
etablierten Gastgebern) dürften aber verhindern, daß es zu einer erfolgreichen Bewegung
kommt. Meines Erachtens handelt es sich bei
den rechtsradikalen bzw. -extremen Ausschreitungen um weichere Phänomene unterhalb der
Bewegungsebene. Eine mögliche Bezeichnung
hierfür wäre kollektive Episoden (Nullmeier/
Raschke 1989: 252). Was spricht für eine solche Sicht der Dinge?
Erstens gehen weder Massen für rechte Ziele
auf die Straße, noch verüben tausende Gewalttaten. Im Vergleich zu den Mobilisierungen zu
Beginn der achtziger Jahre (Friedens- und Umweltbewegung) handelt es sich bei den aktuellen rechten Phänomenen um keine Massenmobilisierungen. Rechte Einstellungen finden
nicht die Resonanz in der Bevölkerung, wie es
die Anliegen beispielsweise der Ökologiebewegung taten. Auch sind die sozialen Orte für
zahlenmäßig erfolgreiche Sozialisationen und
Mobilisierungen nicht von der Rechten hegemonialisierbar. Auschwitz wirkt an dieser Stelle
entschieden nach. Für das Ausbleiben von größeren Mobilisierungserfolgen könnte zudem
das Fehlen eines zentralen mobilisierenden
Akteurs ein Problem darstellen. Rechte Bewegungen scheinen stärker als linke Bewegungen von einem Führer oder einem Führungsgremium abzuhängen (vgl. Neidhardt 1982:
459f.). Die rechtsradikale Infrastruktur ist bisher in geringem Maß organisiert, es gibt nur
5
22
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
relativ wenige organisierte rechtsextreme Gruppenzusammenhänge. Die Vernetzung untereinander ist gering ausgeprägt, obgleich Presseberichte 1993/94 von einer zunehmenden Verflechtung sprechen. Die Verflechtung wird jedoch vom Verfassungsschutz als strukturlos,
strukturarm (unter Jugendlichen, vorwiegend
Skinheads) und marginal (zwischen Skins und
rechtsextremistischen Parteien) bezeichnet
(1994: 13).
6
Zweitens gibt es kein Bewußtsein der Bewegung „von sich", so daß man von hoher symbolischer Integration sprechen könnte. Zwar
haben sich habituelle Erkennungsmerkmale
ausdifferenziert (kahlgeschorene Köpfe, Bomberjacken, Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, exzessiver Alkoholgenuß), diese treffen jedoch nur auf eine kleine, marginalisierte Gruppe zu. Das Gros der Rechten ist kulturell kaum
erkennbar. Der Habitus der „Glatzen" jedoch
ist nicht verallgemeinerungsfähig, er ist symbolüberladen - so wie es der Habitus der linken und rechten Punks der Siebziger war. Zwar
gibt es eine neue Musikszene mit rassistischen
und nationalen Tönen. Ihre soziale Resonanz
ist aber gering im Vergleich zu der Resonanz
der Künstler, die mit den linken postmaterialistischen, den sogenannten neuen sozialen Bewegungen zu Beginn des Jahrzehnts sympathisierten. Die Künstler, welche beispielsweise die Ökologie- und die Friedensbewegung
unterstützen, waren sozial breit akzeptiert (das
„Unterstützerspektrum" ging bis hin zu populären Schlagersänger/innen).
Drittens ist das Bewegungsmerkmal einer geringen Rollenspezifikation nicht zutreffend,
betrachtet man die aktuellen rechten Phänomene in der Gesellschaft. Zwar gibt es sowohl
formelle Mitgliedschaft als auch Gewalttaten
Nicht-Organisierter: Jedoch sind diese nicht
sozial verbunden. Erst ein „Wir-Gefühl" aller
Beteiligten - gekoppelt mit einer Balance aus
1994
formalen und informellen Partizipationschancen - könnte eine Bewegung entstehen lassen.
Die organisierten Zusammenschlüsse haben jedoch geringe Kontakt- und Mobilisierungsmöglichkeiten. Die Gewalt kommt, soweit man
weiß, aus eher „szenischen Zusammenhängen",
die nicht explizit rechtsradikal sind. Das Weltbild der dort agierenden Jugendlichen ist kein
geschlossenes, rechte Vorstellungen verbindendes Gedankengebäude. Organisationen und gewaltbereite „Szenen" sind also weder auf der
sozialen noch auf der Zieldimension miteinander verbunden.
Viertens fehlt eine kompakte, in sich schlüssige Ideologie, die.bei den Rechten breite Zustimmung findet oder zukünftig finden könnte. Eher handelt es sich um Versatzstücke, die
schwerlich verbindbar sind. Falls es doch gelingt, entstehen leicht Konkurrenzen zu Interpretationsversuchen anderer Gruppen. Auch
hier wirkt sich das hierarchische Denken der
Rechten negativ aus. (Der Führer einer anderen Gruppe ist ein Rivale um die Gesamtführerschaft.) Ein wichtiger Streitpunkt unter rechten Ideologen ist zudem die Frage der Interpretation der jüngeren deutschen Geschichte.
Es besteht offensichtlich ein Zwang zu Abgrenzung oder Apologie: Das Dritte Reich behindert in diesem Sinne die Formierung einer
rechten Bewegung. Es genügt zudem nicht der
gemeinsame Nenner der Zielvorstellungen,
„das Ganze muß es sein". Die Zielvorstellungen, auch der Gewalttäter, sind nicht extremistisch im oben beschriebenen Sinne, sie sind
eher eklektizistisch, einzelne rechte Aspekte
aufgreifend. Die vorrangigen Ziele sind nicht
politisch im engeren Sinn. Eine Systemveränderung wird nicht angestrebt, auch die konkreten Ziele sind diffus. Es geht vielmehr um
Selbstdarstellung, um „Lautgeben" der an der
Gewalt Beteiligten. Volker Heins (1992) spricht
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7. HEFT 4,
1994
deshalb von rechtsextrem erscheinender Gewalt als parapolitischen, politisch unvollständigen Phänomenen.
7
Fünftens scheint auch das für Bewegungen im
oben zitierten Verständnis typische rationale
Moment zu schwach ausgeprägt. Bei der Gewaltentstehung scheinen eher irrationale Momente und rational schwer nachvollziehbare,
stärker expressiv zu nennende Momente eine
Rolle zu spielen. Die Dominanz der Emotion
über das Kalkül, beziehungsweise das Fehlen
eines Akteurs, der mit den Emotionen zu kalkulieren versteht, ist m.E. eine der wichtigsten
Barrieren gegen die Entstehung einer rechten
Bewegung. Kollektive Exzesse können sich
wiederholen, aber in der nächsten Zukunft dürfte eine rechte Bewegung nicht zu erwarten sein.
Eine selbstkritische Frage an Sozialwissenschaftler könnte nun sein, ob die Interpretation
der rechten Phänomene als Bewegung nicht
unter Umständen zu nicht intendierten Nebeneffekten führt. Das Deutungsangebot, eine Bewegung zu sein, könnte einerseits von den Aktivisten in rechten Organisationen dankbar aufgenommen und zur Selbststilisierung, ja Werbung benutzt werden. Einen Gutteil tragen dazu
auch die Medien bei: Eine rechte Bewegung
hat Neuigkeitsweit, Angst verkauft sich. Andererseits könnte die (so perzipierte) Diffamierung von jungen Gewalttätern, zu einer solchen Bewegung zu gehören, diese vielleicht
gerade in die Hände rechter Organisationen
treiben. Political Correctness scheint es unmöglich zu machen, keine rechte Bewegung
zu sehen; gerade aber die Deutung von
schmerzvollen Episoden als soziale Bewegung
kann unter Umständen ein Anwachsen von
rechter Gewalt und Organisationen bewirken.
Thomas Ohlemacher arbeitet am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN).
23
Anmerkungen
Diese Vorentscheidung bei neuen sozialen Bewegungen kann aber nicht dazu dienen, rechte
Aktivitäten qua eines (normativ so verstandenen)
unsozialen Anliegens als Bewegung zu disqualifizieren - so wie dies Christoph Butterwegge bisweilen tut (1994: 75).
Einen Überblick über die Literatur und eine kritische Analyse der vorgelegten Untersuchungen
bis Mitte/Ende der achtziger Jahre geben Backes/
Jesse 1989.
Zu einem ähnlichen Urteil kommen jüngst Butterwegge (1993: 17) und Ende der achtziger Jahre
Backes/Jesse (1989: 144).
Zur Literatur vgl. wiederum Ohlemacher 1994,
Grundlage ist vor allem Willems et al. 1993.
Das Argument, auch die Zustimmung zu der
Ökologiebewegung habe „klein begonnen", kann
so nicht gelten, denn die rechten Issues sind ebenfalls bereits seit Jahren in der Diskussion. Butterwegge (1993) diskutiert die interessante Frage, ob
die rechten Gewaltausbrüche nicht u.U. eine Folge der Aktivitäten der links-libertären sozialen Bewegungen sein könnten. Die linken Bewegungen
könnten „Ängste vor einer unkontrollierten Gesellschaftsveränderung" hervorgerufen haben, die
nun zu spontanen Gegenreaktionen führten. Rechte Proteste könnten so beispielsweise auf die vermeintlichen Erfolge der Frauenbewegung reagieren. Dies könnte in seinen Augen ein Erklärungsansatz sein, um die deutliche Überrepräsentation
von Männern bei rechten Aktivitäten zu erklären
(23). Er geht auch auf die in der ZEIT 1993 geführte Diskussion ein, inwieweit 1968 durch das
aktive Wegbrechen vieler Tabus für die Welle
rechtsextremer Gewalt zu Beginn der Neunziger
mitverantwortlich ist. Er weist diesen Vorwurf zurück. Werte und Ziele der APO seien nicht schuldig zu sprechen, vielleicht aber die soziale Praxis
der „gealterten Linken", die z.B. als Lehrer ihre
Schüler enttäuscht haben. Die unaufgelösten Widersprüche zwischen ihren Ansprüchen („Gerechtigkeit, Gleichheit") und ihrem Lebensstil („BAT
Ila-Schickeria") hätten die Schüler hilflos zurückgelassen (20). Dies deckt sich mit der Position
von Leggewie in der angesprochenen Diskussion
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71-83
in der ZEIT. Die 68er hätten keine Orientierung
für die Generation nach ihnen möglich gemacht,
da sie in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld auf
die Ausbildung von positiver Autorität (z.B. in
Familie und Schule) verzichtet hätten.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht
für Ende 1992 von 82 bekannten rechtsextremen
Organisationen und Zusammenschlüssen mit rund
41.900 Mitgliedern. Die Zahl der „militanten Skinheads" wird auf ca. 6400 geschätzt (Bundesamt
für Verfassungsschutz 1993: 3). Ende 1993 sind
es nach Angaben des Verfassungsschutz rund
42.400 Personen, darunter 5.600 „militante Rechtsextremisten" (Bundesamt für Verfassungsschutz
1994: 2).
Seines Erachtens zirkuliert rechte wie linke Gewalt in einem „magischen Dreieck" der Parapolitik, bestehend aus modernem Fundamentalismus,
Hooliganism und neuen sozialen Bewegungen. Die
neuen sozialen Bewegungen bilden dabei das rationale Element des Dreiecks. Eine Erfolgsbedingung für einen bewegungsnahen Rechtsradikalismus ist m.E. die Fähigkeit, gesellschaftlich vorhandene „Aggressionspotentiale fundamentalistisch zu codieren."(82)
6
7
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Werner Bergmann/Rainer Erb
Kaderparteien, Bewegung, Szene,
kollektive Episode oder was?
Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen
Rechtsextremismus
Im Vergleich zum organisationsfixierten, völkisch-antimodernen alten Rechtsextremismus
läßt sich im rechtsextremen Lager in den letzten Jahren eine Veränderung beobachten, die
man mit den Stichworten Verjüngung, Übernahme sub- und jugendkultureller Muster, kulturelle Modernisierung, militant-spontaner Aktionismus, ideologische Pluralisierung und eine
damit einhergehende individuell variable Internalisierungstiefe von Ideologieelementen
sowie Abkehr von einer Führer- und Hierarchiefixierung hin zu einer schwachen und dezentralen Organisation beschreiben kann. Hinzu kommt, daß das rechte Lager mit dem Issue
,Ausländer/Asyl" erstmals ein Thema besetzt
hat, das auch in breiteren Bevölkerungsschichten und in politischen Parteien als „soziales
Problem" angesehen wird. Diese Beobachtung
hat unter Sozialwissenschaftlern einen Streit
darüber ausgelöst, wie man dieses schillernde
Phänomen mit soziologischen Kategorien fassen kann. Eine Reihe von Rechtsextremismusforschern hat vorgeschlagen, diese Phänomene unter dem Begriff der sozialen Bewegung
zu subsumieren und greift dabei auf die im
wesentlichen am Beispiel der links-libertären
neuen sozialen Bewegungen entwickelten
Theorien zurück. Dagegen verwahren sich andere „Bewegungsforscher", die ihren positiv
besetzten Bewegungsbegriff an progressiv1
2
emanzipatorischen Bewegungen gebildet haben und sich deshalb teils mit empirischen Gegenargumenten, teils aber aus normativer Befangenheit dagegen wehren, daß dieser „Ehrentitel" dem Rechtsextremismus zukommen
soll, der mit seinen Aktionen und Zielen dem
Idealbild einer „neuen sozialen Bewegung"
völlig widerspricht. Mit der zweiten, rein normativ argumentierenden Ablehnungsvariante
wollen wir uns hier nicht befassen, da wir den
Begriff der sozialen Bewegung als Strukturkategorie ansehen, die gegenüber ihren Inhalten
neutral ist, d.h. die Protestthemen nicht von
vornherein politisch oder moralisch bewertet.
3
Auch die eher empirisch argumentierenden
Kritiker haben in ihrer Beschäftigung mit den
neuen sozialen Bewegungen normativ getönte
Erwartungen an die ideologische Geschlossenheit des Milieus, an Organisationsgrad und
Rollendifferenzierung, Massenmobilisierung
und an die Rationalität ausgebildet, die sie dazu
führen, vorläufig nicht von einer rechten Bewegung zu sprechen. Gegen diese Sichtweise
ist zweierlei einzuwenden:
4
1) Die Theorie sozialer Bewegungen hat sich
von der Annahme eines kollektiven Akteurs
gelöst und spricht heute, durch zahlreiche Fallstudien abgesichert, von einem lose struktu-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
rierten Netzwerk von Netzwerken, in das M i kroakteure unterschiedlichsten Organisationsgrades, unterschiedlicher Beteiligungsbereitschaft und -motive, ideologischer Nähe usw.
eingebunden sind. Die Forderung nach Geschlossenheit oder Einheit widerspricht dem
fragmentarischen, heterogenen Charakter sozialer Bewegungen, wie vor allem Alberto Melucci betont hat. Einheit ist nicht Voraussetzung, sondern Resultat kollektiver Aktion. Soziale Bewegungen müssen immer einen großen Teil ihrer Ressourcen auf die Herstellung
und Erhaltung ihrer Einheit aufwenden, da sie
nicht über Gratifikation in Form von Geld,
Macht oder Prestige und eindeutige Außengrenzen (z.B. formale Mitgliedschaft) verfügen. Die berechtigte Kritik der Bewegungsforscher an der Massenpsychologie, die in kollektiven Protestbewegungen nur destruktive irrationale Elemente sah, was dazu führte, daß
vor allem linken Bewegungen Handlungsrationalität zugesprochen wurde, sollte nicht zur
Folge haben, daß man diese Rationalität rechten Bewegungen wiederum abspricht, weil sie
universalistischen Normen widersprechen.
Denn ihre Gewaltaktionen gegen Ausländer
sind, bezogen auf ihr Ziel, den soziokulturellen Wandel hin zu einer multikulturellen Gesellschaft zu verhindern oder rückgängig zu
machen, durchaus ein rationales (und partiell
ja auch erfolgreiches) Mittel.
27
nem erst entstehenden Rekrutierungsmilieu.
Diese Sichtweise birgt die Gefahr in sich, daß
Bewegungen in ihrer Entstehungsphase leicht
übersehen und deshalb in ihrer Lebensfähigkeit und Bedeutung unterschätzt werden. Da
die Bewegungsforschung sich vorrangig mit
erfolgreichen Großbewegungen der 80er Jahre
befaßt hat, wird der Fall nicht genügend berücksichtigt, daß eine Bewegung keinen eindimensionalen stufenlosen Entwicklungsprozeß
durchläuft, sondern in jeder Phase mit ihrem
gesellschaftlichen Umfeld interagiert, so daß
etwa scharfe gesellschaftliche Sanktionen, wie
sie Rechtsradikale und Gewalttäter erfahren,
rechte Bewegungen in ihrer „Jugendphase"
zwar nicht stillstellen, aber doch stark behindern können. Hinzu kommt natürlich, daß Bewegungen sich auch durch erfolgreichen Protest auflösen können, wenn z.B. das politische
System ihre Forderungen wenigstens partiell
erfüllt hat.
6
Sucht man, wie die dem Paradigma der NSB
folgenden Bewegungsforscher, in der rechten
Bewegung nach direkten Entsprechungen, so
kommt man zwangsläufig zu Defizitanzeigen,
die nicht nur der frühen Entwicklungsphase
geschuldet sind, sondern auf strukturelle Probleme rechter Mobilisierung hindeuten (fehlende großräumige Protestrelais, staatliche Verbotspraxis, keine Massenmobilisierung). Dabei übersieht man u.E. zweierlei: Einmal funk2) Diese normative Infizierung des Rationali- tionale Äquivalenzbildungen. So kann z.B.
tätskriteriums weist nochmals auf die starke Gewalt auf der Straße das politische System
Bindung an das Paradigma demokratisch-pro- genauso zum Handeln zwingen wie Massen
gressiver Bewegungen hin, die sich auch in auf der Straße, können Provokationen und
einigen anderen Kriterien nachweisen läßt. So Funktionalisierung der Massenmedien dem
gewinnen die Bewegungsforscher ihre Maß- rechten Lager eine größere Bedeutung verstäbe aus der Endphase einer fast dreißigjähri- schaffen als ihm zahlenmäßig zukommt. Wenn
gen Protest- und Bewegungsgeschichte (von im vergangenen Jahr nach Auskunft der Bunerfolgreichen! Bewegungen) und verkennen desregierung 23.318 Ermittlungsverfahren wedarüber die kleinen Anfänge der neuen sozia- gen rechtsextremistischer und fremdenfeindlilen Bewegungen mit ihrer ideologischen Dif- cher Straftaten (Anteil 40%) eingeleitet worfusität , geringem Mobilisierungsgrad und ei- den sind, dann dürfte das große Ausmaß an
7
5
28
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
fremdenfeindlicher Mobilisierung deutlich sein
und Ohlemachers quantitative Argumentation
entkräften. Zum anderen vernachlässigt man
die Lernfähigkeit von Bewegungen, die auf
Sanktionen mit Änderungen ihrer Strategien
und Symbolpraxis reagieren.
8
9
Gegenüber einem Bewegungsbegriff, der bereits große Strukturleistungen voraussetzt, Bewegungen aber durch seine Bestimmungsmerkmale (Organisation, Bezug zu sozialem Wandel) nicht hinreichend von anderen sozialen
Kommunikationssystemen abgrenzen kann ,
folgen wir Ahlemeyers systemtheoretischem
Vorschlag, soziale Bewegung als Reproduktion und Verknüpfung von Mobilisierungsereignissen zu definieren. Das Spezifische der Mobilisierungskommunikation ist, daß sie den mitgeteilten Sinnvorschlag mit einem Selektionsvorschlag an das Ego einer Person verbindet:
sie möge entsprechend handeln." Soziale Bewegungen bilden sich durch Protestkommunikation, in der sie über ein Thema in ihrer Differenz zur Gesellschaft erkennbar werden. Sie
gewinnen Dauer, in dem sich andere über Beiträge zum Protestthema dieser Kommunikation anschließen. Anders als im Fall von Gruppen oder Organisationen ist die Zugehörigkeit
zu einer Bewegung nicht über Mitgliedschaft
oder face-to-face-Kommunikation geregelt,
sondern kann sehr unterschiedliche Formen
annehmen: dies kann über Wahlentscheidungen, Spenden, Abonnements, Teilnahme an Veranstaltungen und Protestaktionen bis hin zu
öffentlichen Stellungnahmen und Gewalttaten
gehen. Da eine Bewegung keine Hierarchie
hat, wo die Spitze autoritativ darüber entscheidet, welcher Beitrag noch als zugehörig oder
nicht-zugehörig gilt, muß jede Protestkommunikation zum entsprechenden Thema als zur
Bewegung gehörend angesehen werden. Faßt
man den Bewegungsbegriff in dieser Weise,
dann halten wir es für angemessen, in Deutschland von einer sozialen Bewegung zu spre10
12
1994
chen, die sich um das Protestthema „Ausländer" gebildet hat. Dieses politisierte Thema ist
anschlußfähig vor allem für Rechtsextreme aller Couleur, es leisten aber auch sehr viele
Personen, Gruppen, Verlage etc. einen Beitrag,
die damit freilich nicht die politisch weitergesteckten Ziele des Rechtsextremismus verfolgen.
Die Öffentlichkeit zeigt sich immer wieder darüber verwundert, daß bei Brandanschlägen auf
Ausländer oder bei Propagandadelikten gefaßte, vor allem jugendliche Täter keine geschlossene rassistische oder rechtsextreme Ideologie
vertreten, kaum Kenntnisse der NS-Geschichte besitzen und ansonsten sozial und politisch
unauffällig sind. Trotzdem haben sie mit ihrer
Aktion einen Beitrag zu Bewegung geleistet,
indem sie einerseits an (medial vermittelte) Protestereignisse anschließen und andererseits mit
ihrem Handeln weitere Aktionen stimulieren
wollen. Ein Fall von vielen kann das Gemeinte
verdeutlichen: Im September 1992, im Anschluß an die pogromartigen Ausschreitungen
in Rostock, griffen drei Jugendliche auf einer
nächtlichen Sauftour die Containerunterkunft
von ihnen nicht bekannten Asylbewerbern in
einem hessischen Dorf mit selbstgefertigten
Molotowcocktails an und schlugen mit Baseballschlägern gegen die Hauswände. Sie waren bis dahin politisch unauffällig gewesen,
einer war Kriegsdienstverweigerer, ein anderer Mitglied der Jungen Union, und die Ermittler konnten keine Verbindung zum Rechtsextremismus feststellen. Die Jugendlichen begründeten ihre Tat damit, daß sie „Spaß haben", es den „Asylanten einmal zeigen wollten", und daß sie vorhatten, „ein Zeichen zu
setzen". Daß derartige Aktionen von Jugendcliquen als „Fortschritt" und „Signal" gedeutet
werden, belegt die Jugendforschung.
13
14
Betrachtet man diese Aktion allein für sich,
zumal die Täter nicht über eine Mitgliedschaft
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
Teil rechter Bewegungsorganisationen zu sein
schienen, hätte man es nur mit einer gewöhnlichen Straftat zu tun. Doch bereits die Presse
und das Gericht stellten sie in den Kontext der
anhaltenden Gewaltwelle gegen Ausländer.
Diese Aktion muß aber aus zwei Gründen als
Beitrag zu einer ausländerfeindlichen Bewegung gesehen werden:
29
Die Zugehörigkeit von Protestkommunikation
zu einer Bewegung bestimmt sich über den
symbolischen Anschluß an das Protestthema
und nicht über die individuell verschiedenen
Handlungsmotive, da wir aus der Bewegungsforschung wissen, daß die Teilnahmemotivation z.B. an Demonstrationen von Spaß- und
Aktionsmotiven bis hin zur Verfolgung politischer Ziele reicht. „Flache Motivation" ist
kein Kriterium, jemanden nicht einer Bewegung zuzurechnen, wobei noch hinzukommt,
daß Menschen häufig nicht wirklich über ihre
Motive Bescheid wissen, sondern sie im Verlauf von Interaktionen erst konstruieren, so daß
Motive nicht den Anfang einer Erklärung bilden, sondern selbst erklärungsbedürftig sind.
16
1) Mit ihrer Begründung, „ein Zeichen setzen
zu wollen", stellten die Jugendlichen ihre Aktion selbst in einen größeren Kontext, indem
sie einerseits den Staat , andererseits andere
Bewegungsteilnehmer zur Mobilisierung gegen die „Ausländer" aufriefen.
15
17
2) Die Umstände und die Ausführung der Aktion folgten dem etablierten, aus den Medien
bekannten bewegungstypischen Handlungsmodell: die Parolen, die Waffen, die Auswahl der
Opfer, der Alkohol und die Einlassungen vor
Gericht.
Es wäre jedoch verkürzt, eine fremdenfeindliche Bewegung vor allem in der gewaltbereiten
jugendlichen Subkultur zu lokalisieren (bzw.
mit dem Argument ihrer Politikferne zu bestreiten, daß es sich um eine Bewegung han-
- ....,ȧck i&M^ctieJ\MWL[
(fa mmdfr
X
Mt ml wie YfasrMcfaw.
30
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
delt, wie Thomas Ohlemacher es tut, S. 15).
Vielmehr ist diese nur ein (mobilisierungsbereites) Segment in einem großen Feld miteinander in loser Beziehung stehender Parteien,
Vereinen, Gruppen, Lesezirkeln, Zeitungen,
Verlagen, Kulturwerken bis hin zu Nazi-Rockbands, nationalen Liedermachern und ihren
Fanklubs, die gerade nicht mehr die auf der
traditionellen Rechten üblichen Formen der
Führer- und Kaderpartei annehmen, sondern
dezentral strukturiert, wenig organisiert, hierarchiefeindlich, ideologisch uneinheitlich (außer daß man „deutsch und rechts" ist) und
aktionsorientiert sind. Mit Friedhelm Neidhardt und Dieter Rucht sowie Claus Leggewie
kann man die fremdenfeindliche Bewegung
sogar als Ausdruck einer Tendenz zur „Bewegungsgesellschaft" interpretieren, in der sich
eine Pluralität von Bewegungen als Dauererscheinung etabliert und in die sich auch der
Rechtsextremismus nolens volens einfügt, indem er ihre Erscheinungsformen teilt. Die
rechte Bewegung, die man im wesentlichen
als eine kulturelle Gegenbewegung gegen die
Moderne mit ihren internationalisierenden und
individualisierenden Wirkungen sehen muß, gerät damit in die paradoxe Situation, die Formen derjenigen Strömungen annehmen zu müssen, gegen die sie sich im Grunde genommen
wendet. Trotz ihres Charakters als Gegenbewegung gegen den links-libertär geprägten
Wertewandel der 70- und 80er Jahre müssen
sie den Individualisierungstendenzen ihrer Anhänger, die man als „postmoderne Neonazis"
bezeichnen könnte, Rechnung tragen, die sich
einer kaderförmigen Organisierung und kontinuierlichen Mobilisierung widersetzen.
18
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Thomas Ohlemacher hat in seinem Beitrag mit
Recht auf die Forschungslücken in den Bereichen „Mobilisierung" und „Stabilisierungsbedingungen" für eine rechte Bewegung hingewiesen. Dies liegt zum Teil - neben der Tatsache, daß es sich oft um klandesüne Organi20
1994
sationen und Gruppen handelt - auch darin
begründet, daß wissenschaftliche, journalistische und politische Beobachter die 'Rechte'
eben nicht als einheitliches Phänomen „Bewegung" beobachtet, sondern unter einem je spezifischen Blickwinkel in seiner organisierten
Form (Verfassungsschutz, Parteien- und Wahlforschung), als subkulturelles Phänomen (NaziRock, Skinhead-Szene, vor allem durch Journalisten), als Jugendproblem (Jugendsoziologie, Gewaltforschung) oder als politisch-ideologische Strömung wahrnehmen und analysieren und dadurch eben nicht die bewegungsspezifische Vernetztheit in den Blick bekommen. Wählt man etwa die bürokratische Betrachtungsweise des Verfassungsschutzes, dann
muß die Szene als „vielfältig zersplittert" erscheinen, was aber informelle, bewegungstypische Verbindungen und eine generell geteilte
politische Orientierung nicht ausschließt. Inzwischen stellte der Verfassungsschutzbericht
des Bundes 1992 jedoch fest, daß sich etwa
zwischen Skinhead- und Neonazigruppen eine
Art „Verflechtung" herauszubilden beginnt, und
Ernst Uhrlau, Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, sieht einerseits ebenfalls Vernetzungstendenzen zwischen Neonazis und
Skinheads, andererseits aber auch den Aufbau
einer übergreifenden netzwerkartigen Struktur
(autonome Gruppen und organisationsübergreifende Themen wie die Anti-Antifa-Kampagne)
in der Neonazi-Szene selbst, die sich auf technischem und juristischem Gebiet zunehmend
professionalisiert und heute über eine ganze
Reihe von „Bewegungsunternehmern" verfügt. Über die rechtsradikalen Parteien fließen
in das rechte Lager finanzielle Ressourcen
(Wahlkampfkostenpauschale) und über Mandate und das Publikationsnetz entstehen neue
Karriereangebote. Über die „Knoten des rechten Netzes", das durch Mehrfachmitgliedschaften, „Wanderungen" von Aktivisten, Treffpunkte, aber auch durch technische Einrichtungen
(Info-Telefone, Mail-Boxen) vielfältig verfloch21
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ten ist, liegen ebenfalls Erkenntnisse vor. Es
gibt also durchaus „Adressen" der Bewegung,
wo man sich treffen und Kontakte knüpfen
kann, auch wenn große soziale Relais fehlen.
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völkerang anzutreffen. Auch heute, nach den
Lichterketten und dem Abflauen der Asyldebatte, finden Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in der Bevölkerang immer noch erstaunlich breite Unterstützung.
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28
Ansätze zur Vemetzung sind also sowohl in
organisierter Form als auch in unterschiedlichen Graden bei Skinheads und anderen Gmppen Jugendlicher gegeben. Wie steht es nun
mit dem Argument, es fehlt an einer Massenmobilisierung? Sicherlich haben rechte Versuche zur Mobilisierung allenfalls einige hundert, maximal 2000 Personen (wie beim HeßGedenkmarsch 1992) auf die Straße gebracht.
Doch darf man hier möglicherweise nicht einfach das Muster links-libertärer Bewegungen
zugrunde legen, die ihre demokratische Legitimation gerade im Gewinnen massenhafter
Unterstützung sahen. Für eine ausländerfeindliche Bewegung, die ja aufgrund ihrer Ziele
und Mittel nicht in gleicher Weise in die Öffentlichkeit gehen kann und sich vor allem in
Großstädten mit einer Übermacht demokratischer und linksautonomer Gegenmobilisierung
konfrontiert sieht, könnten andere Formen der
Mobilisierung adäquater und funktional äquivalent sein, etwa gewaltsamer Protest in Gmppen von vier bis zu 50 und mehr Personen.
Die Zugehörigkeit der Aktionen zur Bewegung
ergibt sich aus den angegriffenen Zielen, den
Parolen, den verwendeten Waffen usw., und
diese werden von der Umwelt ja durchaus auch
richtig verstanden. Faßt man die rechte Bewegung wesentlich als ausländerfeindliche Bewegung, dann dürfte das Argument Ohlemachers von der geringen Bevölkerungsresonanz
wohl kaum zutreffen, die sicherlich die Resonanz für Friedens- und Ökologiefragen in den
frühen Phasen dieser Bewegungen bei weitem
übertreffen dürfte. Das Protestthema „Ausländer/Asyl" war 1992 nicht nur Spitzenreiter auf
der öffentlichen Agenda, sondern ausländerfeindliche Einstellungen sowie Ablehnung von
Asylbewerbern war in großen Teilen der Be25
26
Wenn man der rechten ausländerfeindlichen
Bewegung symbolische Integration, Wir-Gefühl und eine schlüssige Ideologie bestreitet,
dann stellt man definitorische Ansprüche an
soziale Bewegungen, die selbst viele der neuen sozialen Bewegungen nicht erfüllt haben.
Ähnlich wie die Massenmobilisierung gegen
die Nachrüstung, die sich gegen eine konkrete
rüstungspolitische Entscheidung richtete, ohne
daß bei dem Gros der Teilnehmer wohl konkrete Vorstellungen über die internationale Sicherheitspolitik oder eine schlüssige pazifistische Ideologie vorhanden gewesen sein dürften, wurde die ausländerfeindliche Bewegung
durch einen öffentlichen Streit in ihrem Entstehen gefördert. Die von Scheuch/Klingemann
stark betonten situativen Bedingungen einer
Erfolgschance rechter Bewegung sind u.E. seit
1990 gegeben: Sachthemen, die skandalisierungsfähig sind (Asyldebatte), der Zweifel an
der Lösungskompetenz des politischen Systems
und die Entwicklung des rechten Lagers selbst
(anhaltende Wahlerfolge der „Republikaner")
schufen Möglichkeiten für Kampagnen. Bei
der ausländerfeindlichen Mobilisierang handelt es sich um ein „one-issue movement" mit
einem konkreten Feindbild, das aber verknüpfbar ist mit der Ablehnung zahlreicher Merkmale und Leitwerte der heutigen Gesellschaft
der BRD (Pluralismus, Liberalismus, demokratisches Geschichtsbild). Mit dem konkreten und erweiterten Feindbild besitzt die rechte Bewegung einen Minimalkonsens für die
Ingroup/Outgroup-Unterscheidung. Mit der
Selbstbeschreibung „deutsch, national und
rechts" sind ein Wertkonsens und ansatzweise
eine kollektive Identität vorhanden, die sich in
politischen Konflikten immer wieder manife29
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FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
stieren. Dabei sind die Ansprüche an die Kohärenz der kollektiven Identität sozialer Bewegungen niedriger anzusetzen als im Fall anderer sozialer Formationen, wie Gruppen, Organisationen oder Milieus.
In diesem Beitrag ging es uns primär nicht
darum, entlang eines Bedingungskataloges zu
prüfen, ob wir es im rechten Lager mit einer
sozialen Bewegung zu tun haben. Uns leitete
vielmehr die Frage, wie die unübersehbaren
Entwicklungen und Differenzierungen in diesem Lager soziologisch zu fassen sind. Den
analytischen Nutzen des Bewegungsansatzes,
nach dem Stöss mit Recht gefragt hat (1994),
sehen wir in seiner Integrationsleistung, die
über die partikularen Ansätze der Wahl- und
Parteienforschung, der Jugend- und Gewaltforschung etc. hinausreicht. Das Zusammenspiel einzelner Segmente des Rechtsextremismus, seine traditionellen und modernen Elemente und die Interaktion mit der Gesellschaft
werden damit analytisch besser faßbar.
mus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky AVolfgang Schroeder, Rechtsextremismus.
Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994,
S.325-338; vgl. unsere eigenen Arbeiten dazu:
Werner Bergmann/Rainer Erb, Eine soziale Bewegung von rechts? Entwicklung und Vernetzung
einer rechten Szene in den neuen Bundesländern,
in: Forschungsjournal NSB 2/1994, S.80-98; dies.,
Rechte Subkultur und Neonazismus, in: dies.
(Hrsg.), Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin 1994 (im Druck); Werner Bergmann, Ein Versuch, die extreme Rechte als soziale Bewegung
zu beschreiben, ebd. Es gibt jedoch auch Rechtsextremismusforscher, die dieses heterogene rechte Feld als Rekrutierungsmilieu für Rechtsparteien ansehen, das sich nicht wesentlich von den
traditionellen Unterstützermilieus des Rechtsextremismus unterscheidet; so etwa Richard Stöss,
Forschungs- und Erklärungsansätze - ein Überblick, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994: 2366, hier vor allem S.52ff. Jugendforscher kritisieren zu recht, daß gewalttätig-maskuline Jugendgruppen pauschal dem Rechtsextremismus zugeordnet werden, als handele es sich dabei um Neonazis oder „konstitutionelle Republikaner".
Leggewie überbietet (ironisch?) den Begriff „neue
soziale Bewegung" noch, indem er die neue rechte Bewegung als „neueste soziale Bewegung" apostrophiert und ihr damit geradezu eine avantgardistische Position in der postmodernen Gesellschaft
zuschreibt (1994:328).
Die etwa von Ohlemacher (in diesem Heft S. 14)
vorgeschlagene „weichere" Konzeptualisierung als
„kollektive Episoden" bleibt in ihrer Formbestimmung völlig unklar.
Auch aus der Ökologiebewegung kennen wir für
die Anfangsphase dieses ideologische Gemengelage, etwa von postmaterialistischen Umweltschützern und konservativen Heimatschützern. Vgl.
Thomas Jahn/Peter Wehling, Ökologie von rechts.
Nationalismus und Umweltschutz bei der Neuen
Rechten und den „Republikanern", Frankfurt/M.
1991.
Neuerdings hat Piotr Sztompka die enge Wechselwirkung von interner Morphogenese sozialer
Bewegungen mit externen Prozessen betont. Gesellschaftliche Prozesse greifen bereits in den Auf3
Werner Bergmann und Rainer Erb arbeiten am
Zentrum für Antisemitismusforschung derTUBerlin.
Anmerkungen
Da soziale Bewegungen gewöhnlich über ihr
Protestthema und nicht über ihre generellen politischen Einstellungen definiert werden, muß man
für die Jahre 1991-93 statt von einer rechten von
einer ausländerfeindlichen Bewegung sprechen, da
in der Tat viele ihrer Anhänger die weitergehenden politischen Vorstellungen des Rechtsextremismus nicht teilten, wohl aber für den Protest gegen
Einwanderung/Asyl zu mobilisieren waren - und
nur darauf kommt es an!
Z.B. Hans-Gerd Jaschke, Formiert sich eine soziale Bewegung von rechts? Über die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, in: Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung, Heft 2,
1993, S.28ff.; Claus Leggewie, Rechtsextremis1
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bau von Bewegungen ein und beeinflussen deren
Karriere, Schwung und Richtung, wie umgekehrt
Bewegungen Veränderungen in der Gesellschaft
bereits dann produzieren, wenn ihre eigenen Strakturierungsprozesse noch nicht endgültig abgeschlossen sind (Piotr Sztompka, Jenseits von Struktur und Handlung: Auf dem Weg zu einer integrativen Soziologie sozialer Bewegungen, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.70-79,
hier S.78).
Mehr noch als das Zurückweichen der Staatsgewalt bei der Räumung der Asylunterkunft in
Hoyerswerda und andernorts war das Eingehen
der Politiker auf die Forderungen des Mobs in
Rostock ein tatsächlich wahrnehmbarer Erfolg, der
weitere Mobilisierungen auslöste.
Der Rückgang der Zahl schwerer Gewalttaten
gegen Ausländer in den Jahren 1993-94 im Vergleich zu 1991-92 ist primär auf den Verfolgungsdruck zurückzuführen und kann noch nicht als
Abflauen der Bewegung gewertet werden. Dagegen spricht auch, daß die Zahl der gefahrloser zu
begehenden Agitationsstraftaten weiterhin zunimmt.
Auf Partei- und Organisationsverbote wird mit
der Bildung autonomer Kameradschaften reagiert,
die lokale Autonomie insoweit besitzen, als sie
nicht die übergeordneten politischen Interessen ihres Lagers verletzen. Wird die Symbolpraxis juristisch verfolgt, dann wird sie nach bestimmten
Regeln recodiert, beispielsweise werden heute
Briefe nicht mit dem „Deutschen Gruß" unterzeichnet, sondern „Mit bestem Graß". Die Skinheads reagieren durch „symbolische Abrüstung"
ihres Outfits. Dem Bewegungsforscher (aber z.B.
auch der Justiz), der sich neu diesem rechten Feld
zuwendet und diese Umcodierungen nicht kennt,
werden möglicherweise diese Anspielungen in „gereinigten" Texten entgehen, und er wird ein Fehlen rechtsextremer und antisemitischer Aussagen
feststellen.
Vgl. zu dieser Kritik an der Bewegungsdefinition des Mainstreams Heinrich W. Ahlemeyer, Was
ist eine soziale Bewegung? Zur Distinktion und
Einheit eines sozialen Phänomens, in: ZfS 18,
1989, S.175-191, hier S.178.
"Ebd. S.182 u. 185.
7
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Niklas Luhmann hat kürzlich bezweifelt, daß es
Protestbewegungen mit klaren Außengrenzen geben kann: „Immer wenn man protestiert, ist man
in dieser Bewegung, und wenn nicht, dann nicht"
(Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2,
1994, S.53-69, hier S.55). Das spezifische Protestthema gibt dem Protest seine Form und erzeugt Bindungen zum Mit- und Weitermachen.
Auch nach Ahlemeyers Theorie besitzen Bewegungen besonders labile Operationsgrundlagen,
nämlich Mobilisierungen, die Mobilisierungen
mobilisieren (1989, S.189).
" Urteil des Landgerichts Darmstadt vom
19.4.1993, Geschäftszeichen 20 Js 48/92 2KLs.
Schaut man sich die Prozeßberichte über angeklagte fremdenfeindliche jugendliche Gewalttäter
an, dann wird deutlich, wie häufig diese doch über
Kontakte zum organisierten Neonazismus verfügten oder Propagandamaterial bei ihnen gefunden
wurde (vgl. die Fälle Mölln, Solingen u.a.).
Vgl. die Interviewauswertung mit gewaltbereiten Jugendlichen von Dietmar Sturzbecher/Peter
Dietrich/Michael Kohlstruck, Jugend in Brandenburg 93, Potsdam 1994, S.45.
Bei dieser ausländerfeindlichen Bewegung handelt es sich nicht um den Typ einer revolutionären
Bewegung, die die Macht im Staat anstrebt, sondern um Protestaktionen, die man als Loyalitätspogrome beschreiben kann, die den Staat zum Handeln in eine bestimmte Richtung zwingen sollen.
Aus der Antisemitismusforschung ist diese Handlungsaufforderang und die Form des stellvertretenden Handelns gut bekannt. Vgl. Christhard
Hoffmann, Politische Kultur und Gewalt gegen
Minderheiten. Die antisemitischen Ausschreitungen in Pommern und Westpreußen 1881, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 3, 1994, S.93120, hierS. lOOff.
In der Zuschreibung von Motiven von Bewegungsteilnehmern tritt eine charakteristische Differenz zwischen Innen- und Außensicht auf. Die
Jugendforschung hat diese Differenz hinsichtlich
der Teilnahmemotivation von Skinheads herausgefunden: So sehen Mitglieder der Skinheadszene
und deren Sympathisanten als Hauptmotive: „weil
sie gegen Ausländer sind, Kameradschaft in den
Gruppen finden und weil sie gegen die herrschen12
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den Verhältnisse protestieren wollen". Die Gegner der Skinheads unterstellen ihnen neben der
Ausländerfeindlichkeit vor allem, daß sie gewalttätige Auseinandersetzungen suchen und daß sie
Langeweile haben (vgl. Sturzbecher/Dietrich/
Kohlstruck 1994, S.l 12).
" Dazu kürzlich Klaus Eder, Die Institutionalisierung kollektiven Handelns. Eine neue theoretische
Problematik in der Bewegungsforschung?, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.40-52,
hierS.48.
Vgl. Leggewie, a.a.O., S.325f, der den heutigen
Rechtsradikalismus explizit nicht als bloße „episodische Gewalt" und auch nicht mehr als „Kaderorganisation" begreift, obwohl er Züge von beidem hat (S.328f.). Zur Vernetzung des „nationalen Lagers" vgl. neuerdings: Juliane Wetzel, Die
Maschen des rechten Netzes. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremen Spektrum, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1994, S.154178.
Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, Auf dem
Weg in die „Bewegungsgesellschaft"? Über die
Stabilisierbarkeit sozialer Bewegungen, in: Soziale Welt 44/3, 1993, S.305-326, hier S.320f, Leggewie a.a.O., S.336. Die komparative Parteienund Wahlforschung will eine neue Konfliktlinie
entlang der Themen Ökologie, Menschenrechte,
Wohlfahrtsstaat, Europa und Ausländer erkennen,
deren Endpunkte die ökologischen und rechtspopulistischen Parteien bilden (vgl. Stöss, in: Kowalsky/Schroeder 1994, S.550.
Thomas Ohlemacher in diesem Band.
Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg
1992, S.16.
Vgl. seinen Beitrag: Die Vernetzungstendenzen
im deutschen Rechtsextremismus, in: Werner
Bergmann/Rainer Erb (Hrsg.), Neonazismus und
rechte Subkultur, Berlin (im Druck). Leute wie
Ewald Althans oder Christian Worch wären hier
stellvertretend zu nennen. Hatten am „Rudolf-HeßGedenkmarsch" 1989 nur 200 Personen teilgenommen, waren es bei dem von Althans und
Worch 1992 organisierten Marsch schon 2000.
Die rechtsextremen Wahlparteien scheinen uns
auch eher Gebilde zu sein, die sich im wesentlichen über Protest bzw. Ablehnung von Einwan18
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derung konstituieren, ohne konkrete weitere Ziele
in anderen Politikbereichen zu verfolgen. Daß ihre
Mandatsträger in der praktischen Politik nicht mitarbeiten (können), zeigt deren Protestorientierung
an, die die Verantwortung an andere adressiert
und sich selbst nicht an die Beseitigung eines Mißstandes macht.
Vgl. Wetzel 1994; zur Verbindung zwischen
Rechtsextremismus und Konservativismus vgl.
Armin Pfahl-Traughber, Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994, S.l60-184.
Die anhaltend große Mobilisierungsbereitschaft
dokumentiert die Brandenburg-Studie von 1993
(Sturzbecher et al. 1994, S.l 11): Knapp 14% der
männlichen Jugendlichen (12-18 Jahre) rechnen
sich selbst den Skinheads zu bzw. würden sich
ihnen anschließen, weitere 12,5% finden Skins
gut.
Vgl. Sonja Beck-Niederkirchner, Erfahrungen
der Polizei mit Gewalt und Rechtsextremismus in
Mecklenburg-Vorpommern, in Bergmann/Erb
(Hrsg.), a.a.O.
Das Verhalten der Bystanders in Rostock-Lichtenhagen wie auch die allerdings nie ganz aufgeklärten Zusammenhänge in Dolgenbrod sprechen
durchaus für eine Resonanz bei der betroffenen
Bevölkerung. Thomas Ohlemacher selbst hat ja
einen kausalen Einfluß des Anstiegs ausländerfeindlicher Meinungen (gemessen über Umfragen)
auf die Gewaltspirale für die Gewaltwelle 199193 postuliert (Thomas Ohlemacher, Public Opinion and Violence Against Foreigners in the Reunified Germany, in: ZfS 23, 1994, S.222-236, hier
S. 234.
Eine Umfrage in Berlin im Juli 1994 erbrachte,
daß ein knappes Fünftel der Westberliner und fast
ein Drittel der Ostberliner gegenüber ausländerfeindlichen Ausschreitungen Verständnis aufbringen. Überdurchschnittlich sind dies junge Männer
zwischen 18-29 Jahren, also die Altersgruppe, aus
der mehrheitlich die Täter stammen (Der Tagesspiegel vom 22.7.94).
Erwin K. Scheuch/Hans-Dieter Klingemann,
Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für
Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1967, S.l 129.
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Christoph Butterwegge
Mordanschläge als Jugendprotest
- Neonazis als P rötest beweg u n g ?
Zur Kritik an einem Deutungsmuster der Rechtsextremismusforschung
Als eigener Forschungszweig kaum profiliert,
geschweige denn fest etabliert und institutionalisiert, ist Rechtsextremismusforschung in
der Bundesrepublik eher ein konjunkturelles
Phänomen als eine kontinuierliche Einrichtung.
Sie verfügt weder über ausreichendes empirisches Datenmaterial noch über eine Theorie,
sondem schwankt zwischen verschiedenen Erklärungsansätzen hin und her. Statt die Rechtsentwicklung als bewußte Weichenstellung nationaler Eliten zu begreifen, interpretiert man
die Gründe für den Rechtsextremismus in seine zur Unterschicht zählenden Anhänger bzw.
in deren Psyche, Familienverhältnisse und Persönlichkeitsstruktur (autoritärer Charakter, Vaterlosigkeit, übermäßiger Alkoholgenuß) hinein oder extemalisiert das Problem, drängt es
aus dem Machtzentrum der Gesellschaft an
den Rand und die Verantwortung dafür an sog.
Randgruppen (z.B. Skinheads) delegiert. In
jedem Fall findet eine Personalisiemng, Psychologisierung und Entpolitisierung, aber keine Durchdringung der bestehenden Kausalzusammenhänge statt.
1
2
Betrachtet man die Erklärungsversuche der
Sozialwissenschaft zum Thema „Rechtsextremismus/Rassismus" über einen längeren Zeit-
raum hinweg, so dominierten drei Grundmuster: In der Nachkriegszeit, aber auch während
des Kalten Krieges galt der Rechtsextremismus überwiegend als das Werk von „Ewiggestrigen"; da rechtsextreme Parteien - die
NPD in den 60er Jahren, D V U und REPublikaner gegen Ende der 80er/Anfang der 90er
Jahre - vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise einerseits und tiefgreifender Krisenerscheinungen des Parteiensystems (Zunahme der
Nicht- bzw. Wechselwähler/innen) andererseits
Wahlerfolge feierten, lag es nahe, ihre periodischen Stimmengewinne sog. Protestwählem zuzuschreiben, die sich nur gegen Wohlstandseinbußen und Versäumnisse der Volksparteien
zur Wehr setzten; in einem Analogieschluß wurden gewaltsame Ubergriffe auf (ethnische)
Minderheiten, die sich seit der deutschen Vereinigung häuften, als Jugendprotest verstanden, der sich im Osten gegen die unsozialen
Folgen der Transformationskrise und im Westen gegen die liberale Erblast der „68er" richte.
3
Wie kam es zu diesem Paradigmawechsel, und
was ist von dem neuen Erklärungsmodell zu
halten? Im Laufe des Jahres 1989 vollzogen
sich in der DDR und anderen Staaten Ostmit-
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FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
teleuropas tiefgreifende Gesellschaftsveränderungen. Demokratische Bürgerbewegungen
standen gegen kommunistische Parteiherrschaft
auf. Zur selben Zeit wurde der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene
wieder eine relevante Kraft. Nun reichte es
nicht mehr aus, rassistisch motivierte Gewalttäter als „unpolitische Einzeltäter", Rowdys und
Rabauken abzutun. Weshalb man sie gerade
zu Sozialrebellen erklärte, bedarf einer genaueren Untersuchung.
1.
,Jugendrevolte" - Chiffre für die
Ratlosigkeit der Erwachsenen
Schon ein paar Monate vor den gewalttätigen
Ausschreitungen in Hoyerswerda (September
1991) warf Michael Rutschky die Frage auf,
ob es in Ostdeutschland zu einer „antiautoritären Revolte von rechts" nach 68er-Vorbild kommen werde. Was Rutschky noch in Frageform
gekleidet, als mögliche Entwicklung antizipiert
und nur als Vermutung eines Westberliner Lehrers präsentiert hatte, war für den Schriftsteller
Bodo Morshäuser einige Zeit später bereits Gewißheit. Über die Skinheads sagte er in einem
Interview: „Es ist eine antiautoritäre Rebellion, die sich unter anderem auch gegen die
Antiautoritären wendet."
4
5
Nicht nur konservative Politiker und Publizistinnen machten die „Konfliktpädagogik",
d.h. den antiautoritär-libertären Erziehungsstil
einer Generation kritischer Lehrer/innen, für
die fremdenfeindliche Gewalt verantwortlich.
Die naheliegende Frage, warum der angeblich
übermächtige Haß auf die „Alt-68er" keineswegs Oberstudienräte und Rechtsanwälte, sondern Asylbewerber/innen und Kinder/Enkel der
sog. Gastarbeiter traf, die häufig nicht einmal
wissen dürften, was um das Jahr 1968 herum
in der Bundesrepublik geschehen ist, wurde
1994
allerdings gar nicht gestellt, geschweige denn
überzeugend beantwortet.
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In der veröffentlichten Meinung vollzog sich
nach Hoyerswerda ein Umschwung: Was vorher als „kleine radikale Minderheit" verharmlost worden war, avancierte fast über Nacht zu
einer Protestbewegung mit Massenanhang, die
- obgleich man ihre Methoden mißbilligte berechtigte Kritik an sozialen und politischen
Mißständen im Lande zum Ausdruck bringe.
Pate dafür stand ein Interpretationsmuster der
Wahlforschung. Beispielsweise schrieb Konrad Schacht, Leiter der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung, mit Blick auf
das Votum für rechtsextreme Parteien wie REPublikaner, D V U und NPD: ,Die Verschärfung sozialer und psychischer Deprivationen
im unteren Drittel unserer Wohlstandsgesellschaft hat zum Entstehen des Rechtsradikalismus beigetragen, der sehr stark eine Reaktion
der unteren sozialen Schichten ist."
7
Sogar in der seriösen Fachpublizistik überwog
die Tendenz zur Simplifizierung. So sprach
Karl-Heinz Roth von einer Revolte der „Anschluß"-Verlierer in Ost- und Westdeutschland:
„Diesseits und jenseits der Elbe hat sich eine
Jugendbewegung an die Spitze des Aufbegehrens der moralisch, ökonomisch und sozialpolitisch Entwerteten gesetzt. Adressat ihrer Wut
aber wurden nicht diejenigen, die mit ihren
Entscheidungen und Handlungsrastern die soziale Katastrophe ausgelöst haben und inzwischen verwalten. Die Gewalt der Jugendlichen
richtete sich gegen Zuzug von außen, gegen
die Asylsuchenden der jüngsten Migrationswelle, die von den Behörden in die Zentralen
Anlaufstellen und Sammellager der Trabantenstädte und Depressionszonen gepfercht wurden."
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Die „Objektverschiebung" im Handeln rechter
Gewalttäter erschien dem Autor nicht weiter
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
37
1994
erldärungsbedürftig. Vielmehr begnügte er sich
mit dem Hinweis, vor allem die auf dem Balkan „ethnischen Säuberungen" unterworfenen
Roma seien „nicht nur extrem anders, sondern
auch soziale Konkurrenten auf den Schwarzarbeitsmärkten, an den kommunalen Treffpunkten, bei der Wohnungssuche und auf den Sozialämtern." (ebd.) Damit war die argumentative
Grundlage geschaffen, um ein gewisses Verständnis für die Täter aufzubringen. Denn Roth
hielt Gewalt verunsicherter Jugendlicher gegenüber Fremden für „naheliegend", weil dadurch angeblich die letzten Reste ihres eigenen Selbstwertgefühls bewahrt blieben: „Die
Brandschatzungen, Messerstechereien und Prügelexzesse der Jugendlichen von Hoyerswerda, Mannheim-Schönau, Eisenhüttenstadt, Rostock-Lichtenhagen und Mölln enthüllen gerade in ihrer Bestialität den kollektiven wie orientierungslosen Notschrei einer inzwischen
sehr breit gewordenen Schicht, die sich in ihrer fortgeschrittenen Verelendung nur noch Erfolge innerhalb des zum Sammelbecken aller
Pauperisierten gewordenen Sozialgettos zutraut." (ebd., S. 8)
Nunmehr zog Roth eine Verbindungslinie zwischen rechter Gewalt und Regierungspolitik:
„Seit Hoyerswerda waren die Ausländerpogrome eine wohlwollend geduldete Begleitmusik
für die Organisation von politischen Mehrheiten zugunsten eines endgültigen Kurswechsels
in der bisherigen Ausländerpolitik." (ebd.) Dabei berücksichtigte Roth weder, daß der Regierungskurs auch in der Zeit vor 1989/90 nie
auf Einwanderung gerichtet war, noch merkte
er, daß seine Wertung der Ereignisse diese
Sichtweise konterkarierte: Warum sollte die
Bundesregierung auf den „Notschrei" verelendeter und verzweifelter Massen eigentlich nicht
mit der Begrenzung des Zuzugs weiterer M i granten, die Konkurrenten sozial benachteiligter Deutscher auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sein würden, reagieren?
Klaus Hurrelmann verglich rassistisch motivierte Übergriffe mit Schülerprotesten gegen
den Golfkrieg und kam zu dem Ergebnis, „daß
die ausländerfeindlichen Aktivitäten von ihrer
Ausgangssituation her als Jugendprotest in einem demokratischen Staat zu verstehen sind.
Es handelt sich um politische Artikulationsformen als Ausdruck von Problemverarbeitung wie tauglich oder untauglich, wie sozial angemessen oder unangemessen sie auch immer
sein mögen." Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler sprach sich gegen eine „moralisierende Abwertung" solcher Handlungen aus:
Justiz, Politik, Pädagogik und Wissenschaft
müssen auf diese Form des Jugendprotestes
genauso reagieren wie auf die politischen Ausdrucksformen von privilegierten Jugendlichen,
deren Bedrohungsgefühle und Zukunftsängste
sich in erster Linie auf Umweltprobleme und
Kriegsgefahren richten." (ebd., S. 43)
9
2.
Wie der Rechtsextremismus zur
neuesten sozialen Bewegung
(v)erklärt wurde
Der Rechtsextremismusforscher Hans-Gerd
Jaschke geht - wie die „Bielefelder Schule"
um Wilhelm Heitmeyer - davon aus, daß der
Modernisierungs- bzw. Individualisierungsprozeß, verbunden mit dem Zerfall früher den
Menschen Halt gebender soziokultureller M i lieus und einer „Pluralisierung der Lebensstile", vor allem Jugendliche verunsichere. Die
Individualisierungsthese ermöglicht Jaschke
zufolge zwar eine Beschreibung der veränderten Stellung des Individuums innerhalb der
„Risikogesellschaft" (Ulrich Beck), erkläre aber
nicht, weshalb es die eine oder andere politische bzw. vorpolitische „Protestform", etwa
die Hinwendung zu einer religiösen Sekte, die
Flucht in den Drogenkonsum oder eben die
Übernahme rechtsextremistischer Orientierungsmuster, bevorzuge. Diese Lücke des
Konzepts sucht Jaschke dadurch zu schließen,
10
38
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
daß er die Faszination des Rechtsextremismus
aus seinem Charakter als einer sich seit 1990/
91 formierenden sozialen Bewegung ableitet.
„Versteht man den rechten Protest als Konstitutionsprozeß einer sozialen Bewegung, dann
läßt sich eine Schwäche der individualisierungstheoretischen Ansätze überwinden: Die
Motivation der Anhänger und Sympathisanten, ihr Weg nach rechts und nicht anderswohin, erklärt sich durch die Attraktion der Bewegungsmomente des Rechtsradikalismus."
(ebd. S., 110)
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sierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher
symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisationsund Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu
verhindern oder rückgängig zu machen." Versteht man darunter alle Strömungen und Bestrebungen mit einer gewissen Breitenwirkung
und Kontinuität, die - unabhängig von ihrer
politischen Richtung - auf bestimmte gesellschaftliche Veränderungen abzielen, erfüllt der
jugendliche Rechtsextremismus diese KriteriFür Jaschke deuten zahlreiche Indizien darauf en genauso wie die ihn bekämpfenden Antihin, „daß nach der Studentenbewegung der rassismus-Initiativen und „Antifa"-Gruppen.
60er, der Friedens- und Ökologiebewegung der Mir scheint, daß Raschkes Formel zu abstrakt
70er und den 'neuen sozialen Bewegungen' und formal ist, als daß sie Aufschluß darüber
der 80er Jahre nun eine neue, von ihren Zielen geben könnte, was eine soziale Bewegung ausher gänzlich andersartige, nun von rechts kom- macht - im Unterschied zu Phänomenen wie
mende soziale Bewegung ihren Anfang dem Rechtsextremismus.
nimmt."" Hier soll zwar angemerkt werden,
daß die Friedensbewegung erst zu Beginn der Otthein Rammstedt, der die andere Definition
80er Jahre (genauer: nach dem sog. NATO- formuliert hat, wendet sich gegen ein BeweDoppelbeschluß vom 12. Dezember 1979) grö- gungsverständnis, das jede Gruppierung umßere Teile der Bevölkerung zu mobilisieren ver- faßt, die - unabhängig von ihren Zielen - gemochte, und nicht danach gefragt werden, ob gen die Gesellschaft gerichtet ist, stellt eine
Jaschkes These mit seiner früher getroffenen Verbindung zwischen sozialen Bewegungen
Aussage in Einklang steht, die NPD sei zum und direkter bzw. Basisdemokratie her und konZeitpunkt ihrer Gründung „Kulminationspunkt kretisiert: „Unter sozialer Bewegung soll ein
der bereits Ende der vierziger Jahre entstehen- Prozeß des Protestes gegen bestehende soziale
den rechtsradikalen Bewegung" gewesen.
Verhältnisse verstanden werden, ein Prozeß,
Aber daß Jaschke den Rechtsextremismus ei- der bewußt getragen wird von einer an Mitgentlich schon länger als soziale Bewegung gliedern wachsenden Gruppierung, die nicht
thematisiert, deren Herausbildung jedoch un- formal organisiert zu sein braucht."
terschiedlich datiert und mit Jahreszahlen ziemlich willkürlich umgeht, fällt doch auf.
Daraus ergibt sich die Frage, was denn mit
„Protest" gemeint sein kann. Durch die SchüDa es in der Bewegungsforschung bisher kei- ler- und Studentenbewegung der 60er Jahre ist
ne allgemein anerkannte Bestimmung und Ab- dieser Terminus so ins Alltagsbewußtsein der
grenzung ihres Untersuchungsgegenstandes Bundesbürger/innen eingegangen, daß Bücher,
gibt, stützt Jaschke sich im weiteren Verlauf die zu diesem Thema oder mit diesem Wort im
seiner Argumentation auf zwei Versuche einer Titel seither in großer Zahl erschienen, meiDefinition. Die erste stammt von Joachim stenteils auf eine Erörterung und Bestimmung
Raschke: „Soziale Bewegung ist ein mobili- des Begriffs verzichten. Der Verdacht drängt
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sich auf, daß man darunter nur eine Mlßfallensbekundung gleich welcher Art versteht.
rung einzulegen, nämlich eine (Minderheiten-)Meinung ganz vorne zu bezeugen. „Protest ist eine entschiedene, öffentliche Antwort
im Widerspruch zu einer vorausgegangenen
3.
Ein Pogrom ist keine ProtestMitteilung, eine wahrnehmbare Opposition zu
aktion und der Ruf nach einem
einer Position. Er wendet sich immer an zwei
„starken Staat" keine Rebellion
Adressaten: an den Urheber der Mitteilung,
Hier wird „Protest" nicht umgangssprachlich gegen die sich der Widerspruch richtet, und an
verwendet, sondern als politikwissenschaftli- ein Publikum als dritte Instanz. Er soll dieses
cher Fachterminus, der sehr viel enger gefaßt Publikum für die Opposition gewinnen."
ist und strenger Kriterien bedarf, um kein A l lerweltsbegriff zu sein. Prononciert formuliert: Man könnte in diesem Zusammenhang von
Das Weinen eines von der Mutter vernachläs- einem motivationalen Dreiklang sprechen, denn
sigten Kindes ist genausowenig ein Protest- Protest entzündet sich an sozialer Not und Verschrei wie die Parole „Ausländer raus!" Fru- elendung, an Krieg, Aggression und Gewalt
stration und Aggression ergeben noch lange oder an der Unterdrückung von Freiheit,
keine Protestaktion. Protest, der auf morali- Grundrechten und Menschenwürde. Protestschen Prinzipien und/oder politisch-ideologi- inhalt und Aktionsform sind nicht voneinander
schen Grundsätzen basiert, bedarf (der Ansät- zu trennen. Daher wären unter sozialen Beweze) eines Programms und des - utopischen - gungen nur Strömungen und Bestrebungen zu
Entwurfs für eine alternative Lebensweise oder verstehen, die auf (mehr) politische Partizipaeine bessere Gesellschaft, jedoch auch einer tion, soziale Emanzipation und eine TransforÖffentlichkeit, und ist seinem Wesen nach eine mation der Gesellschaft abzielen, was basisdebewußte Herausforderung der Obrigkeit. Des- mokratische Willensbildungs- und Entscheihalb findet er gewöhnlich am heilichten Tag, dungsprozesse einschließt, nicht aber solche,
neofaschistischer Terror aber meist in der Nacht die als Reaktion darauf entstehen und sich der
statt. Revolten richten sich gegen Stärkere, nicht gesellschaftlichen Regression (Rückkehr zum
gegen (noch) Schwächere. Eine Rebellion will Status quo ante) verschreiben. Eine Kulturgedie staatlichen Institutionen stürzen, nicht de- schichte des Protests würde also kein Kapitel
ren juristisch abgesicherte Repression gegen- über Mussolinis „Marsch auf Rom" (1922),
über Asylsuchenden unterstützen oder gar die NSDAP und die SA enthalten.
durch weitere Zwangsmaßnahmen verstärken.
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Aufschlußreich ist die Etymologie des Protestbegriffs, mit der sich Harry Pross befaßt
hat. Das lateinische Verb „protestari" (wohlgemerkt: nicht anti-) besteht aus dem Präfix „pro"
(= vorne, vor, für) und dem Substantiv „testa"
(= das aus Ton Gebrannte), was auf Scherben
verweist, die man benutzte, um die Namen der
zu Verbannenden einzuritzen. So gewann „testatio" die Bedeutung, daß man jemanden zum
Zeugen anrief. Protestieren hieß demnach mehr,
als bloß Einspruch zu erheben oder Verwah-
Claus Leggewie, der Jaschkes These übernahm,
sie verallgemeinerte und inhaltlich zuspitzte,
begreift den Rechtsradikalismus als eine „AntiBewegungs-Bewegung", gewissermaßen als
spiegelbildliche Reaktion auf die (basis)demokratischen Bestrebungen der 70er und 80er Jahre: „Er teilt mit den Neuen Sozialen Bewegungen nicht das Demokratisierungsmotiv und das
partizipatorisch-akademische Milieu, wohl aber
bestimmte Strukturmerkmale, die sich im politisierten Affekt der 'Unpolitischen' gegen das
politische Establishment der 'Bonner Repu-
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blik' und ihre politisch-kulturellen Eigenschaften ausagieren."
Der Streit um den Protestbegriff ist also weder
Sophisterei noch semantisches Schattenboxen.
Vielmehr verharmlost die Kategorie JugendDer Bewegungsbegriff, den die Neonazis gern protest" den Rechtsextremismus, lenkt von seifür sich reklamieren (z.B. nannte Michael Küh- nen wirklichen Ursachen ab und verhindert
nen seine Gruppen so), wird mittlerweile der- die Entwicklung/Anwendung geeigneter Geart unscharf gefaßt und inflationär benutzt, daß genstrategien. Sie (ver)führt zu der falschen
der Politologe Uwe Backes sogar die Deut- Schlußfolgerung, daß sich solch ein „handfest
sche Volksunion und die Freiheitliche Partei ausgetragener Generationskonflikt" von selbst
Österreichs (FPÖ) als „Bewegungen" - ohne löst, nämlich durch das Älterwerden junger
Anführungszeichen - bezeichnet. Norbert F. Menschen, die irgendwann nicht mehr gegen
Schneider plädiert dagegen zu Recht für eine die Elterngeneration aufbegehren. Überdies ersorgfältige, wissenschaftlich fundierte Begriffs- scheint eine Disziplinierung der „revoltierenwahl: „Gerade heute, wo sich der Bewegungs- den" Jugendlichen - anstelle einer umfassenbegriff zu einem politischen Modebegriff ent- den Demokratisierung von Staat und Gesellwickelt hat, den sich kleinste Protestgruppen schaft, die in Wirklichkeit notwendig wäre ebenso gerne selbst verleihen wie längst er- als probates Mittel der Konfliktlösung.
starrte Organisationen, die institutionalisierte
Konflikte verwalten, kann mit einem vage ge- Christoph Butterwegge ist Professor für Polihaltenen Bewegungsbegriff nicht zuverlässig tikwissenschaft (Sozialpolitik) an der Fachanalytisch gearbeitet werden."
hochschule Potsdam.
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Im Gegensatz zur APO-Generation verkörpert
der Rechtsextremismus kein alternatives Gesellschaftsmodell: „In gewissem Sinne handeln
'Rassisten' eher in Einklang mit den herrschenden Verhältnissen denn in Opposition zu diesen; sie unterscheiden sich von der herrschenden Politik vor allem dadurch, daß sie rücksichtsloser durchsetzen, was jene nahelegt: die
Reduzierung der Zahl der Fremden in unserem Lande zur Sicherung des eigenen Wohls."
Ute Osterkamp weist darauf hin, daß man der
Kämpferpose rechtsextremer Gewalttäter nicht
aufsitzen darf und die Verwendung des Begriffs „Protest" in diesem Zusammenhang problematisieren muß, weil damit suggeriert wird,
daß rassistische Äußerungen generell unerwünscht seien, was aber nur bedingt - auf überspitzte Formulierungen und gewalttätige Methoden bezogen - zutreffe, sofern sie das deutsche Ansehen im Ausland und die Exportchancen der Bundesrepublik schädigten.
22
Anmerkungen
Vgl. Richard Stöss, Forschungs- und Erklärungsansätze - ein Überblick, in: Wolfgang Kowalsky/
Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus.
Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994,
S. 23 ff.
Vgl. dazu: Albert Scherr, Wen interessiert schon
diese Jugend?, in: VORGÄNGE 122 (1993), S.
120; Michael Th. Greven, „Der Schoß, aus dem
das kroch...", ist „diese unsere Gesellschaft". Zur
Immanenz des „Rechtsextremismus", in: VORGÄNGE 125 (1994), S. 83 ff.
Vgl. hierzu vom Verfasser: Christoph Butterwegge, Zur modischen Fehldeutung des Rechtsextremismus/Rassismus als Jugendrevolte und soziale Protestbewegung, in: DEUTSCHE JUGEND
1 1/1993, S. 483 ff.; ders., Die ideologische „Entsorgung" der rassistischen Gewalt, in: NEUE PRAXIS 1/1994, S. 74 ff.; ders., Jugendgewalt: Ein
Pogrom ist kein Protest und Provokation noch keine Rebellion. Zur politischen Psychologie des
Rechtsextremismus/Rassismus, in: PSYCHOSOZIAL 56 (1994), S. 87 ff.
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Siehe Michael Rutschky, Antiautoritäre Revolte
von rechts? - Nachrichten aus dem Beitrittsgebiet, in: taz v. 8.7.1991; vgl. zur Kritik: Stefan
Pannen, Die Revolte kommt nicht von rechts. Eine
Antwort auf Michael Rutschky, in: taz v. 16.7.1991
Bodo Morshäuser, Rechtsradikale Jugendliche:
„Eine antiautoritäre Rebellion", in: PSYCHOLOGIE HEUTE 12/1993, S. 41
Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge, (Sozial-)Pädagogen als Prügelknaben. Wie man linke Pädagoginnen für die rechte Gewalt verantwortlich macht
und sich selbst entlastet, in: Sozialmagazin 1/1994,
S. 30 ff.
Konrad Schacht, Der Rechtsextremismus hat eine
Zukunft, in: DIE NEUE GESELLSCHAFT/
FRANKFURTER HEFTE 2/1991, S. 155
Karl Heinz Roth, Rassismus von oben - Rassismus von unten, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2/1993, S. 7
Klaus Hurrelmann, Der politische Protest des
„unteren Drittels"? - Gedanken Uber die Ursachen
der Gewalt gegen Ausländer, in: PÄDAGOGIK
2/1993, S. 42
Siehe Hans-Gerd Jaschke, Rechtsradikalismus
als soziale Bewegung. Was heißt das?, in: VORGÄNGE 122 (1993), S. 107 f.
" Siehe Hans-Gerd Jaschke, Formiert sich eine
neue soziale Bewegung von rechts? - Folgen der
Ethnisierung sozialer Konflikte, in: Blätter für
deutsche und internationale Politik 12/1992, S.
1443
Siehe ders., Streitbare Demokratie und Innere
Sicherheit. Grundlagen, Praxis und Kritik, Opladen 1991, S. 56
Joachim Raschke, Zum Begriff der sozialen Bewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.),
Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik
Deutschland, 2. Aufl. Bonn 1991, S. 32 f.
Vgl. dazu: Thomas Leif, Den Rechten auf die
Finger gucken. Anti-Gruppen bekommen Zulauf,
in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
3-4/1993, S. 183 f.
Otthein Rammstedt, Soziale Bewegung, Frankfurt am Main 1978, S. 130
Vgl. z.B. Gerd Langguth, Protestbewegung. Entwicklung - Niedergang - Renaissance: Die Neue
Linke seit 1968, Köln 1983; Fritz Sack/Heinz Stei4
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nen, Protest und Reaktion. Analysen zum Terrorismus 4/2, Opladen 1984; Georg Haasken/Michael Wigbers, Protest in der Klemme. Soziale
Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt am
Main 1986; Wilfried von Bredow, Krise und Protest. Ursprünge und Elemente der Friedensbewegung in Westeuropa, Opladen 1987
Harry Pross, Protestgesellschaft. Von der Wirksamkeit des Widerspruchs, München 1992, S. 18
Vgl. die Gliederung bei Hans Eckert (Hrsg.),
Protest! - Der Kampf um Humanität in Dokumenten aus fünf Jahrhunderten, München 1969
Claus Leggewie, Rechtsextremismus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus,
a.a.O., S. 335
Siehe Uwe Backes, Organisierter Rechtsextremismus im westlichen Europa. Eine vergleichende Betrachtung, in: Werner Billing u.a. (Hrsg.),
Rechtsextremismus in der Bundesrepublik
Deutschland, Baden-Baden 1993, S. 61
Norbert F. Schneider, Was kann unter einer
„sozialen Bewegung" verstanden werden? - Entwurf eines analytischen Konzepts, in: Ulrike C.
Wasmuht (Hrsg.), Alternativen zur alten Politik?
- Neue soziale Bewegungen in der Diskussion,
Darmstadt 1989, S. 198
Ute Osterkamp, Antirassismus: weitere Fallstrikke und Problematisierungen, in: DAS ARGUMENT 195 (1992), S. 737
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Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek
Soziale Netzwerke und
Gruppenprozesse Jugendlicher in
Ostdeutschland - ein Nährboden
rechter Mobilisierung?
In jüngster Zeit haben die Aktionen rechtsradikal, nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellter Gruppen oder Einzeltäter für erhebliches Aufsehen gesorgt. Sowohl die politischen
Debatten als auch die sozialwissenschaftlichen
Forschungen und Diskussionen sind davon
nicht unbeeinflußt geblieben und haben zu heftigen Kontroversen geführt. Nach unserem Eindruck lassen sich im Hinblick darauf folgende
Schwerpunkte identifizieren:
1. Von der Phänomenologie aus betrachtet, haben die abrupt aufbrechenden fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Krawalle in Deutschland nach 1989 zunächst einmal den Osten
Deutschlands in das Blickfeld der Öffentlichkeit wie auch der Forschung rücken lassen.
Vereinfachte Erklärungsmuster, soziale und politische Projektionen, die offensichtlich der vorherrschenden Logik des Vereinigungsprozesses von West nach Ost entsprechen, mögen
dabei im Spiele gewesen sein. Das einseitige
Bild, das daraufhin entstand, mußte jedoch
schnell korrigiert werden. Inzwischen hat die
Welle der Gewalttaten auf Ausländer und Asylbewerber auch westdeutsche Kleinstädte erfaßt. Während im Osten sich die Angriffe in
erster Linie gegen die wenigen noch aus der
Vergangenheit bestehenden, aber mittlerweile
auch gegen neu geschaffene Ausländer- und
Asylbewerberwohnheime sowie einzelne Menschen und Gruppen richten, stellt sich das Bild
im Westen offensichtlich diffuser dar. Bürger
anderer Nationen der 1. und 2. Generation, die
sich in der Bundesrepublik ansiedelten, haben
teilweise Infrastrukturen und Formen des Zusammenlebens auf lokaler Ebene aufbauen können. Gleichwohl verlief dieser Prozeß nicht
ohne Konflikte. Es traten Spannungen unterschiedlichen Ausmaßes zwischen Anwohnern
und ausländischen Bürgern auf, die nicht nur
Gegenstand von politischen Konflikten auf lokaler Ebene, sondern auch von handgreiflichen
Auseinandersetzungen zwischen Gruppen Jugendlicher bildeten. Im Zuge der Migrationsbewegungen aus Ost- und Südosteuropa und
der Verschärfung der Asylgesetzgebung erhielten diese Konflikte eine besondere Brisanz.
2. Kontrovers stellt sich die Forschungssituation im Hinblick auf die soziale Verankerung
gewaltakzeptierender und fremdenfeindlicher
Jugendkulturen dar. In zahlreichen Untersuchungen trifft man auf den Befund, daß Gewaltakzeptanz und Fremdenfeindlichkeit vor
allem unter männlichen Auszubildenden und
jungen Facharbeitern in traditionellen Berufen
und bei älteren Schuljugendlichen verbreitet
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sind (vgl. Willems 1993; Kräupl u.a. 1992).
Daraus wird die These eines mehr oder weniger grundlegenden Wandels im Spektrum sozialer Bewegung in der Bundesrepublik abgeleitet. Demnach sind es nicht mehr die relativ
gut ausgebildeten Gruppen, die sich mit ihren
Aktionen gegen Übergriffe des Staates und der
Verwaltungsbürokratien, gegen Rüstungsprodukton und -export oder gegen die Folgen ökologischer Risiken wenden. Inzwischen scheinen Gruppen mobilisierbar zu sein, die sich
nicht nur gegen Bürger anderer Nationalitäten,
sondern ganz generell gegen Schwächere und
Marginalisierte (bspw. Behinderte und Obdachlose) der Gesellschaft richten. Dabei bildet offensichtlich die Problemwahrnehmung einer
Verschlechterung der eigenen Lebenssituation
im Zusammenhang mit den Veränderungen der
Themen auf der politischen Agenda einen Anknüpfungspunkt für fremdenfeindliche Projektionen bis hin zu gewaltsamen Aktionen.
43
und Parteien anschlußfähig, oder, wie das so
häufig angenommen wird, instrumentalisierbar sind. Bisher wissen wir zuwenig über die
Wirkung von Gruppenstrukturen und -prozessen von Jugendlichen auf die konkreten Verläufe von Gewaltaktionen und Eskalationen,
aber auch über die Interaktionen zwischen den
Einflüssen auf der mikrosozialen Ebene und
auf der Organisationsebene.
Die Forschung folgt in dieser Hinsicht eher
traditionellen Perspektiven. In der Jugend- und
Sozialisationsforschung ist ein Vorgehen bestimmend, aus der Annahme von problematischen Lebenssituationen und damit im Zusammenhang stehenden subjektiven Bewältigungsformen die Neigung zu Gewalt und politischem
Radikalismus zu erklären. Bei dem größten
Teil der Untersuchungen wird auf z.T. sehr
beliebige Erklärungsansätze (Orientierungslosigkeit, Verunsicherung, mangelndes Selbstwerterleben usw.) zurückgegriffen (vgl. Schna3. Es fällt auf, daß Fremdenfeindlichkeit, Na- bel 1993). Die Verbreitung von Gewaltpotentionalismus und Gewalt in der Öffentlichkeit tialen unter Jugendlichen zu beschreiben, ist
vor allem als ein Problem von Gruppen Ju- ein weit verbreitetes Vorgehen bei den Erhegendlicher wahrgenommen wird und auch zu bungen, die auf Umfragedaten beruhen (vgl.
dementsprechenden Bemühungen in der For- Forschungsstelle für Sozialanalysen e.V. 1992).
schung geführt hat. Dieser Eindruck wird nach- Die Grenzen dieser Untersuchungen zeigen sich
haltig unterstützt durch die Untersuchungen zum ersten dann, wenn von Einstellungspovon strafrechtlich erfaßten Tätern, bei denen tentialen auf Aussagen auf der Performanzes sich um kleinere Gruppen von Jugendlichen ebene geschlossen wird. Zum zweiten handelt
handelt. Dabei bleibt offen, inwieweit die Grup- es sich bei (politisch motivierter) Gewalt um
pen eher situativ handeln oder von den Zielen ein komplexes soziales Phänomen, dessen norrechtsradikaler Organisationen unmittelbar be- mative Bedeutung und Geltungskraft (untereinflußt werden. Damit stellt sich die in bewe- schiedlichen) sozialen Beurteilungen und in
gungssoziologischer Hinsicht nicht unwesent- historischer Hinsicht auch Veränderungen unliche Frage, ob die Gruppen selbst zu einer terliegt (vgl. Kaase/ Neidhardt 1990). Deshalb
Mobilisierungsbasis für eine soziale Bewegung gilt es, linearen und vorschnellen Erklärungen,
unter rechtsradikalen Vorzeichen werden und die auf eine Zunahme der Gewaltpotentiale
zu einer Verstetigung entsprechender Netzwer- schließen oder auf die Herausbildung einer
ke und Milieus beitragen können. Von einer rechten sozialen Bewegung verweisen, mit Voranderen Perspektive aus betrachtet wirft dies sicht zu begegnen. Im Bereich der Jugendfordie weitere Frage auf, inwieweit die Gruppen- schung hat der Ansatz von Heitmeyer (1992;
aktionen für die Praxis rechter Organisationen 1994) gleichwohl eine starke Verbreitung ge-
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funden. Was ihn von anderen unterscheidet, ist
der Versuch, die kontextuellen Bedingungen,
die sich seiner Auffassung nach im Kern auf
die Folgeprobleme des Modernisierungs- und
Individualisierungsprozesses beziehen, in einen Erklärungszusammenhang zu bringen mit
subjektiven Handlungs- und Orientierungsmustern. Wie bei anderen Ansätzen besteht aber
auch hier die Schwierigkeit zu erklären, in welchen (differenzierten) Ausprägungsformen Desintegrations- bzw. Deprivationsprozesse in Gewalt umschlagen können.
1994
Von dieser Überlegung ausgehend wollen wir
die Beziehung zwischen Gruppenprozessen und
verfaßten Formen politischer Interessenartikulation im rechtsradikalen Organisationenspektrum im Hinblick auf die Mobilisierung für
fremdenfeindliche Aktionen wie auch auf die
Möglichkeiten einer Verstetigung rechtsradikaler Politik untersuchen. Dies geschieht in
dreifacher Hinsicht:
1
1. Unter einem organisationsbezogenen Aspekt
sollen Möglichkeiten und Grenzen des Zugriffs
bzw. der Instrumentalisierung von rechtsradiStrukturen und Prozesse fremdenfeindlicher kalen Organisationen auf die GesellungsforGewalt auf der Basis der Daten von Strafpro- men und die Alltagspraxis von Jugendlichen
zeßakten und der polizeilichen Kriminalstati- diskutiert werden.
stik zu erheben (vgl. Ohder 1992; Willems u.a.
1993), ist ein weiterer Zugang. In diesem Fall 2. Unter einem gruppen- und jugendsoziologiwird man allerdings in Kauf nehmen müssen, schen Aspekt wird nach den Gründen, Vorausdaß es sich um bereits erfaßte Straftatbestände setzungen und Grenzen der Mobilisierung von
handelt, die zum einen den Erfassungskriteri- Jugendlichen für rechtsradikale Politik zu fraen der Kontrollinstanzen unterliegen und zum gen sein.
anderen nur in eingeschränktem Maße die Prozesse und Wege aufzeigen können, die Jugend- 3. Mit dem bewegungssoziologischen Zugang
liche in gewaltförmige Gruppen hineinführen schließlich soll der Zusammenhang zwischen
können. Damit läßt sich eines der Desiderate dem gruppen- bzw. jugendsoziologischen und
in den Forschungen über auslösende Struktu- dem organisationsbezogen Aspekt hergestellt
ren und Prozesse für fremdenfeindliche Ge- und nach den Möglichkeiten der Etablierung
walt identifizieren. Unserer Ansicht nach soll- und Stabilisierung von sozialen Infrastruktute es dabei wemger darum gehen, Gruppen- ren und Milieus für rechtsradikale Politik geprozesse zum alleinigen Faktor für die Erklä- fragt werden.
rung von Mobilisierungsprozessen zu erheben.
Zwar bilden sie im Hinblick auf die mikroso1. Die organisationsbezogene
ziale Ebene eine der entscheidenden VorausPerspektive
setzungen von kollektiven Gewaltaktionen, die
auf der Basis einer mehr oder wemger geMan kann davon ausgehen, daß die Neuordmeinsamen Wahrnehmung von Situationen und
nung der extremen politischen Rechten im Wedamit im Zusammenhang stehenden Zuschreisten Deutschlands darauf abzielte, veränderte
bungsprozessen gegenüber anderen Personen
Formen der Einbindung und Mobilisierung von
und Gruppen entstehen. Gleichwohl müssen
Jugendlichen zu etablieren. Die Praktiken der
die Mobilisierungsprozesse auf strukturelle
neuen sozialen Bewegungen bildeten dabei eine
Kontexte und Umweltbedingungen treffen, die
nicht unmaßgebliche Orientierung. Mit dieser
zumindest auch Möglichkeiten einer StabiliStrategie wurden die Felder unmittelbarer jusierung der Aktionen beinhalten.
gendlicher Aktivitäten und Erlebniswelten ins
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politische Kalkül einbezogen. Neben althergebrachten Aktivitäten wie Veranstaltungen, Kongressen, der Herausgabe von Zeitungen und
Flugblättern ist von daher eine Umorientierung auf eher jugendgerechte Formen der Verbreitung rechtsradikaler Inhalte beabsichtigt
gewesen, wie der Vertrieb von Computerspielen oder Angebote im Rahmen der Freizeitgestaltung in Form von Zeltlagern u.a.m. Unter
der Zielsetzung der Verbreitung rechten Gedankenguts und der Mobilisierung von Akteuren für die eigenen Ziele waren diese Bemühungen von Erfolgen gekrönt. Insofern geht
die Kontinuität rechtsradikaler Organisationsformen und Praktiken mit einer Modernisierung einher. In Anbetracht der Opfer rechtsradikaler Gewalt wäre es wohl falsch, nur von
graduellen Unterschieden zu sprechen, wenn
man etwa im Hinblick darauf die Situation in
den siebziger und achtziger Jahren mit der heutigen vergleicht. Mit den Stichworten Neue
Rechte und Ethnopluralismus ist diese Phase
des Versuchs, einen geistigen und sozio-kulturellen Wandel der Gesellschaft als Voraussetzung einer politischen Umwälzung herbeizuführen, hinreichend belegt. Ähnlich wie in anderen europäischen Staaten ist damit eine „Normalisierung" des Rechtsradikalismus in der
politischen Kultur angezielt worden. Unterhalb
dieser Schwelle versuchten verschiedene Organisationen zunächst unpolitische Jugendbewegungen wie Skinheads oder Hooligans als
Rekrutierungspotential anzuzapfen. Dies geschah mit einigem Erfolg und zog Politisierungsprozesse nach sich (Backes/Jesse 1990).
Michael Kühnen hat diese Strategie folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Es kommt...
hinzu, daß wir hauptsächlich ... junge Menschen ansprechen, die nicht so in der Lage
sind, sich zu artikulieren und sich so klarzumachen, was sie eigentlich wollen. Bei uns
beruht eben sehr viel auf ... der gefühlsmäßigen Durchdringung, auf dem gefühlsmäßigen
Lernen, mehr als auf dem rationellen Lernen."
45
(Baibach 1994). Mit dieser Strategie einer modernisierenden Kontinuität, die darauf zielte,
Anschluß an die unmittelbaren Erlebnis- und
Erfahrungszusammenhänge Jugendlicher zu
gewinnen, versuchten rechtsradikale Organisationen nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten maßgeblich die Rekrutierungsversuche im Osten Deutschlands zu steuern.
Dementsprechende Bemühungen trafen auf ein
Feld, in dem, entgegen den Verlautbarungen
des offiziellen Antifaschismus staatlicherseits,
rechtsradikale Tendenzen wie rechte und gewaltorientierte Jugendkulturen durchaus vorhanden waren. So wurde beispielsweise im Jahre 1987 die Lichtenberger Aktionsfront (LAF)
im gleichnamigen Stadtteil Ostberlins gegründet. Vor allem seit Anfang der achtziger Jahre
erlebten subkulturelle Stilbildungen, einschließlich rechtsorientierter Gruppen, in der DDR
einen Aufschwung (Skins, Punks, Grufties,
Psychos u.a.m.; vgl dazu Stock 1991). Unter
Rückgriff auf Stilelemente und Symboliken,
die über die internationalen Medien verbreitet
wurden, und in Anbetracht der Herausbildung
eines begrenzten Freizeitmarktes wie auch informeller Tauschzentralen trugen die neuen jugendkulturellen Praxisformen dazu bei, daß
sich selbstorganisierte Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge jenseits der staatlich
kontrollierten Bereiche entwickeln konnten.
Die Stile wurden zu einer Herausforderung für
den Staat und seine Kontrollinstanzen, der darauf mit verstärkter Kontrolle und Repression
reagierte. Die Jugendlichen reagierten darauf
in verschiedener Weise. Es setzte nicht nur
eine zunehmende Ausdifferenzierung, sondern
ebenso eine Radikalisierung vor allem zwischen Punk-, Skinhead- und Hooligangruppen
ein. Gleichzeitig erlangten die Stile von Skinheads und Hooligans eine wachsende Bedeutung für DDR-Jugendliche. Damit war es leicht
möglich, den in seinem Selbstverständnis nach
antifaschistischen Staat herauszufordern. Obwohl die politische Konnotation der Stile nach
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FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG, 7, HEFT 4,
dem Fall der Mauer hinfällig geworden war,
setzte sich die Radikalisierung zwischen den
Gruppen und Stilen zunächst einmal fort. In
dieser Situation gab es ein fruchtbares Feld für
Mobilisierungsversuche rechtsradikaler Organisationen aus dem Westen Deutschlands und
aus anderen europäischen Ländern, die nach
dem Fall der Mauer zu einer Art von „doppelter Aufbruchstimmung" geführt hatten. Die
westlichen Organisationen vermuteten eine
starke Renaissance nationaler Themen, und die
Jugendlichen konnten - wie das ein Sozialpädagoge treffend formulierte - das, „was (sie)
in der DDR in den Knast gebracht hat,... jetzt
noch mal probieren" (Interview Sozialarbeiter). Die „Grenzen" für das Handeln rechtsradikaler Gruppen waren gefallen. Fortan konnten sie nahezu unbehelligt im öffentlichen
Raum agieren. Im Vorfeld der Wahlen für die
Volkskammer im Frühjahr 1990 versuchten
westdeutsche und österreichische rechtsextreme Gruppierungen eine Ausweitung ihrer Aktivitäten auf das Gebiet der ehemaligen DDR
zu erreichen. In diesem Zusammenhang kam
es auch zur Gründung von Organisationen im
Osten Deutschlands. Wahlarithmetisch gesehen waren diese Versuche jedoch ohne Bedeutung. Weder bei den Landtagswahlen noch bei
der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl
stellten sich die erhofften Stimmengewinne ein.
Wobei der Stimmenanteil, den rechtsradikale
Parteien für sich verbuchen konnten, in den
wesüichen Bundesländern durchweg höher ausfiel als im Osten. Die Mutmaßung, daß Ostdeutsche in stärkerem Maße als Westdeutsche
rechtradikale Organisationen und Parteien oder
auch andere Gruppierungen präferieren, konnte nicht bestätigt werden. Jugendliche in Ost
und West unterscheiden sich kaum in ihren
Sympathien für die Partei der Republikaner
oder für solche Gruppierungen wie die Skinheads (Keiser 1991).
1994
Daß einer Mobilisierung über die Organisationszusammenhänge rechtsradikaler Parteien
Grenzen gesetzt sind, zeigte sich schon recht
bald. Deshalb setzten die weitgehend von bestimmten charismatischen Führern getragenen
Werbungs- und Integrationsversuche „unterhalb" bzw. im Vorfeld der partei-institutionellen Ebene an. Sie zielten damit auf die verschiedenen Felder jugendlicher Erfahrungen,
Wünsche und Freizeitaktivitäten mit einer starken Unmittelbarkeit des Erlebens. Dabei wurde ganz gezielt auf Gruppen von Jugendlichen
zugegriffen, die eine Karriere in gewaltorientierten rechten Szenen schon zu DDR-Zeiten
und i.d.R. auch einige Jahre im Strafvollzug
aufzuweisen hatten. So wurde von Seiten rechtsradikaler Parteien im Falle einer namhaften
Gruppe aus einem Berliner Stadtteil Anfang
1990 der Versuch unternommen, Jugendliche
in organisationsnahe Aktivitäten einzubinden.
Dies geschah mit dem Anreiz der D M und
dem Angebot, in andere Orte zu reisen. Dadurch wurden den Jugendlichen Erlebnisse vermittelt, die ihnen bislang nicht zugänglich waren. In einem uns bekannten Fall wurden sie
von Kühnen und Worch persönlich nach Hamburg eingeladen, bekamen 10,- D M in die
Hand, wurden dann als Demonstrationsteilnehmer eingesetzt und kehrten mit Propagandamaterial ausgerüstet nach Berlin zurück. Bei
dieser Gelegenheit ist es bereits zu gezielteren
Rekrutierungsversuchen für eine Dependance
der Organisation im Osten gekommen. Die von
den Jugendlichen in dem Berliner Stadtteil inzwischen besetzten Häuser avancierten nun zur
Anlaufstelle für Akteure aus den rechtsextremen Organisationen und Gruppierungen. Deren Bestreben war es, Erfahrungen im Umgang mit ostdeutschen Jugendlichen zu sammeln, dabei zu testen, inwieweit sich die Organisation im Kiez sozial verankern läßt, und
nicht zuletzt sollten von da aus Aktionen gestartet werden.
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Erfolgreich sind derartige Anschluß- und Instrumentalisierungsversuche dann, wenn mit
den Aktionen nicht nur an die authentische
Erlebnis- und Erfahrungswelt der Jugendlichen
angeknüpft werden kann, sondern wenn diese
Aktionen auch auf „Dauer" gestellt werden
können und so gesehen immer wieder aufs
neue außeralltägliche Erfahrungen vermitteln.
Daß diese Erfahrungen in hohem Maße etwas
mit Erlebnissteigerung durch Gewalt und Risiko zu tun haben und dadurch auch Lemeffekte
auslösen, ist hinreichend belegt (vgl. Lösel/
Selg/Schneider 1990). Der Mobilisierung von
„außen" sind allerdings auch Grenzen gesetzt.
Die rechtsradikalen Parteien werden kaum in
der Lage sein, erstens solche Aktionen fortlaufend anzuzetteln und zweitens die Aktions- und
Gewaltpotentiale auch in die Organisationspraxis zu integrieren. Denn die Strukturlogik
rechtsextremer Organisationen basiert auf Hierarchie, Disziplin und Unterordnung und starken Führelpersönlichkeiten. Dies steht einerseits dem Bestreben nach Partizipation entgegen. Andererseits läßt sich damit auch nicht
die tiefsitzende Abneigungen der Jugendlichen
gegenüber der Mitarbeit in formalen Organisationen auffangen. Wenn dennoch Rekrutierungen im Anschluß an subkulturelle Stilbildungen - in ihrer Schieflage zu den rechtsextremen Organisationen aus dem Westen - zustande gekommen sind, so hat sich das für die
Jugendlichen recht bald als Etikettenschwindel herausgestellt. Unter diesen Voraussetzungen erhält die Frage nach den Möglichkeiten
und Grenzen der Mobilisierbarkeit von jungendkulturellen Stilen und Gesellungsformen
eine besondere Relevanz.
2.
Die gruppen- und jugendsoziologische Perspektive
Genauso wie für den Westen gilt für den Osten
Deutschlands der Befund eines generellen Bedeutungszuwachses von Gleichaltrigengruppen
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im Jugendalter (vgl. Allerbeck/Hoag 1986).
Den Peer-groups kommt eine wichtige Funktion nicht nur bei der Ablösung von der Herkunftsfamilie, sondern auch für den Erwerb
von Handlungskompetenz im Bereich der öffentlichen und marktförmigen selbstorganisierten Freizeitaktivitäten zu. Im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs haben sich für die OstJugendlichen die Gelegenheitsstrukturen für
das Handeln in den Freizeitgruppen z.T. gravierend verändert: Freundschaftsbeziehungen
und die eh schon marginal ausgeprägten Infrastrukturen für Jugendliche sind weggebrochen,
die Institutionen und Regelungen sozialer Kontrolle haben sich gewandelt, Handlungsräume
und die lokale Öffentlichkeit sind nicht mehr
dem Zugriff des Staates ausgesetzt. Die Veränderungsprozesse schlagen jedoch nicht auf alle
Strukturen in gleicher Weise durch. Sie sind
von Ungleichzeitigkeiten, aber auch von Retraditionalisierungstendenzen geprägt. Wenn
sich die Umstände ändern, so zeigen sich eben
auch die Konstanten. Dies gilt besonders für
die Herkunftsbedingungen. Dabei zeigt sich,
daß diejenigen Jugendlichen, die vor dem Umbruch über relativ günstige soziokulturelle Herkunftsbedingungen (höhere Bildung, leitende
Funktion der Eltern in Wirtschaft, Staat und
Verwaltung) und vielfältige Beziehungsnetzwerke verfügen konnten, mit den Veränderungen relativ gut umgehen können. Während umgekehrt die Bedingungen für Heranwachsende, deren Eltern in der DDR als Facharbeiter,
Bauern oder kleine Angestellte beschäftigt waren, eine relativ ungünstige Ausgangsposition
bieten (vgl. Schober 1993). Je nach sozialer
Lage wirkt der Umbruch offensichtlich kumulativ auf die Startbedingungen der Jugendlichen nach dem Umbruch. Die Herkunftsbedingungen bilden eine der entscheidenden
Handlungsressourcen für Bildungs- und Berufswegentscheidungen wie auch für die Herausbildung von Beziehungsnetzwerken im Freizeitbereich.
48
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Unter den veränderten sozialen Bedingungen
gewinnen soziale Vergleichs- und Distinktionsprozesse eine wachsende Bedeutung. Sie schlagen sich ebenso in gewandelten alltagskulturellen Suchbewegungen nieder. Dabei versichern sich die Jugendlichen eines selbstgewählten Netzes von Beziehungen gerade zu Gleichaltrigen, das als Form der Absicherung der eigenen Identität in der Bearbeitung von lebensweltlichen Konfliktlagen und individuellen
Nöten dient. Diese Prozesse widerspiegeln sich
in der Suche nach Zuordbarkeit, die zumindest
für die Zeit kurz nach dem Fall der Mauer an
eine eindeutige Symbolik gebunden war (vgl.
Böhnisch 1992). Unübersehbar ist dabei eine
Tendenz zum (moralischen) Rigorismus und
zur Radikalisierang.
1994
Form in die andere übergehen. Gleiches trifft
für die Grenzen zu, die gegenüber der Umwelt
entstehen. Ob die Grenzen durchlässig und flexibel sind oder eine starre Form annehmen, ob
die Grappenmitglieder vielfältige soziale Kontakte eingehen oder ob sie sich in homogenen
Zusammenhängen bewegen, bestimmt auch die
Dynamik von Ingroup-Outgroup-Prozessen
(vgl. Tjafel 1981). Über Inklusions- und Exklusionsprozesse erleben Jugendliche soziale
Zugehörigkeiten und erfahren gleichermaßen
die Modi sozialer Distinktion. Es sind Abgrenzungsmuster gegenüber anderen Jugendlichen,
die auf verschiedene Weise eingeübt werden
und sich der Umwelt i.d.R. durch symbolische
Verweisungszusammenhänge mitteilen. Die
Handlungskompetenzen dafür, daß man das
„Anders-Sein" auch praktizieren kann, werDie Gruppen sind ausgesprochen komplexe und den in den Gruppen erworben. So setzten sich
dynamische Phänomene. Sie unterliegen kei- die jugendlichen Subkulturen nach der Wende
nesfalls einem festen Strukturmuster mit for- z.T. als radikale Pole des politischen Spekmalisierten Regeln, sondern werden weitge- trums zueinander ins Verhältnis (vgl. Stock
hend durch persönliche und affektiv getönte 1991). Die Eindeutigkeit des Rechts-LinksBeziehungen gesteuert (vgl. Neidhardt 1983). Codes trägt einerseits Verweise auf die VersiDiffuser Aktionismus und expressives Handeln cherung des eigenen Standortes in der Gruppe
bestimmen weitgehend das Gruppengeschehen. sowie in den Grenzen eines bestimmten HandDabei sind situative Momente im Spiel, die lungsraums, andererseits dient sie als Abgrenimmer wieder neu hervorgebracht werden müs- zung gegenüber anderen Jugendlichen. Abgrensen, um die Gruppenprozesse am „Laufen" zu zungen und Zuordnungen sind nichts Festes;
halten. Es müssen Handlungssequenzen erzeugt mit ihnen gehen die Jugendlichen durchaus
werden, an die sich immer wieder anschließen spielerisch um. Damit sind sie in der Lage,
läßt. Stimulierende Substanzen (wie z.B. A l - sich der Zuschreibungsversuche des soziokulkohol u.ä.) und Medien beeinflussen diese Pro- turellen Kontextes oder der Dramamtisierung
zesse maßgeblich. Aber auch deren Gebrauch ihres Handelns in der Öffentlichkeit zu erwehunterliegt den symbolischen Codes und Re- ren Als beispielsweise „rechts"-orientierte
Musik einen stärkeren Einfluß in der Öffentgeln des Gruppenhandelns.
lichkeit erlangte, tragen selbst einige der sich
als „links" verstehenden Jugendliche T-Shirts
Die Regeln, nach denen in der Gruppe jemand mit dem Schriftzug „Böhse Onkelz" als Mittel
aufgenommen oder ausgegrenzt wird, sind der Provokation (vgl. Giessen 1993). Darin
schwer nachvollziehbar. Beziehungen innerhalb zeigt sich ein eher selbstbestimmter und exder Gruppen können eine Variation von dyadi- pressiver Umgang mit Stilelementen, bei dem
schen Relationen bis hin zu multiplen Struktu- politische und öffentliche Zuschreibungen in
ren annehmen. Es können lockere wie auch einen anderen Kontext gestellt oder in ironifestere Verbindungen entstehen und von einer
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
scher Form zurückgewiesen werden. Daß diese „Codes" von der Umwelt kaum hinreichend
entschlüsselt werden können und eher Anlaß
für weitergehende Sügmatisierungen sind, liegt
nahe. Im Spektrum möglicher Motivationen
bei der Präsentation rechter Symbole ist der
Aspekt der Provokation von großer Bedeutung.
Provokation beinhaltet als Handlungsoption die
Entscheidung für Action, Spaß, aber auch für
Risiko. Damit lassen sich die Verregelungen
und Routinen des Alltags erlebnishaft aufbrechen (vgl. Baacke 1987). Die rechtsextremistische Außendarstellung konnte dabei als eine
neue Möglichkeit aufgenommen werden, ohne
daß dies in jedem Fall zur Identifizierung mit
den Zielen führen mußte. Entsprechend den
wechselnden und auch wachsenden Möglichkeiten zum Ausleben ist ein Wechsel der politischen Konnotation innerhalb relativ kurzer
Zeit durchaus möglich. Dies deutet auf den
situativen Aspekt der Handlungen wie ganz
generell auf die Kontingenzen in den Handlungszusammenhängen der Gruppen hin. Im
Zusammenhang mit einer von uns durchgeführten Untersuchung von Gruppenprozessen
in einem Berliner Stadtteil haben wir feststellen können, daß sowohl die „politische" Codierung als auch die Medien, die Risiko- und
Aktionsreize vermitteln, in rascher Folge wechseln bzw. austauschbar sind. So wechselte eine
der von uns untersuchten Gruppen mit einer
eher rechten und fremdenfeindlichen Konnotation ihres Stiles und Handlungsrepertoires
(sie verfügten über Erfahrungen im Zusammenhang mit Angriffen auf Asylbewerberheime) über eine Phase mit überwiegenden Aktivitäten in der „Sprayer"-Szene zu einem eher
„linken" Selbstverständnis. Daraufhin entwikkelten die Jugendlichen positiv besetzte Kontakte zu Ausländern und Asylbewerbern, die
im Handlungsraum der Gruppe ein Asylbewerberheim bewohnten. Dies ging soweit, daß
die Ausländer und Asylbewerber gegen Angriffe von anderen Gruppen verteidigt wurden.
2
49
Die Entwicklung verweist auf eine Kontingenz
in den Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen, die natürlich auch jeder Zeit wieder in
die „Gegenrichtung" umschlagen kann.
Jugendliche konstituieren darüber hinaus rasch
Suchbewegungen in andere Felder. Dazu gehört ebenso die Teilhabe an dem, was in den
Jugendfreizeiteinrichtungen an Veranstaltungen
läuft, wie der Umgang mit konkurrierenden, je
nach Ressourcenlage zugänglichen Angeboten
des Konsum- und Freizeitmarktes oder die Erschließung des Drogenmarktes im Stadtteil.
Diese Pluralisierung in den individuellen Möglichkeiten entschärft offensichtlich Polarisierungstendenzen, die in der Zeit kurz nach der
Wende zu beobachten waren (vgl. Böhnisch
1992). Hier sind der Faszination des Rechtsextremismus Konkurrenzen erwachsen. In größerem Ausmaß hat sich deshalb eine rechte
soziale Infrastruktur, die auch in der lokalen
Öffentlichkeit präsent ist, bislang nicht etablieren können.
3.
Die bewegungssoziologische
Perspektive
Im Zuge der jüngsten Wellen fremdenfeindlicher Gewalttaten in Ost- und Westdeutschland
ist schon recht bald geltend gemacht worden,
daß wir es mit einer neuen sozialen Bewegung
zu tun haben (vgl. Leggewie 1993). Deren Ziele
entzünden sich allerdings nicht an Problemen
wie Ökologie, Abrüstung oder Wirtschaftswachstum, dem Geschlechterverhältnis oder an
der Bürgerbeteiligung in den Kommunen bzw.
auf überregionaler Ebene. Stattdessen haben
sich Konflikte ganz anderer Art aufgetan, die
in den achtziger Jahren eher latent angelegt
waren. Es handelt sich dabei um Konflikte, die
sich nach der Grenzöffnung durch neue M i grationsbewegungen aus den ost- und südosteuropäischen Ländern ergeben haben. Jedoch
ist wohl weniger die Tatsache des Zustromes
50
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
von Asylberwerbern allein entscheidend, als
vielmehr die Art und Weise des politischen,
rechtlichen und sozialen Umgangs mit diesen
Wanderungsbewegungen, sei es auf Regierungs- oder lokaler Ebene. Es gibt viele Mutmaßungen darüber, in welcher Weise die damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungen von Politikern oder von Vertretern aus den
Verwaltungsbürokratien Jugendliche zu fremdenfeindlichen Gewalttaten ermuntert haben.
Begründet scheint uns diese Kausalitätsannahme freilich nicht zu sein. Man muß sich fragen, welche handlungsleitenden Orientierungen Jugendliche aus politischen Entscheidungen beziehen. Begründet scheint die These,
daß sich aus Konflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen gewaltsame Eskalationsprozesse entwickeln können. Ob diese Prozesse weiterlaufen und eine dramatische Form annehmen oder nicht, wird entscheidend davon abhängen, welche Rolle lokale Eliten und die
Vertreter der Kontrollinstitutionen spielen. Dies
zeigen zumindest die Fälle Hoyerswerda und
Rostock, da durch das zögerliche, wenn nicht
gar Nicht-Handeln der Polizei die Erfolgsbedingungen für gewaltsame Aktionen offensichtlich gesteigert werden konnten.
1994
Gewaltaktionen allein lassen sich keine bewegungsförmigen Strukturen etablieren. Es ist gut
möglich, daß sich Bürgerinitiativen gegen Asylbewerber und Ausländer etablieren, wie es teilweise im Falle der Errichtung von Asylbewerberheimen im Osten Deutschlands bereits geschehen ist. Deren Herausbildung und Normalisierung wird allerdings davon bestimmt, inwieweit rechte Gruppen ihre politische Partizipations- und Entscheidungsfähigkeit über die
Themen „Asyl und Ausländer" hinaus unter
Beweis stellen können, und sich ein generelle
Veränderung nach rechts im politischen Institutionensystem vollzieht. Besonders im Punkt
Politikfähigkeit unterscheiden sich rechte Gruppen sehr deutlich von den neuen sozialen Bewegungen (vgl. den Beitrag von Ohlemacher
in diesem Heft). Während erstere auf Autorität
und Führerpersönlichkeiten bauen, spielen bei
den Akteuren der neuen sozialen Bewegungen
intellektuelle und partizipatorische Elemente
eine ganz entscheidende Rolle.
Die Frage, ob sich eine rechte soziale Bewegung herausbilden wird, läßt sich an dieser
Stelle nicht endgültig und eindeutig beantworten. Unserer Ansicht nach gibt es gute Gründe
dafür, daß der Formierung einer Bewegung,
In bewegungssoziologischer Hinsicht ist es nun die sich aus Gewalt und Terror wie aus der
wichtig, daß nicht nur für Aktionen mobil ge- offenen Abwehr gegenüber allem „Fremden"
macht wird. Es muß auch eine gewisse Verste- in der Gesellschaft speist, auch Grenzen getigung absehbar sein. Damit muß nicht gleich setzt sind. Für die Entstehungszusammenhäneine Institutionengründung verbunden sein. ge fremdenfeindlicher Gewalttaten gilt es, nicht
Allerdings bedarf es zur Verstetigung einer ge- nur die Binnenstruktur der Gruppen, sondern
wissen Infrastruktur, die auch sozial hinrei- auch 'externe' Bedingungen zu berücksichtichend verankert ist. Die Erfolgsbedingungen gen. Im Hinblick auf die 'internen' Bedingunrechter sozialer Bewegungen hängen also ganz gen wurde bereits auf die Möglichkeiten und
entscheidend von den Gelegenheitsstrukturen Grenzen der Anschlußfähigkeit des Gruppen(vgl. Tarrow 1989) ab, in regionaler wie auch handelns für das Agieren in subinstitutionellen
überregionaler Hinsicht. Dabei wird man sich und institutionellen Zusammenhängen hingevorstellen können, auf welche Grenzen gewalt- wiesen. Dagegen werden die 'externen' Bebereite Jugendliche bzw. Sympathisanten sto- dingungen vor allem durch die politische Geßen, wenn es zur Herausbildung von rechten legenheitsstruktur mitbestimmt. Die Art und
politischen Infrastrukturen kommen sollte. Mit Weise, wie zentrale Themen auf der politischen
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
Agenda piaziert und behandelt werden, wie
mit Asylbewerbern politisch und rechtlich umgegangen wird, scheint in mancherlei Hinsicht
die Erfolgsbedingungen für gewaltsame Aktionen begünstigt zu haben. Gleichwohl sollte
keine Zwangsläufigkeit zwischen fremdfeindlichen Gewalttaten von Jugendgruppen und einer rechtsradikalen Bewegung angenommen
werden.
Offensichtlich haben wir es mit einer Form
von Mobilisierung zu tun, die über die Stufe
von Kampagnen und kollektivem Protest nicht
hinausreicht und allenfalls eine 'Vorform' sozialer Bewegung darstellt. Davon unterscheiden sich aber die neuen sozialen Bewegungen,
die sich zwar ebenfalls von den institutionalisierten Formen abheben, immerhin jedoch über
ein gewisses Maß an Verstetigung, ausdifferenzierte Kommunikationsstrukturen und Rollen verfügen und Zielhaftigkeit erkennen lassen (vgl. Raschke 1991). Zumindest im Westen Deutschlands hat sich ein ausdifferenzierter Bewegungssektor mit vielfältigen Infrastrukturen etabliert, der auch sozio-kulturell
verankert ist. Im Osten freilich wird man noch
nicht von einem derartigen Differenzierungsgrad der Gesellschaft ausgehen können. Der
politische Entdifferenzierungsprozeß von einst
läßt sich nicht so leicht umkehren. Die Folge
davon ist, daß es nicht nur Organisationen und
Verbände, sonderen auch selbstorganisierte Vergesellschaftungsformen sehr schwer haben,
sich im intermediären Bereich Geltung zu verschaffen. Die unvermittelte Beziehung zwischen Staat und Bürger von einst scheint sich
vorerst umgekehrt zu haben in ein ausgesprochen distanziertes bzw. indifferentes Verhältnis. Diese Situation ist offensichtlich ein günstiger Nährboden für diffuse und kampagnenartige Protestformen, nicht aber für die Herausbildung einer sozialen Bewegung, die auf
Öffentlichkeit ebenso wie auf ein differenziertes politisches System angewiesen ist. Aus der
51
Mailand-Analyse Meluccis wissen wir um die
Bedeutung eines Interaktionsgeflechtes der
Bewegungen, das von festen Bewegungseinrichtungen wie Kneipen, Buchläden, Selbsthilfegruppen bis hin zu Freundschafts- oder
Verwandtschaftsbeziehungen reicht. Demnach
ist ein solches Geflecht mitentscheidend für
die Dauerhaftigkeit, Mobilisierungskraft und
Eigenständigkeit der Initiativen (vgl. Roth
1991). Damit dürften es rechtsradikale Bewegungen und Organisationen wahrscheinlich
schwer haben, im intermediären Bereich stabile Formen der Interessenartikulation zu entwickeln, die geeignet sind, über die Mobilisierung kollektiver Betroffenheiten hinaus eine
Verstetigung und Differenzierung der Bewegungspraxis zu erreichen.
Daß die Bewegungsforschung bei der Analyse
rechtsradikaler Phänomene womöglich Hinsicht auch von anderen Annahmen als bei der
Untersuchung der Ökologie-, Frauen- und Friedensbewegung wird ausgehen müssen, gilt als
Allgemeinplatz. Problematisch scheint uns im
rechtsradikalen Spektrum die Perspektive rational und zielorientiert handelnder Akteure zu
sein. Raschke (1991) geht beispielsweise von
einem Bewegungsakteur aus, der „aktiv in den
Lauf der Dinge eingreift" (ebd. 32). Für den
rechtsradikalen Bereich sind jedoch gerade die
spontanen, diffusen „Vorformen" sozialer Bewegungen von Interesse. Sie folgen nur in wenigen Fällen bestimmten „Zielen" oder Formen strategischen Handelns, was nicht ausschließt, daß sich die fragilen Handlungszusammenhänge zu Brücken und Umschlagpunkten für organisationsbezogenes Handeln entwickeln können. Wenn in der Bewegungsforschung häufig mit der Annahme eines strategischen Akteurs operiert wird, so mag das möglicherweise auch daran liegen, daß die bislang
untersuchten sozialen und politische Phänomene weitgehend den sozialen Bewegungen
52
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
aus dem linksliberalen, alternativen und postmaterialistischen Sektor entsprechen.
Für erfolgversprechend bei der Analyse rechtsradikaler Aktionen und Bewegungen halten wir
Zugänge, mit denen die Entstehungszusammenhänge, Verlaufsprozesse und Bedingungen
der Stabilisierung im Hinblick auf die Wirkungszusammenhänge zwischen der Mikro-,
Meso- und Makroebene erklärt werden können (vgl. Neidhardt/Rucht 1993, 306f). Diese
Überlegung aufgreifend, war uns daran gelegen, lediglich die Interferenzen zwischen den
gewaltförmigen und fremdenfeindlichen Gruppenprozessen auf der Mikrobene und den organisationsbezogenen Chancenstrukturen für
rechtsradikale Politik auf der Mesoebene zum
Gegenstand der Analyse zu machen. Dies vor
allem mit dem Ziel, die Grenzen und Möglichkeiten für die Etablierung von rechten bewegungsförmigen Infrastrukturen und Institutionen auszuloten.
Mit dem Versuch, in differenzierter Weise die
Innenseiten der gewaltförmigen Gruppen Jugendlicher zu analysieren, nach den Anschlußstellen für eine mögliche Mobilisierung und
Institutionalisierung für rechtsradikale Politik
zu suchen und dabei das Zusammenspiel zwischen internen Gruppenprozessen und externen Chancenstrukturen zu beachten, ist uns
keineswegs an einer Entwarnung gelegen. Immerhin besteht auch die Gefahr, daß sich über
den Umweg antistaatlicher Einstellungen
rechtsorientierte Milieus als lockere und informelle Gruppen (vgl. Neidhardt/Rucht 1993)
quasi einigeln, um an diesem Punkt, wenn auch
kampagnenhaft, so doch von rechtsextremen
Organisationen wieder „abgeholt", d.h. mobilisiert zu werden. Rechtsextremismus scheint
so für die Jugendlichen Ostdeutschlands eine
besondere Episode kollektiver Erfahrungen zu
sein, von der aus Verlängerungen in Richtung
einer rechten Bewegung zwar eher unwahr-
1994
scheinlich sind; gleichwohl werden aber Teile
der Jugendlichen sicherlich weiterhin in Berührung mit diesem Spektrum bleiben.
Wolfgang Kühnel und Ingo Matuschek sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für
Soziologie der Humboldt-Universität.
Anmerkungen
In empirischer Hinsicht stützen wir uns zum
einen auf die Aussagen von Experten aus dem
Bereich der Sozialpädagogik und zum anderen auf
eine Untersuchung über Gruppenprozesse und Gewalt in einem Berliner Großsiedlungsgebiet.
Es handelt sich dabei um ein Forschungsprojekt
zum Thema „Gewalt bei Jugendgruppen in großstädtischer Monostruktur", das im Rahmen des
Sonderforschungsbereiches 227 „Prävention und
Intervention im Kindes- und Jugendalter" der Universität Bielefeld von den beiden Autoren am FB
Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität
durchgeführt wird.
1
2
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56
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
umfassenden Sinne gerecht wird. Eine wichtige Grundlage für ein solches Vorgehen ist eine
konkrete Analyse, die zwischen scheinbar disparaten Phänomenen Korrelationen herzustellen vermag und diese in die jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und
Situationen einzubetten versteht. Auf diese
Weise kann sowohl die ahistorische Schieflage, die die Voraussetzungen der Moderne unzureichend reflektiert, als auch die komparative Schieflage, die die nationalen Wurzeln gesellschaftlicher Phänomene zu unterschätzen
droht, überwunden werden.
1994
vor allem antidemokratisch-autoritäre Ideologeme, Einstellungs- sowie Handlungsmuster,
Einzel- und Kollektivaktivitäten, Medien, Organisationen und Parteien (vgl. Stöss 1989).
Da selbst der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in Deutschland noch nicht so weit
ist, daß von einem konsensualen Verständnis
und Gebrauch der Rechtsextremismus-Terminologie gesprochen werden kann, hat dies zur
Folge, daß jeder neue Aufsatz und jede neue
Monographie zunächst einmal den kategorialen Deutungshorizont der eigenen Argumentation darlegen muß. Die RechtsextremismusTerminologie wirft ein doppeltes Problem auf:
II.
Die Tücken der Begrifflichkeit
Einerseits ist eine Reihe von konkurrierenden
Aus den Vorbemerkungen ergibt sich, daß die Begrifflichkeiten wie Rechtsradikalismus,
Herangehensweise umfassend sein muß, so daß Rechtsfundamentalismus, Neo-Nazismus, Neoin die wissenschaftliche Analyse des Rechts- Faschismus, Rechts- und Nationalpopulismus,
extremismus eingehen: die ökonomischen, so- Nationalkonservatismus bis hin zur Alten und
zialen, politischen und kulturellen Rahmenbe- Neuen Rechten im Gebrauch (vgl. auch Pfahldingungen, die Verbreitung von antidemokra- Traughber 1993, 26ff). Andererseits verbinden
tischen und demokratieskeptischen Einstellun- die Autoren, die den Begriff Rechtsextremisgen, das Ausmaß und die Entwicklung rechts- mus benutzen, damit sehr unterschiedliche Inextremer Aktivitäten - organisiert wie nicht halte, Motivationen, Ziele und Bedeutungsebeorganisiert - , die generations- und geschlechts- nen.
spezifischen Ausprägungen, die spezifischen
modernen Ideologeme und Organisationsfor- Für die extremismustheoretische Forschungsmen, die Programmatik rechtsextremer Orga- richtung, die der alten Totalitarismustheorie am
nisationen sowie deren Beziehungen zu maß- nächsten steht - in besonders pointierter Form
geblichen politischen Kräften auf nationaler von Backes/Jesse (1993) artikuliert - , fungiert
wie internationaler Ebene. Unter Rechtsextre- Rechtsextremismus als Sammelbegriff für Phämismus wird die Gesamtheit von Einstellun- nomene, die sich gegen den demokratischen
gen und Verhaltensweisen, die auf die Beseiti- Verfassungsstaat richten. Diese Perspektive
gung oder nachhaltige Beeinträchtigung de- wird noch zugespitzt, wenn Forscher die vom
mokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse Verfassungsschutz vorgegebene juristische Ungerichtet ist, verstanden. Dieses zugleich so- terscheidung zwischen einem nicht-verfasziale und politische Massenphänomen deutet sungsfeindlichen Rechtsradikalismus und eiauf eine individuelle und gesamtgesellschaftli- nem verfassungsfeindlichen Rechtsextremische Komponente hin, wenn auch diese beiden mus übernehmen.
Faktoren einen einheitlichen Wirkungszusammenhang bilden. Rechtsextremismus ist also Für ein solches Vorgehen tritt Hans-Joachim
ein Sammelbegriff, in dem unterschiedliche Veen ein, der die Rechtsextremismus-KategoPhänomene gebündelt werden. Dazu gehören rie nur in jenen Fällen für sinnvoll erachtet,
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7. HEFT 4,
1994
die von Bundesverfassungsgericht und Verfassungsschutz sanktioniert werden. Durch diesen eindeutigen Referenzpunkt, so Veen, könne ein inflationärer Gebrauch verhindert werden: „Der Rechtsextremismusbegriff ist der
extremste, über den wir in diesem Zusammenhang verfügen, extremer geht es nicht, semantische Verschärfung ist nicht möglich. Ihn im
Alltagsgebrauch gegen alles, was sich irgendwo am rechten Rand oder rechtsaußen bewegt,
zu verwenden, bedeutet, den Begriff zu inflationieren, ihn damit zu entwerten und zu einer
stampfen Waffe werden zu lassen" (Veen 1994:
1). Plausibel an dieser Argumentation ist die
Problematisierung des inflationären Gebrauches der Rechtsextremismus-Kategorie. Einer
wissenschaftlichen Kapitulation kommt es allerdings gleich, wenn Veen die Trennung zwischen Extremisten und Radikalen allein als
definitorische Aufgabe der Verfassungsorgane
bezeichnet. Denn damit wird die inhaltliche
Begriffsbestimmung an eine außerwissenschaftliche Instanz angelehnt, statt sich selbst
um die Durchsetzung einer eigenen Interpretation zu bemühen.
Ein Ansatz, der als Ordnungsprinzip die Einordnung auf der Koordinatenachse von auf die
bundesdeutschen Verhältnisse bezogenen verfassungsgemäßen bis verfassungsfeindlichen
Einstellungen zugrundelegt, vermag jedoch der
Komplexität und Internationalität dieses gesellschaftlichen Krisenphänomens nicht gerecht
zu werden. Sein Referenzkonzept wäre zu eng
und zudem international nicht übertragbar, denn
es läßt eine international vernetzte Rechtsextremismusforschung - ein eminent wichtiges
Forschungsdesiderat - nur unter der Bedingung zu, daß sie sich auf ein spezifisch deutsches - und somit provinzielles - Unterscheidungsmerkmal einläßt. Ein weiteres Problem
dieses Ansatzes ist methodologischer Art: Die
Analyse sollte sich nicht darauf beschränken,
empirische Erscheinungsformen deskriptiv wie-
57
derzugeben, vielmehr muß sie die beobachteten Phänomene auf ihre konstitutiven Bedingungen rückbeziehen, deren Genese nachzeichnen und erklären können. Ein eindimensionaler Ansatz wie der extremismustheoretische ist
folglich komplexitätsreduzierend und damit der
Problematik nicht adäquat.
Viele kritische Sozialwissenschaftler meiden
den Rechtsextremismusbegriff gerade wegen
seiner extremismustheoretischen Besetzung.
Sie sehen darin eine unverantwortliche politische Instrumentalisierung (vgl. Narr 1980,
1993), die letztlich auf eine Gleichsetzung von
Links- und Rechtsextremismus im Sinne der
alten Totalitarismustheorie (vgl. Nolte 1973,
Bracher 1987) hinauslaufe. Zudem befürchten
sie, daß mit einer solchen Negativdefinition,
die sich primär auf die Gegnerschaft zum demokratischen Verfassungsstaat und seinen Verfahrens- und menschenrechtlichen Grundlagen
kapriziert, Ursachen und Genese von Rechtsextremismus ausgeblendet und somit vorrangig Staatsschutzziele, die eine strafrechtliche
Ausgrenzung bezwecken, verfolgt werden.
Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, benutzen verschiedene Forscher alternative Begriffe, beispielsweise den Begriff Rechtsradikalismus (vgl. Leggewie 1994). Andere greifen auf ältere Begriffe zurück, denen die Vorsilbe „Neo-" vorangestellt wird, doch diese
Begriffsbildung ist irreführend, da bei Komposita wie Neofaschismus oder Neonazismus
nicht die Vorsilbe, sondern das Nomen sinngebend wirkt. Zugleich ignorieren diese begrifflichen Fixierungen, daß die meisten der aktuell agierenden rechtsextremistischen Gruppen
und Aktivitäten nicht unmittelbar auf das NSRegime zurückzuführen sind, sondern daß in
diesem politischen Spektrum eine relative Autonomisierung gegenüber der NS-Politik und
NS-Ideologie stattgefunden hat, die durch neue
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|58
und eigenständige Begrifflichkeiten erfaßt werden muß.
1
Um den Rechtsextremismus-Begriff trotz solcher Probleme wieder fruchtbar zu machen,
muß er von zwei komplementären Verkürzungen befreit werden, die aus normativen Vorannahmen resultieren: Einerseits von der extremismustheoretischen Verengung, die auf Verfassungskonformität und Staatsschutzdenken
verweist, andererseits von der normativen Überhöhung und Stilisierung, die zu einem antifaschistischen Kampf, der weitgehend ritualisiert
und vergangenheitsbezogen verläuft, prädestinierent. Beide Sichtweisen beruhen auf und
führen zu einer Engführung der Erkenntnisse,
die ihre beste Rechtfertigung jeweils in der
Existenz des anderen Lagers finden: So wie
der extremismustheoretische Ansatz dem Antifa-Ansatz seine Blindheit gegenüber totalitären und speziell linksextremen Auffassungen
und Aktivitäten vorhält, so kritisiert der antifaschistische Ansatz an seinem Gegenüber die
Überhöhung formaler Strukturanalogien, die
zu eigenständigen Gefahren für die Demokratie von linksaußen bzw. rechtsaußen stilisiert
würden. Beide Seiten gründen ihre Terminologie und ihre Konzeptionen letztlich auf - zwar
konträren, aber eben - normativen Prämissen,
die mehr auf der jeweiligen „political correctness" als auf wissenschaftlicher Analyse beruhen. Beide Verkürzungen gilt es zu überwinden, um das gesamte Feld des Rechtsextremismus in den Blick zu bekommen.
III.
Ein in Vergessenheit geratener,
aber fruchtbarer Ansatz
Bereits 1967 erarbeiteten Erwin K. Scheuch
und Hans-Dieter Klingemann eine Forschungsstrategie zur Analyse struktureller Ursachen
rechtsextremistischer Verhaltensweisen in modernen Industriegesellschaften (Scheuch/Klingemann 1967). Obwohl nur wenige ähnlich
1994
ambitionierte Beiträge in der bundesdeutschen
Debatte vorlagen, blieb dieser Ansatz damals
nahezu unkommentiert. Diese Tatsache kann
als exemplarischer Ausdruck des Fehlens einer kontinuierlichen sozialwissenschaftlichen
Rechtsextremismusforschung in Deutschland
gewertet werden. Im Vergleich zu den U S A
und anderen westlichen Ländern ist die deutsche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bisher mehrheiüich provinziell, substanzlos und bekenntnisorientiert verlaufen.
Vor dem Hintergrund der NPD-Wahlerfolge in
der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erarbeiteten Scheuch/Klingemann ein Forschungsprogramm zur systematischen Analyse rechtsextremistischer Erscheinungsformen. Zwar ist
dieser Beitrag in den letzten Jahren immer wieder zitiert worden, meist jedoch verkürzt auf
die These, daß Rechtsextremismus „eine normale Pathologie von freiheitlichen Industriegesellschaften sei", nicht jedoch unter der Fragestellung, ob das von ihnen vorgelegte Forschungsprogramm heute noch plausibel ist. Der
Ansatz von Scheuch/Klingemann erweist sich
jedoch als kompatibel mit Arbeiten, die Rechtsextremismus als Ergebnis widersprüchlicher
Modernisierungsprozesse, sozialer Desintegrations- und Deprivationserscheinungen begreifen.
Ausgehend von einem strukturell-funktionalen Analyseansatz arbeiteten die Autoren damals vier idealtypische Spannungsfelder von
sich beschleunigt wandelnden Industriegesellschaften heraus, in denen sie die widersprüchlichen Anforderungen verorteten, die von den
Individuen zu bewältigen sind.
1. Widersprüche zwischen den Werten und Verhaltensweisen der Primärgruppe (Familie,
Freundeskreis etc.) einerseits und den sogenannten funktionalen Erfordernissen der se-
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kundären Institutionen (z.B. Betrieb, Behörde,
Organisation) andererseits.
2. Widersprüchliche Anforderungen zwischen
der Berufssituation, die für die Mehrzahl der
Menschen durch passive Unter- und Einordnung geprägt ist, und der gesellschaftlichen
Zielperspektive gleichberechtigter, aktiver Einmischung.
3. Spannungen zwischen den Individuen und
der politischen „Klasse".
4. Widersprüche zwischen der Fülle sozialer
Konflikte, mit denen Individuen konfrontiert
werden, und ihrem unzureichenden Ausdruck
in den Massenmedien, wodurch wiederum die
Grundlage für ein „unterschwelliges Unbehagen (= Malaise)" gelegt sei.
591
resultieren ständig Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichen Normen und Werten auf der
einen Seite und der gesellschaftlichen Realität
auf der anderen. Kurzum: Es wird ein Resonanzboden für Prozesse sozialer Deprivation
geschaffen.
Angesichts des Stellenwertes von Arbeitslosigkeit in modernen Gesellschaften verändern
sich Gewicht und Bedeutung der anderen von
Scheuch/Klingemann genannten Spannungsfelder. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich
ein sozialer Wandel vollzogen, der nicht ohne
Einfluß auf die genannten vier Spannungsfelder geblieben ist und daher kurz skizziert sei:
- Verhältnis von Primär- zu Sekundärinstitutionen: Hervorzuheben ist der Strukturwandel der Familie, der insbesondere unter den
Stich Worten Erosion der Kernfamilie und
veränderter Vergesellschaftungs- und Sozialisaüonsmoden von Kindheit und Jugend diskutiert wird. Während die Anforderungen
an die Familie als Puffer zur Leistungsgesellschaft gewachsen sind, gilt dies nicht im
gleichen Maße für ihre Möglichkeiten.
Die empirische Grundlage für die idealtypischen Spannungsfelder sind in der Übergangsphase zwischen Adenauer-Ära und modemer
Bundesrepublik situiert. Zunächst ist an vorderster Stelle der Widerspmch zwischen der
Massenarbeitslosigkeit und einer sich weiterhin auf Erwerbsarbeit gründenden Gesellschaft
hinzuzufügen. Die „normalbiographische" Ent- - Verhältnis von beruflichen zu gesellschaftswicklung in der modernen Industriegesellschaft
spezifischen Anfordemngen: Die seit der
ist auf Integration in die Arbeitswelt orientiert,
zweiten Hälfte der sechziger Jahre vermehrhingegen versperren Marktmechanismen für
ten Bemühungen, das gesellschaftliche Enimmer mehr Jugendliche den Eintritt in das
gagement zu verstärken, haben nur Teile der
Bemfsleben und zugleich fallen ständig MenGesellschaft erfaßt. Die Kluft zwischen eischen aus dem System der Erwerbsarbeit herner tendenziell willkürlich anmutenden Unaus. Zwar ist der Absturz in die Arbeitslosigterordnung im beruflichen Alltag und einer
keit durch soziale Regelungen abgefedert, doch
postulierten gleichberechtigten, engagierten
die psychischen Effekte, die bis zur VerwahrTeilnahme am öffentlichen Leben hat sich
losung reichen können, sind unübersehbar.
seither in vielen Bereichen abgeschwächt.
Trotz weitreichender und teilweise dramatischer Konsequenzen hat die Gesellschaft bis- Verhältnis von Individuen und Politik: Die
lang keinen Ausweg aus diesem Dilemma geBindungen der Menschen an die politischen
funden, vielmehr zentriert sie ihre Normen und
Institutionen hat sich in den letzten JahrWerte weiterhin um die Erwerbsarbeit. Aus diezehnten erheblich verändert. Mit dem Wegser Kluft zwischen Anspmch und Wirklichkeit
fall politischer Gewißheiten, deren Wurzeln
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in sozialen Milieulagen, lockern sich nicht - Geschlechterverhältnis: Während der strukturelle Konflikt zwischen den Geschlechnur die Beziehungen zwischen den Indivitem bis in die 60er Jahre nur latent wirkte,
duen und den politischen Parteien und Vernahm seitdem nicht nur der Konflikt, sonbänden, sondern auch die Unterschiede zwidern - auf der Basis einer starken Frauenschen den konkurrierenden Parteien werden
bewegung - auch die Beteiligung von Frauweniger greifbar. Einerseits wird nicht imen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft
mer klar differenziert zwischen den verschiezu. Deutliche Anzeichen für eine veränderdenen politischen Parteien und Lagern, so
te Stellung der Frau in der Gesellschaft sind
daß für eine nicht unerhebliche Zahl von
in der Infragestellung geronnener ArbeitsMenschen übergreifende Phänomene wie
teilungen zwischen den Geschlechtem zu
materielle Bereicherung von Politikern und
sehen sowie in der Bedeutungszunahme bederen mangelnde Sensibilität für die unmitruflicher Aufstiegsambitionen.
telbaren Alltagsprobleme in den Mittelpunkt
des politischen Interesses rücken. Andererseits scheint nach dem Ende der bipolaren Ein weiterer gesellschaftlicher Bereich, der sich
Blockkonfrontation und aufgrund der Krise seit Mitte der sechziger Jahre deutlich verändes wohlfahrtsstaatlichen Verteilungsmodells dert hat, ist der ideologische. Scheuch/Klingeder Glaube an die Veränderbarkeit gesell- mann insistieren darauf, daß der Wandel der
schaftlicher und individueller Situationen Lebensbedingungen die „Notwendigkeit zu
durch Politik stark gesunken zu sein.
fortwährender Revision eigener Einstellungen"
und „den dauernden Wechsel der Bezugssy- Verhältnis von Medien und Gesellschaft: Die steme" zur Folge habe. Als Reaktion darauf
gesellschaftliche Bedeutung audiovisueller könne sich eine Form der Unsicherheit herausMassenmedien hat enorm zugenommen. bilden, die wiederum die Grundlage für eine
Dieser Wandel drückt sich einerseits in ei- „Rigidität im Denken" sei: .Ausweichen vor
ner Vervielfachung und Ausdehnung media- den tatsächlich bestehenden Widersprüchlichler Rezeptionsmöglichkeiten aus, anderer- keiten durch ein starres Wert- und Orientieseits in veränderten Darbietungsformen ge- rungssystem" (Scheuch/Klingemann 1967: 18).
sellschaftlicher Realität. Standen in den er- Diese Form der Reaktion bezeichnen Scheuch/
sten beiden Jahrzehnten der bundesdeut- Klingemann als „pathologische Anpassung".
schen Geschichte harmonische Familien-, Indem sie die Basis für rechtsextreme OrienWirtschafts- und Gesellschaftsbilder im Mit- tierungen aus den Widersprüchen modemer Intelpunkt medialer Präsentation, so hat sich dustriegesellschaften herausarbeiten, distanzieseit den achtziger Jahren eine auf Effekte ren sie sich von allen Versuchen einer unmitabgestellte De- oder sogar Amoralisierung telbaren Rückbindung an historische Kontinuiund Brutalisierung in den Medien breitge- täten.
macht. Nicht mehr die Unterdrückung bestimmter als real erfahrener Lebenssituationen und Konflikte beunruhigt die Menschen,
sondern wachsende Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit. Die Medien suggerieren
Möglichkeiten von Freiheit, Wohlstand sowie Gerechtigkeit und rufen so stets aufs
neue Enttäuschungen hervor.
Seit Ende der sechziger Jahre sind die tradierten Wert- und Orientierungssysteme in den
Strudel rasanter Veränderungen geraten, und
dieser Wandel hat sich seit dem Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems mit seinen
relativen Sicherheiten und ideologischen Gewißheiten noch beschleunigt. Das Angebot an
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Werten hat sich diversifiziert, ihre Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit ist zurückgegangen; eine Vielzahl normativer Brüche hat sich
im Alltagsdenken und -leben niedergeschlagen. Diese Zunahme von Widersprüchlichkeiten, die zugleich ein Mehr an Wahlmöglichkeiten bzw. für viele auch von Entscheidungsund damit Wahlzwang bedeuten, stellt hohe
Anforderungen an die individuellen Verarbeitungskapazitäten, die bei einer Vielzahl von
Individuen zu Überforderungen führen. Eine
mögliche Reaktionsform, um der Auflösung
von Sicherheiten zu begegnen, wäre Rigidität
im Denken, eine andere wäre eine zunehmende Unzufriedenheit angesichts einer weitgehend fehlenden Übereinstimmung zwischen
den bei der Sozialisation internalisierten Werten und Erwartungen einerseits und den vielfältigen gesellschaftlichen Ideologieangeboten,
die als beliebig und willkürlich wahrgenommen werden können, andererseits. Im Prozeß
des Verfalls ideologischer Orientierungen ist
auch der Gründungs- und Grundkonsens der
Bundesrepublik, nämlich ein antitotalitärer
Antifaschismus, einer starken Erosion unterworfen.
61
da vorgelegt, die Anschlußmöglichkeiten für
eine moderne sozialwissenschaftliche Rechtsextremismusforschung enthält.
IV.
Rechtsextremismus als Resultat
gesellschaftlicher Deprivationsprozesse
Will sich die Rechtsextremismusforschung
nicht mit der Klassifizierung von Phänomenen
zufrieden geben, sondern Aufschluß über Genese und Rahmenbedingungen rechtsextremistischer Aktivitäten vermitteln, so kann ein kontextuell orientiertes Theoriekonzept sozialer,
politischer und kultureller Deprivation eine
sinnvolle Forschungseinbettung ermöglichen.
Eine so orientierte Rechtsextremismusforschung basiert auf einer gesamtgesellschaftlichen Theorie, die ihr Augenmerk zuallererst
auf Krisenphänomene und spezielle Ausdrucksformen sozialer Unzufriedenheit, die einen
maßgeblichen Aspekt von Deprivation erfaßt,
richtet.
Eike Hennig markiert Geltungsbereich und
Grenzen des Unzufriedenheitstheorems, wobei er zugleich gesellschaftspolitische GegenSoweit ein skizzenhafter Umriß der seit Mitte strategien andeutet: „Institutionen und interder sechziger Jahre eingetretenen Entwick- mediäre Instanzen müßten den grundlegend
lungslinien. Ein zentraler Aspekt in der For- Unzufriedenen, die die Haltung des Ressentischungsagenda von Scheuch/Klingemann be- ments überschreiten, zuerst wieder nahegezieht sich auf den Zustand des politischen Sy- bracht werden, bevor sie als Ausdruck einer
stems, respektive der es tragenden Institutio- demokratisch verändernden Unzufriedenheit
nen, denen eine entscheidende Bedeutung zu- wirken können. Grundlegendes Charakteristigesprochen wird, um zu verhindern, daß die kum rebellischer Unzufriedenheit ist die Entvorhandenen Spannungsfelder zum Resonanz- strukturierung des politischen Lebens und die
boden für rechtsextremistische Verhaltenswei- Ablehnung einer komplexen gesellschaftlichen
sen werden. Zugleich versuchen die Autoren, Modernisierung". Dieses Unzufriedenheitsmudurch die spezifischen institutionellen Voraus- ster unterscheide sich von der allgemeinen posetzungen die unterschiedlichen Ausdrucksfor- litischen Unzufriedenheit durch die Relevanz
men gleicher Struktureigenschaften in verschie- des ökonomischen Faktors und von daher setdenen Ländern zu erklären. Scheuch/Klinge- ze ein Abbau der Demokratieunzufriedenheit
mann haben mit ihrer Synthese aus Struktur- nicht nur eine Aufwertung demokratischer Inund Handlungsanalyse eine Forschungsagen- stitutionen, sondern auch eine materielle Ver-
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sozialer Gruppen. Relative Deprivation meint
eine von Individuen oder sozialen Gruppen
empfundene Benachteiligung, die sich aus der
tatsächlichen gesellschaftlichen Situation ergeben kann, aber nicht muß. Vielmehr kann
sich diese Wahrnehmung aus der Diskrepanz
zwischen subjektiven Erwartungen und realen
Erfahrungen oder auch zwischen gesellschaftDas Unzufriedenheitstheorem beschreibt einen lichen Werten, Normen und deren unvollstänzwar zentralen Aspekt der gegenwärtigen Des- diger Realisierung bzw. aus dem Vergleich mit
integrationsprozesse, vermag jedoch nicht, sie anderen Individuen und Gruppen speisen. Eine
in ihrer Totalität und Relevanz für die Entste- solche Herangehensweise leugnet nicht die
hung rechtsextremer Denk- und Handlungs- Relevanz der Frage nach der Verfassungskonmuster zu erfassen. Auch die gängige These, formität, aber sie wird nicht zur Grundkategodaß speziell Modernisierungsopfer bzw. -Ver- rie der Analyse gemacht, vielmehr wird der
lierer für rechtsextreme Orientierungen emp- Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen
fänglich sind, greift zu kurz, da sie reale Verlu- Desintegrations- und Deprivationsprozessen,
ste im Gefolge von Modernisierungsprozessen demokratischen Verfahrensformen und den Beunterstellt. Außer acht gelassen wird dabei, daß dingungen ihrer Unterminierung ins Zentrum
empfundene Benachteiligungsgefühle eine zu- der analytischen Bemühungen gestellt.
reichende Bedingung für die Hinwendung zu
rechtsextremistischen Orientierungen oder M i - Unsere theoretische Verortung scheint auf den
lieus darstellen können. Analog darf gesell- ersten Blick dem Desintegrationstheorem, das
schaftliche Desintegration nicht mit Ausschluß Wilhelm Heitmeyer favorisiert, zu ähneln. Im
oder Ausgrenzung aus sämtlichen sozialen Be- Unterschied zu ihm (1994, S. 45) heben wir
ziehungsgefügen gleichgesetzt werden. Die jedoch nicht auf Erfahrungen und AntizipatioDesintegration muß sich also nicht in sozialer nen „sozialer, beruflicher und politischer DesAusgrenzung äußern, wie sie etwa in Folge integrationsprozesse" ab, sondern stellen Devon Arbeitslosigkeit entstehen kann. Auch muß privationsprozesse im Kontext von Anomie ins
dem materiellen Faktor nicht unbedingt eine Zentrum. Für das Deprivationskonzept, das eientscheidende Bedeutung zukommen. Als Ka- nen umfassenderen Erklärungsansatz bietet,
talysator kann die Abwendung von parlamen- sprechen mehrere Gründe: Objektive soziale,
tarisch-demokratischen Spielregeln bzw. deren aber auch imaginierte Probleme können über
Ablehnung und darüber vermittelt die Hinwen- subjektive Deprivationsgefühle und Politikverdung zu demokratieskeptischen bzw. antide- drossenheit zu einer politischen Protesthaltung
mokratischen Einstellungen und Verfahren wir- und rechtsextremen Denkmustem führen. Das
ken.
Gefühl der Benachteiligung, die Sorge um den
eigenen Arbeitsplatz und die persönliche ZuMit den Begriffen der Unzufriedenheit und kunft sind Glieder einer Kette, die verbunden
Desintegration eng verknüpft sind die Theore- mit einer politischen Protesthaltung notwendime Deprivation und Anomie. Soziale Depriva- ge, aber nicht hinreichende Bedingungen für
tion bezeichnet eine Mangelerscheinung (rela- rechtsextreme Einstellungen und Stimmabgative Deprivation) oder Unterversorgung (abso- be sind. Weitere Indikatoren weisen in diesellute Deprivation) bestimmter Individuen oder be Richtung: Wenn jemand das Gesellschafts-
besserung voraus. Selbst wenn die materielle
Unzufriedenheitsquelle, Dürkheims ökonomische Anomie, beseitigt werden könne, bliebe
jedoch der immaterielle Faktor, die Unzufriedenheit aufgrund uneingelöster Bildungs-, Aufstiegs- und Emanzipationsversprechen (Hennig 1994, 377).
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system der Bundesrepublik eher als ungerecht
empfindet, sich benachteiligt fühlt, für die Zukunft eher eine Verschlechterung der eigenen
Situation erwartet, die eigene Lage im Vergleich zu anderen als besonders schlecht einschätzt, dann erhöht sich die Chance, daß er
seine Stimme rechtsextremen Parteien gibt (Falter 1994). So plausibel der Ansatz Heitmeyers
am zentralen gesellschaftlichen Problem moderner Gesellschaften, dem Integrationsproblem ist, so kurz gegriffen ist die Einschränkung auf materielle Faktoren und die Ausblendung der Wahmehmungs- und Vergleichsdimension. Die subjektive Verarbeitung von realen Desintegrationsprozessen kann zum Phänomen der sozialen Deprivation führen und
reale Desintegrationsprozesse in sich aufheben, aber ebensogut auf imaginären Vorstellungen beruhen. Eine Komponente von Deprivation ist der Vergleich mit anderen sozialen
oder ethnischen Gruppierungen, dessen Resultat sich zu einem Bedrohungssyndrom auswachsen kann. Diese Aspekte sind aus integrationstheoretischer Perspektive nicht zu erfassen. Der Deprivationsansatz ist also komplexer als Heitmeyers Desintegrationsansatz,
denn er vermag beispielsweise Statusinkonsistenzen und -Unsicherheiten, also potentielle
Gefährdungen zu erfassen, die (noch) keine
reale Desintegration zur Grundlage haben.
Der Begriff der Anomie erlaubt eine Verknüpfung der gesellschaftlichen mit der individuellen (Analyse-)Ebene. Gesellschaftliche Kohärenz und Integration, auch und gerade im Sinne der Akzeptanz eines demokratisch-parlamentarischen Gesellschaftssystems, müssen
jeweils neu hergestellt werden, da sie ständig
von anomischen Prozessen bedroht sind. Insbesondere vom sozio-ökonomischen und ideologisch-kulturellen Strukturwandel, der eine
Erosion gesellschaftlicher Regulierungsmuster,
geltender Alltagsnormen und moralischer Wertgefüge bewirken kann, geht eine ständige Ge-
63[
fährdung der sozialen Dimension und damit
des gesellschaftlichen Zusammenhalts moderner, hochentwickelter Gesellschaften aus. Beschleunigter Wandel gesellschaftlicher Lebensbedingungen kann dazu führen, daß Menschen
aus traditionell geronnenen Lebenszusammenhängen und biographischen Entwicklungen herausgerissen, Gewohnheiten und gewachsene
Strukturen in Frage gestellt werden und Risiken entstehen, die die Individuen alleine nicht
zu bewältigen in der Lage sind.
Deprivationserfahrungen finden in einem umfassenden Kontext statt: Der gegenwärtig zu
beobachtende Individualisierungsprozeß bedeutet eine fortschreitende Auflösung kollektiver
Lebensformen, sozialer Milieus und eine Pluralisierung der Lebensstile und Werte (Beck
1986). Die Erosion traditioneller Lebensformen, Milieus und Werte ist jedoch nicht einfach als Zerfallsprozeß oder Resultat einseitig
wirkender Zentrifugalkräfte zu charakterisieren, denn an die Stelle der alten treten häufig
neue Integrationsformen (vgl. Bourdieu 1993,
Vester u.a. 1993). Die berechtigte Abkehr von
veralteten Gemeinschaftsformen darf die
gleichzeitig ablaufenden sowie notwendigen
neuen Vergesellschaftungsprozesse nicht aus
dem Sichtfeld geraten lassen. Es ist zu berücksichtigen, daß sich auch in der rechtsextremistischen Szene neue Milieus und Gemeinschaftsformen herausbilden, die es näher zu
untersuchen gilt. Im übergreifenden Kontext
moderner Desintegrationsphänomene, anomischer Prozesse und daraus resultierender relativer Deprivation ist die Problematik des
Rechtsextremismus und auch die Suche nach
verbesserten gesellschaftlichen Integrationswegen und Auswegen aus der Deprivationsfalle
anzusiedeln.
Wolfgang Kowalsky und Wolfgang Schroeder
sind in der Grundsatzabteilung der IG Metall
beschäftigt.
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Anmerkung
' In jüngster Zeit hat die Begriffsbildung Rechtspopulismus als Konkurrenzkategorie zu Rechtsextremismus an Akzeptanz gewonnen (vgl. Laclau 1981, Dubiel 1986, Glotz 1989). Der Begriff
Populismus bezeichnet jedoch keine neue politische Strömung, sondern eine spezifische Form der
politischen Beziehung zwischen Politikern, Parteien und Volk (Dubiel 1986, 7). In diesem Begriff kommt eine Akzentverlagerang zum Ausdruck, die darin besteht, daß das Populistische,
also der Appell an das Volk, in den Vordergrand
gerückt, damit aber auf die Unterscheidung zwischen Recht- und Linkspopulismus verzichtet wird.
Literatur
Backes, Uwe/Eckhard Jesse 1993: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland,
Berlin
Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft. Auf dem
Weg in eine andere Moderne, FrankfurtBourdieu, Pierre 1993: La misere du monde, Paris
Bracher, Karl Dietrich 1987: Totalitäre Erfahrung,
München
Butterwegge, Christoph/Siegfried Jäger (Hrsg.)
1992: Rassimus in Europa, Köln (vgl. Rezension
in: FAZ vom 4.5.1993, S. 9)
Dubiel, Helmut (Hrsg.) 1986: Populismus und Aufklärung, Frankfurt
Falter, Jürgen W. 1994: Wer wählt rechts? München 1994
Glotz, Peter 1989: Die deutsche Rechte. Eine
Streitschrift, Stuttgart
Greß, Franz/Jaschke, Hans-Gerd/Schönekäs,
Klaus 1990: Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa, Opladen
Heitmeyer, Wilhelm 1994: Das DesintegrationsTheorem, in: ders. (Hrsg.): Das Gewalt-Dilemma
einer gelähmten Gesellschaft, Frankfurt 29-69
Hennig, Eike 1994: Politische Unzufriedenheit ein Resonanzboden für Rechtsextremismus?, in:
Kowalsky/Schroeder 339-380
1994
Jänicke, Martin 1971: Totalitäre Herrschaft, Westdeutscher Verlag
Kirfel, Martina/Walter Oswalt (Hrsg.) 1989: Die
Rückkehr der Führer. Modernisierter Rechtsradikalismus in Westeuropa, Wien/Zürich
Kowalsky, Wolfgang/Schroeder, Wolfgang (Hrsg.)
1994: Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen
Kreckel, Reinhard 1992: Politische Soziologie der
sozialen Ungleichheit, Frankfurt/New York
Kühnl, Reinhard 1990: Gefahr von rechts. Vergangenheit und Gegenwart der extremen Rechten,
Heilbronn
Laclau, Ernesto 1981: Politik und Ideologie im
Marxismus. Kapitalismus, Faschismus, Populismus, Berlin
Leggewie, Claus 1994: Rechtsextremismus - eine
soziale Bewegung?, in: Kowalsky/Schroeder 325338
Münkler, Herfried 1993: Eine Wissenschaft wie
jede andere?, in: FAZ vom 8.9.1993
Narr, Wolf-Dieter 1980: Radikalismus, Extremismus, in: Greiffenhagen, Martin (Hrsg.), Kampf
um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit,
München/Wien 366-375
Narr, Wolf-Dieter 1993: Vom Extremismus der
Mitte, in: PVS 1/93, 106-113
Nolte, Ernst 1973: Kapitalismus - Marxismus Faschismus, in: Merkur, 27. Jg., Nr. 2, S. 123f
Pfahl-Traughber, Armin 1993: Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der
Wiedervereinigung, Bonn
Scheuch, Erwin K./Hans-Dieter Klingemann 1967:
Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für
Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Tübingen,
11-29
Stöss, Richard 1989: Die extreme Rechte in der
Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung - Ursachen - Gegenmaßnahmen, Opladen
Veen, Hans-Joachim, Plädoyer für mehr begriffliche Klarheit. „Rechtsextrem" oder „rechtsradikal"?, in: Das Parlament vom 15. April 1994, S. 1
Vester, Michael/Peter von Oertzen/Heiko Geiling/
Thomas Hermann/Dagmar Müller 1993: Soziale
Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel.
Zwischen Integration und Ausgrenzung, Köln
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1994
Frank Nullmeier
Hannah Arendt:
Bewegung und Dauer
Es scheint heute müßig, Hannah Arendt noch
vorstellen zu wollen. Sie allerdings als 'Bewegungstheoretikerin' zu präsentieren, könnte als
Vereinnahmungsstrategie einer modisch gewordenen Theoretikerin zugunsten eines politologischen Teilgebietes gewertet werden. Und erst
recht müßte es befremden, wenn diese Referenz auf Arendts Schriften unter dem Terminus 'soziale Bewegungen' erfolgte. Steht doch
ihr Werk im Zeichen einer strikten Trennung
des Sozialen und Ökonomischen vom Politischen. So spricht Hannah Arendt auch nicht
von sozialen, sondern von politischen Bewegungen, wenn sie nicht Kategorien wie revolutionäre, totalitäre, nationale oder Volksbewegungen bzw. konkrete Bewegungsnamen benutzt. Die Arbeiterbewegung als die soziale
Bewegung spielt zudem eine vollkommen untergeordnete Rolle in Arendts Schriften (vgl.
VA 210ff). Gleichwohl ist ihr Buch 'Elemente
und Ursprünge totaler Herrschaft' (1951) über
weite Strecken eine historische Entwicklungsanalyse vorwiegend von rechten Bewegungen,
von antisemitischen und imperialistischen, von
alldeutschen und anderen Panbewegungen, von
faschistischer und Nazibewegung, bevor es im
dritten und letzten Teil zu einer Charakterisierung totalitärer Bewegungen und Regime unter Einschluß des Stalinismus gelangt.
Die Konzeption von 'Elemente und Ursprünge' als Totalitarismusstudie ist eine recht späte
Entwicklung (Canovan 18f). In seiner oft bemerkten Unausgewogenheit verbleibt das Buch
im Übergangsfeld von Imperialismus- zu Totalitarismustheorie. Noch 1945 galten Arendt
„Antisemitismus, Rassismus, Imperialismus"
als die „Erzübel unserer Zeit" (IPA 107), so
daß ihre Antworten zunächst als Reaktionen
auf diese Phänomene verstanden werden müssen. Die Auseinandersetzungen über ihr Buch
verliefen hierzulande aber gänzlich im Rahmen eines Für und Wider zur Totalitarismustheorie und d.h. zur Parallelisierung von Stalinismus und Nazismus - unter Vernachlässigung der umfangreichen Bewegungsanalysen.
Die Kritik der Totalitarismustheorie wie auch
die erstarrte politische Realität in den 'totalitären' Staaten baute das wissenschaftliche Interesse am Gegenstandsbereich Bewegung und
Bewegungsregime zunehmend ab. Dabei ist das
Verschwinden einer ausdifferenzierten Bewegungsforschung in den 60er und 70er Jahren
eine der weniger beachteten Nebenwirkungen
der Aufgabe totalitarismustheoretischer Ansätze im Mainstream bundesrepublikanischer Politikwissenschaft. Aber es lassen sich auch interne Gründe für die bisherige Vernachlässigung der Arendtschen Bewegungsanalysen finden: ihre Einbindung in voraussetzungsreiche
historisch-soziologische wie politisch-philosophische Konstruktionen, die Ausrichtung des
Bewegungsbegriffs auf eine selbstzweckhafte
Bewegung um der Bewegung willen sowie eine
1
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normative Präferenz für bewegungslose Dauerhaftigkeit. Dies gilt es im weiteren zu belegen. Was dabei zurücktreten muß, sind Hannah Arendts Lebensgeschichte (1906-1975) als
erlebte Bewegungsgeschichte (vgl. YoungBruehl 1986), ihre Auseinandersetzung mit der
eigenen jüdischen Identität, und ihr Versuch,
mittels Biographie ('RahelVarnhagen') sowohl
die Aussichtslosigkeit eines sozialen Kampfes
um gesellschaftliche Anerkennung per Assimilation als auch die Lächerlichkeit reiner Innerlichkeit aufzuzeigen.
Unter scharfer Kritik der bisherigen jüdischen
Realitäts- und Politiklosigkeit (ZZ 21), der „oft
würdelosen apologetischen Haltung des offiziellen Judentums" (BB 42), nähert sie sich unter dem, aber auch gegen den Einfluß der Philosophie Heideggers und Jaspers dem kollektiven „politischen Kampf um gleiche Rechte"
(RV 18) im Rahmen der zionistischen Bewegung. Allerdings nicht, ohne in ihrem zweiten,
dem amerikanischen Exil - so in ihren Beiträgen für den 'Aufbau' zwischen 1941 und
1945 - die zionistische als bloß nationale und
unpolitische Bewegung anzuklagen, die zudem
auf „kritikloser Übernahme des Nationalismus
in seiner deutschen Version" (Krise 47; vgl.
Heuer 1992, 148ff.) beruhe. Als Alternative
propagiert sie die politische Organisation des
jüdischen Volkes in einer revolutionären Volksbewegung bei radikaler Demokratisierung des
Zionismus (Krise 191f.) und opponiert schließlich sogar gegen die Gründung eines jüdischen
Staats wegen Mißachtung aller Fragen eines
friedlichen Zusammenlebens mit den Palästinensern (Krise 98). Fehlen muß auch die Geschichte ihrer späteren Bewegungserfahrungen,
wenn das Mithandeln zugunsten sympathisierender Beobachtung und publizistischer Begleitung zurücktritt wie bei den amerikanischen
Bürgerrechts-, Anti-Vietnam- und Studentenbewegungen. In ihren Essays zur Ungarischen
Revolution von 1956 und zur amerikanischen
1994
Studentenbewegung gelingt zudem nicht eine
Wiederholung jener historischen Dimensionierung und komplexen Interpretation, die die Bewegungsanalysen in der Totalitarismusstudie
ausgezeichnet hatten. So sind wir vorrangig
auf diese verwiesen. Dort besticht zunächst
die Güte und Vielzahl der Beobachtungen auf
traditionellen Feldern politisch-soziologischer
Analyse: Arendt untersucht die 'opportunity
structure' totalitärer Bewegungen - Zweiparteiensysteme gelten als Hindernis (EU 401 ff.),
Vielparteiensysteme als Beschleunigungsfaktor (ÜR 348) - , bestimmt die organisatorische
Grundstruktur totalitärer Bewegungen in Anlehnung an Simmel als Geheimgesellschaft (EU
592ff.), widmet sich ausführlich der Rolle von
Propaganda, Indoktrination und Ideologie und
kennzeichnet schließlich im später geschriebenen Abschlußkapitel Ideologie und Terror als
zentrale Merkmale der neuen Staatsform Totalitarismus.
2
Ihre Argumentation ist jedoch nicht allein und
nicht vorrangig vom Instrumentarium vergleichender politischer Soziologie getragen. Sie
ist eingefügt in ein 2-Phasen-Modell europäischer Entwicklung vom 19. zum 20. Jahrhunderts (vom Nationalstaat zum Imperialismus/
Totalitarismus), dem als Drittes das Ideal einerfreiheitlichen Republik/Föderation als Entwicklungsalternative beigefügt wird. Sozialstrukturell entspricht dem die Gegenüberstellung von Klassengesellschaft (im Nationalstaat
des frühen 19.Jhs.) und Massengesellschaft.
Die soziale Basis einer Republik bildet - Arendt
fehlt hier ein eigener Begriff - eine Gesellschaft entfalteter Personalität. Und auf der Ebene typischer politischer Organisationen sind
Parteien dem Nationalstaat, Bewegungen dem
Imperialismus und Totalitarismus, Räte der
Republik zugeordnet. Diese drei Phasen bzw.
Typen politischer Gestaltung werden ihrerseits
strukturiert von der aristotelischen Gegenüber3
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1994
Stellung von Selbstzweckhaftigkeit und äußerer Zweckbestimmung.
Imperialismus, Totalitarismus und
Massengesellschaft
Nationalstaat, Klassengesellschaft
und Interessenparteien
Der Niedergang von Nationalstaat und Klassengesellschaft wie der Aufstieg der Massengesellschaft bilden die übergreifenden RahmenArendts Analyse setzt ein mit dem Aufstieg bedingungen imperialistischer, völkischer und
und Niedergang des liberalen Nationalstaates, totalitärer Bewegungen sowie die 'Ursprünge'
der gänzlich in der Logik einer Indienstnahme totalitärer Herrschaft als neuer Staatsform (EU
des Politischen für soziale und ökonomische 14). Dabei ist der Totalitarismus eher die radiInteressen interpretiert wird. Getragen von ei- kalisierte Fortsetzung, das letzte Stadium des
ner ökonomisch gespaltenen Klassengesell- Imperialismus. Im Imperialismus wird bereits
schaft, die sich vorrangig in Interessenparteien die Begrenzung politischen Handelns durch
organisiert, steht Politik gänzlich im Dienste äußere Zwecksetzungen, durch ökonomische
der Interessenten, so daß nicht sie, sondern die und nationale Interessen durchbrochen. SelbstKlassengesellschaft das einzige zugleich sozi- zweckhaftigkeit zeigt sich zunächst in seinem
al wie politisch strukturierende Moment dar- Grundprinzip der Expansion um der Expansistellt (vgl. E U 505). Über die Bildung von on willen - weit über die nationalen Grenzen
klassenspezifischen Interessenlagen und Klas- hinaus (EU 221; vgl. Canovan 1992, 29). Was
senbewußtsein werden bürgerliche Repräsen- im Imperialismus als unbegrenzte Expansion
tanzformen entfaltet, die letztlich „zu einer be- bereits vorgezeichnet ist (EU 221) - ein selbstfriedigenden Interessenvertretung aller Klas- perpetuierendes Moment ohne jede äußere Binsen" führen, was aber auch den „eigentlich un- dung - findet seine ideologische Formung in
politischen Charakter der nationalstaatlichen den völkischen Pan-Bewegungen mittel- und
Regierungsform" (EU 508) bedingt. Obwohl osteuropäischer Prägung seit den 80er Jahren
in nationalstaatlichen Demokratien das Volk des 19. Jahrhunderts. Diese Pan-Bewegungen
zugunsten des Parlaments weitgehend abge- (z.B. Alldeutscher Verband) gelten Arendt gedankt hat, kann sich auf der Basis äußerer rade nicht als nationale, sondern als betont anZweckbindung der Politik an Wohlfahrt, Klas- tinationale, auf Weltherrschaft gerichtete insen- und nationales Interesse eine stabile poli- ternationale Bewegungen (IPA 96, 100; E U
tische Struktur bilden.
261). Bildete der anwachsende Kapitalüberfluß noch das ökonomische Motiv einer Überwindung nationaler Schranken, so werden die
Bewegungen wie die liberale, konservative,
ökonomischen Zweckbindungen durch den völdemokratische oder Arbeiterbewegung treten
kischen Nationalismus zerstört. Getragen von
in dieser historischen Skizze nicht als eigeneiner Schicht überflüssiger Arbeitskräfte, dem
ständige Akteure auf, da sie als bloßes Umfeld
sich aus allen Klassen speisenden 'Mob', tritt
der Parteien gehandelt werden. Die Geschichan deren Stelle eine ideologisch-weltanschaute der Bewegungen beginnt für Arendt erst mit
liche Ausrichtung mit einem radikalisierten Anjenen antisemitischen und völkischen Pantisemitismus und dem Verzicht auf jede ErfahGruppierungen im letzten Drittel des 19. Jhs.,
rungsbasis (EU 387).
die sich bewußt nicht Partei, sondern Bewegung nannten.
Bewegungen gelten Arendt - und hier werden
ihr die völkischen zum Prototyp aller Bewe4
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gungen - grundlegend „als Verkörperungen bestimmter Ideologien" (EU 399); sie ersetzen
Interessen, Zweck-Mittel-Relationen und Meinungen durch Weltanschauungen mit Absolutheitsansprüchen. Der Ablösungsprozeß von Interessenbindungen beschleunigt sich im Gefolge des Ersten Weltkrieges, später von Inflation und Arbeitslosigkeit flankiert, - ein Prozeß, den Arendt als Übergang von der Klassen- zur Massengesellschaft deutet. Mit der
Klassengesellschaft verschwindet das interessengebundene Parteiensystem, an dessen Stelle treten die radikalisierten Versionen der Panbewegungen: die totalitären Massenbewegungen. 'Historische Notwendigkeiten', seien es
biologische oder Geschichtsgesetze, bestimmen
nun das Handeln, ob Rasse oder Klasse. Die
Verantwortung wird vom handelnden Menschen auf „geschichtliche Bedingungen und
dialektische Bewegungen" (sie!) geschoben,
auf eine „mysteriöse Notwendigkeit" (IPA 1l).
Neben der Verachtung von Tatsachen, Erfahrung und gesundem Menschenverstand ist diese Kausalitätshörigkeit für Arendt das zentrale
Übel. Die Überantwortung an Gesetzmäßigkeiten gilt ihr als Konsequenz der eigenartigen
„Desinteressiertheit am eigenen Wohlergehen"
(EU 497) bei breiten Schichten der Massengesellschaft.
5
1994
keit, „um nicht zu sagen Verfressenheit", Urteilsunfähigkeit, Egozentrismus und Weltentfremdung (ZVZ 278) zum Syndrom gänzlicher Bindungslosigkeit. Die historische Kategorie Massengesellschaft verliert sich dabei an
einen negativ besetzten Begriff der Masse. Mit
der weitergehenden Behauptung einer potentiell universellen Existenz von Masse als des in
normalen Zeiten politisch neutralen, nicht organisierten und repräsentierten, sich der Stimme enthaltenden Teils der Bevölkerung wird
ein politischer Begriff der Masse eingeführt,
wonach Masse alle politisch Uninteressierten,
Gleichgültigen und Apathischen umfaßt. Wie
die Partei die klassische Organisationsform der
Interessenten bildet, so ist die Massenbewegung die spezifische und einzig adäquate Organisationsform dieser apolitischen Massen
(EU 499). An einen derart gefaßten Begriff der
Masse kann ein exklusives, aristokratisches und
elitäres Konzept einer Republik der Räte, in
der nur diejenigen sich an der Politik beteiligen, die wirklich an der Welt interessiert sind
(ÜR 360, M G 133), hervorragend anknüpfen.
Bewegung um der Bewegung willen
Erst in den totalitären Bewegungen und Regimen entfaltet sich die innere Logik von Bewegungen als Bewegung um der Bewegung wilWiewohl anfangs Resultat einer politisch-öko- len. Bewegung wird endgültig zum Selbstnomischen Imperialismusanalyse, die vieles zweck. Deren Aufrechterhaltung und FortsetRosa Luxemburg verdankt, verliert das Kon- zung verdrängt alle Orientierung an Kategorizept 'Massengesellschaft' durch die Integrati- en menschlicher Wohlfahrt, stattdessen herrscht
on einer Vielzahl massenpsychologischer Cha- die „vollkommene Verachtung alles greifbaren
rakterisierungen an soziologischer Differenzie- Nutzens" (EU 554). Erst da, wo jede Zweckrungsschärfe. Im Bild der Masse als ungeheu- bindung, jeder Sinn (IPA 90), verweigert wird,
rer Menge der „Millionen von Menschen" (EU ist Totalitäres gegeben. In dieser Ablösung von
499), „überflüssiger", „entbehrlicher" Men- aller äußeren Zweckbindung entfaltet die totaschen (EU 502) , verbinden sich die Attribute litäre Bewegung den Telos jeder Bewegung.
von Individualisierung und Atomisierung, von Sie allein „erkennt wirklich keine Autorität neKontaktlosigkeit und Entwurzeltsein (EU ben und über sich" (EU 414), für sie zählt „nur
513ff.), Verlassenheit, großer Anpassungsfähig- noch die dauernd in Bewegung gehaltene Bekeit, Erregbarkeit, Haltlosigkeit, Konsumfähig- wegung selbst" (EU 401); sie ist bewegungs6
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1994
69
süchtig (EU 495). Die innere Entfaltung des
Bewegungstelos erscheint bei Arendt als totalitäre Hölle, als Vernichtung jeder Stabilität
und jeder Freiheit. Bewegungen kommen als
totalitäre zu sich selbst, entfalten sich gemäß
einer negativen inneren Teleologie. Weltbeherrschung wird in dieser Logik ein „notwendiges
Endziel" (EU 558), weil Bewegungen allein
darin auf eine natürliche Grenze stoßen können.
tes und damit den Übergang zu autoritären
Regimen, wie Arendt es bereits 1956 für die
Sowjetunion („Nationalbolschewismus", vgl.
Ung 19) für möglich hielt. Totalitäre Regime
sind allein solche, die dem 'natürlichen' Bewegungszyklus erfolgreich entkommen: Die
Dialektik von Bewegung und Institutionalisierung wird zugunsten endloser Bewegung stillgestellt. Totalitäre Bewegungen sind permanente Bewegungen, wie Arendt in direktem
Rückgriff auf die Trotzkische Figur der 'perDer gelungene Übergang zu einem totalitären manenten Revolution', verstanden nur als
Regime ist entsprechend dadurch definiert, daß „Schlagwort" (EU 612), formuliert. Instabilidie Bewegungsdynamik auch unter den neuen tät ist mithin eine Grundbedingung totalitärer
institutionellen Möglichkeiten eines Regimes Regime ; notwendige Ressourcen sind enorme
erhalten bleibt (vgl. E U 496, 610): Weder darf Massen von Menschen als bloße Objekte der
die totalitäre Bewegung in ihrer Organisati- Vernichtung (EU 501). „Alles ist möglich" (EU
onsstruktur oder ihrem ideologischen Gehalt 607) im Totalitarismus, weil dieser alles mögverändert werden noch eine Transformation der lich machen muß, um fortexistieren zu köninternationalen Bewegung in eine national be- nen. So ist die Produktion von Instabilität mitgrenzte Partei stattfinden. Jede politische Aus- tels Ideologie und Terror zentrale Aufgabe des
richtung auf nationale Interessen begründet die Regimes. Totalitäre Regime sind für Arendt
Erstarrung des totalitären Bewegungsmomen- nur deshalb und solange totalitär, wie sie die
7
70
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Bewegungsdynamik verlängern, ja noch beschleunigen, indem sie die sozialen, ideologischen und politischen Voraussetzungen der Bewegung selber produzieren. Verwundern muß
bei dieser Interpretation des Totalitären entlang der Formel einer Bewegung um der Bewegung willen, warum sie nicht in einer Zusammenbruchsthese mündet, fällt es doch
schwer, an die Möglichkeit dauerhafter Zerstörung von Dauerhaftigkeit zu glauben.
Republik, Räte und Person
Die Figur des Selbstzweckes regiert auch den
dritten Typus politischer Gestaltung: die als
politische Hoffnung und universelle menschliche Möglichkeit eingeführte Alternative der
freien Republik. Gründend in einem System
der Räte, die sich weiter vernetzen zu Föderationen, bietet sie das Bild einer sozial interesselosen, allein an Freiheit, Gleichheit und Auszeichnung interessierten politischen Gemeinschaft. Statt Parteien oder Bewegungen sind
hier Räte bzw. die Jeffersonschen 'Elementarrepubliken' die konstitutive politische Organisationsform. Die republikanische Alternative
zu Imperien und Nationalstaaten stellt ein Geflecht von Föderationen (MfZ 99, ÜR 218f,
Krise 55) dar, nicht der Weltstaat. Zwang und
Gewalt sind ausgeschlossen, ebenso Wahrheit
und Erkenntnis; Politik vollzieht sich stattdessen im Modus des Überredens und Überzeugens, des Urteilens und Entscheidens (ZVZ
300). Der Endzweck der Republik ist die Republik, bzw. deren Sicherheit und Fortbestand:
„Wenn der Endzweck der Revolution die constitutio libertatis ist, die Errichtung der Freiheit bzw. die Konstituierung eines öffentlichen
Raumes, in dem sie in Erscheinung treten kann,
dann sind diese Elementarrepubliken oder Räte,
in deren Rahmen jedermann von seiner Freiheit Gebrauch machen kann und also in einem
positiven Sinne frei ist, im Grunde der große
Endzweck der Republik selbst; und wenn die
1994
Stufenfolge der Machtbefugnisse in einem solchen System auch in der Machtvollkommenheit der Zentralregierung schließlich gipfeln
muß, so ist doch andererseits diese Machtvollkommenheit jedenfalls für innerpolitische
Zwecke nur da, um die Sicherheit der Elementarrepubliken zu garantieren, in welchen das
Volk eigentlich frei ist und frei lebt." (ÜR 326)
Dieser strikt gegen Interessen und Parteien gerichtete Republikanismus beruft sich einerseits
auf eine stark entökonomisierte Lesart der Rätebewegungen, mit der Unterscheidung von
'politischen' revolutionären Räten und 'ökonomischen' Arbeiterräten (Ung 40ff.) - analog
zur Abwertung der Gewerkschaftsbewegung
gegenüber einer als politisch und eben nicht
Sozialrevolutionär gewerteten Arbeiterbewegung (VA 211). Andererseits ist Arendsts Republikanismus eine theoretische Kompilierung
ihrer Kritik des zionistischen Nationalismus
und ihrer politischen Bestrebungen in den 40er
Jahren, für einen binationalen bzw. föderativen Staat in Palästina (IPA 62ff, 74; llOff.)
einzutreten, sowie ihrer Nachkriegshoffnungen
auf ein „föderatives Europa" (BD 65), geschaffen von einer „europäischen Bewegung" - mit
Wurzeln in den antifaschistischen Widerstandsbewegungen (IPA 106; Z Z 31). So setzt
Arendt politisch zwar auf Bewegungen, die
die Republik zu errichten suchen, doch gerade
diese erfahren recht geringe analytische Aufmerksamkeit. Arendt ist weniger an den Ursachen und Hindernissen republikanischer Transformationsprozesse interessiert als an der (Wieder-)Errichtung eines republikanischen Ideals
in Konfrontation mit Liberalismus und Totalitarismus.
Die beiden Antipoden auf der Skala der Staatsformen - Totalitarismus und Republik - sind
Gebilde, deren Zweck in ihnen selbst liegt,
während die liberale national- und parteienstaatliche Demokratie äußeren Zwecken, den
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vorpolitischen Interessen bzw. der Steigerung
der allgemeinen Wohlfahrt folgt. Was selbstzweckhaft ist und sich im Vollzug erschöpft,
zeugt jedoch von „Größe" (VA 201). Gemessen an diesem für Arendt maßgeblichen Kriterium sind Totalitarismus wie Republik dem
Nationalstaat gleichermaßen überlegen Was
zwischen ihnen zu differenzieren vermag, ist
kein primär moralisches Moment; es ist vielmehr das Kriterium der Dauer. Der verzehrenden, alles auflösenden und jede Dauerhaftigkeit ausschließenden totalitären Bewegung steht
auf Seiten der Republik ein Höchstmaß an menschenmöglicher Stabilität gegenüber. Die beiden inneren Teleologien scheiden sich am Verhältnis zur Zeitlichkeit. Für eine totalitäre Bewegung gibt es „nur eine Sache, die zählt, und
das ist, daß sie beständig in Bewegung bleibt."
(EU 413) Die freie Republik bildet dagegen
den Gegenpol zur Hybris dieses 'Immer weiter' totalitärer Bewegungen; ihre Selbstbezüglichkeit ist eine der inneren Stabilisierung, der
Herstellung eines dauerhaften, in sich ruhenden Zustandes, eines „perpetual State" (ÜR
295), einer modernen Version der 'Ewigen
Stadt'. Das Ideal der Republik ist eines der
Bewegungslosigkeit, eines in seiner Ganzheit
undynamischen Raums gesicherter öffentlicher
Kommunikation, in dem sich allein die Relationen von Ruhm, Ehre und öffentlicher Auszeichnung zwischen den Bürgerinnen verschieben. Erst in dem unbewegten politischen Rahmen des Rätesystems sieht Arendt die Möglichkeit gegeben, ein 'rein persönliches Prinzip' zur Geltung zu bringen: das politische
Primat von persönlicher Überzeugungskraft,
Urteilskraft, Qualifikation, physischem Mut,
Einzigartigkeit und Talent (Ung. 44f, ÜR
353ff., VA 169ff). Gerade eine solch vollendete Politik des Personhaften - ermöglicht
durch die Institutionen der Räterepublik - dürfte sich jedoch jeder kollektiven Bewegung ob
deren egalisierender und entpersonalisierender
8
Wirkung versagen. Politische Bewegungen sind
in der Republik nicht mehr vorgesehen.
Anfangen und Gründen
Wie verträgt sich aber diese Präferenz für Dauer
und kollektive Bewegungslosigkeit mit Arendts
Emphase der Revolution, des Anfangs und der
Spontaneität? Trotz aller Betonung der Spontaneität als „Fähigkeit, zu tun, was auch ungetan bleiben konnte" (Woll. 189), bleibt ihr der
- durchaus von Bewegungen verkörperte - Anfang ein „Wunder" (VA 243; Pol 32ff), ein
„Rätsel" (ÜR 263). Vom Anfang lassen sich
die Spuren des Willkürlichen nicht tilgen, die
reine Spontaneität erscheint als „Abgrund"
(Woll. 206). Die Bewegungsnähe einer Theorie der Spontaneität mitsamt ihrer Sympathie
für Rosa Luxemburgs „spontane Revolution"
(Ung. 13) ist letztlich nur eine scheinbare. Denn
das Gewicht der Argumentation verlagert sich
unmittelbar 'nach' dem Anfang bereits auf die
'Kunst des Gründens', auf die „Überwindung
der mit jedem Anfang verbundenen Ratlosigkeit" (Woll. 200). An Revolutionen interessiert
Arendt nicht die Dynamik der Bewegung, sondem das Gründen als eine sehr spezielle Form
des „Einen-neuen-Anfang-Setzens" (ÜR 256).
Revolutionen sind weniger Akte der Befreiung
als vielmehr Akte der Gründung von Freiheit
(ÜR 184), daher keineswegs „Staats-, regierungs- und ordnungsfeindlich" (ÜR 335). Mit
der Gründung gelangt die Bewegung jedoch
an ihr Ende, sie begrenzt sich selbst, bindet
sich und bändigt ihre Dynamik. Im 'Gründen'
soll es daher gelingen, das Neue und das Dauerhafte zu versöhnen. „Die hohe Lust..., einen
neuen Anfang zu setzen", geht im Gründungsakt parallel mit der „äußersten Achtsamkeit
auf die Stabilität und Dauerhaftigkeit des neuen Gebildes" (ÜR 287). Aufbmch und Bewegung, Stabilisierung und Institutionalisierung
werden hier derart miteinander verbunden, daß
bei der Gründung der Republik die Bewegung-
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Institution-Dialektik, oder auch nur Zyklizität,
gar nicht zum Tragen kommen. Eine solche
Bewegung ist schon Institutionalisieren, ist bereits Transformation der Bewegung in Institutionen der Freiheit. Die Entstehung von Bewegungen, ihr Aufschwung und ihre Widerständigkeit gegen eine schnelle Konstitutionalisierung des politischen Lebens bleiben indes unbegriffen.
Die Willkür jeder Gründung und die Unsicherheit jedes wechselseitigen Versprechens, eine
politische Gemeinschaft zu bilden, werden dadurch gebrochen, daß der Anfang als Prinzip
nachwirkt: ,XJer Anfang ist das Prinzip jedes
Handelns, als Prinzip hält er sich durch, auch
wenn er selbst längst vergangen ist, beseelt
von nun an alles, was auf ihn folgt, bleibt sichtbar in der Welt und verschwindet aus ihr erst
wieder, wenn die oft Jahrhunderte währende
Geschichte, die aus ihm entsprang, an ihr Ende
gelangt ist." (ÜR 274) Der Gründungsakt selbst
ist die einzige Legitimationsbasis ohne jeden
Bezug auf Absolutes (Wahrheit, Göttlichkeit
etc.), auf die sich das Gemeinwesen weiterhin
stützen und Dauer gewinnen kann. Die Autorität des Gründungaktes (ÜR 2 3 l f f , 253) allein,
nur gestützt durch Institutionen, die diesen Ursprung sichern, kann der Republik Dauer verbürgen. Aus der Erinnerung an ein Anfangen
erwächst Stabilität, und in dieser Erinnerungsfunktion haben Bewegungen ihre Bedeutung.
Hannah Arendt ist demnach sicherlich keine
Bewegungsdenkerin; sie ist eine Theoretikerin
des Gründungsaktes. Bewegungen dürften Hannah Arendts Sympathie nur dann errungen haben, wenn sie bereits auf die Schaffung von
Ordnung und Dauer angelegt waren. Das Dynamische und Negatorische von Bewegungen,
ihre Transformationen, Bruche, 'Unordentlichkeiten', Streitigkeiten und Zerbrechlichkeiten
dürften eher Mißtrauen ausgelöst haben.
9
1994
Das normative Fundament dieser offenkundigen Präferenz für Dauer ist in einer Konzeption des Politischen zu finden, die um irdische
Unsterblichkeit und Größe, um Politik als Erinnerungsstätte, als Raum organisierter Wiedererinnerung kreist (vgl. M G 69; VA 23ff,
48f, 54f, 190f.; Z V Z 57ff.; d'Entreves 1994,
76ff). Unsterblichkeit im griechisch-römischen, vorchristlichen Sinne meint „Unvergessenheit des großen Namens und der großen
Tat und somit der Institutionen - der polis oder
civitas - , die ein ununterbrochenes Gedächtnis
gewährleisten konnten" (Woll. 64). Republiken sind es, die diese innerweltliche Unsterblichkeit durch die Dauerhaftigkeit eines kommunikativen Resonanzraumes, eines Raums der
Tradierung, des Gedenkens und der „immerwährenden Erinnerung" (ZVZ 287) ermöglichen. Totalitäre Bewegungen dagegen sind das
Ende aller Erinnerung, der Tod jeder Unsterblichkeit. „Mögliche Unsterblichkeit aber: Das
war gerade griechischer Auffassung zufolge
der höchste und tiefste Sinn aller Politik." (ZVZ
290)
10
'Anschlußfählgkeiten'
Die in Deutschland Ende der 70er Jahre neu
einsetzende Bewegungsforschung war empirisch wie normativ auf die Erforschung progressiver gesellschaftlicher Bewegungen unter
dem Signum 'Neue soziale Bewegungen' ausgerichtet. Die aktuelle Herausforderung, rechtsextreme Bestrebungen ebenfalls als soziale Bewegung interpretieren zu müssen, könnte als
spiegelbildliche Verkehrung jenes Weges Hannah Arendts von rechten Bewegungen hin zum
Bild totalitärer Bewegungen unter Einbeziehung der kommunistischen gedeutet werden.
Doch die analytischen und politischen Widerstände, die sich heute der Anwendung von Instrumentarien und Begriffen der Bewegungsforschung auf rechtsextreme Szenen und Aktionen entgegenstellen, dürften weitaus gerin-
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1994
ger sein. Denn der Transfer erfolgt eher auf
der Ebene von Mikro- und Meso-Theorien der
Mobilisierung, der Deutungskultur, der Vernetzung und Bewegungskonstitution (vgl. Bergmann/Erb 1994). Der 'Skandal' der Totalitarismustheorie bestand dagegen in der Gleichsetzung linker und rechter Bewegungen auf
der Ebene einer Makrotheorie gesellschaftlicher Formationen, Sozialstrukturen und Staatsformen. Was heute noch nicht in größerem
Umfange geleistet scheint, ist die historische
Makroanalyse rechter und linker Bewegungen
in internationaler (und nicht nur national vergleichender) Betrachtungsweise. Gerade hier
kann Hannah Arendts Totalitarismusbuch Anregungen für die empirische Forschungspraxis
liefern - wegen des geringeren Grades an typologischer Zuspitzung aber vielleicht eher in
den Abschnitten über Imperialismus und völkische Bewegungen. Eine konsequent ökonomisch und sozial gefaßte Figur des 'Überflüssigseins' sowie eine nicht gleich zur völligen
Bindungslosigkeit zugerichtete Form von 'Interessenlosigkeit' könnten ebenso hilfreich sein
wie eine stärkere Einbeziehung ideengeschichtlicher Zusammenhänge in die Bewegungsanalyse.
Die begriffliche Konstruktion, in wechselseitiger Bereicherung von Empirie, politischer
Theorie (hier vor allem Montesquieu) und klassischer bzw. existenzialistischer Philosophie
entwickelt, überformt ihre Analysen jedoch z.T.
mit weitreichenden Folgen - wie im Begriff
der Bewegung selbst. Die konkreten Erscheinungen werden durch begriffliche Dicho- oder
Trichotomien aufgeladen, unter deren Last sie
sich verformen. Jeder Versuch, an Hannah
Arendts Konzepte, z.B. ihreTotalitarismustheorie (Kraushaar 1993) oder ihre Parteienkritik
(Flores d'Arcais 1993) - durchaus in der Absicht kritischer Fortführung - anzuknüpfen,
muß sich die präformierende Rolle einer Reihe theoretisch höchst voraussetzungsreicher
Konstruktionen klar machen. Will man sich
nicht mit einer trivialisierenden Übernahme einzelner Bruchstücke aus Arendts Werk begnügen, verlangt dies eher eine Lesart, die die
philosophischen und politiktheoretischen Hintergründe ihrer Analysen stärker berücksichtigt und ihre - gemessen am aktuellen Betrieb
der Sozialwissenschaften - oft radikale Fremdheit betont.
Das gilt auch dann, wenn größeres Interesse
an den normativen Potentialen der Arendtschen
Analysen besteht: Der Versuch, sie für ein zivilgesellschaftlich-demokratisches Leitbild des
Politischen in Anspruch zu nehmen, stößt
schnell auf den elitären Charakter ihres Republikanismus. Bei der Präsentation alternativer,
egalitärer Konzeptionen von Öffentlichkeit
(Dubiel 1994, Brunkhorst 1994) fehlt es allerdings an der Beantwortung jener Fragen, die
Arendt zum Konzept einer Partizipationsaristokratie führten, insbesondere der Motivationsfrage: Welches dauerhafte Motiv stützt die
präferierte republikanisch-partizipatorische
Gestalt von Öffentlichkeit und Demokratie,
wenn doch die meisten Interessen einfacher
im liberalen Raum bloß negativer Freiheiten
zur Geltung kommen? Hannah Arendt verwies
an dieser Stelle auf den Willen zum Erscheinen, zum Sich-Auszeichen, auf die Suche nach
Dauerhaftigkeit, Ruhm und innerweltlicher
Unsterblichkeit durch Erinnertwerden. Derartige Antriebskräfte können nicht mehr umstandslos vorausgesetzt werden und haben zudem - will man nicht eine Idee egalitären
Ruhms (vgl. Andy Warhol) oder egalitärer Unsterblichkeit vertreten - unvermeidlich elitäre
Konsequenzen. Es dürfte solange nicht genügen, sich entweder über Arendts 'verklärenden
Blick' auf Polis, römische Republik und Amerikanische Revolution (Höffe 1993, 16; Canovan nennt dies die „Standard Interpretation"
1992, 275) oder die sozial exklusiven Konsequenzen (Flores d'Arcais 1993; Brunkhorst
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1994) ihrer Konzeption agonaler Öffentlichkeit" zu mokieren, „in der wenige ausgezeichnete Bürger im edlen Wettstreit um moralische
Größe und politische Ehre der Vergänglichkeit
ein Schnippchen schlagen" (Dubiel 1994, 63),
wie nicht die funktionalen Äquivalente zur
Arendtschen Konstruktion, d.h. die Motivationsressourcen benannt werden, die eine Sphäre egalitär-demokratischer Öffentlichkeit dauerhaft mit einem Strom von Bewegungen, Initiativen und kommunikativer Macht speisen.
1994
zum Antrieb der Massenbewegungen, die der Glauben an deterministische Abläufe zu Hybris ungekannten Maßes verführt (vgl. Canovan 1992, 12).
Dieses 'überflüssig sein' kann auch als harte
ökonomische und soziale Kategorie verstanden
werden. In diesem Sinne wird sie auch heute wieder in der entwicklungspolitischen Diskussion über
die ökonomische Stellung der 3. Welt verwandt.
So könnte es sein, daß der Terminus 'überflüssig',
gelesen als ökonomisch-sozialstrukturelle Kategorie, internationale Prozesse des Ausschließens adäquater repräsentiert als klassentheoretische Reformulierangen wie z.B. die einer „neuen ProletaFrank Nullmeier arbeitet als Hochschulassi- rität" (Roth 1993).
"Stabilisierung und Stagnation bedeuten also emstent am Institut für Politische Wissenschaft
pirisch wie begrifflich das Ende totalitärer Herrder Universität Hamburg.
schaft." (Jänicke 1971,210)
Hier wird sichtbar, daß die drei Grundformen
Anmerkungen
politischer Gestaltung: Nationalstaat, Totalitarismus und Republik mit den bekannten drei For'Vgl. ZVZ 114f.; siehe auch ihren Begriff des
men der Vita Activa korrespondieren: Dem Leben
'totalitären Imperialismus', Ung. 50ff.
und Arbeiten als bloßem Prozeß der ewigen WieSie sympathisiert mit der Argumenten zugängliderkehr, der nichts hinterläßt, entspricht die Logik
chen, diskutierenden und zuhörenden, uneigennütvon (totalitären) Bewegungen. Die auf äußere
zigen (MG 26) und „nahezu ausschließlich in moZwecke gerichtete Politik von National-, Parteiralischen Kategorien" (MG 33, 108) denkenden,
en- und auch Wohlfahrtsstaatlichkeit mit ihrer revon der Lust am Handeln (MG 107) angetriebelativen Stabilität und festen Bindung an Interesnen Studentenbewegung -auch da, wo Universisen und materielle Dinge hat im Herstellen ihr
tätsgebäude besetzt werden (BW 675f.)
Pendant, während Handeln und Republik in der
In den politischen Schriften der 40er Jahre noch Schaffung eines dauerhaften Raumes der Sichestärker als Verlaufs- und Phasenschema angelegt, rung innerweltlicher Erinnerung und Unsterblichwird die Dreierstruktur später zum immer gegen- keit ihr Gemeinsames besitzen.
wärtigen Möglichkeitsspektrum politischer GestalSo lobt sie an der Ungarischen Revolution das
tung.
„Fehlen allen Parteienzanks, jeglicher ideologiAn der Person Lawrence von Arabiens entziffert
scher Erbitterung und den damit zusammmenhänArendt die Motivlage reiner Bewegung: „Sein Hingenden Mangel an Fanatismus" (Ung. 38). Trotz
tergedanke war eine zweck- und ziellose Beweihrer grundsätzlichen Sympathie sieht sie die amegung überhaupt, der ewige Strom geschichtlichen
rikanische Studentenbewegung durch „VandalisGeschehens, von dem keiner weiß, wohin er fließt,
mus, Gewalttätigkeiten, schlechte Launen und noch
der zu nichts dient, der aber dem, der sich in der
schlechtere Manieren" (ZZ 155) bedroht.
Stromrichtung einschifft, im Strömen die Illusion
Speziell in einem vorplatonischen, homerischen
der Lebendigkeit vermittelt." (EU 355)
Sinne: Pol. 46ff., 94ff.; vgl. Canovan 1992, 136f.
Ihre Evidenz erhielten die modernen Konzeptio" Die Versuche, zwei Momente in Arendts Konnen historischer Notwendigkeit von dem Bild jezeption des öffentlichen Raumes zu unterscheiner „unwiderstehlichen Bewegung" der Volksmenden, Öffentlichkeit in „dramatic setting" und „disge während der Französischen Revolution, „wie
cursive space" zu zerlegen (D'Entreves 1994,
sie einbricht in die Straßen und Paris überflutet"
152ff.), eine agonistische Konzeption von einer
(ÜR 58f.). In dieser Flut mitzuschwimmen, wird
„Assoziations-Vorstellung" zu unterscheiden (Ben6
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habib 1991, 151) oder eine frühe individualistischagonistische Politikkonzeption zugunsten einer
späteren partizipatorischen abzuwerten (Parekh
1981, 177f.) scheinen mir verfehlt. Auch da, wo
Assoziationen gegründet, Debatten geführt und
Argumente ausgetauscht werden, bleibt das Moment des Sich-Auszeichnens, der Versuch, Großes zu tun und dies sich auch persönlich zuzurechnen, immer erhalten.
Literatur
I. Zitierte Schriften von Hannah Arendt
BB: Benjamin, Brecht. Zwei Essays, München,
Zürich 1986, 2. Aufl. (1971)
BD: Besuch in Deutschland. Mit einem Vorwort
von Henryk M. Broder, Berlin 1993
BW: Arendt, Hannah/Jaspers, Karl: Briefwechsel
1926-1969, München (1985), Neuausgabe 1993
EU: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft,
München, Zürich 1986
IPA: Israel, Palästina und der Antisemitismus.
Aufsätze. Hrsg. von Eike Geisel/Klaus Bittermann,
Berlin 1991
Krise: Die Krise des Zionismus. Essays und Kommentare 2. Hrsg. von Eike Geisel/Klaus Bittermann, Berlin 1989
MfZ: Menschen in finsteren Zeiten. Hrsg. von
Ursula Ludz, München, Zürich 1989
MG: Macht und Gewalt, München, Zürich 1985
Pol.: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlaß. Hrsg. von Ursula Ludz, München, Zürich 1993
RV: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer
deutschen Jüdin aus der Romantik, München, Zürich, Neuausgabe 1981
Ung.: Die Ungarische Revolution und der totalitäre Imperialismus, München 1958
ÜR: Über die Revolution, München, Neuaussgabe 1974
VA: Vita Activa oder Vom tätigen Leben, München, Zürich, Neuausgabe 1981
Woll.: Vom Leben des Geistes. Band 2: Das Wollen, München, Zürich, Neuausgabe 1989
ZVZ: Zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Übungen im politischen Denken I, München, Zürich 1994
75[
ZZ: Zur Zeit. Politische Essays. Hrsg. und mit
einem Nachwort versehen von Marie Luise Knott,
München 1989 (bereits Berlin 1986)
II. Sekundärliteratur und Sonstiges
Benhabib, Seyla 1991: Modelle des öffentlichen
Raumes: Hannah Arendt, die liberale Tradition
und Jürgen Habermas, in: Soziale Welt 42, 147165
Bergmann, Werner/Erb, Rainer 1994: Eine soziale Bewegung von rechts?, in: Forschungsjournal
NSB, Jg. 7, Heft 2, 80-98
Brunkhorst, Hauke 1994: Demokratie und Differenz. Vom klassischen zum modernen Begriff des
Politischen, Frankfurt
Canovan, Margaret 1993: Hannah Arendt. A Reinterpretation of Her Political Thought, Cambridge
DEntreves, Maurizio Passerin 1994: The Political Philosophy of Hannah Arendt, London, New
York
Dubiel, Helmut 1994: Ungewißheit und Politik,
Frankfurt
Flores d'Arcais, Paolo 1993: Libertärer Existenzialismus. Zur Aktualität der Theorie von Hannah
Arendt, Frankfurt
Heuer, Wolfgang 1992: Citizen. Persönliche Integrität und politisches Handeln. Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts,
Berlin
Höffe, Otfried 1993: Politische Ethik im Gespräch
mit Hannah Arendt, in: Kemper, Peter (Hg.): Die
Zukunft des Politischen. Ausblicke auf Hannah
Arendt, Frankfurt, 13-33
Jänicke, Martin 1971: Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffs, Berlin
Kraushaar, Wolfgang 1993: Sich aufs Eis wagen.
Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit der Totalitarismustheorie, in: Mittelweg 36, 2, 6-29
Parekh, Bhikhu 1981: Hannah Arendt and the Search for a New Political Philosophy, London
Roth, Karl Heinz 1994: Die Wiederkehr der Proletariat und die Angst der Linken, in: Schneider,
Wolfgang/Gröndahl, Boris (Hg.), Was tun? Über
Bedingungen und Möglichkeiten linker Politik und
Gesellschaftskritik, Hamburg, 253-279
Young-Bruehl, Elisabeth 1991: Hannah Arendt.
Leben, Werk und Zeit, Frankfurt (1986, engl. 1982)
r-rsoHUNGSJOURNAL NSB, JG. 7, HEFT 4,
horschungs
b e ric h t
Die englische
Friedensbewegung im
Umbruch
1. Organisationsprofil
Den Hauptteil der Arbeit bildet
die Untersuchung von sieben
überregionalen Organisationen
der englischen Friedensbewegung:
- Die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) als größte
und bekannteste Organisation
in England, die sich vorrangig auf die Arbeit gegen
Atomwaffen konzentriert. Sie
hat die Protestwelle gegen die
Nachrüstung in England dominiert und wird auch heute
noch oft mit der Friedensbewegung gleichgesetzt;
Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat die sicherheitspolitische
Lage Europas grundlegend verändert. Mit dem Schwinden des
Antagonismus der Supermächte
ging auch ein Rückgang der öffentlichen Aufmerksamkeit für - das National Peace Council
die Anliegen der Friedensbewe(NPC), eine Dachorganisation
gung einher - ein Prozeß, der
und Clearingstelle für Grupschon mit und der Unterzeichpen aus der Friedens- und annung des INF-Vertrages 1987
deren sozialen Bewegungen;
begann. Dadurch wirkt ein doppelter Veränderungsdruck auf die - die Campaign against the Arms
Organisationen der FriedensbeTrade (CAAT), eine Singlewegung in Europa: ein thematiIssue-Group, die sich ausscher, da das alles dominierende
schließlich mit RüstungsexThema der nuklearen Konfronport und -produktion beschäftation der Blöcke an Bedeutung
tigt;
verloren hat und ein organisatorischer, da mit zurückgehenden - Medical Action for Global SeMitgliederzahlen auch die Rescurity (MedAct), eine berufssourcen schrumpfen. Wie die
ständische Organisation, die
Friedensbewegung auf diesen
1992 aus dem ZusammenDruck reagiert, habe ich am Beischluß der beiden britischen
spiel Englands in meiner DiIPPNW-Sektionen 'Medical
plomarbeit zum Thema „Die
Association for the Prevention
englische Friedensbewegung
of War' (MAPW) und 'Medinach dem Ende des Ost-Westcal Campaign Against Nuclear
Konfliktes. Eine soziale BeweWeapons' (MCANW) hervorgung im Umbruch" beleuchten
gegangen ist;
wollen.'
- die britische Sektion der an
die katholische Kirche ange-
1994
lehnten internationalen Organisation Pax Christi (PaxC);
- die radikalpazifistische Peace
Pledge Union (PPU);
- die Gruppe European Dialogue
(ED), die seit 1993 die britische HCA-Sektion gleichen
Namens und die britische „Intelektuellen-Organisation" European Nuclear Disarmament
(END) umfaßt.
Zum gesellschaftlichen Kontext,
in dem die englische Friedensbewegung operiert, sei vorweg
folgendes angemerkt: Großbritannien ist derzeit die einzige
westliche Nuklearmacht, die ihr
Atomarsenal mit der Anschaffung einer neuer Generation von
Atomwaffen (dem U-Boot-gestützen Trident-System) aufstockt. Die Frage der atomaren
Aufrüstung ist dort also durchaus noch relevant. Die zentralistische Struktur des Staates, die
Dominanz der (seit 1979 konservativen) Regierungspartei und
das Mehrheitswahlrecht schränken die Möglichkeiten der Partizipation sozialer Bewegungen
am politischen Prozeß stark ein.
Zudem wirken sich die imperiale Tradition Großbritanniens, die
durch den Thatcherismus geförderte Tendenz zur Individualisierung und die drastischen wirtschaftlichen Probleme negativ
auf das Mobilisierungspotential
der Friedensbewegung aus. Untersuchungen der Mitgliederstruktur der englischen Friedensbewegung beschäftigen sich fast
ausschließlich mit ihren beiden
Hochphasen, der sog. ersten
Welle 1958-1965 und der zwei-
FORSCHUNGSJOURN'-" \ S ? i . T~
T
ten Welle von 1980-1985. Sie
beziehen ihre Daten durchweg
aus der Befragung CND-Mitgliedern, sei es von Mitarbeitern lokaler Gruppen, sei von Mitgliedern der landesweiten Organisation (National CND). Danach
wurde die Friedensbewegung
1980-1985 in erster Linie von
der Mittelschicht, und hier besonders von im sozialen Sektor
Beschäftigten getragen.
2
TTrn
1985 gab CND die Mitgliedschaft der Nationalen Organisation mit 110000 an (Carter
1992:123). Zusammen mit nichteingeschriebenen Mitgliedern in
den 1000 lokalen CND-Gruppen
schätzte die CND Führung die
Zahl der Unterstützer auf etwa
250000 Menschen (Hinton
1989:183). 1987 betrug die Mitgliederzahl 85000. 42 bezahlte
Mitarbeiter hatte die Kampagne
in ihrem Londoner Büro, 7 weitere in den Regionen (Rothgang
1990:147,212). 1991 gab CND
die Mitgliederzahl mit 60000 an.
Weitere 10000 Menschen werden als Mitglieder von Scottish
CND und CND Cymru (das ist
der walisische Verband) geführt,
allerdings sind Doppelmitgliedschaften möglich.
angeschlossenen Gruppen stieg
von 143 im Jahr 1990 auf 246
im Jahr 1993. Die Zahl ihrer individuellen Unterstützer erhöhte
sich im gleichen Zeitraum von
1812 auf 2673. Rothgang hat für
1982 eine Zahl von ca. 2000 Unterstützern angegeben.
Die offensichtlichste Konsequenz aus den sinkenden Mitgliederzahlen ist ein Rückgang
der Einnahmen. Dies äußert sich
vor allem in der Zahl der festan2. Strukturanalyse
gestellten Mitarbeitern. CND, als
größte Organisation, hat auch die
Die untersuchten Organisationen
nominell größten Einbußen zu
ähneln sich in ihrer Struktur
verzeichnen: 1987 hatte die
weitgehend. Wesentliches EleKampagne 42 bezahlte Mitarbeiment sind lokale Gruppen, die
ter in ihrem Londoner Büro, 7
die Aktivitäten tragen, politikweitere in den Regionen. 1991
bestimmendes Gremium ist die
gab CND die Mitarbeiterzahl mit
jährliche Mitgliederversamm19 an, von denen 14 auf das Nalung, ein Vorstandsgremium
dient hauptsächlich der Reprä- Auch andere Organisationen ha- tional Office entfielen und zum
sentation und der Politikentwick- ben nach Aussagen ihrer Teil den Sektionen zugeordnet
lung der Organisation. Bei eini- Mitarbeiter mit Mitgliederrück- waren, 5 weitere bezahlte Stelgen Organisationen (CND, gang zu kämpfen. Vergleichs- len existierten in den RegionalCAAT und NPC) kommt dazu zahlen zur letzten Hochphase der büros. Weitere Stellenstreichunnoch ein Exekutivkomitee, das Friedensbewegung liegen mir je- gen sind in den kommenden Jahden Ablauf der Aktivitäten ko- doch nur in Einzelfällen vor. So ren zu erwarten. Auch die tradiordiniert. CND fällt dabei auf- ist die Zahl der Mitgliedsgrup- tionsreiche CND-Zeitschrift Sagrund seiner Größe aus dem pen des NPC von 184 (1986) auf nity fiel dem Rotstift zum OpRahmen: Die Organisation ver- 139 Ende 1992 gesunken. fer. Da auch die Mittel für die
fügt über genügend Ressourcen, MedAct hatte 1993 2600 Mit- Sektionen drastisch schrumpfen,
um zu bestimmten Aufgaben glieder, vor der Fusion Ende gehen einige - so Christian-CND
Unterkomitees einzurichten und 1992 hatten die Vorgänger- und die Gewerkschaftssektion
sie hat als einzige der untersuch- organisationen zusammen 3000 Union CND - dazu über, sich
ten Organisationen zwischen ih- Mitglieder (MCANW 2600, durch eigene Mitgliedsbeiträge
ren lokalen Gruppen und der Na- MAPW 400) gegenüber 4800 im selbst zu finanzieren.
tionalen Struktur eine regionale Jahre 1987 (4000; 800). Die PeOrganisationsebene. Zudem ist ace Pledge Union dagegen gibt Ähnlich sieht es bei den kleineihre Mitgliedsbasis so breit, daß die Mitgliederzahl „in den letz- ren Organisationen aus: Die Fusie in verschiedenen Sektionen ten Jahren" vage als „gleichblei- sionsbeschlüße, die zur Grün(z.B. Gewerkschaften, Christen, bend etwa 1000" an; Pax Christi dung von ED und MedAct führStudenten) zielgerichtet betreut und European Dialogue mach- ten, beruhten nicht zuletzt auch
werden kann.
ten keine Angaben. Lediglich bei auf finanziellen Erwägungen. So
CAAT lief die Entwicklung ge- waren 1993 vier Teilzeitstellen
gen den Trend: Die Zahl der im Londoner Büro von MedAct
78
FORSCHUNGSJOURNAL N S R
besetzt, vor der Fusion 1992 hatte die MCANW zwei Voll- und
zwei Teilzeitmitarbeiter, die
MAPW beschäftigte eine Teilzeitkraft. Das Londoner Zentralbüro von Pax Christi hatte im
Geschäftsjahr 1991-92 noch drei
Mitarbeiter; im Herbst 1992 arbeitete nur noch eine Person festangestellt dort. Das NPC dagegen reagiert auf seine finanziellen Probleme mit einer gezielten
Professionalisierung der Arbeit:
Eine Fund-Raising-Stelle wurde
in das Budget gerückt und der
Dienstleistungsaspekt der Organisation soll verstärkt werden,
um neue Mitgliedsgruppen zu
gewinnen. Dabei bemüht sich die
Organisation auch um Gruppen
aus anderen sozialen Bewegungen.
kann man durchaus als Ergebnis
einer auch inhaltlichen Neuorientierung interpretieren. So ist
die Organisation European Dialogue von Mitgliedern der auf
die Überwindung des Ost-WestKonfliktes gerichteten END als
britischer HCA-Ableger gegründet worden und hat sich dann
nach längeren internen Diskussionen mit der alten END-Organisation verschmolzen. Von den
Organisationen, die sich zu
MedAct zusammengeschlossen
haben, war die MCANW auf das
Thema Nuklearwaffen festgelegt, während die kleinere
MAPW allgemeiner die Verhinderung von Krieg zum Ziel hatte. In der Satzung der Neugründung MedAct taucht nunmehr
das Thema Atomwaffen als eines von vielen auf - Zeichen daCAAT konnte dagegen aufgrund für, daß als Folge der geopolitierhöhter Einnahmen das Perso- schen Veränderungen auch in der
nal aufstocken: Fünf Personen britischen Friedensbewegung
arbeiteten dort 1992 auf drei vol- neben dem 'nuclear issue' andelen und zwei Teilzeitstellen; seit re Themen gleichrangig auftau1990 ist damit eine Teilzeitstelle chen. Doch nicht alle Organisahinzugekommen. Diese untypi- tionen machen Themenverschiesche Entwicklung von CAAT bungen mit. So hält etwa die
hängt mit der besonderen The- PPU an ihren Arbeitsschwermenstruktur der Gruppe zusam- punkten Friedenserziehung und
men. Das Thema Waffenexport 'Kinder und Krieg' fest. Sie reahabe, so Ann Feltham, Joint giert zwar in ihren PublikatioCoordinator bei CAAT, im Zu- nen auf aktuelle Ereignisse wie
sammenhang mit dem zweiten den Golfkrieg, grundsätzliche
Golfkrieg eine hohe öffentliche Diskussionen um eine NeuoriAufmerksamkeit erhalten, woge- entierung sind jedoch nicht ergen die Welle der Proteste ge- kennbar.
gen den NATO-Doppelbeschluß
den „niedrigsten Punkt für diese Insgesamt ist 'das nukleare TheKampagne" darstellte.
ma' in all seinen Facetten noch
Andere Organisationen verändern dagegen ihre inhaltlichen
Schwerpunkte. Die Fusionen zu
MedAct und European Dialogue
immer dominant. Dieser Themenkomplex reicht von spezifischen Waffensystemen wie Trident über die Auswirkungen der
Nukleartests und die atomare
Tc "
Iii
i 1
W
Strategie der NATO bis hin zu
der Frage der Neuverhandlung
des Nicht-Weiterverbreitungsvertrages, die für 1995 ansteht.
Insbesondere die CND hält weiter an ihrem traditionellen Arbeitsschwerpunkt Atomwaffen
fest. Eine 1989 nach langen Diskussionen durchgesetzte Änderung der Satzung hat zwar die
Möglichkeit eröffnet, auch auf
andere Probleme im Friedensbereich einzugehen, doch trotzdem
bezieht sich der größte Teil der
Aktivitäten von CND noch immer auf das Thema Atomwaffen. Die Organisation will sich,
so Generalsekretär Gary Lefley,
in den nächsten Jahren vor allem mit der Zukunft des NonProliferationsVertrages beschäftigen, der 1995 zur Neuverhandlung ansteht, sowie verstärkt die
ökonomischen Folgen der atomaren Rüstung in Großbritannien anprangern und die Friedensdividende einfordern. Als
'neue' Themen zeichnen sich vor
allem der Bereich nichtmilitärische Konfliktlösung, Mediation und Versöhnungsarbeit sowie
regionale Schwerpunkte vor allem auf Nah-Ost und Nordirland
ab.
3
3. Vernetzung und
Kooperation
Neben diesen leichten inhaltlichen Verschiebungen zeigt sich
eine wachsende Tendenz zu Vernetzung und Kooperation innerhalb der britischen Friedensbewegung. Während der zweiten
Welle hatte CND die Themen
der Friedensbewegung entscheidend mitbestimmt. Dadurch, daß
fast alle Gruppen der Friedens-
FORSCHUNGSJOURNAL NSTL T. " Iii i 1 l
bewegung bei CND geführt wurden, kam der CND bis zu einem
gewissen Grade auch die Funktion einer Dachorganisation und
eines Koordinationsnetzwerkes
zu. Mit dem Abflauen der Nachrüstungsproteste gewann das
NPC als Koordinationsnetzwerk
dagegen an Bedeutung. Dies
wird auch von meinen Gesprächspartnern bestätigt.
n o
l
wegungen. So hat die CND nur
vereinzelt mit Greenpeace kooperiert, etwa bei der Kampagne für atomwaffenfreie Meere.
Auch bei den kleineren Organisationen sind Kooperationen mit
Gruppen anderer sozialer Bewegungen eher die Ausnahme. Lediglich CAAT arbeitet intensiv
mit Gruppen vor allem aus dem
Spektrum der „Dritte-Welt"- und
Menschenrechtsgruppen zusamWeiter fallen die Verflechtungen men. Es werden zumeist gemeinund Überschneidungen zwischen same, fallbezogene Projekte geden verschiedenen Organisatio- startet, bei denen CAAT Fakten
nen auf: So finden sich die Orga- zu Rüstungslieferungen rechernisationen CND, Pax Christi und chiert, die die Kooperationspartdie PPU im Unterstützerkreis ner für ihre Arbeit benutzen. Die
von CAAT; die European Dia- gestiegenen Mitgliedszahlen von
logue wird von CND unterstützt CAAT laßen sich u.a. mit dem
und auch das NPC hat in vielen hohen Anteil von Unterstützern
Organisationen seine Vertreter. aus Gruppen anderer sozialer BeZudem existieren viele personel- wegungen erklären. So weist
le Überschneidungen: in den zu- Ann Feltham darauf hin, daß ein
gänglichen Listen von Mitglie- Großteil der lokalen Kontakte
dern verschiedener Steuerungs- von CAAT von „Dritte-Welt"ausschüsse und Councils tauchen Gruppen übernommen werde.
einige Namen mehrmals auf. Mit
der Einrichtung eines Crisis Re- Die anderen Gruppen sind dagesponse Networks, das es Grup- gen eher zurückhaltend, wenn es
pen der Friedensbewegung er- um Kooperation auf nationaler
möglichen soll, schnell und ko- Ebene geht. Die Vernetzung mit
ordiniert auf aktuelle, friedens- anderen sozialen Bewegungen
politisch relevante Ereignisse zu funktioniert auf der lokalen und
reagieren, und mit gemeinsamen der individuellen Ebene wesentArbeitsgruppen wurden darüber lich besser. So gibt es zum eihinaus auch Schritte unternom- nen Doppelmitgliedschaften,
men, die Kooperation institutio- durch die die Aktivisten der
nell zu verbessern. Trotzdem Friedensbewegung auch an anbleiben die Organisationen der dere Bewegungen gebunden
Friedensbewegung auf der natio- sind. Zum anderen existieren vor
nalen Ebene zumeist auf ihre Un- allem in Städten außerhalb Lonabhängigkeit bedacht und versu- dons verschiedene lokale Zenchen, ihre eigene Identität zu tren, in denen Gruppen verschiewahren.
dener sozialer Bewegungen zusammenarbeiten - ein Prozeß,
Dies gilt auch gegenüber Orga- der vor allem von den lokalen
nisationen anderer sozialer Be- Aktivisten und Nutzern dieser
I JL3/\
Zentren vorangetrieben wird.
Diese Zentren können Gesundheits- oder „Dritte-Welt"-Läden
sein, die ihre Räume anderen lokalen Gruppen zur Verfügung
stellen. Es können aber, wie im
Falle des Brighton Peace Centre
(BPC), auch Friedensgruppen
sein, die den Ausgangspunkt solcher kooperativer Strukturen bilden. Das BPC wurde 1984 von
lokalen Friedensgruppen aufgebaut, verfügt über Geschäftsräume im Innenstadtbereich und
bietet nicht nur Friedensgruppen,
sondern auch Menschenrechtsund
„Dritte-Welt"-Gruppen
Raum und Infrastruktur wie Kopierer, Computer, Drucker und
eine Maschine für Anstecknadeln. Unterstützt wird die Einrichtung sowohl von lokalen
Zweigen nationaler Organisationen der Friedensbewegung als
auch von Organisationen anderer sozialer Bewegungen.
Neben finanziellen Gründen hat,
so Duncan Blinkhorn vom Peace Centre, auch ein verändertes
Herangehen an die Friedensthematik von Kunden und Benutzern des BPC zu dieser Kooperation geführt: „... over the last
six or seven years we recognized
very much a need to broaden out,
because that's what our customers expected, because they link
the issues together. And also for
practical economic reasons, in
order to maintain the place f i nancially we needed to do that."
Angesichts des Rückgangs in der
Mitgliederzahl und der abnehmenden Aktivität lokaler Gruppen ist jedoch die Frage der internen Vernetzung und der Ko-
'80
Operation mit Gruppen anderer
sozialer Bewegungen auch auf
nationaler Ebene in den Vordergrund der Diskussion gerückt. So
sagt Janet Bloomfield, Vizevorsitzende von CND: „... we
have to rethink how we do things
because we built up a large structure in terms of a grassroots campaign with lots of local groups...
And that has gone much more
quiet now, so that for those of
us involved in the national
Organization have got to think
of new ways for people to be
active and think of new ways of
networking and communicating
rather than the local group structure which is much more fragile
than it was." Ähnlich, mit Blick
sowohl auf die interne Vernetzung der Friedensbewegung als
auch auf die Vernetzung zu anderen Bewegungen, äußerte sich
CND-General Secretary Gary
Lefley.
r-r.x-T--\-GSJOURNAL NSB,
Entspannung zwischen den
Großmächten stattfinden konnte. So argumentiert Dan Plesh,
ehemaliger General Secretary
von CND und Direktor des Forschungsinstituts BASIC, daß „in
the west the movements first of
all provided an immense amount
of political space to break out of
McCarthyite ideology", und weiter „the peace movements imposed a very great political cost on
the continuation of existing foreign policies."
JG. 7, HEFT 4,
1994
Kontakt: Warthestr. 42a, 12051
Berlin, Tel. 030/625 29 80.
Anmerkungen
' Die Arbeit hat vorwiegend empirischen Charakter und stützt sich
hauptsächlich auf Daten, die ich im
Oktober 1992 und im Frühjahr
1993 in Großbritannien gesammelt
habe. In geringerem Umfang wurden 25 Hintergrundgespräche herangezogen, die ich mit Vertretern
verschiedener Organisationen der
englischen Friedensbewegung geführt habe. Alle wörtlichen Zitaten
sind Transkripten dieser Gespräche
Als weiterer wesentlicher Punkt entnommen.
wird oft der Impuls für BürgerAngesichts der Größe, der öffentbeteiligung an Politik vorge- lichen Präsenz und der Vielzahl von
bracht, den die Friedensbewe- Doppelmitgliedschaften kann sinngung der Gesellschaft gegeben voll davon ausgegangen werden,
habe: „ ... the british peace mo- daß CND die Bewegung der 80er
vement (...) remains the best ex- Jahre weitgehend repräsentiert. Sie
ample of mass invölvement in ist zudem für Untersuchungen diecivil society activity", so Rose- ser Art am einfachsten zugänglich.
Die 1978 festgeschriebene Zielmary Bechler, aktiv in NPC und
CND. Darüber hinaus habe auch bestimmung, „the unilateral abandie englische Friedensbewegung donment by Britain of nuclear Weapons, nuclear bases and nuclear alim Verlauf der Entwicklung von
liances" als notwendige Vorbedinder ersten über die zweite Welle gung für generelle und vollständierheblich an Erfahrung gewon- ge Abrüstung zu erreichen, wurde
nen. Im bezug auf den, trotz des ersetzt durch eine allgemein gefaßte
starken Mitgliederschwundes Arbeit „for international peace and
noch immer erstaunlich hohen disarmament and a world in which
Unterstützungsgrad von CND the vast ressources now devoted to
sagte mir Dan Plesh „50 percent militarism are redirected to the real
of its peak level or more than needs of the human community".
fifty percent, I think is a remarkable achievement, a remarka- Literatur
ble sign of consistency which Byrne, Paul 1988: „The Campaign
was not to be found in lets say for Nuclear Disarmament"; Lon1971 after 1961 and I think this don: CroomHelm 1988.
is a tribute to the fact that the Carter, April 1992: „Peace Moveorganizational coherency is bet- ments. International Protests and
ter. It is a gradual improvement World Politics Since 1945"; London, New York: Longman 1992.
of organizational quality."
Zum Rückgang der Mitgliederzahlen selbst sagt Janet Bloomfield „I think it's partly a tribute
to our own success in a way,
because I remember when I came
into the movement in about
eightyone everybody was very
very frightened with what was
going on... And since we've seen
the breakdown of the Cold War,
the Cruise Missiles have gone
and I don't think you can take
away the role of the peace movement on a europe-wide basis
in helping to achieve that." Sie
gibt damit auch den Tenor wieder, wenn es um die Bewertung
der Erfolge der Friedensbewegung geht; daß sie nämlich wesentlich zu dem politischen Kli- Detlef Richter ist Diplompolitoma beigetragen habe, in dem die loge und lebt in Berlin.
2
1
Hinton, James 1989: „Protests and
Visions. Peace Politics in Twentieth-Century Britain"; London:
Hutchinson 1989.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , .TG
1990: „Die Friedens- und Umweltbewegung in
Großbritannien: Eine empirische
Untersuchung im Hinblick auf das
Konzept der 'Neuen Sozialen Bewegungen'"; Wiesbaden: DUV
1990.
Rothgang, Heinz
Forschungsprogramm zu
ethnischkulturellen
Konflikten
Angesichts großer Probleme der
Fremdenfeindlichkeit, ethnisch
motivierter Gewalt und des
Rechtsextremismus möchten wir
auf eine Forschungsinitiative
aufmerksam machen, die wir an
der Universität Bielefeld in Gang
gebracht haben. Dabei handelt es
sich um unsere »interdisziplinäre Forschungsgruppe für multiethnische Konflikte«, das Forschungwerk »Ethnischkulturelle
Konflikte« mit Newsletter und
eine Forschungsinitiative in Gestalt einer vergleichenden Regionalstudie zu ethnisch-kulturellen
Konfliken.
1. Interdisziplinäre
Forschungsgruppe für
multi-ethnische
Konflikte
Seit längerem werden an der
Universität Bielefeld Forschungen zu Fremdenfeindlichkeit,
IT-
I. 1 ™
!
Gewalt und Rechtsextremismus
durchgeführt. Wie üblich geschah dies in Form von Einzelprojekten in getrennten Fachdisziplinen. Die Zunahme der Probleme und die verzweigten Ursachen haben dann zu der Initiative geführt, sowohl den Versuch
eines interdisziplinären Vorgehens zu verstärken als auch eine
Institutionalisierung anzustreben,
da die hier zur Debatte stehenden Probleme eine entsprechende kontinuierliche Anstrengung
erfordern.
Um zu signalisieren, daß ein
umfassender Problem- und Fächerbereich abgedeckt werden
soll, wird sich die Forschungsgruppe mit einem breiten Spektrum interkultureller und interethnischer Konflikte befassen.
Derzeit werden Überlegungen
für eine geeignete Form und für
einen geeigneten inneruniversitären Ort der Institutionalisierung
angestellt.
MM
fflli.
2. Forschungsnetzwerk
»Ethnisch-kulturelle
Konflikte«
Im Rahmen der angestrebten Institutionalisierung soll in den
nächsten Jahren mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen ein
Forschungsnetzwerk zu den Themen Fremdenfeindlichkeit, ethnisch-kulturelle Gewalt und
Rechtsextremismus aufgebaut
werden. Damit soll ein Komunikationsrahmen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschaffen werden, die sich mit
diesen Problembereichen beschäftigen. Ziel ist es, die Forschungsaktivitäten im Lande zu
bündeln und neuartige, fachübergreifende Forschungsvorhaben
anzuregen. Dazu soll das Forschungsnetzwerk in halbjährlich
stattfindenden Workshops auf
möglichst
unkonventionelle
Weise eine Kontinuität sichern
und Neuentwicklungen stützen.
Die derzeitigen Mitglieder die- Eine mit einem wissenschaftliser Forschungsruppe sind:
chen Mitarbeiter besetzte Geschäftsstelle ist an der Fakultät
Prof. Dr. Otto Backes (Fakultät für Pädagogik eingerichtet. Ihre
für Rechtswissenschaften)
Aufgaben sind im wesentlichen:
Prof. Dr. Rainer Dollase (Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft)
- die Erhebung und Dokumentation von Forschungsaktivitäten zum o. g. Themenspektrum,
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
(Fakultät für Pädagogik)
- die Redaktion des Newsletters,
Prof. Dr. Jörn Rüsen (Fakultät
für Geschichte und Philosophie)
- die Vorbereitung von Workshops und Tagungen.
Das Netzwerk kann nur entstehen, wenn möglichst viele Wis-
82
senschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit sind, sich an ihm
zu beteiligen. Eine Beteiligung
kann durch die Teilnahme an
Workshops/Tagungen und durch
die Mitarbeit am Newsletter erfolgen.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, H :
Der Newsletter wird allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Netzwerk mitarbeiten wollen, kostenlos zur
Verfügung gestellt.
4. Vergleichende
Regionalstudie
3. Newsletter
Der zweimal im Jahr erscheinende Newsletter dient neben der
Dokumentation der Tagungen
der internen Kommunikation im
Netzwerk. Er soll
- über neueste Forschungsergebnisse abgeschlossener Forschungsprojekte informieren,
- geplante bzw. laufende Forschungsvorhaben vorstellen,
- über Forschungsförderung und
Forschungsdokumentation berichten,
Als erstes größeres Forschungsvorhaben plant die »Interdisziplinäre Forschungsgruppe für
multi-ethnische Konflikte« der
Universität Bielefeld die Durchführung einer vergleichenden
Regionalstudie.
Dieses Vorhaben erfolgt als
Konsequenz daraus, daß bisher
zu Fremdenfeindlichkeit, Gewalt, Rechtsextremismus und
insgesamt zu ethnisch-kulturellen Konflikten nur Forschungen
vorliegen, die diese Problemstellungen
- innerhalb einzelner Fachdisziplinen verfolgt haben,
- auf neue Literatur durch Annotationen oder Rezensionen
- zu unterschiedlichen, nicht
hinweisen,
vergleichbaren Zeitpunkten
angelegt waren,
- Tagungsankündigungen verbreiten.
- verschiedene, miteinander
nicht vergleichbare PopulatioWir möchten auch interessierte
nen erfaßten, kurz: zersplittert
Wissenschaftlerinnen und Wiswaren.
senschaftler zu einer Mitarbeit
an diesem Newsletter einladen.
Wir bitten Sie, uns Beiträge der Dieses konventionelle Foro. g. Art im Umfang von max. schungsvorhaben wird u. E. den
drei Schreibmaschinenseiten zentralen Problemlagen nicht
(möglichst mit Diskette) einzu- mehr gerecht, denn zentrale Forsenden. Der Newsletter ist aller- schungslücken können damit
dings keine wissenschaftliche kaum geschlossen werden. DesZeitschrift. Wissenschaftliche halb will die Forschungsgruppe
Abhandlungen sollen daher nicht einen anderen Weg beschreiten,
veröffentlicht werden.
der in dieser Breite bisher nicht
gegangen worden ist.
Wir verfolgen vier Ziele:
@ Wir gehen davon aus, daß eine
der zentralen Forschungslücken
darin besteht, daß weitgehende
Unklarheit über das Zusammenwirken unterschiedlicher Strukturelernente, Interaktionsprozesse und Akteursgruppen besteht.
Das wichtigste Ziel besteht deshalb darin, einen fundierten Beitrag zur Schließung dieser zentralen Forschungslücke zu leisten.
@ Das macht ein spezielles Forschungskonzept notwendig. Deshalb wird ein regionales Vergleichsdesign zugrundegelegt, da
auf zwei städtisch geprägte Regionen mit wenigen bzw. zahlreichen interethnischen Konflikten ausgerichtet ist. Um das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren zu erfassen, ist es
ein weiteres Ziel, daß die verschiedenen Teilanalysen zeitgleich durchgeführt werden. Das
zweite Ziel besteht also in der
Konzipierung eines eng koordinierten Forschungsvorgehens.
© Das Ziel der Analyse des Zusammenwirkens von unterschiedlichen Faktoren im Rahmen eines Vergleichsdesigns mit
mehreren zeitgleich ablaufenden
Teilprojekten führt zum dritten
wichtigen Ziel. Es besteht in der
unumgänglichen Notwendigkeit
eines interdisziplinären Zuschnitts.
Um dieses dritte Ziel zu erreichen, soll von einem integrationsfähigen Grundkonzept ausgegangen werden.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
© Aufgrund dieser Forschungskonzeption erwarten wir neue
Möglichkeiten zur Politikberatung. Sie werden sich u. a. dadurch ergeben, daß zum einen
Vergleiche zwischen erfolgloser
bzw. erfolgreicher Politik, zwischen eskalierenden bzw. deeskalierenden Interventionen sowie
zwischen integrativen bzw. ausgrenzenden Lebenskontexten
möglich werden. Da durch diesen Ansatz die zu erforschenden
Wechselwirkungen erfaßt werden können, erwarten wir neue
Anregungen für eine mehrperspektivische Politikberatung.
1994
den 23. bis 25. November 1994
als »2. Bielefelder Konferenz zur
ethnisch-kulturellen Konfliktforschung« vorgesehen und wird
sich mit dem Thema »Gefahren
der Politisierung ethnisch-kultureller und religiöser Differenzen«
befassen.
6. Publikationsreihe bei
Suhrkamp
Zur Publizierung von Forschungsergebnissen zur Thematik ethnisch-kultureller Konflikte ist eine neue Reihe in der Edition Suhrkamp eröffnet. Sie trägt
den Namen »Kultur und KonUm diese Ziele zu erreichen, flikt«. Der erste Band zum Thewird die »interdisziplinäre For- ma «Das Gewalt-Dilemma einer
schungsgruppe« dazu den Vor- gelähmten Gesellschaft« ist beschlag eines integrierten For- reits erschienen. Der zweite
schungskonzeptes erarbeiten, die Band ist in Vorbereitung. Er theAuswahl der Untersuchungsre- matisiert anomische Tendenzen
gionen vorbereiten und interes- in der bundesrepublikanischen
sierte Wissenschaftlerinnen und Gesellschaft und ihre Zusammenhänge mit der Entstehung
Wissenschaftler ansprechen.
ethnischkultureller Konflikte.
Als internes Diskussionsforurn
sollen die Treffen des For- Kontaktadresse:
schungsnetzwerkes »Ethnisch- Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer,
kulturelle Konflikte« dienen.
Universität Bielefeld, Fakultät
für Pädagogik, 33501 Bielefeld
5. Kontinuierliche
Tel.: 0521/1106-3164
Tagungen
Zur breiteren fachwissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion mit thematischen Schwerpunkten wird jährlich eine größere Tagung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der
Universität Bielefeld durchgeführt. Die nächste Tagung, die
von der Universität Bielefeld und
dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung gemeinsam durchgeführt wird, ist für
ter in der kommunalen Umweltberatung tagtäglich auseinanderzusetzen haben. Wie diese abgebaut werden können und welche
Zukunftschancen dieser Dienstleistungsbereich generell besitzt,
will nun der Wissenschaftsladen
Gießen in einem praxisorientierten Forschungsprojekt herausfinden.
In dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt maßgeblich
geförderten Vorhaben - von ihr
kommen 75 Prozent der veranschlagten 180000 Mark - soll in
den kommenden zwölf Monaten
herausgefunden werden, wie effektiv Umweltbeauftragte oder
Umweltberater bisher innerhalb
eines Verwaltungsgefüges überhaupt arbeiten konnten.
In einer Bestandsaufnahme, an
der sich neun Kommunen beteiligen, soll laut Projektleiter Ulrich Pfister „mehr Übersicht in
das Dickicht des nicht abgegrenzten und gesetzlich verankerten Berufsbildes der Umweltberatung kommen".
Als Kooperationspartner des
Wissenschaftsladens ist das Institut für Agrarsoziologie der
Gießener Universität wissenschaftlicher Begleiter. In Intensiv-Interviews werden die Umweltberater zu ihrem Arbeitsfeld
und ihren Schwerpunkten befragt. Denn obwohl eine rechtliche Definition der Tätigkeit noch
aussteht - weder Qualifikation
Schleppende Öffentlichkeitsar- noch Gehalt sind zur Zeit einbeit und unzureichende Möglich- heitlich festgelegt -, sind die Ankeiten zur qualifizierten Weiter- forderungen an diesen Job stetig
bildung sind nur einige der De- gewachsen: die vielen Informafizite, mit denen sich Mitarbei- tionen aus Wissenschaft, Tech-
•
Defizite
in der Umweltberatung
F'-'R^THUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
nik und gesetzlichen Vorgaben
wollen erst mal sortiert sein.
den und Honorare zusammengetragen.
Möglicherweise kann dieser
„Überforderungssituation" mit
einem Verbundmodell verschiedener Kommunen begegnet werden. Die Untersuchung will diese Idee mit Inhalt füllen. Denn
die Verantwortlichen legen großen Wert auf eine „Übertragbarkeit" der so gewonnenen Ergebnisse.
In Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Vetreterlnnen
von Behindertenorganisationen,
Kirchen, Universitäten, den Grünen und anderen politischen
Gruppen unterstützt und initiiert
das Archiv Kampagnen gegen
bioethische Institute und Netzwerke, gegen die Kolonialisierung des menschlichen Leibes in
der Transplantationsmedizin, gegen die bioethische Konvention
in Europa, gegen Patentierung
der Natur und Freisetzungsexperimente.
Quelle: Frankfurter Rundschau
vom 19. Juli 1994.
Netzwerke
Initiativen
gegen
Gentechnologie
Genarchiv Essen /
Impatientia e.V.:
Mit eigenen Veranstaltungsreihen im Genarchiv, die sich nicht
nur mit der herrschenden Gesundheitspolitik und Technologieentwicklung befassen, werden
auch Möglichkeiten eröffnet,
sich praktisch vom medizinischtechnischen Komplex zu distanzieren. Die Unterstützung von
Nicht-Regierungs-Organisationen zur medizinischen Versorgung in Chiapas (Mexiko) ist ein
weiteres Feld politischer und
praktischer Arbeit.
1994
nologien, Gen- und Fortpflanzungstechnologien zu fördern,
wurde 1986 das gen-ethische
Netzwerk gegründet. Dieser Verein ist ebenfalls eine politisch
und finanziell unabhängige Informations- und Kontaktvermittlungsstelle für alle interessierten
Menschen und Organisationen.
In Zusammenarbeit mit anderen
Organisationen und Gruppen ist
eine Freisetzungs-Koordinierungsstelle eingerichtet worden.
Die Kampagne „Kein Essen aus
dem Genlabor" wird maßgeblich
vom gen-ethischen Netzwerk getragen. Auch hier steht Interessierten ein Archiv zur Verfügung.
Der Gen-ethische Informationsdienst ist eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift, die als
Diskussionsforum der bestehenden kritischen Öffentlichkeit
dient.
Gen-ethisches Netzwerk/ Genethischer Informationsdienst,
Schöneweiderstr. 3, 12055 Berlin, Tel.Gen: 030/6857073, Tel.
GID: 030/6856088
Seit Mitte der 80er Jahre sind
im Genarchiv Meinungen und
Informationen zu den unterschiedlichsten AnwendungsgeFINRRAGE (Internationabieten und Gesichtspunkten der Genarchiv Essen /Impatientia les Feministisches
Gen- und Fortpflanzungstechno- e.V., Friederikenstr. 41, 45130
Netzwerk gegen Genlogien gegen Kopier- und Porto- Essen, Tel. 0201/784248, Öffund Fortpflanzungskosten zu bekommen. Dienstags nungszeiten: Di und Do 14.00
technologien)
und donnerstags ist das Archiv 18.00 Uhr
für Besucherinnen geöffnet. Das
FINRRAGE wurde 1984 gevorhandene Material wird von Gen-ethisches Netzwerk
gründet, mittlerweile sind Frauden Mitarbeiterinnen auch für
en in 35 verschiedenen Ländern
und Genethischer
Veröffentlichungen, Seminardiesem Netzwerk verbunden.
Informationsdienst
und Referatsvorbereitungen geDie internationale Koordination
nutzt.
Um die notwendige kritische öf- ist z.Zt. in Hamburg situiert, die
Das Archiv ist politisch und fi- fentliche Diskussion über An- nationalen Kontakte in den einnanziell unabhängig, die laufen- wendungsbereiche, Ziele und zelnen Ländern versuchen die
den Kosten werden durch Spen- Gefahren der modernen Biotech- Kampagnen, Informationen und
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , T~ " ITLFT 4,
Diskussionen in ihren Zusammenhängen zu verbreiten.
Schwerpunkt der Arbeit sind insbesondere internationale Bevölkerungspolitik, Gentechnologie
in der sogenannten 3. Welt sowie die Reproduktionstechnologien. FINRRAGE kooperiert mit
anderen Frauennetzwerken und
stellt in größeren Abständen Informationspakete zur Verfügung,
die sich mit o.g. Themen und
dem Frauen widerstand auseinandersetzen.
1994
Analysen
Junge Frauen in
der SPD
Thesen:
1. Politische Beteiligungsbereitschaft und Beteiligungsformen
junger Frauen sind bislang selten Thema der Wissenschaften,
der Medien, der Organisationen.
Distanz und Rückzug scheinen
zuzunehmen. Um ein Beispiel zu
Baseler Appell gegen
nennen: Die Wahlbeteiligung der
Gentechnologie
jungen Frauen im Alter von 18
Der Baseler Appell ist eine bis 24 Jahren lag bei den Euroschweizerische Organisation, die pawahlen 1994 bei etwa 50%.
sich ebenfalls die kritische Öffentlichkeitsarbeit und die Orga- 2. Die SPD hat als erste deutnisation von Kampagnen gegen sche Partei eine repräsentative
Patentierung und Freisetzungs- innerparteiliche Befragung junversuche zur Aufgabe gemacht ger Frauen (16-28 Jahre) durchhat. Sie kooperiert sowohl mit geführt. Die Untersuchung
anderen schweizerischen als knüpft an eine allgemeine Mitauch bundesdeutschen Vereini- gliederbefragung (1991) sowie
gungen. Der regelmäßig erschei- eine Seniorenbefragung (1993)
nende Pressespiegel des Baseler an. Alle drei Untersuchungen
Appells erscheint 4 x jährlich.
sind Ausdruck eines Verständnisses
als „lernende OrganisatiBaseler Appell gegen Gentechon" - auch im Wahljahr. Alle
nologie, Pf. 74, 4007 Basel
Befragungen werden öffentlich
diskutiert und es werden KonseNOGERETE
quenzen gezogen.
ist die nationale feministische
Organisation der Schweiz gegen 3. Auf der Grundlage von rund
Gen- und Fortpflanzungstechno- 2200 ausgewerteten Fragebögen
logien. Nogerete kooperiert u.a. hat die SPD einen Überblick
mit FINRRAGE und anderen über das Profil ihrer jungen
schweizerischen Frauenorganisa- weiblichen Mitglieder gewontionen wie Antigena (Frauen- nen: Auskunft über Qualifikatiogruppe gegen internationale Be- nen und Motivationen, über
völkerungspolitik) und MOZ Rückzug und Aktivitätsmuster,
(Mutterschaft ohne Zwang).
über persönliche und politische
Wünsche.
• E U
4. Die Studie spricht einerseits
von Enttäuschungen und Kritik
junger Frauen. Sie sagt aber
auch: Die jungen Frauen sind
hochqualifiziert und überdurchschnittlich aktiv. Sie sind nicht
nur bereit, Verantwortung zu
übernehmen, sondern trauen sich
auch Durchsetzungskraft und
Führungsstärke zu. Sie wollen
gestalten und sind in ihren Anforderungen an politische Arbeit
moderner als junge Männer und
andere Altersgruppen.
5. Rund 14500 junge Frauen gibt
es in der SPD, mehr als in jeder
anderen Partei. Wie kann ihre
Partizipation gefördert, wie können und müssen die Parteien gefordert werden? Die Untersuchung ist gedacht als Einstieg für
ein mittelfristig angelegtes Projekt der SPD „Engagement und
Partizipation junger Frauen".
Die wichtigsten Ergebnisse der
Befragung sind dokumentiert und durch weitere Daten ergänzt
- in der Ausgabe 7 der Schriftenreihe Jugendpolitik des SPDParteivorstandes. Die Veröffentlichung trägt den Titel: „Junge
Frauen in der Volkspartei SPD".
Sie kann beim SPD-Parteivorstand, Ollenhauerstr. 1, 53113
Bonn, bestellt werden. Teile sind
auch veröffentlicht in: Regine
Hildebrandt / Ruth Winkler
(Hrsg.): Die Hälfte der Zukunft.
Lebenswelten junger Frauen,
Köln (Bund-Verlag) 1994, 218
Seiten.
m ~
IGSJOURNAL N S R . T.,
Brieffach. Sie ist damit Tag und
Nacht aus jedem Teil der Welt
erreichbar und das in kürzester
Zeit. Zu Hause braucht man dazu
lediglich irgendeinen Computer,
ein Modem (ca. 150 Mark) und
In Frankfurt gibt es seit ein paar einen Telefonanschluß. Das
Monaten eine Mailbox für Frau- ebenfalls nötige Kommunikationsprogramm liefert Femail koen: Femail.
stenlos. Selbst Frauen, die keiNicht leicht zu finden, versteckt nen Computer besitzen, können
in einem Hinterhaus der Frank- sich einklinken. An jedem ersten
furter Hohenstaufenstraße liegen Dienstag im Monat hat das Komdie Räume des „Ersten elektro- munikationscafe in den Büros
nischen Fraueninformationssy- von Femail geöffnet. An diesem
Tag können die dort installierstems Femail".
ten Computer genutzt werden
Schon im Oktober '93 gründeten Claudia Gembe und Jutta 70 bis 80 Frauen beteiligen sich
Marke die erste Mailbox nur für derzeit in Hessen an diesem InFrauen, eine Art elektronisches formationsnetz. Rechnet sich
Postfach, das Informationen das? Martina Hammel seufzt:
schnell und ohne Umwege in den „Nicht so gut. Femail ist ein einheimischen Computer befördert. getragener Verein. Alle, die mitarbeiten, tun das ehrenamtlich.
Eine Mailbox nur für Frauen, ist Wir betreuen einige Projekte,
das nötig? Martina Hammel, In- zum Beispiel eines der Techniformatikerin aus Darmstadt und schen Universität Darmstadt,
aktive Unterstützerin von aber die Mittelkürzungen der
Femail: „Natürlich haben wir die Kommunen gerade bei FrauenMailbox nicht erfunden; es gibt projekten machen uns natürlich
viele derartige Systeme. Sie sind schwer zu schaffen."
von Männern dominiert und deshalb auch von männlichen In- Einen Ausweg bietet möglicherformationsangeboten geprägt. weise ein neues Angebot des
Bis hin zum Sexismus. Da woll- Softwarehaus: Nah- und Fernunten wir Abhilfe schaffen." So terricht zur Qualifizierung für
hätte Femail zum Beispiel, da Frauen, eine EDV-Einführung
sind sich alle im Softwarehaus mit MS-DOS und Datenferneinig, am 8. März die Organisa- übertragung. Der Unterricht bietion des Frauenstreiktages we- tet eine Kombination von 16
sentlich erleichtert.
Stunden Nahunterricht im Frankfurter Softwarehaus oder vor Ort
Und wie funktioniert das System und 60 Stunden Fernunterricht
Mailbox? Jede Teilnehmerin, die mit eigens dafür entwickelten
Der
den jährlichen Förderbeitrag von Unterrichtsmaterialien.
120 Mark entrichtet, bekommt zweimonatige Kurs kostet 720
ein Paßwort für ihr persönliches Mark, fachgerechte Betreuung
Bericht
Frauen-Mailbox
und die Nutzung eines eigenen
elektronischen Postfachs während der Dauer des Kurses sind
garantiert.
Infos: Femail c/o Softwarehaus
von Frauen für Frauen und Mädchen e.V., Hohenstaufenstr.8,
60327 Frankfurt. Telefon: 069/
7411405.
Forschungs
b e ric ht
Jugend mit
konservativen
Vorstellungen
In Deutschland, Skandinavien
und den Beneluxländern igelt
sich die Jugend am liebsten in
den eigenen vier Wänden ein.
Angesichts der lokalen und globalen Probleme blicken die „jungen Eremiten" überaus pessimistisch in die Zukunft. Das ist das
Ergebnis der Studie „Teenager
of the World" des Instituts IVE
Research International, Hamburg. Befragt wurden 13- bis
18jährige in 27 Ländern. In insgesamt 112 Gruppendiskussionen und 70 Experteninterviews
kristallisierten sich fünf Typologien heraus, die die wichtigsten
jugendkulturellen Trends zusammenfassen.
So teilen die „hoffnungsvollen
Skeptiker" mit den „Eremiten"
das Bedürfnis nach einem stabilen, überschaubaren Umfeld.
Dennoch meint diese Gruppe,
FORSCHUNGSJOURNAL N S R . In
daß „am Ende schon alles gutgehen wird". Diese etwas blauäugigen Teenager sind vor allem in den USA, Italien, England oder Frankreich zu Hause.
Ilm
"
1°0!
i
T a g u n g s
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Zuversichtlich, ein besseres Leben als ihre Eltern zu führen, zeigen sich die, jungen Optimisten"
in China, Rußland, Indien und
einigen afrikanischen Ländern
wie Kenia und Nigeria.
Rechtsextremismus
als soziale
Bewegung?
Das Motto der .jungen Hedonisten" lautet: „Don't worry, be
happy" - und das am besten in
der Freundesclique. Sie leben in
Griechenland oder Spanien und
grenzen sich mit am stärksten
von ihren Eltern ab.
Bericht zur
gleichnamigen
Arbeitstagung der
DGS-Sektion 'Soziale
Probleme und soziale
Kontrolle' in Bremen
am 21.122. Oktober
1994.
Im Gegensatz zu den genußorientierten Südeuropäern gedeihen
in Japan die „behüteten Kinder".
Aufgewachsen im materiellen
Wohlstand, möchten sie auch als
Erwachsene alle Annehmlichkeiten genießen und dabei den Normen ihrer Gesellschaft entsprechen.
t
Am 21. und 22. Oktober fand in
Bremen eine Veranstaltung mit
der Fragestellung „Rechtsextremismus als soziale Bewegung?"
statt, ausgerichtet von der 'wiederbelebten' Sektion 'Soziale
Probleme und soziale KontrolInsgesamt gewinnen traditionel- le' der Deutschen Gesellschaft
le Werte - ein guter Job und Fa- für Soziologie und dem Institut
milie - an Boden. Gegen elterli- für empirische und angewandte
che Werte zu rebellieren ist Soziologie (EMPAS). 8 Referen„out". Eine Herausforderung für ten unternahmen für etwa dopdie Marketingplanung ist, resü- pelt soviele Teilnehmer den Vermiert das IVE, den „instinktiven such, sich dieser Fragestellung
Optimismus" freizulegen und aus unterschiedlichen Richtungen anzunähern. Vorweggenom„neue" Werte auszugraben.
men sei jedoch, daß der unmittelbar an dieser Fragestellung
Quelle: W&V News, 17/94
gemessene Ertrag von Referaten
und Diskussion deutlich hinter
den gesteckten Erwartungen zurück blieb. Allein der Beitrag
von Thomas Ohlemacher - in
Grundzügen den Thesen seiner
m
Veröffentlichung in diesem Heft
folgend - machte ernsthafte Anstalten, sich der eigenüichen Fragestellung überhaupt zuzuwenden, wenn auch mit negativem
Befund (siehe dazu auch unser
Editorial). Gleichwohl vermochten auch die anderen Arbeiten
im Kontext von Rechtsextremismus, multikultureller Gesellschaft, Jugend und Gewalt
durchaus interessante Einsichten
und Anregungen zu vermitteln.
So machte Reinhold Sackmann
in seinem Eröffnungsvortrag
„Nationalstaat und Gewalt - in
soziologischer Sicht" darauf aufmerksam, daß nach der Pazifizierung politischer Gewalt durch
das staatliche Gewaltmonopol
versucht werden sollte, auch im
internationalen Bereich ein weltweites Gewaltmonopol zu errichten - freilich eine Utopie (noch),
wie Sackmann selbst zugestand.
In diesem Sinne verstand auch
Karlhans Liebl in seinem Referat „Babylonia - der Traum vom
besten Staat" die Idee der multikulturellen Gesellschaft, da es
paradox sei, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der jeder
Kultur das uneingeschränkte
Recht auf freie Entfaltung zugestanden werde, ohne daß damit
nicht unlösbare Probleme und
Konflikte im interkulturellen
Verhältnis vorprogrammiert wären - man denke nur an Menschenrechte und Islam.
Mehr auf den Bewegungscharakter rechter Gewalt bezogen, versuchte Hans W. Giessen anhand
einer Analyse von Poptexten mit
rechtsextremen Symbolgehalten
klar zu machen, daß „Der My-
TV'rSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, IT
thos vom Strohfeuer", d.h. der
Versuch, diese Phänomene als
'Eintagsfliege' zu verharmlosen,
übersieht, daß diese Texte auf
eine mehr als 15-jährige Tradition zurückblicken, angefangen
mit den provokativen Vorstößen
von Bands wie 'Ton, Steine,
Scherben' oder 'Deutsch-Amerikanische Freundschaft', die
Anfang der 80er Jahre als Tabubrecher fungierten und rechtsextreme Symbole (unfreiwillig)
wieder gesellschaftsfähig machten. Gegenüber diesem genealogischen Verfahren ging es bei
dem Vortrag von Friedrich W.
Stallberg über „Stigma und Ächtung" eher um eine kritische Soziologisierung der „soziologischen Interpretation des Rechtsextremismus" insofern, als Stallberg überzeugend nachwies, wie
selbst die (zumeist) linkslastige
Behandlung dieser Problematik
stigmatisierend auf das Phänomen wirkt und sich deshalb fragen lassen muß, wie es um ihre
'Werturteilsfreiheit' (Weber) bestellt ist, und welche 'perversen
Effekte' (Crozier/Friedberg) dieses Vorgehen möglicherweise
mit sich bringt. In eine ähnliche
Richtung stieß übrigens auch der
Beitrag von Peter Loos, dem es
um die „Funktion von 'Ideologie' bei Anhängern der 'Republikaner' und bei rechten Jugendlichen" ging. Seine These war,
daß rechtsextreme Jugendliche
und Parteianhänger Protest gegen die 'Fremdbestimmung' am
Arbeitsplatz und im Alltag geltend machen würden. Auffällig
sei dabei vor allem, daß es diesen Personen mehr als anderen
schwerfalle, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich
in die Situation anderer (nämlich ihrer Opfer) hineinzuversetzen, was ihre rechtsextreme Einstellung noch bestärken würde.
Eher vergleichend beschäftigte
dagegen Ronald Matthyssen
„Die fehlende Nationalidentität
und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung" am Beispiel Hollands. Bemerkenswert war dabei
vor allem, daß Matthyssen selbst Holländer - den Versuch
unternahm, das Selbstbild der
Holländer als tolerant, weltoffen
und ohne rassistische Neigungen
als Selbsttäuschung zu entlarven.
Interessant war aber auch sein
Hinweis, daß rechtsextreme Bestrebungen und Gewaltausschreitungen in der holländischen Gesellschaft kaum eine Verbreitungschance hätten, wenngleich
bis zuletzt unklar blieb, weshalb
gerade Niederländer davor gefeit
sein sollten.
daß bei Nichteintreten von Erfolgen die finanzielle Unterstützung wieder entzogen wird und
der Berufsstand damit institutionell gefährdet ist. Nicht zuletzt
sollte der 'Moral' der Wissenschaft eine stärker selbstbeschränkende Wirkung auf die
Wissenschaftler eingeräumt werden, um in Anbetracht der Vielzahl von Veröffentlichungen
nicht bloß grobe Vereinfachungen und zu einfache Lösungen
zu produzieren.
Als Resümee dieser Tagung, die
gut organisiert war und in angenehmem Ambiente und lockerer
Atmosphäre stattfand, läßt sich
festhalten, daß es auch nach dieser Tagung - wie schon nach der
Tagung im Wissenschaftszentrum Berlin Anfang Mai - weiterer Klärung bedarf, was es mit
der Frage „Rechtsextremismus
als soziale Bewegung?" auf sich
hat.
Zuletzt setzte sich Thomas Küche in seinem Beitrag „Interven- Kai-Uwe Hellmann, Berlin
tionen, Evaluationsmaßstäbe und
Artefaktbildung: Zur gesellschaftlichen Konstruktion von
Rechtsextremismus" kritisch mit
der aktuellen sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem
Phänomen auseinander. Sein Fazit war, daß in hohem Maße Berufsinteressen dazu führen, die
Behandlung dieser Thematik einer inflationären Zersetzung auszusetzen. Überdies führe das
'Stammesdenken' der einzelnen
Schulen zu einer partiellen
Blindheit den eigenen Mängel
gegenüber und zur Verwirrung
der politisch-institutionellen
Auftraggeber. Das könnte
schließlich aber zur Folge haben,
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Materi
Info
I L
_ _
Weiterbildungsangebot
Detaillierte Informationen
über alle wissenschaftlichen
Weiterbildungsveranstaltungen enthält das Verzeichnis
„Weiterführende Studienangebote an den Hochschulen
in der Bundesrepublik
Deutschland - Aufbaustudien, Zusatzstudien, Ergänzungsstudien, Weiterbildende Studien". Die von der
Hochschulrektorenkonferenz
jährlich herausgegebene
Dokumentation kann in den
Studienberatungsstellen,
Akademischen Auslandsämtern und zentralen Bibliotheken der Hochschulen eingesehen werden; eine B u c h ausgabe ist im K . H . Book
Verlag erschienen.
Interessenten mit Zugang
zum Internet können das
Weiterbildungsangebot auch
über das elektronische
Informationssystem der
Universität Münster INF O R M („telnet comix.unimuenster.de", login „inform")
oder mittels Modem vom
heimischen P C unter 0251/
897611 abrufen.
Bücher statt Waffen
Lernen ohne Bücher ist
verdammt schwer, hat sich
1994
der Eritreische Kinder- und
Jugendtreff in Frankfurt am
Main gedacht und eine
beispielhafte Hilfsaktion ins
Leben gerufen. Um die vom
Krieg gebeutelten Schulen
des ostafrikanischen Landes
zu unterstützen, sammelten
sie zwölf Tonnen englischer
Lehrbücher und stehen jetzt
vor einem Transportproblem.
Ihnen fehlt das Geld für den
Transport zum Verschiffungshafen und die schwierige Verteilung innerhalb
Eritreas. Spendenkonto
„Bildung in Eritrea": Ökobank
Frankfurt am Main,
Nr.: 101 573 66, B L Z
50090100, Stichwort „Bücher statt Waffen".
Studienangebot:
Ecosign
Ecosign heißt eine neue
Akademie in Köln. Ziel des
Akademie-Konzeptes ist,
Design mit Ausrichtung auf
Ökologie zu lehren. Das
gebührenpflichtige Studienangebot richtet sich an
mindestens 18 Jahre alte
Interessenten mit Hoch-,
Fachhochschulreife oder
einer entsprechenden Berufsausbildung.
Informationen und Anmeldung: Ecosign,
Maarweg 68,
50933 Köln,
Telefon 0221/5461332.
Bischöfe für ökologischen Umbau
Für einen ökologischen
Umbau der Wirtschaft hat
sich die katholische Deutsche Bischofskonferenz
ausgesprochen. Die Industriestaaten sollten dabei
vorangehen, heißt es in
einer Studie, die von der
wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche
Aufgaben der Bischofskonferenz herausgegeben wurde.
Der Mitautor und Dresdner
Bischof Joachim Reinelt
betonte, ohne veränderte
Wohlstandsmodelle und ein
entsprechendes Umdenken
sei in Zukunft nichts mehr zu
machen.
In der Studie, zu deren
Autoren der Kölner Volkswirtschaftler und frühere
Vorsitzende des Rates der
„Fünf Weisen" Hans Karl
Schneider und der Sozialwissenschaftler Franz Furger
gehören, wird unter anderem
für ein Tempolimit, schadstoffbezogene Kfz-Steuer
und höhere Mineralölsteuern
plädiert. Um den Ausstoß
des Klimakillers Kohlendioxid zu verringern, wird eine
C O - S t e u e r gefordert.
z
Neue Zeitschrift
FIAN, die „Internationale
Menschenrechtsorganisation
für das Recht sich zu ernähren", hat eine neue Zeit-
FORSCHUNGSJO l < \
schritt herausgegeben.
„FOOD F I R S T " will vierteljährlich Aspekte der entwicklungspolitischen Diskussion
aus dem Blickwinkel der
sozialen und wirtschaftlichen
Menschenrechte beleuchten.
Exemplare sind nach Z u s e n dung von drei Mark Portoerstattung erhältlich bei FIAN,
Overwegstraße 311 44625
Herne.
Frauenforschung in
Deutschland
Eine umfangreiche Analyse
zur Frauenforschung in der
Bundesrepublik hat die in
Bonn ansässige Deutsche
Forschungsgemeinschaft
(DFG) anläßlich ihrer kürzlich abgehaltenen Jahresversammlung vorgelegt. Die
von der D F G - S e n a t s k o m mission für Frauenforschung
erarbeitete Untersuchung
listet auf, zu welchen Themen eine besondere Forschung nötig wäre, so u. a.
zur Veränderung der G e schlechterrollen, zum W a n del der Lebensformen und
der Lebensverläufe von
Frauen, zu Körperlichkeit
und Geschlechterpolitik und
zu nationalen und internationalen Perspektiven der
Frauenbewegung. Die A n a lyse - eine wahre Fundgrube (nicht nur für Frauen!) gibt zu wichtigen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen (u. a. Familiensoziologie, Bildungsforschung,
Recht, Gesundheitsfor-
schung) einen Überblick
über Aufgaben und Stand
der Forschung, nennt deren
Schwerpunkte und die jeweils als besonders augenfällig angesehenen Desiderata.
W a s Frauenforschung sei
und durch wen sie ausgeführt werden könne, wird
nicht ausschließlich auf
Wissenschaftlerinnen oder
weibliche Interessen in
Politik und Wissenschaft
zurückgeführt, wohl aber
wird der starke Antrieb feministischer Ansätze für Forschung und aktuelle Politik
in den vergangenen zwei
Jahrzehnten hervorgehoben.
Hinter den Ansätzen in den
angelsächsischen Ländern
oder Frankreich, so die
DFG-Untersuchung, bleibe
die Frauenforschung in
Deutschland derzeit noch
weit zurück. Beigefügt ist
dem Buch eine Auflistung
über die gegenwärtig in
Deutschland installierten 70
Frauenforschungsprofessuren, davon 38 in NordrheinWestfalen, zehn in Berlin
und sieben in H e s s e n . Der
Freistaat Bayern fehlt in
dieser Auflistung.
Quelle: Das Parlament, Nr.
31 vom 5. August 1994,
S. 24
Dokumentation
Uns reicht's - unter diesem
Titel ist eine Dokumentation
des D G B über den FrauenProtestTag erschienen. Die
\"SR.
. TTl .
Dokumentation beschreibt
anschaulich Aktionen von
Frauen am 8. März auf
Straßen, Plätzen und in
Betrieben. Zu beziehen ist
das Heft über die Abteilung
Frauen der Bundesvorstandsverwaltung des D G B ,
Postfach 101026, 40001
Düsseldorf.
Rechtsratgeber
Einen „Rechtsratgeber für
Frauen in Lebensgemeinschaften" haben jetzt die drei
Rechtsanwältinnen Sybille
von Carnap, Barbara Henrich und Marie-Luise R u dolph herausgegeben (Konkret Literatur Verlag, Hamburg).
Auch wer nicht vor einen
Standesbeamten getreten
ist, lebt deswegen mit seinem Partner nicht in einem
rechtsfreien Raum. Wer erbt
zum Beispiel im Todesfall?
Wer darf Entscheidungen
treffen, wenn ein Partner
einen Unfall erleidet? W a s
wird mit den nichtehelichen
Kindern? Auf alle diese
Fragen gibt es klare Antworten, die Kapitel sind übersichtlich gegliedert.
AG SPAK
Die A G S P A K (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer
Arbeitskreise) ist ein selbstorganisierter Zusammenschluß von sozialpolitischen
Personen und Gruppen. In
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
der A G S P A K versuchen
diese engagierten Gruppen
und Einzelpersonen gemeinsam auf Unrechts- und
Benachteiligungssituationen
von gesellschaftlichen Gruppen zu reagieren; nicht nur
theoretisch, sondern auch,
indem konkret an Verbesserungen und Veränderungen
mitgearbeitet wird.
Kommunikation, Erfahrungsaustausch, Diskussion und
Reflektion von Theorie und
Praxis der sozialpolitischen
Arbeit wurden im Laufe der
Zeit zu festen Bestandteilen
der Arbeit in der A G S P A K .
Benachteiligte wollen die
Erstellung von Konzepten
nicht allein außenstehenden
Experten überlassen. Veranstaltungen der A G S P A K
bieten Möglichkeiten, um
praktische und theoretische
„Konzepte von unten" mitzuentwickeln. Die in der Praxis
gewonnenen Erfahrungen
können so reflektiert und
theoretisch untermauert
wiederum zur Veränderung
der Praxis führen.
Seit über 20 Jahren ist die
A G S P A K engagierte Mitstreiterin in der sozialpolitischen Diskussion.
Weitere Informationen sowie
ein Verzeichnis der von uns
herausgegebenen Bücher
und Broschüren erhalten Sie
bei:
AG SPAK
Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise
Adlzreiterstraße 23
D-80337 München
1994
Aufklärung als Spiel
Die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung
hat ein Computerspiel „Let's
talk about... Liebe, Lust und
Aids" herausgebracht, das
vor allem Jugendliche und
junge Erwachsene informieren soll. Wie die Zentrale
bekanntgab, befinden sich
neben dem Spiel auf der
Diskette rund 30 Stichwörter, die über Bildschirm oder
Ausdruck abgerufen werden
können. Themen seien HIVInfektion, Prostitution und
Verhütung, ein Lexikon zur
Sexualität und Literaturempfehlungen. Die Diskette kann
bei der Bundeszentrale in
51101 Köln unter der Bestellnummer 707 200 00
kostenlos angefordert werden.
Ratgeber Methoden
Es gehört zu den Kernmerkmalen von Initiativgruppen
und alternativen Projekten,
daß sie ihre Arbeit und damit
auch das eigene Lernen
selbst organisieren. Für
dieses Lernen in Eigenregie
und für die Entwicklung der
problemübergreifenden
Qualifikationen wie Verhandlungsführung, Rhetorik oder
Öffentlichkeitsarbeit bedarf
es geeigneter Methoden und
Anleitungen.
Der soeben erschienene
»Ratgeber Methoden« von
Theo Bühler und Renate
Rieger konzentriert sich auf
zehn methodische Problem-
felder und Handlungsansätze. Neben einer kurzen
thematischen Einführung zur
ersten Orientierung werden
siebzig ausgewählte Bücher
mit vielfältigen Analysen und
Anleitungen vorgestellt. Das
angesprochene Methodenspektrum umfaßt die Z u s a m menarbeit und Arbeitsorganisation, die Außenwirkung
bei Zielgruppen und in der
Öffentlichkeit und die kreative Weiterentwicklung der
Arbeit.
Bei der Verbesserung der
Zusammenarbeit und »inneren Effezienz« beispielsweise helfen praktikable K o m m unikations- und Kooperationsregeln, wirksame Moderations- und Entscheidungsverfahren und ebenso Instrumente, mit denen Streß
bewältigt und Konflikte z u friedenstellend gelöst werden.
Ratgeber Methoden. Ein
Wegweiser zu erfolgreichen
Arbeitsformen in Initiativen
und Projekten, Arbeitshilfen
für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 9, Verlag Stiftung MITARBEIT, Bonn
1994, 96 S .
Weiterbildung
Einmal erworbenes Wissen
veraltet schnell und reicht
längst nicht mehr für das
gesamte Berufsleben aus.
Das haben inzwischen auch
die Hochschulen erkannt
und deshalb ihr Angebot an
wissenschaftlicher Weiterbil-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
dung in den vergangenen
Jahren ausgebaut. Wie
umfangreich dieses inzwischen ist, zeigt jetzt die
neueste Auflage des Handbuches „Weiterführende
Studiengänge an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland", das über
1100 Aufbau-, Ergänzungsund Zusatzstudiengänge
aufführt. Der von der Rektorenkonferenz herausgegebene Band liegt in den Zentralen Studienberatungsstellen,
Akademischen Auslandsämtern und Hochschulbibliotheken aus und ist auch im
Buchhandel erhältlich (Verlag K. H. Bock, B a d Honnef).
Te r m i n e
Kriminalpolitische
Bewegung
Im Rahmen einer Tagung
„Bestandsaufnahme der
kriminalpolitischen B e w e gung in der B R D und deren
Vernetzungsstrukturen", die
in Zusammenarbeit mit der
Bundesarbeitsgemeinschaft
der freien Initiativen in der
Staffälligenarbeit (BAG)
organisiert wird, soll versucht
werden, an den früheren
Arbeitsansatz des Kriminalpolitischen Arbeitskreises
(KRAK) und der B A G anzuknüpfen und gemeinsam mit
ehemalig und derzeit Aktiven
aus dem Bereich eine B e standsaufnahme über die
aktuelle kriminalpolitische
Bewegung und deren Vernetzungsstrukturen in der
B R D vorzunehmen und
gemeinsam zu überlegen,
ob und welche Kooperationsstrukturen sinnvoll sind.
Termin: 25.-27. November
94, Bildungsstätte Altes
Amtsgericht, Fronhausen/
Lahn
einer Studie über das
Marketing- und Kooperationsverhalten ökologisch
innovativer Kleinunternehmen.
-
Anwendung der Instrumente des Marketingmix
unter ökologischen und
kooperativen Gesichtspunkten, theoretisch und
an praktischen Beispielen
-
Erarbeitung der Grundzüge von Marketingkonzepten am Beispiel teilnehmender Betriebe (in Arbeitsgruppen)
-
Darstellung und Analyse
interessanter Fallbeispiele
von Unternehmen, die
dem Anspruch eines
Ökologischen Marketings
schon weitgehend gerecht
werden.
Anmeldung und weitere
Information:
AG SPAK
Bundesgeschäftsstelle
Adlzreiterstraße 23
D-80337 München
Tel. 089/774078
Fax 089/774077
Marketing für
Ökologiebetriebe
In diesem Seminar geht es
um praktische Hilfestellung
bei der Entwicklung eigener
Marketingansätze. Dabei
wird einem Ansatz, der
partizipative, kooperative,
sich vernetzende Formen
des Marketings mit anderen
Betrieben, Institutionen und
Verbrauchern in den Blick
nimmt, eine besondere
Bedeutung zugemessen.
Zielgruppe des Seminars
sind Inhaberinnen, G e schäftsfüherlnnen und Mitarbeiterinnen aus Klein- und
Mittelbetrieben der Ökologiebranche und aus entsprechenden betrieblichen Arbeitsgemeinschaften und
Unternehmenszusammenschlüssen.
Die Themen im einzelnen:
-
Einstieg: Darstellung
empirischer Ergebnisse
1994
Methoden: Vortrag mit Overhead, Gruppenarbeit, Fallbeispiele
Leitung: Burghard Flieger,
Dipiomvolkswirt und Soziologe
Zeit:
6.3.1995, 10.00-18.00 Uhr
7.3.1995, 9.00-17.00 Uhr
Ort: Seminarraum in der
Werkstatt e.V., Börnestr. 10,
40211 Düsseldorf
Preis: 3 0 0 - , 2 4 0 - f ü r netzMitglieder (Preise zzgl. 15%
MWst.)
Anmeldung:
netz
Börnestr. 10
40211 Düsseldorf
Tel. 0211/1649583
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
z e n
s io n e n
w
e
Gesellschaftliche
Desintegration und
Individualismus:
Die HeitmeyerSchule
Wilhelm Heitmeyer:
Rechtsextremistische
Orientierungen bei
Jugendlichen.
Empirische Ergebnisse
und Erklärungsmuster
einer Untersuchung zur
politischen Sozialisation.
Juventa: Weinheim 1987
Wilhelm Heitmeyer /
Jörg Ingo Peter:
Jugendliche
Fußballfans.
Soziale und politische
Orientierungen,
Gesellungsformen, Gewalt.
Juventa: Weinheim 1988
1994
Wilhelm Heitmeyer
u.a.:
Die Bielefelder
RechtsextremismusStudie.
Erste Langzeituntersuchung zur politischen
Sozialisation männlicher
Jugendlicher.
Juventa: Weinheim 1992
Es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen kapitalistischer Produktionsweise und daraus resultierender kultureller Erosion, verbunden mit Isolation und
Minderwertigkeitsgefühlen und
der Hinwendung zu rechtsextremen Orientierungen - auf diese
Grundposition läßt sich der Ansatz eines Forscherteams um den
Bielefelder Pädagogik-Professor
Wilhelm Heitmeyer bringen.
Rechtsextremismus bei Jugendlichen wird als Folge gesellschaftlicher Veränderungen verstanden,
wobei die von Desintegration und
Individualisierung Betroffenen
als Modernisierungsopfer gelten.
Der damit verbundene Ansatz der
Heitmeyer-Schule, hier kurz als
Modernisierungsopfer-Ansatz
bezeichnet, beherrscht die wissenschaftliche wie öffentliche
Diskussion um das im Spannungsfeld von Gewalt-JugendRechtsextremismus angesiedelte
gesellschaftliche Phänomen: Die
seit 1984 von dem Wissenschaftler-Team durchgeführten Untersuchungen wurden weit über die
Fachgrenzen sowohl der Erziehungswissenschaften als auch der
Rechtsextremismusforschung
hinaus rezipiert. Heitmeyer galt
fortan als der Experte zum Thema Rechtsextremismus und Jugendliche und konnte seine Positionen nicht nur in Zeitschriften
und Sammelbänden, sondern
auch in Interviews und Zeitungskommentaren einem breiten Publikum bekannt machen. Inwieweit sein Erklärungsansatz theoretisch tragfähig und von den eigenen und anderen empirischen
Untersuchungen gedeckt wird,
soll hier problematisiert werden.
Die Auseinandersetzung folgt
dabei chronologisch den Darstellungen von Heitmeyer, um auch
in dieser Form die Entwicklung
der Forschung nachvollziehbar zu
machen.
Heitmeyer und sein ForscherTeam gehen mit einer ausformulierten Theorie an ihre empirischen Untersuchungen heran,
eine Ausnahme in der sozialwissenschaftlichen Forschung dieser Art und von daher allein schon
anerkennenswert. Rechtsextreme
Orientierungen werden in dem
Ansatz als gesellschaftlicher „Gegenentwurf' zu einem demokratischen politischen System angesehen, der durch zwei jeweils
gekoppelte Grundelemente geprägt sei: zum einen durch die
Ideologie der Ungleichheit der
Menschen, die gekennzeichnet
wird durch nationalistische bzw.
völkische Selbstübersteigerung,
rassistische Sichtweisen/ Fremdenfeindlichkeit, der Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben und der
Behauptung natürlicher Hierarchien, die Betonung des Rechtes
des Stärkeren sowie das totalitäre
Norm-Verständis, d. h. die Ausgrenzung des „Andersseins"; zum
anderen durch die Gewaltper-
94
spektive und -akzeptanz, die gekennzeichnet wird durch die Ablehnung rationaler Diskurse und
die Überhöhung von Irrationalismen, die Betonung des alltäglichen Kampfes ums Dasein, die
Ablehnung demokratischer Regelungsformen von sozialen und
politischen Konflikten, die Betonung autoritärer und militaristischer Umgangsformen und Stile
und die Gewalt als normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten. Von rechtsextremistischen Orientierungsmustern soll
nach Heitmeyer dann gesprochen
werden, wenn beide Grundelemente zusammenfließen (vgl.
Heitmeyer 1987, 16).
Problematisch ist diese, die ganzen weiteren Forschungen begleitende Definition gleich aus mehreren Gründen. Zum einen findet
man die vorgestellten Definitionskriterien auch in anderen politischen Zusammenhängen, so
etwa das totalitäre Norm-Verständnis in der Autonomen-Szene, oder im unpolitischen Bereich,
so etwa Gewalt als normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten. Darüber hinaus kann Gewalt nicht als einzige Form rechtsextremer Praxis angesehen werden. Dies macht die genannten
Kriterien nicht unbedingt für den
Untersuchungszusammenhang
unbrauchbar, aber eine differenziertere Bestimmung, verbunden
mit dem Nachweis der Trennschärfe der genannten Definitionsmerkmale, wäre hier unbedingt notwendig gewesen. Zum
zweiten sind die beiden Grundelemente viel zu eng gefaßt und
als Bestimmungsfaktoren von
Rechtsextremismus in dieser beschränkten Form kaum tauglich.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
So zeigen etwa Untersuchungen
zur Anhänger- und Wählerschaft
rechtsextremer Parteien, daß diese nur zu sehr geringen Teilen
Gewalt als Mittel zur Konfliktregelung bejahen und sie in ihrem
Autoritarismus auf den „starken
Staat" beschränkt sehen möchten
(vgl. Emnid 1989, Dem Tod oder
dem Triumph entgegen. Wer
wählt rechtsradikal? Die Republikaner und andere Bundesbürger - Ergebnisse dreier SpiegelUmfragen, in: Der Spiegel, Nr.
21/22. Mai, 36-48: 40). Dieses
Potential könnte mit der Definition von Heitmeyer gar nicht erfaßt werden, ebenso wenig wie die
den „Legalismus"-Kurs fahrenden rechtsextremen Parteien oder
die taktisch geschickt auftretenden rechtsextremen Intellektuellen. Überhaupt ignoriert Heitmeyer völlig die bisherigen Definitionen von Rechtsextremismus,
sei es von politikwissenschaftlicher oder verfassungsrechtlicher
Seite, und setzt relativ willkürlich und ohne gesonderte Begründung die eigenen Kriterien fest.
Drittens ist die Definition darüber hinaus zu sehr auf das Untersuchungsobjekt, eben die Jugendlichen der unteren sozialen
Schichten, und das Untersuchungsergebnis, Rechtsextremismus als soziales Phänomen, konzentriert und berücksichtigt nicht
die facettenreiche Vielfalt des
Phänomens Rechtsextremismus.
Wichtig und anerkennenswert in
Heitmeyers Ansatz ist dem gegenüber die Kritik der organisationsbezogenen Sichtweise in der
Rechtsextremismusforschung.
Tatsächlich beschränkte sich diese oft auf organisiertes, zielgerichtetes Handeln zum Zweck der
1994
Veränderung von Herrschafts verhältnissen, also auf die Entwicklung von rechtsextremen Gruppen undParteien, ihre politischen
Aktivitäten und insbesondere ihre
Wahlergebnisse. Soziale Entwicklungsprozesse außerhalb des
Organisationsspektrums blieben
dabei am Rande der Analyse.
Dem gegenüber plädiert Heitmeyer für eine Erweiterung durch die
Orientierungsmuster-Perspektive, der es darum geht den Kontext von Bedeutungs veränderungen rechtsextremer Ideologeme
in alltäglichen sozialen Lebenszusammenhängen wie in politisch-institutionellen Bereichen
zu sehen. Eine genaue Definiton
und die Entwicklung eines Untersuchungskriteriums im Sinne
dieser Orientierungsmuster-Perspektive findet man bei Heitmeyer allerdings nicht (vgl. Heitmeyer 1987, 23-30)
Statt dessen macht er einen argumentativen Sprung und präsentiert als seinen Theorieansatz das
sozialisationstheoretische Konzept, das soziale und politische
Entwicklungen als Faktoren bei
der Identitätsbildung ausmacht.
Im Zentrum steht dabei die Einschätzung der, durch die „kapitalistische Produktionsweise"
(ebd., 94) ausgelösten, zentralen
gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die Heitmeyer in Anlehnung an den Soziologen Ulrich Beck im Aufkommen der
„Risikogesellschaft" sieht. Die in
ihr beobachtbare Individualisierung von Lebenslagen führe zum
Verlust der Bindungen an traditionelle Kollektive, Lebensformen und Milieus. Die sich daraus
ergebenden neuen Handlungsmöglichkeiten würden, so Heit-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
meyer, nicht genutzt, was insbe- Kultur zu verweisen und nach
sondere bei Jugendlichen zu entsprechenden Einflußfaktoren
Handlungsunsicherheiten, Ohn- zu fragen. Dies wird aber unterraachts- und Vereinzelungserfah- lassen, und insofern erscheint die
rungen führe. Hier sieht er den rechtsextreme Politisierung von
Anknüpfungspunkt rechtsextre- durch gesellschaftliche Modermer Ideologien: Verarbeitet wür- nisierungsprozesse zustande geden diese Erfahrungen einerseits kommenem Unmut - wie im
durch Identifikation mit einer Selbstverständnis der RechtsexGruppe nach äußeren Merkma- tremisten - als natürlicher Prolen wie „Nation" oder „Rasse", zeß.
verbunden mit der Ideologie der Zwar meint Heitmeyer, daß die
Ungleichheit und Abwertung von ihm beschriebene EntwickAnderer, andererseits durch die lung Jugendlicher hin zu rechtsAkzeptanz von Gewalt, die Ein- extremen Orientierungen noch
deutigkeit schaffe und eine Selbst- durch das Angebot neo-konserdemonstration zur Überwindung vativer Politikkonzepte im öffentvon Ohnmacht sei (vgl. ebd., 63- lichen Diskurs verstärkt werde,
67).
da es zu deren rechtsextremer
Heitmeyer sieht in seiner Theorie Zuspitzung kommen könnte (vgl.
die politische Artikulation emo- ebd., 67-74). Allerdings wurden
tionaler Befindlichkeiten in der diese ohnehin nur sehr oberflächbeschriebenen Form offenbar als lichen, das Eindringen solcher Poautomatisch an. Unbeantwortet litikvorstellungen in die Alltagsbleibt dabei die Frage, warum die kultur nicht erklären könnenden
sich durch Individualisierungs- Ausführungen nicht gewichtend
tendenzen ergebenden neuen in das Bedingungsgeflecht von
Möglichkeiten nicht konstruktiv Faktoren für die Herausbildung
im demokratischen Sinne genutzt von rechtsextremen Orientierunwerden, etwa durch traditionelle gen integriert. In späteren Veröfoder neue Partizipationsformen. fentlichungen verzichtete HeitGerade das Umschlagen von meyer weitgehend auf die NenUnmut in eine bestimmte politi- nung der politischen Faktoren,
sche Richtung, hier die rechtsex- hier besonders bezogen auf politreme, muß erklärt werden. In tische Kultur. Das Wechselverdiesem Zusammenhang verweist hältnis und die Gewichtung von
Heitmeyer mit Rekurs auf Beck sozialen und politischen Faktoauf die Überwindung der Indivi- ren blieb aber auch schon in der
dualisierungsfolgen durch die ei- ursprünglichen Ausformulierung
gentümliche „Konkretheit von des Ansatzes ungeklärt.
Naturkategorien" wie „Rasse, Fortan lag der Schwerpunkt der
Hautfarbe, Geschlecht" (Heit- Argumentation auf der Identität,
meyer 1987,67), die neue Identi- die aufgrund des Bindungsverlufikationsmöglichkeiten böten. stes und der VereinzelungserfahWarum aber nur diese, warum rungen als konsistente, eigenstänfehlen andere? Hier wäre auf das dige Identität nicht mehr herausBestehen oder Fehlen derartiger gebildet werden könne (vgl. ebd.,
Vorgaben aus der politischen 77-103). Die von den gesell-
95
schaftlichen Modernisierungsprozessen Betroffenen würden
somit die soziale Basis für die
rechtsextremen Orientierungen
bilden, wobei es zwei „Konstellationen" gäbe, in denen rechtsextremistische Tendenzen auftreten würden. Zum einen seien Jugendliche betroffen, die sozialen
Ausgrenzungsprozessen unterlägen, was zu Minderwertigkeitsgefühlen und der Suche nach neuen Bindungen führe; zum anderen erwiesen sich auch gesellschaftlich integrierte Jugendliche
als anfällig für rechtsextreme
Orientierungen, da diese ihre
Überlegenheitsgefühle nur durch
Abgrenzung erführen (vgl. ebd.,
100). Die Beschreibung und Definition beider Gruppen blieb indessen so allgemein, daß sie hinsichtlich der empirischen Überprüfbarkeit kaum tauglich waren.
Die Tragfähigkeit von Heitmeyers Ansatz mußte sich nun anhand der Ergebnisse der empirischen Studien zum Thema erweisen. Die erste Untersuchung
(1987) wurde 1984 durchgeführt,
wies aber allein schon aus methodischer Sicht zahlreiche Mängel
auf: Da nur ein geringer Teil der
Befragten den Fragebogen vollständig ausgefüllt hatte, war die
Repräsentativität der Studie nur
ungenügend gewährleistet. Heitmeyer erörtete nicht ausreichend
die Formulierung der Einstellungsstatements, mit denen die
Zustimmung zu bestimmten
rechtsextremen Orientierungen
gemessen werden sollte, und
konnte so auch nicht exakt klären, ob diese auch das erfassen,
was sie erfassen sollten. Darüber
hinaus sind Zweifel angebracht,
ob die Einstellungsstatements des
^6
Fragebogens in allen Fällen die
durchgeführten statistischen Berechnungen zulassen. Allein von
daher können bereits erhebliche
Einwände gegen die DatenGrundlage der Untersuchung formuliert werden. Irritierend ist in
diesem Zusammenhang auch, daß
Heitmeyer in der Buchausgabe
dieser Studie sein Untersuchungsinstrumentarium nicht ausreichend präsentiert, vor allem fehlt
der eigentlich übliche Abdruck
des Fragebogens und ein Gesamtüberblick zu den Ergebnissen der
Befragung. Damit verletzte Heitmeyer ein Grundprinzip der empirischen Sozialforschung: die intersubjektive Kontrolle und die
Nachprüfbarkeit des Verlaufs der
Untersuchung war nicht in ausreichendem Maße gegeben.
Hier soll es aber nicht um diese
zahlreichen methodischen Mängel und auch nicht um die quantitative Einschätzung des rechtsextremen Einstellungspotentials
unter Jugendlichen gehen, sondern um die Frage, inwieweit die
Untersuchung den beschriebenen
Theorie-Ansatz bestätigt. Im Zentrum stehen dabei die Angaben
zu den sozialen Besonderheiten
der Jugendlichen mit rechtsextremen Orientierungen. Dazu
wird von Heitmeyer festgestellt,
daß die Jugendlichen, die sozial
und beruflich über den Einstieg
in einen Ausbildungsplatz integriert waren, überraschenderweise ausgeprägtere rechtsextreme
und fremdenfeindliche Postionen
vertraten als diejenigen aus der
anderen Konstellation (vgl. Heitmeyer 1987, 154 - 159). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch
andere Studien, so etwa die Untersuchung einer Tübinger For-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
scher-Gruppe um Josef Held und
Rudolf Leiprecht, nach der gutsituierte junge Menschen eher
rechtsextreme Positionen vertreten als Jugendliche, die auf der
sozialen Leiter ganz unten stehen
(vgl. Josef Held u.a. 1991, „Du
mußt so handeln, daß Du Gewinn
machst..." Empirische Untersuchungen und theoretische Überlegungen zu politisch rechten Orientierungen jugendlicher Arbeitnehmer, Dortmund). Eine u.a. von
Dieter Hoffmeister und Oliver Sill
durchgeführte Münsteraner Untersuchung zu autoritären Einstellungsmustern bei Jugendlichen
stellt fest, daß es keinen Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Versorgtsein gebe; die
Instabilen seien sogar etwas weniger autoritär eingestellt als die
Stabilen (vgl. Dieter Hoffmeister/
Oliver Sill 1992, Zwischen Aufstieg und Ausstieg. Autoritäre
Einstellungsmuster bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen,
Opladen). Ähnliches gilt laut einer Umfrage Leipziger Jugendforscher offenbar auch für ostdeutschejugendliche: „Angst vor
Arbeitslosigkeit oder Ausbildungsproblemen schlägt nicht in
dem Maße auf Ausländerfeindlichkeit durch, wie manchmal
unterstellt wird. Zwischen Schülern, die nach der Schule einen
Ausbildungsplatz als völlig sicher, sicher oder als völlig unsicher wähnen, gibt es keine Unterschiede! Lehrlinge, die einen Arbeitsplatz für sich als völlig gesichert ansehen, sind sogar emotional häufiger gegen Ausländer eingestellt, als diejenigen, die dies
noch als völlig unsicher ansehen."
(Försteru.a. 1992, Jugendlichein
Ostdeutschland 1992. Politische
1994
Einstellungen. Rechtsextreme
Orientierungen/Gewalt. Verhältnis zu Ausländern/Lebenswerte
Lebensbefindlichkeiten, Leipzig,
unveröffentlichtes Manuskript
169).
Zu den erwähnten Ergebnissen
seiner Untersuchung bemerkt
Heitmeyer: Darin zeichneten
„sich einige irritierende Hinweise ab, die sich an manchen Stellen den gängigen Annahmen entziehen, wenn man z.B. an den
mancherorts postulierten Zusammenhang von Minderwertigkeitsgefühlen und rechtsextremistischen Gefolgschaften denkt"
(Heitmeyer 1987,156).Dies trifft
aber dann auch seinen eigenen
Erklärungs-Ansatz, der ebenfalls
einen direkten Zusammenhang
von Individualisierung und Minderwertigkeitsgefühlen und der
Hinwendung zu rechtsextremen
Orientierungen behauptete. Heitmeyer verwies zwar in seiner
Theorie darauf, daß sich auch bei
den scheinbar gesellschaftlich integrierten Jugendlichen rechtsextreme Orientierungen finden würden. Aber wenn deren Verbreitung in dieser Konstellation höher ist als in der der sozial ausgegrenzten Jugendlichen, dann ist
der Ansatz von Heitmeyer nicht
haltbar. Wie wäre denn sonst erklärbar, daß die materiellen und
ideellen „Modernisierungsopfer",
also die am stärksten, weil doppelt vom sozialen Wandel betroffenen Jugendlichen eben weniger (und nicht mehr!) anfällig für
rechtsextremistische und ausländerfeindliche Orientierung sind.
Hinzu kommt, daß Mädchen von
den beschriebenen Wirkungen der
„Risikogesellschaff'-Individualisierung, Handlungsunsicherhei-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
ten in beruflicher Hinsicht, Ohnmachtserfahrungen, und geringes
Selbstwertgefühl - in weit höherem Maße betroffen sind als Jungen. Von daher müßten eigentlich weibliche Jugendliche für
rechtsextreme Orientierungen am
empfänglichsten sein. Aber das
genaue Gegenteil ist der Fall, wie
nahezu alle Untersuchungen zum
Themabelegen. Auch Heitmeyer
stellt diese geschlechtsspezifischen Differenzen anhand vieler
Einzelfragen fest: Junge Frauen
blickten skeptischer in die Zukunft als junge Männer und hätten ein stärkeres Unsicherheitsempfinden, gleichzeitig vertraten
sie aber weniger autoritär-nationalistische Auffassungen und
standen der Gewalt distanzierter
gegenüber als junge Männer. Allerdings führte auch dieses Forschungsergebnis nicht zu einer
eigentlich notwendigen Korrektur seines Ansatzes.
Nach der quantitativ ausgerichteten Studie führte das Wissenschaftler-Team um Wilhelm Heitmeyer auch eine qualitativ ausgerichtete Langzeituntersuchung
durch, wobei von 1985 bis 1990
die politische Sozialisation von
31 männlichen Jugendlichen im
Alter von 17 bis 21 Jahren beobachtet wurde. Es handelt sich dabei um eine der wenigen in
Deutschland bislang durchgeführen Längsschnittuntersuchungen
und gleichzeitig um die erste Prozeßanalyse, die sich dem Zusammenhang von Arbeitserfahrungen
bzw. der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und rechtsextremen
Orientierungen bzw. Handlungen
widmet. Hier geht es somit nicht
um eine „Momentaufnahme",
also die zeitlich eng begrenzte
1994
Erfaßung des rechtsextremen Einstellungspotentials, sondern um
die Beobachtung und Einschätzung eines politischen Sozialisationsverlaufs. Heitmeyer folgt
hier der berechtigten Annahme,
daß in der untersuchten Altersgruppe die politische Entwicklung noch relativ offen und es
von daher wichtig ist, Veränderungsprozesse zu verfolgen. Daher bilden auch sieben Fallstudien für bestimmte Entwicklungen
typischer Jugendlicher den Kern
der unter dem Titel 'Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie'
veröffentlichten Untersuchung
(vgl. Heitmeyer u.a. 1992, 103467). Dargestellt wird jeweils
nach bestimmten Zeitabschnitten
aufgegliedert: Ausgangssituation,
Arbeitsbiographie, Arbeitserfahrungen und Arbeitsorientierungen, Lebenskontext und Milieu,
Sozialerfahrungen und Sozialbeziehungen, Erfahrungen mit der
Politik, politische Erfahrungen
und Orientierungen so wie die Entwicklungslinie der Ideologie der
Ungleichheit und Gewaltakzeptanz.
Auch dieser Langzeituntersuchung ist der theoretische Ansatz
von 1987 vorgeschaltet (vgl. Heitmeyer u.a. 1992, 13-48). Da dieser von sozialwissenschaftlicher
Seite durchaus nicht nur positiv
rezipiert, sondern auch stark kritisiert wurde (vgl. oben), verwundert es doch, daß Heitmeyer kaum
Korrekturen an seiner Theorie
vornahm. Offenbar beachtete er
die Kritik auch gar nicht; jedenfalls setzte Heitmeyer sich nicht
mit den Einwänden gegen seine
Arbeit auseinander. Diesbezügliche Veröffentlichungen werden
noch nicht einmal in der ausführ-
97
lichen Bibliographie der Buchausgabe genannt. Beim Ignorieren von Kritik unterschlagen Heitmeyer und sein WissenschaftlerTeam sogar eine umfangreiche,
ebenfalls qualitativ angelegte Untersuchung zur subjektiven Funktionalität von Rassismus und Ethnozentrismus bei abhängig beschäftigten Jugendlichen, die der
Erziehungswissenschaftler Rudolf Leiprecht vorgelegt hat (vgl.
Rudolf Leiprecht 1990, „... da
baut sich ja in uns ein Haß auf..."
Zur subjektiven Funktionalität
von Rassismus und Ethnozentrismus bei abhängig beschäftigten
Jugendlichen, Hamburg). Kritisch hervorzuheben ist darüber
hinaus, daß sich die Untersuchung
nur mit männlichen Jugendlichen
beschäftigte. Dies ist insofern
verständlich, als Männer aller
Altersgruppen überdurchschnittlich stärker zu rechtsextremen
Einstellungen und Wahlvoten
neigen als Frauen. Erklärt wird
von Heitmeyer und seinem Wissenschaftler-Team allerdings
nicht, warum sich ihre LangzeitStudie nur auf männliche Jugendliche konzentriert. Man hätte
weibliche Jugendliche zumindest
um vergleichender Analysen willen mit untersuchen müssen, um
so Gemeinsamkeiten und Unter-,
schiede im Sozialisationsverlauf
feststellen zu können, ein Vorgehen, das unter Umständen zu
wichtigen Erkenntnissen geführt
hätte.
;
Zusammenfassend kommt die
Untersuchung zu folgenden Ergebnissen (vgl. Heitmeyer u.a.
1992, 590-604): Nicht die „Analogiethese", wonach rechtsextreme Jugendliche nur nationalsozialistische Gedanken wiederhol-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
ten, und auch nicht die „Verführungsthese", wonach junge Menschen rechtsextremen Agitatoren
nachliefen, könnten die große
Akzeptanz rechtsextremer Orientierungen bei Jugendlichen erklären. Auch Arbeitslosigkeit sei
keine zentrale Ursache für Rechtsextremismus, sondern eine besondere, sachlich-inhaltliche Arbeitsorientierung, die heute aufgrund von Veränderungen in der
Bedeutung von Arbeit und internen Veränderungen von Arbeitstätigkeiten etc. lediglich eine formale Integration in den Arbeitsprozeß ermögliche, aber kaum
noch einen Wall gegenüber
rechtsextremistischen Orientierungen bilde. Auch die formale
Intaktheit einer Familie sage
nichts darüber aus, ob ein Jugendlicher vor rechtsextremistischen Orientierungen gefeit sei
oder nicht. Als entscheidend gilt
dagegen, ob stabile und verläßliche Beziehungen ein Gefühl von
Geborgenheit aufgrund von Zuwendung und Verständnis vermitteln. Jugendliche mit „instrumentalistischen Arbeitserfahrungen" als auch „instrumentalistischen Beziehungserfahrungen"
seien am stärksten für Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft empfänglich.
Von daher gehen die Bielefelder
Wissenschaftler von einer Instrumentalisierungsthese als wichtigstem Ergebnis ihrer Langzeituntersuchung aus: Instrumentalisierung diene dem Ziel der eigenen
Selbstdurchsetzung, um entweder Anschluß, Sicherung oder
Aufstieg zu erreichen. Sie habe
als Mittel die Verfügung über
andere und entwickele sich vor
dem Hintergrund der ambivalen-
ten Individualisierungsbedingungen in der durchkapitalisierten
und hochindustrialisierten Gesellschaft. Die subjektive Sinnhaftigkeit werde gewährleistet durch
Ideologien der Ungleichheit, in
denen die funktionalen Mechanismen wie Verdinglichung, Entpersönlichung etc. politisch aufgeladen werden. Sie seien die
zentralen Voraussetzungen oder
Legitimationen für Gewalt in
unterschiedlichen Facetten, um
diese entlang von Kosten-Nutzen-Kalkulationen anwendbar
werden zu lassen. Mit anderen
Worten, die rechtsextrem orientierten Jugendlichen handelten
extrem nach den Leistungsnormen des Kapitalismus. Also auch
hier handelt es sich um eine Theorie, die - allerdings ohne empirische Belege - die letztendlichen
Ursachen für Rechtsextremismus
in bestimmten Folgen kapitalistischer Produktionsweise sieht.
Dies ist aber keine Neuauflage
„marxistisch-leninistischer" Faschismus-Theorie, sondern ein
Versuch, Rechtsextremismus als
soziales Phänomen, eben als Erscheinungsform widersprüchlicher Modernisierung zu deuten.
Das Postulat, rechtsextreme Orientierungen seien durch den Kapitalismus verursacht, belegt
Heitmeyer allerdings nicht dezidiert; entsprechende Zusammenhänge lassen sich aus seinen Untersuchungen nicht schlüssig belegen. Der von Heitmeyer beschriebene Individualisierungsprozeß ist darüber hinaus kein
neues gesellschaftliches Phänomen, sondern bereits im Zusammenhang mit der Industrialisierung feststellbar. Dies hat schon
in den sechziger Jahren die So-
1994
ziologen Erwin K. Scheuch und
Hans-Dieter Klingemann dazu
veranlaßt, den Rechtsextremismus als normale Pathologie moderner Industriegesellschaften zu
interpretieren (vgl. Scheuch, Erwin K./Hans-Dieter Klingemann
1967, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Tübingen, 1129).
Darüber hinaus widersprechen
methodisch breiter angelegte empirische Untersuchungen Heitmeyers Annahmen, wonach die
Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt durch strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft bedingt seien. So
kommt eine Trierer soziologische
Forscher-Gruppe um Helmut
Willems bei der Untersuchung
von Einstellungen, Täterstrukturen und Konflikteskalation im
Zusammenhang mit fremdenfeindlicher Gewalt zu Ergebnissen, die deutlich der Vorstellung
widersprechen, „die gegenwärtig in Teilen der Bevölkerung feststellbare höhere Ablehnung von
bestimmten Gruppen von Fremden und die auch bei Teilen der
Bevölkerung feststellbaren höheren Gewaltbereitschaften hätten
sich bereits früh in den achtziger
Jahren angekündigt und seien
daher als Folge grundlegender
Strukturveränderungen von
'durchkapitalisierten' Gesellschaften (Desintegration) zu verstehen (Heitmeyer). Weder läßt
sich in den achtziger Jahren eine
Zunahmeder Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft insgesamt feststellen, noch hat sich die
politisch motivierte Gewaltbereit-
99
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994
Schaft in diesem Zeitraum dra-
werden. Entsprechend mißt Hei tmeyerin Veröffentlichungen zum
Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR auch anderen Erklärungsfaktoren die entscheidende Bedeutung bei: „Die Hauptquellen liegen sicherlich im DDRspezifischen Aufwachsen und
Leben in autoritären und repressiven
Verhältnissen..."
(Heitmeyer 1992a, Die Widerspiegelung von Modernisierungsrückständen im Rechtsextremismus, in: Karl-Heinz Heinemann/
Wilfried Schubarth (Hrsg.), Der
antifaschistische Staat entläßt
seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland,
Köln 100-115: 104). Im Osten
wird die besondere politische
Kultur verantwortlich gemacht,
im Westen die kapitalistische Produktionsweise. Hier geraten die
Ebenen durcheinander, Widersprüche entstehen, und die Unfähigkeit, einzelne Erklärungsfaktoren in ihrem Wechselverhältnis zu bestimmen und ihren abhängigen bzw. unabhängigen
Charakter darin differenziert zu
unterscheiden, führen zu einem
nur bedingt tauglichen Erklärungsansatz. Mit dieser Kritik soll
also der Ansatz der HeitmeyerSchule nicht gänzlich verworfen
werden: Er erklärt das Aufkommen von Bindungsverlust, Individualisierung, Orientierungslosigkeit und Unmut, gesellschaftliche Phänomene, die zu rechtsextremen Orientierungen bei Jugendlichen führen können, aber
nicht müssen. Es gibt, worauf
Heitmeyer selbst hinweist, „weDies dürfte das entscheidende
der Zwangsläufigkeiten noch
Defizit sein. So kann denn auch
vollständig offene Verlaufslininicht das Aufkommen rechtsexen der politischen Sozialisation"
tremer Tendenzen in nicht-kapi(Heitmeyer u.a. 1992, 601). Von
talistischen Gesellschaften erklärt
stisch erhöht" (Helmut Willems
u.a. 1993, Fremdenfeindliche
Gewalt. Einstellungen, Täter,
Konflikteskalation, Opladen
247). Auch in diesem Fall kann
also ein deutliches Spannungsverhältnis von Heitmeyers Theorie zur Empirie (seiner eigenen
eingeschlossen) festgestellt werden.
Trotz der zunächst überzeugend
anmutenden argumentativen Geschlossenheit dieser Theorie ist
aber auch Kritik methodischer
und theoretischer Art angebracht,
undzwarinmehrfacherHinsicht:
Zum einen erklären die Forscher
nicht die Akzeptanz für instrumentalisierende Sozialbeziehungen, sondern setzen sie als selbstverständlich voraus. Zweitens ist
die Hinwendung zu Ideololgieelementen der extremen Rechten
in einer als krisenhaft und widersprüchlich empfundenen gesellschaftlichen Entwicklung kein
natürlicher Prozeß, sondern abhängig von anderen Faktoren, die
diese besondere politische Orientierung erklären. Drittens ignoriert die Theorie jene Rahmenbedingungen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft auch befreiend und emanzipierend wirken
können, etwa hinsichtlich Individualisierung. Und viertens sieht
der Ansatz gesellschaftliche Faktoren einseitig auf der sozialen
Ebene; derBereich der politischen
Kultur wird zwar gestreift, aber
nicht ausreichend in die Theorie
einbezogen.
daher sollten noch andere, offenbar auch entscheidendere Faktoren für Rechtsextremismus bei
jungen Menschen in ein komplexes Ursachenbündel für dieses
Phänomen integriert werden. Der
Hinweis auf Vorgaben aus der
politischen Kultur könnte hier
weiterführen.
Armin Pfahl-Traughber, Köln
CQ
Renate Rieger (Hrsg.):
Der Widerspenstigen
Lähmung?
Frauenprojekte zwischen
Autonomie und Anpassung.
Campus: Frankfurt 1993
Es geht um Bestandsaufnahme.
In dem von Renate Rieger herausgegebenen Sammelband, vom
Titel her an ein Stück von Shakespeare angelehnt, wird letztlich
die Frage behandelt, wie es mittlerweile um die Frauenbewegung
steht. Dabei konzentriert sich die
Analyse auf die institutionalisierten Ausläufer undBegleiterscheinungenderFrauenbewegungund
deren Dilemma: Frauenprojekte
zwischen Autonomie und Anpassung. Denn zuviel Autonomie
hinterläßt Chaos, zuviel Anpassung Absorption. Das 'Drama'
nimmt seinen Lauf.
In drei Abschnitten, eingeleitet
durch ein kritisches Vorwort, wird
unter verschiedenen Aspekten
nachgeforscht, auf welche mehr
als 10-jährige Geschichte die
'Frauenprojektebewegung' zurückblicken kann, welche Erfol-
100
ge sie vorzuweisen hat und mit
welchen Problemen sie kämpft.
Dabei ist unüberhörbar, daß eine
gewisse Resignation sich verbreitet hat, da die Hoffnungen, die
frau anfangs hatte, sich überwiegend nicht erfüllt haben.
Drei Problemfelder lassen sich
ausmachen: Einmal sind es
schlichtweg die Folgen von Institutionalisierung: Organisation hat
ihren Preis! Das ist nichts neues.
Weiter geht es um das prekäre
Selbstverständnis der Frauenbewegung, die in Abgrenzung vom
'Mann' als Feindbild ihre eigene
Identität bestimmt hat: 'Tritt die
Differenz zurück, geht die Identität verloren' - ein rein epistemologisches Problem, so scheint es,
mit dem nicht nur die Frauenbewegung zu kämpfen hat. Schließlich ist es eine normative Komponenteinder Ideologie der Frauenbewegung, die ihr zu schaffen
macht: Sind Frauen tatsächlich
bessere Menschen? Zumindest in
diesem Band wird dieser Selbsteinschätzung widersprochen, da
das Scheitern der Frauenbewegung auch in ihrem Selbstverständnis nicht unmaßgeblich darauf zurückzuführen sei, daß sich
die Frauen in ihren Ansprüchen
an sich selbst überschätzt und
deshalb überfordert hätten.
Natürlich hängen diese drei Problemfelder eng miteinander zusammen und überscheiden sich
teilweise sogar. So handelt es sich
- ob in Gestalt von Selbstausbeutung, Kompetenzgerangel, Hierarchisierung, Karrieredenken
oder Abhängigkeit von öffentlichen Geldern - vor allem auch
deshalb um ein Institutionalisierungsproblem, mit dem sich die
Frauenbewegung - trotz unleug-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
barer Erfolge-konfrontiert sieht,
weil sich die Erwartung, den Anspruch auf Autonomie, Fairness
und Gleichberechtigung gerade
in Frauenprojekten - ungetrübt
durch patriarchalische Strukturen
- ungehindert umsetzen zu können, nicht erfüllt hat. Alltag ist:
„Entwertung und 'Kleinhalten'
von Mitarbeiterinnen; keine Unterstützung für ein Wachsen und
Weiterkommen, für den Erfolg
der anderen; wenig Anerkennungspraxis; ein durch hinterhältige Tricks und psychische Mechanismen funktionierendes Ausbeutungsverhältnis."(Jung 1993:
35) Von daher setzt Enttäuschung
ein, Zweifel melden sich an:
„Wenn jetzt öffentlich der besondere Führungsstil von Frauen proklamiert und scheinbar wertgeschätzt und gefördert wird, dann
müssen wir uns fragen, inwieweit in Wahrheit ein Mythos befördert wird." (ebd.) Das macht
es aberschwer, daran zu glauben,
„daß Frauen die besseren Menschen sein sollen." (Buckwar/
Schild 1993: 141) Unklar bleibt
freilich, ob es sich hierbei um
Selbstironie handelt oder einen
Lerneffekt.
1994
trotzdem noch gewahrt werden
kann: „Wenn der gemeinsame
Feind, der die vorhandenen Differenzen geglättet hat, wegfällt oder die gegnerische Beziehung
porös wird (was bei den Frauen
eher der Fall ist) - dann treten die
Unterschiede in den eigenen Reihen deutlicher zu Tage." (ebd.)
Geht aber der bewegungseigene
Integrationsmechanismus durch
Abgrenzung nach außen verloren, nimmt die innere Differenzierung zu. Nunmehr wird die
„Anerkennung von Differenzierungen" (29) zum Problem, wo
zuvor noch Ablehnung einer Differenz die eigene Identität dominierte, nämlich jener Differenz,
wie sie vom Mann gegenüber der
Frau vorgegeben wird: So nicht aber wie dann?
Paradox ist, daß Dissens scheinbar mehr Einheit schafft als Konsens. Das vorübergehende Abdunkeln von internen Meinungsverschiedenheiten angesichts eines gemeinsamen äußeren Feindes einigt und solidarisiert; kollektiv geteiltes Negationspotential hat extrem positive Wirkungen. Zerfällt die Außenreferenz,
wird der innere Bezugspunkt proSchwerwiegender noch als diese blematisch: Wie läßt sich 'FrauDiskrepanz zwischen Ansprach sein' definieren, wenn das Frauund Wirklichkeit wirkt sich das enbild der Männer verworfen
Identitätsproblem aus: „Entschei- wird? Was zeichnet die Einheit
dener Faktor der anfänglichen der Frauenbewegung aus, über
Kollektivität war die Abgrenzung die Ablehnung von Männern hinzu dem Mann. War es vielleicht aus? Was sind Frauen noch, auvorwiegend diese Polarisierung ßer daß sie anders sind als Mänzum anderen Geschlecht, die die ner? Dabei stellt sich auch diese
Verbindung unter den Frauen Problematik als Dilemma dar. So
herstellte?" (Jung 1993:28) Soll- ist zu fragen: Wie kommt Identite dem aber so sein, stellt sich tät ohne Differenz zustande, nämunverzüglich die Frage, wie die lich ohne die Dominanz der (exIdentität der Frauenbewegung ternen) Differenz zum Mann?
auch ohne Differenz zum 'Mann' Zugleich gilt aber auch: Wie
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
kommt Identität trotz Differenz
zustande, nämlich trotz der (internen) Differenz, die auch Frauen zueinander nicht leugnen können?
Betrachtet man dergestalt die Probleme der Frauenbewegung mit
sich selbst, wird es schwierig,
von einer „spezifischen weiblichen Autonomieproblematik"
(Jung 1993: 33) zu sprechen.
Denn das prekäre Verhältnis von
Identitätsbestimmung durch Differenzerfahrung gilt weder nur
für die Frauenbewegung noch nur
für soziale Bewegungen, sondern
generell: Identität schlechthin, auf
welche Systemreferenz auch immer bezogen, stellt sich nur in
Differenz zu anderem ein. Geht
diese aber verloren, tut jene sich
schwer. Insofern wäre vielleicht
zu wünschen, daß „das eigentlich
Tabubrechende der neuen Frauenbewegung" (Jung 1993: 27) in
einer reflektierteren Haltung zu
sich selbst besteht, die sie verstärkt von ihrer Selbstevaluation
als 'bessere Menschen' distanziert und in ein neues Verhältnis
zu sich und ihrer Umwelt setzt,
um sie davor zu bewahren, Opfer
ihrer eigenen Ansprache zu werden.
1994
Karl Bruckmeier /
Gerda Haufe:
101
Bürgerbewegungen von ihrer Entstehungsgeschichte bis zu ihrer
Marginalisierung im Prozeß der
Die
deutschen Einheit zu bemühen.
Bürgerbewegungen in
Nicht zuletzt durch die Einbezieder DDR und in den
hung einiger Akteure aus der Bürostdeutschen Ländern. gerbewegungsszene in den Kreis
der Autoren, die in einer KombiWestdeutscher Verlag 1993
nation aus Bericht und Bewertung ihre eigenen Erfahrungen
reflektieren, gewinnt das Buch
In einer Zeit geschichtlicher und an Profil. Gleichzeitig haben die
medialer „Beschleunigung", in Herausgeber nach meinem Einder Zeitungen und Verlage mit druck aber nicht ausreichend die
ihren Produkten immer schneller Chance genutzt, die Beiträge der
auf aktuelle Ereignisse reagieren, Bewegungsakteure im Sinne eiist es das unvermeidbare Schick- nerkritischen Reflexion der eigesal vieler Bücher, die mit einem nen Einschätzungen gegenzulegewissen zeitlichenNachlaufsich sen. Gerade der Vergleich zwiauf schon historisch gewordene schen den Beiträgen von Karl
Entwicklungen beziehen, daß Bruckmeier („Die Vorgeschichüber ihren Gegenstand an ande- te und Entstehung der Bürgerberer Stelle fast alles schon einmal wegungen", „Die Bürgerbeweso oder doch so ähnlich gesagt gungen der DDR im Herbst
worden ist. Nicht anders ergeht 1989") und von Gerda Haufe
es dem von Gerda Haufe und („Die Bürgerbewegungen im Jahr
Karl Bruckmeier 1993 herausge- 1990") mit den aus Akteurssicht
gebenen Buch über 'Die Bürger- geschriebenen Beiträgen von
bewegungen in der DDR und in Gerd Poppe, Friedrich Schoriemden ostdeutschen Ländern', das mer, Gislinde Schwarz und Carlo
aus einem Projekt an der Berliner Jordan enthält einige WiderFachhochschule für Verwaltung sprüchlichkeiten, die nicht aufund Rechtspflege hervorgegan- geklärt werden.
gen ist. Der unschätzbare Vorteil In seinem Beitrag über die EntSollte sich bei der Lektüre dieses „verspäteter", weil wissenschaft- stehungsgeschichte der DDR-OpBuches dieser Eindruck einstel- lich aufbereiteter Bücher gegen- position geht Bruckmeier z. B.
len, wäre ein 'Happy-End' nicht über den oberflächlichen Schnell- davon aus, daß „die historischen
ausgeschlossen, ohne größeres schüssen vieler Buchprodukte der Besonderheiten im Fall der DDR
Blutvergießen nach Shake- ersten Stunden liegt aber in den [darin] liegen", daß die protestanspeare'scher Manier. Von daher Möglichkeiten einer gründlichen tische Kultur „als 'zweite Kultur'
bietet der Sammelband von Re- analytischen Durchdringung und neben der marxistisch-leninistinate Rieger einen höchst auf- theoretischen Reflexion des Ge- schen Staatskultur [...] sich mit
schlußreichen Einblick in eine genstands. Vor diesem Hinter- einer Intellektuellenkultur verzentrale Problematik der neueren grund ist es das Verdienst des band, die ein einigendes Band
vorliegenden Buches, sich in ins- der sozialen Träger der opposiFrauenbewegung.
gesamt sieben Beiträgen um eine tionellen Gruppen war." (S. 20)
Kai-Uwe Hellmann, Berlin
differenzierte und authentische Liest man dazu in Paranthese den
Darstellung der Entwicklung der Beitrag von Gerd Poppe über die
m
102
„Entwicklung des grenzüberschreitenden Dialogs", so ergibt
sich in bezug auf die Rolle der
DDR-Intellektuellen genau das
Gegenteil: „Anders als in Polen,
Ungarn oder der CSSR, wo sich
von den kritischen Intellektuellen inspirierte und getragene gesellschaftliche Parallelstrukturen
entwickelten, wo durch 'fliegende' Universitäten', Samisdat-Veröffentlichungen u.a. das Informationsmonopol wenigstens ansatzweise durchbrochen wurde,
blieb hierzulande der größte Teil
der Intellektuellen den neu entstandenenBasisgruppen fern." (S.
206) Aufgrund der mittlerweile
zu diesem Thema vorliegenden
Literatur (vgl. u.a. Antonia Grunenberg, Antifaschismus - ein
Mythos in Deutschland, rororo
aktuell) spricht vieles für die von
Poppe vorgetragene These, daß
„die historische Besonderheit"
der Oppositionsentwicklung in
der DDR darin lag, daß es - vor
dem Hintergrund der Machtverkopplung der Intellektuellen mit
dem SED-Regime und ihres antifaschistischen Loyalitätsdenkens
- gerade nicht zu einem Bündnis
zwischen sozialethischen Basisgruppen und Intellektuellen gekommen ist.
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Elemente weisen auf einige fundamentale Unterschiede z.B. zu
den Neuen Sozialen Bewegungen des Westens hin. Die Herausgeber haben erklärtermaßen
und klugerweise darauf verzichtet, voreilig das Raster westlicher
sozial wissenschaftlicher Theoriebildung auf die Entstehung und
Bedeutung der DDR-Gruppen zu
übertragen, aber ich denke, es
hätte sich der Versuch gelohnt,
auf Grundlage der Akteursbeiträge und der schon vorliegenden
Untersuchungen über die ostdeutschen Bürgerbewegungen einige
theoretische Überlegungen über
ihre Besonderheiten im Vergleich
zu westlichen Gruppierungen anzustellen und thesenartig vorzutragen.
Zuweilen vermißt man bei den
Herausgebern die notwendige
Distanz zu dem Objekt ihrer Beschreibung, z.B. wenn sehr stark
wertende Äußerungen die vorgetragenen Einschätzungen bestimmen. So heißt es u.a. in Gerda
Haufes Beitrag: „Hier sei darauf
hingewiesen, daß mit der Gründung des Bündnis 90 am 3. Oktober 1991 sich die Bürgerbewegungen zu dieser auch organisatorisch starken Alternative gegenüber den Parteien herausgebildet
In Poppes Beitrag erfährt man haben. Inwieweit sich damit beauch Erhellendes über die Denk- reits eine 'Partei neuen Typs' im
strukturen der wenigen nicht- Sinne von Bewegungspartei zu
kirchlichen Oppositionsgruppen formieren beginnt, kann zum jetin der DDR und über ihren An- zigen Zeitpunkt noch nicht besatz der civil society: Ost- antwortet werden." (S.142) NaEuropadialog, Erfahrung mit der türlich ist es für den Rezensenten
Wirklichkeit einer totalitären immer einfacher, vom Wissen um
Staatsdiktatur, Überwindung des den Fortgang der Geschichte her
blockorientierten Status-quo- eine derartige Einschätzung nachDenkens und des Links-Rechts- träglich in Frage zu stellen, aber
Schemas, Abschied von holisti- auch zum Zeitpunkt der Abfasschen Ideologiebildungen. Diese sung dieser Aussage konnte man
1994
wohl kaum davon sprechen, daß
die Bürgerbewegungen sich organisatorisch zu einer „starken"
(!) Alternative gegenüber den
Parteien herausgebildet hatten.
Wie an anderer Stelle des Buches
richtig beschrieben, machten sich
zu diesem Zeitpunkt vielmehr
bereits organisatorische Zerfallserscheinungen bemerkbar. Auch
in den Ausführungen GerdaHaufes über die Bedeutung und Rolle
des Runden Tisches finden sich
problematische Einschätzungen,
die - aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet - auf
eine zu starke Identifikation mit
den Bürgerbewegungen hinweisen und angesichts der dazu vorliegenden Literatur stärker hätten
hinterfragt werden müssen. In
bezug auf eine unkritische Überhöhung und Verallgemeinerung
des Modells Runder Tisch hat
Thaysen bereits zu recht darauf
hingewiesen, daß „an den Runden Tischen [...] Politik unter
Vorbehalten und Bedingungen
stattfand], die für entwickelte Demokratien nicht zutreffen, auch
nicht hinzunehmen sind". Insofern waren die Runden Tische
seiner Meinung nach „Institutionen der Transformation mehr oder
minder geschlossener politischer
Systeme zu offenen Gesellschaften". Sie sicherten gewissermaßen einen geordneten Machtwechsel in einer Zeit, in der es
noch keine demokratisch legitimierte Volksvertretung und Regierung gab. Nach meinen Eindruck vernachlässigt eine zu positive Bewertung des Modells
Runder Tisch, wie sie aus verständlichen Sympathiegründen
für die Anliegen der Bürgerbewegung aus dem Beitrag von
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994
Gerda Haufe herausklingt, die losigkeit, den die allgemeine Lage
Tatsache, daß sich in diesem bisher gemachthatte, jedochnicht
Modell auch die Sehnsucht nach mehr eindeutig negativ bewertet,
einer Interessenhomogenität wi- sondern als Chance, aus starren,
derspiegelt, die sich dem Zugriff vorgegebenen Denkmustern ausparlamentarisch und gesellschaft- zubrechen und so Phänomene, die
lich auszutragender Interessen- in den bisherigen Interpretationsgegensätze in einer pluralisti- schemata keinen Platz fanden,
schen demokratischen Gesell- mitaufnehmen zu können. Dazu
schaft zu entziehen versucht. D.h. gehört, die momentane Situation
der Stellenwert sogenannter ba- als instabil und sich schnell versisdemokratischer Entschei- ändernd zu empfinden, was zur
dungsfindung in einer komple- Folge hat, daß sie als Epochenxen und institutionell verästelten umbruch gedeutet wird. Auf dies
Industriegesellschaft wird zu alles wollen die Zeitschriften reawenig thematisiert.
gieren, um „deutliche Akzente"
Diese kritischen Anmerkungen zu setzen.
sollen gleichwohl die Verdienste In dieser Reihe ist ein Band erdes Buches nicht schmälern. Es schienen mit Aufsätzen Axel
ergänzt und bestätigt zum Teil Honneths, die entstanden sind für
bereits vorliegenden Analysen zur die Kolumne 'Soziologie' im
Geschichte und Bedeutung ost- Merkur. Leider haben sich weder
deutscher Bürgerbewegungen Verlag noch Autor bei der Zuund ist nicht zuletzt aufgrund der sammenstellung die Mühe geAkteursbeiträge und des ausge- macht, das Erscheinungsdatum
v. ählten Dokumentenanhangs mit anzugeben, was interessant
eine wichtige Erkenntnisquelle und informativ für den Leser gefür die weitere Forschung.
wesen wäre.
Der Titel 'Desintegration' deutet
Lothar Probst, Bremen
das doppelte Programm an, sowohl auf den Zustand der soziologischen Zeitdiagnose als auch
auf den objektiven Zustand der
Gesellschaft selbst hinweisen zu
wollen. Im Vorwort wird annonAxel Honneth:
ciert, daß es in diesem Band darDesintegration
um ginge, das theoretische Unternehmen der Zeitdiagnose kriBruchstücke einer soziolotisch zu beleuchten. Der Zeitdiagischen Zeitdiagnose
gnose, die in permanent neuen
Fischer: Frankfurt/Main 1994
Formeln versucht, die veränderten Charakterzüge der GesellIm Fischer Verlag erscheint un- schaft auf einen Begriff zu brinter dem Titel Zeitschriften eine gen, der auch noch möglichst
Reihe, die zu aktuellen Tenden- pointiert und originell sein soll,
zen in Politik und Ökonomie wird Skepsis entgegengebracht.
Auskunft geben will. Dabei wird Das beruht zum einen auf empirider Eindruck der Orientierungs- schen Einseitigkeiten, zum ande-
103
ren auf der Unstimmigkeit der
theoretischen Mittel. Diese Kritik ist zwar ein wichtiges Thema
des Buches, als präzise These aber
zu knapp formuliert und wird
deshalb nicht allen Themen gerecht. Zudem sitzt Honneth - zumindest im Vorwort, bei dem es
sich vorrangig um Honneths eigene Position und nicht eine Kritik anderer handelt - tendentiell
selber dem auf, was er an Zeitdiagnosen kritisiert: Auf der Jagd
nach der pointierten Formulierung das Ziel aus den Augen zu
verlieren. In den einzelnen Artikeln entfällt dieser Eindruck jedoch wieder.
Hält man sich simpel an den Titel, wird der gemeinsame Bezugspunkt der Artikel deutlicher. Es
geht um die Individualisierungsschübe, die in den letzten
Jahren in der Gesellschaft stattfanden und zu denen der Zerfall
lebenswel tl icher Bindungen oder
eines institutionellen Rahmens
gehört. So werden - ausgehend
von einer Betrachtung der Postmoderne im ersten Drittel des
Buches - zeitdiagnostische Modelle behandelt. Die Postmoderne, die als Kategorie problematisch ist wegen ihrer Diftüsität,
aber beachtenswert wegen ihrer
Suggestivkraft, wird von Honneth in einer ideologiekritischen
Perspektive behandelt. Der zeitdiagnostische Gehalt der Kategorie der Postmoderne, der den
Zustand wachsender Orientierungslosigkeit des einzelnen Subjekts beschreibt als kulturelle Erosion und individuellen Authentizitätsverlust, wird bezogen auf
ihr normatives Bezugssystem. Es
handelt sich um einen an Nietzsche orientierten Subjektbegriff,
GÜIII]
der den durch Verlust der Bindungen möglichen Individualisierungsschub affirmativ als Erweiterung der Freiheit begreift. In
keinem weiteren Artikel wird
Honneth einer Position gegenüber so ablehnend wie in dem
über die Postmoderne. Er beruft
sich in seinem Zweifel daran, daß
mit dem fehlenden institutionellen Rahmen die Entwicklungsmöglichkeiten der Subjekte größer werden können, auf Hegel. In
dessen Formulierung der Anerkennung wird deutlich, daß die
normative Zustimmung anderer
konstitutiv ist für die Identitätsbildung. Die Chance, die in der
Pluralisierung von individuellen
Lebensstilen liegt, kann nicht
genutzt werden, weil ihr „jeder
soziale Rückhalt in einer nachwachsenden Form von Sittlichkeit" fehlt.
Worin die Probleme des postmoderen Theoriegebäudes liegen,
wird in den Artikeln, die das Buch
beschließen, deutlicher. Hier werden empirische Forschungen zu
den Veränderungen in den familiären Strukturen und der sich
mehr und mehr ausbreitenden
Armut vorgestellt. Besonders im
Fall des Strukturwandels der Familie, einem Prozeß, den jeder in
seiner direkten Umgebung erleben kann, wird die Pluralisierung
von Lebensstilen als Verlust erlebt. Neben den Einstellungsveränderungen gegenüber den kulturellen Normen, die die Sphäre
des privaten Lebens bisher regelten, gibt es auch noch die von
außen einwirkenden Ursachen.
Die eigene Lebenswelt muß neu
organisiert werden, weil die Erhaltung alter Strukturen aufgrund
fehlender materieller Basis und
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Schwierigkeiten in Partnerschaften nicht mehr möglich ist. In
Reaktion auf feministische Ideen
und schlichte Überforderung sind
es vor allem Frauen aus den unteren Sozialschichten, die neue Formen der Lebensführung hervorbringen. Wie die Emanzipierungsschübe vonstatten gehen,
wird in der Erklärung, die die
soziale Notlage miteinbezieht,
plausibler. Auch die Untersuchung zur Wiederkehr der Armut
zeigt jene Seite, auf der Individualisierung nur noch Isolierung
bedeutet. Die Komponente des
Schmerzes und des Verlustes, die
in dem asymmetrischen Verhältnis liegt, in das man zur Gesellschaft gerät, wird in den schwungvollen nietzscheanischen Ordnungszertrümmerungen nicht
beachtet. Wie allerdings die Ausbildung einer posttraditionalen
Form von Sittlichkeit aussehen
soll, wird von Honneth nicht ausgeführt.
Das Ignorieren einzelner Phänomene scheint aber nicht ein spezielles Problem der Postmoderne
zu sein, sondern ein allgemeines
der Zeitdiagnose. Auch die Zeitdiagnosen von Beck und Schulze, die für die gesellschaftlichen
Veränderungen die Schlagworte
Risiko- und Erlebnisgesellschaft
gefunden haben, kranken an dem
Wunsch, alles auf einen Begriff
bringen zu wollen.
Nach Honneth führt der Verzicht
aufkategorialeDifferenzierungen
Zwischenindividualisierung, PrivatisierungundAutonomisierung
bei Ulrich Beck (Risikogesellschaft) zugunsten der Ausrichtung auf die Individualisierungsthese dazu, daß ein so vielschichtiges Geschehen nicht mehr ad-
1994
äquat soziologisch diagnostiziert
werden kann. Diese Schwäche
beginnt schon bei der Verarbeitung der empirischen Daten und
gipfelt in einer mangelnden Begriffsdifferenzierung.
Gerhard Schulze dagegen wird in
der Besprechung der 'Erlebnisgesellschaft' von Honneth eine
sowohl empirisch als auch kategorial präzise Arbeit bescheinigt.
Schulzes These vom Wandel der
Gesellschaft zu einer der Wahlmöglichkeiten, in der man seine
Gruppenzugehörigkeit über eine
Kategorie wie Erlebnis bestimmt,
ist Honneth zufolge jedoch zu
stark in die Richtung der freien
Wahl gerückt. Es stellt sich die
Frage, ob die empirische Basis
nicht doch zu schmal ist; zu erinnern wäre an die schon erwähnte
Wiederkehr der Armut, die in den
Kategorien einer Erlebnisgesellschaft nicht unterzubringen ist.
Dazu kommt eine mangelnde historische Bearbeitung des Themenkomplexes, wie die Besprechung einer die Traditionen des
Hedonismus untersuchende Studie zeigt.
In allen Artikeln des Buches, ob
an dieser Stelle angesprochen
oder nicht, fällt angenehm der
Mut zur Differenziertheit auf, der
auch bedeutet, daß die Griffigkeit einer als Schlagwort leicht in
allen Köpfen haftenden These entfällt. Darüberhinaus bieten sie
einen Einstieg in aktuelle soziologische Debatten über Probleme und Formen der Individualisierung und der gesellschaftlichen
Entwicklung. Erwartet man jedoch tiefere Einsichten oder Honneths eigenes Konzept, sollte man
besser die besprochenen Texte
selbst oder sein 1992 erschiene-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
nes Buch 'Der Kampf um Anerkennung' heranziehen, in dem die
hier nur thetisch formulierte Position der Identitätsbildung qua
Anerkennung ausgeführt wird.
Als Orientierungshilfe oder aber
als kurzer Überblick für Themen,
für die man sich interessiert, ist
die Textsammlung sehr nützlich.
Petra Ziech, Berlin
ca
Lutz Wingert:
Gemeinsinn und Moral
Grundzüge einer
intersubjektivistischen
Moralkonzeption
Suhrkamp: Frankfurt/Main 1993,
336 S.
In der gegenwärtigen moralphilosophischen Debatte nimmt die
Habermas'scheDiskursethikeine
wichtige Position ein. Aus ihrem
Umkreis kommt das Buch von
Lutz Wingert, das die Habermas'sche Position um einige
wichtige Punkte ergänzt, ihr in
der Grundstruktur aber beipflichtet.
Die ersten Unterscheidungen, die
Wingert in seinem Buch trifft,
beziehen sich auf die Differenz
von moralisch und ethisch. Unter
Moral versteht Wingert im Anschluß an Kant ein Ensemble von
Normen, die das soziale Zusammenleben regeln und zwar so,
daß damit Personen zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen kategorisch und wechselseitig verpflichtet werden. Die Moral soll eingebettet sein in die
Infrakstruktur sozialerBeziehun-
1994
gen. Ethik dagegen befaßt sich
mit Fragen des guten Lebens, die
sichjeweils nur 'mir' stellen, während die Moral von einem 'wir'
ausgeht. Hier stellt sich die Frage, ob diese Trennung zwischen
„Regeln des sozialen Zusammenlebens" und „Regeln der persönlichen Lebensführung" (13) so
durchführbar ist. Wingert nimmt
dabei ein Subjektivierung des
ethisch Guten vor, in dem Sinne,
daß es in ethischen Fragen nur
um ein gelingendes praktisches
Selbstverhältnis geht, während
moralische Fragen 'uns' betreffen und irreduzibel intersubjektiv sind. Die Differenz von Ethik
undMoral wird also auf den grammatischen Unterschied von 'ich'
und 'wir' abgebildet. Die Differenz von Ethik und Moral betrifft
vor allem den Begründungsaufwand, der bei moralischen Fragen höher ist und damit zusammenhängend die Differenz zwischen universeller und partikularerGeltung. Ethische Fragen aber
sind nicht reduzierbar auf die
Perspektive der 1. Person Singular, es sind Fragen, die sich einer
Gemeinschaft stellen. Warum
aber soll Intersubjektivität nur für
moralische und nicht auch für
ethische Fragen gelten?
Wingert geht nun bei der näheren
Bestimmung dessen, worum es
bei moralischen Fragen geht, so
vor, daß er negativ bei moralischen Problemen ansetzt und diese in einer 'Phänomenologie des
Moralbewußtseins' beschreibt.
Moralische Probleme sind „Störungen eines Einverständnisses
über die Legitimität von Moralnormen" (48), die er dann in drei
Erscheinungsformen des Moralbewußtsein - Sprache, Gefühle
105
und Handlungen — untersucht.
Ziel der Phänomenologie ist zu
zeigen, daß das Moralbewußtsein
eingebettet ist in eine moralische
Welt. Diese Gemeinsamkeiten
der moralischen Welt, und das
hängt mit Wingerts formalem und
eigentümlichem Begriff der moralischen Gemeinschaft zusammen, führen auf den formalen
Begriff des Angehörigen, der insgesamt in dem Buch unklar bleibt.
Gemeinschaft bleibt ein dünner
Begriff und wird verstanden als
kommunikative Lebensform. Am
Kapitel über moralische Gefühle
wird insgesamt deutlich, daß
Wingert einer kognitivistischen
Moralauffassung verpflichtet ist:
das Affektive wird weitgehend
zurückgedrängt und die Rolle der
moralischen Gefühle scheint unterbelichtet.
Wingert geht von der Grundthese
aus, daß Moral nur intersubjektiv
zu denken ist. Im zweiten, dem
wichtigsten und besten Kapitel
des Buches behandelt Wingert
den Standpunkt der Moral, von
dem aus moralische Urteile gefällt werden können. Mit diesem
Standpunkt ist so etwas intendiert wie eine formale Instanz,
die gegenüber den unterschiedlichen und spezifischen Moralauffassungen nicht nur formal bleibt,
sondern diese auch in einen kohärenten Zusammenhang bringt
und die Beurteilungskriterien für
spezifische Moralnormen enthält.
Wingert geht dabei so vor, daß er
ex negativo von sechs Formen
moralischer Verletzung ausgeht,
denen positiv zwei Formen des
moralischen Respekts entsprechen. Voraussetzung dafür, daß
die Individuen überhaupt moralisch verletzt werden können, ist,
106
daß sie eine kommunikative Lebensform teilen. Aus dieser Lebensformergeben sich zwei Quellen moralischer Verletzung: einmal die Mißachtung des Individuums als unvertretbar Einzelnem, zum anderen die Mißachtung als Angehöriger einer Gemeinschaft. Das eine Mal geht es
darum, daß das Individuum sein
eigenes Leben zu leben hat, das
andere Mal, daß es angewiesen
ist auf soziale Interaktion und ein
responsives Verhalten in einer
Gemeinschaft.
Der nächste Schritt Wingerts besteht nun darin, zu zeigen, daß
diesen beiden Quellen moralischer Verletzung zwei miteinander verschränkte Grundformen
des moralischen Respekts entsprechen. Es ist einmal der Respekt gegenüber dem Individuum als unvertretbar Einzelnem
und zum anderen der Respekt
gegnüber dem Individuum als
gleichberechtigtem Angehörigen
einer Gemeinschaft. Diese beiden Respektformen definieren
den moralischen Standpunkt, insofern als wir durch ihn eine bestimmte Haltung einnehmen. Die
Verschränkung ist so zu verstehen, daß der Respekt das Individuum in der subjektiven Perspektive des Einzelnen wie auch als
Angehörigen einer Gemeinschaft
gleichrangig betrifft. Es wird
deutlich, daß Wingert hier die
Moral als Gerechtigkeit definiert
und in Anlehnung an Habermas
die beiden Formen des Respekts
mit dem Prinzip der Gerechtigkeit und dem Prinzip der Solidarität identifiziert.
Für Wingert ist nun wichtig zu
zeigen, daß diese beiden Respektformen sich nicht inhaltlich be-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
stimmen, sondern strukturell in
der Kommunikation derinteragierenden Subjekte angelegt sind;
daß sie diese Formen, wenn sie
kommunizieren wollen, anwenden müssen, ob sie wollen oder
nicht.
Im dritten Teil des Buches beschäftigt sich Wingert mit Fragen der Begründung moralischer
Urteile. Ziel ist nicht Letztbegründung. Vielmehrsoll imSinneder
kognitivistischen Perspektive
gezeigt werden, daß die Moral
des uneingeschränkten zweifachen Respekts allen anderen Lösungen moralischer Probleme
überlegen ist. Gezeigt wird diese
komparative Überlegenheit der
Moral des zweifachen Respekts
in der Operationalisierung des
moralischen Standpunkts im Diskurs. Nun zeigt sich aber, daß die
Diskursregeln - die die Richtigkeit des gebildeten Urteils sicherstellen sollen - bereits etwas enthalten, was in die Prämissen des
moralischen Standpunkts eingegangen ist. Hier trifft Tugendhats
Kritik an der Diskursethik, wonach Egalität vorausgesetzt wird
und man sich nicht wundern muß,
wenn das Ergebnis des Dikurses
dann eine universalistische Moral ist. Die Begründung eines moralischen Urteils im Diskurs bedeutet, daß einem moralischen
Urteil zugestimmt werden kann,
und zwar von allen. Dies hat zur
Folge, daß moralische Urteile
universell und allgemeingültig
sein müssen. Hierin unterscheidet sich Wingert von Vertretern,
die der Vernunft eine zentrale
Rolle zugestehen wollen. 'Alle'
meint in diesem Zusammenhang
alle moralisch verletzbaren und
zu Verletzungen fähigen Subjek-
1994
te. Doch letztlich muß Wingert
Antwort auf die motivationale
Frage geben, warum man sich an
diese Moral halten muß. Die
Überlegenheit dieser Moral des
zweifachen Respekts erweist sich
als epistemische, d.h. ihre normativen Erwartungen können
vernünftigerweise nicht zurückgewiesen werden. Daß diese Art
der epistemischen Begründung
nicht überzeugend ist, gesteht
Wingert im letzten Kapitel ein,
denn die „Prinzipien dieses Respekts sind etwas, was als Gegenstand eines faktischen Konsenses der Begründung vorausgesetzt ist und deshalb nicht ihrerseits begründet werden kann."
(295)
Wingerts Buch ist zweifellos eine
Konzeption einer universalistischen Moral minimaler Prinzipien, in der der Begriff des Gemeinsinns ebenfalls minimalistisch zurechtgestutzt wird auf
Sinnverstehen von sprachlichen
Ausdrücken. Die Frage ist berechtigt, ob dann bereits von Gemeinsinn gesprochen werden
kann, wenn Kommunikationsteilnehmer die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verstehen. Fraglich ist ebenfalls, ob neben dem
Gemeinsinn ein dünner Begriff
von Gemeinschaft tauglich ist.
Von dieser Perspektive aus werden dann Gemeinsinn und Gemeinschaft so problematisiert,
daß Gemeinschaft nur noch als
strukturell offene zu verstehen
ist. Problematisch scheint auch
der Begriff der Solidarität zu sein,
den Wingert auf die 2. Form des
Respekts reduziert; sie dient als
Korrekti v der ersten Respektform,
die er als Prinzip der Gerechtigkeit faßt. Insofern bleiben nach
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Lektüre dieses Buches auch Fragen noch offen.
Rudolf Speth, Berlin
to
Helmut Dubiel:
Ungewißheit und
Politik
Suhrkamp: Frankfurt/Main 1994,
247 S.
Fragen der Demokratietheorie
und der soziokulturellen und soziomoralischen Grundlagen einer
demokratischen politischen Kultur stehen im Zentrum des Sammelbandes, in dem Helmut Dubiel zahlreiche zuvor bereits (v.a.
im 'Merkur' und der 'Sozialen
Welt') publizierte Essays versammelt hat (über 'Linke Trauerarbeit', den 'nachliberalen Sozialcharakter', 'Zivilreligion', 'Populismus' und 'Fundamentalismus'). Für den B and neu geschrieben wurden Beiträge Uber die
'Metamorphosen der Zivilgesellschaft' ('Selbstbegrenzung und
reflexive Modernisierung' und
'Das ethische Minimum der Demokratie') sowie eine Auseinandersetzung mit der politischen
Theorie Hannah Arendts. Die
Beiträge können insgesamt als
Vertiefung und präzisierende
Kommentierang der Überlegungen verstanden werden, die Dubiel zusammen mit Ulrich Rödel
und Günter Frankenberg 1989 in
dem Essay 'Die demokratische
Frage' vorgelegt hat. Die radikale Selbstbezüglichkeit eines demokratischen Projektes der
Selbstregierung unter den Bedingungen einer von allen transzen-
1994
denten Legitimationsbezügen abgeschnittenen säkularen Moderne ist dort im Anschluß an Marcel Gauchet und Claude Lefort
der Ausgangspunkt der politischtheoretischen Reflexionen.
In den Essays des vorliegenden
Sammelbandes nimmt Dubiel
diese Überlegung von verschiedenen Seiten wieder auf. In seiner Auseinandersetzung mit der
politischen Theorie Hannah
Arendts erläutert er seine Konzeption von öffentlicher Freiheit
als der institutionellen Voraussetzung einer sich nur noch innerweltlich legitimierenden politischen Selbsteinwirkung von
Gesellschaften. Auf der Grundlage liberaler 'negativer' Abwehrrechte und ihrer Ausdehnung zu
allgemeinen Menschenrechten
nehmen die republikanischen 'positiven' Freiheiten, die vor allem
in politischen Kommunikationsrechten institutionalisiert sind,
eine Schlüsselposition für das
demokratische Projekt der
'Selbstregierang' ein. Die „Institutionen, politisch-kulturellen
Praktiken und Rechtsprinzipien,
in deren öffentlicher Betätigung
sich die Integrität eines politischen Gemeinwesens erhält und
eine die Zeiten überdauernde
Gestalt annimmt" (56), bilden die
Voraussetzungen eines inklusiven Konzepts der Öffentlichkeit
als einem „'sachlich','sozial'und
'zeitlich' unabgeschlossene(n)
Raum, in dem sich die Konflikte
der Bürger über die Regelungen
ihrer gemeinsamen Angelegenheiten vollziehen." (64)
Die Legitimationsgrundlagen
demokratischer Gesellschaften,
so Dubiel in seinem Beitrag Uber
das 'ethische Minimum der De-
mokratie', erneuern sich nach
dem Wegfall traditioneller Orientierungsgewißheiten einzig
über das Medium des politischen
Konflikts, in dem sich kollektive
Identität, verstanden als „symbolische(r) Bezug personaler oder
sozialer Subjekte auf das Ganze
der Gesellschaft", nur noch im
schwachen Sinne des „Bewußtseins eines geteilten gesellschaftlichen Raumes herausbildet"
(115).DieBeiträge über Populismus und Fundamentalismus analysieren „weltweite Reaktionsbildungen auf eine Politik der Ungewißheit" (10) und verdeutlichen die Attraktivität kollektiver
Sinnstiftungsangebote, die sich
der Riskanz konfliktärer Identitätsbildung zu entziehen trachten.
Die Ungewißheit der Politik, so
Dubiels postmarxistischer Rückblick auf die zerfallenen Gewißheiten der Linken, zwingt auch
zu einer illusionslosen Verabschiedung von Geschichtsphilosophie, Fortschrittsoptimismus
und der Utopie des revolutionären System« andels kapitalistischerGesellschaften. Zurreformpolitischen Suche nach Möglichkeiten eines strukturellen Umbaus
der Gesellschaft mittels demokratischer Willensbildung und
rechtsstaatlicher Verfahren gibt
es keine Alternative. Diese Suche ist überdies nicht immer erfolgreich und muß auch Rückschläge aushalten. Die Linke, so
Dubiel, müsse sich derzeit eingestehen, daß sie nicht Uber tragfähige Alternativen im Bereich wirtschaftspolitischer Ordnungskonzepte verfügt. Der ernüchterte
Realismus, mit dem Dubiel die
Grenzen politischer Reformpoli-
tik beschreibt, ist verbunden mit
der Anerkennung der Konsequenzen, die sich aus der Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme
in komplexen modernen Gesellschaften ergeben. Die spezifischen Funktionslogiken der Teilsysteme begrenzen die Möglichkeiten staatlicher Steuerung und
stellen ein hierarchisches Modell
politisch-staatlicher Selbsteinwirkung der Gesellschaft in Frage.
Die Reforminitiative geht unter
diesen Umständen in vielen politischen Teilbereichen auf gesellschaftliche Akteure über, deren
Einflußnahme auf die gesellschaftlichen Teilsysteme freilich
nur noch im Modus der 'Selbstbeschränkung' als einer 'zivilisierenden Modernisierungskontrolle' angemessen gedacht werden kann. So wachsen die Rationalitätszumutungen gegenüber
den gesellschaftlichen Akteuren.
Die Orientierung der 'Selbstbeschränkung' zeichnet jene nichtstaatlichen Akteure aus, die die
„Macht des Staates und der kapitalistischen Ökonomie, des Wissenschaftssystems zwar 'eindämmen', 'begrenzen', 'zivilisieren'
und 'humanisieren', aber nicht
abschaffen wollen" (102).
Liberal-demokratische Systeme
drohen jedoch, sich von Prozessen demokratischer Einflußnahme abzuschließen und deren Bedingungen auszutrocknen. „In der
politischen Aphatie der Bürger in
elitendemokratischen Systemen,
in der undemokratischen B innenverfassung der Parteien und Interessenverbände, in der asymmetrischen Repräsentanz von
Gruppeninteressen, in der korporativen Abdichtung der öffentlichen Sphäre etc. ist die Gefahr
der autoritären Entgleisung der
liberalen Demokratie immer vorhanden." (96) Die frühe Pluralismustheorie hatte diese Gefahr
mittels einer impliziten Kongruenzannahme von normativen Ansprüchen und Realität westlicher
liberaler Demokratien ausgeblendet. Das von Dubiel verfochtene
Konzept der Zivilgesellschaft ist
sich demgegenüber der Gefahr
einer autoritären Entwicklung der
liberalen Demokratie stets bewußt. Es bietet aus seiner S icht nach dem Wegfall der utopischen
Systemalternative des Sozialismus - das einzige normative Konzept, mit dessen Hilfe der w eitere
Demokratisierungsprozeß liberaler Demokratien auf dem Wege
immanenter Kritik vorangetrieben werden kann. Dubiel sieht in
den nichtstaatlichen Formen kollektiven Handelns, für die die Zivilgesellschaft nureinen unscharfen soziologischen Sammelbegriffabgibt, ein reformpolitisches
Potential (101 f.) und in ihren
„Kommunikationspraktiken,
Diskursrituale(n) und öffentlichen Arenen" eine unverzichtbare „reflexive Kapazität" (97) der
Gesellschaft.
tien bewegt sich dabei auf einem
schmalen Grad, von dem aus ein
Absturz in den Autoritarismus
jederzeit ebenso möglich scheint
wie ein regressiver Rückzug in
den Schutz populistischer Führung und fundamentalistischer
Orientierungsgewißheiten. Das
erforderliche orientierangsgewisse Gleichgewicht für den Balanceakt vor den Abgründen der
Ungewißheit, als welcher das politische Projekt demokratischer
Selbstregierung beschrieben werden kann, stellt sich alleine noch
in der öffentlichen Kommunikation über das legitime politische
Handeln ein und bezieht sich auf
die paradoxe Figur einer politischen Konfliktgemeinschaft, deren normative Integration sich
einzig aus den institutionalisierten Chancen demokratischer Partizipation ergibt.
Der politische und soziologische
Hintergrund bietet freilich wenig
Ansatzpunkte für das demokratische Projekt. 'Demokratieverdrossenheit', Formen 'ziviler
Desertion' und eine 'politische
Kultur der Segregation' werden
von Dubiel ebenso eingeräumt
wie eine ernüchterte Bilanz der
Der Gesamteindruck, der sich bei neuen sozialen Bewegungen:
der Lektüre der im übrigen glän- „Zwar gab es in den westlichen
zend und informiert geschriebe- Gesellschaften der achtziger Jahnen Essays einstellt, bleibt gleich- re massive und militante öffentliwohl ambivalent. Die Unaus- che Infragestellungen einer techweichlichkeit politischer Selbst- nokratischen Modernisierungseinwirkung der Gesellschaft stößt politik, besonders in den Bereian strukturelle Grenzen, die die chen der Energie- und MilitärpoAnsprüche an die Rationalität sich litik. Aber die demokratische und
selbst begrenzender politischer wirtschaftliche Kernverfassung
Akteure nach oben schrauben. Die des Spätkapitalimus wurde durch
normativ verfolgte Konzeption diese Kritik der 'Neuen Sozialen
demokratischer Selbstregierung Bewegungen' nicht ernsthaft beund einer weitergehenden Demo- rührt. Man kann vielmehr annehkratisierung liberaler Demokra- men, daß der Kapitalismus und
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
das Repräsentativsystem aus den
Kämpfen der achtziger Jahre eher
noch gestärkt hervorgingen." (85)
Die von Dubiel eindrucksvoll
beschriebene Aufzehrung traditioneller Orientierungsgewißheiten in der kulturellen Moderne
bietet regressiven Deutungsangeboten ein offenes Feld. Der wohlfahrtsstaatliche Interventionismus einer 'politischen Gesellschaft' begrenzt die Möglichkeiten nichtstaatlichen kollektiven
Handelns. Die Krise wohlfahrtsstaatlicher Regulierung hat bislang vor allem den Einfluß neokonservativer Lösungsstrategien
gestärkt.
So mag es eine zwangsläufige
Konsequenz sein, daß Dubiel sich
auf das normative Terrain zurückzieht, auf dem sich kontrafaktisch die Priorität demokratischer
Selbstregierung, die Erfordernisse einer ungeteilten Gewährleistung von Bürger- undMenschenrechten und die Garantie der öffentlichen Sphäre durch Menschen- und Bürgerrechte begründen lassen (94). Seine Zeitdiagnose stützt sich - hier nur in
Nuancen von Habermas unterscheidbar - vor allem auf die
rechtlich-institutionellen Bedingungen der Möglichkeit der Realisierung des demokratischen Projekts (mit seinen Eckwerten demokratischer Inklusion, nichtstrategischer öffentlicher Debatten,
verwirklichter Chancengleichheit, gesicherter politischer Kommunikationsfreiheiten und ausgeprägter innerparteiliche Demokratie (206f.). Das politisch-soziologische Potential dieser normativ angeleiteten Zeitdiagnose
wird so allerdings prekär. Es
scheint beinahe so, als ob das
1994
Pathos unvermeidlicher Ungewißheit, das den alternativlosen
Prozeß politischer Selbsteinwirkung der Gesellschaft begleitet,
die letzte denkbare Schwundstufe des utopischen 'Prinzip(s)
Hoffnung' darstellt, auf die sich
das demokratische Projekt gesellschaftlicher Selbsteinwirkung
heute noch stützen kann.
Ansgar Klein, Berlin
CQ
Harald Rein/Wolfgang
Scherer:
Erwerbslosigkeit und
politischer Protest. Zur
Neubewertung von
Erwerbslosenprotest
und der Einwirkung
sozialer Arbeit
(Europäische Hochschulschriften; Reihe 22, Soziologie; Bd.
250) Peter Lang, Frankfurt/Main
u. a. 1993
Einen nicht eingelösten Anspruch
stellt die von Joachim Hirsch betreute Frankfurter Dissertation
von Harald Rein und Wolfgang
Scherer dar. Die im Untertitel der
Arbeit angesprochene Neubewertung von Erwerbslosenprotest
sowie der sozialen Arbeit mit
Erwerbslosen bleibt für den Leser kaum nachvollziehbar.
Das Buch besteht aus vier Kapiteln. Im Anschluß an die Entfaltung derBegriffe „Erwerbslosenprotest" und „Erwerbslosenbewegung" wird ein Teil der wissenschaftlichen Diskusson Uber Arbeitslosenarbeit referiert und an-
109
satzweise diskutiert. Sodann wird
- verantwortet von Wolfgang
Scherer - der Zusammenhang
sozialer Arbeit mit der Erwerbslosigkeit analysiert. Beschrieben
werden verschiedene Arbeitsfelder, in denen professionelle soziale Arbeiter mit Arbeitslosen
konfrontiert werden. Dargestellt
werden auch die Handlungsfelder, in denen professionelle Arbeitslosenarbeit stattfindet. Für
sich genommen, bietet dieses
Kapitel eine informative Zusammenfassung.
Es folgt ein Referat über die Erwerslosenbewegung in der Geschichte sowie eine Interpretation verbreiteter gesellschaftlicher
Rückzugsstrategien Dauerarbeitsloser als „stummer Protest".
Daß es den Autoren nicht gelingt,
die annoncierte „Neubewertung
von Erwerbslosenprotest" zu leisten, ist auf eine Reihe von Defiziten zurückzuführen, deren Häufung die Annahme des Textes als
Dissertation sowie die Aufnahme in das Programm eines wissenschaftlichen Verlages erstaunlich erscheinen lassen.
Zu bemängeln ist zunächst, daß
ein 1992 abgeschlossenes, 1993
erschienenes Buch zu 'Erwerbslosigkeit und politischem Protest'
trotz gegenteiliger Behauptung
der Autoren nicht auf die Situation in den neuen Bundesländern
eingeht, obwohl zu Arbeitslosigkeit und Armut oder zur Arbeit
des Arbeitslosenverbandes
Deutschland in der ehemaligen
DDR eine Reihe von Publikationen vorliegen. Daß die zur Bewertung des Protestpotentials
Arbeitsloser sicher wichtigen
Aktivitäten gewerkschaftlicher
Arbeitslosengruppen sowie die
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit kaum berücksichtigt werden, schränkt die Relevanz der
Arbeit weiter ein.
Gravierender noch ist das Fehlen
eines das Buch strukturierenden
theoretischen und/oder methodologischen Konzeptes, einhergehend mit der Nichtberücksichtigung wichtiger vorliegender Literatur zum Thema, etwa der
grundlegenden Arbeiten von
Hans-Georg Wolf (1990/91). Wo
die Autoren sich auf eigene bereits 1988 an anderer Stelle veröffentlichte - empirische Ergebnisse berufen, sind zum einen die
Bezüge zur Thematik der Arbeit
nicht deutlich - nach politischem
Protest wurde bei der Befragung
von Arbeitslosenprojekten nicht
gefragt -, zum anderen wurde
eine überzeugende Evaluierung
des Fragebogens nicht vorgenommen, so daß die Antworten teilweise nicht valide ausfielen.
Wegen dieser und weiterer Desiderate erscheint der Text weitgehend als beliebige Ansammlung
von Literaturberichten, bei denen Rein/Schererzwar eine „Neuinterpretation" vornehmen wollen, diese aber kaum irgendwo
erkennbar wird.
führen.
Wenig überzeugend ist auch die
Behandlung der - in der Literatur
ausführlich, zuletzt mit der materialreichen Dissertation von RoseMarie Huber-Koller abgehandelten - Erwerbslosenbewegung in
der Weimarer Republik. Warum
Rein/Scherer, wie sie schreiben,
mit diesemhistorischen Abschnitt
„einen bewußten Bruch der Darstellung in Kauf" nehmen (S. 61),
wird nicht begründet und ist auch
aus dem Text nicht erkennbar.
Die im Titel angekündigte „Neubewertung" des-begrifflich nicht
nachvollziehbar erfaßten - Erw erbslosenprotestes erfolgt lediglich voluntaristisch insofern, als
Rückzugs- und materielle Überlebensstrategien Arbeitsloser in
individuellen Protest umgedeutet werden. „Unsere Thesen basieren auf jahrelangem Erfahrungswissen in der Beratungsarbeit eines Erwerbslosenzentrums
und auf dem wenigen, unverfänglichen Material zu dieser These.
Es beinhaltet zu vermutende,
wahrscheinlich in größerem Maßstab vorhandene Verweigerungsund Absagereaktionen, die durchaus als Widerstandsformen gekennzeichnet werden können."
(S. 254)
1994
Apostolidou, Natascha:
Die neue
Frauenbewegung in
der Bundesrepublik
und Griechenland.
Eine vergleichende Studie.
Helmer 1994, 300 S.
Worin die Ursprünge der Bewegung im Ländervergleich lagen,
worin sich ihre Entstehungsbedingungen unterschieden und
welche Organisationsformen jeweils entwickelt wurden, untersucht diese erste ausführliche vergleichende Studie einer Griechin,
die in Deutschland lebt. Natascha
Apostolidou dokumentiert damit
zugleich ein Stück Zeitgeschichte beider Länder: die kapitalistische Gesellschaft nach dem Kriege, die sie anhand des 'Fordismus'-Ansatzes theoretisch erschließt. Im dritten Teil gewährt
das Buch einen vielschichtigen
Einblick in die Veränderungen
der Lebens- und Arbeitsformen
Eine kritischere Distanz zur eige- der Frauen.
nen selektiven Wahrnehmung
sowie die Berücksichtigung der
CQ
empirischen Feststellung, daß die
Arbeitslosenprojekte lediglich Betz, Hans-Georg:
von einer kleinen Minderheit von
Radical Right-Wing
Arbeitslosigkeit Betroffener aufgesucht werden, ist aus solcher Populism and Western
Europe.
Begründung nicht erkennbar.
Ihrem eigenen Anspruch nach
setzen sich die Autoren weiter
mit dem mainstream der sozialpsychologischen Arbeitslosenforschung auseinander, dem sie
Psychologisierung und Pathologisierung der Arbeitslosigkeit attestieren. Kritik an diesbezüglich
allzu generalisierenden Tendenzen in der Literatur äußerte auch
der Rezensent gelegentlich; Rein/
Friedhelm Wolski-Prenger, Herz- Macmillan: Hampshire 1994
Scherer freilich negieren die vorlake
liegenden Forschungsresultate,
ohne für ihre Kritik Belege anzuCQ
One of the most important recent
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
developments in Western Europe
has been the rise and rapid spread
of radical right-wing parties. Crucial to this transformation in West
European politics has been the
political climate of the 1980s,
which was marked by disenchantement with the major social and
political institutions andprofound
distrust in their workings, the
weakening and decompo.sition of
electoral alignments, and
increased political fragmentation
and electoral volatility. This has
put party Systems in the region
under heavy pressure from a radical populist right. Distancing
themselves from the reactionary
politics of the traditional extremist right, these parties have become the most significant challenge to the established structure
and politics of West European
democracy today.
£Q
Björgo, Tore/Witte,
Rob:
Racist Violence in
Europe.
Macmillan: Hampshire 1994
All over Europe, asylum-seekers,
immigrats and minorities are
increasingly finding themselves
under violent attack. Who are the
perpetrators? What are their motives? To what extent are rightwing or neo-Nazi organizations
involved? How do the authorities
and the police respond? What are
the roles of the media, the public
opinion and anti-racist movements? What can be done to stop
the violence? These are questi-
111
1994
ons addressed in this volume by
some of Europe'sleadingexperts
on racism and racist violence.
CO
Einhorn, Barbara /
Kaldor, Mary / Kavan,
Zdenek (Ed.):
Hall, John A.:
Civil Society.
Theory, History and
Comparison.
Polity Press: Cambridge 1994,
280pp
The banner of 'Civil Society' has
been raised in recent years by
social movements, in East Asia
and Latin America quite as much
as in Eastern Europe, seeking to
push their societies from authoriMacmillan: Hampshire 1994
ties to democracy. The popularity of the concept is, however,
European integration, the collapse
almost inversely related to its claof State socialism and the relative
rity. Therefore the prime task of
decline of social democracy have
this volume is to better define
left only two dominant European
what is meant by civil society,
ideologies: nationalism and the
not least so that the extent of its
free market. In this book a distinusefulness descriptively rather
guished group of scholars argue
than merely prescriptively can be
that ademocratically reconstrucestablished. To that end, analysis
ted Europe requires a new apis comparative and historical
proach centred around a concept
quite as much as theoretical. Parof citizenship which is neither
ticular attention is paid to the
individualistic nor ethnically barelations between civil society and
sed. The authors proposes the
other social forces, most notably
development of a well structured
to nationalism and to populism.
and pluralistic civic society which
encourages activecitizenship and
ea
a definition of democratic citizenship which can be related to
different types and levels of soci- Holthusen, B. /
al activity.
Jänecke, M.:
Citzenship and
Democratic Control in
Contemporary Europe.
CQ
Rechtsextremismus in
Berlin.
Aktuelle Erscheinungsformen, Ursachen, Gegenmaßnahmen.
Schüren: Marburg 1994, 324 S.
Am Beispiel der Stadt Berlin untersuchen die Autoren das gesamte Spektrum rechtsextremer
[112
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEIT 4,
Denk- und Handlungsweisen, die
unterschiedliche Geschichte des
Rechtsextremismus in den beiden Stadthälften, das Ausmaß
rechsextremer Einstellungen und
die unterschiedlichen Erscheinungsformen vom Protestverhalten bis zu den Aktivitäten und
Verbindungen der rund 50 in
Berlin ansässigen rechtsextremen
Parteien und Organisationen.
ca
Jenkins, J . Craig /
Klandermans, Bert.
The politics of social
protest.
Comparative perspectives
on states and social
movements.
UCL: London 1994, 277pp
This introduction to social movements applies a critical understanding of the State to provide an
overview of the relationship between protest movements and the
formal political System. The authors examine why Citizens prefer the risky and demanding strategy of disruptive protest to other
Channels of political intervention. They analyze the link between protest and political representation, and the impact of the
structure and development of the
State on social movements themselves.
CQ
Kliment, Tibor:
1994
gangs für Protestbewegungen
herangezogen. Im Ergebnis zeigt
sich, daß Bewegungen in die
massenmediale AuseinandersetDeutungsmuster einer
zung eingreifen und diese zu ihWiderstandsbewegung
ren Gunsten beeinflussen könund öffentliche Rezeption.
nen. Dieses istjedoch als ein fragmentierter Prozeß zu beschreiDeutscher Universitäts Verlag:
ben, der sich nach den SubtheOpladen 1994, 506 S.
men des Issues den Protestakteuren und den Medien in unterDie Arbeit geht von der Frage schiedlichen Geschwindigkeiten
aus, unter welchen Bedingungen und Formen vollzieht, und allendie Anliegen nichtinstitutionali- falls partiell erfolgreich ist. Entsierter, kollektiver Akteure in den scheidend ist die Fähigkeit der
öffentlich anerkannten Problem- Bewegung, Bündnispartner zu
haushalt einer Gesellschaft ein- gewinnen. Ohne diese Unterstütgehen. Am Beispiel der Protest- zung sind ihre Anliegen gesellbewegung gegen atomare, groß- schaftsweit kaum zu kommunitechnische Wiederaufarbeitungs- zieren. Aus der Sicht der Beweanlagen wird gezeigt, wie sich gung istein solcher Erfolgjedoch
die Problemdefinitionen bei den zwiespältig.
Protagonisten des Widerstands
darstellen undwiesiesieim Zuge
CQ
ihrer öffentlichen Verbreitung
verändern. Die in der Protestbewegung vorfindlichen Risiko- List, Juliane:
wahrnehmungen und Deutungs- Studienführer
muster werden rekonstruiert und Ökologische
anschließend gefragt, in welcher Studiengänge.
Form diese den Weg in die Massenmedien finden. Dazu werden Deutscher Instituts-Verlag 1993,
umfangreiche Inhaltsanalysen der 318 S.
internen Veröffentlichungen der
Bewegung unternommen und mit Wenn integrierter Umweltschutz
Analysen der regionalen und in Unternehmen Wirklichkeit
überregionalen Presseberichter- werden soll, stellt sich die Frage,
stattung gekoppelt. In theoreti- wo eine entsprechende Ausbilscher Hinsicht wird auf Konzep- dung angeboten wird. Der Studitualisierungen über die Struktu- enführer Ökologische Studienren mobilisierungsfähiger Deu- gänge von Juliane List gibt hier
tungsmusterzurückgegriffen, Be- einen Überblick, der sichjedoch
stimmungen Uber die Semantik auf die Bereiche Technik und Navon Bewegungsprotest einge- turwissenschaften beschränktund
spielt, und kommunikationswis- Fachhochschulen sowie Pädagosenschaftliche Überlegungen zu gische Hochschulen unberückden Chancen, Risiken und den sichtigt läßt.
Konsequenzen des MedienzuKernkraftprotest und
Medienreaktionen.
CQ
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
Martell, Luke:
Ecology and Society.
An Introduction.
Polity Press: Cambridge 1994,
234pp
The book analyses ecological limits on, and effects of, industriaIism and economic growth. Martell evaluates forms of society
and politcs appropriate to substainability. The volume assesses
explanations for the development
of the green movement in recent
years. He shows how ecology both
revolutionizes and relies on traditions in political thought such
as conservatism, liberlism, socialism and feminism. He proposes
arealist perspective in rethinking
relations between society and
nature over approaches populär
in sociology and the green movement. The book concludes with
an assessment of the future of the
green movement.
CQ
Hans-Peter Müller,
Bernd Wegener:
Soziale Ungleichheit
und soziale
Gerechtigkeit.
Leske+Budrich: Opladen 1994,
240 S.
Die Soziologie hat ihr Interesse
in letzter Zeit auf Probleme sozialer Ungleichheit gerichtet. In
Anknüpfung an den theoretischen
Diskurs in der politischen Philosophie zwischen Liberalismus
(Rawls) und Kommunitarismus
1994
(Walzer) und die empirische Gerechtigkeitstradition in der Sozialpsychologie versucht die soziologische Gerechtigkeitsforschung
ihren Gerechtigkeitsbegriff zu
klären und die Komplexität des
Gegenstandes zu vermessen.
CQ
Herfried Münkler
(Hrsg.):
Politisches Denken im
20. Jahrhundert.
Lust an der Erkenntnis.
Landeszentrale für politische Bildung NRW 1994
Der Band vereint Schlüsseltexte
des politischen Denkens des 20.
Jahrhunderts. Präsentiert werden
zentrale Passagen aus den Werken M . Weber, C. Schmitt, J.
Habermas, N . Luhmann, J.
Schumpeter u.v.a. Die Texte sind
nach Themenbereichen wie Staat
und Gesellschaft, Diktatur, Parlamentarismus, Parteien und Opposition, Macht und Gewalt geordnet und fügen sich zu einem
Lese- und Studienbuch zu den
politischen Grundsatzfragen unserer Zeit zusammen.
CQ
Hiltrud Nassmacher,
Oskar Niedermayer,
Hellmut Wollmann
(Hrsg.):
Politische Strukturen
im Umbruch.
Akademie-Verlag 1994, 300 S.
Der Reader zum Transformationsprozeß der politischen Strukturen präsentiert erste Forschungsergebnisse der 'Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels
in den neuen Bundesländern'
(KSPW). Schwerpunkte sind soziopolitische Interessenvermittlung, Gebiets- und Funktionalreform, Kommunalverwaltung.
CQ
Pfahl-Traughber,
Armin:
Volkes Stimme?
Rechtspopulismus in
Europa.
Dietz: Berlin 1994, 192 S.
Ein Gespenst geht in Europa um,
das Gespenst des Rechtspopulismus. Im Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen (und
um Wählerstimmen) drängt sich
ein neuer Typus von Politikern
nach vorn: der gnadenlose Vereinfacher, der mit agitatorischer
Polemik, Maulheldentum und
kühl-kalkulierter Tabuverletzung
die schnellen falschen Lösungen
für komplexe gesellschaftliche
Problemlagen unters Volk streut.
114
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HHIT 4,
Der Autor hat den Populisten aufs
Maul und ihren Parteien in die
Programme geschaut. Vergleichend, analysierend und bewertend porträtiert er die bedeutendsten europäischen Parteien dieses Typs: den 'Front National'
(Frankreich), die 'Republikaner'
(Deutschland), die 'Lega Nord'
(Italien), den 'Vlams Block' (Belgien), die FPÖ (Österreich) und
die Frontmänner. Was Rechtspopulismus mit rechtsextremer Politik zu tun hat, welche Chancen
sich den rechten Verführern bieten und weshalb manche Länder
solche Parteien (noch) nicht kennen, sind weitere Themen dieses
fundierten, sachlichen Überblicks
über ein bislang kaum erforschtes Phänomen.
ca
Pollack, Detlef:
Politischer Protest Politische alternative
Gruppen in der DDR.
Leske+Budrich: Opladen 1994
Wie entsteht politischer Protest
in einer zwangshomogenisierten
Gesellschaft? Diese Frage wird
untersucht anhand des Aufkommenspolitisch alternativer Gruppierungen im Umfeld der evangelischen Kirchen in der DDR.
Dabei beachtet der hier vorgeschlagene Ansatz stärker die
DDR-spezifischen Voraussetzungen des Entstehens dieser Gruppen. Auf breiter empirischer
Grundlage werden die Geschichte der alternativen Gruppierungen, ihre Strukturtypik sowie die
Handlungsmotive und Einstellungen ihrer Mitglieder analysiert.
CQ
Richter, Emanuel:
1994
Sering, Kerstin:
Jugendliche im
Transformationsprozeß.
Wissenschaftszentrum Berlin
(P 94-103)
Die Expansion der
Herrschaft.
Gegenstand dieser Arbeit sind
zentrale Aspekte des Verlaufs der
Integration ostdeutscher Jugendlicher im Transformationsprozeß.
Leske+Budrich: Opladen 1994, Es wird einerseits der objektive
240 S.
Verlauf ihrer Eingliederung in die
neue Gesellschaft untersucht und
andererseits gefragt, wie JugendUm die demokratischen Herausliche die einschneidenden Verforderungen der Gegenwart zu
änderungen ihrer Lebens wel t subbegreifen, muß schärfer zwischen
jektiv wahrnehmen. Die Datendem räumlichen Ausmaß politibasis bilden im wesentlichen zwei
scher Herrschaft und ihrer KomUmfragen: die Shell-Jugendstuplexität, der zunehmenden Regedie von 1990 und das Sozio-ökolungsdichte im Sinne des wachnomische Panel. Die Ergebnisse
senden Zugriffs von Staat und
der Arbeit verdeutlichen, daß die
Verwaltung auf alle LebensbeEinstellungen und Orientierunreiche, unterschieden werden.
genostdeutscher Jugendlicher bis
Das Buch zeigt anhand einiger
1992 insgesamt ein großes HoffModelle aus der neuzeitlichen
nungspotential aufweisen, das für
Staatstheorie auf, wie diese uneine schnelle Integration in die
terschiedlichen Dimensionen der
neuen gesellschaftlichen StrukHerrschaft und ihrer Expansion
turen vorteilhaft sein könnte.
immer deutlicher erkannt, aber
noch viel zu wenig demokratietheoretisch durchdacht werden.
CQ
Anhand der europäischen Integration und der deutschen Wie- Twine, Fred:
dervereinigung zeichnet das Buch Citizenship and Social
die unterschätzte Expansion der Rights.
Herrschaft nach und entwickelt
Lösungsansätze für ihre demo- The Interdependence of
Seif and Society.
kratische Bewältigung.
Eine demokratietheoretische Studie.
Sage: London 1994
CQ
This broad-ranging text offerts a
comprehensive analysis of the
potential and limitations of the
idea of citizenship and its relevance to social problems and so-
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
cial policies in advanced societies. The author demonstrates that
two concepts are essential to an
understanding of the issue of citizenship: the socially embedded
nature of human agents, and their
interdependence with each other
and with the natural and social
worlds they inhabit. In contrast to
the glorification of a presumed
free-floating consumer, Twine
emphasizes the social nature of
individual needs and individual
rights. He shows that interdependence is not limited to the mutual
linkages within advanced and
developing nations, and to the
environmental contexts of human
existence.
1994
115
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1994
Wehling, Peer 1993: Postindustrialismus - eine ökologische
Utopie?, in: PROKLA 93, 664683
Wessel, K. F./Naumann, F./
Lehmann, M . (Hrsg.) 1994: Migration. Kleine Verlag
Wiesendahl, Elmar 1993: Parteien in der Krise. Mobilisierungsdefizite, Integrations- und Organisationsschwächen der Parteien
in Deutschland, in: Sowi, Jg. 22,
Heft 2, 77-87
123
Wolfsfeld, Gabi/Opp, Karl-Dieter/Dietz, Henry A./Green, Jerroid D. 1994: Dimensions of Political Action: A Cross-Cultural
Analysis, in: Social Science
Quarterly, Vol. 75, No. 1,98-114
Zapf, Wolfgang 1994: ZurTheorie der Transformationen, in:
BISS public, Heft 13, 1-10
1124
FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4,
1994
Thomas Ohlemacher: Painf ul episodes: Aigainst the discourse upon a right movement in
reunified Germany; FJ NSB 4/1994, pp. 16-25
Although xenophobe acts of violence were on the increase in reunited Germany in the beginning of the
nineties it would be wrong to suggest a steady movement from the right. The significant structures for such
a movement are non-existing: there are no large organizations, no public support, no unifying ideology,
not even a central mobilizing actor. Warnings from the social sciences against rightist phenomena could
be contraproductive: right activists might feel more important than they really are.
Werner Bergmann/Rainer Erb: Cadre party, movement, collective episodes or what eise? Problems
of thinking the modern right-wing extremism in terms of sociology; FJ NSB 4/1994, pp. 26-34
Following a systemtheoretical approach towards social movements (as reproducing and combining instances
of mobilizing events) the authors propose to analyseright-wingextremism asa social movement; the main issue
is immigration. This approach integrates methods of Organization sociology, of youth sociology, of research
on elections, on subcultures, on violence etc. Criticism of this approach is repudiated, because it is based upon
a normative idea of social movements, that is too rationalistic and too narrow to come to terms with reality.
Christoph Butterwegge: Murder attemps as youth protest - neo-Nazis as protest movement? Towards a
criticism of a model of explanation in the research on right-wing extremism; FJ NSB 4/1994, pp. 35-41
The author dismisses the idea of a new social movement from the extreme right. The discourse of the
scientific community as well as of the public use this term only in order to point at deficiencies and errors.
The concepts of „protest" and of „social movements" are outlined; it is emphasized that these terms do
not apply to the phenomena of extreme right-wing activism.
Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek: Social networks and group processes of East-Germany
youth - a Substrate for right mobilization?; FJ NSB 4/1994, pp. 42-53
The actions of right-wing, nationalistic and xenophobe groups are analysed in a threefold manner. With
the methods of youth and group sociology the inner structures are revised. Second, the possibilities and
limits of instrumentalizing youths by right-wing parties and groups are under investigation. Finally, the
extent of the establishment and stabilization of an infrastructure for radical right-wing politics are
analysed. The authors conclude that one should only talk of „initial stages" of a social movement.
Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder: The analysis of right extremism: Disintegration,
deprivation and other conceptual dilemmas; FJ NSB 4/1994, pp. 54-64
The authors point at the fact that there are still crucial desiderata of social and political science concerning
the analysis of right extremism, even if there are a bulk of publications on this topic. The approach of
„relative deprivation", brought about by Scheuch/Klingemann in 1967, is taken up again; the authors try
to develop this approach according to the current debate of the connection of right extremism with wellknown processes of general social disintegration.
Frank Nullmeier: Hannah Arendt: Movement and duration; FJ NSB 4/1994, pp. 65-75
The author sets out to discuss ARENDT's theory of totalitarian societies and their political movements in the
context of the current debate onrightextremism. ARENDT's political movements from the right are identified
by their „Weltanschauungen", not so much by their common interest. In totalitarian regimes, movements are
an end in themselves. The alternative of a free society, on the contrary, consists institutionalized, republican
movements that act in a sphere of publicrights.ARENDT' s analysis of mass society and its movements could
offer significant contributions tow ards an analysis of modern research on social movements, even if she did
not recognize the conflicts between institutions and movements. However, her ideaof republican elitism would
have to be transformed according to the democratic civil society of today.
Thema 11/94: Der Wechsel fand noch nicht statt
J ü r g e n Busche: Die verpaßte Chance
Die Neue
Gesellschaft
franHurter
Hefte
Hans-Martin Lohmann: Warum auch
>Kanzlerwechsel<?
Hubert Kleinert: Die Rückkehr der
GRÜNEN ins Hohe Haus
D
• 4 r . 11;
K a r l Starzacher: Alltagsdiskurse und
Reformmilieu
Weitere Beiträge u. a. von:
Robert Misik: Österreich in der Bredouille
Guntram von Schenck: Die Angst des
Westens vor dem Islam
SAID: Exil und Sprache des Verlusts
Thema 12/94: Kerneuropa
Gespräch mit K a r l Lamers • Peter Glotz: Selbstkritische Bemerkungen
zur Architektur Europas • Gilbert Ziebura: Der Anfang vom Ende
der Europäischen Union? • J ü r g e n Krönig: Großbritannien und
Europa - ein Trauerspiel
Weitere Beiträge u. a. von:
Ralf Sotschek: Freiheit f ü r Nordirland? • Hans Dieter Zimmermann:
Literaten im Ersten Weltkrieg • Thomas Rothschild: Roth, Babel und
Pilnjak
Neuerscheinungen zu aktuellen Themen
JUGEND-GEWALT
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Bemühungen um angemessene Ana-
Jugend-Gewalt
lysen und
Zwischen Erziehung, Kontrolle und
chend, weil wichtige Begriffe un-
Repression. Ein historischer Abriß
scharf benutzt und
1 9 9 4 . 1 6 8 S. Kart.
Zusammenhänge unterschätzt oder
D M 19,80/öS 155,-/SFr 19,80
gar nicht gesehen w e r d e n . Dieser
bleiben
Handlungsalternativen
jedoch vielfach unzureistrukturierende
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Band bietet einen Uberblick über
Vor allem Teile der männlichen Ju-
die
g e n d aus d e n unteren sozialen
Debatte.
Schichten stehen im
unübersichtlich
gewordene
Blickpunkt,
wenn von unterschiedlichen gewalt-
Anne Kathrin Flohr
förmigen Verhaltensweisen und ju-
Fremdenfeindlichkeit
gendlichen
Gruppierungsformen
die Rede ist. Phänomen- und jugendkulturgeschichtlich g a b es zu
Beginn dieses Jahrhunderts
eine
Biosoziale G r u n d l a g e n von
Ethnozentrismus
1 9 9 4 . 2 7 1 S . (Beiträge zur sozial-
Halbslarkendebatte, in der W e i -
wissenschaftlichen Forschung,
marer Republik die Diskussion um
B d . 124] Kart.
Banden, Cliquen und d i e verwahr-
DM 46,-/öS 359-/SFr 4 6 -
loste männliche Großstadtjugend,
ISBN
in den fünfziger Jahren eine kurze,
Entgegen allen Erwartungen zeigte
g e r a d e z u dramatische Auseinan-
sich nach dem Ende des Ost-West-
dersetzung um die
Gegensatzes eine kräftige W i e d e r -
Halbstarken.
3-531-12576-1
Diese drei Erscheinungsformen ju-
belebung von Ethnozentrismus. Uber
gendlicher G e w a l t werden mitzahl-
die Ursachen von Ethnozentrismus
reichen Quellenbezügen vorgestellt.
weiß die Wissenschaft aber noch
Der Band zeigt, w i e d i e jeweiligen
w e n i g . Aus der Perspektive Politi-
Jugendkulturen und Freizeitmilieus
scher Anthropologie leistet dieses
in der pädagogischen Literatur dar-
Buch einen beachtlichen
gestellt und w i e über sie diskutiert
zur Grundlagenforschung. Im Vor-
wurde.
dergrund steht d a b e i die Frage nach
Beitrag
den natürlichen W u r z e l n der ethnoHans-Gerd Jaschke
zentrischen Verhaltensneigung. D i e
Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit
se wird in ihrem Kern als Auswei-
Begriffe, Positionen, Praxisfelder
bens nach Gesamtfitness ist.
tung von Nepotismus bestimmt, der
selbst wiederum Ausdruck des Stre-
1 9 9 4 . 1 9 9 S. Kart.
DM22,-/öS
172,-/SFr 2 2 -
ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 6 7 9 - 2
Seit den Wahlerfolgen von Rechtsaußen-Parteien in Westeuropa und
dem Aufbrechen jugendlicher rechtsextremer G e w a l t wird in der politischen Öffentlichkeit und in den Sozialwissenschaften heftig über Ursachen und
Gegenmaßnahmen
diskutiert. Die teilweise hektischen
WESTDEUTSCHER
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OPLADEN • WIESBADEN
Terror und Extremismus
in Deutschland
Ursachen, Erscheinungsformen
Wege zur Überwindung
Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 42
174 S. 1994 (3-428-08027-0) DM 98,- / öS 765 - / sFr 9 8 Die deutsche Geschichte ist reich an Erfahrungen mit extremistischen Kräften.
Allein im 20. Jahrhundert hat das Land in der europäischen Mitte die Machtübernahme einer rechts- und einer linksextremen Bewegung erlebt. Schon
aus diesem Hintergrund erklärt sich die Aufmerksamkeit, die dem Phänomen
des politischen Extremismus von der Gründung der zweiten deutschen Demokratie an in der Öffentlichkeit zuteilgeworden ist.
Dies ist nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der Renaissance der extremen Rechten im besonderen Maße der Fall. Vor allem ausländische
Beobachter fragen besorgt, ob das Land, in dem sich der Zusammenbruch
des real existierenden Sozialismus als so folgenreich erwiesen hat, durch die
Annäherung seiner geopolitischen Situation an diejenige vor 1945 veranlaßt
werden könnte, sich nun wieder politischen Traditionen zuzuwenden, die
schon einmal in eine beispiellose Katastrophe geführt haben. Auch besonnene
Kommentatoren kommen um die Feststellung wachsender extremistischer
Potentiale nicht herum.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf eine Tagung zurück, die von
der Fachgruppe Politikwissenschaft der Gesellschaft für Deutschlandforschung im November 1992 an der Universität Bayreuth veranstaltet wurde.
Sowohl Praktiker des Verfassungsschutzes als auch Wissenschaftler kamen
dabei zu Wort. Bei der Auswahl der Themen wurde eine aktualistische Schwerpunktbildung bewußt vermieden.
WattfirJItffln
WSi'XLSSi
Medien und Kommunikation
Orfried Jarren (Hrsg.)
akttheorie, Systemtheorie und Kon-
Medien
und Journalismus 1
versationsanalyse reichen.
Hans A . Hartmann
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M o h l und G e r h a r d Vowe) Kart.
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Journalisten; hrsg. v. Stephan Ruß38-
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DIE BEOBACHTUNG V O N
Das Lehrbuch bietet eine allgemeine Einführung in Theorien, Ansätze,
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Publizistik-und Kommunikationswissenschaft sowie Orienlierungshilfen
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sind so aufgebaut, daß insbesondere Praktiker (z.B. Journalisten,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter)
sich Fachwissen auch im Selbststudium aneignen können.
KOMMUNIKATION
W o l f g a n g Ludwig Schneider
Die Beobachtung von
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Zur kommunikativen Konstruktion
sozialen Handelns
1 9 9 4 . 2 9 5 S. Kart.
D M 4 9 - / Ö S 382 - / S F r 4 9 ISBN 3-531-12642-3
BILDE RFLIFT
UND SPRACHMAGIE
IV
/
Rolf H a u b l (Hrsg.)
H a n d e l n wird üblicherweise als intentionales Verhalten verslanden.
O b w o h l damit von H a u s e aus individuell und psychisch konstituiert,
gelten Handlungen zugleich als Basiseinheiten des S o z i a l e n . In der
darin angezeigten, aber in der Regel
mißachteten Differenz z w i s c h e n
Handlung als Bewußtseinsleistung
und Handlung als sozial erzeugter
Einheit liegtderAusgangspunktdieser Untersuchung. Sie bildet den
Hintergrund für die Diskussion maßgeblicher Positionen, d i e von der
soziologischen und philosophischen
Handlungstheorie über d i e Kriterien der Zurechnung von Handlungen im Recht bis hin zur Sprech-
1 9 9 2 . 3 1 2 S . Kart.
D M 4 8 - / Ö S 375,-/SFr 4 8 ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 3 6 5 - 3
Die Konsumgüterwerbung hat sich
zu einem eigenständigen M a s s e n medium, genauer gesagt: zu einem Unterhallungsmedium für die
M a s s e n entwickelt. Die Unterhaltungsfunktion drängt d a b e i d i e absatzwirlschaftliche Funktion langsam
aber sicher in den Hintergrund.
Damit wird die Konsumgüterwerbung a b e r zu einem kulturschaffenden M e d i u m von verbaler, mehr
noch: von visueller Kultur. Sie schafft
Kultur, indem sie sich traditionelle
Motive aus Literatur und Kunst aneignet und diese ihrem vordringlichen Verwertungsinteresse gemäß
umgestaltet. DerartführtsieTraditionen, Sprach- und Sehgewohnheiten verfremdend und entfremdend
fort. Sozialwissenschaftlich ist es
von Interesse, diesen Umgestaltungsprozeß zu studieren, in dessen Verlauf Muster verbalen und visuellen
Erlebens sozialisiert w e r d e n . Von
dem Hintergrund dieser Diagnose
versammelt der B a n d 1 2 exemplarische Fallanalysen von W e r b e a n z e i g e n in Publikumszeitschriften.
WESTDEUTSCHER
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weiteren wichtigen Beitrag. N e ben grundlegenden Untersuchung e n , w e l c h e d i e Zusammenhänge
zwischen Bevölkerungsentwicklung
und Umweltbedingungen beschreiben und erklären, stehen vor allem
an wendungsbezogene Themen aus
Epidemiologie und Enlwicklungspolitik im Vordergrund.
Karl-Heinz Reuband
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Beitrag zur S o z i o l o g i e a b d e i c h e n -
den Verhaltens und damit auch zur
Grundfrage der S o z i o l o g i e , unter
welchen Bedingungen gesellschaftliche Konformität und A b w e i c h u n g
auftreten.
Reinhard Stockmann
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während der vergangenen z w a n z i g Jahre
verändert? W e l c h e s sind die Grundsätze
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