Die SPD nach der Wahl - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Die SPD nach der Wahl - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
FORSCHUNGSJOURNAL N S B . JG. 7. HEFT 4. 1994 HU Editorial tfj 2 Essay Albrecht Müller Die SPD nach der Wahl. Analytische Anmerkungen zum Ergebnis und zum Wahlkampf 10 Thomas Ohlemacher Schmerzhafte Episoden: Wider die Rede von einer rechten Bewegung im wiederveremigten Deutschland 16 Werner Bergmann/Rainer Erb Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was? Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen Rechtsextremismus 26 Christoph Butterwegge Mordanschläge als Jugendprotest - Neonazis als Protestbewegung? Zur Kritik an einem Deutungsmuster der Rechtsextremismusforschung 35 Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek Soziale Netzwerke und Gruppenprozesse Jugendlicher in Ostdeutschland ein Nährboden rechter Mobilisierung? 42 Wolfgang KowalskyAVolfgang Schroeder Rechtsextremismusforschung: Desintegration, Deprivation und andere begrifflich-theoretische Dilemmata 54 Zur Geschichte der Bewegungsforschung Frank Nullmeier Hannah Arendt: Bewegung und Dauer 65 Pulsschlag Analysen, Forschungsberichte, Tagungsrückblick 76 Treibgut Material, Infos 89 Bewegungsliteratur Armin Pfahl-Traughber Gesellschaftliche Desintegration und Individualisierung: Die Heitmeyer-Schule 93 Annotationen 110 Aktuelle Bibliographie Abstracts 115 124 lim FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Where are they ? Wo sind die neuen sozialen Bewegungen, wie sie vornehmlich Gegenstand der europäischen Bewegungsforschung der vergangenen 15 Jahre gewesen sind? In Folge des Bildes, das aufgrund der Mobilisierungserfolge 'der' neuen sozialen Bewegungen entstanden ist, kommt man - sofern nicht von Latenzphasen die Rede ist - kaum umhin, ihr nahezu völliges Verschwinden zu konstatieren. Denn was ist noch übrig von der manifesten Präsenz der Ökologie-, Dritte-Welt-, Friedens-, Anti-AKW- oder Frauenbewegung ? Sicher: Im Einzelfall lassen sich immer noch Beispiele anführen, etwa die Anti- 'Golfkrieg 'Demonstrationen oder der jüngste Widerstand gegen die Atommülltransporte. Insgesamt betrachtet, scheint es sich dabei jedoch um Ausnahmen von der Regel zu handeln. Verglichen mit früher, drängt sich daher der Eindruck auf, daß wir gegenwärtig - bezogen auf 'die' neuen sozialen Bewegungen - von einer 'Bewegungsgesellschaft' weiter weg sind als je zuvor.' Es ist fraglos stiller geworden um 'die'neuen sozialen Bewegungen. Bewegt sich in dieser Republik also gar nichts mehr? Mitnichten. Hält man nach Bewegungsphänomenen jüngeren Datums Ausschau, so bietet sich spätestens aufmerksam gemacht durch die Ereignisse in Rostock, Mölln, Solingen, Magdeburg usw. - selbst dem weniger aufmerksamen Auge am rechten Rand der Gesellschaft ein Bild ständiger Aktivitäten, das durchaus Anlaß gibt, zumindest von den Anfängen einer sozialen Bewegung von rechts zu sprechen. Umstritten ist gleichwohl, ob es sich dabei tatsächlich schon um eine neue soziale Bewegung handelt oder vielmehr nicht bloß um 'kollektive Episoden' ohne jeden Bewegungscharakter. Die Meinungen gehen hier auseinander. 1994 Mit Verve wird von wissenschaftlichen Begleitern der progressiven sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre gegen die Bezeichnung dieser Phänomene als soziale Bewegung allein schon deshalb optiert, weil man verhindern möchte, daß jene Jugendliche, die verantwortlich sind für Brandanschläge und Gewalttaten gegen Ausländer und Asylanten, das Gefühl bekommen, in ihrem Unwesen öffentlich noch aufgewertet und somit bestätigt zu werden. Eine Aufwertung durch Wissenschaft soll unterbleiben. Der normative bias dieses Arguments bedarf freilich der Erläuterung. Gerade in der deutschen Diskussion über 'die' neuen sozialen Bewegungen verbindet sich mit der Frage „Gibt es Bewegungen von rechts ? " eine bezeichnende Irritation, führt sie doch unter veränderten Vorzeichen zurück an die Ausgangsdiskussion über soziale Bewegungen Anfang der 60er Jahre. Zu dieser Zeit mußte sich jeder Versuch der Beschäftigung mit sozialen Bewegungen vom langen Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Konnotationen lösen, die den Bewegungsbegriff mit der Partei der Bewegung ' in Zusammenhang brachten. Seitdem schien der noch in den 60er Jahren wirksame Vorbehalt vor allem dadurch ausgeräumt, daß die neuen sozialen Bewegungen,die sich im Ausgang der Studentenbewegung in den westlichen Demokratien mehr oder weniger einflußreich zur Geltung brachten, in Zielorientierung, Selbstverständnis und normativer Ausrichtung insgesamt als demokratische Fortsetzung und Vertiefung des Projekts der Moderne gedeutet werden konnten. Freilich: Hier gab es auch zahlreiche Zweifel und Einwände, ob es sich nicht doch um ein antimodernes Phänomen handele, und sicherlich waren diese nicht immer unberechtigt. FORSCHUNGS JOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Dennoch konnte sich als Gesamtbewertung der Eindruck durchsetzen, daß 'die' neuen sozialen Bewegungen als kollektive Akteure gerade jene Themen im politischen Raum artikulierten, die einerseits im Kräftespiel der Interessenvermittlung keine durchsetzungsstarken Fürsprecher hatten, die andererseits zu einer Steigerung der Reflexivität der Moderne hinsichtlich der Verwerfungen und Folgeproblemen ihrer eigenen Fortschrittsdynamik beitrugen. Dieser Eindruck färbte im großen und ganzen die Diskussion über die neuen sozialen Bewegungen derart, daß sich die damit verbundenen normativen Wertungen dieser kollektiven sozialen Akteure gleichsam intern mit der Analyse ihrer Entwicklung im sozialen und politischen Raum verbanden. So scheint gerade die deutsche Bewegungsdiskussion durch die These dominiert, daß soziale Bewegungen einen demokratischen Charakter haben und einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der liberalen Elitendemokratie darstellen. 2 Die analytischen Fortschritte der internationalen Bewegungsforschung sind kaum zu bestreiten. Dabei ist der europäischen Bewegungsforschung vor allem der Austausch mit der weitgehend dem Rational Choice-Ansatz verhafteten amerikanischen Bewegungsforschung zugute gekommen. Bei der Angleichung von europäischem und US-amerikanischem Paradigma blieb jedoch der sich vertiefende Abstand zu den impliziten Annahmen, die in demokratietheoretisch-normativer Hinsicht an 'die' neuen sozialen Bewegungen geknüpft waren, weitgehend unbemerkt. Es besteht offenbar Diskussionsbedarf über das Verhältnis von deskriptiv-analytischer Bewegungsforschung und der Normativität ihrer Annahmen. 3 Deutlich wird dieses Problem insbesondere durch die Fragestellung des vorliegenden Themenheftes. Die Analyse sozialer und politischer Akteure des neuen Rechtsextremismus mit dem Instrumentarium der professionalisierten Bewegungsforschung scheint ebenso ertragreich wie notwendig. Zugleich aber wird die normative Kluft deutlich, die sich hinsichtlich inhaltlicher Ausrichtung und symbolischer Integration rechter Bewegungen - wenn es sich denn um solche handelt gegenüber den links-libertären Bewegungen der 70er und 80er Jahre und ihren institutionalisierten Fortsetzungen auftut. Dieses Problem dürfte innerhalb der künftigen Bewegungsdiskussion einen zentralen Stellenwert einnehmen. Vertieft werden sollte daher die Diskussion über das Selbstverständnis der Bewegungsforschung, das sich nicht allein aus einem etablierten Methodeninstrumentarium und einem Set analytischer Eingrenzungen ihres Gegenstandes ergibt. Vielmehr gewinnt die Frage nach der normativen Imprägnierung ihrer theoretischen Grundannahmen an Gewicht. Vor diesem Hintergrund ist es wenig hilfreich, wenn beide Dimensionen der Diskussion einfach gegeneinander ausgespielt werden. Zum einen sollte der Erkenntnis gewinn, den eine Analyse rechtextremistischer Entwicklungen mit Hilfe des Methoden- und Analyseinstrumentariums der Bewegungsforschung verspricht, mit wissenschaftlicher Nüchternheit bilanziert werden können, ohne daß der mit moralischer Entrüstung vorgetragene Verratsvorwurf im Räume steht. In der bloßen Identitätsbehauptung von normativen Ausrichtungen sozialer Bewegungsakteure — wie sie dem Verständnis 'der' neuen sozialen Bewegungen entspricht — mit der Sozialform der Bewegung schlechthin mag der Grund liegen, daß Entwicklungen am rechten Rand FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, der Gesellschaft die Bezeichnung als soziale Bewegung vorenthalten werden soll. Aus der Perspektive der Verfechter eines solchen Gebrauchs des Bewegungsbegriffs scheint es, als ob es sich um einen genuin links-libertären Begriff von sozialer Bewegung handelt, der sich allein an diesem Bewegungstyp orientiert und dafür gleichsam reserviert ist. Die Möglichkeit rechts-autoritärer Bewegungen fiele aus diesem Begriffsverständnis dann definitorisch heraus, und es würden all die wichtigen Anschluß]ragen verpaßt, die sich aus der Anerkennung ihrer möglicherweise anhaltenden oder gar wachsenden Bedeutung einstellen. Zu diesen Anschlußfragen gehört nicht zuletzt auch die nach der Dynamik von Bewegung und Gegenbewegung in einem ausdifferenzierten Bewegungssektor. 4 Gegenüber einer derart normativ argumentierenden Verweigerungshaltung wird aber auch analytisch behauptet, daß das Phänomen selbst - gemessen an geläufigen Definitionen des Begriffs sozialer Bewegung - es nicht rechtfertigt, von einer neuen sozialen Bewegung von rechts zu sprechen, da es die Kriterien nicht zu erfüllen vermag, die das gestatten würden. Zieht man jedoch gerade die Definition Joachim Raschkes heran, wonach es sich bei einer sozialen Bewegung (1) um einen mobilisierenden kollektiven Akteur handelt, der (2) mit einer gewissen Kontinuität (3) auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und (4) geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen (5) das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen, so gibt es durchaus Indizien dafür, von einer neuen sozialen Bewegung von rechts zu sprechen. 5 1994 Zieht man die Möglichkeit in Betracht, daß sich diese neue soziale Bewegung von rechts noch im Anfangsstadium befindet, stellt sich (1) die Frage, inwieweit es zulässig erscheint, von einem mobilisierenden kollektiven Akteur zu sprechen. Verglichen mit 'den'neuen sozialen Bewegungen in ihrer Hochzeit bringt diese Bewegung (noch) relativ wenige Aktive auf die Straße, was auf ein geringes Mobilisierungspotential zu verweisen scheint. Aber wie ging es denn mit 'den' neuen sozialen Bewegungen los? Sicherlich handelte es sich bei ihnen nicht schon zu Anfang um Zehntausende, die zur Verfügung standen; das ist mit den Jahren gewachsen. Möglicherweise verzeichnet aber auch eine rechte Bewegung 'in the beginning' bei einer vergleichbar günstigen 'political opportunity structure' ähnliche Wachstumsraten wie 'die' neuen sozialen Bewegungen gegen Ende der 70er Jahre. Zudem ist 'kollektiv' bei Raschke nicht näher bestimmt; es müssen somit nicht erst 500.000 Menschen auf der Straße sein, um von einer sozialen Bewegung zu sprechen. 6 Was (2) den Aspekt der Dauer betrifft, so sprechen die seit Anfang der 90er Jahre anhaltenden Aktivitäten - Gewalttaten, Aufmärsche etc. - durchaus für eine gewisse Kontinuität, mit nachweisbaren, intern gekoppelten 'cycles of protest', ohne daß absehbar wäre, wann und weshalb Schluß damit sein sollte. Hinsichtlich der symbolischen Integration ist (3) festzustellen, daß sich dieses Phänomen - ob nun als Rechtsextremismus oder sonstwie bezeichnet — mittlerweile nicht nur als 'nationale Bewegung' versteht, mit spezifischen Kristallisationspunkten wie der 'Ausländerfrage', der Migrationsproblematik oder dem Revisionismus als übergreifender, alles verbindender Thematik. Überdies hat diese rechte Sammlungsbewegung zum Teil europäische Ausmaße angenommen, wofür (4) auch spricht, daß es trotz fehlender Führerpersön- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 lichkeiten ein relativ gut ausgebautes Netzwerk gibt , dem es - in enger Zusammenarbeit mit etablierten Rechtsparteien und anderen rechten Organisationen - gelingt, europaweit Aktionen und Veranstaltungen zu koordinieren und durchzufuhren. Schließlich ist (5) unabweisbar, daß diese neue rechte Bewegung recht klare Vorstellungen davon hat, daß sich etwas ändern soll; sozialer Wandel ist somit erklärtes Ziel, wenn die Realisierung auch mißlingen mag. Aber das traf im Grunde auch für 'die' neuen sozialen Bewegungen zu. Fazit ist, daß durchaus eine Reihe von Anzeichen dafür spricht, daß es sich auch hierbei um eine soziale Bewegung handelt, wenngleich von rechts. 7 8 9 Es erscheint daher durchaus fragwürdig, den analytischen Begriff der sozialen Bewegung nur auf einen bestimmten Fall anzuwenden dies kann nicht Zweck einer Definition sein. Insofern wäre allenthalben zu fragen, inwieweit vorliegende Begriffsbestimmungen - ob die von Raschke oder andere - gerade in ihrer spezifischen Ausprägung Merkmale auf weisen, die nicht verallgemeinerbar sind. Ließen sich diese Besonderheiten im wesentlich auf implizite normative wie inhaltlich-substantielle Annahmen zurückführen, dann wäre dies deutlicher zu machen. Zugleich wäre die Bestimmung eines allgemeinen analytischen Begriffs von sozialer Bewegung zu überdenken, der in der Lage ist, den sozialen Formenreichtum des Phänomens zu integrieren; wobei es aus dieser Logik kein Entrinnen gibt, da es nur sinnvoll ist, von einer sozialen Bewegung zu sprechen, wenn weitgehend Übereinstimmung darüber herrscht, wie diese im Prinzip verstanden wird. Dieses Gebot der Begriffsklärung, wahrscheinlich sogar einheitlicher Theoriebildung, gilt auch für die empirische Erforschung des Phänomens. Denn ohne daß zumindest eine grobe Verständigung darüber besteht, was an notwendigen Merkmalen für eine soziale Bewegung als Maßstab anzulegen ist, ob nun 'submerged network', Mikro- und Mesomobilisierung, Framing, kollektive Identität oder Zielrationalität, kann auch Empirie keine trennscharfen Beobachtungen vornehmen. Insofern steht Begriffsklärung - ob induktiv oder deduktiv - am Anfang auch empirischer Untersuchungen, welche Korrekturen dies mittels feedback-Verfahren für das Begriffsverständnis auch immer mit sich bringen mag. Festzuhalten ist, daß Bewegungsforschung mit einem gravierenden Revirement in ihrem Gegenstandsbereich konfrontiert ist, dem sie sich stellen muß. Während auf der einen Seite 'die' neuen sozialen Bewegungen zunehmend im Zustand der 'latency' (Melucci) verharren und an ihrer Stelle allenfalls die von ihnen auf den Weg gebrachten Bewegungsorganisationen ein institutionelles wie professionelles Eigenleben zuführen begonnen haben, dessen Bedeutung gleichwohl nicht unterschätzt werden darf, rumort es am rechten Rand der Gesellschaft gewaltig. Zu fragen bleibt daher nicht nur, ob diesen rechten Phänomenen nicht die Qualität einer im zeitlichen Sinne „neuen" sozialen Bewegung zugesprochen werden muß, sondern auch, inwieweit sich in Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ein für vergleichende Analysen geeignetes theoretisches Instrumentarium der Bewegungsforschung bewährt. Gefragt werden muß auch danach, welche impliziten inhaltlichen wie normativen Erwartungen und Annahmen wir bislang mit dem Attribut 'der' neuen sozialen Bewegungen verbunden haben. Angesichts des Formwandels der Bewegungsakteure der 70er und 80er Jahre könnte das erneute Anknüpfen an dieser FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Fragestellung — in Verbindung mit der Verabschiedung vom liebgewordenen Akteursmythos der neuen sozialen Bewegungen - den Blick in politischer Hinsicht dafür schärfen, daß politische Veränderungspotentiale mit Institutionalisierungsprozessen nicht zum Stillstand kommen müssen. Dann wäre auch der Blick dafür frei, daß solche Veränderungspotentiale „von Parteien zu Bewegungen, von diesen zur unorganisierten Öffentlichkeit und politischen Kultur, von dort stärker zu Verbänden und Parteien etc. zurückwandern. Entsprechend müßte die theoretisch-normative Zuschreibung politischer Privilegierung selber dynamisiert werden."'" 1994 nes zentralen mobilisierenden Akteurs wirke sich negativ auf die Chancen für eine massenhafte Mobilisierung aus. Ferner sei zu berücksichtigen, daß die sozialwissenschaftliche Kennzeichnung rechter Phänomene als Bewegung nicht intendierte Effekte haben kann, da rechte Aktivisten sich dadurch aufgewertet fühlen könnten. Demgegenüber schlagen Werner Bergmann und Rainer Erb - ausgehend von einem systemtheoretischen Konzept sozialer Bewegung als Reproduktion undVerknüpfung von Mobilisierungsereignissen - vor, das in sich vielfältig differenzierte und vernetzte rechte Lager durchaus als soziale Bewegung von rechts zu beWas die Auswahl der vorliegenden Aufsätze schreiben, die sich vor allem über den Protest betrifft, so wurde überwiegend auf Vortragsma- gegen „Einwanderung" konstituiert. Dabei verterial derTagung 'Rechtsradikalismus im verei- spricht ihnen gerade das Bewegungskonzept nigten Deutschland: Soziale Bewegungen oder durch seine integrative Kraft analytischen Gekollektive Episoden?'amWissenschaftszentrum winn, da es erlaube, organisationssoziologische Berlin für Sozialforschung Anfang Mai dieses Herangehensweisen, Wahl-, Jugend-, SubkulJahres zurückgegriffen; ausdrücklich dankt die tur- und Gewaltforschung, Ideengeschichte u.a. Redaktion Thomas Ohlemacher für die kon- miteinander zu verknüpfen. Die Kritik an der zeptionelle Mitwirkung an diesemThemenheft. Verwendung des Bewegungsansatzes zur Analyse des Rechtsextremismus weisen sie dageDie Beiträge des Themenheftes - mit Ausnahgen zurück, da diese auf einem teils normativ me der Arbeit von Wolfgang Kowalsky und gefaßten, teils rationalistisch und organisatoWolf gang Schroeder, die sich dem Phänomen risch verengten Bewegungsbegriff gründet. Rechtsextremismus mehr von dessen Ursachen her zuwenden - kreisen um die zentrale Fragestellung: Gibt es eine neue soziale Bewegung Ebenso wie Ohlemacher wendet sich auchChrivon rechts? stoph Butterwegge vehement gegen die BeSo lautet Thomas Ohlemachers Antwort, daß trotz des Anstiegs der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten zu Beginn der 90er Jahre im wiedervereinigten Deutschland nicht von einer sich stabilisierendenrechtenBewegung gesprochen werden kann. Dazu seien die Mobilisierungsstrukturen für eine erfolgreiche rechte Bewegung zu schwach; insbesondere das Fehlen organisatorischer und öffentlicher Unterstützung, einer einheitlichen Ideologie und ei- zeichnung dieser rechten Phänomene als einer neuen sozialen Bewegung von rechts. Dazu rekonstruiert er auf der einen Seite jenen Diskurs der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit, der für diese Bezeichnung als Bewegung eintritt, um auf Mängel und Irrtümer aufmerksam zu machen. Auf der anderen Seite geht es Butterwegge darum, das Begriffsverständnis von Protest und sozialer Bewegung selbst normativ aufzuladen, um von daher zu zeigen, weshalb es unzulässig sei, die Bewegung am rechten Rand FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 der Gesellschaft als eine neue soziale Bewegung von rechts zu bezeichnen. Theorem sozialer Deprivation, das im Zusammenhang mit der Unzufriedenheitsthese fruchtbar gemacht wird. Wolfgang Kühnel und Ingo Matuschek beschäftigen sich in ihrem Beitrag in dreifacher Hinsicht mit den jüngsten Aktionen rechtsradikal, nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellter Gruppen: Aus einer jugend- und gruppensoziologischen Perspektive wird das Innenleben der Gruppen betrachtet. Sodann geht es ihnen aus einer organisationsbezogenen Perspektive um Möglichkeiten und Grenzen der Instrumentalisierung von Jugendlichen durch rechtsradikale Parteien und Gruppen. Zuletzt werden aus einer bewegungssoziologischen Perspektive die Chancen und Barrieren für eine Etablierung und Stabilisierung von Infrastrukturen für rechtsradikale Politik analysiert. Fazit ihrer Überlegungen ist, daß allenfalls von 'Vorformen einer sozialen Bewegung' die Rede sein kann und ansonsten Vorsicht geboten sei, was die Uberzeichnung dieses Phänomens in Wissenschaft und Öffentlichkeit betrifft. Mit einem Beitrag von Frank Nullmeier über Hannah Arendt ist seit längerem wieder unsere Rubrik „Zur Geschichte der Bewegungsforschung" vertreten. Gerade im Kontext einer Debatte über rechte Bewegungen scheint eine Auseinandersetzung mitArendts totalitarismustheoretischemVerständnispolitischerBewegungen von Interesse. Diese werden nicht nur über politologisch-soziologischeAnnäherangen, sondern über einen makrotheoretischen Bezugsrahmen von Sozialstruktur, politischen Organisations- und Staatsformen in den Blick genommen. Die von Arendt thematisierten, vor allem politischen Bewegungen von rechts sind weniger durch Interessen als vielmehr durch Weltanschauungen angeleitet. In totalitären Regimen wird Bewegung zum Selbstzweck, wohingegen das alternative Modell der freien Republik gegen die Permanenz von Bewegungen und eine daraus resultierende Instabilität den institutioZuletzt geht es Wolfgang Kowalsky und Wolf- nellen Gründungsakt eines Raumes öffentlicher gang Schroeder darum, darauf aufmerksam zu Freiheiten durch politische Bewegungen repumachen, daß, obwohl die Erforschung des blikanischer Provenienz setzt. Unbegriffen bleiRechtsextremismus zu den vordringlichen Auf- ben für Arendt dabei die Spannungen zwischen gaben der Sozial- und Politikwissenschaft ge- Bewegung und Institutionen, ist sie doch mehr hört und bis Anfang der 90er Jahre eine kaum an einer (Wieder-)Errichtung eines republikaniüberschaubare Zahl von Veröffentlichungen vor- schen Ideals - in Konfrontation mit Liberalislag, dennoch entscheidende Desiderate beson- mus und Totalitarismus - interessiert. ders auf theoretischem Gebiet bestehen blieben. Arendts internationale Betrachtungsweise poliNach einer Diskussion der Probleme, die die tischer Bewegungen, ihrer massengesellschaftRechtsextemismus-Terminologie aufwirft, greilichen Voraussetzungen sowie der Bedeutung fen dieVerfasser den 1967 von Erwin K. Scheuch ihrer politisch-ideologischen Formierung zu pound Hans-Dieter Klingemann vorgeschlagenen litischen Akteuren könnenAnregungen für eine Ansatz der 'relativen Deprivation' wieder auf analytisch orientierte Bewegungsforschung geund unternehmen einen Versuch der Aktualisieben. Eine normative Anschlußfähigkeit der rung, der sich einfügt in die neuere Diskussion Arendt'schen Überlegungen an ein zivilgesellüber den Zusammenhang von Rechtsextremisschaftlich-demokratisches Leitbild des Politimus und gesellschaftlichen Desintegrationsproschen scheint NuUmeier freilich nur dann mögzessen. Eng verknüpft mit diesemAnsatz ist das lich, wenn an Stelle der in einem republikani- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, sehen Elitismus begründeten Motivationsbasis interessenloser Politik (Ruhm und innerweltliche Unsterblichkeit) ein funktionales Äquivalent benannt werden kann, das über Bewegungen, Initiativen und kommunikative Macht eine egalitär-demokratische Öffentlichkeit mit dauerhaften Impulsen versorgt. Besonders hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf den Rezensionsteil, der in direkter Verbindung mit dem Themenschwerpunkt steht. Hier findet sich vor allem eine ausführliche Analyse und Kritik des Rechtsextremismus-Ansatzes des Bielefelder Pädagogikprofessers WilhelmHeitmeyer (Armin Pfahl-Traughber). Kai-Uwe Hellmann/Ansgar Klein Anmerkungen Zugleich erhebt sich die Frage, ob der Begriff „Bewegungsgesellschaft" nicht mehr beinhaltet als ein auf einen spezifischen Akteurstypus zielendes Konzept intermediärer Politik. Er könnte - im Anschluß an Diskussionen über „reflexive Moderne", „reflexive Demokratie" oder „reflexiven Institutionalismus" - die Möglichkeiten der Lernfähigkeit und Veränderbarkeit ausdifferenzierter „systemischer" Bereiche der Gesellschaft mit der Suche nach Möglichkeiten der Politik verbinden. Der Akteurstypus der sozialen Bewegung wäre dann nur eine Komponente der in dieser Weise verstandenen Bewegungsgesellschaft, in der sich unschwer auch Anknüpfungen an die Diskussionen der „civil society" und der „politischen Gesellschaft" wiederfinden ließen. Bereits Michael Th. Greven hat in seiner an die Bewegungsforschung adressierten Kritik von 1988 diese Problematik hervorgehoben, die in der schlichten Unterstellung eines demokratischen wie demokratisierenden Charakters der neuen sozialen Bewegungen enthalten ist: Michael Th. Greven 1988: Zur Kritik der Bewegungswissenschaft, in: Forschungsjournal NSB, Jg.l, Heft 4, 51-60: 56 ff. In dieser Demokratieunterstellung, so Greven in ei1 2 1994 nem neueren Text, drücke sich eine Konfusion hinsichtlich „deskriptiver und normativer Aspekte der politischen Sphäre aus, die durch unabhängige Assoziationen und ihre miteinander verbundenen Handlungen gebildet wird". (Michael Th. Greven 1994: The Pluralization Of Political Societies: Can Democracy Persist?, in: Adolf Bibic/Gigi Graziano (Eds.): Civil Society, Political Society, Democracy, Ljubljana 17-41: 32.) Daß normative Annahmen jedes Verständnis des politischen Prozesses bestimmen, scheint eine keineswegs triviale Aussage zu sein. Noch in der Konzeption der Politik als rationalem Interessenhandeln und allen darauf bezogenen Modellannahmen der Interessenaggregation kommt ein bestimmtes Vorverständnis des Politischen zum Tragen. Nur in Konfrontation mit anderen Verständnisweisen des Politischen und deren wirklichkeitserschließender Kraft, nicht aber in bloß anwendungsorientierter Übernahme - etwa des Rational ChoiceModelles - tritt die kaum hinterfragte Dominanz des Rationalitätsmodells der Interessenvermittlung in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang hat etwa die demokratietheoretische Bezugnahme auf die neuen sozialen Bewegungen seitens des civil society-Konzeptes Aspekte einer „politics of identity" oder deliberativer politischer Entscheidungsfindung hervorgehoben, wird aber auch - innerhalb des Rational Choice-Ansatzes - nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Ausbildung von Metapräferenzen des Handelns gefragt, welche den Prozeß rationalerpolitischer Entscheidungsfindung befördern. Die in politischer Theorie wie Demokratietheorie geführten Diskussionen haben Auswirkungen also auch auf die analytische Bewegungsforschung, auf deren Kategorien und Begriffe. Diesen Zusammenhang gilt es weiter auszuleuchten. 3 Vgl. für erste Annäherungen das Themenheft 2/91 zu „Bewegung, Gegenbewegung und Staat" des Forschungsjournals. Vgl. Joachim Raschke 1985: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß. Suhrkamp 77. Hier ist zu fragen, ob die Mobilisierungsformen rechter Bewegungen überhaupt vergleichbar sind mit denen der neuen sozialen Bewegungen. Immerhin nimmt das spezifische Mobilisierungspotential rechter Bewegungen gemeinhin ganz andere Grö- 4 5 6 ßenordnungen an, was möglicherweise auch strukturell andere Formen der Mobilisierung (z.B. spontane Gewaltakte in Kleingruppen, Einzeltäterschaft, konspirative Treffen etc.) zur Folge hat. Vgl. Martin Klingst 1994: Ein Netz und viele Spinnen, in: DIE ZEIT, Nr. 7 vom 11.2.94, S. 3; Ernst Uhrlau 1994: Vernetzungstendenzen im deutschen Rechtsextremismus, in: Rainer Erb/Werner Bergmann (Hrsg.): Neonazismus und rechte Subkultur. Metropol (im Druck) 143-152. Vgl. Juliane Wetzel 1994: Die Maschen des rechten Netzes. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremen Spektrum, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Rechtsextremismus in Deutschland. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen. Fischer 154-178; Fromm, Rainer/Kernbach, Barbara 1994:... und morgen die ganze Welt? Rechtsextreme Publizistik in Westeuropa. Schüren. 7 8 Vgl. diesbezüglich Hans-Gerd Jaschke 1993: Formiert sich eine neue soziale Bewegung von rechts? Über die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, in: Mitteilungen. Institut für Sozialforschung, Jg. 2, Heft 2,28-44; Claus Leggewie 1994: Rechtsextremismus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder (Hrsg.): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz. Westdeutscher Verlag 325-338; Werner Bergmann/Rainer Erb 1994a: Eine soziale Bewegung von rechts? Entwicklung und Vernetzung einer rechten Szene in den neuen Bundesländern, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 80-98. Frank Nullmeier 1993: Zivilgesellschaftlicher Liberalismus, in: Forschungsjournal NSB, Heft 3, 13-26: 24. 9 10 Tagung der Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen in Kooperation mit der Gustav-Heinemann-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung Freudenberg zum Thema: „Kommunitarismus und Gerechtigkeit" Zwischen Philosophie und praktischer Politik vom 7. bis 9. April in Freudenberg (b. Siegen) Der Ruf nach mehr Gemeinsinn oder eine stärkere Verantwortung für die Gemeinschaft wird in modernen Industriegesellschaften immer lauter. Nicht zuletzt unter dem Druck der defizitären öffentlichen Haushalte appellierten Politiker aller Strömungen für mehr Engagement der Bürger in Politikfeldern, die bislang dem Staat zugewiesen waren. Die Konsequenzen dieser sich anbahnenden „Neuen Politik" werden auf der KommunitarismusTagung kontrovers diskutiert. Vier Wissenschaftler und Parteikenner untersuchen die praktische Umsetzung der Kommunitarismus-Debatte in der CDU/CSU, der FDP, der SPD und bei den Grünen. Referate zur internationalen Debatte und zur Rezeption des Kommunitarismus-Konzepts und zu den psychologischen Implikationen ergänzen das Tagungsangebot. Anmeldungen und Rückfragen an: Dr. Thomas Leif, Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen, Marcobrunner-Str. 6, 65197 Wiesbaden, Tel. 06 11-49 51 51 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , Jo, 7, HEFT 4, 1994 Die SPD nach der Wahl Analytische Anmerkungen zum Ergebnis und zum Wahlkampf 1. Zur Bewertung des Ergebnisses 1.1 Es ist verständlich, daß das Ergebnis der SPD positiv dargestellt wird, ja sogar schön geredet wird. Die SPD kann sich eine beschönigende Analyse jedoch nicht leisten; zu häufig schon ist mit beschönigenden und falschen Analysen der erste Schritt in die nächste Niederlage getan worden. 1.2 Das Ergebnis muß man an den selbst gesteckten Zielen messen. Demnach ist es ein Mißerfolg. - Wohlbegründet wollte die SPD den „Kanzlerwechsel". - „Stärkste Partei" sollte die SPD werden. - Als weniger ehrgeiziges Ziel wurde propagiert, man werde erreichen, daß ohne die SPD nicht regiert werden kann. 1.3 Das Ergebnis muß auch im Lichte der Fragen bewertet werden, ob es in absehbarer Zeit noch einmal so gute Chancen wie im Jahre '94 geben wird und wie dringlich der Wechsel für unser Land ist. Es spricht vieles dafür, daß sich die Chancen einer sozialdemokratischen Partei in Deutsch- land in vier Jahren nicht wesentlich verbessern werden. Außerdem verlangt die Dringlichkeit der Probleme und die Gefahr, die aus der Fortsetzung konservativer Politik folgt, heute den Kanzlerwechsel und nicht erst in vier oder acht Jahren. Vieles, was die Konservativen tun, ist nicht mehr rückholbar (Privatisierung etc.). Vieles, was heute versäumt wird, kann später nur mit sehr viel höheren Kosten oder gar nicht korrigiert werden (Chancen für perspektiv- und berufslose Jugendliche, Ökologische Erneuerung, Klimapolitik etc.). Die weitere Veränderung der Macht- und Medienstrukturen in konservativer Richtung spricht zudem leider dafür, daß zu jeder späteren Zeit der Machtwechsel noch schwieriger sein wird als heute. Die Asymmetrie zu Lasten der SPD verschärft sich. Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, die politische Konkurrenz vollziehe sich im Quasi-Automatismus eines „Pendelschlags". Das ist das falsche Bild. Wir sitzen auf einer schiefen Ebene - dieses Bild paßt viel besser zu Lage der SPD: wenn sie einen Haltegriff zu ergreifen versäumt, wird weiteres Terrain verloren. Das von Rudolf Scharping propagierte Bild vom Langstreckenlauf ist deshalb nicht sonderlich realistisch. Es ist übernommen aus den 60er Jahren in eine heutige Situation, die in dafür wesentlichen Teilen der damaligen Situation nicht entspricht. Die Wählerbindung ist geringer, die Fluktuation ist größer; Wählerpotentiale bauen sich nicht über weite Zeiträume auf. Für diese Beobachtungen sprechen FORSCHUNGSJOURNAL N S B , TG_J _TJTFT4, 7 1994 ja schon die großen Schwankungen in den Befragungen, die wir in den letzten 12-15 Monaten erlebt haben. Auch die Vorstellung, man hätte später größere Chancen, wenn Kohl nicht mehr zum Kanzler kandidiert, hat wohl etwas kurze Beine. Man sollte sich dessen erinnern, daß man noch vor 8 Monaten gerade Kohl eher als eine Belastung der CDU/CSU betrachtet hat denn als ein Pfund, mit dem die Union wuchern könnte. 1.4 Beschönigung des Ergebnisses verhindert das Nachdenken über die negativen Folgen der Anpassungsstrategie. ra sich die SPD; laut Politbarometer mit deutlich positiver Tendenz für die SPD. Der Fall „ins tiefe Loch" wurde für die SPD offenbar dadurch verhindert, daß in der Schlußphase Stimmen von den Grünen/Bündnis 90 abgezogen wurden. Diese verschiedenen Zeitabschnitte sind dekkungsgleich mit zwei verschiedenen von der SPD-Führung verfolgten Strategien: @ Bis zur Zäsur in Sommer dominierten bei der SPD die folgenden strategischen Elemente: - entscheidend sei, wer die materiellen Interessen der Wähler besser zu befriedigen weiß; die Wahl entscheide sich in der Wirtschaftspolitik; Insgesamt gilt: Wenn nicht jetzt, wann sollte die SPD dann den Machtwechsel schaffen. Das Wahlergebnis als Erfolg darzustellen gleicht - Anpassung an konservative Grundlinien; einer Beschönigung, die böse Folgen haben Kurskorrektur in für viele Sozialdemokrawird. Sie wird vor allem dazu verleiten, nicht ten wichtigen Sachfragen (s.u. Ziffer 1.2); über die innere Veränderung der SPD nachzudenken, die in den letzten Jahren betrieben - keine Betonung grundsätzlicher, auch weltwurde und die eine der Hauptursachen für die anschaulicher Unterschiede zur Regierung; Chancenlosigkeit der SPD auf Bundesebene ist. - Offenlassen der Koalitionsfrage; erkennbare Neigung zur Kooperation mit der FDP 2. Zur Analyse des Wahlkampfes, und harsche Ablehung der Grünen und eines Zusammengehens mit den Grünen. der Strategien, der Wahlwerbung etc. - Konzentration auf den Vorsitzenden und 2.1 Der Strategiewechsel im Sommer Kanzlerkandidaten. hat das Schlimmste verhindert; er kam aber für den Kanzler@ Seit der Wahl in Sachsen-Anhalt sind Korrekturen in wichtigen, wenn auch nicht in wechsel zu spät. allen Fragen erkennbar: Es gab - grob skizziert - zwei Phasen im Wahl- Offenheit für eine Zusammenarbeit mit den kampf der SPD: Grünen, jedenfalls keine öffentlich erklärte Ablehnung, Bis kurz nach der Europawahl/Wahl in Sachsen-Anhalt ging es bergab mit der SPD und bergauf mit der CDU/CSU. Dann stabilisierte - Troika, 12 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, - Betonung des Reformgedankens, - vor allem aber: Betonung des grundsätzlichen, gesellschaftspolitischen Unterschieds zur Union. 1994 - die Zustimmung zur Reform des Gentechnikgesetzes, - die Kurskorrekturen in der inneren Sicherheit und Rechtspolitik, Leider eben zu spät. Der Vorschlag zu dieser - die Reduzierung der Medienpolitik auf reiStrategie, nämlich selbst eine Richtungsentne Standortpolitik usw. scheidung aus der Wahl zu machen, lag übrigens seit März 1993 dem SPD-Vorstand und Mit dieser Strategie der Kurskorrektur und Ander Bundestagsfraktion vor. passung sind eine ganze Reihe wichtiger Bedingungen für einen Wahlsieg der SPD entfallen: 2.2 Die Strategie der Anpassung und ihre Folgen • Die SPD konnte ihre Vielfalt und die VielEs galt im Vorfeld und im ersten Teil des Wahlfalt der Menschen, die als Mitglieder oder kampfes die strategische Grundlinie, daß die Sympathisanten für sozialdemokratische SPD sich an die sogenannte Mitte (was das Ziele eintreten, nicht ausspielen. auch immer sei) anpassen müsse, daß sie inhaltliche Positionen bereinigen und Kurskor- Wichtige Anhängergruppen wie z.B. die frierekturen machen müsse, um für die Wähler denspolitisch Engagierten, die ökologisch Inder Mitte und für potentielle Umsteiger von teressierten, die rechtspolitisch Interessierten, der CDU/CSU wählbar zu sein. Eine Fülle von die medienpolitisch Engagierten usw. haben .Bereinigungsarbeit" und „Beseitigung von po- ihr Zutrauen und ihre Argumentationsfähigtentiellen Konflikten" ist geleistet worden; zum keit verloren. Sie sind als Multiplikatoren und Beispiel: teilweise auch als Wähler ausgefallen. - die positive Haltung zur Privatisierung und Deregulierung, ® Das klare alternative Profil ist nicht deutlich geworden. - der Asylkompromiß, @ Die SPD-Anhänger waren in weiten Teilen emotional nicht motiviert. Ohne Emotionen kommt die SPD jedoch nie gegen die mediale Übermacht der anderen an. - das „Niedrighängen" der ökologischen Erneuerung, - das als Korrektur verstandene Hin und Her in Sachen Tempolimit, - das Ja zu den out-of-area-Einsätzen, - die Zustimmung des Bundesrats zum Planungsgesetz Transrapid, ® Die Mitglieder und Sympathisanten der SPD fielen als Multiplikatoren, als solche, die in der Straßenbahn oder im Freundeskreis das Thema auf die Wahl bringen und für ihre Partei werben, weitgehend aus. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, 2.3 Tn N UFFT 4, 1994 Die ursprüngliche Konzentration auf Wirtschafts- und Finanzpolitik und auf das Ausbleiben des Aufschwungs war absehbar ein zu hohes Risiko. Es ist ohne Zweifel wichtig und in gewisser Weise die Basis eines Erfolges, daß die SPD wirtschaftspolitische Kompetenz ausstrahlt. Es war auch wichtig, auf diesem Felde Schwerpunkte zu setzen. Es ist aber leichtfertig gewesen, darauf zu setzen, - daß es der Regierung Kohl und ihren Gehilfen nicht möglich wäre, selbst leichte Anzeichen eines Aufschwungs in einen wirklichen Aufschwung umzudeuten, - und darauf zu setzen, daß die Arbeitgeber und Unternehmer, mit denen man so freundlich ins Gespräch kam, dadurch davon abgehalten würden, sich für die Koalition auszusprechen. Die Strategie der Konzentration auf Wirtschaftsthemen ist mit den ersten vermeintlichen Anzeichen eines Aufschwungs zusammengebrochen. Auch die Strategie des Gesprächs mit den Managern entpuppte sich als negatives Markenzeichen. Die SPD erschien (siehe Brief Rudolf Scharpings an Herrn Stihl) als abgewiesener Liebhaber. Selbst in Krisenzeiten ist es fraglich, ob die SPD Wahlen gewinnt, wenn sie vor allem auf die materielle Interessiertheit der Menschen setzt. Es reicht nicht aus, den Leuten zu sagen, wir wollten die Steuern nicht erhöhen. Wenn die SPD mit dem bürgerlichen Lager vor allem beim Thema „Geldbeutel" konkurriert, wird dieses bürgerliche Lager am Ende immer gewinnen und sei es nur mit der Drohung, bei einem Sieg der SPD würde das Kapital das Land verlassen. Das mußte man zu Anfang 13 des Wahlkampfes wissen. Man hat auch hier zu spät, nämlich nach den Juniwahlen, korrigiert und die Unterschiede im sozialen und gesellschaftlichen Bereich (zu spät) stärker betont. 2.4 Es fehlten die „Klammer" und die großen Konflikte Im Wahlkampf waren weder die Klammer für die einzelnen Aussagen der SPD, noch waren große Konflikte erkennbar. Wenn man eine Regierung, wie die Regierung Kohl, ablösen will, wenn man die eigenen Anhänger motivieren will, dann muß man klar machen, daß es nicht um ein paar nichtige Veränderungen geht. Es muß klar werden, zumal bei einer Sozialdemokratie, daß man eine wirkliche reformerische Veränderung der Gesellschaft will. Für eine kleine Veränderung schlägt man sich nicht, für eine kleine Veränderung kämpft man nicht und spendet man nicht. Zum Beispiel: Der Unterschied zwischen dem Solidarbeitrag und der Ergänzungsabgabe reicht nicht, um Facharbeiter von der CDU/CSU wegzuholen. Für die SPD erfolgreiche Wahlkämpfe waren meist geprägt von großen Konflikten mit den Konservativen. Diesmal ist es jedoch fast nie gelungen, die Meinungsführerschaft zu erringen. Das ist ein klarer Planungsfehler. Immer war klar, daß Themata und Konflikte, die den Wahlkampf bestimmen sollen, nicht vom Himmel fallen, sondern gezielter Planung bedürfen. Ingesamt mußte man hier wie auch bei der Auswahl von Slogans und Bildern den Eindruck gewinnen, daß die Entscheidungen in nicht kompetenten Gremien und zwischen Tür und Angel getroffen worden sind. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß kreative Wahlkampfthemen, kreative Konflikte, kreative Slogans und optische Signale das Ergebms harter konzentrierter Teamarbeit sind. Offenbar fand das 14 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, in diesem Wahlkampf nicht in ausreichendem Maße statt. 2.5 2.7 Zu viele Verluste an Glaubwürdigkeit JG. 7, Hi i 4 1 Slogans, Fotos und andere Werbemittel waren nicht optimiert. Zu viele Pannen, zu viele verschiedene Plakate und Slogans Mangelnde Professionalität. Einige Beispiele: Einige Beispiele: Nach den Erfahrungen der letzten Wahl wäre es wichtig gewesen, an die Steuerlüge Kohls zu erinnern und ihn als „Steuerlügner" darzustellen. Das konnte die SPD nicht mehr glaubhaft und mit Durchschlag tun, nachdem sie in diesem Wahlkampf selbst die Konstanz der Staatsquote versprochen hat. Man muß ja nicht für Steuererhöhungen eintreten. Das ist selbstverständlich. Die Garantie der konstanten Staatsquote schürt jedoch die Unglaubwürdigkeit, wo es wichtig gewesen wäre, gerade die Unglaubwürdigkeit des politischen Gegners, der Regierung Kohl, anzuprangern. „Arbeit, Arbeit, Arbeit" ist eher eine Drohung als ein hoffnungsvolles Versprechen. Zu viele Fotos waren schlecht. Man hätte Rudolf Scharping nicht als jungenhaft darstellen sollen, wie etwa auf dem Fahrrad oder auch auf dem Kanzlerwechsel-Foto, wenn Kohl wie ein Fels steht. Dasselbe gilt für das Hin und Her bei der Geschwindigkeitsbegrenzung . Es gilt für die verschiedenen Abstimmungsverhalten im Bundestag und Bundesrat (siehe Transrapid). 2.6 Der Wahlkampf war von zu vielen Ungeschicklichkeiten begleitet, z.B. - brutto und netto, - die Ernennung von Beratern, die erklärten, sie würden C D U oder Grüne wählen, - die Attacken auf die FDP nach der Bundespräsidentenwahl. 2.8 Gescheitert ist die Etappenstrategie. Leichtfertig war die Umfragegläubigkeit. Es war fahrlässig, darauf zu hoffen, daß man nach der Niedersachsen-Wahl auch die Bundespräsidentenwahl, die Europawahl, die Sachsen-Anhalt-Wahl und dann die Bayernwahl gewinnt und sich so von Wahlerfolg zu Wahlerfolg nach oben hangelt. Es war ein großer Fehler, sich von den Umfragen im vergangenen Jahr und Anfang dieses Jahres täuschen zu lassen. Fachleuten mußte klar sein, daß diese Umfragen punktuelle Aufnahmen sind, die nichts sagen über die Lage am Wahltag. Da hätte man nur Helmut Kohl zuhören müssen und sich dessen erinnern müssen, wie groß das Aufholpotential Kohls und der C D U bisher schon bei vielen Wahlen war. Hier hat der Nutzen, den diese guten Umfragezahlen innerparteilich gebracht haben, zur Täuschung geführt, daß sie etwas mit der Realität zu tun haben würden. Später, als es bergab ging, konnte die SPD-Führung, nachdem sie zuvor die Umfragegläubigkeit genutzt und gefördert hatte, schlecht sagen, von Umfragen sei nichts zu halten. FORSCHUNGSJOURNAL N S B . J e 7. HEFT 4, 2.9 1994 Die Medienbarriere hätte ein großes Thema werden müssen. Sie wurde zu spät thematisiert. Man hat sich von der gewissen Offenheit und Liberalität der Medien in der Vorphase des Wahlkampfes täuschen lassen. Man hat nicht beachtet, daß sich das Mediensystem in der Bundesrepublik weiter so zu Lasten der SPD verändert hat, daß in der Schlußphase die meisten Medien für Kohl Partei ergreifen. Dann war es aber zu spät, die Medien und ihre Einseitigkeit anzugreifen. Das mußte man früher tun, um die eigenen Anhänger rechtzeitig gegen die Dauerberieselung des KampagnenJournalismus zu immunisieren. Man mußte es früher und gelassener tun. So wirkten die späten Klagen häufig wehleidig. 2.10 Die PDS-Kampagne der CDU/ CSU hätte zum großen Konflikt, zum Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Union gewendet werden könnnen. Von der PDS-Kampagne der Union hat man sich ins Bockshorn jagen lassen. Es gab in der eigenen Partei Leute, die z.T. aus verständlichen Gründen, dazu rieten, in Sachsen-Anhalt der von der CDU/CSU empfohlenen Strategie zu folgen und auch ansonsten die PDS-Kampagne der Union zu unterstützen. Es mußte jedoch klar sein, daß man bei einer solchen Strategie zum Getriebenen wird. Deshalb gab es nur die Option, sich so zu verhalten, wie die SPD-Führung in der Schlußphase votiert hat: Klar zu sagen, daß man sich von Leuten, die mit Blockflöten zusammenarbeiten, Blockflöten ins Parlament wählen und das Geld und die organisatorische Kraft der Blockflötenparteien übernommen haben, keine Belehrungen erteilen läßt. Auf diese Strategie hätte man sich von Anfang an verständigen müssen, dann wäre auch damit zu gewinnen gewesen. Das PDSThema mußte kein Negativ-Thema bleiben. 2.11 Diffuse Aussagen dazu, wie man den „Kanzlerwechsel" schaffen wolle, mit welcher Koalition etc. Die Aussagen zur möglichen Koalition und die Antwort auf die Frage, wie man den Kanzlerwechsel herbeiführen wolle, waren ausgesprochen diffus: am Anfang mit Distanz zu Rot-Grün, dann eher Pro-Rot-Grün, zumindest unausgesprochen Pro-FDP, dann total gegen die FDP. 2.12 Der Umgang mit den BündnisGrünen oder: Potentielle Partner diffamiert man nicht. Uber weite Strecken des Vorwahlkampfes war der Umgang mit den Bündnis-Grünen so, wie das bürgerliche Lager dies gefordert hat: aggressiv und versehen mit heftigen Attacken zur Regierungsunfähigkeit der Grünen. Wenn man sich zum Mit-Förderer solcher Kampagnen gegen Rot-Grün macht, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Gesamtpotential von SPD und Bündnis 90/Grüne am Ende nicht reicht. Die SPD hat so leider auch in diesem Vorwahlkampf mitgeholfen, zur Stigmatisierung eines potentiellen Partners beizutragen. Im zweiten Teil des Wahlkampfes war dies dann sonderbarerweise verschwunden. Albrecht Müller Der Autor war MdB für die SPD (1987-1994) und früher (1973) Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Seit 1982 auch als politischer und wirtschaftspolitischer Berater freiberuflich tätig. 16 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Thomas Ohlemacher Schmerzhafte Episoden: Wider die Rede von einer rechten Bewegung im wiedervereinigten Deutschland Die Gewalt gegen Ausländer im wiedervereinigten Deutschland schien unaufhörlich zu steigen. Neueste Zahlen belegen jedoch: 1993 sind weniger Gewalttaten zu verzeichnen - vor allem die Zahl der Anschläge gegen Asylantenheime ist laut Angaben der Bundesregierung deutlich zurückgegangen. Gefahr gebannt? Keinesfalls, mag man mit Blick auf immer wieder aufflammende Gewalt sagen - so z.B. aus Anlaß des Geburtstags von Adolf Hitler im April 1994 in Bielefeld. Weitere Ausbrüche von Gewalt scheinen durchaus und jederzeit möglich. Viele wissenschaftliche und journalistische Beobachter befürchten gar ein organisatorisches Erstarken der Rechten, wähnen eine rechte Bewegung auf dem Weg zur Macht. Sie sehen die Demokratie in Gefahr, ihre Institutionen bereits unterwandert. Der folgende Beitrag möchte im Kern den Begriff der Bewegung, bisherige Forschung im Feld und Einschätzungen zu rechten Bewegungen unter einen Hut bringen - dies ist vom Anspruch her vermessen, muß zwangsläufig Rudiment bleiben. Der Beitrag ist skizzenhaft, in Teilen essayhaft, hofft jedoch Anlaß zur Diskussion geben zu können. es nützlich erscheint, zu wissen, worüber ich im folgenden reden werde (1). Danach wird es um ein kleines Modell gehen, welches die Bedingungen der Stabilisierung von sozialen Bewegungen zusammenfasst. Diese Modellvorstellung wurde geschult anhand der linken postmaterialistischen, den sogenannten neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre und der Forschung zu diesem Phänomen (2). Das Modell wird abschließend mit den Befunden der neueren Literatur zu rechten Phänomenen konfrontiert (3). 1. Zum Begriff der Bewegung Greift man die weitgehend akzeptierte (bzw. geflissentlich ignorierte) Definition von Joachim Raschke auf, so handelt es sich bei sozialen Bewegungen um „... einen mobilisierenden kollektiven Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisationsund Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen." (1987: 77). Ersetzt man die Zielvorstellung grundleDabei soll wie folgt vorgegangen werden: zum genderen sozialen Wandel z.B. durch Wandel Auftakt wird der Begriff Bewegung in der De- des politischen Systems oder - mehr oder wefinition von Joachim Raschke aufgegriffen, da niger weitreichende - Ziele im Rahmen des FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 bestehenden politischen Systems, so lassen sich etwa politische Bewegungen von Protestbewegungen und sozialen Bewegungen differenzieren. Raschke zufolge ist im Rahmen der vorherrschenden Vorstellung von Bewegungen ein Konsens vorhanden, es handele sich bei Bewegungen um ein strukturiertes und rationales Phänomen. Keinesfalls gehe es um amorphe, unverbundene Episoden eines gesellschaftlichen Phänomens. Bewegungen sind sich selbst organisierende, vernetzte kollektive Akteure, ausgestattet mit einem Bewußtsein einer gemeinsamen Anstrengung (gleichsam „Bewegung für sich"), für deren Handlungen (zumindest für den größten Teil) eine „globale Rationalitätsannahme" gemacht werden kann (Raschke 1987: 17). Die Vorstellungen der „collective behaviour"-Schule, die durchaus noch irrationale Elemente einer Massenpsychologie a la LeBon beinhaltete, wurden beiseite gelegt (Nullmeier/Raschke 1989). Diese Weichenstellung und der damit verbundene „Bias" muß meines Erachtens bei der Bewertung der sozialwissenschaftlichen Forschung zu rechten sozialen Bewegungen mitbedacht werden. 17 2. Ein Modell der Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen Bewegungen aller Art sind im letzten Jahrzehnt verstärkt zum Objekt methodisch kontrollierter Begierde geworden (Diani/Eyerman 1992). Die Forschung in Westeuropa konzentrierte sich dabei vor allem auf linkslibertäre, postmaterialistische oder kurz: sogenannte neue soziale Bewegungen (Rucht 1991). Es wurde in der Tat eine Art „normative Entscheidung" für (und gegen) bestimmte Anliegen getroffen (Bergmann/Erb 1994a: 80).' In den USA war die Forschung auf das gesamte politische Spektrum erweitert, „collective action" aller Art wurde berücksichtigt (vgl. zusammenfassend McAdam, McCarthy and Zald 1988). Auf der Basis dieser und eigener Studien ist in der Abteilung 'Öffentlichkeit und soziale Bewegungen' des WZB ein Schema entwickelt worden, welches die Entstehungs- und Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen zu verdeutlichen sucht (Neidhardt/Rucht 1993). Schaubild 1 Schema: Stabilisierungsbedingungen sozialer Bewegungen 1 Individuelle J Erfahrungsebene 2 Kollektive Deutungsebene A Bedingungen der Problematisierung Al Deprivation B Bedingungen der Mobilisierung BI Gemeinschaftsgefühle «- C Bedingungen der Stabilisierung C l Erfolgs_^C2 Strategiewahrnehmungen programme it t * ^ 3 Strukturebene A2 Skandalisierungs- A3 strukturelle muster «- •+• Spannungen t I B2 Ingroup/Outgroup B3 Mobllislerungskonzepte «- -*• strukturen ti C3 gesellschaftliche *- -»• Gelegenheitsstrukturen aus: Neidhardt/Rucht 1993 18 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Analytisch unterscheidet das Schema auf der ersten Dimension Bedingungen der Problematisierung (a), der Mobilisierung (b) und der Stabilisierung (c). Die Bedingungen der Entstehung einer Bewegung (a,b) und der Möglichkeit, die Bewegung auf Dauer zu stellen (c), werden abgetragen auf einer zweiten D i mension. Hier werden die individuelle Erfahrungsebene (1), eine kollektive Deutungsebene (2) und die Strukturebene (3) relevant. Während die erste Dimension die Bewegung abbildet, unterscheidet die zweite gesamtgesellschaftliche Prozesse. Ebene (1) der zweiten Dimension könnte mit der gesellschaftlichen Mikroebene gleichgesetzt werden, während auf der zweiten und dritten Ebene Mesound Makrophänomene in den Blick kommen. Die Autoren heben hervor, ein entscheidender Fortschritt in der Bewegungsforschung der letzten Jahre sei vor allem durch die verstärkte Untersuchung der Strukturebene gelungen. Neben grundlegenden strukturellen Spannungen (3a), die vor allem auf Modernisierungsund damit verbundene Differenzierungsprozesse zurückzuführen seien, benennen sie die für sich stabilisierende Bewegungen nützlichen Mobilisierungsstrukturen (3b) und eine sie begünstigende gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur (3c). 1994 in sozialen Bewegungen stattfinden. Die Rede von „pre-existing networks" und „micro-mobilization contexts" (McAdam 1986), „cooptable communication networks" (Freemann 1983) und gastgebenden „host organizations" als Mobilisierungsvoraussetzungen, die Sicht von Bewegungen als „Netzwerke von Netzwerken" (Neidhardt 1985), die Verknüpfung von micro-Kontexten durch „soziale Relais" (Ohlemacher 1993), die Beschreibung von Mobilisierung von Organisationen durch Bewegungsorganisationen als „Mesomobilization" (Gerhards/Rucht 1992) ist nicht nur rein theoretisch formuliert, sondern auch empirisch gut abgesichert worden. Größere Forschungslücken bestehen lediglich weiterhin auf der Mesoebene (McAdam et al. 1988: 729). Mobilisierungsstrukturen all dieser Art sind eine der Voraussetzungen für sich stabilisierende soziale Bewegungen. Fehlen diese strukturellen Grundlagen, wird sich eine soziale Bewegung nur schwerlich konsolidieren können. Mit der Analyse gesellschaftlicher Chancenstrukturen wird vor allem angeknüpft an das Konzept der „political opportunity structure" (Tarrow 1983,1991, Kriesi 1991). Hierbei wurde die Frage nach den „Gewinnaussichten und Kostenbelastungen kollektiver Aktionen" und deren Auswirkungen auf die Kalkulationen von Mit Mobilisierungstruktaren ist die Chance ge- Bewegungsakteuren gestellt (Neidhardt/Rucht meint, soziale Isoliertheit aufzuheben. Protest- 1993: 7). Weitergefaßt und soziologisch gebewegungen können nicht entstehen, wenn die nauer kann man fragen nach den Bezugsgrupvon sozialen Spannungen betroffenen Indivi- pen von Bewegungen (etwa Medien, Polizei, duen sich nicht kennen und die Lage der ande- Gerichte usw.) und der Art der Beziehungen, ren nicht wahrnehmen. Alle Ähnlichkeiten in den wechselseitigen Perzeptionen der Bezugsder Erfahrung von Deprivation, alle Überzeu- partner, die stabilisierend oder destabilisierend gungskraft von ingroup/outgroup-Konzepten wirken können (Neidhardt 1992). Erst in dieverpuffen wirkungslos, wenn die Individuen sem Wirkungsgeflecht und der speziellen sozial isoliert sind und damit „zueinander nicht Interaktionsdynamik wird verstehbar, warum kommen" können. Neuere Bewegungsfor- Bewegungen überdauern, wachsen, vergehen schung hat durch die Prägung von Begrifflich- und vielleicht wieder entstehen - rein bewekeiten und nachfolgende Untersuchungen va- gungsendogene Analysen dürften zu kurz greilide nachweisen können, daß solche Prozesse fen. In diesem Bereich hat die Bewegungsfor- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 19] 1994 schung zu links-libertären, postmaterialistischen Bewegungen erste erfolgversprechende Schritte in das empirische Feld unternommen (della Porta/Rucht 1991, Koopmans 1992). Interessant erscheint auch der Versuch, die Interaktionsdynamik von Bewegungen und Gegenbewegungen in den Griff zu bekommen (Forschungsjournal NSB 2/91). An dieser Stelle sind u.a. paradoxe Effekte von Interaktionsprozessen zu beobachten - Aktionen von Gegenbewegungen werden u.U. von den Gegnern als Werbung in eigener Sache einkalkuliert und wirken auch in dieser nicht intendierten Weise (vgl. Blattert/Ohlemacher 1991 zu Republikanern und Antifa). Im Vergleich zu Mobilisierungsstrukturen ist an dieser Stelle jedoch noch stärker zu arbeiten. Soziale Bewegungen werden sich also nicht stabilisieren können - dies darf mit großer Si- cherheit angenommen werden wenn sie nicht in der Lage sind, auf eine differenzierte Struktur von Mobilisierungs- und Resonanzchancen zurückzugreifen. Bewegung braucht strukturelle Einbettung in die „Beziehungsbahnen der Gesellschaft" (Neidhardt) - auf individueller, organisatorischer und institutioneller Ebene. Fördemde Elemente auf allen Ebenen sichern das Überleben, fehlende Unterstützung macht ein Überleben schwierig. 3. Neue Erkenntnisse zu neueren Phänomenen? Nimmt man die Literatur, die Ende der achtziger bzw. zu Beginn der neunziger Jahre zu rechtsradikalen bzw. -extremen Phänomenen in Deutschland veröffentlicht wurde, so zeigt sich zweierlei. Zunächst ist die Literaturlage trotz der Fülle an veröffentlichten Titeln als 2 20 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, äußerst unbefriedigend zu bezeichnen. Es dominieren Arbeiten zur Ideengeschichte der Rechten, zur Organisationsentwicklung, Aktivistenporträts und journalistische Betrachtungen der rechten Szene. Allenfalls im Bereich der Jugendforschung finden sich empirische Arbeiten qualitativer und quantitativer Art, die methodischen Standards genügen können (zur Literaturübersicht vgl. Ohlemacher 1994: 223). Das zweite Ergebnis betrifft klare Defizite und Desiderata der Forschung zu rechten politischen Protesten. Macht man den Versuch, die Schwerpunkte der Studien dem oben vorgestellten Schema zuzuordnen, so zeigt sich ein klares Ergebnis: Die Bedingungen der Problematisierung rechter Politikissues sind alle relativ gut untersucht. Dies gilt für Phänomene der Benachteiligung, der Skandalisierung und der ihnen möglicherweise zugrundeliegenden gesamtgesellschaftlichen Probleme. Die Schwerpunkte der Forschung im Bereich Mobilisierung liegen eindeutig bei Ingroup/Outgroup-Konzepten und dem organisierten, sichtbaren Teil der Mobilisierungsstrukturen. Informelle Prozesse, wie die Bildung und Stabilisierung von Gruppen, die direkte Mobilisierung zu Aktionen, aber auch die Herstellung von Gemeinschaftsgefühlen, bleiben weitgehend unbearbeitet. 3 Die interessantesten, weil theoretisch folgenreichsten Einzelergebnisse jüngerer empirischer Studien sind folgende: 4 (1) Eine aktuelle materielle Notsituation ist nicht notwendig mit dem Entschluß zur Gewalt verbunden, vielmehr scheint die Angst vor einem zukünftigen sozialen Abstieg eine gewichtige gewaltauslösende Rolle zu spielen. (2) Gewalttaten gegen Ausländer sind Gruppentaten zumeist Jugendlicher. Unpolitische Cliquen spielen dabei eine größere, bedeutendere Rolle als „rechte Jugendkulturen". 1994 (3) Die Motive der Jugendlichen sind in der Regel nicht explizit rechtsextremistisch. Die Jugendlichen verfügen in der überwiegenden Mehrheit nicht über Kontakte zu rechtextremen Organisationen, verweigern sich sogar oft explizit. Langeweile und Alkohol scheinen neben einer diffusen Ablehnung von Fremden - die Grundlage für Gewalt gegen Ausländer zu sein. Alle Felder der Stabilisierungsbedingungen sind Leerstellen, die nur am Rande in der Forschung erwähnt, in keinem Falle systematisch untersucht wurden. Damit bleibt festzuhalten, daß die beiden wichtigsten strukturellen Voraussetzungen für linke soziale Bewegungen, die sozialen Mobilisierungsstrukturen jenseits (z.B. im Vorfeld) der von Bewegungen (selbst-)organisierten Kontexte und die gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur, keine systematische Thematisierung erfahren haben. Kann man auf der Basis dieser Befunde von einer existierenden oder aufkommenden sozialen Bewegung von rechts sprechen? Im Gegensatz zu Jaschke (1993), Willems (1992: 445f) und Bergmann/Erb (1994, vgl. auch den Beitrag in diesem Heft) würde ich die „Gefahr" geringer einschätzen. Man kann, wählt man den oben eingeführten Begriff der Bewegung, kaum von einer bereits existenten Bewegung sprechen. Bergmann/Erb sind meiner Beobachtung nach z.Zt. die wissenschaftlich profiliertesten Vertreter der These einer rechten Bewegung. In mehreren Veröffentlichungen u.a. in dieser Zeitschrift (1994a) und in Beiträgen zu einem von ihnen herausgegebenen Sammelband (Bergmann/Erb 1994, Bergmann 1994b), haben sie ihre These theoretisch differenziert dargestellt und versucht, empirische Belege heranzuziehen. Begrifflich fassen sie soziale Bewegungen sehr weit, indem sie sich auf die Vorstellung von Diani beziehen. Hiernach sind soziale Bewegungen lose ge- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 koppelte Interaktionen von Personen, Gruppen und Organisationen, die auf der Basis einer gemeinsamen kollektiven Identität in politischen oder kulturellen Konflikten engagiert sind. Theoretisch beziehen sie sich - wie auch dieser Beitrag - auf die Mobilisierungsmodelle der Abteilung „Öffentlichkeit und soziale Bewegung" des WZB, konzentrieren sich dabei jedoch auf die Vorstellung von Mikro- und Mesomobilisierungen sowie die korrespondierenden Framing Prozesse (vgl. grundlegend Gerhards/Rucht 1992). Empirisch ziehen sie Material von Feldforschungen aus Berlin und Brandenburg nach dem Fall der Mauer heran (Bergmann/Erb 1994a: 80) - ohne jedoch Erhebungs- bzw. Analyseverfahren näher zu beschreiben. A n dieser Stelle setzt meine erste Kritik an: Für den Leser ist nicht überprüfbar, ob die These tatsächlich bestätigt wird, soll heißen: in welcher Beziehung das gesamte Material zu den Annahmen steht. Zum zweiten stellt sich die Frage, ob die zitierten Jugendcliquen tatsächlich Mikromobilisierungsakteure darstellen. Zu groß scheint die Distanz zwischen ihnen und den Mesomobilisierungsakteuren, sprich rechtsextremen Organisationen. Bergmann/Erb sehen dieses Problem, wissen auch um gescheiterte Versuche der Einbindung von Jugendcliquen (87), erachten die Verbindung über Meinungsbrücken (z.B. das Ausländerthema) jedoch als hergestellt und tragfähig. Zum dritten frage ich mich, ob es tatsächlich ein „einheitliches Milieu der rechten Bewegung" (90) gibt. Bergmann/Erb sichern diesen Begriff durch den der Szene ab, der m.E. jedoch ähnlich unscharf bleibt. Eine Szene, ein Milieu werden behauptet, empirische Belege gibt es m.E. jedoch (noch) nicht. Allerdings scheint - viertens - auch von Bergmann/Erb nicht bestritten zu werden, daß es den Rechten an „großräumigen Protestrelais oder Gastgeber-Organisationen" (85) fehlt, z.B. Kirchen und Universitäten. Diese Drehpunkte dienten bei linkslibertären Bewegungen nicht 21 nur der Mobilisierung von Aktionen und Aktiven, sondern auch von Sympathie und Unterstützung in der breiten Bevölkerung. Die Rechten müssen auf Medien als Äquivalente ausweichen - sowohl was die Kommunikation untereinander (Stichworte: Computernetze, Funknetze, Videos), als auch mit der Gesellschaft (Massenmedien, Mail Boxes) angeht. Gerade diese von Bergmann /Erb so bezeichneten constraints einer rechten Bewegung auf der M i kro- und Mesoebene (Distanz Jugendcliquen/ rechte Organisationen, Fehlen von Relais und etablierten Gastgebern) dürften aber verhindern, daß es zu einer erfolgreichen Bewegung kommt. Meines Erachtens handelt es sich bei den rechtsradikalen bzw. -extremen Ausschreitungen um weichere Phänomene unterhalb der Bewegungsebene. Eine mögliche Bezeichnung hierfür wäre kollektive Episoden (Nullmeier/ Raschke 1989: 252). Was spricht für eine solche Sicht der Dinge? Erstens gehen weder Massen für rechte Ziele auf die Straße, noch verüben tausende Gewalttaten. Im Vergleich zu den Mobilisierungen zu Beginn der achtziger Jahre (Friedens- und Umweltbewegung) handelt es sich bei den aktuellen rechten Phänomenen um keine Massenmobilisierungen. Rechte Einstellungen finden nicht die Resonanz in der Bevölkerung, wie es die Anliegen beispielsweise der Ökologiebewegung taten. Auch sind die sozialen Orte für zahlenmäßig erfolgreiche Sozialisationen und Mobilisierungen nicht von der Rechten hegemonialisierbar. Auschwitz wirkt an dieser Stelle entschieden nach. Für das Ausbleiben von größeren Mobilisierungserfolgen könnte zudem das Fehlen eines zentralen mobilisierenden Akteurs ein Problem darstellen. Rechte Bewegungen scheinen stärker als linke Bewegungen von einem Führer oder einem Führungsgremium abzuhängen (vgl. Neidhardt 1982: 459f.). Die rechtsradikale Infrastruktur ist bisher in geringem Maß organisiert, es gibt nur 5 22 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, relativ wenige organisierte rechtsextreme Gruppenzusammenhänge. Die Vernetzung untereinander ist gering ausgeprägt, obgleich Presseberichte 1993/94 von einer zunehmenden Verflechtung sprechen. Die Verflechtung wird jedoch vom Verfassungsschutz als strukturlos, strukturarm (unter Jugendlichen, vorwiegend Skinheads) und marginal (zwischen Skins und rechtsextremistischen Parteien) bezeichnet (1994: 13). 6 Zweitens gibt es kein Bewußtsein der Bewegung „von sich", so daß man von hoher symbolischer Integration sprechen könnte. Zwar haben sich habituelle Erkennungsmerkmale ausdifferenziert (kahlgeschorene Köpfe, Bomberjacken, Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, exzessiver Alkoholgenuß), diese treffen jedoch nur auf eine kleine, marginalisierte Gruppe zu. Das Gros der Rechten ist kulturell kaum erkennbar. Der Habitus der „Glatzen" jedoch ist nicht verallgemeinerungsfähig, er ist symbolüberladen - so wie es der Habitus der linken und rechten Punks der Siebziger war. Zwar gibt es eine neue Musikszene mit rassistischen und nationalen Tönen. Ihre soziale Resonanz ist aber gering im Vergleich zu der Resonanz der Künstler, die mit den linken postmaterialistischen, den sogenannten neuen sozialen Bewegungen zu Beginn des Jahrzehnts sympathisierten. Die Künstler, welche beispielsweise die Ökologie- und die Friedensbewegung unterstützen, waren sozial breit akzeptiert (das „Unterstützerspektrum" ging bis hin zu populären Schlagersänger/innen). Drittens ist das Bewegungsmerkmal einer geringen Rollenspezifikation nicht zutreffend, betrachtet man die aktuellen rechten Phänomene in der Gesellschaft. Zwar gibt es sowohl formelle Mitgliedschaft als auch Gewalttaten Nicht-Organisierter: Jedoch sind diese nicht sozial verbunden. Erst ein „Wir-Gefühl" aller Beteiligten - gekoppelt mit einer Balance aus 1994 formalen und informellen Partizipationschancen - könnte eine Bewegung entstehen lassen. Die organisierten Zusammenschlüsse haben jedoch geringe Kontakt- und Mobilisierungsmöglichkeiten. Die Gewalt kommt, soweit man weiß, aus eher „szenischen Zusammenhängen", die nicht explizit rechtsradikal sind. Das Weltbild der dort agierenden Jugendlichen ist kein geschlossenes, rechte Vorstellungen verbindendes Gedankengebäude. Organisationen und gewaltbereite „Szenen" sind also weder auf der sozialen noch auf der Zieldimension miteinander verbunden. Viertens fehlt eine kompakte, in sich schlüssige Ideologie, die.bei den Rechten breite Zustimmung findet oder zukünftig finden könnte. Eher handelt es sich um Versatzstücke, die schwerlich verbindbar sind. Falls es doch gelingt, entstehen leicht Konkurrenzen zu Interpretationsversuchen anderer Gruppen. Auch hier wirkt sich das hierarchische Denken der Rechten negativ aus. (Der Führer einer anderen Gruppe ist ein Rivale um die Gesamtführerschaft.) Ein wichtiger Streitpunkt unter rechten Ideologen ist zudem die Frage der Interpretation der jüngeren deutschen Geschichte. Es besteht offensichtlich ein Zwang zu Abgrenzung oder Apologie: Das Dritte Reich behindert in diesem Sinne die Formierung einer rechten Bewegung. Es genügt zudem nicht der gemeinsame Nenner der Zielvorstellungen, „das Ganze muß es sein". Die Zielvorstellungen, auch der Gewalttäter, sind nicht extremistisch im oben beschriebenen Sinne, sie sind eher eklektizistisch, einzelne rechte Aspekte aufgreifend. Die vorrangigen Ziele sind nicht politisch im engeren Sinn. Eine Systemveränderung wird nicht angestrebt, auch die konkreten Ziele sind diffus. Es geht vielmehr um Selbstdarstellung, um „Lautgeben" der an der Gewalt Beteiligten. Volker Heins (1992) spricht FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7. HEFT 4, 1994 deshalb von rechtsextrem erscheinender Gewalt als parapolitischen, politisch unvollständigen Phänomenen. 7 Fünftens scheint auch das für Bewegungen im oben zitierten Verständnis typische rationale Moment zu schwach ausgeprägt. Bei der Gewaltentstehung scheinen eher irrationale Momente und rational schwer nachvollziehbare, stärker expressiv zu nennende Momente eine Rolle zu spielen. Die Dominanz der Emotion über das Kalkül, beziehungsweise das Fehlen eines Akteurs, der mit den Emotionen zu kalkulieren versteht, ist m.E. eine der wichtigsten Barrieren gegen die Entstehung einer rechten Bewegung. Kollektive Exzesse können sich wiederholen, aber in der nächsten Zukunft dürfte eine rechte Bewegung nicht zu erwarten sein. Eine selbstkritische Frage an Sozialwissenschaftler könnte nun sein, ob die Interpretation der rechten Phänomene als Bewegung nicht unter Umständen zu nicht intendierten Nebeneffekten führt. Das Deutungsangebot, eine Bewegung zu sein, könnte einerseits von den Aktivisten in rechten Organisationen dankbar aufgenommen und zur Selbststilisierung, ja Werbung benutzt werden. Einen Gutteil tragen dazu auch die Medien bei: Eine rechte Bewegung hat Neuigkeitsweit, Angst verkauft sich. Andererseits könnte die (so perzipierte) Diffamierung von jungen Gewalttätern, zu einer solchen Bewegung zu gehören, diese vielleicht gerade in die Hände rechter Organisationen treiben. Political Correctness scheint es unmöglich zu machen, keine rechte Bewegung zu sehen; gerade aber die Deutung von schmerzvollen Episoden als soziale Bewegung kann unter Umständen ein Anwachsen von rechter Gewalt und Organisationen bewirken. Thomas Ohlemacher arbeitet am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). 23 Anmerkungen Diese Vorentscheidung bei neuen sozialen Bewegungen kann aber nicht dazu dienen, rechte Aktivitäten qua eines (normativ so verstandenen) unsozialen Anliegens als Bewegung zu disqualifizieren - so wie dies Christoph Butterwegge bisweilen tut (1994: 75). Einen Überblick über die Literatur und eine kritische Analyse der vorgelegten Untersuchungen bis Mitte/Ende der achtziger Jahre geben Backes/ Jesse 1989. Zu einem ähnlichen Urteil kommen jüngst Butterwegge (1993: 17) und Ende der achtziger Jahre Backes/Jesse (1989: 144). Zur Literatur vgl. wiederum Ohlemacher 1994, Grundlage ist vor allem Willems et al. 1993. Das Argument, auch die Zustimmung zu der Ökologiebewegung habe „klein begonnen", kann so nicht gelten, denn die rechten Issues sind ebenfalls bereits seit Jahren in der Diskussion. Butterwegge (1993) diskutiert die interessante Frage, ob die rechten Gewaltausbrüche nicht u.U. eine Folge der Aktivitäten der links-libertären sozialen Bewegungen sein könnten. Die linken Bewegungen könnten „Ängste vor einer unkontrollierten Gesellschaftsveränderung" hervorgerufen haben, die nun zu spontanen Gegenreaktionen führten. Rechte Proteste könnten so beispielsweise auf die vermeintlichen Erfolge der Frauenbewegung reagieren. Dies könnte in seinen Augen ein Erklärungsansatz sein, um die deutliche Überrepräsentation von Männern bei rechten Aktivitäten zu erklären (23). Er geht auch auf die in der ZEIT 1993 geführte Diskussion ein, inwieweit 1968 durch das aktive Wegbrechen vieler Tabus für die Welle rechtsextremer Gewalt zu Beginn der Neunziger mitverantwortlich ist. Er weist diesen Vorwurf zurück. Werte und Ziele der APO seien nicht schuldig zu sprechen, vielleicht aber die soziale Praxis der „gealterten Linken", die z.B. als Lehrer ihre Schüler enttäuscht haben. Die unaufgelösten Widersprüche zwischen ihren Ansprüchen („Gerechtigkeit, Gleichheit") und ihrem Lebensstil („BAT Ila-Schickeria") hätten die Schüler hilflos zurückgelassen (20). Dies deckt sich mit der Position von Leggewie in der angesprochenen Diskussion 1 2 3 4 5 24 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Barbara Blättert/Thomas Ohlemacher 1991: Zum Verhältnis von Republikanern und antifaschistischen Gruppen in West-Berlin: Dynamik, wechselseitige Wahrnehmungen und Medienresonanz, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 4, Heft 2, 63-74 Bundesamt für Verfassungsschutz 1993: Fragen und Antworten zum Rechtsextremismus in Deutschland (Stand Ol.Oktober 1993). Köln: BfV Bundesamt für Verfassungsschutz 1994: Vernetzung und Verflechtung rechtsextremistischer Personenzusammenschlüsse (Stand: Januar 1994). Köln: BfV Christoph Butterwegge 1993: Rechtsextremismus als neue soziale Bewegung?, in: Forschungsjoumal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 6, Heft 2, 17-24 Christoph Butterwegge 1994: Die ideologische Entsorgung der rassistischen Gewalt, in: neue praxis (24) 1/1994, 74-81 Donatella della Porta/Dieter Rucht 1991: LeftLibertarian Movements in Context: A Comparison of Italy and West Germany, 1965-1990, Discussion Papers FS III 91-102, Wissenschaftszentrum Berlin Mario Diani/Ron Eyerman (Hrsg.) 1992: Studying Collective Action, London/Newbury Park/New Delhi: Sage Johanna Esseveld/Ron Eyerman 1992: Which Side Literatur Are You On? Reflections on Methodological IsUwe Backes/Eckhard Jesse 1989: Politischer Ex- sues in the Study of 'Distasteful' Social Movetremismus in der Bundesrepublik 1989, Band 1-2, ments, in: Mario Diani/Ron Eyerman (Hrsg.): Studying Collective Action. London et al.: Sage 217Köln: Verlag Wissenschaft und Politik Werner Bergmann 1994 (i.E.): Ein Versuch die 237 extreme Rechte als soziale Bewegung zu beschrei- Jo Freeman 1983: On the Origins of Social Moben, in: Werner Bergmann/Rainer Erb (Hrsg.): vements, in: Jo Freemann (Hrsg.): Social MoveNeonazismus und rechte Subkultur. Berlin: Me- ments of the Sixties and Seventies, New York/ London: Longman 8-34 tropol Verlag Werner Bergmann/Rainer Erb 1994a: Eine sozia- Jürgen Gerhards/Dieter Rucht 1992: Mesomobile Bewegung von rechts? Entwicklung und Ver- lization: Organizing and Framing in Two Protest netzung einer rechten Szene in den neuen Bun- Campaigns in West Germany, in: American Jourdesländern. Forschungsjournal Neue soziale Be- nal of Sociology, 3 (98), 555-595 Volker Heins 1992: Krise des Fordismus und pawegungen, Jg. 7, Heft 2, 80-98 Werner Bergmann/Rainer Erb 1994b (i.E.): Ein- rapolitische Phänomene, in: Marget Jäger/ Siegleitung, in: Werner Bergmann/Rainer Erb (Hrsg.): fried Jäger (Hrsg): Aus der Mitte der Gesellschaft Neonazismus und rechte Subkultur. Berlin: Me- I (=Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) -Texte, Text 20), Duisburg: DISS tropol Verlag 71-83 in der ZEIT. Die 68er hätten keine Orientierung für die Generation nach ihnen möglich gemacht, da sie in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld auf die Ausbildung von positiver Autorität (z.B. in Familie und Schule) verzichtet hätten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht für Ende 1992 von 82 bekannten rechtsextremen Organisationen und Zusammenschlüssen mit rund 41.900 Mitgliedern. Die Zahl der „militanten Skinheads" wird auf ca. 6400 geschätzt (Bundesamt für Verfassungsschutz 1993: 3). Ende 1993 sind es nach Angaben des Verfassungsschutz rund 42.400 Personen, darunter 5.600 „militante Rechtsextremisten" (Bundesamt für Verfassungsschutz 1994: 2). Seines Erachtens zirkuliert rechte wie linke Gewalt in einem „magischen Dreieck" der Parapolitik, bestehend aus modernem Fundamentalismus, Hooliganism und neuen sozialen Bewegungen. Die neuen sozialen Bewegungen bilden dabei das rationale Element des Dreiecks. Eine Erfolgsbedingung für einen bewegungsnahen Rechtsradikalismus ist m.E. die Fähigkeit, gesellschaftlich vorhandene „Aggressionspotentiale fundamentalistisch zu codieren."(82) 6 7 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 25 Hans-Gerd Jaschke 1993: Formiert sich eine neue Regierungssystem und Regierungslehre - Fragesoziale Bewegung von Rechts? Über die Ethnisie- stellungen, Analysekonzepte und Forschungsstand rung sozialer und politischer Konflikte, in: Mittei- eines politikwissenschaftlichen Kernbereichs. Oplungen des Instituts für Sozialforschung, Frank- laden: Leske und Budrich 249-272 furt/Main: Johann Wolfgang Goethe-Universität Thomas Ohlemacher 1993: Brücken der MobiliRuud Koopmans 1992: Democracy from Below: sierung, Individuelle Netzwerke und soziale ReNew Social Movements and the Political System lais in Bürgerinitiativen gegen militärischen Tiefin West Germany. Dissertation: Universität Am- flug. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag sterdam Thomas Ohlemacher 1994: Public Opinion and Hanspeter Kriesi 1991: The Political Opportunity Violence against Foreigners in the Reunified GerStructure of New Social Movements: Its Impact many, in: ZfS 23, 222-236 on their Mobilization. Discussion Paper FS III 91- Joachim Raschke 1987: Soziale Bewegungen. Ein 103, Wissenschaftszentrum Berlin historisch-systematischer Grundriß. Frankfurt: Doug McAdam 1986: Micro-Mobilization Con- Campus texts and Recruitment to Activism. 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Paper prepared for the Conference „Euro- sen, Universität Trier: Forschungsbericht, vorgepean and American Perspectives on Social Move- legt dem Bundesministerium für Frauen und Juments", Washington D.C:, August 13-15 gend und der Deutschen Forschungsgemeinschaft Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht 1993: Auf dem im Juni 1993 Weg in die Bewegungsgesellschaft ? - Über die Stabilisierbarkeit sozialer Bewegungen, in: Soziale Welt 44, 305-326 Frank Nullmeier/Joachim Raschke 1989: Zur Einführung in die Analyse sozialer Bewegungen, in: Stephan von Bandemer und Gbttrik Wewer (Hrsg.): 26 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Werner Bergmann/Rainer Erb Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was? Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen Rechtsextremismus Im Vergleich zum organisationsfixierten, völkisch-antimodernen alten Rechtsextremismus läßt sich im rechtsextremen Lager in den letzten Jahren eine Veränderung beobachten, die man mit den Stichworten Verjüngung, Übernahme sub- und jugendkultureller Muster, kulturelle Modernisierung, militant-spontaner Aktionismus, ideologische Pluralisierung und eine damit einhergehende individuell variable Internalisierungstiefe von Ideologieelementen sowie Abkehr von einer Führer- und Hierarchiefixierung hin zu einer schwachen und dezentralen Organisation beschreiben kann. Hinzu kommt, daß das rechte Lager mit dem Issue ,Ausländer/Asyl" erstmals ein Thema besetzt hat, das auch in breiteren Bevölkerungsschichten und in politischen Parteien als „soziales Problem" angesehen wird. Diese Beobachtung hat unter Sozialwissenschaftlern einen Streit darüber ausgelöst, wie man dieses schillernde Phänomen mit soziologischen Kategorien fassen kann. Eine Reihe von Rechtsextremismusforschern hat vorgeschlagen, diese Phänomene unter dem Begriff der sozialen Bewegung zu subsumieren und greift dabei auf die im wesentlichen am Beispiel der links-libertären neuen sozialen Bewegungen entwickelten Theorien zurück. Dagegen verwahren sich andere „Bewegungsforscher", die ihren positiv besetzten Bewegungsbegriff an progressiv1 2 emanzipatorischen Bewegungen gebildet haben und sich deshalb teils mit empirischen Gegenargumenten, teils aber aus normativer Befangenheit dagegen wehren, daß dieser „Ehrentitel" dem Rechtsextremismus zukommen soll, der mit seinen Aktionen und Zielen dem Idealbild einer „neuen sozialen Bewegung" völlig widerspricht. Mit der zweiten, rein normativ argumentierenden Ablehnungsvariante wollen wir uns hier nicht befassen, da wir den Begriff der sozialen Bewegung als Strukturkategorie ansehen, die gegenüber ihren Inhalten neutral ist, d.h. die Protestthemen nicht von vornherein politisch oder moralisch bewertet. 3 Auch die eher empirisch argumentierenden Kritiker haben in ihrer Beschäftigung mit den neuen sozialen Bewegungen normativ getönte Erwartungen an die ideologische Geschlossenheit des Milieus, an Organisationsgrad und Rollendifferenzierung, Massenmobilisierung und an die Rationalität ausgebildet, die sie dazu führen, vorläufig nicht von einer rechten Bewegung zu sprechen. Gegen diese Sichtweise ist zweierlei einzuwenden: 4 1) Die Theorie sozialer Bewegungen hat sich von der Annahme eines kollektiven Akteurs gelöst und spricht heute, durch zahlreiche Fallstudien abgesichert, von einem lose struktu- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 rierten Netzwerk von Netzwerken, in das M i kroakteure unterschiedlichsten Organisationsgrades, unterschiedlicher Beteiligungsbereitschaft und -motive, ideologischer Nähe usw. eingebunden sind. Die Forderung nach Geschlossenheit oder Einheit widerspricht dem fragmentarischen, heterogenen Charakter sozialer Bewegungen, wie vor allem Alberto Melucci betont hat. Einheit ist nicht Voraussetzung, sondern Resultat kollektiver Aktion. Soziale Bewegungen müssen immer einen großen Teil ihrer Ressourcen auf die Herstellung und Erhaltung ihrer Einheit aufwenden, da sie nicht über Gratifikation in Form von Geld, Macht oder Prestige und eindeutige Außengrenzen (z.B. formale Mitgliedschaft) verfügen. Die berechtigte Kritik der Bewegungsforscher an der Massenpsychologie, die in kollektiven Protestbewegungen nur destruktive irrationale Elemente sah, was dazu führte, daß vor allem linken Bewegungen Handlungsrationalität zugesprochen wurde, sollte nicht zur Folge haben, daß man diese Rationalität rechten Bewegungen wiederum abspricht, weil sie universalistischen Normen widersprechen. Denn ihre Gewaltaktionen gegen Ausländer sind, bezogen auf ihr Ziel, den soziokulturellen Wandel hin zu einer multikulturellen Gesellschaft zu verhindern oder rückgängig zu machen, durchaus ein rationales (und partiell ja auch erfolgreiches) Mittel. 27 nem erst entstehenden Rekrutierungsmilieu. Diese Sichtweise birgt die Gefahr in sich, daß Bewegungen in ihrer Entstehungsphase leicht übersehen und deshalb in ihrer Lebensfähigkeit und Bedeutung unterschätzt werden. Da die Bewegungsforschung sich vorrangig mit erfolgreichen Großbewegungen der 80er Jahre befaßt hat, wird der Fall nicht genügend berücksichtigt, daß eine Bewegung keinen eindimensionalen stufenlosen Entwicklungsprozeß durchläuft, sondern in jeder Phase mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld interagiert, so daß etwa scharfe gesellschaftliche Sanktionen, wie sie Rechtsradikale und Gewalttäter erfahren, rechte Bewegungen in ihrer „Jugendphase" zwar nicht stillstellen, aber doch stark behindern können. Hinzu kommt natürlich, daß Bewegungen sich auch durch erfolgreichen Protest auflösen können, wenn z.B. das politische System ihre Forderungen wenigstens partiell erfüllt hat. 6 Sucht man, wie die dem Paradigma der NSB folgenden Bewegungsforscher, in der rechten Bewegung nach direkten Entsprechungen, so kommt man zwangsläufig zu Defizitanzeigen, die nicht nur der frühen Entwicklungsphase geschuldet sind, sondern auf strukturelle Probleme rechter Mobilisierung hindeuten (fehlende großräumige Protestrelais, staatliche Verbotspraxis, keine Massenmobilisierung). Dabei übersieht man u.E. zweierlei: Einmal funk2) Diese normative Infizierung des Rationali- tionale Äquivalenzbildungen. So kann z.B. tätskriteriums weist nochmals auf die starke Gewalt auf der Straße das politische System Bindung an das Paradigma demokratisch-pro- genauso zum Handeln zwingen wie Massen gressiver Bewegungen hin, die sich auch in auf der Straße, können Provokationen und einigen anderen Kriterien nachweisen läßt. So Funktionalisierung der Massenmedien dem gewinnen die Bewegungsforscher ihre Maß- rechten Lager eine größere Bedeutung verstäbe aus der Endphase einer fast dreißigjähri- schaffen als ihm zahlenmäßig zukommt. Wenn gen Protest- und Bewegungsgeschichte (von im vergangenen Jahr nach Auskunft der Bunerfolgreichen! Bewegungen) und verkennen desregierung 23.318 Ermittlungsverfahren wedarüber die kleinen Anfänge der neuen sozia- gen rechtsextremistischer und fremdenfeindlilen Bewegungen mit ihrer ideologischen Dif- cher Straftaten (Anteil 40%) eingeleitet worfusität , geringem Mobilisierungsgrad und ei- den sind, dann dürfte das große Ausmaß an 7 5 28 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, fremdenfeindlicher Mobilisierung deutlich sein und Ohlemachers quantitative Argumentation entkräften. Zum anderen vernachlässigt man die Lernfähigkeit von Bewegungen, die auf Sanktionen mit Änderungen ihrer Strategien und Symbolpraxis reagieren. 8 9 Gegenüber einem Bewegungsbegriff, der bereits große Strukturleistungen voraussetzt, Bewegungen aber durch seine Bestimmungsmerkmale (Organisation, Bezug zu sozialem Wandel) nicht hinreichend von anderen sozialen Kommunikationssystemen abgrenzen kann , folgen wir Ahlemeyers systemtheoretischem Vorschlag, soziale Bewegung als Reproduktion und Verknüpfung von Mobilisierungsereignissen zu definieren. Das Spezifische der Mobilisierungskommunikation ist, daß sie den mitgeteilten Sinnvorschlag mit einem Selektionsvorschlag an das Ego einer Person verbindet: sie möge entsprechend handeln." Soziale Bewegungen bilden sich durch Protestkommunikation, in der sie über ein Thema in ihrer Differenz zur Gesellschaft erkennbar werden. Sie gewinnen Dauer, in dem sich andere über Beiträge zum Protestthema dieser Kommunikation anschließen. Anders als im Fall von Gruppen oder Organisationen ist die Zugehörigkeit zu einer Bewegung nicht über Mitgliedschaft oder face-to-face-Kommunikation geregelt, sondern kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: dies kann über Wahlentscheidungen, Spenden, Abonnements, Teilnahme an Veranstaltungen und Protestaktionen bis hin zu öffentlichen Stellungnahmen und Gewalttaten gehen. Da eine Bewegung keine Hierarchie hat, wo die Spitze autoritativ darüber entscheidet, welcher Beitrag noch als zugehörig oder nicht-zugehörig gilt, muß jede Protestkommunikation zum entsprechenden Thema als zur Bewegung gehörend angesehen werden. Faßt man den Bewegungsbegriff in dieser Weise, dann halten wir es für angemessen, in Deutschland von einer sozialen Bewegung zu spre10 12 1994 chen, die sich um das Protestthema „Ausländer" gebildet hat. Dieses politisierte Thema ist anschlußfähig vor allem für Rechtsextreme aller Couleur, es leisten aber auch sehr viele Personen, Gruppen, Verlage etc. einen Beitrag, die damit freilich nicht die politisch weitergesteckten Ziele des Rechtsextremismus verfolgen. Die Öffentlichkeit zeigt sich immer wieder darüber verwundert, daß bei Brandanschlägen auf Ausländer oder bei Propagandadelikten gefaßte, vor allem jugendliche Täter keine geschlossene rassistische oder rechtsextreme Ideologie vertreten, kaum Kenntnisse der NS-Geschichte besitzen und ansonsten sozial und politisch unauffällig sind. Trotzdem haben sie mit ihrer Aktion einen Beitrag zu Bewegung geleistet, indem sie einerseits an (medial vermittelte) Protestereignisse anschließen und andererseits mit ihrem Handeln weitere Aktionen stimulieren wollen. Ein Fall von vielen kann das Gemeinte verdeutlichen: Im September 1992, im Anschluß an die pogromartigen Ausschreitungen in Rostock, griffen drei Jugendliche auf einer nächtlichen Sauftour die Containerunterkunft von ihnen nicht bekannten Asylbewerbern in einem hessischen Dorf mit selbstgefertigten Molotowcocktails an und schlugen mit Baseballschlägern gegen die Hauswände. Sie waren bis dahin politisch unauffällig gewesen, einer war Kriegsdienstverweigerer, ein anderer Mitglied der Jungen Union, und die Ermittler konnten keine Verbindung zum Rechtsextremismus feststellen. Die Jugendlichen begründeten ihre Tat damit, daß sie „Spaß haben", es den „Asylanten einmal zeigen wollten", und daß sie vorhatten, „ein Zeichen zu setzen". Daß derartige Aktionen von Jugendcliquen als „Fortschritt" und „Signal" gedeutet werden, belegt die Jugendforschung. 13 14 Betrachtet man diese Aktion allein für sich, zumal die Täter nicht über eine Mitgliedschaft FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Teil rechter Bewegungsorganisationen zu sein schienen, hätte man es nur mit einer gewöhnlichen Straftat zu tun. Doch bereits die Presse und das Gericht stellten sie in den Kontext der anhaltenden Gewaltwelle gegen Ausländer. Diese Aktion muß aber aus zwei Gründen als Beitrag zu einer ausländerfeindlichen Bewegung gesehen werden: 29 Die Zugehörigkeit von Protestkommunikation zu einer Bewegung bestimmt sich über den symbolischen Anschluß an das Protestthema und nicht über die individuell verschiedenen Handlungsmotive, da wir aus der Bewegungsforschung wissen, daß die Teilnahmemotivation z.B. an Demonstrationen von Spaß- und Aktionsmotiven bis hin zur Verfolgung politischer Ziele reicht. „Flache Motivation" ist kein Kriterium, jemanden nicht einer Bewegung zuzurechnen, wobei noch hinzukommt, daß Menschen häufig nicht wirklich über ihre Motive Bescheid wissen, sondern sie im Verlauf von Interaktionen erst konstruieren, so daß Motive nicht den Anfang einer Erklärung bilden, sondern selbst erklärungsbedürftig sind. 16 1) Mit ihrer Begründung, „ein Zeichen setzen zu wollen", stellten die Jugendlichen ihre Aktion selbst in einen größeren Kontext, indem sie einerseits den Staat , andererseits andere Bewegungsteilnehmer zur Mobilisierung gegen die „Ausländer" aufriefen. 15 17 2) Die Umstände und die Ausführung der Aktion folgten dem etablierten, aus den Medien bekannten bewegungstypischen Handlungsmodell: die Parolen, die Waffen, die Auswahl der Opfer, der Alkohol und die Einlassungen vor Gericht. Es wäre jedoch verkürzt, eine fremdenfeindliche Bewegung vor allem in der gewaltbereiten jugendlichen Subkultur zu lokalisieren (bzw. mit dem Argument ihrer Politikferne zu bestreiten, daß es sich um eine Bewegung han- - ....,»ßck i&M^ctieJ\MWL[ (fa mmdfr X Mt ml wie YfasrMcfaw. 30 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, delt, wie Thomas Ohlemacher es tut, S. 15). Vielmehr ist diese nur ein (mobilisierungsbereites) Segment in einem großen Feld miteinander in loser Beziehung stehender Parteien, Vereinen, Gruppen, Lesezirkeln, Zeitungen, Verlagen, Kulturwerken bis hin zu Nazi-Rockbands, nationalen Liedermachern und ihren Fanklubs, die gerade nicht mehr die auf der traditionellen Rechten üblichen Formen der Führer- und Kaderpartei annehmen, sondern dezentral strukturiert, wenig organisiert, hierarchiefeindlich, ideologisch uneinheitlich (außer daß man „deutsch und rechts" ist) und aktionsorientiert sind. Mit Friedhelm Neidhardt und Dieter Rucht sowie Claus Leggewie kann man die fremdenfeindliche Bewegung sogar als Ausdruck einer Tendenz zur „Bewegungsgesellschaft" interpretieren, in der sich eine Pluralität von Bewegungen als Dauererscheinung etabliert und in die sich auch der Rechtsextremismus nolens volens einfügt, indem er ihre Erscheinungsformen teilt. Die rechte Bewegung, die man im wesentlichen als eine kulturelle Gegenbewegung gegen die Moderne mit ihren internationalisierenden und individualisierenden Wirkungen sehen muß, gerät damit in die paradoxe Situation, die Formen derjenigen Strömungen annehmen zu müssen, gegen die sie sich im Grunde genommen wendet. Trotz ihres Charakters als Gegenbewegung gegen den links-libertär geprägten Wertewandel der 70- und 80er Jahre müssen sie den Individualisierungstendenzen ihrer Anhänger, die man als „postmoderne Neonazis" bezeichnen könnte, Rechnung tragen, die sich einer kaderförmigen Organisierung und kontinuierlichen Mobilisierung widersetzen. 18 19 Thomas Ohlemacher hat in seinem Beitrag mit Recht auf die Forschungslücken in den Bereichen „Mobilisierung" und „Stabilisierungsbedingungen" für eine rechte Bewegung hingewiesen. Dies liegt zum Teil - neben der Tatsache, daß es sich oft um klandesüne Organi20 1994 sationen und Gruppen handelt - auch darin begründet, daß wissenschaftliche, journalistische und politische Beobachter die 'Rechte' eben nicht als einheitliches Phänomen „Bewegung" beobachtet, sondern unter einem je spezifischen Blickwinkel in seiner organisierten Form (Verfassungsschutz, Parteien- und Wahlforschung), als subkulturelles Phänomen (NaziRock, Skinhead-Szene, vor allem durch Journalisten), als Jugendproblem (Jugendsoziologie, Gewaltforschung) oder als politisch-ideologische Strömung wahrnehmen und analysieren und dadurch eben nicht die bewegungsspezifische Vernetztheit in den Blick bekommen. Wählt man etwa die bürokratische Betrachtungsweise des Verfassungsschutzes, dann muß die Szene als „vielfältig zersplittert" erscheinen, was aber informelle, bewegungstypische Verbindungen und eine generell geteilte politische Orientierung nicht ausschließt. Inzwischen stellte der Verfassungsschutzbericht des Bundes 1992 jedoch fest, daß sich etwa zwischen Skinhead- und Neonazigruppen eine Art „Verflechtung" herauszubilden beginnt, und Ernst Uhrlau, Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, sieht einerseits ebenfalls Vernetzungstendenzen zwischen Neonazis und Skinheads, andererseits aber auch den Aufbau einer übergreifenden netzwerkartigen Struktur (autonome Gruppen und organisationsübergreifende Themen wie die Anti-Antifa-Kampagne) in der Neonazi-Szene selbst, die sich auf technischem und juristischem Gebiet zunehmend professionalisiert und heute über eine ganze Reihe von „Bewegungsunternehmern" verfügt. Über die rechtsradikalen Parteien fließen in das rechte Lager finanzielle Ressourcen (Wahlkampfkostenpauschale) und über Mandate und das Publikationsnetz entstehen neue Karriereangebote. Über die „Knoten des rechten Netzes", das durch Mehrfachmitgliedschaften, „Wanderungen" von Aktivisten, Treffpunkte, aber auch durch technische Einrichtungen (Info-Telefone, Mail-Boxen) vielfältig verfloch21 22 23 FORSCHUNGS JOURNAL N S B , JG. 7. HEFT 4, 1994 ten ist, liegen ebenfalls Erkenntnisse vor. Es gibt also durchaus „Adressen" der Bewegung, wo man sich treffen und Kontakte knüpfen kann, auch wenn große soziale Relais fehlen. 24 31 völkerang anzutreffen. Auch heute, nach den Lichterketten und dem Abflauen der Asyldebatte, finden Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in der Bevölkerang immer noch erstaunlich breite Unterstützung. 27 28 Ansätze zur Vemetzung sind also sowohl in organisierter Form als auch in unterschiedlichen Graden bei Skinheads und anderen Gmppen Jugendlicher gegeben. Wie steht es nun mit dem Argument, es fehlt an einer Massenmobilisierung? Sicherlich haben rechte Versuche zur Mobilisierung allenfalls einige hundert, maximal 2000 Personen (wie beim HeßGedenkmarsch 1992) auf die Straße gebracht. Doch darf man hier möglicherweise nicht einfach das Muster links-libertärer Bewegungen zugrunde legen, die ihre demokratische Legitimation gerade im Gewinnen massenhafter Unterstützung sahen. Für eine ausländerfeindliche Bewegung, die ja aufgrund ihrer Ziele und Mittel nicht in gleicher Weise in die Öffentlichkeit gehen kann und sich vor allem in Großstädten mit einer Übermacht demokratischer und linksautonomer Gegenmobilisierung konfrontiert sieht, könnten andere Formen der Mobilisierung adäquater und funktional äquivalent sein, etwa gewaltsamer Protest in Gmppen von vier bis zu 50 und mehr Personen. Die Zugehörigkeit der Aktionen zur Bewegung ergibt sich aus den angegriffenen Zielen, den Parolen, den verwendeten Waffen usw., und diese werden von der Umwelt ja durchaus auch richtig verstanden. Faßt man die rechte Bewegung wesentlich als ausländerfeindliche Bewegung, dann dürfte das Argument Ohlemachers von der geringen Bevölkerungsresonanz wohl kaum zutreffen, die sicherlich die Resonanz für Friedens- und Ökologiefragen in den frühen Phasen dieser Bewegungen bei weitem übertreffen dürfte. Das Protestthema „Ausländer/Asyl" war 1992 nicht nur Spitzenreiter auf der öffentlichen Agenda, sondern ausländerfeindliche Einstellungen sowie Ablehnung von Asylbewerbern war in großen Teilen der Be25 26 Wenn man der rechten ausländerfeindlichen Bewegung symbolische Integration, Wir-Gefühl und eine schlüssige Ideologie bestreitet, dann stellt man definitorische Ansprüche an soziale Bewegungen, die selbst viele der neuen sozialen Bewegungen nicht erfüllt haben. Ähnlich wie die Massenmobilisierung gegen die Nachrüstung, die sich gegen eine konkrete rüstungspolitische Entscheidung richtete, ohne daß bei dem Gros der Teilnehmer wohl konkrete Vorstellungen über die internationale Sicherheitspolitik oder eine schlüssige pazifistische Ideologie vorhanden gewesen sein dürften, wurde die ausländerfeindliche Bewegung durch einen öffentlichen Streit in ihrem Entstehen gefördert. Die von Scheuch/Klingemann stark betonten situativen Bedingungen einer Erfolgschance rechter Bewegung sind u.E. seit 1990 gegeben: Sachthemen, die skandalisierungsfähig sind (Asyldebatte), der Zweifel an der Lösungskompetenz des politischen Systems und die Entwicklung des rechten Lagers selbst (anhaltende Wahlerfolge der „Republikaner") schufen Möglichkeiten für Kampagnen. Bei der ausländerfeindlichen Mobilisierang handelt es sich um ein „one-issue movement" mit einem konkreten Feindbild, das aber verknüpfbar ist mit der Ablehnung zahlreicher Merkmale und Leitwerte der heutigen Gesellschaft der BRD (Pluralismus, Liberalismus, demokratisches Geschichtsbild). Mit dem konkreten und erweiterten Feindbild besitzt die rechte Bewegung einen Minimalkonsens für die Ingroup/Outgroup-Unterscheidung. Mit der Selbstbeschreibung „deutsch, national und rechts" sind ein Wertkonsens und ansatzweise eine kollektive Identität vorhanden, die sich in politischen Konflikten immer wieder manife29 32 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, stieren. Dabei sind die Ansprüche an die Kohärenz der kollektiven Identität sozialer Bewegungen niedriger anzusetzen als im Fall anderer sozialer Formationen, wie Gruppen, Organisationen oder Milieus. In diesem Beitrag ging es uns primär nicht darum, entlang eines Bedingungskataloges zu prüfen, ob wir es im rechten Lager mit einer sozialen Bewegung zu tun haben. Uns leitete vielmehr die Frage, wie die unübersehbaren Entwicklungen und Differenzierungen in diesem Lager soziologisch zu fassen sind. Den analytischen Nutzen des Bewegungsansatzes, nach dem Stöss mit Recht gefragt hat (1994), sehen wir in seiner Integrationsleistung, die über die partikularen Ansätze der Wahl- und Parteienforschung, der Jugend- und Gewaltforschung etc. hinausreicht. Das Zusammenspiel einzelner Segmente des Rechtsextremismus, seine traditionellen und modernen Elemente und die Interaktion mit der Gesellschaft werden damit analytisch besser faßbar. mus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky AVolfgang Schroeder, Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S.325-338; vgl. unsere eigenen Arbeiten dazu: Werner Bergmann/Rainer Erb, Eine soziale Bewegung von rechts? Entwicklung und Vernetzung einer rechten Szene in den neuen Bundesländern, in: Forschungsjournal NSB 2/1994, S.80-98; dies., Rechte Subkultur und Neonazismus, in: dies. (Hrsg.), Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin 1994 (im Druck); Werner Bergmann, Ein Versuch, die extreme Rechte als soziale Bewegung zu beschreiben, ebd. Es gibt jedoch auch Rechtsextremismusforscher, die dieses heterogene rechte Feld als Rekrutierungsmilieu für Rechtsparteien ansehen, das sich nicht wesentlich von den traditionellen Unterstützermilieus des Rechtsextremismus unterscheidet; so etwa Richard Stöss, Forschungs- und Erklärungsansätze - ein Überblick, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994: 2366, hier vor allem S.52ff. Jugendforscher kritisieren zu recht, daß gewalttätig-maskuline Jugendgruppen pauschal dem Rechtsextremismus zugeordnet werden, als handele es sich dabei um Neonazis oder „konstitutionelle Republikaner". Leggewie überbietet (ironisch?) den Begriff „neue soziale Bewegung" noch, indem er die neue rechte Bewegung als „neueste soziale Bewegung" apostrophiert und ihr damit geradezu eine avantgardistische Position in der postmodernen Gesellschaft zuschreibt (1994:328). Die etwa von Ohlemacher (in diesem Heft S. 14) vorgeschlagene „weichere" Konzeptualisierung als „kollektive Episoden" bleibt in ihrer Formbestimmung völlig unklar. Auch aus der Ökologiebewegung kennen wir für die Anfangsphase dieses ideologische Gemengelage, etwa von postmaterialistischen Umweltschützern und konservativen Heimatschützern. Vgl. Thomas Jahn/Peter Wehling, Ökologie von rechts. Nationalismus und Umweltschutz bei der Neuen Rechten und den „Republikanern", Frankfurt/M. 1991. Neuerdings hat Piotr Sztompka die enge Wechselwirkung von interner Morphogenese sozialer Bewegungen mit externen Prozessen betont. Gesellschaftliche Prozesse greifen bereits in den Auf3 Werner Bergmann und Rainer Erb arbeiten am Zentrum für Antisemitismusforschung derTUBerlin. Anmerkungen Da soziale Bewegungen gewöhnlich über ihr Protestthema und nicht über ihre generellen politischen Einstellungen definiert werden, muß man für die Jahre 1991-93 statt von einer rechten von einer ausländerfeindlichen Bewegung sprechen, da in der Tat viele ihrer Anhänger die weitergehenden politischen Vorstellungen des Rechtsextremismus nicht teilten, wohl aber für den Protest gegen Einwanderung/Asyl zu mobilisieren waren - und nur darauf kommt es an! Z.B. Hans-Gerd Jaschke, Formiert sich eine soziale Bewegung von rechts? Über die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, in: Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung, Heft 2, 1993, S.28ff.; Claus Leggewie, Rechtsextremis1 2 1994 4 5 6 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 bau von Bewegungen ein und beeinflussen deren Karriere, Schwung und Richtung, wie umgekehrt Bewegungen Veränderungen in der Gesellschaft bereits dann produzieren, wenn ihre eigenen Strakturierungsprozesse noch nicht endgültig abgeschlossen sind (Piotr Sztompka, Jenseits von Struktur und Handlung: Auf dem Weg zu einer integrativen Soziologie sozialer Bewegungen, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.70-79, hier S.78). Mehr noch als das Zurückweichen der Staatsgewalt bei der Räumung der Asylunterkunft in Hoyerswerda und andernorts war das Eingehen der Politiker auf die Forderungen des Mobs in Rostock ein tatsächlich wahrnehmbarer Erfolg, der weitere Mobilisierungen auslöste. Der Rückgang der Zahl schwerer Gewalttaten gegen Ausländer in den Jahren 1993-94 im Vergleich zu 1991-92 ist primär auf den Verfolgungsdruck zurückzuführen und kann noch nicht als Abflauen der Bewegung gewertet werden. Dagegen spricht auch, daß die Zahl der gefahrloser zu begehenden Agitationsstraftaten weiterhin zunimmt. Auf Partei- und Organisationsverbote wird mit der Bildung autonomer Kameradschaften reagiert, die lokale Autonomie insoweit besitzen, als sie nicht die übergeordneten politischen Interessen ihres Lagers verletzen. Wird die Symbolpraxis juristisch verfolgt, dann wird sie nach bestimmten Regeln recodiert, beispielsweise werden heute Briefe nicht mit dem „Deutschen Gruß" unterzeichnet, sondern „Mit bestem Graß". Die Skinheads reagieren durch „symbolische Abrüstung" ihres Outfits. Dem Bewegungsforscher (aber z.B. auch der Justiz), der sich neu diesem rechten Feld zuwendet und diese Umcodierungen nicht kennt, werden möglicherweise diese Anspielungen in „gereinigten" Texten entgehen, und er wird ein Fehlen rechtsextremer und antisemitischer Aussagen feststellen. Vgl. zu dieser Kritik an der Bewegungsdefinition des Mainstreams Heinrich W. Ahlemeyer, Was ist eine soziale Bewegung? Zur Distinktion und Einheit eines sozialen Phänomens, in: ZfS 18, 1989, S.175-191, hier S.178. "Ebd. S.182 u. 185. 7 8 9 10 33 Niklas Luhmann hat kürzlich bezweifelt, daß es Protestbewegungen mit klaren Außengrenzen geben kann: „Immer wenn man protestiert, ist man in dieser Bewegung, und wenn nicht, dann nicht" (Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.53-69, hier S.55). Das spezifische Protestthema gibt dem Protest seine Form und erzeugt Bindungen zum Mit- und Weitermachen. Auch nach Ahlemeyers Theorie besitzen Bewegungen besonders labile Operationsgrundlagen, nämlich Mobilisierungen, die Mobilisierungen mobilisieren (1989, S.189). " Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 19.4.1993, Geschäftszeichen 20 Js 48/92 2KLs. Schaut man sich die Prozeßberichte über angeklagte fremdenfeindliche jugendliche Gewalttäter an, dann wird deutlich, wie häufig diese doch über Kontakte zum organisierten Neonazismus verfügten oder Propagandamaterial bei ihnen gefunden wurde (vgl. die Fälle Mölln, Solingen u.a.). Vgl. die Interviewauswertung mit gewaltbereiten Jugendlichen von Dietmar Sturzbecher/Peter Dietrich/Michael Kohlstruck, Jugend in Brandenburg 93, Potsdam 1994, S.45. Bei dieser ausländerfeindlichen Bewegung handelt es sich nicht um den Typ einer revolutionären Bewegung, die die Macht im Staat anstrebt, sondern um Protestaktionen, die man als Loyalitätspogrome beschreiben kann, die den Staat zum Handeln in eine bestimmte Richtung zwingen sollen. Aus der Antisemitismusforschung ist diese Handlungsaufforderang und die Form des stellvertretenden Handelns gut bekannt. Vgl. Christhard Hoffmann, Politische Kultur und Gewalt gegen Minderheiten. Die antisemitischen Ausschreitungen in Pommern und Westpreußen 1881, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 3, 1994, S.93120, hierS. lOOff. In der Zuschreibung von Motiven von Bewegungsteilnehmern tritt eine charakteristische Differenz zwischen Innen- und Außensicht auf. Die Jugendforschung hat diese Differenz hinsichtlich der Teilnahmemotivation von Skinheads herausgefunden: So sehen Mitglieder der Skinheadszene und deren Sympathisanten als Hauptmotive: „weil sie gegen Ausländer sind, Kameradschaft in den Gruppen finden und weil sie gegen die herrschen12 14 15 16 34 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, den Verhältnisse protestieren wollen". Die Gegner der Skinheads unterstellen ihnen neben der Ausländerfeindlichkeit vor allem, daß sie gewalttätige Auseinandersetzungen suchen und daß sie Langeweile haben (vgl. Sturzbecher/Dietrich/ Kohlstruck 1994, S.l 12). " Dazu kürzlich Klaus Eder, Die Institutionalisierung kollektiven Handelns. Eine neue theoretische Problematik in der Bewegungsforschung?, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.40-52, hierS.48. Vgl. Leggewie, a.a.O., S.325f, der den heutigen Rechtsradikalismus explizit nicht als bloße „episodische Gewalt" und auch nicht mehr als „Kaderorganisation" begreift, obwohl er Züge von beidem hat (S.328f.). Zur Vernetzung des „nationalen Lagers" vgl. neuerdings: Juliane Wetzel, Die Maschen des rechten Netzes. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremen Spektrum, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1994, S.154178. Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, Auf dem Weg in die „Bewegungsgesellschaft"? Über die Stabilisierbarkeit sozialer Bewegungen, in: Soziale Welt 44/3, 1993, S.305-326, hier S.320f, Leggewie a.a.O., S.336. Die komparative Parteienund Wahlforschung will eine neue Konfliktlinie entlang der Themen Ökologie, Menschenrechte, Wohlfahrtsstaat, Europa und Ausländer erkennen, deren Endpunkte die ökologischen und rechtspopulistischen Parteien bilden (vgl. Stöss, in: Kowalsky/Schroeder 1994, S.550. Thomas Ohlemacher in diesem Band. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1992, S.16. Vgl. seinen Beitrag: Die Vernetzungstendenzen im deutschen Rechtsextremismus, in: Werner Bergmann/Rainer Erb (Hrsg.), Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin (im Druck). Leute wie Ewald Althans oder Christian Worch wären hier stellvertretend zu nennen. Hatten am „Rudolf-HeßGedenkmarsch" 1989 nur 200 Personen teilgenommen, waren es bei dem von Althans und Worch 1992 organisierten Marsch schon 2000. Die rechtsextremen Wahlparteien scheinen uns auch eher Gebilde zu sein, die sich im wesentlichen über Protest bzw. Ablehnung von Einwan18 19 20 21 22 23 1994 derung konstituieren, ohne konkrete weitere Ziele in anderen Politikbereichen zu verfolgen. Daß ihre Mandatsträger in der praktischen Politik nicht mitarbeiten (können), zeigt deren Protestorientierung an, die die Verantwortung an andere adressiert und sich selbst nicht an die Beseitigung eines Mißstandes macht. Vgl. Wetzel 1994; zur Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus vgl. Armin Pfahl-Traughber, Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994, S.l60-184. Die anhaltend große Mobilisierungsbereitschaft dokumentiert die Brandenburg-Studie von 1993 (Sturzbecher et al. 1994, S.l 11): Knapp 14% der männlichen Jugendlichen (12-18 Jahre) rechnen sich selbst den Skinheads zu bzw. würden sich ihnen anschließen, weitere 12,5% finden Skins gut. Vgl. Sonja Beck-Niederkirchner, Erfahrungen der Polizei mit Gewalt und Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern, in Bergmann/Erb (Hrsg.), a.a.O. Das Verhalten der Bystanders in Rostock-Lichtenhagen wie auch die allerdings nie ganz aufgeklärten Zusammenhänge in Dolgenbrod sprechen durchaus für eine Resonanz bei der betroffenen Bevölkerung. Thomas Ohlemacher selbst hat ja einen kausalen Einfluß des Anstiegs ausländerfeindlicher Meinungen (gemessen über Umfragen) auf die Gewaltspirale für die Gewaltwelle 199193 postuliert (Thomas Ohlemacher, Public Opinion and Violence Against Foreigners in the Reunified Germany, in: ZfS 23, 1994, S.222-236, hier S. 234. Eine Umfrage in Berlin im Juli 1994 erbrachte, daß ein knappes Fünftel der Westberliner und fast ein Drittel der Ostberliner gegenüber ausländerfeindlichen Ausschreitungen Verständnis aufbringen. Überdurchschnittlich sind dies junge Männer zwischen 18-29 Jahren, also die Altersgruppe, aus der mehrheitlich die Täter stammen (Der Tagesspiegel vom 22.7.94). Erwin K. Scheuch/Hans-Dieter Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1967, S.l 129. 24 25 26 27 28 29 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 35 1994 Christoph Butterwegge Mordanschläge als Jugendprotest - Neonazis als P rötest beweg u n g ? Zur Kritik an einem Deutungsmuster der Rechtsextremismusforschung Als eigener Forschungszweig kaum profiliert, geschweige denn fest etabliert und institutionalisiert, ist Rechtsextremismusforschung in der Bundesrepublik eher ein konjunkturelles Phänomen als eine kontinuierliche Einrichtung. Sie verfügt weder über ausreichendes empirisches Datenmaterial noch über eine Theorie, sondem schwankt zwischen verschiedenen Erklärungsansätzen hin und her. Statt die Rechtsentwicklung als bewußte Weichenstellung nationaler Eliten zu begreifen, interpretiert man die Gründe für den Rechtsextremismus in seine zur Unterschicht zählenden Anhänger bzw. in deren Psyche, Familienverhältnisse und Persönlichkeitsstruktur (autoritärer Charakter, Vaterlosigkeit, übermäßiger Alkoholgenuß) hinein oder extemalisiert das Problem, drängt es aus dem Machtzentrum der Gesellschaft an den Rand und die Verantwortung dafür an sog. Randgruppen (z.B. Skinheads) delegiert. In jedem Fall findet eine Personalisiemng, Psychologisierung und Entpolitisierung, aber keine Durchdringung der bestehenden Kausalzusammenhänge statt. 1 2 Betrachtet man die Erklärungsversuche der Sozialwissenschaft zum Thema „Rechtsextremismus/Rassismus" über einen längeren Zeit- raum hinweg, so dominierten drei Grundmuster: In der Nachkriegszeit, aber auch während des Kalten Krieges galt der Rechtsextremismus überwiegend als das Werk von „Ewiggestrigen"; da rechtsextreme Parteien - die NPD in den 60er Jahren, D V U und REPublikaner gegen Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre - vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise einerseits und tiefgreifender Krisenerscheinungen des Parteiensystems (Zunahme der Nicht- bzw. Wechselwähler/innen) andererseits Wahlerfolge feierten, lag es nahe, ihre periodischen Stimmengewinne sog. Protestwählem zuzuschreiben, die sich nur gegen Wohlstandseinbußen und Versäumnisse der Volksparteien zur Wehr setzten; in einem Analogieschluß wurden gewaltsame Ubergriffe auf (ethnische) Minderheiten, die sich seit der deutschen Vereinigung häuften, als Jugendprotest verstanden, der sich im Osten gegen die unsozialen Folgen der Transformationskrise und im Westen gegen die liberale Erblast der „68er" richte. 3 Wie kam es zu diesem Paradigmawechsel, und was ist von dem neuen Erklärungsmodell zu halten? Im Laufe des Jahres 1989 vollzogen sich in der DDR und anderen Staaten Ostmit- 136 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, teleuropas tiefgreifende Gesellschaftsveränderungen. Demokratische Bürgerbewegungen standen gegen kommunistische Parteiherrschaft auf. Zur selben Zeit wurde der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene wieder eine relevante Kraft. Nun reichte es nicht mehr aus, rassistisch motivierte Gewalttäter als „unpolitische Einzeltäter", Rowdys und Rabauken abzutun. Weshalb man sie gerade zu Sozialrebellen erklärte, bedarf einer genaueren Untersuchung. 1. ,Jugendrevolte" - Chiffre für die Ratlosigkeit der Erwachsenen Schon ein paar Monate vor den gewalttätigen Ausschreitungen in Hoyerswerda (September 1991) warf Michael Rutschky die Frage auf, ob es in Ostdeutschland zu einer „antiautoritären Revolte von rechts" nach 68er-Vorbild kommen werde. Was Rutschky noch in Frageform gekleidet, als mögliche Entwicklung antizipiert und nur als Vermutung eines Westberliner Lehrers präsentiert hatte, war für den Schriftsteller Bodo Morshäuser einige Zeit später bereits Gewißheit. Über die Skinheads sagte er in einem Interview: „Es ist eine antiautoritäre Rebellion, die sich unter anderem auch gegen die Antiautoritären wendet." 4 5 Nicht nur konservative Politiker und Publizistinnen machten die „Konfliktpädagogik", d.h. den antiautoritär-libertären Erziehungsstil einer Generation kritischer Lehrer/innen, für die fremdenfeindliche Gewalt verantwortlich. Die naheliegende Frage, warum der angeblich übermächtige Haß auf die „Alt-68er" keineswegs Oberstudienräte und Rechtsanwälte, sondern Asylbewerber/innen und Kinder/Enkel der sog. Gastarbeiter traf, die häufig nicht einmal wissen dürften, was um das Jahr 1968 herum in der Bundesrepublik geschehen ist, wurde 1994 allerdings gar nicht gestellt, geschweige denn überzeugend beantwortet. 6 In der veröffentlichten Meinung vollzog sich nach Hoyerswerda ein Umschwung: Was vorher als „kleine radikale Minderheit" verharmlost worden war, avancierte fast über Nacht zu einer Protestbewegung mit Massenanhang, die - obgleich man ihre Methoden mißbilligte berechtigte Kritik an sozialen und politischen Mißständen im Lande zum Ausdruck bringe. Pate dafür stand ein Interpretationsmuster der Wahlforschung. Beispielsweise schrieb Konrad Schacht, Leiter der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung, mit Blick auf das Votum für rechtsextreme Parteien wie REPublikaner, D V U und NPD: ,Die Verschärfung sozialer und psychischer Deprivationen im unteren Drittel unserer Wohlstandsgesellschaft hat zum Entstehen des Rechtsradikalismus beigetragen, der sehr stark eine Reaktion der unteren sozialen Schichten ist." 7 Sogar in der seriösen Fachpublizistik überwog die Tendenz zur Simplifizierung. So sprach Karl-Heinz Roth von einer Revolte der „Anschluß"-Verlierer in Ost- und Westdeutschland: „Diesseits und jenseits der Elbe hat sich eine Jugendbewegung an die Spitze des Aufbegehrens der moralisch, ökonomisch und sozialpolitisch Entwerteten gesetzt. Adressat ihrer Wut aber wurden nicht diejenigen, die mit ihren Entscheidungen und Handlungsrastern die soziale Katastrophe ausgelöst haben und inzwischen verwalten. Die Gewalt der Jugendlichen richtete sich gegen Zuzug von außen, gegen die Asylsuchenden der jüngsten Migrationswelle, die von den Behörden in die Zentralen Anlaufstellen und Sammellager der Trabantenstädte und Depressionszonen gepfercht wurden." 8 Die „Objektverschiebung" im Handeln rechter Gewalttäter erschien dem Autor nicht weiter FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 37 1994 erldärungsbedürftig. Vielmehr begnügte er sich mit dem Hinweis, vor allem die auf dem Balkan „ethnischen Säuberungen" unterworfenen Roma seien „nicht nur extrem anders, sondern auch soziale Konkurrenten auf den Schwarzarbeitsmärkten, an den kommunalen Treffpunkten, bei der Wohnungssuche und auf den Sozialämtern." (ebd.) Damit war die argumentative Grundlage geschaffen, um ein gewisses Verständnis für die Täter aufzubringen. Denn Roth hielt Gewalt verunsicherter Jugendlicher gegenüber Fremden für „naheliegend", weil dadurch angeblich die letzten Reste ihres eigenen Selbstwertgefühls bewahrt blieben: „Die Brandschatzungen, Messerstechereien und Prügelexzesse der Jugendlichen von Hoyerswerda, Mannheim-Schönau, Eisenhüttenstadt, Rostock-Lichtenhagen und Mölln enthüllen gerade in ihrer Bestialität den kollektiven wie orientierungslosen Notschrei einer inzwischen sehr breit gewordenen Schicht, die sich in ihrer fortgeschrittenen Verelendung nur noch Erfolge innerhalb des zum Sammelbecken aller Pauperisierten gewordenen Sozialgettos zutraut." (ebd., S. 8) Nunmehr zog Roth eine Verbindungslinie zwischen rechter Gewalt und Regierungspolitik: „Seit Hoyerswerda waren die Ausländerpogrome eine wohlwollend geduldete Begleitmusik für die Organisation von politischen Mehrheiten zugunsten eines endgültigen Kurswechsels in der bisherigen Ausländerpolitik." (ebd.) Dabei berücksichtigte Roth weder, daß der Regierungskurs auch in der Zeit vor 1989/90 nie auf Einwanderung gerichtet war, noch merkte er, daß seine Wertung der Ereignisse diese Sichtweise konterkarierte: Warum sollte die Bundesregierung auf den „Notschrei" verelendeter und verzweifelter Massen eigentlich nicht mit der Begrenzung des Zuzugs weiterer M i granten, die Konkurrenten sozial benachteiligter Deutscher auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sein würden, reagieren? Klaus Hurrelmann verglich rassistisch motivierte Übergriffe mit Schülerprotesten gegen den Golfkrieg und kam zu dem Ergebnis, „daß die ausländerfeindlichen Aktivitäten von ihrer Ausgangssituation her als Jugendprotest in einem demokratischen Staat zu verstehen sind. Es handelt sich um politische Artikulationsformen als Ausdruck von Problemverarbeitung wie tauglich oder untauglich, wie sozial angemessen oder unangemessen sie auch immer sein mögen." Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler sprach sich gegen eine „moralisierende Abwertung" solcher Handlungen aus: Justiz, Politik, Pädagogik und Wissenschaft müssen auf diese Form des Jugendprotestes genauso reagieren wie auf die politischen Ausdrucksformen von privilegierten Jugendlichen, deren Bedrohungsgefühle und Zukunftsängste sich in erster Linie auf Umweltprobleme und Kriegsgefahren richten." (ebd., S. 43) 9 2. Wie der Rechtsextremismus zur neuesten sozialen Bewegung (v)erklärt wurde Der Rechtsextremismusforscher Hans-Gerd Jaschke geht - wie die „Bielefelder Schule" um Wilhelm Heitmeyer - davon aus, daß der Modernisierungs- bzw. Individualisierungsprozeß, verbunden mit dem Zerfall früher den Menschen Halt gebender soziokultureller M i lieus und einer „Pluralisierung der Lebensstile", vor allem Jugendliche verunsichere. Die Individualisierungsthese ermöglicht Jaschke zufolge zwar eine Beschreibung der veränderten Stellung des Individuums innerhalb der „Risikogesellschaft" (Ulrich Beck), erkläre aber nicht, weshalb es die eine oder andere politische bzw. vorpolitische „Protestform", etwa die Hinwendung zu einer religiösen Sekte, die Flucht in den Drogenkonsum oder eben die Übernahme rechtsextremistischer Orientierungsmuster, bevorzuge. Diese Lücke des Konzepts sucht Jaschke dadurch zu schließen, 10 38 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, daß er die Faszination des Rechtsextremismus aus seinem Charakter als einer sich seit 1990/ 91 formierenden sozialen Bewegung ableitet. „Versteht man den rechten Protest als Konstitutionsprozeß einer sozialen Bewegung, dann läßt sich eine Schwäche der individualisierungstheoretischen Ansätze überwinden: Die Motivation der Anhänger und Sympathisanten, ihr Weg nach rechts und nicht anderswohin, erklärt sich durch die Attraktion der Bewegungsmomente des Rechtsradikalismus." (ebd. S., 110) 1994 sierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisationsund Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen." Versteht man darunter alle Strömungen und Bestrebungen mit einer gewissen Breitenwirkung und Kontinuität, die - unabhängig von ihrer politischen Richtung - auf bestimmte gesellschaftliche Veränderungen abzielen, erfüllt der jugendliche Rechtsextremismus diese KriteriFür Jaschke deuten zahlreiche Indizien darauf en genauso wie die ihn bekämpfenden Antihin, „daß nach der Studentenbewegung der rassismus-Initiativen und „Antifa"-Gruppen. 60er, der Friedens- und Ökologiebewegung der Mir scheint, daß Raschkes Formel zu abstrakt 70er und den 'neuen sozialen Bewegungen' und formal ist, als daß sie Aufschluß darüber der 80er Jahre nun eine neue, von ihren Zielen geben könnte, was eine soziale Bewegung ausher gänzlich andersartige, nun von rechts kom- macht - im Unterschied zu Phänomenen wie mende soziale Bewegung ihren Anfang dem Rechtsextremismus. nimmt."" Hier soll zwar angemerkt werden, daß die Friedensbewegung erst zu Beginn der Otthein Rammstedt, der die andere Definition 80er Jahre (genauer: nach dem sog. NATO- formuliert hat, wendet sich gegen ein BeweDoppelbeschluß vom 12. Dezember 1979) grö- gungsverständnis, das jede Gruppierung umßere Teile der Bevölkerung zu mobilisieren ver- faßt, die - unabhängig von ihren Zielen - gemochte, und nicht danach gefragt werden, ob gen die Gesellschaft gerichtet ist, stellt eine Jaschkes These mit seiner früher getroffenen Verbindung zwischen sozialen Bewegungen Aussage in Einklang steht, die NPD sei zum und direkter bzw. Basisdemokratie her und konZeitpunkt ihrer Gründung „Kulminationspunkt kretisiert: „Unter sozialer Bewegung soll ein der bereits Ende der vierziger Jahre entstehen- Prozeß des Protestes gegen bestehende soziale den rechtsradikalen Bewegung" gewesen. Verhältnisse verstanden werden, ein Prozeß, Aber daß Jaschke den Rechtsextremismus ei- der bewußt getragen wird von einer an Mitgentlich schon länger als soziale Bewegung gliedern wachsenden Gruppierung, die nicht thematisiert, deren Herausbildung jedoch un- formal organisiert zu sein braucht." terschiedlich datiert und mit Jahreszahlen ziemlich willkürlich umgeht, fällt doch auf. Daraus ergibt sich die Frage, was denn mit „Protest" gemeint sein kann. Durch die SchüDa es in der Bewegungsforschung bisher kei- ler- und Studentenbewegung der 60er Jahre ist ne allgemein anerkannte Bestimmung und Ab- dieser Terminus so ins Alltagsbewußtsein der grenzung ihres Untersuchungsgegenstandes Bundesbürger/innen eingegangen, daß Bücher, gibt, stützt Jaschke sich im weiteren Verlauf die zu diesem Thema oder mit diesem Wort im seiner Argumentation auf zwei Versuche einer Titel seither in großer Zahl erschienen, meiDefinition. Die erste stammt von Joachim stenteils auf eine Erörterung und Bestimmung Raschke: „Soziale Bewegung ist ein mobili- des Begriffs verzichten. Der Verdacht drängt 13 14 12 15 16 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 39 1994 sich auf, daß man darunter nur eine Mlßfallensbekundung gleich welcher Art versteht. rung einzulegen, nämlich eine (Minderheiten-)Meinung ganz vorne zu bezeugen. „Protest ist eine entschiedene, öffentliche Antwort im Widerspruch zu einer vorausgegangenen 3. Ein Pogrom ist keine ProtestMitteilung, eine wahrnehmbare Opposition zu aktion und der Ruf nach einem einer Position. Er wendet sich immer an zwei „starken Staat" keine Rebellion Adressaten: an den Urheber der Mitteilung, Hier wird „Protest" nicht umgangssprachlich gegen die sich der Widerspruch richtet, und an verwendet, sondern als politikwissenschaftli- ein Publikum als dritte Instanz. Er soll dieses cher Fachterminus, der sehr viel enger gefaßt Publikum für die Opposition gewinnen." ist und strenger Kriterien bedarf, um kein A l lerweltsbegriff zu sein. Prononciert formuliert: Man könnte in diesem Zusammenhang von Das Weinen eines von der Mutter vernachläs- einem motivationalen Dreiklang sprechen, denn sigten Kindes ist genausowenig ein Protest- Protest entzündet sich an sozialer Not und Verschrei wie die Parole „Ausländer raus!" Fru- elendung, an Krieg, Aggression und Gewalt stration und Aggression ergeben noch lange oder an der Unterdrückung von Freiheit, keine Protestaktion. Protest, der auf morali- Grundrechten und Menschenwürde. Protestschen Prinzipien und/oder politisch-ideologi- inhalt und Aktionsform sind nicht voneinander schen Grundsätzen basiert, bedarf (der Ansät- zu trennen. Daher wären unter sozialen Beweze) eines Programms und des - utopischen - gungen nur Strömungen und Bestrebungen zu Entwurfs für eine alternative Lebensweise oder verstehen, die auf (mehr) politische Partizipaeine bessere Gesellschaft, jedoch auch einer tion, soziale Emanzipation und eine TransforÖffentlichkeit, und ist seinem Wesen nach eine mation der Gesellschaft abzielen, was basisdebewußte Herausforderung der Obrigkeit. Des- mokratische Willensbildungs- und Entscheihalb findet er gewöhnlich am heilichten Tag, dungsprozesse einschließt, nicht aber solche, neofaschistischer Terror aber meist in der Nacht die als Reaktion darauf entstehen und sich der statt. Revolten richten sich gegen Stärkere, nicht gesellschaftlichen Regression (Rückkehr zum gegen (noch) Schwächere. Eine Rebellion will Status quo ante) verschreiben. Eine Kulturgedie staatlichen Institutionen stürzen, nicht de- schichte des Protests würde also kein Kapitel ren juristisch abgesicherte Repression gegen- über Mussolinis „Marsch auf Rom" (1922), über Asylsuchenden unterstützen oder gar die NSDAP und die SA enthalten. durch weitere Zwangsmaßnahmen verstärken. 17 18 Aufschlußreich ist die Etymologie des Protestbegriffs, mit der sich Harry Pross befaßt hat. Das lateinische Verb „protestari" (wohlgemerkt: nicht anti-) besteht aus dem Präfix „pro" (= vorne, vor, für) und dem Substantiv „testa" (= das aus Ton Gebrannte), was auf Scherben verweist, die man benutzte, um die Namen der zu Verbannenden einzuritzen. So gewann „testatio" die Bedeutung, daß man jemanden zum Zeugen anrief. Protestieren hieß demnach mehr, als bloß Einspruch zu erheben oder Verwah- Claus Leggewie, der Jaschkes These übernahm, sie verallgemeinerte und inhaltlich zuspitzte, begreift den Rechtsradikalismus als eine „AntiBewegungs-Bewegung", gewissermaßen als spiegelbildliche Reaktion auf die (basis)demokratischen Bestrebungen der 70er und 80er Jahre: „Er teilt mit den Neuen Sozialen Bewegungen nicht das Demokratisierungsmotiv und das partizipatorisch-akademische Milieu, wohl aber bestimmte Strukturmerkmale, die sich im politisierten Affekt der 'Unpolitischen' gegen das politische Establishment der 'Bonner Repu- 40 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 blik' und ihre politisch-kulturellen Eigenschaften ausagieren." Der Streit um den Protestbegriff ist also weder Sophisterei noch semantisches Schattenboxen. Vielmehr verharmlost die Kategorie JugendDer Bewegungsbegriff, den die Neonazis gern protest" den Rechtsextremismus, lenkt von seifür sich reklamieren (z.B. nannte Michael Küh- nen wirklichen Ursachen ab und verhindert nen seine Gruppen so), wird mittlerweile der- die Entwicklung/Anwendung geeigneter Geart unscharf gefaßt und inflationär benutzt, daß genstrategien. Sie (ver)führt zu der falschen der Politologe Uwe Backes sogar die Deut- Schlußfolgerung, daß sich solch ein „handfest sche Volksunion und die Freiheitliche Partei ausgetragener Generationskonflikt" von selbst Österreichs (FPÖ) als „Bewegungen" - ohne löst, nämlich durch das Älterwerden junger Anführungszeichen - bezeichnet. Norbert F. Menschen, die irgendwann nicht mehr gegen Schneider plädiert dagegen zu Recht für eine die Elterngeneration aufbegehren. Überdies ersorgfältige, wissenschaftlich fundierte Begriffs- scheint eine Disziplinierung der „revoltierenwahl: „Gerade heute, wo sich der Bewegungs- den" Jugendlichen - anstelle einer umfassenbegriff zu einem politischen Modebegriff ent- den Demokratisierung von Staat und Gesellwickelt hat, den sich kleinste Protestgruppen schaft, die in Wirklichkeit notwendig wäre ebenso gerne selbst verleihen wie längst er- als probates Mittel der Konfliktlösung. starrte Organisationen, die institutionalisierte Konflikte verwalten, kann mit einem vage ge- Christoph Butterwegge ist Professor für Polihaltenen Bewegungsbegriff nicht zuverlässig tikwissenschaft (Sozialpolitik) an der Fachanalytisch gearbeitet werden." hochschule Potsdam. 19 20 21 Im Gegensatz zur APO-Generation verkörpert der Rechtsextremismus kein alternatives Gesellschaftsmodell: „In gewissem Sinne handeln 'Rassisten' eher in Einklang mit den herrschenden Verhältnissen denn in Opposition zu diesen; sie unterscheiden sich von der herrschenden Politik vor allem dadurch, daß sie rücksichtsloser durchsetzen, was jene nahelegt: die Reduzierung der Zahl der Fremden in unserem Lande zur Sicherung des eigenen Wohls." Ute Osterkamp weist darauf hin, daß man der Kämpferpose rechtsextremer Gewalttäter nicht aufsitzen darf und die Verwendung des Begriffs „Protest" in diesem Zusammenhang problematisieren muß, weil damit suggeriert wird, daß rassistische Äußerungen generell unerwünscht seien, was aber nur bedingt - auf überspitzte Formulierungen und gewalttätige Methoden bezogen - zutreffe, sofern sie das deutsche Ansehen im Ausland und die Exportchancen der Bundesrepublik schädigten. 22 Anmerkungen Vgl. Richard Stöss, Forschungs- und Erklärungsansätze - ein Überblick, in: Wolfgang Kowalsky/ Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 23 ff. Vgl. dazu: Albert Scherr, Wen interessiert schon diese Jugend?, in: VORGÄNGE 122 (1993), S. 120; Michael Th. Greven, „Der Schoß, aus dem das kroch...", ist „diese unsere Gesellschaft". Zur Immanenz des „Rechtsextremismus", in: VORGÄNGE 125 (1994), S. 83 ff. Vgl. hierzu vom Verfasser: Christoph Butterwegge, Zur modischen Fehldeutung des Rechtsextremismus/Rassismus als Jugendrevolte und soziale Protestbewegung, in: DEUTSCHE JUGEND 1 1/1993, S. 483 ff.; ders., Die ideologische „Entsorgung" der rassistischen Gewalt, in: NEUE PRAXIS 1/1994, S. 74 ff.; ders., Jugendgewalt: Ein Pogrom ist kein Protest und Provokation noch keine Rebellion. Zur politischen Psychologie des Rechtsextremismus/Rassismus, in: PSYCHOSOZIAL 56 (1994), S. 87 ff. 1 2 3 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Siehe Michael Rutschky, Antiautoritäre Revolte von rechts? - Nachrichten aus dem Beitrittsgebiet, in: taz v. 8.7.1991; vgl. zur Kritik: Stefan Pannen, Die Revolte kommt nicht von rechts. Eine Antwort auf Michael Rutschky, in: taz v. 16.7.1991 Bodo Morshäuser, Rechtsradikale Jugendliche: „Eine antiautoritäre Rebellion", in: PSYCHOLOGIE HEUTE 12/1993, S. 41 Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge, (Sozial-)Pädagogen als Prügelknaben. Wie man linke Pädagoginnen für die rechte Gewalt verantwortlich macht und sich selbst entlastet, in: Sozialmagazin 1/1994, S. 30 ff. Konrad Schacht, Der Rechtsextremismus hat eine Zukunft, in: DIE NEUE GESELLSCHAFT/ FRANKFURTER HEFTE 2/1991, S. 155 Karl Heinz Roth, Rassismus von oben - Rassismus von unten, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2/1993, S. 7 Klaus Hurrelmann, Der politische Protest des „unteren Drittels"? - Gedanken Uber die Ursachen der Gewalt gegen Ausländer, in: PÄDAGOGIK 2/1993, S. 42 Siehe Hans-Gerd Jaschke, Rechtsradikalismus als soziale Bewegung. Was heißt das?, in: VORGÄNGE 122 (1993), S. 107 f. " Siehe Hans-Gerd Jaschke, Formiert sich eine neue soziale Bewegung von rechts? - Folgen der Ethnisierung sozialer Konflikte, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/1992, S. 1443 Siehe ders., Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit. Grundlagen, Praxis und Kritik, Opladen 1991, S. 56 Joachim Raschke, Zum Begriff der sozialen Bewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Bonn 1991, S. 32 f. Vgl. dazu: Thomas Leif, Den Rechten auf die Finger gucken. Anti-Gruppen bekommen Zulauf, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3-4/1993, S. 183 f. Otthein Rammstedt, Soziale Bewegung, Frankfurt am Main 1978, S. 130 Vgl. z.B. Gerd Langguth, Protestbewegung. Entwicklung - Niedergang - Renaissance: Die Neue Linke seit 1968, Köln 1983; Fritz Sack/Heinz Stei4 5 6 7 8 9 10 12 13 14 15 16 41 nen, Protest und Reaktion. Analysen zum Terrorismus 4/2, Opladen 1984; Georg Haasken/Michael Wigbers, Protest in der Klemme. Soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1986; Wilfried von Bredow, Krise und Protest. Ursprünge und Elemente der Friedensbewegung in Westeuropa, Opladen 1987 Harry Pross, Protestgesellschaft. Von der Wirksamkeit des Widerspruchs, München 1992, S. 18 Vgl. die Gliederung bei Hans Eckert (Hrsg.), Protest! - Der Kampf um Humanität in Dokumenten aus fünf Jahrhunderten, München 1969 Claus Leggewie, Rechtsextremismus - eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus, a.a.O., S. 335 Siehe Uwe Backes, Organisierter Rechtsextremismus im westlichen Europa. Eine vergleichende Betrachtung, in: Werner Billing u.a. (Hrsg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1993, S. 61 Norbert F. Schneider, Was kann unter einer „sozialen Bewegung" verstanden werden? - Entwurf eines analytischen Konzepts, in: Ulrike C. Wasmuht (Hrsg.), Alternativen zur alten Politik? - Neue soziale Bewegungen in der Diskussion, Darmstadt 1989, S. 198 Ute Osterkamp, Antirassismus: weitere Fallstrikke und Problematisierungen, in: DAS ARGUMENT 195 (1992), S. 737 17 18 19 20 21 22 42 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek Soziale Netzwerke und Gruppenprozesse Jugendlicher in Ostdeutschland - ein Nährboden rechter Mobilisierung? In jüngster Zeit haben die Aktionen rechtsradikal, nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellter Gruppen oder Einzeltäter für erhebliches Aufsehen gesorgt. Sowohl die politischen Debatten als auch die sozialwissenschaftlichen Forschungen und Diskussionen sind davon nicht unbeeinflußt geblieben und haben zu heftigen Kontroversen geführt. Nach unserem Eindruck lassen sich im Hinblick darauf folgende Schwerpunkte identifizieren: 1. Von der Phänomenologie aus betrachtet, haben die abrupt aufbrechenden fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Krawalle in Deutschland nach 1989 zunächst einmal den Osten Deutschlands in das Blickfeld der Öffentlichkeit wie auch der Forschung rücken lassen. Vereinfachte Erklärungsmuster, soziale und politische Projektionen, die offensichtlich der vorherrschenden Logik des Vereinigungsprozesses von West nach Ost entsprechen, mögen dabei im Spiele gewesen sein. Das einseitige Bild, das daraufhin entstand, mußte jedoch schnell korrigiert werden. Inzwischen hat die Welle der Gewalttaten auf Ausländer und Asylbewerber auch westdeutsche Kleinstädte erfaßt. Während im Osten sich die Angriffe in erster Linie gegen die wenigen noch aus der Vergangenheit bestehenden, aber mittlerweile auch gegen neu geschaffene Ausländer- und Asylbewerberwohnheime sowie einzelne Menschen und Gruppen richten, stellt sich das Bild im Westen offensichtlich diffuser dar. Bürger anderer Nationen der 1. und 2. Generation, die sich in der Bundesrepublik ansiedelten, haben teilweise Infrastrukturen und Formen des Zusammenlebens auf lokaler Ebene aufbauen können. Gleichwohl verlief dieser Prozeß nicht ohne Konflikte. Es traten Spannungen unterschiedlichen Ausmaßes zwischen Anwohnern und ausländischen Bürgern auf, die nicht nur Gegenstand von politischen Konflikten auf lokaler Ebene, sondern auch von handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen Jugendlicher bildeten. Im Zuge der Migrationsbewegungen aus Ost- und Südosteuropa und der Verschärfung der Asylgesetzgebung erhielten diese Konflikte eine besondere Brisanz. 2. Kontrovers stellt sich die Forschungssituation im Hinblick auf die soziale Verankerung gewaltakzeptierender und fremdenfeindlicher Jugendkulturen dar. In zahlreichen Untersuchungen trifft man auf den Befund, daß Gewaltakzeptanz und Fremdenfeindlichkeit vor allem unter männlichen Auszubildenden und jungen Facharbeitern in traditionellen Berufen und bei älteren Schuljugendlichen verbreitet FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 sind (vgl. Willems 1993; Kräupl u.a. 1992). Daraus wird die These eines mehr oder weniger grundlegenden Wandels im Spektrum sozialer Bewegung in der Bundesrepublik abgeleitet. Demnach sind es nicht mehr die relativ gut ausgebildeten Gruppen, die sich mit ihren Aktionen gegen Übergriffe des Staates und der Verwaltungsbürokratien, gegen Rüstungsprodukton und -export oder gegen die Folgen ökologischer Risiken wenden. Inzwischen scheinen Gruppen mobilisierbar zu sein, die sich nicht nur gegen Bürger anderer Nationalitäten, sondern ganz generell gegen Schwächere und Marginalisierte (bspw. Behinderte und Obdachlose) der Gesellschaft richten. Dabei bildet offensichtlich die Problemwahrnehmung einer Verschlechterung der eigenen Lebenssituation im Zusammenhang mit den Veränderungen der Themen auf der politischen Agenda einen Anknüpfungspunkt für fremdenfeindliche Projektionen bis hin zu gewaltsamen Aktionen. 43 und Parteien anschlußfähig, oder, wie das so häufig angenommen wird, instrumentalisierbar sind. Bisher wissen wir zuwenig über die Wirkung von Gruppenstrukturen und -prozessen von Jugendlichen auf die konkreten Verläufe von Gewaltaktionen und Eskalationen, aber auch über die Interaktionen zwischen den Einflüssen auf der mikrosozialen Ebene und auf der Organisationsebene. Die Forschung folgt in dieser Hinsicht eher traditionellen Perspektiven. In der Jugend- und Sozialisationsforschung ist ein Vorgehen bestimmend, aus der Annahme von problematischen Lebenssituationen und damit im Zusammenhang stehenden subjektiven Bewältigungsformen die Neigung zu Gewalt und politischem Radikalismus zu erklären. Bei dem größten Teil der Untersuchungen wird auf z.T. sehr beliebige Erklärungsansätze (Orientierungslosigkeit, Verunsicherung, mangelndes Selbstwerterleben usw.) zurückgegriffen (vgl. Schna3. Es fällt auf, daß Fremdenfeindlichkeit, Na- bel 1993). Die Verbreitung von Gewaltpotentionalismus und Gewalt in der Öffentlichkeit tialen unter Jugendlichen zu beschreiben, ist vor allem als ein Problem von Gruppen Ju- ein weit verbreitetes Vorgehen bei den Erhegendlicher wahrgenommen wird und auch zu bungen, die auf Umfragedaten beruhen (vgl. dementsprechenden Bemühungen in der For- Forschungsstelle für Sozialanalysen e.V. 1992). schung geführt hat. Dieser Eindruck wird nach- Die Grenzen dieser Untersuchungen zeigen sich haltig unterstützt durch die Untersuchungen zum ersten dann, wenn von Einstellungspovon strafrechtlich erfaßten Tätern, bei denen tentialen auf Aussagen auf der Performanzes sich um kleinere Gruppen von Jugendlichen ebene geschlossen wird. Zum zweiten handelt handelt. Dabei bleibt offen, inwieweit die Grup- es sich bei (politisch motivierter) Gewalt um pen eher situativ handeln oder von den Zielen ein komplexes soziales Phänomen, dessen norrechtsradikaler Organisationen unmittelbar be- mative Bedeutung und Geltungskraft (untereinflußt werden. Damit stellt sich die in bewe- schiedlichen) sozialen Beurteilungen und in gungssoziologischer Hinsicht nicht unwesent- historischer Hinsicht auch Veränderungen unliche Frage, ob die Gruppen selbst zu einer terliegt (vgl. Kaase/ Neidhardt 1990). Deshalb Mobilisierungsbasis für eine soziale Bewegung gilt es, linearen und vorschnellen Erklärungen, unter rechtsradikalen Vorzeichen werden und die auf eine Zunahme der Gewaltpotentiale zu einer Verstetigung entsprechender Netzwer- schließen oder auf die Herausbildung einer ke und Milieus beitragen können. Von einer rechten sozialen Bewegung verweisen, mit Voranderen Perspektive aus betrachtet wirft dies sicht zu begegnen. Im Bereich der Jugendfordie weitere Frage auf, inwieweit die Gruppen- schung hat der Ansatz von Heitmeyer (1992; aktionen für die Praxis rechter Organisationen 1994) gleichwohl eine starke Verbreitung ge- 44 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, funden. Was ihn von anderen unterscheidet, ist der Versuch, die kontextuellen Bedingungen, die sich seiner Auffassung nach im Kern auf die Folgeprobleme des Modernisierungs- und Individualisierungsprozesses beziehen, in einen Erklärungszusammenhang zu bringen mit subjektiven Handlungs- und Orientierungsmustern. Wie bei anderen Ansätzen besteht aber auch hier die Schwierigkeit zu erklären, in welchen (differenzierten) Ausprägungsformen Desintegrations- bzw. Deprivationsprozesse in Gewalt umschlagen können. 1994 Von dieser Überlegung ausgehend wollen wir die Beziehung zwischen Gruppenprozessen und verfaßten Formen politischer Interessenartikulation im rechtsradikalen Organisationenspektrum im Hinblick auf die Mobilisierung für fremdenfeindliche Aktionen wie auch auf die Möglichkeiten einer Verstetigung rechtsradikaler Politik untersuchen. Dies geschieht in dreifacher Hinsicht: 1 1. Unter einem organisationsbezogenen Aspekt sollen Möglichkeiten und Grenzen des Zugriffs bzw. der Instrumentalisierung von rechtsradiStrukturen und Prozesse fremdenfeindlicher kalen Organisationen auf die GesellungsforGewalt auf der Basis der Daten von Strafpro- men und die Alltagspraxis von Jugendlichen zeßakten und der polizeilichen Kriminalstati- diskutiert werden. stik zu erheben (vgl. Ohder 1992; Willems u.a. 1993), ist ein weiterer Zugang. In diesem Fall 2. Unter einem gruppen- und jugendsoziologiwird man allerdings in Kauf nehmen müssen, schen Aspekt wird nach den Gründen, Vorausdaß es sich um bereits erfaßte Straftatbestände setzungen und Grenzen der Mobilisierung von handelt, die zum einen den Erfassungskriteri- Jugendlichen für rechtsradikale Politik zu fraen der Kontrollinstanzen unterliegen und zum gen sein. anderen nur in eingeschränktem Maße die Prozesse und Wege aufzeigen können, die Jugend- 3. Mit dem bewegungssoziologischen Zugang liche in gewaltförmige Gruppen hineinführen schließlich soll der Zusammenhang zwischen können. Damit läßt sich eines der Desiderate dem gruppen- bzw. jugendsoziologischen und in den Forschungen über auslösende Struktu- dem organisationsbezogen Aspekt hergestellt ren und Prozesse für fremdenfeindliche Ge- und nach den Möglichkeiten der Etablierung walt identifizieren. Unserer Ansicht nach soll- und Stabilisierung von sozialen Infrastruktute es dabei wemger darum gehen, Gruppen- ren und Milieus für rechtsradikale Politik geprozesse zum alleinigen Faktor für die Erklä- fragt werden. rung von Mobilisierungsprozessen zu erheben. Zwar bilden sie im Hinblick auf die mikroso1. Die organisationsbezogene ziale Ebene eine der entscheidenden VorausPerspektive setzungen von kollektiven Gewaltaktionen, die auf der Basis einer mehr oder wemger geMan kann davon ausgehen, daß die Neuordmeinsamen Wahrnehmung von Situationen und nung der extremen politischen Rechten im Wedamit im Zusammenhang stehenden Zuschreisten Deutschlands darauf abzielte, veränderte bungsprozessen gegenüber anderen Personen Formen der Einbindung und Mobilisierung von und Gruppen entstehen. Gleichwohl müssen Jugendlichen zu etablieren. Die Praktiken der die Mobilisierungsprozesse auf strukturelle neuen sozialen Bewegungen bildeten dabei eine Kontexte und Umweltbedingungen treffen, die nicht unmaßgebliche Orientierung. Mit dieser zumindest auch Möglichkeiten einer StabiliStrategie wurden die Felder unmittelbarer jusierung der Aktionen beinhalten. gendlicher Aktivitäten und Erlebniswelten ins FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 politische Kalkül einbezogen. Neben althergebrachten Aktivitäten wie Veranstaltungen, Kongressen, der Herausgabe von Zeitungen und Flugblättern ist von daher eine Umorientierung auf eher jugendgerechte Formen der Verbreitung rechtsradikaler Inhalte beabsichtigt gewesen, wie der Vertrieb von Computerspielen oder Angebote im Rahmen der Freizeitgestaltung in Form von Zeltlagern u.a.m. Unter der Zielsetzung der Verbreitung rechten Gedankenguts und der Mobilisierung von Akteuren für die eigenen Ziele waren diese Bemühungen von Erfolgen gekrönt. Insofern geht die Kontinuität rechtsradikaler Organisationsformen und Praktiken mit einer Modernisierung einher. In Anbetracht der Opfer rechtsradikaler Gewalt wäre es wohl falsch, nur von graduellen Unterschieden zu sprechen, wenn man etwa im Hinblick darauf die Situation in den siebziger und achtziger Jahren mit der heutigen vergleicht. Mit den Stichworten Neue Rechte und Ethnopluralismus ist diese Phase des Versuchs, einen geistigen und sozio-kulturellen Wandel der Gesellschaft als Voraussetzung einer politischen Umwälzung herbeizuführen, hinreichend belegt. Ähnlich wie in anderen europäischen Staaten ist damit eine „Normalisierung" des Rechtsradikalismus in der politischen Kultur angezielt worden. Unterhalb dieser Schwelle versuchten verschiedene Organisationen zunächst unpolitische Jugendbewegungen wie Skinheads oder Hooligans als Rekrutierungspotential anzuzapfen. Dies geschah mit einigem Erfolg und zog Politisierungsprozesse nach sich (Backes/Jesse 1990). Michael Kühnen hat diese Strategie folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Es kommt... hinzu, daß wir hauptsächlich ... junge Menschen ansprechen, die nicht so in der Lage sind, sich zu artikulieren und sich so klarzumachen, was sie eigentlich wollen. Bei uns beruht eben sehr viel auf ... der gefühlsmäßigen Durchdringung, auf dem gefühlsmäßigen Lernen, mehr als auf dem rationellen Lernen." 45 (Baibach 1994). Mit dieser Strategie einer modernisierenden Kontinuität, die darauf zielte, Anschluß an die unmittelbaren Erlebnis- und Erfahrungszusammenhänge Jugendlicher zu gewinnen, versuchten rechtsradikale Organisationen nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten maßgeblich die Rekrutierungsversuche im Osten Deutschlands zu steuern. Dementsprechende Bemühungen trafen auf ein Feld, in dem, entgegen den Verlautbarungen des offiziellen Antifaschismus staatlicherseits, rechtsradikale Tendenzen wie rechte und gewaltorientierte Jugendkulturen durchaus vorhanden waren. So wurde beispielsweise im Jahre 1987 die Lichtenberger Aktionsfront (LAF) im gleichnamigen Stadtteil Ostberlins gegründet. Vor allem seit Anfang der achtziger Jahre erlebten subkulturelle Stilbildungen, einschließlich rechtsorientierter Gruppen, in der DDR einen Aufschwung (Skins, Punks, Grufties, Psychos u.a.m.; vgl dazu Stock 1991). Unter Rückgriff auf Stilelemente und Symboliken, die über die internationalen Medien verbreitet wurden, und in Anbetracht der Herausbildung eines begrenzten Freizeitmarktes wie auch informeller Tauschzentralen trugen die neuen jugendkulturellen Praxisformen dazu bei, daß sich selbstorganisierte Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge jenseits der staatlich kontrollierten Bereiche entwickeln konnten. Die Stile wurden zu einer Herausforderung für den Staat und seine Kontrollinstanzen, der darauf mit verstärkter Kontrolle und Repression reagierte. Die Jugendlichen reagierten darauf in verschiedener Weise. Es setzte nicht nur eine zunehmende Ausdifferenzierung, sondern ebenso eine Radikalisierung vor allem zwischen Punk-, Skinhead- und Hooligangruppen ein. Gleichzeitig erlangten die Stile von Skinheads und Hooligans eine wachsende Bedeutung für DDR-Jugendliche. Damit war es leicht möglich, den in seinem Selbstverständnis nach antifaschistischen Staat herauszufordern. Obwohl die politische Konnotation der Stile nach 46 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG, 7, HEFT 4, dem Fall der Mauer hinfällig geworden war, setzte sich die Radikalisierung zwischen den Gruppen und Stilen zunächst einmal fort. In dieser Situation gab es ein fruchtbares Feld für Mobilisierungsversuche rechtsradikaler Organisationen aus dem Westen Deutschlands und aus anderen europäischen Ländern, die nach dem Fall der Mauer zu einer Art von „doppelter Aufbruchstimmung" geführt hatten. Die westlichen Organisationen vermuteten eine starke Renaissance nationaler Themen, und die Jugendlichen konnten - wie das ein Sozialpädagoge treffend formulierte - das, „was (sie) in der DDR in den Knast gebracht hat,... jetzt noch mal probieren" (Interview Sozialarbeiter). Die „Grenzen" für das Handeln rechtsradikaler Gruppen waren gefallen. Fortan konnten sie nahezu unbehelligt im öffentlichen Raum agieren. Im Vorfeld der Wahlen für die Volkskammer im Frühjahr 1990 versuchten westdeutsche und österreichische rechtsextreme Gruppierungen eine Ausweitung ihrer Aktivitäten auf das Gebiet der ehemaligen DDR zu erreichen. In diesem Zusammenhang kam es auch zur Gründung von Organisationen im Osten Deutschlands. Wahlarithmetisch gesehen waren diese Versuche jedoch ohne Bedeutung. Weder bei den Landtagswahlen noch bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl stellten sich die erhofften Stimmengewinne ein. Wobei der Stimmenanteil, den rechtsradikale Parteien für sich verbuchen konnten, in den wesüichen Bundesländern durchweg höher ausfiel als im Osten. Die Mutmaßung, daß Ostdeutsche in stärkerem Maße als Westdeutsche rechtradikale Organisationen und Parteien oder auch andere Gruppierungen präferieren, konnte nicht bestätigt werden. Jugendliche in Ost und West unterscheiden sich kaum in ihren Sympathien für die Partei der Republikaner oder für solche Gruppierungen wie die Skinheads (Keiser 1991). 1994 Daß einer Mobilisierung über die Organisationszusammenhänge rechtsradikaler Parteien Grenzen gesetzt sind, zeigte sich schon recht bald. Deshalb setzten die weitgehend von bestimmten charismatischen Führern getragenen Werbungs- und Integrationsversuche „unterhalb" bzw. im Vorfeld der partei-institutionellen Ebene an. Sie zielten damit auf die verschiedenen Felder jugendlicher Erfahrungen, Wünsche und Freizeitaktivitäten mit einer starken Unmittelbarkeit des Erlebens. Dabei wurde ganz gezielt auf Gruppen von Jugendlichen zugegriffen, die eine Karriere in gewaltorientierten rechten Szenen schon zu DDR-Zeiten und i.d.R. auch einige Jahre im Strafvollzug aufzuweisen hatten. So wurde von Seiten rechtsradikaler Parteien im Falle einer namhaften Gruppe aus einem Berliner Stadtteil Anfang 1990 der Versuch unternommen, Jugendliche in organisationsnahe Aktivitäten einzubinden. Dies geschah mit dem Anreiz der D M und dem Angebot, in andere Orte zu reisen. Dadurch wurden den Jugendlichen Erlebnisse vermittelt, die ihnen bislang nicht zugänglich waren. In einem uns bekannten Fall wurden sie von Kühnen und Worch persönlich nach Hamburg eingeladen, bekamen 10,- D M in die Hand, wurden dann als Demonstrationsteilnehmer eingesetzt und kehrten mit Propagandamaterial ausgerüstet nach Berlin zurück. Bei dieser Gelegenheit ist es bereits zu gezielteren Rekrutierungsversuchen für eine Dependance der Organisation im Osten gekommen. Die von den Jugendlichen in dem Berliner Stadtteil inzwischen besetzten Häuser avancierten nun zur Anlaufstelle für Akteure aus den rechtsextremen Organisationen und Gruppierungen. Deren Bestreben war es, Erfahrungen im Umgang mit ostdeutschen Jugendlichen zu sammeln, dabei zu testen, inwieweit sich die Organisation im Kiez sozial verankern läßt, und nicht zuletzt sollten von da aus Aktionen gestartet werden. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Erfolgreich sind derartige Anschluß- und Instrumentalisierungsversuche dann, wenn mit den Aktionen nicht nur an die authentische Erlebnis- und Erfahrungswelt der Jugendlichen angeknüpft werden kann, sondern wenn diese Aktionen auch auf „Dauer" gestellt werden können und so gesehen immer wieder aufs neue außeralltägliche Erfahrungen vermitteln. Daß diese Erfahrungen in hohem Maße etwas mit Erlebnissteigerung durch Gewalt und Risiko zu tun haben und dadurch auch Lemeffekte auslösen, ist hinreichend belegt (vgl. Lösel/ Selg/Schneider 1990). Der Mobilisierung von „außen" sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Die rechtsradikalen Parteien werden kaum in der Lage sein, erstens solche Aktionen fortlaufend anzuzetteln und zweitens die Aktions- und Gewaltpotentiale auch in die Organisationspraxis zu integrieren. Denn die Strukturlogik rechtsextremer Organisationen basiert auf Hierarchie, Disziplin und Unterordnung und starken Führelpersönlichkeiten. Dies steht einerseits dem Bestreben nach Partizipation entgegen. Andererseits läßt sich damit auch nicht die tiefsitzende Abneigungen der Jugendlichen gegenüber der Mitarbeit in formalen Organisationen auffangen. Wenn dennoch Rekrutierungen im Anschluß an subkulturelle Stilbildungen - in ihrer Schieflage zu den rechtsextremen Organisationen aus dem Westen - zustande gekommen sind, so hat sich das für die Jugendlichen recht bald als Etikettenschwindel herausgestellt. Unter diesen Voraussetzungen erhält die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Mobilisierbarkeit von jungendkulturellen Stilen und Gesellungsformen eine besondere Relevanz. 2. Die gruppen- und jugendsoziologische Perspektive Genauso wie für den Westen gilt für den Osten Deutschlands der Befund eines generellen Bedeutungszuwachses von Gleichaltrigengruppen 47 im Jugendalter (vgl. Allerbeck/Hoag 1986). Den Peer-groups kommt eine wichtige Funktion nicht nur bei der Ablösung von der Herkunftsfamilie, sondern auch für den Erwerb von Handlungskompetenz im Bereich der öffentlichen und marktförmigen selbstorganisierten Freizeitaktivitäten zu. Im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs haben sich für die OstJugendlichen die Gelegenheitsstrukturen für das Handeln in den Freizeitgruppen z.T. gravierend verändert: Freundschaftsbeziehungen und die eh schon marginal ausgeprägten Infrastrukturen für Jugendliche sind weggebrochen, die Institutionen und Regelungen sozialer Kontrolle haben sich gewandelt, Handlungsräume und die lokale Öffentlichkeit sind nicht mehr dem Zugriff des Staates ausgesetzt. Die Veränderungsprozesse schlagen jedoch nicht auf alle Strukturen in gleicher Weise durch. Sie sind von Ungleichzeitigkeiten, aber auch von Retraditionalisierungstendenzen geprägt. Wenn sich die Umstände ändern, so zeigen sich eben auch die Konstanten. Dies gilt besonders für die Herkunftsbedingungen. Dabei zeigt sich, daß diejenigen Jugendlichen, die vor dem Umbruch über relativ günstige soziokulturelle Herkunftsbedingungen (höhere Bildung, leitende Funktion der Eltern in Wirtschaft, Staat und Verwaltung) und vielfältige Beziehungsnetzwerke verfügen konnten, mit den Veränderungen relativ gut umgehen können. Während umgekehrt die Bedingungen für Heranwachsende, deren Eltern in der DDR als Facharbeiter, Bauern oder kleine Angestellte beschäftigt waren, eine relativ ungünstige Ausgangsposition bieten (vgl. Schober 1993). Je nach sozialer Lage wirkt der Umbruch offensichtlich kumulativ auf die Startbedingungen der Jugendlichen nach dem Umbruch. Die Herkunftsbedingungen bilden eine der entscheidenden Handlungsressourcen für Bildungs- und Berufswegentscheidungen wie auch für die Herausbildung von Beziehungsnetzwerken im Freizeitbereich. 48 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Unter den veränderten sozialen Bedingungen gewinnen soziale Vergleichs- und Distinktionsprozesse eine wachsende Bedeutung. Sie schlagen sich ebenso in gewandelten alltagskulturellen Suchbewegungen nieder. Dabei versichern sich die Jugendlichen eines selbstgewählten Netzes von Beziehungen gerade zu Gleichaltrigen, das als Form der Absicherung der eigenen Identität in der Bearbeitung von lebensweltlichen Konfliktlagen und individuellen Nöten dient. Diese Prozesse widerspiegeln sich in der Suche nach Zuordbarkeit, die zumindest für die Zeit kurz nach dem Fall der Mauer an eine eindeutige Symbolik gebunden war (vgl. Böhnisch 1992). Unübersehbar ist dabei eine Tendenz zum (moralischen) Rigorismus und zur Radikalisierang. 1994 Form in die andere übergehen. Gleiches trifft für die Grenzen zu, die gegenüber der Umwelt entstehen. Ob die Grenzen durchlässig und flexibel sind oder eine starre Form annehmen, ob die Grappenmitglieder vielfältige soziale Kontakte eingehen oder ob sie sich in homogenen Zusammenhängen bewegen, bestimmt auch die Dynamik von Ingroup-Outgroup-Prozessen (vgl. Tjafel 1981). Über Inklusions- und Exklusionsprozesse erleben Jugendliche soziale Zugehörigkeiten und erfahren gleichermaßen die Modi sozialer Distinktion. Es sind Abgrenzungsmuster gegenüber anderen Jugendlichen, die auf verschiedene Weise eingeübt werden und sich der Umwelt i.d.R. durch symbolische Verweisungszusammenhänge mitteilen. Die Handlungskompetenzen dafür, daß man das „Anders-Sein" auch praktizieren kann, werDie Gruppen sind ausgesprochen komplexe und den in den Gruppen erworben. So setzten sich dynamische Phänomene. Sie unterliegen kei- die jugendlichen Subkulturen nach der Wende nesfalls einem festen Strukturmuster mit for- z.T. als radikale Pole des politischen Spekmalisierten Regeln, sondern werden weitge- trums zueinander ins Verhältnis (vgl. Stock hend durch persönliche und affektiv getönte 1991). Die Eindeutigkeit des Rechts-LinksBeziehungen gesteuert (vgl. Neidhardt 1983). Codes trägt einerseits Verweise auf die VersiDiffuser Aktionismus und expressives Handeln cherung des eigenen Standortes in der Gruppe bestimmen weitgehend das Gruppengeschehen. sowie in den Grenzen eines bestimmten HandDabei sind situative Momente im Spiel, die lungsraums, andererseits dient sie als Abgrenimmer wieder neu hervorgebracht werden müs- zung gegenüber anderen Jugendlichen. Abgrensen, um die Gruppenprozesse am „Laufen" zu zungen und Zuordnungen sind nichts Festes; halten. Es müssen Handlungssequenzen erzeugt mit ihnen gehen die Jugendlichen durchaus werden, an die sich immer wieder anschließen spielerisch um. Damit sind sie in der Lage, läßt. Stimulierende Substanzen (wie z.B. A l - sich der Zuschreibungsversuche des soziokulkohol u.ä.) und Medien beeinflussen diese Pro- turellen Kontextes oder der Dramamtisierung zesse maßgeblich. Aber auch deren Gebrauch ihres Handelns in der Öffentlichkeit zu erwehunterliegt den symbolischen Codes und Re- ren Als beispielsweise „rechts"-orientierte Musik einen stärkeren Einfluß in der Öffentgeln des Gruppenhandelns. lichkeit erlangte, tragen selbst einige der sich als „links" verstehenden Jugendliche T-Shirts Die Regeln, nach denen in der Gruppe jemand mit dem Schriftzug „Böhse Onkelz" als Mittel aufgenommen oder ausgegrenzt wird, sind der Provokation (vgl. Giessen 1993). Darin schwer nachvollziehbar. Beziehungen innerhalb zeigt sich ein eher selbstbestimmter und exder Gruppen können eine Variation von dyadi- pressiver Umgang mit Stilelementen, bei dem schen Relationen bis hin zu multiplen Struktu- politische und öffentliche Zuschreibungen in ren annehmen. Es können lockere wie auch einen anderen Kontext gestellt oder in ironifestere Verbindungen entstehen und von einer FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 scher Form zurückgewiesen werden. Daß diese „Codes" von der Umwelt kaum hinreichend entschlüsselt werden können und eher Anlaß für weitergehende Sügmatisierungen sind, liegt nahe. Im Spektrum möglicher Motivationen bei der Präsentation rechter Symbole ist der Aspekt der Provokation von großer Bedeutung. Provokation beinhaltet als Handlungsoption die Entscheidung für Action, Spaß, aber auch für Risiko. Damit lassen sich die Verregelungen und Routinen des Alltags erlebnishaft aufbrechen (vgl. Baacke 1987). Die rechtsextremistische Außendarstellung konnte dabei als eine neue Möglichkeit aufgenommen werden, ohne daß dies in jedem Fall zur Identifizierung mit den Zielen führen mußte. Entsprechend den wechselnden und auch wachsenden Möglichkeiten zum Ausleben ist ein Wechsel der politischen Konnotation innerhalb relativ kurzer Zeit durchaus möglich. Dies deutet auf den situativen Aspekt der Handlungen wie ganz generell auf die Kontingenzen in den Handlungszusammenhängen der Gruppen hin. Im Zusammenhang mit einer von uns durchgeführten Untersuchung von Gruppenprozessen in einem Berliner Stadtteil haben wir feststellen können, daß sowohl die „politische" Codierung als auch die Medien, die Risiko- und Aktionsreize vermitteln, in rascher Folge wechseln bzw. austauschbar sind. So wechselte eine der von uns untersuchten Gruppen mit einer eher rechten und fremdenfeindlichen Konnotation ihres Stiles und Handlungsrepertoires (sie verfügten über Erfahrungen im Zusammenhang mit Angriffen auf Asylbewerberheime) über eine Phase mit überwiegenden Aktivitäten in der „Sprayer"-Szene zu einem eher „linken" Selbstverständnis. Daraufhin entwikkelten die Jugendlichen positiv besetzte Kontakte zu Ausländern und Asylbewerbern, die im Handlungsraum der Gruppe ein Asylbewerberheim bewohnten. Dies ging soweit, daß die Ausländer und Asylbewerber gegen Angriffe von anderen Gruppen verteidigt wurden. 2 49 Die Entwicklung verweist auf eine Kontingenz in den Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen, die natürlich auch jeder Zeit wieder in die „Gegenrichtung" umschlagen kann. Jugendliche konstituieren darüber hinaus rasch Suchbewegungen in andere Felder. Dazu gehört ebenso die Teilhabe an dem, was in den Jugendfreizeiteinrichtungen an Veranstaltungen läuft, wie der Umgang mit konkurrierenden, je nach Ressourcenlage zugänglichen Angeboten des Konsum- und Freizeitmarktes oder die Erschließung des Drogenmarktes im Stadtteil. Diese Pluralisierung in den individuellen Möglichkeiten entschärft offensichtlich Polarisierungstendenzen, die in der Zeit kurz nach der Wende zu beobachten waren (vgl. Böhnisch 1992). Hier sind der Faszination des Rechtsextremismus Konkurrenzen erwachsen. In größerem Ausmaß hat sich deshalb eine rechte soziale Infrastruktur, die auch in der lokalen Öffentlichkeit präsent ist, bislang nicht etablieren können. 3. Die bewegungssoziologische Perspektive Im Zuge der jüngsten Wellen fremdenfeindlicher Gewalttaten in Ost- und Westdeutschland ist schon recht bald geltend gemacht worden, daß wir es mit einer neuen sozialen Bewegung zu tun haben (vgl. Leggewie 1993). Deren Ziele entzünden sich allerdings nicht an Problemen wie Ökologie, Abrüstung oder Wirtschaftswachstum, dem Geschlechterverhältnis oder an der Bürgerbeteiligung in den Kommunen bzw. auf überregionaler Ebene. Stattdessen haben sich Konflikte ganz anderer Art aufgetan, die in den achtziger Jahren eher latent angelegt waren. Es handelt sich dabei um Konflikte, die sich nach der Grenzöffnung durch neue M i grationsbewegungen aus den ost- und südosteuropäischen Ländern ergeben haben. Jedoch ist wohl weniger die Tatsache des Zustromes 50 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, von Asylberwerbern allein entscheidend, als vielmehr die Art und Weise des politischen, rechtlichen und sozialen Umgangs mit diesen Wanderungsbewegungen, sei es auf Regierungs- oder lokaler Ebene. Es gibt viele Mutmaßungen darüber, in welcher Weise die damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungen von Politikern oder von Vertretern aus den Verwaltungsbürokratien Jugendliche zu fremdenfeindlichen Gewalttaten ermuntert haben. Begründet scheint uns diese Kausalitätsannahme freilich nicht zu sein. Man muß sich fragen, welche handlungsleitenden Orientierungen Jugendliche aus politischen Entscheidungen beziehen. Begründet scheint die These, daß sich aus Konflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen gewaltsame Eskalationsprozesse entwickeln können. Ob diese Prozesse weiterlaufen und eine dramatische Form annehmen oder nicht, wird entscheidend davon abhängen, welche Rolle lokale Eliten und die Vertreter der Kontrollinstitutionen spielen. Dies zeigen zumindest die Fälle Hoyerswerda und Rostock, da durch das zögerliche, wenn nicht gar Nicht-Handeln der Polizei die Erfolgsbedingungen für gewaltsame Aktionen offensichtlich gesteigert werden konnten. 1994 Gewaltaktionen allein lassen sich keine bewegungsförmigen Strukturen etablieren. Es ist gut möglich, daß sich Bürgerinitiativen gegen Asylbewerber und Ausländer etablieren, wie es teilweise im Falle der Errichtung von Asylbewerberheimen im Osten Deutschlands bereits geschehen ist. Deren Herausbildung und Normalisierung wird allerdings davon bestimmt, inwieweit rechte Gruppen ihre politische Partizipations- und Entscheidungsfähigkeit über die Themen „Asyl und Ausländer" hinaus unter Beweis stellen können, und sich ein generelle Veränderung nach rechts im politischen Institutionensystem vollzieht. Besonders im Punkt Politikfähigkeit unterscheiden sich rechte Gruppen sehr deutlich von den neuen sozialen Bewegungen (vgl. den Beitrag von Ohlemacher in diesem Heft). Während erstere auf Autorität und Führerpersönlichkeiten bauen, spielen bei den Akteuren der neuen sozialen Bewegungen intellektuelle und partizipatorische Elemente eine ganz entscheidende Rolle. Die Frage, ob sich eine rechte soziale Bewegung herausbilden wird, läßt sich an dieser Stelle nicht endgültig und eindeutig beantworten. Unserer Ansicht nach gibt es gute Gründe dafür, daß der Formierung einer Bewegung, In bewegungssoziologischer Hinsicht ist es nun die sich aus Gewalt und Terror wie aus der wichtig, daß nicht nur für Aktionen mobil ge- offenen Abwehr gegenüber allem „Fremden" macht wird. Es muß auch eine gewisse Verste- in der Gesellschaft speist, auch Grenzen getigung absehbar sein. Damit muß nicht gleich setzt sind. Für die Entstehungszusammenhäneine Institutionengründung verbunden sein. ge fremdenfeindlicher Gewalttaten gilt es, nicht Allerdings bedarf es zur Verstetigung einer ge- nur die Binnenstruktur der Gruppen, sondern wissen Infrastruktur, die auch sozial hinrei- auch 'externe' Bedingungen zu berücksichtichend verankert ist. Die Erfolgsbedingungen gen. Im Hinblick auf die 'internen' Bedingunrechter sozialer Bewegungen hängen also ganz gen wurde bereits auf die Möglichkeiten und entscheidend von den Gelegenheitsstrukturen Grenzen der Anschlußfähigkeit des Gruppen(vgl. Tarrow 1989) ab, in regionaler wie auch handelns für das Agieren in subinstitutionellen überregionaler Hinsicht. Dabei wird man sich und institutionellen Zusammenhängen hingevorstellen können, auf welche Grenzen gewalt- wiesen. Dagegen werden die 'externen' Bebereite Jugendliche bzw. Sympathisanten sto- dingungen vor allem durch die politische Geßen, wenn es zur Herausbildung von rechten legenheitsstruktur mitbestimmt. Die Art und politischen Infrastrukturen kommen sollte. Mit Weise, wie zentrale Themen auf der politischen FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Agenda piaziert und behandelt werden, wie mit Asylbewerbern politisch und rechtlich umgegangen wird, scheint in mancherlei Hinsicht die Erfolgsbedingungen für gewaltsame Aktionen begünstigt zu haben. Gleichwohl sollte keine Zwangsläufigkeit zwischen fremdfeindlichen Gewalttaten von Jugendgruppen und einer rechtsradikalen Bewegung angenommen werden. Offensichtlich haben wir es mit einer Form von Mobilisierung zu tun, die über die Stufe von Kampagnen und kollektivem Protest nicht hinausreicht und allenfalls eine 'Vorform' sozialer Bewegung darstellt. Davon unterscheiden sich aber die neuen sozialen Bewegungen, die sich zwar ebenfalls von den institutionalisierten Formen abheben, immerhin jedoch über ein gewisses Maß an Verstetigung, ausdifferenzierte Kommunikationsstrukturen und Rollen verfügen und Zielhaftigkeit erkennen lassen (vgl. Raschke 1991). Zumindest im Westen Deutschlands hat sich ein ausdifferenzierter Bewegungssektor mit vielfältigen Infrastrukturen etabliert, der auch sozio-kulturell verankert ist. Im Osten freilich wird man noch nicht von einem derartigen Differenzierungsgrad der Gesellschaft ausgehen können. Der politische Entdifferenzierungsprozeß von einst läßt sich nicht so leicht umkehren. Die Folge davon ist, daß es nicht nur Organisationen und Verbände, sonderen auch selbstorganisierte Vergesellschaftungsformen sehr schwer haben, sich im intermediären Bereich Geltung zu verschaffen. Die unvermittelte Beziehung zwischen Staat und Bürger von einst scheint sich vorerst umgekehrt zu haben in ein ausgesprochen distanziertes bzw. indifferentes Verhältnis. Diese Situation ist offensichtlich ein günstiger Nährboden für diffuse und kampagnenartige Protestformen, nicht aber für die Herausbildung einer sozialen Bewegung, die auf Öffentlichkeit ebenso wie auf ein differenziertes politisches System angewiesen ist. Aus der 51 Mailand-Analyse Meluccis wissen wir um die Bedeutung eines Interaktionsgeflechtes der Bewegungen, das von festen Bewegungseinrichtungen wie Kneipen, Buchläden, Selbsthilfegruppen bis hin zu Freundschafts- oder Verwandtschaftsbeziehungen reicht. Demnach ist ein solches Geflecht mitentscheidend für die Dauerhaftigkeit, Mobilisierungskraft und Eigenständigkeit der Initiativen (vgl. Roth 1991). Damit dürften es rechtsradikale Bewegungen und Organisationen wahrscheinlich schwer haben, im intermediären Bereich stabile Formen der Interessenartikulation zu entwickeln, die geeignet sind, über die Mobilisierung kollektiver Betroffenheiten hinaus eine Verstetigung und Differenzierung der Bewegungspraxis zu erreichen. Daß die Bewegungsforschung bei der Analyse rechtsradikaler Phänomene womöglich Hinsicht auch von anderen Annahmen als bei der Untersuchung der Ökologie-, Frauen- und Friedensbewegung wird ausgehen müssen, gilt als Allgemeinplatz. Problematisch scheint uns im rechtsradikalen Spektrum die Perspektive rational und zielorientiert handelnder Akteure zu sein. Raschke (1991) geht beispielsweise von einem Bewegungsakteur aus, der „aktiv in den Lauf der Dinge eingreift" (ebd. 32). Für den rechtsradikalen Bereich sind jedoch gerade die spontanen, diffusen „Vorformen" sozialer Bewegungen von Interesse. Sie folgen nur in wenigen Fällen bestimmten „Zielen" oder Formen strategischen Handelns, was nicht ausschließt, daß sich die fragilen Handlungszusammenhänge zu Brücken und Umschlagpunkten für organisationsbezogenes Handeln entwickeln können. Wenn in der Bewegungsforschung häufig mit der Annahme eines strategischen Akteurs operiert wird, so mag das möglicherweise auch daran liegen, daß die bislang untersuchten sozialen und politische Phänomene weitgehend den sozialen Bewegungen 52 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, aus dem linksliberalen, alternativen und postmaterialistischen Sektor entsprechen. Für erfolgversprechend bei der Analyse rechtsradikaler Aktionen und Bewegungen halten wir Zugänge, mit denen die Entstehungszusammenhänge, Verlaufsprozesse und Bedingungen der Stabilisierung im Hinblick auf die Wirkungszusammenhänge zwischen der Mikro-, Meso- und Makroebene erklärt werden können (vgl. Neidhardt/Rucht 1993, 306f). Diese Überlegung aufgreifend, war uns daran gelegen, lediglich die Interferenzen zwischen den gewaltförmigen und fremdenfeindlichen Gruppenprozessen auf der Mikrobene und den organisationsbezogenen Chancenstrukturen für rechtsradikale Politik auf der Mesoebene zum Gegenstand der Analyse zu machen. Dies vor allem mit dem Ziel, die Grenzen und Möglichkeiten für die Etablierung von rechten bewegungsförmigen Infrastrukturen und Institutionen auszuloten. Mit dem Versuch, in differenzierter Weise die Innenseiten der gewaltförmigen Gruppen Jugendlicher zu analysieren, nach den Anschlußstellen für eine mögliche Mobilisierung und Institutionalisierung für rechtsradikale Politik zu suchen und dabei das Zusammenspiel zwischen internen Gruppenprozessen und externen Chancenstrukturen zu beachten, ist uns keineswegs an einer Entwarnung gelegen. Immerhin besteht auch die Gefahr, daß sich über den Umweg antistaatlicher Einstellungen rechtsorientierte Milieus als lockere und informelle Gruppen (vgl. Neidhardt/Rucht 1993) quasi einigeln, um an diesem Punkt, wenn auch kampagnenhaft, so doch von rechtsextremen Organisationen wieder „abgeholt", d.h. mobilisiert zu werden. Rechtsextremismus scheint so für die Jugendlichen Ostdeutschlands eine besondere Episode kollektiver Erfahrungen zu sein, von der aus Verlängerungen in Richtung einer rechten Bewegung zwar eher unwahr- 1994 scheinlich sind; gleichwohl werden aber Teile der Jugendlichen sicherlich weiterhin in Berührung mit diesem Spektrum bleiben. Wolfgang Kühnel und Ingo Matuschek sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Humboldt-Universität. Anmerkungen In empirischer Hinsicht stützen wir uns zum einen auf die Aussagen von Experten aus dem Bereich der Sozialpädagogik und zum anderen auf eine Untersuchung über Gruppenprozesse und Gewalt in einem Berliner Großsiedlungsgebiet. Es handelt sich dabei um ein Forschungsprojekt zum Thema „Gewalt bei Jugendgruppen in großstädtischer Monostruktur", das im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 227 „Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter" der Universität Bielefeld von den beiden Autoren am FB Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität durchgeführt wird. 1 2 Literatur Allerbeck, K/Hoag, W.J. 1985: Jugend ohne Zukunft? Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektiven, München Baacke, D. 1987: Jugend und Jugendkulturen. Darstellung und Deutung, Weinheim/München Backes, U./Jesse, E. 1990: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn Baibach, S. 1994: „Wir sind auch die kämpfende Front". Frauen in der rechten Szene, Hamburg (im Erscheinen) Böhnisch, L u.a. 1992: Gesellungsformen Jugendlicher und Gewalt, Dresden Deutsches Jugendinstitut 1992: Schüler an der Schwelle zur deutschen Einheit, Opladen Forschungsstelle für Sozialanalysen e. V. 1992: Jugendliche in Ostdeutschland 1992. 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Eine wichtige Grundlage für ein solches Vorgehen ist eine konkrete Analyse, die zwischen scheinbar disparaten Phänomenen Korrelationen herzustellen vermag und diese in die jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und Situationen einzubetten versteht. Auf diese Weise kann sowohl die ahistorische Schieflage, die die Voraussetzungen der Moderne unzureichend reflektiert, als auch die komparative Schieflage, die die nationalen Wurzeln gesellschaftlicher Phänomene zu unterschätzen droht, überwunden werden. 1994 vor allem antidemokratisch-autoritäre Ideologeme, Einstellungs- sowie Handlungsmuster, Einzel- und Kollektivaktivitäten, Medien, Organisationen und Parteien (vgl. Stöss 1989). Da selbst der innerwissenschaftliche Diskussionsstand in Deutschland noch nicht so weit ist, daß von einem konsensualen Verständnis und Gebrauch der Rechtsextremismus-Terminologie gesprochen werden kann, hat dies zur Folge, daß jeder neue Aufsatz und jede neue Monographie zunächst einmal den kategorialen Deutungshorizont der eigenen Argumentation darlegen muß. Die RechtsextremismusTerminologie wirft ein doppeltes Problem auf: II. Die Tücken der Begrifflichkeit Einerseits ist eine Reihe von konkurrierenden Aus den Vorbemerkungen ergibt sich, daß die Begrifflichkeiten wie Rechtsradikalismus, Herangehensweise umfassend sein muß, so daß Rechtsfundamentalismus, Neo-Nazismus, Neoin die wissenschaftliche Analyse des Rechts- Faschismus, Rechts- und Nationalpopulismus, extremismus eingehen: die ökonomischen, so- Nationalkonservatismus bis hin zur Alten und zialen, politischen und kulturellen Rahmenbe- Neuen Rechten im Gebrauch (vgl. auch Pfahldingungen, die Verbreitung von antidemokra- Traughber 1993, 26ff). Andererseits verbinden tischen und demokratieskeptischen Einstellun- die Autoren, die den Begriff Rechtsextremisgen, das Ausmaß und die Entwicklung rechts- mus benutzen, damit sehr unterschiedliche Inextremer Aktivitäten - organisiert wie nicht halte, Motivationen, Ziele und Bedeutungsebeorganisiert - , die generations- und geschlechts- nen. spezifischen Ausprägungen, die spezifischen modernen Ideologeme und Organisationsfor- Für die extremismustheoretische Forschungsmen, die Programmatik rechtsextremer Orga- richtung, die der alten Totalitarismustheorie am nisationen sowie deren Beziehungen zu maß- nächsten steht - in besonders pointierter Form geblichen politischen Kräften auf nationaler von Backes/Jesse (1993) artikuliert - , fungiert wie internationaler Ebene. Unter Rechtsextre- Rechtsextremismus als Sammelbegriff für Phämismus wird die Gesamtheit von Einstellun- nomene, die sich gegen den demokratischen gen und Verhaltensweisen, die auf die Beseiti- Verfassungsstaat richten. Diese Perspektive gung oder nachhaltige Beeinträchtigung de- wird noch zugespitzt, wenn Forscher die vom mokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse Verfassungsschutz vorgegebene juristische Ungerichtet ist, verstanden. Dieses zugleich so- terscheidung zwischen einem nicht-verfasziale und politische Massenphänomen deutet sungsfeindlichen Rechtsradikalismus und eiauf eine individuelle und gesamtgesellschaftli- nem verfassungsfeindlichen Rechtsextremische Komponente hin, wenn auch diese beiden mus übernehmen. Faktoren einen einheitlichen Wirkungszusammenhang bilden. Rechtsextremismus ist also Für ein solches Vorgehen tritt Hans-Joachim ein Sammelbegriff, in dem unterschiedliche Veen ein, der die Rechtsextremismus-KategoPhänomene gebündelt werden. Dazu gehören rie nur in jenen Fällen für sinnvoll erachtet, FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7. HEFT 4, 1994 die von Bundesverfassungsgericht und Verfassungsschutz sanktioniert werden. Durch diesen eindeutigen Referenzpunkt, so Veen, könne ein inflationärer Gebrauch verhindert werden: „Der Rechtsextremismusbegriff ist der extremste, über den wir in diesem Zusammenhang verfügen, extremer geht es nicht, semantische Verschärfung ist nicht möglich. Ihn im Alltagsgebrauch gegen alles, was sich irgendwo am rechten Rand oder rechtsaußen bewegt, zu verwenden, bedeutet, den Begriff zu inflationieren, ihn damit zu entwerten und zu einer stampfen Waffe werden zu lassen" (Veen 1994: 1). Plausibel an dieser Argumentation ist die Problematisierung des inflationären Gebrauches der Rechtsextremismus-Kategorie. Einer wissenschaftlichen Kapitulation kommt es allerdings gleich, wenn Veen die Trennung zwischen Extremisten und Radikalen allein als definitorische Aufgabe der Verfassungsorgane bezeichnet. Denn damit wird die inhaltliche Begriffsbestimmung an eine außerwissenschaftliche Instanz angelehnt, statt sich selbst um die Durchsetzung einer eigenen Interpretation zu bemühen. Ein Ansatz, der als Ordnungsprinzip die Einordnung auf der Koordinatenachse von auf die bundesdeutschen Verhältnisse bezogenen verfassungsgemäßen bis verfassungsfeindlichen Einstellungen zugrundelegt, vermag jedoch der Komplexität und Internationalität dieses gesellschaftlichen Krisenphänomens nicht gerecht zu werden. Sein Referenzkonzept wäre zu eng und zudem international nicht übertragbar, denn es läßt eine international vernetzte Rechtsextremismusforschung - ein eminent wichtiges Forschungsdesiderat - nur unter der Bedingung zu, daß sie sich auf ein spezifisch deutsches - und somit provinzielles - Unterscheidungsmerkmal einläßt. Ein weiteres Problem dieses Ansatzes ist methodologischer Art: Die Analyse sollte sich nicht darauf beschränken, empirische Erscheinungsformen deskriptiv wie- 57 derzugeben, vielmehr muß sie die beobachteten Phänomene auf ihre konstitutiven Bedingungen rückbeziehen, deren Genese nachzeichnen und erklären können. Ein eindimensionaler Ansatz wie der extremismustheoretische ist folglich komplexitätsreduzierend und damit der Problematik nicht adäquat. Viele kritische Sozialwissenschaftler meiden den Rechtsextremismusbegriff gerade wegen seiner extremismustheoretischen Besetzung. Sie sehen darin eine unverantwortliche politische Instrumentalisierung (vgl. Narr 1980, 1993), die letztlich auf eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus im Sinne der alten Totalitarismustheorie (vgl. Nolte 1973, Bracher 1987) hinauslaufe. Zudem befürchten sie, daß mit einer solchen Negativdefinition, die sich primär auf die Gegnerschaft zum demokratischen Verfassungsstaat und seinen Verfahrens- und menschenrechtlichen Grundlagen kapriziert, Ursachen und Genese von Rechtsextremismus ausgeblendet und somit vorrangig Staatsschutzziele, die eine strafrechtliche Ausgrenzung bezwecken, verfolgt werden. Um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, benutzen verschiedene Forscher alternative Begriffe, beispielsweise den Begriff Rechtsradikalismus (vgl. Leggewie 1994). Andere greifen auf ältere Begriffe zurück, denen die Vorsilbe „Neo-" vorangestellt wird, doch diese Begriffsbildung ist irreführend, da bei Komposita wie Neofaschismus oder Neonazismus nicht die Vorsilbe, sondern das Nomen sinngebend wirkt. Zugleich ignorieren diese begrifflichen Fixierungen, daß die meisten der aktuell agierenden rechtsextremistischen Gruppen und Aktivitäten nicht unmittelbar auf das NSRegime zurückzuführen sind, sondern daß in diesem politischen Spektrum eine relative Autonomisierung gegenüber der NS-Politik und NS-Ideologie stattgefunden hat, die durch neue FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, |58 und eigenständige Begrifflichkeiten erfaßt werden muß. 1 Um den Rechtsextremismus-Begriff trotz solcher Probleme wieder fruchtbar zu machen, muß er von zwei komplementären Verkürzungen befreit werden, die aus normativen Vorannahmen resultieren: Einerseits von der extremismustheoretischen Verengung, die auf Verfassungskonformität und Staatsschutzdenken verweist, andererseits von der normativen Überhöhung und Stilisierung, die zu einem antifaschistischen Kampf, der weitgehend ritualisiert und vergangenheitsbezogen verläuft, prädestinierent. Beide Sichtweisen beruhen auf und führen zu einer Engführung der Erkenntnisse, die ihre beste Rechtfertigung jeweils in der Existenz des anderen Lagers finden: So wie der extremismustheoretische Ansatz dem Antifa-Ansatz seine Blindheit gegenüber totalitären und speziell linksextremen Auffassungen und Aktivitäten vorhält, so kritisiert der antifaschistische Ansatz an seinem Gegenüber die Überhöhung formaler Strukturanalogien, die zu eigenständigen Gefahren für die Demokratie von linksaußen bzw. rechtsaußen stilisiert würden. Beide Seiten gründen ihre Terminologie und ihre Konzeptionen letztlich auf - zwar konträren, aber eben - normativen Prämissen, die mehr auf der jeweiligen „political correctness" als auf wissenschaftlicher Analyse beruhen. Beide Verkürzungen gilt es zu überwinden, um das gesamte Feld des Rechtsextremismus in den Blick zu bekommen. III. Ein in Vergessenheit geratener, aber fruchtbarer Ansatz Bereits 1967 erarbeiteten Erwin K. Scheuch und Hans-Dieter Klingemann eine Forschungsstrategie zur Analyse struktureller Ursachen rechtsextremistischer Verhaltensweisen in modernen Industriegesellschaften (Scheuch/Klingemann 1967). Obwohl nur wenige ähnlich 1994 ambitionierte Beiträge in der bundesdeutschen Debatte vorlagen, blieb dieser Ansatz damals nahezu unkommentiert. Diese Tatsache kann als exemplarischer Ausdruck des Fehlens einer kontinuierlichen sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung in Deutschland gewertet werden. Im Vergleich zu den U S A und anderen westlichen Ländern ist die deutsche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bisher mehrheiüich provinziell, substanzlos und bekenntnisorientiert verlaufen. Vor dem Hintergrund der NPD-Wahlerfolge in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erarbeiteten Scheuch/Klingemann ein Forschungsprogramm zur systematischen Analyse rechtsextremistischer Erscheinungsformen. Zwar ist dieser Beitrag in den letzten Jahren immer wieder zitiert worden, meist jedoch verkürzt auf die These, daß Rechtsextremismus „eine normale Pathologie von freiheitlichen Industriegesellschaften sei", nicht jedoch unter der Fragestellung, ob das von ihnen vorgelegte Forschungsprogramm heute noch plausibel ist. Der Ansatz von Scheuch/Klingemann erweist sich jedoch als kompatibel mit Arbeiten, die Rechtsextremismus als Ergebnis widersprüchlicher Modernisierungsprozesse, sozialer Desintegrations- und Deprivationserscheinungen begreifen. Ausgehend von einem strukturell-funktionalen Analyseansatz arbeiteten die Autoren damals vier idealtypische Spannungsfelder von sich beschleunigt wandelnden Industriegesellschaften heraus, in denen sie die widersprüchlichen Anforderungen verorteten, die von den Individuen zu bewältigen sind. 1. Widersprüche zwischen den Werten und Verhaltensweisen der Primärgruppe (Familie, Freundeskreis etc.) einerseits und den sogenannten funktionalen Erfordernissen der se- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 kundären Institutionen (z.B. Betrieb, Behörde, Organisation) andererseits. 2. Widersprüchliche Anforderungen zwischen der Berufssituation, die für die Mehrzahl der Menschen durch passive Unter- und Einordnung geprägt ist, und der gesellschaftlichen Zielperspektive gleichberechtigter, aktiver Einmischung. 3. Spannungen zwischen den Individuen und der politischen „Klasse". 4. Widersprüche zwischen der Fülle sozialer Konflikte, mit denen Individuen konfrontiert werden, und ihrem unzureichenden Ausdruck in den Massenmedien, wodurch wiederum die Grundlage für ein „unterschwelliges Unbehagen (= Malaise)" gelegt sei. 591 resultieren ständig Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichen Normen und Werten auf der einen Seite und der gesellschaftlichen Realität auf der anderen. Kurzum: Es wird ein Resonanzboden für Prozesse sozialer Deprivation geschaffen. Angesichts des Stellenwertes von Arbeitslosigkeit in modernen Gesellschaften verändern sich Gewicht und Bedeutung der anderen von Scheuch/Klingemann genannten Spannungsfelder. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich ein sozialer Wandel vollzogen, der nicht ohne Einfluß auf die genannten vier Spannungsfelder geblieben ist und daher kurz skizziert sei: - Verhältnis von Primär- zu Sekundärinstitutionen: Hervorzuheben ist der Strukturwandel der Familie, der insbesondere unter den Stich Worten Erosion der Kernfamilie und veränderter Vergesellschaftungs- und Sozialisaüonsmoden von Kindheit und Jugend diskutiert wird. Während die Anforderungen an die Familie als Puffer zur Leistungsgesellschaft gewachsen sind, gilt dies nicht im gleichen Maße für ihre Möglichkeiten. Die empirische Grundlage für die idealtypischen Spannungsfelder sind in der Übergangsphase zwischen Adenauer-Ära und modemer Bundesrepublik situiert. Zunächst ist an vorderster Stelle der Widerspmch zwischen der Massenarbeitslosigkeit und einer sich weiterhin auf Erwerbsarbeit gründenden Gesellschaft hinzuzufügen. Die „normalbiographische" Ent- - Verhältnis von beruflichen zu gesellschaftswicklung in der modernen Industriegesellschaft spezifischen Anfordemngen: Die seit der ist auf Integration in die Arbeitswelt orientiert, zweiten Hälfte der sechziger Jahre vermehrhingegen versperren Marktmechanismen für ten Bemühungen, das gesellschaftliche Enimmer mehr Jugendliche den Eintritt in das gagement zu verstärken, haben nur Teile der Bemfsleben und zugleich fallen ständig MenGesellschaft erfaßt. Die Kluft zwischen eischen aus dem System der Erwerbsarbeit herner tendenziell willkürlich anmutenden Unaus. Zwar ist der Absturz in die Arbeitslosigterordnung im beruflichen Alltag und einer keit durch soziale Regelungen abgefedert, doch postulierten gleichberechtigten, engagierten die psychischen Effekte, die bis zur VerwahrTeilnahme am öffentlichen Leben hat sich losung reichen können, sind unübersehbar. seither in vielen Bereichen abgeschwächt. Trotz weitreichender und teilweise dramatischer Konsequenzen hat die Gesellschaft bis- Verhältnis von Individuen und Politik: Die lang keinen Ausweg aus diesem Dilemma geBindungen der Menschen an die politischen funden, vielmehr zentriert sie ihre Normen und Institutionen hat sich in den letzten JahrWerte weiterhin um die Erwerbsarbeit. Aus diezehnten erheblich verändert. Mit dem Wegser Kluft zwischen Anspmch und Wirklichkeit fall politischer Gewißheiten, deren Wurzeln 60 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 in sozialen Milieulagen, lockern sich nicht - Geschlechterverhältnis: Während der strukturelle Konflikt zwischen den Geschlechnur die Beziehungen zwischen den Indivitem bis in die 60er Jahre nur latent wirkte, duen und den politischen Parteien und Vernahm seitdem nicht nur der Konflikt, sonbänden, sondern auch die Unterschiede zwidern - auf der Basis einer starken Frauenschen den konkurrierenden Parteien werden bewegung - auch die Beteiligung von Frauweniger greifbar. Einerseits wird nicht imen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mer klar differenziert zwischen den verschiezu. Deutliche Anzeichen für eine veränderdenen politischen Parteien und Lagern, so te Stellung der Frau in der Gesellschaft sind daß für eine nicht unerhebliche Zahl von in der Infragestellung geronnener ArbeitsMenschen übergreifende Phänomene wie teilungen zwischen den Geschlechtem zu materielle Bereicherung von Politikern und sehen sowie in der Bedeutungszunahme bederen mangelnde Sensibilität für die unmitruflicher Aufstiegsambitionen. telbaren Alltagsprobleme in den Mittelpunkt des politischen Interesses rücken. Andererseits scheint nach dem Ende der bipolaren Ein weiterer gesellschaftlicher Bereich, der sich Blockkonfrontation und aufgrund der Krise seit Mitte der sechziger Jahre deutlich verändes wohlfahrtsstaatlichen Verteilungsmodells dert hat, ist der ideologische. Scheuch/Klingeder Glaube an die Veränderbarkeit gesell- mann insistieren darauf, daß der Wandel der schaftlicher und individueller Situationen Lebensbedingungen die „Notwendigkeit zu durch Politik stark gesunken zu sein. fortwährender Revision eigener Einstellungen" und „den dauernden Wechsel der Bezugssy- Verhältnis von Medien und Gesellschaft: Die steme" zur Folge habe. Als Reaktion darauf gesellschaftliche Bedeutung audiovisueller könne sich eine Form der Unsicherheit herausMassenmedien hat enorm zugenommen. bilden, die wiederum die Grundlage für eine Dieser Wandel drückt sich einerseits in ei- „Rigidität im Denken" sei: .Ausweichen vor ner Vervielfachung und Ausdehnung media- den tatsächlich bestehenden Widersprüchlichler Rezeptionsmöglichkeiten aus, anderer- keiten durch ein starres Wert- und Orientieseits in veränderten Darbietungsformen ge- rungssystem" (Scheuch/Klingemann 1967: 18). sellschaftlicher Realität. Standen in den er- Diese Form der Reaktion bezeichnen Scheuch/ sten beiden Jahrzehnten der bundesdeut- Klingemann als „pathologische Anpassung". schen Geschichte harmonische Familien-, Indem sie die Basis für rechtsextreme OrienWirtschafts- und Gesellschaftsbilder im Mit- tierungen aus den Widersprüchen modemer Intelpunkt medialer Präsentation, so hat sich dustriegesellschaften herausarbeiten, distanzieseit den achtziger Jahren eine auf Effekte ren sie sich von allen Versuchen einer unmitabgestellte De- oder sogar Amoralisierung telbaren Rückbindung an historische Kontinuiund Brutalisierung in den Medien breitge- täten. macht. Nicht mehr die Unterdrückung bestimmter als real erfahrener Lebenssituationen und Konflikte beunruhigt die Menschen, sondern wachsende Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit. Die Medien suggerieren Möglichkeiten von Freiheit, Wohlstand sowie Gerechtigkeit und rufen so stets aufs neue Enttäuschungen hervor. Seit Ende der sechziger Jahre sind die tradierten Wert- und Orientierungssysteme in den Strudel rasanter Veränderungen geraten, und dieser Wandel hat sich seit dem Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems mit seinen relativen Sicherheiten und ideologischen Gewißheiten noch beschleunigt. Das Angebot an FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Werten hat sich diversifiziert, ihre Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit ist zurückgegangen; eine Vielzahl normativer Brüche hat sich im Alltagsdenken und -leben niedergeschlagen. Diese Zunahme von Widersprüchlichkeiten, die zugleich ein Mehr an Wahlmöglichkeiten bzw. für viele auch von Entscheidungsund damit Wahlzwang bedeuten, stellt hohe Anforderungen an die individuellen Verarbeitungskapazitäten, die bei einer Vielzahl von Individuen zu Überforderungen führen. Eine mögliche Reaktionsform, um der Auflösung von Sicherheiten zu begegnen, wäre Rigidität im Denken, eine andere wäre eine zunehmende Unzufriedenheit angesichts einer weitgehend fehlenden Übereinstimmung zwischen den bei der Sozialisation internalisierten Werten und Erwartungen einerseits und den vielfältigen gesellschaftlichen Ideologieangeboten, die als beliebig und willkürlich wahrgenommen werden können, andererseits. Im Prozeß des Verfalls ideologischer Orientierungen ist auch der Gründungs- und Grundkonsens der Bundesrepublik, nämlich ein antitotalitärer Antifaschismus, einer starken Erosion unterworfen. 61 da vorgelegt, die Anschlußmöglichkeiten für eine moderne sozialwissenschaftliche Rechtsextremismusforschung enthält. IV. Rechtsextremismus als Resultat gesellschaftlicher Deprivationsprozesse Will sich die Rechtsextremismusforschung nicht mit der Klassifizierung von Phänomenen zufrieden geben, sondern Aufschluß über Genese und Rahmenbedingungen rechtsextremistischer Aktivitäten vermitteln, so kann ein kontextuell orientiertes Theoriekonzept sozialer, politischer und kultureller Deprivation eine sinnvolle Forschungseinbettung ermöglichen. Eine so orientierte Rechtsextremismusforschung basiert auf einer gesamtgesellschaftlichen Theorie, die ihr Augenmerk zuallererst auf Krisenphänomene und spezielle Ausdrucksformen sozialer Unzufriedenheit, die einen maßgeblichen Aspekt von Deprivation erfaßt, richtet. Eike Hennig markiert Geltungsbereich und Grenzen des Unzufriedenheitstheorems, wobei er zugleich gesellschaftspolitische GegenSoweit ein skizzenhafter Umriß der seit Mitte strategien andeutet: „Institutionen und interder sechziger Jahre eingetretenen Entwick- mediäre Instanzen müßten den grundlegend lungslinien. Ein zentraler Aspekt in der For- Unzufriedenen, die die Haltung des Ressentischungsagenda von Scheuch/Klingemann be- ments überschreiten, zuerst wieder nahegezieht sich auf den Zustand des politischen Sy- bracht werden, bevor sie als Ausdruck einer stems, respektive der es tragenden Institutio- demokratisch verändernden Unzufriedenheit nen, denen eine entscheidende Bedeutung zu- wirken können. Grundlegendes Charakteristigesprochen wird, um zu verhindern, daß die kum rebellischer Unzufriedenheit ist die Entvorhandenen Spannungsfelder zum Resonanz- strukturierung des politischen Lebens und die boden für rechtsextremistische Verhaltenswei- Ablehnung einer komplexen gesellschaftlichen sen werden. Zugleich versuchen die Autoren, Modernisierung". Dieses Unzufriedenheitsmudurch die spezifischen institutionellen Voraus- ster unterscheide sich von der allgemeinen posetzungen die unterschiedlichen Ausdrucksfor- litischen Unzufriedenheit durch die Relevanz men gleicher Struktureigenschaften in verschie- des ökonomischen Faktors und von daher setdenen Ländern zu erklären. Scheuch/Klinge- ze ein Abbau der Demokratieunzufriedenheit mann haben mit ihrer Synthese aus Struktur- nicht nur eine Aufwertung demokratischer Inund Handlungsanalyse eine Forschungsagen- stitutionen, sondern auch eine materielle Ver- 62 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 sozialer Gruppen. Relative Deprivation meint eine von Individuen oder sozialen Gruppen empfundene Benachteiligung, die sich aus der tatsächlichen gesellschaftlichen Situation ergeben kann, aber nicht muß. Vielmehr kann sich diese Wahrnehmung aus der Diskrepanz zwischen subjektiven Erwartungen und realen Erfahrungen oder auch zwischen gesellschaftDas Unzufriedenheitstheorem beschreibt einen lichen Werten, Normen und deren unvollstänzwar zentralen Aspekt der gegenwärtigen Des- diger Realisierung bzw. aus dem Vergleich mit integrationsprozesse, vermag jedoch nicht, sie anderen Individuen und Gruppen speisen. Eine in ihrer Totalität und Relevanz für die Entste- solche Herangehensweise leugnet nicht die hung rechtsextremer Denk- und Handlungs- Relevanz der Frage nach der Verfassungskonmuster zu erfassen. Auch die gängige These, formität, aber sie wird nicht zur Grundkategodaß speziell Modernisierungsopfer bzw. -Ver- rie der Analyse gemacht, vielmehr wird der lierer für rechtsextreme Orientierungen emp- Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen fänglich sind, greift zu kurz, da sie reale Verlu- Desintegrations- und Deprivationsprozessen, ste im Gefolge von Modernisierungsprozessen demokratischen Verfahrensformen und den Beunterstellt. Außer acht gelassen wird dabei, daß dingungen ihrer Unterminierung ins Zentrum empfundene Benachteiligungsgefühle eine zu- der analytischen Bemühungen gestellt. reichende Bedingung für die Hinwendung zu rechtsextremistischen Orientierungen oder M i - Unsere theoretische Verortung scheint auf den lieus darstellen können. Analog darf gesell- ersten Blick dem Desintegrationstheorem, das schaftliche Desintegration nicht mit Ausschluß Wilhelm Heitmeyer favorisiert, zu ähneln. Im oder Ausgrenzung aus sämtlichen sozialen Be- Unterschied zu ihm (1994, S. 45) heben wir ziehungsgefügen gleichgesetzt werden. Die jedoch nicht auf Erfahrungen und AntizipatioDesintegration muß sich also nicht in sozialer nen „sozialer, beruflicher und politischer DesAusgrenzung äußern, wie sie etwa in Folge integrationsprozesse" ab, sondern stellen Devon Arbeitslosigkeit entstehen kann. Auch muß privationsprozesse im Kontext von Anomie ins dem materiellen Faktor nicht unbedingt eine Zentrum. Für das Deprivationskonzept, das eientscheidende Bedeutung zukommen. Als Ka- nen umfassenderen Erklärungsansatz bietet, talysator kann die Abwendung von parlamen- sprechen mehrere Gründe: Objektive soziale, tarisch-demokratischen Spielregeln bzw. deren aber auch imaginierte Probleme können über Ablehnung und darüber vermittelt die Hinwen- subjektive Deprivationsgefühle und Politikverdung zu demokratieskeptischen bzw. antide- drossenheit zu einer politischen Protesthaltung mokratischen Einstellungen und Verfahren wir- und rechtsextremen Denkmustem führen. Das ken. Gefühl der Benachteiligung, die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und die persönliche ZuMit den Begriffen der Unzufriedenheit und kunft sind Glieder einer Kette, die verbunden Desintegration eng verknüpft sind die Theore- mit einer politischen Protesthaltung notwendime Deprivation und Anomie. Soziale Depriva- ge, aber nicht hinreichende Bedingungen für tion bezeichnet eine Mangelerscheinung (rela- rechtsextreme Einstellungen und Stimmabgative Deprivation) oder Unterversorgung (abso- be sind. Weitere Indikatoren weisen in diesellute Deprivation) bestimmter Individuen oder be Richtung: Wenn jemand das Gesellschafts- besserung voraus. Selbst wenn die materielle Unzufriedenheitsquelle, Dürkheims ökonomische Anomie, beseitigt werden könne, bliebe jedoch der immaterielle Faktor, die Unzufriedenheit aufgrund uneingelöster Bildungs-, Aufstiegs- und Emanzipationsversprechen (Hennig 1994, 377). FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4. 1994 system der Bundesrepublik eher als ungerecht empfindet, sich benachteiligt fühlt, für die Zukunft eher eine Verschlechterung der eigenen Situation erwartet, die eigene Lage im Vergleich zu anderen als besonders schlecht einschätzt, dann erhöht sich die Chance, daß er seine Stimme rechtsextremen Parteien gibt (Falter 1994). So plausibel der Ansatz Heitmeyers am zentralen gesellschaftlichen Problem moderner Gesellschaften, dem Integrationsproblem ist, so kurz gegriffen ist die Einschränkung auf materielle Faktoren und die Ausblendung der Wahmehmungs- und Vergleichsdimension. Die subjektive Verarbeitung von realen Desintegrationsprozessen kann zum Phänomen der sozialen Deprivation führen und reale Desintegrationsprozesse in sich aufheben, aber ebensogut auf imaginären Vorstellungen beruhen. Eine Komponente von Deprivation ist der Vergleich mit anderen sozialen oder ethnischen Gruppierungen, dessen Resultat sich zu einem Bedrohungssyndrom auswachsen kann. Diese Aspekte sind aus integrationstheoretischer Perspektive nicht zu erfassen. Der Deprivationsansatz ist also komplexer als Heitmeyers Desintegrationsansatz, denn er vermag beispielsweise Statusinkonsistenzen und -Unsicherheiten, also potentielle Gefährdungen zu erfassen, die (noch) keine reale Desintegration zur Grundlage haben. Der Begriff der Anomie erlaubt eine Verknüpfung der gesellschaftlichen mit der individuellen (Analyse-)Ebene. Gesellschaftliche Kohärenz und Integration, auch und gerade im Sinne der Akzeptanz eines demokratisch-parlamentarischen Gesellschaftssystems, müssen jeweils neu hergestellt werden, da sie ständig von anomischen Prozessen bedroht sind. Insbesondere vom sozio-ökonomischen und ideologisch-kulturellen Strukturwandel, der eine Erosion gesellschaftlicher Regulierungsmuster, geltender Alltagsnormen und moralischer Wertgefüge bewirken kann, geht eine ständige Ge- 63[ fährdung der sozialen Dimension und damit des gesellschaftlichen Zusammenhalts moderner, hochentwickelter Gesellschaften aus. Beschleunigter Wandel gesellschaftlicher Lebensbedingungen kann dazu führen, daß Menschen aus traditionell geronnenen Lebenszusammenhängen und biographischen Entwicklungen herausgerissen, Gewohnheiten und gewachsene Strukturen in Frage gestellt werden und Risiken entstehen, die die Individuen alleine nicht zu bewältigen in der Lage sind. Deprivationserfahrungen finden in einem umfassenden Kontext statt: Der gegenwärtig zu beobachtende Individualisierungsprozeß bedeutet eine fortschreitende Auflösung kollektiver Lebensformen, sozialer Milieus und eine Pluralisierung der Lebensstile und Werte (Beck 1986). Die Erosion traditioneller Lebensformen, Milieus und Werte ist jedoch nicht einfach als Zerfallsprozeß oder Resultat einseitig wirkender Zentrifugalkräfte zu charakterisieren, denn an die Stelle der alten treten häufig neue Integrationsformen (vgl. Bourdieu 1993, Vester u.a. 1993). Die berechtigte Abkehr von veralteten Gemeinschaftsformen darf die gleichzeitig ablaufenden sowie notwendigen neuen Vergesellschaftungsprozesse nicht aus dem Sichtfeld geraten lassen. Es ist zu berücksichtigen, daß sich auch in der rechtsextremistischen Szene neue Milieus und Gemeinschaftsformen herausbilden, die es näher zu untersuchen gilt. Im übergreifenden Kontext moderner Desintegrationsphänomene, anomischer Prozesse und daraus resultierender relativer Deprivation ist die Problematik des Rechtsextremismus und auch die Suche nach verbesserten gesellschaftlichen Integrationswegen und Auswegen aus der Deprivationsfalle anzusiedeln. Wolfgang Kowalsky und Wolfgang Schroeder sind in der Grundsatzabteilung der IG Metall beschäftigt. |64 FORSCHUNGS JOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Anmerkung ' In jüngster Zeit hat die Begriffsbildung Rechtspopulismus als Konkurrenzkategorie zu Rechtsextremismus an Akzeptanz gewonnen (vgl. Laclau 1981, Dubiel 1986, Glotz 1989). Der Begriff Populismus bezeichnet jedoch keine neue politische Strömung, sondern eine spezifische Form der politischen Beziehung zwischen Politikern, Parteien und Volk (Dubiel 1986, 7). In diesem Begriff kommt eine Akzentverlagerang zum Ausdruck, die darin besteht, daß das Populistische, also der Appell an das Volk, in den Vordergrand gerückt, damit aber auf die Unterscheidung zwischen Recht- und Linkspopulismus verzichtet wird. Literatur Backes, Uwe/Eckhard Jesse 1993: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, FrankfurtBourdieu, Pierre 1993: La misere du monde, Paris Bracher, Karl Dietrich 1987: Totalitäre Erfahrung, München Butterwegge, Christoph/Siegfried Jäger (Hrsg.) 1992: Rassimus in Europa, Köln (vgl. Rezension in: FAZ vom 4.5.1993, S. 9) Dubiel, Helmut (Hrsg.) 1986: Populismus und Aufklärung, Frankfurt Falter, Jürgen W. 1994: Wer wählt rechts? München 1994 Glotz, Peter 1989: Die deutsche Rechte. Eine Streitschrift, Stuttgart Greß, Franz/Jaschke, Hans-Gerd/Schönekäs, Klaus 1990: Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa, Opladen Heitmeyer, Wilhelm 1994: Das DesintegrationsTheorem, in: ders. (Hrsg.): Das Gewalt-Dilemma einer gelähmten Gesellschaft, Frankfurt 29-69 Hennig, Eike 1994: Politische Unzufriedenheit ein Resonanzboden für Rechtsextremismus?, in: Kowalsky/Schroeder 339-380 1994 Jänicke, Martin 1971: Totalitäre Herrschaft, Westdeutscher Verlag Kirfel, Martina/Walter Oswalt (Hrsg.) 1989: Die Rückkehr der Führer. Modernisierter Rechtsradikalismus in Westeuropa, Wien/Zürich Kowalsky, Wolfgang/Schroeder, Wolfgang (Hrsg.) 1994: Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen Kreckel, Reinhard 1992: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt/New York Kühnl, Reinhard 1990: Gefahr von rechts. Vergangenheit und Gegenwart der extremen Rechten, Heilbronn Laclau, Ernesto 1981: Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus, Faschismus, Populismus, Berlin Leggewie, Claus 1994: Rechtsextremismus - eine soziale Bewegung?, in: Kowalsky/Schroeder 325338 Münkler, Herfried 1993: Eine Wissenschaft wie jede andere?, in: FAZ vom 8.9.1993 Narr, Wolf-Dieter 1980: Radikalismus, Extremismus, in: Greiffenhagen, Martin (Hrsg.), Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit, München/Wien 366-375 Narr, Wolf-Dieter 1993: Vom Extremismus der Mitte, in: PVS 1/93, 106-113 Nolte, Ernst 1973: Kapitalismus - Marxismus Faschismus, in: Merkur, 27. Jg., Nr. 2, S. 123f Pfahl-Traughber, Armin 1993: Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der Wiedervereinigung, Bonn Scheuch, Erwin K./Hans-Dieter Klingemann 1967: Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Tübingen, 11-29 Stöss, Richard 1989: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung - Ursachen - Gegenmaßnahmen, Opladen Veen, Hans-Joachim, Plädoyer für mehr begriffliche Klarheit. „Rechtsextrem" oder „rechtsradikal"?, in: Das Parlament vom 15. April 1994, S. 1 Vester, Michael/Peter von Oertzen/Heiko Geiling/ Thomas Hermann/Dagmar Müller 1993: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Köln FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Frank Nullmeier Hannah Arendt: Bewegung und Dauer Es scheint heute müßig, Hannah Arendt noch vorstellen zu wollen. Sie allerdings als 'Bewegungstheoretikerin' zu präsentieren, könnte als Vereinnahmungsstrategie einer modisch gewordenen Theoretikerin zugunsten eines politologischen Teilgebietes gewertet werden. Und erst recht müßte es befremden, wenn diese Referenz auf Arendts Schriften unter dem Terminus 'soziale Bewegungen' erfolgte. Steht doch ihr Werk im Zeichen einer strikten Trennung des Sozialen und Ökonomischen vom Politischen. So spricht Hannah Arendt auch nicht von sozialen, sondern von politischen Bewegungen, wenn sie nicht Kategorien wie revolutionäre, totalitäre, nationale oder Volksbewegungen bzw. konkrete Bewegungsnamen benutzt. Die Arbeiterbewegung als die soziale Bewegung spielt zudem eine vollkommen untergeordnete Rolle in Arendts Schriften (vgl. VA 210ff). Gleichwohl ist ihr Buch 'Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft' (1951) über weite Strecken eine historische Entwicklungsanalyse vorwiegend von rechten Bewegungen, von antisemitischen und imperialistischen, von alldeutschen und anderen Panbewegungen, von faschistischer und Nazibewegung, bevor es im dritten und letzten Teil zu einer Charakterisierung totalitärer Bewegungen und Regime unter Einschluß des Stalinismus gelangt. Die Konzeption von 'Elemente und Ursprünge' als Totalitarismusstudie ist eine recht späte Entwicklung (Canovan 18f). In seiner oft bemerkten Unausgewogenheit verbleibt das Buch im Übergangsfeld von Imperialismus- zu Totalitarismustheorie. Noch 1945 galten Arendt „Antisemitismus, Rassismus, Imperialismus" als die „Erzübel unserer Zeit" (IPA 107), so daß ihre Antworten zunächst als Reaktionen auf diese Phänomene verstanden werden müssen. Die Auseinandersetzungen über ihr Buch verliefen hierzulande aber gänzlich im Rahmen eines Für und Wider zur Totalitarismustheorie und d.h. zur Parallelisierung von Stalinismus und Nazismus - unter Vernachlässigung der umfangreichen Bewegungsanalysen. Die Kritik der Totalitarismustheorie wie auch die erstarrte politische Realität in den 'totalitären' Staaten baute das wissenschaftliche Interesse am Gegenstandsbereich Bewegung und Bewegungsregime zunehmend ab. Dabei ist das Verschwinden einer ausdifferenzierten Bewegungsforschung in den 60er und 70er Jahren eine der weniger beachteten Nebenwirkungen der Aufgabe totalitarismustheoretischer Ansätze im Mainstream bundesrepublikanischer Politikwissenschaft. Aber es lassen sich auch interne Gründe für die bisherige Vernachlässigung der Arendtschen Bewegungsanalysen finden: ihre Einbindung in voraussetzungsreiche historisch-soziologische wie politisch-philosophische Konstruktionen, die Ausrichtung des Bewegungsbegriffs auf eine selbstzweckhafte Bewegung um der Bewegung willen sowie eine 1 |ö6 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, normative Präferenz für bewegungslose Dauerhaftigkeit. Dies gilt es im weiteren zu belegen. Was dabei zurücktreten muß, sind Hannah Arendts Lebensgeschichte (1906-1975) als erlebte Bewegungsgeschichte (vgl. YoungBruehl 1986), ihre Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Identität, und ihr Versuch, mittels Biographie ('RahelVarnhagen') sowohl die Aussichtslosigkeit eines sozialen Kampfes um gesellschaftliche Anerkennung per Assimilation als auch die Lächerlichkeit reiner Innerlichkeit aufzuzeigen. Unter scharfer Kritik der bisherigen jüdischen Realitäts- und Politiklosigkeit (ZZ 21), der „oft würdelosen apologetischen Haltung des offiziellen Judentums" (BB 42), nähert sie sich unter dem, aber auch gegen den Einfluß der Philosophie Heideggers und Jaspers dem kollektiven „politischen Kampf um gleiche Rechte" (RV 18) im Rahmen der zionistischen Bewegung. Allerdings nicht, ohne in ihrem zweiten, dem amerikanischen Exil - so in ihren Beiträgen für den 'Aufbau' zwischen 1941 und 1945 - die zionistische als bloß nationale und unpolitische Bewegung anzuklagen, die zudem auf „kritikloser Übernahme des Nationalismus in seiner deutschen Version" (Krise 47; vgl. Heuer 1992, 148ff.) beruhe. Als Alternative propagiert sie die politische Organisation des jüdischen Volkes in einer revolutionären Volksbewegung bei radikaler Demokratisierung des Zionismus (Krise 191f.) und opponiert schließlich sogar gegen die Gründung eines jüdischen Staats wegen Mißachtung aller Fragen eines friedlichen Zusammenlebens mit den Palästinensern (Krise 98). Fehlen muß auch die Geschichte ihrer späteren Bewegungserfahrungen, wenn das Mithandeln zugunsten sympathisierender Beobachtung und publizistischer Begleitung zurücktritt wie bei den amerikanischen Bürgerrechts-, Anti-Vietnam- und Studentenbewegungen. In ihren Essays zur Ungarischen Revolution von 1956 und zur amerikanischen 1994 Studentenbewegung gelingt zudem nicht eine Wiederholung jener historischen Dimensionierung und komplexen Interpretation, die die Bewegungsanalysen in der Totalitarismusstudie ausgezeichnet hatten. So sind wir vorrangig auf diese verwiesen. Dort besticht zunächst die Güte und Vielzahl der Beobachtungen auf traditionellen Feldern politisch-soziologischer Analyse: Arendt untersucht die 'opportunity structure' totalitärer Bewegungen - Zweiparteiensysteme gelten als Hindernis (EU 401 ff.), Vielparteiensysteme als Beschleunigungsfaktor (ÜR 348) - , bestimmt die organisatorische Grundstruktur totalitärer Bewegungen in Anlehnung an Simmel als Geheimgesellschaft (EU 592ff.), widmet sich ausführlich der Rolle von Propaganda, Indoktrination und Ideologie und kennzeichnet schließlich im später geschriebenen Abschlußkapitel Ideologie und Terror als zentrale Merkmale der neuen Staatsform Totalitarismus. 2 Ihre Argumentation ist jedoch nicht allein und nicht vorrangig vom Instrumentarium vergleichender politischer Soziologie getragen. Sie ist eingefügt in ein 2-Phasen-Modell europäischer Entwicklung vom 19. zum 20. Jahrhunderts (vom Nationalstaat zum Imperialismus/ Totalitarismus), dem als Drittes das Ideal einerfreiheitlichen Republik/Föderation als Entwicklungsalternative beigefügt wird. Sozialstrukturell entspricht dem die Gegenüberstellung von Klassengesellschaft (im Nationalstaat des frühen 19.Jhs.) und Massengesellschaft. Die soziale Basis einer Republik bildet - Arendt fehlt hier ein eigener Begriff - eine Gesellschaft entfalteter Personalität. Und auf der Ebene typischer politischer Organisationen sind Parteien dem Nationalstaat, Bewegungen dem Imperialismus und Totalitarismus, Räte der Republik zugeordnet. Diese drei Phasen bzw. Typen politischer Gestaltung werden ihrerseits strukturiert von der aristotelischen Gegenüber3 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Stellung von Selbstzweckhaftigkeit und äußerer Zweckbestimmung. Imperialismus, Totalitarismus und Massengesellschaft Nationalstaat, Klassengesellschaft und Interessenparteien Der Niedergang von Nationalstaat und Klassengesellschaft wie der Aufstieg der Massengesellschaft bilden die übergreifenden RahmenArendts Analyse setzt ein mit dem Aufstieg bedingungen imperialistischer, völkischer und und Niedergang des liberalen Nationalstaates, totalitärer Bewegungen sowie die 'Ursprünge' der gänzlich in der Logik einer Indienstnahme totalitärer Herrschaft als neuer Staatsform (EU des Politischen für soziale und ökonomische 14). Dabei ist der Totalitarismus eher die radiInteressen interpretiert wird. Getragen von ei- kalisierte Fortsetzung, das letzte Stadium des ner ökonomisch gespaltenen Klassengesell- Imperialismus. Im Imperialismus wird bereits schaft, die sich vorrangig in Interessenparteien die Begrenzung politischen Handelns durch organisiert, steht Politik gänzlich im Dienste äußere Zwecksetzungen, durch ökonomische der Interessenten, so daß nicht sie, sondern die und nationale Interessen durchbrochen. SelbstKlassengesellschaft das einzige zugleich sozi- zweckhaftigkeit zeigt sich zunächst in seinem al wie politisch strukturierende Moment dar- Grundprinzip der Expansion um der Expansistellt (vgl. E U 505). Über die Bildung von on willen - weit über die nationalen Grenzen klassenspezifischen Interessenlagen und Klas- hinaus (EU 221; vgl. Canovan 1992, 29). Was senbewußtsein werden bürgerliche Repräsen- im Imperialismus als unbegrenzte Expansion tanzformen entfaltet, die letztlich „zu einer be- bereits vorgezeichnet ist (EU 221) - ein selbstfriedigenden Interessenvertretung aller Klas- perpetuierendes Moment ohne jede äußere Binsen" führen, was aber auch den „eigentlich un- dung - findet seine ideologische Formung in politischen Charakter der nationalstaatlichen den völkischen Pan-Bewegungen mittel- und Regierungsform" (EU 508) bedingt. Obwohl osteuropäischer Prägung seit den 80er Jahren in nationalstaatlichen Demokratien das Volk des 19. Jahrhunderts. Diese Pan-Bewegungen zugunsten des Parlaments weitgehend abge- (z.B. Alldeutscher Verband) gelten Arendt gedankt hat, kann sich auf der Basis äußerer rade nicht als nationale, sondern als betont anZweckbindung der Politik an Wohlfahrt, Klas- tinationale, auf Weltherrschaft gerichtete insen- und nationales Interesse eine stabile poli- ternationale Bewegungen (IPA 96, 100; E U tische Struktur bilden. 261). Bildete der anwachsende Kapitalüberfluß noch das ökonomische Motiv einer Überwindung nationaler Schranken, so werden die Bewegungen wie die liberale, konservative, ökonomischen Zweckbindungen durch den völdemokratische oder Arbeiterbewegung treten kischen Nationalismus zerstört. Getragen von in dieser historischen Skizze nicht als eigeneiner Schicht überflüssiger Arbeitskräfte, dem ständige Akteure auf, da sie als bloßes Umfeld sich aus allen Klassen speisenden 'Mob', tritt der Parteien gehandelt werden. Die Geschichan deren Stelle eine ideologisch-weltanschaute der Bewegungen beginnt für Arendt erst mit liche Ausrichtung mit einem radikalisierten Anjenen antisemitischen und völkischen Pantisemitismus und dem Verzicht auf jede ErfahGruppierungen im letzten Drittel des 19. Jhs., rungsbasis (EU 387). die sich bewußt nicht Partei, sondern Bewegung nannten. Bewegungen gelten Arendt - und hier werden ihr die völkischen zum Prototyp aller Bewe4 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, gungen - grundlegend „als Verkörperungen bestimmter Ideologien" (EU 399); sie ersetzen Interessen, Zweck-Mittel-Relationen und Meinungen durch Weltanschauungen mit Absolutheitsansprüchen. Der Ablösungsprozeß von Interessenbindungen beschleunigt sich im Gefolge des Ersten Weltkrieges, später von Inflation und Arbeitslosigkeit flankiert, - ein Prozeß, den Arendt als Übergang von der Klassen- zur Massengesellschaft deutet. Mit der Klassengesellschaft verschwindet das interessengebundene Parteiensystem, an dessen Stelle treten die radikalisierten Versionen der Panbewegungen: die totalitären Massenbewegungen. 'Historische Notwendigkeiten', seien es biologische oder Geschichtsgesetze, bestimmen nun das Handeln, ob Rasse oder Klasse. Die Verantwortung wird vom handelnden Menschen auf „geschichtliche Bedingungen und dialektische Bewegungen" (sie!) geschoben, auf eine „mysteriöse Notwendigkeit" (IPA 1l). Neben der Verachtung von Tatsachen, Erfahrung und gesundem Menschenverstand ist diese Kausalitätshörigkeit für Arendt das zentrale Übel. Die Überantwortung an Gesetzmäßigkeiten gilt ihr als Konsequenz der eigenartigen „Desinteressiertheit am eigenen Wohlergehen" (EU 497) bei breiten Schichten der Massengesellschaft. 5 1994 keit, „um nicht zu sagen Verfressenheit", Urteilsunfähigkeit, Egozentrismus und Weltentfremdung (ZVZ 278) zum Syndrom gänzlicher Bindungslosigkeit. Die historische Kategorie Massengesellschaft verliert sich dabei an einen negativ besetzten Begriff der Masse. Mit der weitergehenden Behauptung einer potentiell universellen Existenz von Masse als des in normalen Zeiten politisch neutralen, nicht organisierten und repräsentierten, sich der Stimme enthaltenden Teils der Bevölkerung wird ein politischer Begriff der Masse eingeführt, wonach Masse alle politisch Uninteressierten, Gleichgültigen und Apathischen umfaßt. Wie die Partei die klassische Organisationsform der Interessenten bildet, so ist die Massenbewegung die spezifische und einzig adäquate Organisationsform dieser apolitischen Massen (EU 499). An einen derart gefaßten Begriff der Masse kann ein exklusives, aristokratisches und elitäres Konzept einer Republik der Räte, in der nur diejenigen sich an der Politik beteiligen, die wirklich an der Welt interessiert sind (ÜR 360, M G 133), hervorragend anknüpfen. Bewegung um der Bewegung willen Erst in den totalitären Bewegungen und Regimen entfaltet sich die innere Logik von Bewegungen als Bewegung um der Bewegung wilWiewohl anfangs Resultat einer politisch-öko- len. Bewegung wird endgültig zum Selbstnomischen Imperialismusanalyse, die vieles zweck. Deren Aufrechterhaltung und FortsetRosa Luxemburg verdankt, verliert das Kon- zung verdrängt alle Orientierung an Kategorizept 'Massengesellschaft' durch die Integrati- en menschlicher Wohlfahrt, stattdessen herrscht on einer Vielzahl massenpsychologischer Cha- die „vollkommene Verachtung alles greifbaren rakterisierungen an soziologischer Differenzie- Nutzens" (EU 554). Erst da, wo jede Zweckrungsschärfe. Im Bild der Masse als ungeheu- bindung, jeder Sinn (IPA 90), verweigert wird, rer Menge der „Millionen von Menschen" (EU ist Totalitäres gegeben. In dieser Ablösung von 499), „überflüssiger", „entbehrlicher" Men- aller äußeren Zweckbindung entfaltet die totaschen (EU 502) , verbinden sich die Attribute litäre Bewegung den Telos jeder Bewegung. von Individualisierung und Atomisierung, von Sie allein „erkennt wirklich keine Autorität neKontaktlosigkeit und Entwurzeltsein (EU ben und über sich" (EU 414), für sie zählt „nur 513ff.), Verlassenheit, großer Anpassungsfähig- noch die dauernd in Bewegung gehaltene Bekeit, Erregbarkeit, Haltlosigkeit, Konsumfähig- wegung selbst" (EU 401); sie ist bewegungs6 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 69 süchtig (EU 495). Die innere Entfaltung des Bewegungstelos erscheint bei Arendt als totalitäre Hölle, als Vernichtung jeder Stabilität und jeder Freiheit. Bewegungen kommen als totalitäre zu sich selbst, entfalten sich gemäß einer negativen inneren Teleologie. Weltbeherrschung wird in dieser Logik ein „notwendiges Endziel" (EU 558), weil Bewegungen allein darin auf eine natürliche Grenze stoßen können. tes und damit den Übergang zu autoritären Regimen, wie Arendt es bereits 1956 für die Sowjetunion („Nationalbolschewismus", vgl. Ung 19) für möglich hielt. Totalitäre Regime sind allein solche, die dem 'natürlichen' Bewegungszyklus erfolgreich entkommen: Die Dialektik von Bewegung und Institutionalisierung wird zugunsten endloser Bewegung stillgestellt. Totalitäre Bewegungen sind permanente Bewegungen, wie Arendt in direktem Rückgriff auf die Trotzkische Figur der 'perDer gelungene Übergang zu einem totalitären manenten Revolution', verstanden nur als Regime ist entsprechend dadurch definiert, daß „Schlagwort" (EU 612), formuliert. Instabilidie Bewegungsdynamik auch unter den neuen tät ist mithin eine Grundbedingung totalitärer institutionellen Möglichkeiten eines Regimes Regime ; notwendige Ressourcen sind enorme erhalten bleibt (vgl. E U 496, 610): Weder darf Massen von Menschen als bloße Objekte der die totalitäre Bewegung in ihrer Organisati- Vernichtung (EU 501). „Alles ist möglich" (EU onsstruktur oder ihrem ideologischen Gehalt 607) im Totalitarismus, weil dieser alles mögverändert werden noch eine Transformation der lich machen muß, um fortexistieren zu köninternationalen Bewegung in eine national be- nen. So ist die Produktion von Instabilität mitgrenzte Partei stattfinden. Jede politische Aus- tels Ideologie und Terror zentrale Aufgabe des richtung auf nationale Interessen begründet die Regimes. Totalitäre Regime sind für Arendt Erstarrung des totalitären Bewegungsmomen- nur deshalb und solange totalitär, wie sie die 7 70 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Bewegungsdynamik verlängern, ja noch beschleunigen, indem sie die sozialen, ideologischen und politischen Voraussetzungen der Bewegung selber produzieren. Verwundern muß bei dieser Interpretation des Totalitären entlang der Formel einer Bewegung um der Bewegung willen, warum sie nicht in einer Zusammenbruchsthese mündet, fällt es doch schwer, an die Möglichkeit dauerhafter Zerstörung von Dauerhaftigkeit zu glauben. Republik, Räte und Person Die Figur des Selbstzweckes regiert auch den dritten Typus politischer Gestaltung: die als politische Hoffnung und universelle menschliche Möglichkeit eingeführte Alternative der freien Republik. Gründend in einem System der Räte, die sich weiter vernetzen zu Föderationen, bietet sie das Bild einer sozial interesselosen, allein an Freiheit, Gleichheit und Auszeichnung interessierten politischen Gemeinschaft. Statt Parteien oder Bewegungen sind hier Räte bzw. die Jeffersonschen 'Elementarrepubliken' die konstitutive politische Organisationsform. Die republikanische Alternative zu Imperien und Nationalstaaten stellt ein Geflecht von Föderationen (MfZ 99, ÜR 218f, Krise 55) dar, nicht der Weltstaat. Zwang und Gewalt sind ausgeschlossen, ebenso Wahrheit und Erkenntnis; Politik vollzieht sich stattdessen im Modus des Überredens und Überzeugens, des Urteilens und Entscheidens (ZVZ 300). Der Endzweck der Republik ist die Republik, bzw. deren Sicherheit und Fortbestand: „Wenn der Endzweck der Revolution die constitutio libertatis ist, die Errichtung der Freiheit bzw. die Konstituierung eines öffentlichen Raumes, in dem sie in Erscheinung treten kann, dann sind diese Elementarrepubliken oder Räte, in deren Rahmen jedermann von seiner Freiheit Gebrauch machen kann und also in einem positiven Sinne frei ist, im Grunde der große Endzweck der Republik selbst; und wenn die 1994 Stufenfolge der Machtbefugnisse in einem solchen System auch in der Machtvollkommenheit der Zentralregierung schließlich gipfeln muß, so ist doch andererseits diese Machtvollkommenheit jedenfalls für innerpolitische Zwecke nur da, um die Sicherheit der Elementarrepubliken zu garantieren, in welchen das Volk eigentlich frei ist und frei lebt." (ÜR 326) Dieser strikt gegen Interessen und Parteien gerichtete Republikanismus beruft sich einerseits auf eine stark entökonomisierte Lesart der Rätebewegungen, mit der Unterscheidung von 'politischen' revolutionären Räten und 'ökonomischen' Arbeiterräten (Ung 40ff.) - analog zur Abwertung der Gewerkschaftsbewegung gegenüber einer als politisch und eben nicht Sozialrevolutionär gewerteten Arbeiterbewegung (VA 211). Andererseits ist Arendsts Republikanismus eine theoretische Kompilierung ihrer Kritik des zionistischen Nationalismus und ihrer politischen Bestrebungen in den 40er Jahren, für einen binationalen bzw. föderativen Staat in Palästina (IPA 62ff, 74; llOff.) einzutreten, sowie ihrer Nachkriegshoffnungen auf ein „föderatives Europa" (BD 65), geschaffen von einer „europäischen Bewegung" - mit Wurzeln in den antifaschistischen Widerstandsbewegungen (IPA 106; Z Z 31). So setzt Arendt politisch zwar auf Bewegungen, die die Republik zu errichten suchen, doch gerade diese erfahren recht geringe analytische Aufmerksamkeit. Arendt ist weniger an den Ursachen und Hindernissen republikanischer Transformationsprozesse interessiert als an der (Wieder-)Errichtung eines republikanischen Ideals in Konfrontation mit Liberalismus und Totalitarismus. Die beiden Antipoden auf der Skala der Staatsformen - Totalitarismus und Republik - sind Gebilde, deren Zweck in ihnen selbst liegt, während die liberale national- und parteienstaatliche Demokratie äußeren Zwecken, den FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 vorpolitischen Interessen bzw. der Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt folgt. Was selbstzweckhaft ist und sich im Vollzug erschöpft, zeugt jedoch von „Größe" (VA 201). Gemessen an diesem für Arendt maßgeblichen Kriterium sind Totalitarismus wie Republik dem Nationalstaat gleichermaßen überlegen Was zwischen ihnen zu differenzieren vermag, ist kein primär moralisches Moment; es ist vielmehr das Kriterium der Dauer. Der verzehrenden, alles auflösenden und jede Dauerhaftigkeit ausschließenden totalitären Bewegung steht auf Seiten der Republik ein Höchstmaß an menschenmöglicher Stabilität gegenüber. Die beiden inneren Teleologien scheiden sich am Verhältnis zur Zeitlichkeit. Für eine totalitäre Bewegung gibt es „nur eine Sache, die zählt, und das ist, daß sie beständig in Bewegung bleibt." (EU 413) Die freie Republik bildet dagegen den Gegenpol zur Hybris dieses 'Immer weiter' totalitärer Bewegungen; ihre Selbstbezüglichkeit ist eine der inneren Stabilisierung, der Herstellung eines dauerhaften, in sich ruhenden Zustandes, eines „perpetual State" (ÜR 295), einer modernen Version der 'Ewigen Stadt'. Das Ideal der Republik ist eines der Bewegungslosigkeit, eines in seiner Ganzheit undynamischen Raums gesicherter öffentlicher Kommunikation, in dem sich allein die Relationen von Ruhm, Ehre und öffentlicher Auszeichnung zwischen den Bürgerinnen verschieben. Erst in dem unbewegten politischen Rahmen des Rätesystems sieht Arendt die Möglichkeit gegeben, ein 'rein persönliches Prinzip' zur Geltung zu bringen: das politische Primat von persönlicher Überzeugungskraft, Urteilskraft, Qualifikation, physischem Mut, Einzigartigkeit und Talent (Ung. 44f, ÜR 353ff., VA 169ff). Gerade eine solch vollendete Politik des Personhaften - ermöglicht durch die Institutionen der Räterepublik - dürfte sich jedoch jeder kollektiven Bewegung ob deren egalisierender und entpersonalisierender 8 Wirkung versagen. Politische Bewegungen sind in der Republik nicht mehr vorgesehen. Anfangen und Gründen Wie verträgt sich aber diese Präferenz für Dauer und kollektive Bewegungslosigkeit mit Arendts Emphase der Revolution, des Anfangs und der Spontaneität? Trotz aller Betonung der Spontaneität als „Fähigkeit, zu tun, was auch ungetan bleiben konnte" (Woll. 189), bleibt ihr der - durchaus von Bewegungen verkörperte - Anfang ein „Wunder" (VA 243; Pol 32ff), ein „Rätsel" (ÜR 263). Vom Anfang lassen sich die Spuren des Willkürlichen nicht tilgen, die reine Spontaneität erscheint als „Abgrund" (Woll. 206). Die Bewegungsnähe einer Theorie der Spontaneität mitsamt ihrer Sympathie für Rosa Luxemburgs „spontane Revolution" (Ung. 13) ist letztlich nur eine scheinbare. Denn das Gewicht der Argumentation verlagert sich unmittelbar 'nach' dem Anfang bereits auf die 'Kunst des Gründens', auf die „Überwindung der mit jedem Anfang verbundenen Ratlosigkeit" (Woll. 200). An Revolutionen interessiert Arendt nicht die Dynamik der Bewegung, sondem das Gründen als eine sehr spezielle Form des „Einen-neuen-Anfang-Setzens" (ÜR 256). Revolutionen sind weniger Akte der Befreiung als vielmehr Akte der Gründung von Freiheit (ÜR 184), daher keineswegs „Staats-, regierungs- und ordnungsfeindlich" (ÜR 335). Mit der Gründung gelangt die Bewegung jedoch an ihr Ende, sie begrenzt sich selbst, bindet sich und bändigt ihre Dynamik. Im 'Gründen' soll es daher gelingen, das Neue und das Dauerhafte zu versöhnen. „Die hohe Lust..., einen neuen Anfang zu setzen", geht im Gründungsakt parallel mit der „äußersten Achtsamkeit auf die Stabilität und Dauerhaftigkeit des neuen Gebildes" (ÜR 287). Aufbmch und Bewegung, Stabilisierung und Institutionalisierung werden hier derart miteinander verbunden, daß bei der Gründung der Republik die Bewegung- 72 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Institution-Dialektik, oder auch nur Zyklizität, gar nicht zum Tragen kommen. Eine solche Bewegung ist schon Institutionalisieren, ist bereits Transformation der Bewegung in Institutionen der Freiheit. Die Entstehung von Bewegungen, ihr Aufschwung und ihre Widerständigkeit gegen eine schnelle Konstitutionalisierung des politischen Lebens bleiben indes unbegriffen. Die Willkür jeder Gründung und die Unsicherheit jedes wechselseitigen Versprechens, eine politische Gemeinschaft zu bilden, werden dadurch gebrochen, daß der Anfang als Prinzip nachwirkt: ,XJer Anfang ist das Prinzip jedes Handelns, als Prinzip hält er sich durch, auch wenn er selbst längst vergangen ist, beseelt von nun an alles, was auf ihn folgt, bleibt sichtbar in der Welt und verschwindet aus ihr erst wieder, wenn die oft Jahrhunderte währende Geschichte, die aus ihm entsprang, an ihr Ende gelangt ist." (ÜR 274) Der Gründungsakt selbst ist die einzige Legitimationsbasis ohne jeden Bezug auf Absolutes (Wahrheit, Göttlichkeit etc.), auf die sich das Gemeinwesen weiterhin stützen und Dauer gewinnen kann. Die Autorität des Gründungaktes (ÜR 2 3 l f f , 253) allein, nur gestützt durch Institutionen, die diesen Ursprung sichern, kann der Republik Dauer verbürgen. Aus der Erinnerung an ein Anfangen erwächst Stabilität, und in dieser Erinnerungsfunktion haben Bewegungen ihre Bedeutung. Hannah Arendt ist demnach sicherlich keine Bewegungsdenkerin; sie ist eine Theoretikerin des Gründungsaktes. Bewegungen dürften Hannah Arendts Sympathie nur dann errungen haben, wenn sie bereits auf die Schaffung von Ordnung und Dauer angelegt waren. Das Dynamische und Negatorische von Bewegungen, ihre Transformationen, Bruche, 'Unordentlichkeiten', Streitigkeiten und Zerbrechlichkeiten dürften eher Mißtrauen ausgelöst haben. 9 1994 Das normative Fundament dieser offenkundigen Präferenz für Dauer ist in einer Konzeption des Politischen zu finden, die um irdische Unsterblichkeit und Größe, um Politik als Erinnerungsstätte, als Raum organisierter Wiedererinnerung kreist (vgl. M G 69; VA 23ff, 48f, 54f, 190f.; Z V Z 57ff.; d'Entreves 1994, 76ff). Unsterblichkeit im griechisch-römischen, vorchristlichen Sinne meint „Unvergessenheit des großen Namens und der großen Tat und somit der Institutionen - der polis oder civitas - , die ein ununterbrochenes Gedächtnis gewährleisten konnten" (Woll. 64). Republiken sind es, die diese innerweltliche Unsterblichkeit durch die Dauerhaftigkeit eines kommunikativen Resonanzraumes, eines Raums der Tradierung, des Gedenkens und der „immerwährenden Erinnerung" (ZVZ 287) ermöglichen. Totalitäre Bewegungen dagegen sind das Ende aller Erinnerung, der Tod jeder Unsterblichkeit. „Mögliche Unsterblichkeit aber: Das war gerade griechischer Auffassung zufolge der höchste und tiefste Sinn aller Politik." (ZVZ 290) 10 'Anschlußfählgkeiten' Die in Deutschland Ende der 70er Jahre neu einsetzende Bewegungsforschung war empirisch wie normativ auf die Erforschung progressiver gesellschaftlicher Bewegungen unter dem Signum 'Neue soziale Bewegungen' ausgerichtet. Die aktuelle Herausforderung, rechtsextreme Bestrebungen ebenfalls als soziale Bewegung interpretieren zu müssen, könnte als spiegelbildliche Verkehrung jenes Weges Hannah Arendts von rechten Bewegungen hin zum Bild totalitärer Bewegungen unter Einbeziehung der kommunistischen gedeutet werden. Doch die analytischen und politischen Widerstände, die sich heute der Anwendung von Instrumentarien und Begriffen der Bewegungsforschung auf rechtsextreme Szenen und Aktionen entgegenstellen, dürften weitaus gerin- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 ger sein. Denn der Transfer erfolgt eher auf der Ebene von Mikro- und Meso-Theorien der Mobilisierung, der Deutungskultur, der Vernetzung und Bewegungskonstitution (vgl. Bergmann/Erb 1994). Der 'Skandal' der Totalitarismustheorie bestand dagegen in der Gleichsetzung linker und rechter Bewegungen auf der Ebene einer Makrotheorie gesellschaftlicher Formationen, Sozialstrukturen und Staatsformen. Was heute noch nicht in größerem Umfange geleistet scheint, ist die historische Makroanalyse rechter und linker Bewegungen in internationaler (und nicht nur national vergleichender) Betrachtungsweise. Gerade hier kann Hannah Arendts Totalitarismusbuch Anregungen für die empirische Forschungspraxis liefern - wegen des geringeren Grades an typologischer Zuspitzung aber vielleicht eher in den Abschnitten über Imperialismus und völkische Bewegungen. Eine konsequent ökonomisch und sozial gefaßte Figur des 'Überflüssigseins' sowie eine nicht gleich zur völligen Bindungslosigkeit zugerichtete Form von 'Interessenlosigkeit' könnten ebenso hilfreich sein wie eine stärkere Einbeziehung ideengeschichtlicher Zusammenhänge in die Bewegungsanalyse. Die begriffliche Konstruktion, in wechselseitiger Bereicherung von Empirie, politischer Theorie (hier vor allem Montesquieu) und klassischer bzw. existenzialistischer Philosophie entwickelt, überformt ihre Analysen jedoch z.T. mit weitreichenden Folgen - wie im Begriff der Bewegung selbst. Die konkreten Erscheinungen werden durch begriffliche Dicho- oder Trichotomien aufgeladen, unter deren Last sie sich verformen. Jeder Versuch, an Hannah Arendts Konzepte, z.B. ihreTotalitarismustheorie (Kraushaar 1993) oder ihre Parteienkritik (Flores d'Arcais 1993) - durchaus in der Absicht kritischer Fortführung - anzuknüpfen, muß sich die präformierende Rolle einer Reihe theoretisch höchst voraussetzungsreicher Konstruktionen klar machen. Will man sich nicht mit einer trivialisierenden Übernahme einzelner Bruchstücke aus Arendts Werk begnügen, verlangt dies eher eine Lesart, die die philosophischen und politiktheoretischen Hintergründe ihrer Analysen stärker berücksichtigt und ihre - gemessen am aktuellen Betrieb der Sozialwissenschaften - oft radikale Fremdheit betont. Das gilt auch dann, wenn größeres Interesse an den normativen Potentialen der Arendtschen Analysen besteht: Der Versuch, sie für ein zivilgesellschaftlich-demokratisches Leitbild des Politischen in Anspruch zu nehmen, stößt schnell auf den elitären Charakter ihres Republikanismus. Bei der Präsentation alternativer, egalitärer Konzeptionen von Öffentlichkeit (Dubiel 1994, Brunkhorst 1994) fehlt es allerdings an der Beantwortung jener Fragen, die Arendt zum Konzept einer Partizipationsaristokratie führten, insbesondere der Motivationsfrage: Welches dauerhafte Motiv stützt die präferierte republikanisch-partizipatorische Gestalt von Öffentlichkeit und Demokratie, wenn doch die meisten Interessen einfacher im liberalen Raum bloß negativer Freiheiten zur Geltung kommen? Hannah Arendt verwies an dieser Stelle auf den Willen zum Erscheinen, zum Sich-Auszeichen, auf die Suche nach Dauerhaftigkeit, Ruhm und innerweltlicher Unsterblichkeit durch Erinnertwerden. Derartige Antriebskräfte können nicht mehr umstandslos vorausgesetzt werden und haben zudem - will man nicht eine Idee egalitären Ruhms (vgl. Andy Warhol) oder egalitärer Unsterblichkeit vertreten - unvermeidlich elitäre Konsequenzen. Es dürfte solange nicht genügen, sich entweder über Arendts 'verklärenden Blick' auf Polis, römische Republik und Amerikanische Revolution (Höffe 1993, 16; Canovan nennt dies die „Standard Interpretation" 1992, 275) oder die sozial exklusiven Konsequenzen (Flores d'Arcais 1993; Brunkhorst 74 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994) ihrer Konzeption agonaler Öffentlichkeit" zu mokieren, „in der wenige ausgezeichnete Bürger im edlen Wettstreit um moralische Größe und politische Ehre der Vergänglichkeit ein Schnippchen schlagen" (Dubiel 1994, 63), wie nicht die funktionalen Äquivalente zur Arendtschen Konstruktion, d.h. die Motivationsressourcen benannt werden, die eine Sphäre egalitär-demokratischer Öffentlichkeit dauerhaft mit einem Strom von Bewegungen, Initiativen und kommunikativer Macht speisen. 1994 zum Antrieb der Massenbewegungen, die der Glauben an deterministische Abläufe zu Hybris ungekannten Maßes verführt (vgl. Canovan 1992, 12). Dieses 'überflüssig sein' kann auch als harte ökonomische und soziale Kategorie verstanden werden. In diesem Sinne wird sie auch heute wieder in der entwicklungspolitischen Diskussion über die ökonomische Stellung der 3. Welt verwandt. So könnte es sein, daß der Terminus 'überflüssig', gelesen als ökonomisch-sozialstrukturelle Kategorie, internationale Prozesse des Ausschließens adäquater repräsentiert als klassentheoretische Reformulierangen wie z.B. die einer „neuen ProletaFrank Nullmeier arbeitet als Hochschulassi- rität" (Roth 1993). "Stabilisierung und Stagnation bedeuten also emstent am Institut für Politische Wissenschaft pirisch wie begrifflich das Ende totalitärer Herrder Universität Hamburg. schaft." (Jänicke 1971,210) Hier wird sichtbar, daß die drei Grundformen Anmerkungen politischer Gestaltung: Nationalstaat, Totalitarismus und Republik mit den bekannten drei For'Vgl. ZVZ 114f.; siehe auch ihren Begriff des men der Vita Activa korrespondieren: Dem Leben 'totalitären Imperialismus', Ung. 50ff. und Arbeiten als bloßem Prozeß der ewigen WieSie sympathisiert mit der Argumenten zugängliderkehr, der nichts hinterläßt, entspricht die Logik chen, diskutierenden und zuhörenden, uneigennütvon (totalitären) Bewegungen. Die auf äußere zigen (MG 26) und „nahezu ausschließlich in moZwecke gerichtete Politik von National-, Parteiralischen Kategorien" (MG 33, 108) denkenden, en- und auch Wohlfahrtsstaatlichkeit mit ihrer revon der Lust am Handeln (MG 107) angetriebelativen Stabilität und festen Bindung an Interesnen Studentenbewegung -auch da, wo Universisen und materielle Dinge hat im Herstellen ihr tätsgebäude besetzt werden (BW 675f.) Pendant, während Handeln und Republik in der In den politischen Schriften der 40er Jahre noch Schaffung eines dauerhaften Raumes der Sichestärker als Verlaufs- und Phasenschema angelegt, rung innerweltlicher Erinnerung und Unsterblichwird die Dreierstruktur später zum immer gegen- keit ihr Gemeinsames besitzen. wärtigen Möglichkeitsspektrum politischer GestalSo lobt sie an der Ungarischen Revolution das tung. „Fehlen allen Parteienzanks, jeglicher ideologiAn der Person Lawrence von Arabiens entziffert scher Erbitterung und den damit zusammmenhänArendt die Motivlage reiner Bewegung: „Sein Hingenden Mangel an Fanatismus" (Ung. 38). Trotz tergedanke war eine zweck- und ziellose Beweihrer grundsätzlichen Sympathie sieht sie die amegung überhaupt, der ewige Strom geschichtlichen rikanische Studentenbewegung durch „VandalisGeschehens, von dem keiner weiß, wohin er fließt, mus, Gewalttätigkeiten, schlechte Launen und noch der zu nichts dient, der aber dem, der sich in der schlechtere Manieren" (ZZ 155) bedroht. Stromrichtung einschifft, im Strömen die Illusion Speziell in einem vorplatonischen, homerischen der Lebendigkeit vermittelt." (EU 355) Sinne: Pol. 46ff., 94ff.; vgl. Canovan 1992, 136f. Ihre Evidenz erhielten die modernen Konzeptio" Die Versuche, zwei Momente in Arendts Konnen historischer Notwendigkeit von dem Bild jezeption des öffentlichen Raumes zu unterscheiner „unwiderstehlichen Bewegung" der Volksmenden, Öffentlichkeit in „dramatic setting" und „disge während der Französischen Revolution, „wie cursive space" zu zerlegen (D'Entreves 1994, sie einbricht in die Straßen und Paris überflutet" 152ff.), eine agonistische Konzeption von einer (ÜR 58f.). In dieser Flut mitzuschwimmen, wird „Assoziations-Vorstellung" zu unterscheiden (Ben6 7 8 2 3 9 4 10 5 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 habib 1991, 151) oder eine frühe individualistischagonistische Politikkonzeption zugunsten einer späteren partizipatorischen abzuwerten (Parekh 1981, 177f.) scheinen mir verfehlt. Auch da, wo Assoziationen gegründet, Debatten geführt und Argumente ausgetauscht werden, bleibt das Moment des Sich-Auszeichnens, der Versuch, Großes zu tun und dies sich auch persönlich zuzurechnen, immer erhalten. Literatur I. Zitierte Schriften von Hannah Arendt BB: Benjamin, Brecht. Zwei Essays, München, Zürich 1986, 2. Aufl. (1971) BD: Besuch in Deutschland. Mit einem Vorwort von Henryk M. Broder, Berlin 1993 BW: Arendt, Hannah/Jaspers, Karl: Briefwechsel 1926-1969, München (1985), Neuausgabe 1993 EU: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München, Zürich 1986 IPA: Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze. Hrsg. von Eike Geisel/Klaus Bittermann, Berlin 1991 Krise: Die Krise des Zionismus. Essays und Kommentare 2. Hrsg. von Eike Geisel/Klaus Bittermann, Berlin 1989 MfZ: Menschen in finsteren Zeiten. Hrsg. von Ursula Ludz, München, Zürich 1989 MG: Macht und Gewalt, München, Zürich 1985 Pol.: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlaß. Hrsg. von Ursula Ludz, München, Zürich 1993 RV: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München, Zürich, Neuausgabe 1981 Ung.: Die Ungarische Revolution und der totalitäre Imperialismus, München 1958 ÜR: Über die Revolution, München, Neuaussgabe 1974 VA: Vita Activa oder Vom tätigen Leben, München, Zürich, Neuausgabe 1981 Woll.: Vom Leben des Geistes. Band 2: Das Wollen, München, Zürich, Neuausgabe 1989 ZVZ: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, München, Zürich 1994 75[ ZZ: Zur Zeit. Politische Essays. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Marie Luise Knott, München 1989 (bereits Berlin 1986) II. Sekundärliteratur und Sonstiges Benhabib, Seyla 1991: Modelle des öffentlichen Raumes: Hannah Arendt, die liberale Tradition und Jürgen Habermas, in: Soziale Welt 42, 147165 Bergmann, Werner/Erb, Rainer 1994: Eine soziale Bewegung von rechts?, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 80-98 Brunkhorst, Hauke 1994: Demokratie und Differenz. Vom klassischen zum modernen Begriff des Politischen, Frankfurt Canovan, Margaret 1993: Hannah Arendt. A Reinterpretation of Her Political Thought, Cambridge DEntreves, Maurizio Passerin 1994: The Political Philosophy of Hannah Arendt, London, New York Dubiel, Helmut 1994: Ungewißheit und Politik, Frankfurt Flores d'Arcais, Paolo 1993: Libertärer Existenzialismus. Zur Aktualität der Theorie von Hannah Arendt, Frankfurt Heuer, Wolfgang 1992: Citizen. Persönliche Integrität und politisches Handeln. Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts, Berlin Höffe, Otfried 1993: Politische Ethik im Gespräch mit Hannah Arendt, in: Kemper, Peter (Hg.): Die Zukunft des Politischen. Ausblicke auf Hannah Arendt, Frankfurt, 13-33 Jänicke, Martin 1971: Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffs, Berlin Kraushaar, Wolfgang 1993: Sich aufs Eis wagen. Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit der Totalitarismustheorie, in: Mittelweg 36, 2, 6-29 Parekh, Bhikhu 1981: Hannah Arendt and the Search for a New Political Philosophy, London Roth, Karl Heinz 1994: Die Wiederkehr der Proletariat und die Angst der Linken, in: Schneider, Wolfgang/Gröndahl, Boris (Hg.), Was tun? Über Bedingungen und Möglichkeiten linker Politik und Gesellschaftskritik, Hamburg, 253-279 Young-Bruehl, Elisabeth 1991: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit, Frankfurt (1986, engl. 1982) r-rsoHUNGSJOURNAL NSB, JG. 7, HEFT 4, horschungs b e ric h t Die englische Friedensbewegung im Umbruch 1. Organisationsprofil Den Hauptteil der Arbeit bildet die Untersuchung von sieben überregionalen Organisationen der englischen Friedensbewegung: - Die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) als größte und bekannteste Organisation in England, die sich vorrangig auf die Arbeit gegen Atomwaffen konzentriert. Sie hat die Protestwelle gegen die Nachrüstung in England dominiert und wird auch heute noch oft mit der Friedensbewegung gleichgesetzt; Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat die sicherheitspolitische Lage Europas grundlegend verändert. Mit dem Schwinden des Antagonismus der Supermächte ging auch ein Rückgang der öffentlichen Aufmerksamkeit für - das National Peace Council die Anliegen der Friedensbewe(NPC), eine Dachorganisation gung einher - ein Prozeß, der und Clearingstelle für Grupschon mit und der Unterzeichpen aus der Friedens- und annung des INF-Vertrages 1987 deren sozialen Bewegungen; begann. Dadurch wirkt ein doppelter Veränderungsdruck auf die - die Campaign against the Arms Organisationen der FriedensbeTrade (CAAT), eine Singlewegung in Europa: ein thematiIssue-Group, die sich ausscher, da das alles dominierende schließlich mit RüstungsexThema der nuklearen Konfronport und -produktion beschäftation der Blöcke an Bedeutung tigt; verloren hat und ein organisatorischer, da mit zurückgehenden - Medical Action for Global SeMitgliederzahlen auch die Rescurity (MedAct), eine berufssourcen schrumpfen. Wie die ständische Organisation, die Friedensbewegung auf diesen 1992 aus dem ZusammenDruck reagiert, habe ich am Beischluß der beiden britischen spiel Englands in meiner DiIPPNW-Sektionen 'Medical plomarbeit zum Thema „Die Association for the Prevention englische Friedensbewegung of War' (MAPW) und 'Medinach dem Ende des Ost-Westcal Campaign Against Nuclear Konfliktes. Eine soziale BeweWeapons' (MCANW) hervorgung im Umbruch" beleuchten gegangen ist; wollen.' - die britische Sektion der an die katholische Kirche ange- 1994 lehnten internationalen Organisation Pax Christi (PaxC); - die radikalpazifistische Peace Pledge Union (PPU); - die Gruppe European Dialogue (ED), die seit 1993 die britische HCA-Sektion gleichen Namens und die britische „Intelektuellen-Organisation" European Nuclear Disarmament (END) umfaßt. Zum gesellschaftlichen Kontext, in dem die englische Friedensbewegung operiert, sei vorweg folgendes angemerkt: Großbritannien ist derzeit die einzige westliche Nuklearmacht, die ihr Atomarsenal mit der Anschaffung einer neuer Generation von Atomwaffen (dem U-Boot-gestützen Trident-System) aufstockt. Die Frage der atomaren Aufrüstung ist dort also durchaus noch relevant. Die zentralistische Struktur des Staates, die Dominanz der (seit 1979 konservativen) Regierungspartei und das Mehrheitswahlrecht schränken die Möglichkeiten der Partizipation sozialer Bewegungen am politischen Prozeß stark ein. Zudem wirken sich die imperiale Tradition Großbritanniens, die durch den Thatcherismus geförderte Tendenz zur Individualisierung und die drastischen wirtschaftlichen Probleme negativ auf das Mobilisierungspotential der Friedensbewegung aus. Untersuchungen der Mitgliederstruktur der englischen Friedensbewegung beschäftigen sich fast ausschließlich mit ihren beiden Hochphasen, der sog. ersten Welle 1958-1965 und der zwei- FORSCHUNGSJOURN'-" \ S ? i . T~ T ten Welle von 1980-1985. Sie beziehen ihre Daten durchweg aus der Befragung CND-Mitgliedern, sei es von Mitarbeitern lokaler Gruppen, sei von Mitgliedern der landesweiten Organisation (National CND). Danach wurde die Friedensbewegung 1980-1985 in erster Linie von der Mittelschicht, und hier besonders von im sozialen Sektor Beschäftigten getragen. 2 TTrn 1985 gab CND die Mitgliedschaft der Nationalen Organisation mit 110000 an (Carter 1992:123). Zusammen mit nichteingeschriebenen Mitgliedern in den 1000 lokalen CND-Gruppen schätzte die CND Führung die Zahl der Unterstützer auf etwa 250000 Menschen (Hinton 1989:183). 1987 betrug die Mitgliederzahl 85000. 42 bezahlte Mitarbeiter hatte die Kampagne in ihrem Londoner Büro, 7 weitere in den Regionen (Rothgang 1990:147,212). 1991 gab CND die Mitgliederzahl mit 60000 an. Weitere 10000 Menschen werden als Mitglieder von Scottish CND und CND Cymru (das ist der walisische Verband) geführt, allerdings sind Doppelmitgliedschaften möglich. angeschlossenen Gruppen stieg von 143 im Jahr 1990 auf 246 im Jahr 1993. Die Zahl ihrer individuellen Unterstützer erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 1812 auf 2673. Rothgang hat für 1982 eine Zahl von ca. 2000 Unterstützern angegeben. Die offensichtlichste Konsequenz aus den sinkenden Mitgliederzahlen ist ein Rückgang der Einnahmen. Dies äußert sich vor allem in der Zahl der festan2. Strukturanalyse gestellten Mitarbeitern. CND, als größte Organisation, hat auch die Die untersuchten Organisationen nominell größten Einbußen zu ähneln sich in ihrer Struktur verzeichnen: 1987 hatte die weitgehend. Wesentliches EleKampagne 42 bezahlte Mitarbeiment sind lokale Gruppen, die ter in ihrem Londoner Büro, 7 die Aktivitäten tragen, politikweitere in den Regionen. 1991 bestimmendes Gremium ist die gab CND die Mitarbeiterzahl mit jährliche Mitgliederversamm19 an, von denen 14 auf das Nalung, ein Vorstandsgremium dient hauptsächlich der Reprä- Auch andere Organisationen ha- tional Office entfielen und zum sentation und der Politikentwick- ben nach Aussagen ihrer Teil den Sektionen zugeordnet lung der Organisation. Bei eini- Mitarbeiter mit Mitgliederrück- waren, 5 weitere bezahlte Stelgen Organisationen (CND, gang zu kämpfen. Vergleichs- len existierten in den RegionalCAAT und NPC) kommt dazu zahlen zur letzten Hochphase der büros. Weitere Stellenstreichunnoch ein Exekutivkomitee, das Friedensbewegung liegen mir je- gen sind in den kommenden Jahden Ablauf der Aktivitäten ko- doch nur in Einzelfällen vor. So ren zu erwarten. Auch die tradiordiniert. CND fällt dabei auf- ist die Zahl der Mitgliedsgrup- tionsreiche CND-Zeitschrift Sagrund seiner Größe aus dem pen des NPC von 184 (1986) auf nity fiel dem Rotstift zum OpRahmen: Die Organisation ver- 139 Ende 1992 gesunken. fer. Da auch die Mittel für die fügt über genügend Ressourcen, MedAct hatte 1993 2600 Mit- Sektionen drastisch schrumpfen, um zu bestimmten Aufgaben glieder, vor der Fusion Ende gehen einige - so Christian-CND Unterkomitees einzurichten und 1992 hatten die Vorgänger- und die Gewerkschaftssektion sie hat als einzige der untersuch- organisationen zusammen 3000 Union CND - dazu über, sich ten Organisationen zwischen ih- Mitglieder (MCANW 2600, durch eigene Mitgliedsbeiträge ren lokalen Gruppen und der Na- MAPW 400) gegenüber 4800 im selbst zu finanzieren. tionalen Struktur eine regionale Jahre 1987 (4000; 800). Die PeOrganisationsebene. Zudem ist ace Pledge Union dagegen gibt Ähnlich sieht es bei den kleineihre Mitgliedsbasis so breit, daß die Mitgliederzahl „in den letz- ren Organisationen aus: Die Fusie in verschiedenen Sektionen ten Jahren" vage als „gleichblei- sionsbeschlüße, die zur Grün(z.B. Gewerkschaften, Christen, bend etwa 1000" an; Pax Christi dung von ED und MedAct führStudenten) zielgerichtet betreut und European Dialogue mach- ten, beruhten nicht zuletzt auch werden kann. ten keine Angaben. Lediglich bei auf finanziellen Erwägungen. So CAAT lief die Entwicklung ge- waren 1993 vier Teilzeitstellen gen den Trend: Die Zahl der im Londoner Büro von MedAct 78 FORSCHUNGSJOURNAL N S R besetzt, vor der Fusion 1992 hatte die MCANW zwei Voll- und zwei Teilzeitmitarbeiter, die MAPW beschäftigte eine Teilzeitkraft. Das Londoner Zentralbüro von Pax Christi hatte im Geschäftsjahr 1991-92 noch drei Mitarbeiter; im Herbst 1992 arbeitete nur noch eine Person festangestellt dort. Das NPC dagegen reagiert auf seine finanziellen Probleme mit einer gezielten Professionalisierung der Arbeit: Eine Fund-Raising-Stelle wurde in das Budget gerückt und der Dienstleistungsaspekt der Organisation soll verstärkt werden, um neue Mitgliedsgruppen zu gewinnen. Dabei bemüht sich die Organisation auch um Gruppen aus anderen sozialen Bewegungen. kann man durchaus als Ergebnis einer auch inhaltlichen Neuorientierung interpretieren. So ist die Organisation European Dialogue von Mitgliedern der auf die Überwindung des Ost-WestKonfliktes gerichteten END als britischer HCA-Ableger gegründet worden und hat sich dann nach längeren internen Diskussionen mit der alten END-Organisation verschmolzen. Von den Organisationen, die sich zu MedAct zusammengeschlossen haben, war die MCANW auf das Thema Nuklearwaffen festgelegt, während die kleinere MAPW allgemeiner die Verhinderung von Krieg zum Ziel hatte. In der Satzung der Neugründung MedAct taucht nunmehr das Thema Atomwaffen als eines von vielen auf - Zeichen daCAAT konnte dagegen aufgrund für, daß als Folge der geopolitierhöhter Einnahmen das Perso- schen Veränderungen auch in der nal aufstocken: Fünf Personen britischen Friedensbewegung arbeiteten dort 1992 auf drei vol- neben dem 'nuclear issue' andelen und zwei Teilzeitstellen; seit re Themen gleichrangig auftau1990 ist damit eine Teilzeitstelle chen. Doch nicht alle Organisahinzugekommen. Diese untypi- tionen machen Themenverschiesche Entwicklung von CAAT bungen mit. So hält etwa die hängt mit der besonderen The- PPU an ihren Arbeitsschwermenstruktur der Gruppe zusam- punkten Friedenserziehung und men. Das Thema Waffenexport 'Kinder und Krieg' fest. Sie reahabe, so Ann Feltham, Joint giert zwar in ihren PublikatioCoordinator bei CAAT, im Zu- nen auf aktuelle Ereignisse wie sammenhang mit dem zweiten den Golfkrieg, grundsätzliche Golfkrieg eine hohe öffentliche Diskussionen um eine NeuoriAufmerksamkeit erhalten, woge- entierung sind jedoch nicht ergen die Welle der Proteste ge- kennbar. gen den NATO-Doppelbeschluß den „niedrigsten Punkt für diese Insgesamt ist 'das nukleare TheKampagne" darstellte. ma' in all seinen Facetten noch Andere Organisationen verändern dagegen ihre inhaltlichen Schwerpunkte. Die Fusionen zu MedAct und European Dialogue immer dominant. Dieser Themenkomplex reicht von spezifischen Waffensystemen wie Trident über die Auswirkungen der Nukleartests und die atomare Tc " Iii i 1 W Strategie der NATO bis hin zu der Frage der Neuverhandlung des Nicht-Weiterverbreitungsvertrages, die für 1995 ansteht. Insbesondere die CND hält weiter an ihrem traditionellen Arbeitsschwerpunkt Atomwaffen fest. Eine 1989 nach langen Diskussionen durchgesetzte Änderung der Satzung hat zwar die Möglichkeit eröffnet, auch auf andere Probleme im Friedensbereich einzugehen, doch trotzdem bezieht sich der größte Teil der Aktivitäten von CND noch immer auf das Thema Atomwaffen. Die Organisation will sich, so Generalsekretär Gary Lefley, in den nächsten Jahren vor allem mit der Zukunft des NonProliferationsVertrages beschäftigen, der 1995 zur Neuverhandlung ansteht, sowie verstärkt die ökonomischen Folgen der atomaren Rüstung in Großbritannien anprangern und die Friedensdividende einfordern. Als 'neue' Themen zeichnen sich vor allem der Bereich nichtmilitärische Konfliktlösung, Mediation und Versöhnungsarbeit sowie regionale Schwerpunkte vor allem auf Nah-Ost und Nordirland ab. 3 3. Vernetzung und Kooperation Neben diesen leichten inhaltlichen Verschiebungen zeigt sich eine wachsende Tendenz zu Vernetzung und Kooperation innerhalb der britischen Friedensbewegung. Während der zweiten Welle hatte CND die Themen der Friedensbewegung entscheidend mitbestimmt. Dadurch, daß fast alle Gruppen der Friedens- FORSCHUNGSJOURNAL NSTL T. " Iii i 1 l bewegung bei CND geführt wurden, kam der CND bis zu einem gewissen Grade auch die Funktion einer Dachorganisation und eines Koordinationsnetzwerkes zu. Mit dem Abflauen der Nachrüstungsproteste gewann das NPC als Koordinationsnetzwerk dagegen an Bedeutung. Dies wird auch von meinen Gesprächspartnern bestätigt. n o l wegungen. So hat die CND nur vereinzelt mit Greenpeace kooperiert, etwa bei der Kampagne für atomwaffenfreie Meere. Auch bei den kleineren Organisationen sind Kooperationen mit Gruppen anderer sozialer Bewegungen eher die Ausnahme. Lediglich CAAT arbeitet intensiv mit Gruppen vor allem aus dem Spektrum der „Dritte-Welt"- und Menschenrechtsgruppen zusamWeiter fallen die Verflechtungen men. Es werden zumeist gemeinund Überschneidungen zwischen same, fallbezogene Projekte geden verschiedenen Organisatio- startet, bei denen CAAT Fakten nen auf: So finden sich die Orga- zu Rüstungslieferungen rechernisationen CND, Pax Christi und chiert, die die Kooperationspartdie PPU im Unterstützerkreis ner für ihre Arbeit benutzen. Die von CAAT; die European Dia- gestiegenen Mitgliedszahlen von logue wird von CND unterstützt CAAT laßen sich u.a. mit dem und auch das NPC hat in vielen hohen Anteil von Unterstützern Organisationen seine Vertreter. aus Gruppen anderer sozialer BeZudem existieren viele personel- wegungen erklären. So weist le Überschneidungen: in den zu- Ann Feltham darauf hin, daß ein gänglichen Listen von Mitglie- Großteil der lokalen Kontakte dern verschiedener Steuerungs- von CAAT von „Dritte-Welt"ausschüsse und Councils tauchen Gruppen übernommen werde. einige Namen mehrmals auf. Mit der Einrichtung eines Crisis Re- Die anderen Gruppen sind dagesponse Networks, das es Grup- gen eher zurückhaltend, wenn es pen der Friedensbewegung er- um Kooperation auf nationaler möglichen soll, schnell und ko- Ebene geht. Die Vernetzung mit ordiniert auf aktuelle, friedens- anderen sozialen Bewegungen politisch relevante Ereignisse zu funktioniert auf der lokalen und reagieren, und mit gemeinsamen der individuellen Ebene wesentArbeitsgruppen wurden darüber lich besser. So gibt es zum eihinaus auch Schritte unternom- nen Doppelmitgliedschaften, men, die Kooperation institutio- durch die die Aktivisten der nell zu verbessern. Trotzdem Friedensbewegung auch an anbleiben die Organisationen der dere Bewegungen gebunden Friedensbewegung auf der natio- sind. Zum anderen existieren vor nalen Ebene zumeist auf ihre Un- allem in Städten außerhalb Lonabhängigkeit bedacht und versu- dons verschiedene lokale Zenchen, ihre eigene Identität zu tren, in denen Gruppen verschiewahren. dener sozialer Bewegungen zusammenarbeiten - ein Prozeß, Dies gilt auch gegenüber Orga- der vor allem von den lokalen nisationen anderer sozialer Be- Aktivisten und Nutzern dieser I JL3/\ Zentren vorangetrieben wird. Diese Zentren können Gesundheits- oder „Dritte-Welt"-Läden sein, die ihre Räume anderen lokalen Gruppen zur Verfügung stellen. Es können aber, wie im Falle des Brighton Peace Centre (BPC), auch Friedensgruppen sein, die den Ausgangspunkt solcher kooperativer Strukturen bilden. Das BPC wurde 1984 von lokalen Friedensgruppen aufgebaut, verfügt über Geschäftsräume im Innenstadtbereich und bietet nicht nur Friedensgruppen, sondern auch Menschenrechtsund „Dritte-Welt"-Gruppen Raum und Infrastruktur wie Kopierer, Computer, Drucker und eine Maschine für Anstecknadeln. Unterstützt wird die Einrichtung sowohl von lokalen Zweigen nationaler Organisationen der Friedensbewegung als auch von Organisationen anderer sozialer Bewegungen. Neben finanziellen Gründen hat, so Duncan Blinkhorn vom Peace Centre, auch ein verändertes Herangehen an die Friedensthematik von Kunden und Benutzern des BPC zu dieser Kooperation geführt: „... over the last six or seven years we recognized very much a need to broaden out, because that's what our customers expected, because they link the issues together. And also for practical economic reasons, in order to maintain the place f i nancially we needed to do that." Angesichts des Rückgangs in der Mitgliederzahl und der abnehmenden Aktivität lokaler Gruppen ist jedoch die Frage der internen Vernetzung und der Ko- '80 Operation mit Gruppen anderer sozialer Bewegungen auch auf nationaler Ebene in den Vordergrund der Diskussion gerückt. So sagt Janet Bloomfield, Vizevorsitzende von CND: „... we have to rethink how we do things because we built up a large structure in terms of a grassroots campaign with lots of local groups... And that has gone much more quiet now, so that for those of us involved in the national Organization have got to think of new ways for people to be active and think of new ways of networking and communicating rather than the local group structure which is much more fragile than it was." Ähnlich, mit Blick sowohl auf die interne Vernetzung der Friedensbewegung als auch auf die Vernetzung zu anderen Bewegungen, äußerte sich CND-General Secretary Gary Lefley. r-r.x-T--\-GSJOURNAL NSB, Entspannung zwischen den Großmächten stattfinden konnte. So argumentiert Dan Plesh, ehemaliger General Secretary von CND und Direktor des Forschungsinstituts BASIC, daß „in the west the movements first of all provided an immense amount of political space to break out of McCarthyite ideology", und weiter „the peace movements imposed a very great political cost on the continuation of existing foreign policies." JG. 7, HEFT 4, 1994 Kontakt: Warthestr. 42a, 12051 Berlin, Tel. 030/625 29 80. Anmerkungen ' Die Arbeit hat vorwiegend empirischen Charakter und stützt sich hauptsächlich auf Daten, die ich im Oktober 1992 und im Frühjahr 1993 in Großbritannien gesammelt habe. In geringerem Umfang wurden 25 Hintergrundgespräche herangezogen, die ich mit Vertretern verschiedener Organisationen der englischen Friedensbewegung geführt habe. Alle wörtlichen Zitaten sind Transkripten dieser Gespräche Als weiterer wesentlicher Punkt entnommen. wird oft der Impuls für BürgerAngesichts der Größe, der öffentbeteiligung an Politik vorge- lichen Präsenz und der Vielzahl von bracht, den die Friedensbewe- Doppelmitgliedschaften kann sinngung der Gesellschaft gegeben voll davon ausgegangen werden, habe: „ ... the british peace mo- daß CND die Bewegung der 80er vement (...) remains the best ex- Jahre weitgehend repräsentiert. Sie ample of mass invölvement in ist zudem für Untersuchungen diecivil society activity", so Rose- ser Art am einfachsten zugänglich. Die 1978 festgeschriebene Zielmary Bechler, aktiv in NPC und CND. Darüber hinaus habe auch bestimmung, „the unilateral abandie englische Friedensbewegung donment by Britain of nuclear Weapons, nuclear bases and nuclear alim Verlauf der Entwicklung von liances" als notwendige Vorbedinder ersten über die zweite Welle gung für generelle und vollständierheblich an Erfahrung gewon- ge Abrüstung zu erreichen, wurde nen. Im bezug auf den, trotz des ersetzt durch eine allgemein gefaßte starken Mitgliederschwundes Arbeit „for international peace and noch immer erstaunlich hohen disarmament and a world in which Unterstützungsgrad von CND the vast ressources now devoted to sagte mir Dan Plesh „50 percent militarism are redirected to the real of its peak level or more than needs of the human community". fifty percent, I think is a remarkable achievement, a remarka- Literatur ble sign of consistency which Byrne, Paul 1988: „The Campaign was not to be found in lets say for Nuclear Disarmament"; Lon1971 after 1961 and I think this don: CroomHelm 1988. is a tribute to the fact that the Carter, April 1992: „Peace Moveorganizational coherency is bet- ments. International Protests and ter. It is a gradual improvement World Politics Since 1945"; London, New York: Longman 1992. of organizational quality." Zum Rückgang der Mitgliederzahlen selbst sagt Janet Bloomfield „I think it's partly a tribute to our own success in a way, because I remember when I came into the movement in about eightyone everybody was very very frightened with what was going on... And since we've seen the breakdown of the Cold War, the Cruise Missiles have gone and I don't think you can take away the role of the peace movement on a europe-wide basis in helping to achieve that." Sie gibt damit auch den Tenor wieder, wenn es um die Bewertung der Erfolge der Friedensbewegung geht; daß sie nämlich wesentlich zu dem politischen Kli- Detlef Richter ist Diplompolitoma beigetragen habe, in dem die loge und lebt in Berlin. 2 1 Hinton, James 1989: „Protests and Visions. Peace Politics in Twentieth-Century Britain"; London: Hutchinson 1989. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , .TG 1990: „Die Friedens- und Umweltbewegung in Großbritannien: Eine empirische Untersuchung im Hinblick auf das Konzept der 'Neuen Sozialen Bewegungen'"; Wiesbaden: DUV 1990. Rothgang, Heinz Forschungsprogramm zu ethnischkulturellen Konflikten Angesichts großer Probleme der Fremdenfeindlichkeit, ethnisch motivierter Gewalt und des Rechtsextremismus möchten wir auf eine Forschungsinitiative aufmerksam machen, die wir an der Universität Bielefeld in Gang gebracht haben. Dabei handelt es sich um unsere »interdisziplinäre Forschungsgruppe für multiethnische Konflikte«, das Forschungwerk »Ethnischkulturelle Konflikte« mit Newsletter und eine Forschungsinitiative in Gestalt einer vergleichenden Regionalstudie zu ethnisch-kulturellen Konfliken. 1. Interdisziplinäre Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte Seit längerem werden an der Universität Bielefeld Forschungen zu Fremdenfeindlichkeit, IT- I. 1 ™ ! Gewalt und Rechtsextremismus durchgeführt. Wie üblich geschah dies in Form von Einzelprojekten in getrennten Fachdisziplinen. Die Zunahme der Probleme und die verzweigten Ursachen haben dann zu der Initiative geführt, sowohl den Versuch eines interdisziplinären Vorgehens zu verstärken als auch eine Institutionalisierung anzustreben, da die hier zur Debatte stehenden Probleme eine entsprechende kontinuierliche Anstrengung erfordern. Um zu signalisieren, daß ein umfassender Problem- und Fächerbereich abgedeckt werden soll, wird sich die Forschungsgruppe mit einem breiten Spektrum interkultureller und interethnischer Konflikte befassen. Derzeit werden Überlegungen für eine geeignete Form und für einen geeigneten inneruniversitären Ort der Institutionalisierung angestellt. MM fflli. 2. Forschungsnetzwerk »Ethnisch-kulturelle Konflikte« Im Rahmen der angestrebten Institutionalisierung soll in den nächsten Jahren mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen ein Forschungsnetzwerk zu den Themen Fremdenfeindlichkeit, ethnisch-kulturelle Gewalt und Rechtsextremismus aufgebaut werden. Damit soll ein Komunikationsrahmen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geschaffen werden, die sich mit diesen Problembereichen beschäftigen. Ziel ist es, die Forschungsaktivitäten im Lande zu bündeln und neuartige, fachübergreifende Forschungsvorhaben anzuregen. Dazu soll das Forschungsnetzwerk in halbjährlich stattfindenden Workshops auf möglichst unkonventionelle Weise eine Kontinuität sichern und Neuentwicklungen stützen. Die derzeitigen Mitglieder die- Eine mit einem wissenschaftliser Forschungsruppe sind: chen Mitarbeiter besetzte Geschäftsstelle ist an der Fakultät Prof. Dr. Otto Backes (Fakultät für Pädagogik eingerichtet. Ihre für Rechtswissenschaften) Aufgaben sind im wesentlichen: Prof. Dr. Rainer Dollase (Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft) - die Erhebung und Dokumentation von Forschungsaktivitäten zum o. g. Themenspektrum, Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer (Fakultät für Pädagogik) - die Redaktion des Newsletters, Prof. Dr. Jörn Rüsen (Fakultät für Geschichte und Philosophie) - die Vorbereitung von Workshops und Tagungen. Das Netzwerk kann nur entstehen, wenn möglichst viele Wis- 82 senschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit sind, sich an ihm zu beteiligen. Eine Beteiligung kann durch die Teilnahme an Workshops/Tagungen und durch die Mitarbeit am Newsletter erfolgen. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, H : Der Newsletter wird allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Netzwerk mitarbeiten wollen, kostenlos zur Verfügung gestellt. 4. Vergleichende Regionalstudie 3. Newsletter Der zweimal im Jahr erscheinende Newsletter dient neben der Dokumentation der Tagungen der internen Kommunikation im Netzwerk. Er soll - über neueste Forschungsergebnisse abgeschlossener Forschungsprojekte informieren, - geplante bzw. laufende Forschungsvorhaben vorstellen, - über Forschungsförderung und Forschungsdokumentation berichten, Als erstes größeres Forschungsvorhaben plant die »Interdisziplinäre Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte« der Universität Bielefeld die Durchführung einer vergleichenden Regionalstudie. Dieses Vorhaben erfolgt als Konsequenz daraus, daß bisher zu Fremdenfeindlichkeit, Gewalt, Rechtsextremismus und insgesamt zu ethnisch-kulturellen Konflikten nur Forschungen vorliegen, die diese Problemstellungen - innerhalb einzelner Fachdisziplinen verfolgt haben, - auf neue Literatur durch Annotationen oder Rezensionen - zu unterschiedlichen, nicht hinweisen, vergleichbaren Zeitpunkten angelegt waren, - Tagungsankündigungen verbreiten. - verschiedene, miteinander nicht vergleichbare PopulatioWir möchten auch interessierte nen erfaßten, kurz: zersplittert Wissenschaftlerinnen und Wiswaren. senschaftler zu einer Mitarbeit an diesem Newsletter einladen. Wir bitten Sie, uns Beiträge der Dieses konventionelle Foro. g. Art im Umfang von max. schungsvorhaben wird u. E. den drei Schreibmaschinenseiten zentralen Problemlagen nicht (möglichst mit Diskette) einzu- mehr gerecht, denn zentrale Forsenden. Der Newsletter ist aller- schungslücken können damit dings keine wissenschaftliche kaum geschlossen werden. DesZeitschrift. Wissenschaftliche halb will die Forschungsgruppe Abhandlungen sollen daher nicht einen anderen Weg beschreiten, veröffentlicht werden. der in dieser Breite bisher nicht gegangen worden ist. Wir verfolgen vier Ziele: @ Wir gehen davon aus, daß eine der zentralen Forschungslücken darin besteht, daß weitgehende Unklarheit über das Zusammenwirken unterschiedlicher Strukturelernente, Interaktionsprozesse und Akteursgruppen besteht. Das wichtigste Ziel besteht deshalb darin, einen fundierten Beitrag zur Schließung dieser zentralen Forschungslücke zu leisten. @ Das macht ein spezielles Forschungskonzept notwendig. Deshalb wird ein regionales Vergleichsdesign zugrundegelegt, da auf zwei städtisch geprägte Regionen mit wenigen bzw. zahlreichen interethnischen Konflikten ausgerichtet ist. Um das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren zu erfassen, ist es ein weiteres Ziel, daß die verschiedenen Teilanalysen zeitgleich durchgeführt werden. Das zweite Ziel besteht also in der Konzipierung eines eng koordinierten Forschungsvorgehens. © Das Ziel der Analyse des Zusammenwirkens von unterschiedlichen Faktoren im Rahmen eines Vergleichsdesigns mit mehreren zeitgleich ablaufenden Teilprojekten führt zum dritten wichtigen Ziel. Es besteht in der unumgänglichen Notwendigkeit eines interdisziplinären Zuschnitts. Um dieses dritte Ziel zu erreichen, soll von einem integrationsfähigen Grundkonzept ausgegangen werden. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, © Aufgrund dieser Forschungskonzeption erwarten wir neue Möglichkeiten zur Politikberatung. Sie werden sich u. a. dadurch ergeben, daß zum einen Vergleiche zwischen erfolgloser bzw. erfolgreicher Politik, zwischen eskalierenden bzw. deeskalierenden Interventionen sowie zwischen integrativen bzw. ausgrenzenden Lebenskontexten möglich werden. Da durch diesen Ansatz die zu erforschenden Wechselwirkungen erfaßt werden können, erwarten wir neue Anregungen für eine mehrperspektivische Politikberatung. 1994 den 23. bis 25. November 1994 als »2. Bielefelder Konferenz zur ethnisch-kulturellen Konfliktforschung« vorgesehen und wird sich mit dem Thema »Gefahren der Politisierung ethnisch-kultureller und religiöser Differenzen« befassen. 6. Publikationsreihe bei Suhrkamp Zur Publizierung von Forschungsergebnissen zur Thematik ethnisch-kultureller Konflikte ist eine neue Reihe in der Edition Suhrkamp eröffnet. Sie trägt den Namen »Kultur und KonUm diese Ziele zu erreichen, flikt«. Der erste Band zum Thewird die »interdisziplinäre For- ma «Das Gewalt-Dilemma einer schungsgruppe« dazu den Vor- gelähmten Gesellschaft« ist beschlag eines integrierten For- reits erschienen. Der zweite schungskonzeptes erarbeiten, die Band ist in Vorbereitung. Er theAuswahl der Untersuchungsre- matisiert anomische Tendenzen gionen vorbereiten und interes- in der bundesrepublikanischen sierte Wissenschaftlerinnen und Gesellschaft und ihre Zusammenhänge mit der Entstehung Wissenschaftler ansprechen. ethnischkultureller Konflikte. Als internes Diskussionsforurn sollen die Treffen des For- Kontaktadresse: schungsnetzwerkes »Ethnisch- Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, kulturelle Konflikte« dienen. Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik, 33501 Bielefeld 5. Kontinuierliche Tel.: 0521/1106-3164 Tagungen Zur breiteren fachwissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion mit thematischen Schwerpunkten wird jährlich eine größere Tagung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld durchgeführt. Die nächste Tagung, die von der Universität Bielefeld und dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung gemeinsam durchgeführt wird, ist für ter in der kommunalen Umweltberatung tagtäglich auseinanderzusetzen haben. Wie diese abgebaut werden können und welche Zukunftschancen dieser Dienstleistungsbereich generell besitzt, will nun der Wissenschaftsladen Gießen in einem praxisorientierten Forschungsprojekt herausfinden. In dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt maßgeblich geförderten Vorhaben - von ihr kommen 75 Prozent der veranschlagten 180000 Mark - soll in den kommenden zwölf Monaten herausgefunden werden, wie effektiv Umweltbeauftragte oder Umweltberater bisher innerhalb eines Verwaltungsgefüges überhaupt arbeiten konnten. In einer Bestandsaufnahme, an der sich neun Kommunen beteiligen, soll laut Projektleiter Ulrich Pfister „mehr Übersicht in das Dickicht des nicht abgegrenzten und gesetzlich verankerten Berufsbildes der Umweltberatung kommen". Als Kooperationspartner des Wissenschaftsladens ist das Institut für Agrarsoziologie der Gießener Universität wissenschaftlicher Begleiter. In Intensiv-Interviews werden die Umweltberater zu ihrem Arbeitsfeld und ihren Schwerpunkten befragt. Denn obwohl eine rechtliche Definition der Tätigkeit noch aussteht - weder Qualifikation Schleppende Öffentlichkeitsar- noch Gehalt sind zur Zeit einbeit und unzureichende Möglich- heitlich festgelegt -, sind die Ankeiten zur qualifizierten Weiter- forderungen an diesen Job stetig bildung sind nur einige der De- gewachsen: die vielen Informafizite, mit denen sich Mitarbei- tionen aus Wissenschaft, Tech- • Defizite in der Umweltberatung F'-'R^THUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, nik und gesetzlichen Vorgaben wollen erst mal sortiert sein. den und Honorare zusammengetragen. Möglicherweise kann dieser „Überforderungssituation" mit einem Verbundmodell verschiedener Kommunen begegnet werden. Die Untersuchung will diese Idee mit Inhalt füllen. Denn die Verantwortlichen legen großen Wert auf eine „Übertragbarkeit" der so gewonnenen Ergebnisse. In Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Vetreterlnnen von Behindertenorganisationen, Kirchen, Universitäten, den Grünen und anderen politischen Gruppen unterstützt und initiiert das Archiv Kampagnen gegen bioethische Institute und Netzwerke, gegen die Kolonialisierung des menschlichen Leibes in der Transplantationsmedizin, gegen die bioethische Konvention in Europa, gegen Patentierung der Natur und Freisetzungsexperimente. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 19. Juli 1994. Netzwerke Initiativen gegen Gentechnologie Genarchiv Essen / Impatientia e.V.: Mit eigenen Veranstaltungsreihen im Genarchiv, die sich nicht nur mit der herrschenden Gesundheitspolitik und Technologieentwicklung befassen, werden auch Möglichkeiten eröffnet, sich praktisch vom medizinischtechnischen Komplex zu distanzieren. Die Unterstützung von Nicht-Regierungs-Organisationen zur medizinischen Versorgung in Chiapas (Mexiko) ist ein weiteres Feld politischer und praktischer Arbeit. 1994 nologien, Gen- und Fortpflanzungstechnologien zu fördern, wurde 1986 das gen-ethische Netzwerk gegründet. Dieser Verein ist ebenfalls eine politisch und finanziell unabhängige Informations- und Kontaktvermittlungsstelle für alle interessierten Menschen und Organisationen. In Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Gruppen ist eine Freisetzungs-Koordinierungsstelle eingerichtet worden. Die Kampagne „Kein Essen aus dem Genlabor" wird maßgeblich vom gen-ethischen Netzwerk getragen. Auch hier steht Interessierten ein Archiv zur Verfügung. Der Gen-ethische Informationsdienst ist eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift, die als Diskussionsforum der bestehenden kritischen Öffentlichkeit dient. Gen-ethisches Netzwerk/ Genethischer Informationsdienst, Schöneweiderstr. 3, 12055 Berlin, Tel.Gen: 030/6857073, Tel. GID: 030/6856088 Seit Mitte der 80er Jahre sind im Genarchiv Meinungen und Informationen zu den unterschiedlichsten AnwendungsgeFINRRAGE (Internationabieten und Gesichtspunkten der Genarchiv Essen /Impatientia les Feministisches Gen- und Fortpflanzungstechno- e.V., Friederikenstr. 41, 45130 Netzwerk gegen Genlogien gegen Kopier- und Porto- Essen, Tel. 0201/784248, Öffund Fortpflanzungskosten zu bekommen. Dienstags nungszeiten: Di und Do 14.00 technologien) und donnerstags ist das Archiv 18.00 Uhr für Besucherinnen geöffnet. Das FINRRAGE wurde 1984 gevorhandene Material wird von Gen-ethisches Netzwerk gründet, mittlerweile sind Frauden Mitarbeiterinnen auch für en in 35 verschiedenen Ländern und Genethischer Veröffentlichungen, Seminardiesem Netzwerk verbunden. Informationsdienst und Referatsvorbereitungen geDie internationale Koordination nutzt. Um die notwendige kritische öf- ist z.Zt. in Hamburg situiert, die Das Archiv ist politisch und fi- fentliche Diskussion über An- nationalen Kontakte in den einnanziell unabhängig, die laufen- wendungsbereiche, Ziele und zelnen Ländern versuchen die den Kosten werden durch Spen- Gefahren der modernen Biotech- Kampagnen, Informationen und FORSCHUNGSJOURNAL N S B , T~ " ITLFT 4, Diskussionen in ihren Zusammenhängen zu verbreiten. Schwerpunkt der Arbeit sind insbesondere internationale Bevölkerungspolitik, Gentechnologie in der sogenannten 3. Welt sowie die Reproduktionstechnologien. FINRRAGE kooperiert mit anderen Frauennetzwerken und stellt in größeren Abständen Informationspakete zur Verfügung, die sich mit o.g. Themen und dem Frauen widerstand auseinandersetzen. 1994 Analysen Junge Frauen in der SPD Thesen: 1. Politische Beteiligungsbereitschaft und Beteiligungsformen junger Frauen sind bislang selten Thema der Wissenschaften, der Medien, der Organisationen. Distanz und Rückzug scheinen zuzunehmen. Um ein Beispiel zu Baseler Appell gegen nennen: Die Wahlbeteiligung der Gentechnologie jungen Frauen im Alter von 18 Der Baseler Appell ist eine bis 24 Jahren lag bei den Euroschweizerische Organisation, die pawahlen 1994 bei etwa 50%. sich ebenfalls die kritische Öffentlichkeitsarbeit und die Orga- 2. Die SPD hat als erste deutnisation von Kampagnen gegen sche Partei eine repräsentative Patentierung und Freisetzungs- innerparteiliche Befragung junversuche zur Aufgabe gemacht ger Frauen (16-28 Jahre) durchhat. Sie kooperiert sowohl mit geführt. Die Untersuchung anderen schweizerischen als knüpft an eine allgemeine Mitauch bundesdeutschen Vereini- gliederbefragung (1991) sowie gungen. Der regelmäßig erschei- eine Seniorenbefragung (1993) nende Pressespiegel des Baseler an. Alle drei Untersuchungen Appells erscheint 4 x jährlich. sind Ausdruck eines Verständnisses als „lernende OrganisatiBaseler Appell gegen Gentechon" - auch im Wahljahr. Alle nologie, Pf. 74, 4007 Basel Befragungen werden öffentlich diskutiert und es werden KonseNOGERETE quenzen gezogen. ist die nationale feministische Organisation der Schweiz gegen 3. Auf der Grundlage von rund Gen- und Fortpflanzungstechno- 2200 ausgewerteten Fragebögen logien. Nogerete kooperiert u.a. hat die SPD einen Überblick mit FINRRAGE und anderen über das Profil ihrer jungen schweizerischen Frauenorganisa- weiblichen Mitglieder gewontionen wie Antigena (Frauen- nen: Auskunft über Qualifikatiogruppe gegen internationale Be- nen und Motivationen, über völkerungspolitik) und MOZ Rückzug und Aktivitätsmuster, (Mutterschaft ohne Zwang). über persönliche und politische Wünsche. • E U 4. Die Studie spricht einerseits von Enttäuschungen und Kritik junger Frauen. Sie sagt aber auch: Die jungen Frauen sind hochqualifiziert und überdurchschnittlich aktiv. Sie sind nicht nur bereit, Verantwortung zu übernehmen, sondern trauen sich auch Durchsetzungskraft und Führungsstärke zu. Sie wollen gestalten und sind in ihren Anforderungen an politische Arbeit moderner als junge Männer und andere Altersgruppen. 5. Rund 14500 junge Frauen gibt es in der SPD, mehr als in jeder anderen Partei. Wie kann ihre Partizipation gefördert, wie können und müssen die Parteien gefordert werden? Die Untersuchung ist gedacht als Einstieg für ein mittelfristig angelegtes Projekt der SPD „Engagement und Partizipation junger Frauen". Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung sind dokumentiert und durch weitere Daten ergänzt - in der Ausgabe 7 der Schriftenreihe Jugendpolitik des SPDParteivorstandes. Die Veröffentlichung trägt den Titel: „Junge Frauen in der Volkspartei SPD". Sie kann beim SPD-Parteivorstand, Ollenhauerstr. 1, 53113 Bonn, bestellt werden. Teile sind auch veröffentlicht in: Regine Hildebrandt / Ruth Winkler (Hrsg.): Die Hälfte der Zukunft. Lebenswelten junger Frauen, Köln (Bund-Verlag) 1994, 218 Seiten. m ~ IGSJOURNAL N S R . T., Brieffach. Sie ist damit Tag und Nacht aus jedem Teil der Welt erreichbar und das in kürzester Zeit. Zu Hause braucht man dazu lediglich irgendeinen Computer, ein Modem (ca. 150 Mark) und In Frankfurt gibt es seit ein paar einen Telefonanschluß. Das Monaten eine Mailbox für Frau- ebenfalls nötige Kommunikationsprogramm liefert Femail koen: Femail. stenlos. Selbst Frauen, die keiNicht leicht zu finden, versteckt nen Computer besitzen, können in einem Hinterhaus der Frank- sich einklinken. An jedem ersten furter Hohenstaufenstraße liegen Dienstag im Monat hat das Komdie Räume des „Ersten elektro- munikationscafe in den Büros nischen Fraueninformationssy- von Femail geöffnet. An diesem Tag können die dort installierstems Femail". ten Computer genutzt werden Schon im Oktober '93 gründeten Claudia Gembe und Jutta 70 bis 80 Frauen beteiligen sich Marke die erste Mailbox nur für derzeit in Hessen an diesem InFrauen, eine Art elektronisches formationsnetz. Rechnet sich Postfach, das Informationen das? Martina Hammel seufzt: schnell und ohne Umwege in den „Nicht so gut. Femail ist ein einheimischen Computer befördert. getragener Verein. Alle, die mitarbeiten, tun das ehrenamtlich. Eine Mailbox nur für Frauen, ist Wir betreuen einige Projekte, das nötig? Martina Hammel, In- zum Beispiel eines der Techniformatikerin aus Darmstadt und schen Universität Darmstadt, aktive Unterstützerin von aber die Mittelkürzungen der Femail: „Natürlich haben wir die Kommunen gerade bei FrauenMailbox nicht erfunden; es gibt projekten machen uns natürlich viele derartige Systeme. Sie sind schwer zu schaffen." von Männern dominiert und deshalb auch von männlichen In- Einen Ausweg bietet möglicherformationsangeboten geprägt. weise ein neues Angebot des Bis hin zum Sexismus. Da woll- Softwarehaus: Nah- und Fernunten wir Abhilfe schaffen." So terricht zur Qualifizierung für hätte Femail zum Beispiel, da Frauen, eine EDV-Einführung sind sich alle im Softwarehaus mit MS-DOS und Datenferneinig, am 8. März die Organisa- übertragung. Der Unterricht bietion des Frauenstreiktages we- tet eine Kombination von 16 sentlich erleichtert. Stunden Nahunterricht im Frankfurter Softwarehaus oder vor Ort Und wie funktioniert das System und 60 Stunden Fernunterricht Mailbox? Jede Teilnehmerin, die mit eigens dafür entwickelten Der den jährlichen Förderbeitrag von Unterrichtsmaterialien. 120 Mark entrichtet, bekommt zweimonatige Kurs kostet 720 ein Paßwort für ihr persönliches Mark, fachgerechte Betreuung Bericht Frauen-Mailbox und die Nutzung eines eigenen elektronischen Postfachs während der Dauer des Kurses sind garantiert. Infos: Femail c/o Softwarehaus von Frauen für Frauen und Mädchen e.V., Hohenstaufenstr.8, 60327 Frankfurt. Telefon: 069/ 7411405. Forschungs b e ric ht Jugend mit konservativen Vorstellungen In Deutschland, Skandinavien und den Beneluxländern igelt sich die Jugend am liebsten in den eigenen vier Wänden ein. Angesichts der lokalen und globalen Probleme blicken die „jungen Eremiten" überaus pessimistisch in die Zukunft. Das ist das Ergebnis der Studie „Teenager of the World" des Instituts IVE Research International, Hamburg. Befragt wurden 13- bis 18jährige in 27 Ländern. In insgesamt 112 Gruppendiskussionen und 70 Experteninterviews kristallisierten sich fünf Typologien heraus, die die wichtigsten jugendkulturellen Trends zusammenfassen. So teilen die „hoffnungsvollen Skeptiker" mit den „Eremiten" das Bedürfnis nach einem stabilen, überschaubaren Umfeld. Dennoch meint diese Gruppe, FORSCHUNGSJOURNAL N S R . In daß „am Ende schon alles gutgehen wird". Diese etwas blauäugigen Teenager sind vor allem in den USA, Italien, England oder Frankreich zu Hause. Ilm " 1°0! i T a g u n g s b e r i c h Zuversichtlich, ein besseres Leben als ihre Eltern zu führen, zeigen sich die, jungen Optimisten" in China, Rußland, Indien und einigen afrikanischen Ländern wie Kenia und Nigeria. Rechtsextremismus als soziale Bewegung? Das Motto der .jungen Hedonisten" lautet: „Don't worry, be happy" - und das am besten in der Freundesclique. Sie leben in Griechenland oder Spanien und grenzen sich mit am stärksten von ihren Eltern ab. Bericht zur gleichnamigen Arbeitstagung der DGS-Sektion 'Soziale Probleme und soziale Kontrolle' in Bremen am 21.122. Oktober 1994. Im Gegensatz zu den genußorientierten Südeuropäern gedeihen in Japan die „behüteten Kinder". Aufgewachsen im materiellen Wohlstand, möchten sie auch als Erwachsene alle Annehmlichkeiten genießen und dabei den Normen ihrer Gesellschaft entsprechen. t Am 21. und 22. Oktober fand in Bremen eine Veranstaltung mit der Fragestellung „Rechtsextremismus als soziale Bewegung?" statt, ausgerichtet von der 'wiederbelebten' Sektion 'Soziale Probleme und soziale KontrolInsgesamt gewinnen traditionel- le' der Deutschen Gesellschaft le Werte - ein guter Job und Fa- für Soziologie und dem Institut milie - an Boden. Gegen elterli- für empirische und angewandte che Werte zu rebellieren ist Soziologie (EMPAS). 8 Referen„out". Eine Herausforderung für ten unternahmen für etwa dopdie Marketingplanung ist, resü- pelt soviele Teilnehmer den Vermiert das IVE, den „instinktiven such, sich dieser Fragestellung Optimismus" freizulegen und aus unterschiedlichen Richtungen anzunähern. Vorweggenom„neue" Werte auszugraben. men sei jedoch, daß der unmittelbar an dieser Fragestellung Quelle: W&V News, 17/94 gemessene Ertrag von Referaten und Diskussion deutlich hinter den gesteckten Erwartungen zurück blieb. Allein der Beitrag von Thomas Ohlemacher - in Grundzügen den Thesen seiner m Veröffentlichung in diesem Heft folgend - machte ernsthafte Anstalten, sich der eigenüichen Fragestellung überhaupt zuzuwenden, wenn auch mit negativem Befund (siehe dazu auch unser Editorial). Gleichwohl vermochten auch die anderen Arbeiten im Kontext von Rechtsextremismus, multikultureller Gesellschaft, Jugend und Gewalt durchaus interessante Einsichten und Anregungen zu vermitteln. So machte Reinhold Sackmann in seinem Eröffnungsvortrag „Nationalstaat und Gewalt - in soziologischer Sicht" darauf aufmerksam, daß nach der Pazifizierung politischer Gewalt durch das staatliche Gewaltmonopol versucht werden sollte, auch im internationalen Bereich ein weltweites Gewaltmonopol zu errichten - freilich eine Utopie (noch), wie Sackmann selbst zugestand. In diesem Sinne verstand auch Karlhans Liebl in seinem Referat „Babylonia - der Traum vom besten Staat" die Idee der multikulturellen Gesellschaft, da es paradox sei, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der jeder Kultur das uneingeschränkte Recht auf freie Entfaltung zugestanden werde, ohne daß damit nicht unlösbare Probleme und Konflikte im interkulturellen Verhältnis vorprogrammiert wären - man denke nur an Menschenrechte und Islam. Mehr auf den Bewegungscharakter rechter Gewalt bezogen, versuchte Hans W. Giessen anhand einer Analyse von Poptexten mit rechtsextremen Symbolgehalten klar zu machen, daß „Der My- TV'rSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, IT thos vom Strohfeuer", d.h. der Versuch, diese Phänomene als 'Eintagsfliege' zu verharmlosen, übersieht, daß diese Texte auf eine mehr als 15-jährige Tradition zurückblicken, angefangen mit den provokativen Vorstößen von Bands wie 'Ton, Steine, Scherben' oder 'Deutsch-Amerikanische Freundschaft', die Anfang der 80er Jahre als Tabubrecher fungierten und rechtsextreme Symbole (unfreiwillig) wieder gesellschaftsfähig machten. Gegenüber diesem genealogischen Verfahren ging es bei dem Vortrag von Friedrich W. Stallberg über „Stigma und Ächtung" eher um eine kritische Soziologisierung der „soziologischen Interpretation des Rechtsextremismus" insofern, als Stallberg überzeugend nachwies, wie selbst die (zumeist) linkslastige Behandlung dieser Problematik stigmatisierend auf das Phänomen wirkt und sich deshalb fragen lassen muß, wie es um ihre 'Werturteilsfreiheit' (Weber) bestellt ist, und welche 'perversen Effekte' (Crozier/Friedberg) dieses Vorgehen möglicherweise mit sich bringt. In eine ähnliche Richtung stieß übrigens auch der Beitrag von Peter Loos, dem es um die „Funktion von 'Ideologie' bei Anhängern der 'Republikaner' und bei rechten Jugendlichen" ging. Seine These war, daß rechtsextreme Jugendliche und Parteianhänger Protest gegen die 'Fremdbestimmung' am Arbeitsplatz und im Alltag geltend machen würden. Auffällig sei dabei vor allem, daß es diesen Personen mehr als anderen schwerfalle, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich in die Situation anderer (nämlich ihrer Opfer) hineinzuversetzen, was ihre rechtsextreme Einstellung noch bestärken würde. Eher vergleichend beschäftigte dagegen Ronald Matthyssen „Die fehlende Nationalidentität und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung" am Beispiel Hollands. Bemerkenswert war dabei vor allem, daß Matthyssen selbst Holländer - den Versuch unternahm, das Selbstbild der Holländer als tolerant, weltoffen und ohne rassistische Neigungen als Selbsttäuschung zu entlarven. Interessant war aber auch sein Hinweis, daß rechtsextreme Bestrebungen und Gewaltausschreitungen in der holländischen Gesellschaft kaum eine Verbreitungschance hätten, wenngleich bis zuletzt unklar blieb, weshalb gerade Niederländer davor gefeit sein sollten. daß bei Nichteintreten von Erfolgen die finanzielle Unterstützung wieder entzogen wird und der Berufsstand damit institutionell gefährdet ist. Nicht zuletzt sollte der 'Moral' der Wissenschaft eine stärker selbstbeschränkende Wirkung auf die Wissenschaftler eingeräumt werden, um in Anbetracht der Vielzahl von Veröffentlichungen nicht bloß grobe Vereinfachungen und zu einfache Lösungen zu produzieren. Als Resümee dieser Tagung, die gut organisiert war und in angenehmem Ambiente und lockerer Atmosphäre stattfand, läßt sich festhalten, daß es auch nach dieser Tagung - wie schon nach der Tagung im Wissenschaftszentrum Berlin Anfang Mai - weiterer Klärung bedarf, was es mit der Frage „Rechtsextremismus als soziale Bewegung?" auf sich hat. Zuletzt setzte sich Thomas Küche in seinem Beitrag „Interven- Kai-Uwe Hellmann, Berlin tionen, Evaluationsmaßstäbe und Artefaktbildung: Zur gesellschaftlichen Konstruktion von Rechtsextremismus" kritisch mit der aktuellen sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Phänomen auseinander. Sein Fazit war, daß in hohem Maße Berufsinteressen dazu führen, die Behandlung dieser Thematik einer inflationären Zersetzung auszusetzen. Überdies führe das 'Stammesdenken' der einzelnen Schulen zu einer partiellen Blindheit den eigenen Mängel gegenüber und zur Verwirrung der politisch-institutionellen Auftraggeber. Das könnte schließlich aber zur Folge haben, FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Materi Info I L _ _ Weiterbildungsangebot Detaillierte Informationen über alle wissenschaftlichen Weiterbildungsveranstaltungen enthält das Verzeichnis „Weiterführende Studienangebote an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland - Aufbaustudien, Zusatzstudien, Ergänzungsstudien, Weiterbildende Studien". Die von der Hochschulrektorenkonferenz jährlich herausgegebene Dokumentation kann in den Studienberatungsstellen, Akademischen Auslandsämtern und zentralen Bibliotheken der Hochschulen eingesehen werden; eine B u c h ausgabe ist im K . H . Book Verlag erschienen. Interessenten mit Zugang zum Internet können das Weiterbildungsangebot auch über das elektronische Informationssystem der Universität Münster INF O R M („telnet comix.unimuenster.de", login „inform") oder mittels Modem vom heimischen P C unter 0251/ 897611 abrufen. Bücher statt Waffen Lernen ohne Bücher ist verdammt schwer, hat sich 1994 der Eritreische Kinder- und Jugendtreff in Frankfurt am Main gedacht und eine beispielhafte Hilfsaktion ins Leben gerufen. Um die vom Krieg gebeutelten Schulen des ostafrikanischen Landes zu unterstützen, sammelten sie zwölf Tonnen englischer Lehrbücher und stehen jetzt vor einem Transportproblem. Ihnen fehlt das Geld für den Transport zum Verschiffungshafen und die schwierige Verteilung innerhalb Eritreas. Spendenkonto „Bildung in Eritrea": Ökobank Frankfurt am Main, Nr.: 101 573 66, B L Z 50090100, Stichwort „Bücher statt Waffen". Studienangebot: Ecosign Ecosign heißt eine neue Akademie in Köln. Ziel des Akademie-Konzeptes ist, Design mit Ausrichtung auf Ökologie zu lehren. Das gebührenpflichtige Studienangebot richtet sich an mindestens 18 Jahre alte Interessenten mit Hoch-, Fachhochschulreife oder einer entsprechenden Berufsausbildung. Informationen und Anmeldung: Ecosign, Maarweg 68, 50933 Köln, Telefon 0221/5461332. Bischöfe für ökologischen Umbau Für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft hat sich die katholische Deutsche Bischofskonferenz ausgesprochen. Die Industriestaaten sollten dabei vorangehen, heißt es in einer Studie, die von der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Bischofskonferenz herausgegeben wurde. Der Mitautor und Dresdner Bischof Joachim Reinelt betonte, ohne veränderte Wohlstandsmodelle und ein entsprechendes Umdenken sei in Zukunft nichts mehr zu machen. In der Studie, zu deren Autoren der Kölner Volkswirtschaftler und frühere Vorsitzende des Rates der „Fünf Weisen" Hans Karl Schneider und der Sozialwissenschaftler Franz Furger gehören, wird unter anderem für ein Tempolimit, schadstoffbezogene Kfz-Steuer und höhere Mineralölsteuern plädiert. Um den Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid zu verringern, wird eine C O - S t e u e r gefordert. z Neue Zeitschrift FIAN, die „Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren", hat eine neue Zeit- FORSCHUNGSJO l < \ schritt herausgegeben. „FOOD F I R S T " will vierteljährlich Aspekte der entwicklungspolitischen Diskussion aus dem Blickwinkel der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte beleuchten. Exemplare sind nach Z u s e n dung von drei Mark Portoerstattung erhältlich bei FIAN, Overwegstraße 311 44625 Herne. Frauenforschung in Deutschland Eine umfangreiche Analyse zur Frauenforschung in der Bundesrepublik hat die in Bonn ansässige Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) anläßlich ihrer kürzlich abgehaltenen Jahresversammlung vorgelegt. Die von der D F G - S e n a t s k o m mission für Frauenforschung erarbeitete Untersuchung listet auf, zu welchen Themen eine besondere Forschung nötig wäre, so u. a. zur Veränderung der G e schlechterrollen, zum W a n del der Lebensformen und der Lebensverläufe von Frauen, zu Körperlichkeit und Geschlechterpolitik und zu nationalen und internationalen Perspektiven der Frauenbewegung. Die A n a lyse - eine wahre Fundgrube (nicht nur für Frauen!) gibt zu wichtigen sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen (u. a. Familiensoziologie, Bildungsforschung, Recht, Gesundheitsfor- schung) einen Überblick über Aufgaben und Stand der Forschung, nennt deren Schwerpunkte und die jeweils als besonders augenfällig angesehenen Desiderata. W a s Frauenforschung sei und durch wen sie ausgeführt werden könne, wird nicht ausschließlich auf Wissenschaftlerinnen oder weibliche Interessen in Politik und Wissenschaft zurückgeführt, wohl aber wird der starke Antrieb feministischer Ansätze für Forschung und aktuelle Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten hervorgehoben. Hinter den Ansätzen in den angelsächsischen Ländern oder Frankreich, so die DFG-Untersuchung, bleibe die Frauenforschung in Deutschland derzeit noch weit zurück. Beigefügt ist dem Buch eine Auflistung über die gegenwärtig in Deutschland installierten 70 Frauenforschungsprofessuren, davon 38 in NordrheinWestfalen, zehn in Berlin und sieben in H e s s e n . Der Freistaat Bayern fehlt in dieser Auflistung. Quelle: Das Parlament, Nr. 31 vom 5. August 1994, S. 24 Dokumentation Uns reicht's - unter diesem Titel ist eine Dokumentation des D G B über den FrauenProtestTag erschienen. Die \"SR. . TTl . Dokumentation beschreibt anschaulich Aktionen von Frauen am 8. März auf Straßen, Plätzen und in Betrieben. Zu beziehen ist das Heft über die Abteilung Frauen der Bundesvorstandsverwaltung des D G B , Postfach 101026, 40001 Düsseldorf. Rechtsratgeber Einen „Rechtsratgeber für Frauen in Lebensgemeinschaften" haben jetzt die drei Rechtsanwältinnen Sybille von Carnap, Barbara Henrich und Marie-Luise R u dolph herausgegeben (Konkret Literatur Verlag, Hamburg). Auch wer nicht vor einen Standesbeamten getreten ist, lebt deswegen mit seinem Partner nicht in einem rechtsfreien Raum. Wer erbt zum Beispiel im Todesfall? Wer darf Entscheidungen treffen, wenn ein Partner einen Unfall erleidet? W a s wird mit den nichtehelichen Kindern? Auf alle diese Fragen gibt es klare Antworten, die Kapitel sind übersichtlich gegliedert. AG SPAK Die A G S P A K (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise) ist ein selbstorganisierter Zusammenschluß von sozialpolitischen Personen und Gruppen. In FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, der A G S P A K versuchen diese engagierten Gruppen und Einzelpersonen gemeinsam auf Unrechts- und Benachteiligungssituationen von gesellschaftlichen Gruppen zu reagieren; nicht nur theoretisch, sondern auch, indem konkret an Verbesserungen und Veränderungen mitgearbeitet wird. Kommunikation, Erfahrungsaustausch, Diskussion und Reflektion von Theorie und Praxis der sozialpolitischen Arbeit wurden im Laufe der Zeit zu festen Bestandteilen der Arbeit in der A G S P A K . Benachteiligte wollen die Erstellung von Konzepten nicht allein außenstehenden Experten überlassen. Veranstaltungen der A G S P A K bieten Möglichkeiten, um praktische und theoretische „Konzepte von unten" mitzuentwickeln. Die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen können so reflektiert und theoretisch untermauert wiederum zur Veränderung der Praxis führen. Seit über 20 Jahren ist die A G S P A K engagierte Mitstreiterin in der sozialpolitischen Diskussion. Weitere Informationen sowie ein Verzeichnis der von uns herausgegebenen Bücher und Broschüren erhalten Sie bei: AG SPAK Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise Adlzreiterstraße 23 D-80337 München 1994 Aufklärung als Spiel Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat ein Computerspiel „Let's talk about... Liebe, Lust und Aids" herausgebracht, das vor allem Jugendliche und junge Erwachsene informieren soll. Wie die Zentrale bekanntgab, befinden sich neben dem Spiel auf der Diskette rund 30 Stichwörter, die über Bildschirm oder Ausdruck abgerufen werden können. Themen seien HIVInfektion, Prostitution und Verhütung, ein Lexikon zur Sexualität und Literaturempfehlungen. Die Diskette kann bei der Bundeszentrale in 51101 Köln unter der Bestellnummer 707 200 00 kostenlos angefordert werden. Ratgeber Methoden Es gehört zu den Kernmerkmalen von Initiativgruppen und alternativen Projekten, daß sie ihre Arbeit und damit auch das eigene Lernen selbst organisieren. Für dieses Lernen in Eigenregie und für die Entwicklung der problemübergreifenden Qualifikationen wie Verhandlungsführung, Rhetorik oder Öffentlichkeitsarbeit bedarf es geeigneter Methoden und Anleitungen. Der soeben erschienene »Ratgeber Methoden« von Theo Bühler und Renate Rieger konzentriert sich auf zehn methodische Problem- felder und Handlungsansätze. Neben einer kurzen thematischen Einführung zur ersten Orientierung werden siebzig ausgewählte Bücher mit vielfältigen Analysen und Anleitungen vorgestellt. Das angesprochene Methodenspektrum umfaßt die Z u s a m menarbeit und Arbeitsorganisation, die Außenwirkung bei Zielgruppen und in der Öffentlichkeit und die kreative Weiterentwicklung der Arbeit. Bei der Verbesserung der Zusammenarbeit und »inneren Effezienz« beispielsweise helfen praktikable K o m m unikations- und Kooperationsregeln, wirksame Moderations- und Entscheidungsverfahren und ebenso Instrumente, mit denen Streß bewältigt und Konflikte z u friedenstellend gelöst werden. Ratgeber Methoden. Ein Wegweiser zu erfolgreichen Arbeitsformen in Initiativen und Projekten, Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 9, Verlag Stiftung MITARBEIT, Bonn 1994, 96 S . Weiterbildung Einmal erworbenes Wissen veraltet schnell und reicht längst nicht mehr für das gesamte Berufsleben aus. Das haben inzwischen auch die Hochschulen erkannt und deshalb ihr Angebot an wissenschaftlicher Weiterbil- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, dung in den vergangenen Jahren ausgebaut. Wie umfangreich dieses inzwischen ist, zeigt jetzt die neueste Auflage des Handbuches „Weiterführende Studiengänge an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland", das über 1100 Aufbau-, Ergänzungsund Zusatzstudiengänge aufführt. Der von der Rektorenkonferenz herausgegebene Band liegt in den Zentralen Studienberatungsstellen, Akademischen Auslandsämtern und Hochschulbibliotheken aus und ist auch im Buchhandel erhältlich (Verlag K. H. Bock, B a d Honnef). Te r m i n e Kriminalpolitische Bewegung Im Rahmen einer Tagung „Bestandsaufnahme der kriminalpolitischen B e w e gung in der B R D und deren Vernetzungsstrukturen", die in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Initiativen in der Staffälligenarbeit (BAG) organisiert wird, soll versucht werden, an den früheren Arbeitsansatz des Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KRAK) und der B A G anzuknüpfen und gemeinsam mit ehemalig und derzeit Aktiven aus dem Bereich eine B e standsaufnahme über die aktuelle kriminalpolitische Bewegung und deren Vernetzungsstrukturen in der B R D vorzunehmen und gemeinsam zu überlegen, ob und welche Kooperationsstrukturen sinnvoll sind. Termin: 25.-27. November 94, Bildungsstätte Altes Amtsgericht, Fronhausen/ Lahn einer Studie über das Marketing- und Kooperationsverhalten ökologisch innovativer Kleinunternehmen. - Anwendung der Instrumente des Marketingmix unter ökologischen und kooperativen Gesichtspunkten, theoretisch und an praktischen Beispielen - Erarbeitung der Grundzüge von Marketingkonzepten am Beispiel teilnehmender Betriebe (in Arbeitsgruppen) - Darstellung und Analyse interessanter Fallbeispiele von Unternehmen, die dem Anspruch eines Ökologischen Marketings schon weitgehend gerecht werden. Anmeldung und weitere Information: AG SPAK Bundesgeschäftsstelle Adlzreiterstraße 23 D-80337 München Tel. 089/774078 Fax 089/774077 Marketing für Ökologiebetriebe In diesem Seminar geht es um praktische Hilfestellung bei der Entwicklung eigener Marketingansätze. Dabei wird einem Ansatz, der partizipative, kooperative, sich vernetzende Formen des Marketings mit anderen Betrieben, Institutionen und Verbrauchern in den Blick nimmt, eine besondere Bedeutung zugemessen. Zielgruppe des Seminars sind Inhaberinnen, G e schäftsfüherlnnen und Mitarbeiterinnen aus Klein- und Mittelbetrieben der Ökologiebranche und aus entsprechenden betrieblichen Arbeitsgemeinschaften und Unternehmenszusammenschlüssen. Die Themen im einzelnen: - Einstieg: Darstellung empirischer Ergebnisse 1994 Methoden: Vortrag mit Overhead, Gruppenarbeit, Fallbeispiele Leitung: Burghard Flieger, Dipiomvolkswirt und Soziologe Zeit: 6.3.1995, 10.00-18.00 Uhr 7.3.1995, 9.00-17.00 Uhr Ort: Seminarraum in der Werkstatt e.V., Börnestr. 10, 40211 Düsseldorf Preis: 3 0 0 - , 2 4 0 - f ü r netzMitglieder (Preise zzgl. 15% MWst.) Anmeldung: netz Börnestr. 10 40211 Düsseldorf Tel. 0211/1649583 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, z e n s io n e n w e Gesellschaftliche Desintegration und Individualismus: Die HeitmeyerSchule Wilhelm Heitmeyer: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation. Juventa: Weinheim 1987 Wilhelm Heitmeyer / Jörg Ingo Peter: Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt. Juventa: Weinheim 1988 1994 Wilhelm Heitmeyer u.a.: Die Bielefelder RechtsextremismusStudie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher. Juventa: Weinheim 1992 Es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen kapitalistischer Produktionsweise und daraus resultierender kultureller Erosion, verbunden mit Isolation und Minderwertigkeitsgefühlen und der Hinwendung zu rechtsextremen Orientierungen - auf diese Grundposition läßt sich der Ansatz eines Forscherteams um den Bielefelder Pädagogik-Professor Wilhelm Heitmeyer bringen. Rechtsextremismus bei Jugendlichen wird als Folge gesellschaftlicher Veränderungen verstanden, wobei die von Desintegration und Individualisierung Betroffenen als Modernisierungsopfer gelten. Der damit verbundene Ansatz der Heitmeyer-Schule, hier kurz als Modernisierungsopfer-Ansatz bezeichnet, beherrscht die wissenschaftliche wie öffentliche Diskussion um das im Spannungsfeld von Gewalt-JugendRechtsextremismus angesiedelte gesellschaftliche Phänomen: Die seit 1984 von dem Wissenschaftler-Team durchgeführten Untersuchungen wurden weit über die Fachgrenzen sowohl der Erziehungswissenschaften als auch der Rechtsextremismusforschung hinaus rezipiert. Heitmeyer galt fortan als der Experte zum Thema Rechtsextremismus und Jugendliche und konnte seine Positionen nicht nur in Zeitschriften und Sammelbänden, sondern auch in Interviews und Zeitungskommentaren einem breiten Publikum bekannt machen. Inwieweit sein Erklärungsansatz theoretisch tragfähig und von den eigenen und anderen empirischen Untersuchungen gedeckt wird, soll hier problematisiert werden. Die Auseinandersetzung folgt dabei chronologisch den Darstellungen von Heitmeyer, um auch in dieser Form die Entwicklung der Forschung nachvollziehbar zu machen. Heitmeyer und sein ForscherTeam gehen mit einer ausformulierten Theorie an ihre empirischen Untersuchungen heran, eine Ausnahme in der sozialwissenschaftlichen Forschung dieser Art und von daher allein schon anerkennenswert. Rechtsextreme Orientierungen werden in dem Ansatz als gesellschaftlicher „Gegenentwurf' zu einem demokratischen politischen System angesehen, der durch zwei jeweils gekoppelte Grundelemente geprägt sei: zum einen durch die Ideologie der Ungleichheit der Menschen, die gekennzeichnet wird durch nationalistische bzw. völkische Selbstübersteigerung, rassistische Sichtweisen/ Fremdenfeindlichkeit, der Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben und der Behauptung natürlicher Hierarchien, die Betonung des Rechtes des Stärkeren sowie das totalitäre Norm-Verständis, d. h. die Ausgrenzung des „Andersseins"; zum anderen durch die Gewaltper- 94 spektive und -akzeptanz, die gekennzeichnet wird durch die Ablehnung rationaler Diskurse und die Überhöhung von Irrationalismen, die Betonung des alltäglichen Kampfes ums Dasein, die Ablehnung demokratischer Regelungsformen von sozialen und politischen Konflikten, die Betonung autoritärer und militaristischer Umgangsformen und Stile und die Gewalt als normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten. Von rechtsextremistischen Orientierungsmustern soll nach Heitmeyer dann gesprochen werden, wenn beide Grundelemente zusammenfließen (vgl. Heitmeyer 1987, 16). Problematisch ist diese, die ganzen weiteren Forschungen begleitende Definition gleich aus mehreren Gründen. Zum einen findet man die vorgestellten Definitionskriterien auch in anderen politischen Zusammenhängen, so etwa das totalitäre Norm-Verständnis in der Autonomen-Szene, oder im unpolitischen Bereich, so etwa Gewalt als normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten. Darüber hinaus kann Gewalt nicht als einzige Form rechtsextremer Praxis angesehen werden. Dies macht die genannten Kriterien nicht unbedingt für den Untersuchungszusammenhang unbrauchbar, aber eine differenziertere Bestimmung, verbunden mit dem Nachweis der Trennschärfe der genannten Definitionsmerkmale, wäre hier unbedingt notwendig gewesen. Zum zweiten sind die beiden Grundelemente viel zu eng gefaßt und als Bestimmungsfaktoren von Rechtsextremismus in dieser beschränkten Form kaum tauglich. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, So zeigen etwa Untersuchungen zur Anhänger- und Wählerschaft rechtsextremer Parteien, daß diese nur zu sehr geringen Teilen Gewalt als Mittel zur Konfliktregelung bejahen und sie in ihrem Autoritarismus auf den „starken Staat" beschränkt sehen möchten (vgl. Emnid 1989, Dem Tod oder dem Triumph entgegen. Wer wählt rechtsradikal? Die Republikaner und andere Bundesbürger - Ergebnisse dreier SpiegelUmfragen, in: Der Spiegel, Nr. 21/22. Mai, 36-48: 40). Dieses Potential könnte mit der Definition von Heitmeyer gar nicht erfaßt werden, ebenso wenig wie die den „Legalismus"-Kurs fahrenden rechtsextremen Parteien oder die taktisch geschickt auftretenden rechtsextremen Intellektuellen. Überhaupt ignoriert Heitmeyer völlig die bisherigen Definitionen von Rechtsextremismus, sei es von politikwissenschaftlicher oder verfassungsrechtlicher Seite, und setzt relativ willkürlich und ohne gesonderte Begründung die eigenen Kriterien fest. Drittens ist die Definition darüber hinaus zu sehr auf das Untersuchungsobjekt, eben die Jugendlichen der unteren sozialen Schichten, und das Untersuchungsergebnis, Rechtsextremismus als soziales Phänomen, konzentriert und berücksichtigt nicht die facettenreiche Vielfalt des Phänomens Rechtsextremismus. Wichtig und anerkennenswert in Heitmeyers Ansatz ist dem gegenüber die Kritik der organisationsbezogenen Sichtweise in der Rechtsextremismusforschung. Tatsächlich beschränkte sich diese oft auf organisiertes, zielgerichtetes Handeln zum Zweck der 1994 Veränderung von Herrschafts verhältnissen, also auf die Entwicklung von rechtsextremen Gruppen undParteien, ihre politischen Aktivitäten und insbesondere ihre Wahlergebnisse. Soziale Entwicklungsprozesse außerhalb des Organisationsspektrums blieben dabei am Rande der Analyse. Dem gegenüber plädiert Heitmeyer für eine Erweiterung durch die Orientierungsmuster-Perspektive, der es darum geht den Kontext von Bedeutungs veränderungen rechtsextremer Ideologeme in alltäglichen sozialen Lebenszusammenhängen wie in politisch-institutionellen Bereichen zu sehen. Eine genaue Definiton und die Entwicklung eines Untersuchungskriteriums im Sinne dieser Orientierungsmuster-Perspektive findet man bei Heitmeyer allerdings nicht (vgl. Heitmeyer 1987, 23-30) Statt dessen macht er einen argumentativen Sprung und präsentiert als seinen Theorieansatz das sozialisationstheoretische Konzept, das soziale und politische Entwicklungen als Faktoren bei der Identitätsbildung ausmacht. Im Zentrum steht dabei die Einschätzung der, durch die „kapitalistische Produktionsweise" (ebd., 94) ausgelösten, zentralen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die Heitmeyer in Anlehnung an den Soziologen Ulrich Beck im Aufkommen der „Risikogesellschaft" sieht. Die in ihr beobachtbare Individualisierung von Lebenslagen führe zum Verlust der Bindungen an traditionelle Kollektive, Lebensformen und Milieus. Die sich daraus ergebenden neuen Handlungsmöglichkeiten würden, so Heit- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 meyer, nicht genutzt, was insbe- Kultur zu verweisen und nach sondere bei Jugendlichen zu entsprechenden Einflußfaktoren Handlungsunsicherheiten, Ohn- zu fragen. Dies wird aber unterraachts- und Vereinzelungserfah- lassen, und insofern erscheint die rungen führe. Hier sieht er den rechtsextreme Politisierung von Anknüpfungspunkt rechtsextre- durch gesellschaftliche Modermer Ideologien: Verarbeitet wür- nisierungsprozesse zustande geden diese Erfahrungen einerseits kommenem Unmut - wie im durch Identifikation mit einer Selbstverständnis der RechtsexGruppe nach äußeren Merkma- tremisten - als natürlicher Prolen wie „Nation" oder „Rasse", zeß. verbunden mit der Ideologie der Zwar meint Heitmeyer, daß die Ungleichheit und Abwertung von ihm beschriebene EntwickAnderer, andererseits durch die lung Jugendlicher hin zu rechtsAkzeptanz von Gewalt, die Ein- extremen Orientierungen noch deutigkeit schaffe und eine Selbst- durch das Angebot neo-konserdemonstration zur Überwindung vativer Politikkonzepte im öffentvon Ohnmacht sei (vgl. ebd., 63- lichen Diskurs verstärkt werde, 67). da es zu deren rechtsextremer Heitmeyer sieht in seiner Theorie Zuspitzung kommen könnte (vgl. die politische Artikulation emo- ebd., 67-74). Allerdings wurden tionaler Befindlichkeiten in der diese ohnehin nur sehr oberflächbeschriebenen Form offenbar als lichen, das Eindringen solcher Poautomatisch an. Unbeantwortet litikvorstellungen in die Alltagsbleibt dabei die Frage, warum die kultur nicht erklären könnenden sich durch Individualisierungs- Ausführungen nicht gewichtend tendenzen ergebenden neuen in das Bedingungsgeflecht von Möglichkeiten nicht konstruktiv Faktoren für die Herausbildung im demokratischen Sinne genutzt von rechtsextremen Orientierunwerden, etwa durch traditionelle gen integriert. In späteren Veröfoder neue Partizipationsformen. fentlichungen verzichtete HeitGerade das Umschlagen von meyer weitgehend auf die NenUnmut in eine bestimmte politi- nung der politischen Faktoren, sche Richtung, hier die rechtsex- hier besonders bezogen auf politreme, muß erklärt werden. In tische Kultur. Das Wechselverdiesem Zusammenhang verweist hältnis und die Gewichtung von Heitmeyer mit Rekurs auf Beck sozialen und politischen Faktoauf die Überwindung der Indivi- ren blieb aber auch schon in der dualisierungsfolgen durch die ei- ursprünglichen Ausformulierung gentümliche „Konkretheit von des Ansatzes ungeklärt. Naturkategorien" wie „Rasse, Fortan lag der Schwerpunkt der Hautfarbe, Geschlecht" (Heit- Argumentation auf der Identität, meyer 1987,67), die neue Identi- die aufgrund des Bindungsverlufikationsmöglichkeiten böten. stes und der VereinzelungserfahWarum aber nur diese, warum rungen als konsistente, eigenstänfehlen andere? Hier wäre auf das dige Identität nicht mehr herausBestehen oder Fehlen derartiger gebildet werden könne (vgl. ebd., Vorgaben aus der politischen 77-103). Die von den gesell- 95 schaftlichen Modernisierungsprozessen Betroffenen würden somit die soziale Basis für die rechtsextremen Orientierungen bilden, wobei es zwei „Konstellationen" gäbe, in denen rechtsextremistische Tendenzen auftreten würden. Zum einen seien Jugendliche betroffen, die sozialen Ausgrenzungsprozessen unterlägen, was zu Minderwertigkeitsgefühlen und der Suche nach neuen Bindungen führe; zum anderen erwiesen sich auch gesellschaftlich integrierte Jugendliche als anfällig für rechtsextreme Orientierungen, da diese ihre Überlegenheitsgefühle nur durch Abgrenzung erführen (vgl. ebd., 100). Die Beschreibung und Definition beider Gruppen blieb indessen so allgemein, daß sie hinsichtlich der empirischen Überprüfbarkeit kaum tauglich waren. Die Tragfähigkeit von Heitmeyers Ansatz mußte sich nun anhand der Ergebnisse der empirischen Studien zum Thema erweisen. Die erste Untersuchung (1987) wurde 1984 durchgeführt, wies aber allein schon aus methodischer Sicht zahlreiche Mängel auf: Da nur ein geringer Teil der Befragten den Fragebogen vollständig ausgefüllt hatte, war die Repräsentativität der Studie nur ungenügend gewährleistet. Heitmeyer erörtete nicht ausreichend die Formulierung der Einstellungsstatements, mit denen die Zustimmung zu bestimmten rechtsextremen Orientierungen gemessen werden sollte, und konnte so auch nicht exakt klären, ob diese auch das erfassen, was sie erfassen sollten. Darüber hinaus sind Zweifel angebracht, ob die Einstellungsstatements des ^6 Fragebogens in allen Fällen die durchgeführten statistischen Berechnungen zulassen. Allein von daher können bereits erhebliche Einwände gegen die DatenGrundlage der Untersuchung formuliert werden. Irritierend ist in diesem Zusammenhang auch, daß Heitmeyer in der Buchausgabe dieser Studie sein Untersuchungsinstrumentarium nicht ausreichend präsentiert, vor allem fehlt der eigentlich übliche Abdruck des Fragebogens und ein Gesamtüberblick zu den Ergebnissen der Befragung. Damit verletzte Heitmeyer ein Grundprinzip der empirischen Sozialforschung: die intersubjektive Kontrolle und die Nachprüfbarkeit des Verlaufs der Untersuchung war nicht in ausreichendem Maße gegeben. Hier soll es aber nicht um diese zahlreichen methodischen Mängel und auch nicht um die quantitative Einschätzung des rechtsextremen Einstellungspotentials unter Jugendlichen gehen, sondern um die Frage, inwieweit die Untersuchung den beschriebenen Theorie-Ansatz bestätigt. Im Zentrum stehen dabei die Angaben zu den sozialen Besonderheiten der Jugendlichen mit rechtsextremen Orientierungen. Dazu wird von Heitmeyer festgestellt, daß die Jugendlichen, die sozial und beruflich über den Einstieg in einen Ausbildungsplatz integriert waren, überraschenderweise ausgeprägtere rechtsextreme und fremdenfeindliche Postionen vertraten als diejenigen aus der anderen Konstellation (vgl. Heitmeyer 1987, 154 - 159). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Studien, so etwa die Untersuchung einer Tübinger For- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, scher-Gruppe um Josef Held und Rudolf Leiprecht, nach der gutsituierte junge Menschen eher rechtsextreme Positionen vertreten als Jugendliche, die auf der sozialen Leiter ganz unten stehen (vgl. Josef Held u.a. 1991, „Du mußt so handeln, daß Du Gewinn machst..." Empirische Untersuchungen und theoretische Überlegungen zu politisch rechten Orientierungen jugendlicher Arbeitnehmer, Dortmund). Eine u.a. von Dieter Hoffmeister und Oliver Sill durchgeführte Münsteraner Untersuchung zu autoritären Einstellungsmustern bei Jugendlichen stellt fest, daß es keinen Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Versorgtsein gebe; die Instabilen seien sogar etwas weniger autoritär eingestellt als die Stabilen (vgl. Dieter Hoffmeister/ Oliver Sill 1992, Zwischen Aufstieg und Ausstieg. Autoritäre Einstellungsmuster bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Opladen). Ähnliches gilt laut einer Umfrage Leipziger Jugendforscher offenbar auch für ostdeutschejugendliche: „Angst vor Arbeitslosigkeit oder Ausbildungsproblemen schlägt nicht in dem Maße auf Ausländerfeindlichkeit durch, wie manchmal unterstellt wird. Zwischen Schülern, die nach der Schule einen Ausbildungsplatz als völlig sicher, sicher oder als völlig unsicher wähnen, gibt es keine Unterschiede! Lehrlinge, die einen Arbeitsplatz für sich als völlig gesichert ansehen, sind sogar emotional häufiger gegen Ausländer eingestellt, als diejenigen, die dies noch als völlig unsicher ansehen." (Försteru.a. 1992, Jugendlichein Ostdeutschland 1992. Politische 1994 Einstellungen. Rechtsextreme Orientierungen/Gewalt. Verhältnis zu Ausländern/Lebenswerte Lebensbefindlichkeiten, Leipzig, unveröffentlichtes Manuskript 169). Zu den erwähnten Ergebnissen seiner Untersuchung bemerkt Heitmeyer: Darin zeichneten „sich einige irritierende Hinweise ab, die sich an manchen Stellen den gängigen Annahmen entziehen, wenn man z.B. an den mancherorts postulierten Zusammenhang von Minderwertigkeitsgefühlen und rechtsextremistischen Gefolgschaften denkt" (Heitmeyer 1987,156).Dies trifft aber dann auch seinen eigenen Erklärungs-Ansatz, der ebenfalls einen direkten Zusammenhang von Individualisierung und Minderwertigkeitsgefühlen und der Hinwendung zu rechtsextremen Orientierungen behauptete. Heitmeyer verwies zwar in seiner Theorie darauf, daß sich auch bei den scheinbar gesellschaftlich integrierten Jugendlichen rechtsextreme Orientierungen finden würden. Aber wenn deren Verbreitung in dieser Konstellation höher ist als in der der sozial ausgegrenzten Jugendlichen, dann ist der Ansatz von Heitmeyer nicht haltbar. Wie wäre denn sonst erklärbar, daß die materiellen und ideellen „Modernisierungsopfer", also die am stärksten, weil doppelt vom sozialen Wandel betroffenen Jugendlichen eben weniger (und nicht mehr!) anfällig für rechtsextremistische und ausländerfeindliche Orientierung sind. Hinzu kommt, daß Mädchen von den beschriebenen Wirkungen der „Risikogesellschaff'-Individualisierung, Handlungsunsicherhei- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, ten in beruflicher Hinsicht, Ohnmachtserfahrungen, und geringes Selbstwertgefühl - in weit höherem Maße betroffen sind als Jungen. Von daher müßten eigentlich weibliche Jugendliche für rechtsextreme Orientierungen am empfänglichsten sein. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall, wie nahezu alle Untersuchungen zum Themabelegen. Auch Heitmeyer stellt diese geschlechtsspezifischen Differenzen anhand vieler Einzelfragen fest: Junge Frauen blickten skeptischer in die Zukunft als junge Männer und hätten ein stärkeres Unsicherheitsempfinden, gleichzeitig vertraten sie aber weniger autoritär-nationalistische Auffassungen und standen der Gewalt distanzierter gegenüber als junge Männer. Allerdings führte auch dieses Forschungsergebnis nicht zu einer eigentlich notwendigen Korrektur seines Ansatzes. Nach der quantitativ ausgerichteten Studie führte das Wissenschaftler-Team um Wilhelm Heitmeyer auch eine qualitativ ausgerichtete Langzeituntersuchung durch, wobei von 1985 bis 1990 die politische Sozialisation von 31 männlichen Jugendlichen im Alter von 17 bis 21 Jahren beobachtet wurde. Es handelt sich dabei um eine der wenigen in Deutschland bislang durchgeführen Längsschnittuntersuchungen und gleichzeitig um die erste Prozeßanalyse, die sich dem Zusammenhang von Arbeitserfahrungen bzw. der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und rechtsextremen Orientierungen bzw. Handlungen widmet. Hier geht es somit nicht um eine „Momentaufnahme", also die zeitlich eng begrenzte 1994 Erfaßung des rechtsextremen Einstellungspotentials, sondern um die Beobachtung und Einschätzung eines politischen Sozialisationsverlaufs. Heitmeyer folgt hier der berechtigten Annahme, daß in der untersuchten Altersgruppe die politische Entwicklung noch relativ offen und es von daher wichtig ist, Veränderungsprozesse zu verfolgen. Daher bilden auch sieben Fallstudien für bestimmte Entwicklungen typischer Jugendlicher den Kern der unter dem Titel 'Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie' veröffentlichten Untersuchung (vgl. Heitmeyer u.a. 1992, 103467). Dargestellt wird jeweils nach bestimmten Zeitabschnitten aufgegliedert: Ausgangssituation, Arbeitsbiographie, Arbeitserfahrungen und Arbeitsorientierungen, Lebenskontext und Milieu, Sozialerfahrungen und Sozialbeziehungen, Erfahrungen mit der Politik, politische Erfahrungen und Orientierungen so wie die Entwicklungslinie der Ideologie der Ungleichheit und Gewaltakzeptanz. Auch dieser Langzeituntersuchung ist der theoretische Ansatz von 1987 vorgeschaltet (vgl. Heitmeyer u.a. 1992, 13-48). Da dieser von sozialwissenschaftlicher Seite durchaus nicht nur positiv rezipiert, sondern auch stark kritisiert wurde (vgl. oben), verwundert es doch, daß Heitmeyer kaum Korrekturen an seiner Theorie vornahm. Offenbar beachtete er die Kritik auch gar nicht; jedenfalls setzte Heitmeyer sich nicht mit den Einwänden gegen seine Arbeit auseinander. Diesbezügliche Veröffentlichungen werden noch nicht einmal in der ausführ- 97 lichen Bibliographie der Buchausgabe genannt. Beim Ignorieren von Kritik unterschlagen Heitmeyer und sein WissenschaftlerTeam sogar eine umfangreiche, ebenfalls qualitativ angelegte Untersuchung zur subjektiven Funktionalität von Rassismus und Ethnozentrismus bei abhängig beschäftigten Jugendlichen, die der Erziehungswissenschaftler Rudolf Leiprecht vorgelegt hat (vgl. Rudolf Leiprecht 1990, „... da baut sich ja in uns ein Haß auf..." Zur subjektiven Funktionalität von Rassismus und Ethnozentrismus bei abhängig beschäftigten Jugendlichen, Hamburg). Kritisch hervorzuheben ist darüber hinaus, daß sich die Untersuchung nur mit männlichen Jugendlichen beschäftigte. Dies ist insofern verständlich, als Männer aller Altersgruppen überdurchschnittlich stärker zu rechtsextremen Einstellungen und Wahlvoten neigen als Frauen. Erklärt wird von Heitmeyer und seinem Wissenschaftler-Team allerdings nicht, warum sich ihre LangzeitStudie nur auf männliche Jugendliche konzentriert. Man hätte weibliche Jugendliche zumindest um vergleichender Analysen willen mit untersuchen müssen, um so Gemeinsamkeiten und Unter-, schiede im Sozialisationsverlauf feststellen zu können, ein Vorgehen, das unter Umständen zu wichtigen Erkenntnissen geführt hätte. ; Zusammenfassend kommt die Untersuchung zu folgenden Ergebnissen (vgl. Heitmeyer u.a. 1992, 590-604): Nicht die „Analogiethese", wonach rechtsextreme Jugendliche nur nationalsozialistische Gedanken wiederhol- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, ten, und auch nicht die „Verführungsthese", wonach junge Menschen rechtsextremen Agitatoren nachliefen, könnten die große Akzeptanz rechtsextremer Orientierungen bei Jugendlichen erklären. Auch Arbeitslosigkeit sei keine zentrale Ursache für Rechtsextremismus, sondern eine besondere, sachlich-inhaltliche Arbeitsorientierung, die heute aufgrund von Veränderungen in der Bedeutung von Arbeit und internen Veränderungen von Arbeitstätigkeiten etc. lediglich eine formale Integration in den Arbeitsprozeß ermögliche, aber kaum noch einen Wall gegenüber rechtsextremistischen Orientierungen bilde. Auch die formale Intaktheit einer Familie sage nichts darüber aus, ob ein Jugendlicher vor rechtsextremistischen Orientierungen gefeit sei oder nicht. Als entscheidend gilt dagegen, ob stabile und verläßliche Beziehungen ein Gefühl von Geborgenheit aufgrund von Zuwendung und Verständnis vermitteln. Jugendliche mit „instrumentalistischen Arbeitserfahrungen" als auch „instrumentalistischen Beziehungserfahrungen" seien am stärksten für Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft empfänglich. Von daher gehen die Bielefelder Wissenschaftler von einer Instrumentalisierungsthese als wichtigstem Ergebnis ihrer Langzeituntersuchung aus: Instrumentalisierung diene dem Ziel der eigenen Selbstdurchsetzung, um entweder Anschluß, Sicherung oder Aufstieg zu erreichen. Sie habe als Mittel die Verfügung über andere und entwickele sich vor dem Hintergrund der ambivalen- ten Individualisierungsbedingungen in der durchkapitalisierten und hochindustrialisierten Gesellschaft. Die subjektive Sinnhaftigkeit werde gewährleistet durch Ideologien der Ungleichheit, in denen die funktionalen Mechanismen wie Verdinglichung, Entpersönlichung etc. politisch aufgeladen werden. Sie seien die zentralen Voraussetzungen oder Legitimationen für Gewalt in unterschiedlichen Facetten, um diese entlang von Kosten-Nutzen-Kalkulationen anwendbar werden zu lassen. Mit anderen Worten, die rechtsextrem orientierten Jugendlichen handelten extrem nach den Leistungsnormen des Kapitalismus. Also auch hier handelt es sich um eine Theorie, die - allerdings ohne empirische Belege - die letztendlichen Ursachen für Rechtsextremismus in bestimmten Folgen kapitalistischer Produktionsweise sieht. Dies ist aber keine Neuauflage „marxistisch-leninistischer" Faschismus-Theorie, sondern ein Versuch, Rechtsextremismus als soziales Phänomen, eben als Erscheinungsform widersprüchlicher Modernisierung zu deuten. Das Postulat, rechtsextreme Orientierungen seien durch den Kapitalismus verursacht, belegt Heitmeyer allerdings nicht dezidiert; entsprechende Zusammenhänge lassen sich aus seinen Untersuchungen nicht schlüssig belegen. Der von Heitmeyer beschriebene Individualisierungsprozeß ist darüber hinaus kein neues gesellschaftliches Phänomen, sondern bereits im Zusammenhang mit der Industrialisierung feststellbar. Dies hat schon in den sechziger Jahren die So- 1994 ziologen Erwin K. Scheuch und Hans-Dieter Klingemann dazu veranlaßt, den Rechtsextremismus als normale Pathologie moderner Industriegesellschaften zu interpretieren (vgl. Scheuch, Erwin K./Hans-Dieter Klingemann 1967, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Tübingen, 1129). Darüber hinaus widersprechen methodisch breiter angelegte empirische Untersuchungen Heitmeyers Annahmen, wonach die Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt durch strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft bedingt seien. So kommt eine Trierer soziologische Forscher-Gruppe um Helmut Willems bei der Untersuchung von Einstellungen, Täterstrukturen und Konflikteskalation im Zusammenhang mit fremdenfeindlicher Gewalt zu Ergebnissen, die deutlich der Vorstellung widersprechen, „die gegenwärtig in Teilen der Bevölkerung feststellbare höhere Ablehnung von bestimmten Gruppen von Fremden und die auch bei Teilen der Bevölkerung feststellbaren höheren Gewaltbereitschaften hätten sich bereits früh in den achtziger Jahren angekündigt und seien daher als Folge grundlegender Strukturveränderungen von 'durchkapitalisierten' Gesellschaften (Desintegration) zu verstehen (Heitmeyer). Weder läßt sich in den achtziger Jahren eine Zunahmeder Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft insgesamt feststellen, noch hat sich die politisch motivierte Gewaltbereit- 99 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Schaft in diesem Zeitraum dra- werden. Entsprechend mißt Hei tmeyerin Veröffentlichungen zum Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR auch anderen Erklärungsfaktoren die entscheidende Bedeutung bei: „Die Hauptquellen liegen sicherlich im DDRspezifischen Aufwachsen und Leben in autoritären und repressiven Verhältnissen..." (Heitmeyer 1992a, Die Widerspiegelung von Modernisierungsrückständen im Rechtsextremismus, in: Karl-Heinz Heinemann/ Wilfried Schubarth (Hrsg.), Der antifaschistische Staat entläßt seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland, Köln 100-115: 104). Im Osten wird die besondere politische Kultur verantwortlich gemacht, im Westen die kapitalistische Produktionsweise. Hier geraten die Ebenen durcheinander, Widersprüche entstehen, und die Unfähigkeit, einzelne Erklärungsfaktoren in ihrem Wechselverhältnis zu bestimmen und ihren abhängigen bzw. unabhängigen Charakter darin differenziert zu unterscheiden, führen zu einem nur bedingt tauglichen Erklärungsansatz. Mit dieser Kritik soll also der Ansatz der HeitmeyerSchule nicht gänzlich verworfen werden: Er erklärt das Aufkommen von Bindungsverlust, Individualisierung, Orientierungslosigkeit und Unmut, gesellschaftliche Phänomene, die zu rechtsextremen Orientierungen bei Jugendlichen führen können, aber nicht müssen. Es gibt, worauf Heitmeyer selbst hinweist, „weDies dürfte das entscheidende der Zwangsläufigkeiten noch Defizit sein. So kann denn auch vollständig offene Verlaufslininicht das Aufkommen rechtsexen der politischen Sozialisation" tremer Tendenzen in nicht-kapi(Heitmeyer u.a. 1992, 601). Von talistischen Gesellschaften erklärt stisch erhöht" (Helmut Willems u.a. 1993, Fremdenfeindliche Gewalt. Einstellungen, Täter, Konflikteskalation, Opladen 247). Auch in diesem Fall kann also ein deutliches Spannungsverhältnis von Heitmeyers Theorie zur Empirie (seiner eigenen eingeschlossen) festgestellt werden. Trotz der zunächst überzeugend anmutenden argumentativen Geschlossenheit dieser Theorie ist aber auch Kritik methodischer und theoretischer Art angebracht, undzwarinmehrfacherHinsicht: Zum einen erklären die Forscher nicht die Akzeptanz für instrumentalisierende Sozialbeziehungen, sondern setzen sie als selbstverständlich voraus. Zweitens ist die Hinwendung zu Ideololgieelementen der extremen Rechten in einer als krisenhaft und widersprüchlich empfundenen gesellschaftlichen Entwicklung kein natürlicher Prozeß, sondern abhängig von anderen Faktoren, die diese besondere politische Orientierung erklären. Drittens ignoriert die Theorie jene Rahmenbedingungen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft auch befreiend und emanzipierend wirken können, etwa hinsichtlich Individualisierung. Und viertens sieht der Ansatz gesellschaftliche Faktoren einseitig auf der sozialen Ebene; derBereich der politischen Kultur wird zwar gestreift, aber nicht ausreichend in die Theorie einbezogen. daher sollten noch andere, offenbar auch entscheidendere Faktoren für Rechtsextremismus bei jungen Menschen in ein komplexes Ursachenbündel für dieses Phänomen integriert werden. Der Hinweis auf Vorgaben aus der politischen Kultur könnte hier weiterführen. Armin Pfahl-Traughber, Köln CQ Renate Rieger (Hrsg.): Der Widerspenstigen Lähmung? Frauenprojekte zwischen Autonomie und Anpassung. Campus: Frankfurt 1993 Es geht um Bestandsaufnahme. In dem von Renate Rieger herausgegebenen Sammelband, vom Titel her an ein Stück von Shakespeare angelehnt, wird letztlich die Frage behandelt, wie es mittlerweile um die Frauenbewegung steht. Dabei konzentriert sich die Analyse auf die institutionalisierten Ausläufer undBegleiterscheinungenderFrauenbewegungund deren Dilemma: Frauenprojekte zwischen Autonomie und Anpassung. Denn zuviel Autonomie hinterläßt Chaos, zuviel Anpassung Absorption. Das 'Drama' nimmt seinen Lauf. In drei Abschnitten, eingeleitet durch ein kritisches Vorwort, wird unter verschiedenen Aspekten nachgeforscht, auf welche mehr als 10-jährige Geschichte die 'Frauenprojektebewegung' zurückblicken kann, welche Erfol- 100 ge sie vorzuweisen hat und mit welchen Problemen sie kämpft. Dabei ist unüberhörbar, daß eine gewisse Resignation sich verbreitet hat, da die Hoffnungen, die frau anfangs hatte, sich überwiegend nicht erfüllt haben. Drei Problemfelder lassen sich ausmachen: Einmal sind es schlichtweg die Folgen von Institutionalisierung: Organisation hat ihren Preis! Das ist nichts neues. Weiter geht es um das prekäre Selbstverständnis der Frauenbewegung, die in Abgrenzung vom 'Mann' als Feindbild ihre eigene Identität bestimmt hat: 'Tritt die Differenz zurück, geht die Identität verloren' - ein rein epistemologisches Problem, so scheint es, mit dem nicht nur die Frauenbewegung zu kämpfen hat. Schließlich ist es eine normative Komponenteinder Ideologie der Frauenbewegung, die ihr zu schaffen macht: Sind Frauen tatsächlich bessere Menschen? Zumindest in diesem Band wird dieser Selbsteinschätzung widersprochen, da das Scheitern der Frauenbewegung auch in ihrem Selbstverständnis nicht unmaßgeblich darauf zurückzuführen sei, daß sich die Frauen in ihren Ansprüchen an sich selbst überschätzt und deshalb überfordert hätten. Natürlich hängen diese drei Problemfelder eng miteinander zusammen und überscheiden sich teilweise sogar. So handelt es sich - ob in Gestalt von Selbstausbeutung, Kompetenzgerangel, Hierarchisierung, Karrieredenken oder Abhängigkeit von öffentlichen Geldern - vor allem auch deshalb um ein Institutionalisierungsproblem, mit dem sich die Frauenbewegung - trotz unleug- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, barer Erfolge-konfrontiert sieht, weil sich die Erwartung, den Anspruch auf Autonomie, Fairness und Gleichberechtigung gerade in Frauenprojekten - ungetrübt durch patriarchalische Strukturen - ungehindert umsetzen zu können, nicht erfüllt hat. Alltag ist: „Entwertung und 'Kleinhalten' von Mitarbeiterinnen; keine Unterstützung für ein Wachsen und Weiterkommen, für den Erfolg der anderen; wenig Anerkennungspraxis; ein durch hinterhältige Tricks und psychische Mechanismen funktionierendes Ausbeutungsverhältnis."(Jung 1993: 35) Von daher setzt Enttäuschung ein, Zweifel melden sich an: „Wenn jetzt öffentlich der besondere Führungsstil von Frauen proklamiert und scheinbar wertgeschätzt und gefördert wird, dann müssen wir uns fragen, inwieweit in Wahrheit ein Mythos befördert wird." (ebd.) Das macht es aberschwer, daran zu glauben, „daß Frauen die besseren Menschen sein sollen." (Buckwar/ Schild 1993: 141) Unklar bleibt freilich, ob es sich hierbei um Selbstironie handelt oder einen Lerneffekt. 1994 trotzdem noch gewahrt werden kann: „Wenn der gemeinsame Feind, der die vorhandenen Differenzen geglättet hat, wegfällt oder die gegnerische Beziehung porös wird (was bei den Frauen eher der Fall ist) - dann treten die Unterschiede in den eigenen Reihen deutlicher zu Tage." (ebd.) Geht aber der bewegungseigene Integrationsmechanismus durch Abgrenzung nach außen verloren, nimmt die innere Differenzierung zu. Nunmehr wird die „Anerkennung von Differenzierungen" (29) zum Problem, wo zuvor noch Ablehnung einer Differenz die eigene Identität dominierte, nämlich jener Differenz, wie sie vom Mann gegenüber der Frau vorgegeben wird: So nicht aber wie dann? Paradox ist, daß Dissens scheinbar mehr Einheit schafft als Konsens. Das vorübergehende Abdunkeln von internen Meinungsverschiedenheiten angesichts eines gemeinsamen äußeren Feindes einigt und solidarisiert; kollektiv geteiltes Negationspotential hat extrem positive Wirkungen. Zerfällt die Außenreferenz, wird der innere Bezugspunkt proSchwerwiegender noch als diese blematisch: Wie läßt sich 'FrauDiskrepanz zwischen Ansprach sein' definieren, wenn das Frauund Wirklichkeit wirkt sich das enbild der Männer verworfen Identitätsproblem aus: „Entschei- wird? Was zeichnet die Einheit dener Faktor der anfänglichen der Frauenbewegung aus, über Kollektivität war die Abgrenzung die Ablehnung von Männern hinzu dem Mann. War es vielleicht aus? Was sind Frauen noch, auvorwiegend diese Polarisierung ßer daß sie anders sind als Mänzum anderen Geschlecht, die die ner? Dabei stellt sich auch diese Verbindung unter den Frauen Problematik als Dilemma dar. So herstellte?" (Jung 1993:28) Soll- ist zu fragen: Wie kommt Identite dem aber so sein, stellt sich tät ohne Differenz zustande, nämunverzüglich die Frage, wie die lich ohne die Dominanz der (exIdentität der Frauenbewegung ternen) Differenz zum Mann? auch ohne Differenz zum 'Mann' Zugleich gilt aber auch: Wie FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, kommt Identität trotz Differenz zustande, nämlich trotz der (internen) Differenz, die auch Frauen zueinander nicht leugnen können? Betrachtet man dergestalt die Probleme der Frauenbewegung mit sich selbst, wird es schwierig, von einer „spezifischen weiblichen Autonomieproblematik" (Jung 1993: 33) zu sprechen. Denn das prekäre Verhältnis von Identitätsbestimmung durch Differenzerfahrung gilt weder nur für die Frauenbewegung noch nur für soziale Bewegungen, sondern generell: Identität schlechthin, auf welche Systemreferenz auch immer bezogen, stellt sich nur in Differenz zu anderem ein. Geht diese aber verloren, tut jene sich schwer. Insofern wäre vielleicht zu wünschen, daß „das eigentlich Tabubrechende der neuen Frauenbewegung" (Jung 1993: 27) in einer reflektierteren Haltung zu sich selbst besteht, die sie verstärkt von ihrer Selbstevaluation als 'bessere Menschen' distanziert und in ein neues Verhältnis zu sich und ihrer Umwelt setzt, um sie davor zu bewahren, Opfer ihrer eigenen Ansprache zu werden. 1994 Karl Bruckmeier / Gerda Haufe: 101 Bürgerbewegungen von ihrer Entstehungsgeschichte bis zu ihrer Marginalisierung im Prozeß der Die deutschen Einheit zu bemühen. Bürgerbewegungen in Nicht zuletzt durch die Einbezieder DDR und in den hung einiger Akteure aus der Bürostdeutschen Ländern. gerbewegungsszene in den Kreis der Autoren, die in einer KombiWestdeutscher Verlag 1993 nation aus Bericht und Bewertung ihre eigenen Erfahrungen reflektieren, gewinnt das Buch In einer Zeit geschichtlicher und an Profil. Gleichzeitig haben die medialer „Beschleunigung", in Herausgeber nach meinem Einder Zeitungen und Verlage mit druck aber nicht ausreichend die ihren Produkten immer schneller Chance genutzt, die Beiträge der auf aktuelle Ereignisse reagieren, Bewegungsakteure im Sinne eiist es das unvermeidbare Schick- nerkritischen Reflexion der eigesal vieler Bücher, die mit einem nen Einschätzungen gegenzulegewissen zeitlichenNachlaufsich sen. Gerade der Vergleich zwiauf schon historisch gewordene schen den Beiträgen von Karl Entwicklungen beziehen, daß Bruckmeier („Die Vorgeschichüber ihren Gegenstand an ande- te und Entstehung der Bürgerberer Stelle fast alles schon einmal wegungen", „Die Bürgerbeweso oder doch so ähnlich gesagt gungen der DDR im Herbst worden ist. Nicht anders ergeht 1989") und von Gerda Haufe es dem von Gerda Haufe und („Die Bürgerbewegungen im Jahr Karl Bruckmeier 1993 herausge- 1990") mit den aus Akteurssicht gebenen Buch über 'Die Bürger- geschriebenen Beiträgen von bewegungen in der DDR und in Gerd Poppe, Friedrich Schoriemden ostdeutschen Ländern', das mer, Gislinde Schwarz und Carlo aus einem Projekt an der Berliner Jordan enthält einige WiderFachhochschule für Verwaltung sprüchlichkeiten, die nicht aufund Rechtspflege hervorgegan- geklärt werden. gen ist. Der unschätzbare Vorteil In seinem Beitrag über die EntSollte sich bei der Lektüre dieses „verspäteter", weil wissenschaft- stehungsgeschichte der DDR-OpBuches dieser Eindruck einstel- lich aufbereiteter Bücher gegen- position geht Bruckmeier z. B. len, wäre ein 'Happy-End' nicht über den oberflächlichen Schnell- davon aus, daß „die historischen ausgeschlossen, ohne größeres schüssen vieler Buchprodukte der Besonderheiten im Fall der DDR Blutvergießen nach Shake- ersten Stunden liegt aber in den [darin] liegen", daß die protestanspeare'scher Manier. Von daher Möglichkeiten einer gründlichen tische Kultur „als 'zweite Kultur' bietet der Sammelband von Re- analytischen Durchdringung und neben der marxistisch-leninistinate Rieger einen höchst auf- theoretischen Reflexion des Ge- schen Staatskultur [...] sich mit schlußreichen Einblick in eine genstands. Vor diesem Hinter- einer Intellektuellenkultur verzentrale Problematik der neueren grund ist es das Verdienst des band, die ein einigendes Band vorliegenden Buches, sich in ins- der sozialen Träger der opposiFrauenbewegung. gesamt sieben Beiträgen um eine tionellen Gruppen war." (S. 20) Kai-Uwe Hellmann, Berlin differenzierte und authentische Liest man dazu in Paranthese den Darstellung der Entwicklung der Beitrag von Gerd Poppe über die m 102 „Entwicklung des grenzüberschreitenden Dialogs", so ergibt sich in bezug auf die Rolle der DDR-Intellektuellen genau das Gegenteil: „Anders als in Polen, Ungarn oder der CSSR, wo sich von den kritischen Intellektuellen inspirierte und getragene gesellschaftliche Parallelstrukturen entwickelten, wo durch 'fliegende' Universitäten', Samisdat-Veröffentlichungen u.a. das Informationsmonopol wenigstens ansatzweise durchbrochen wurde, blieb hierzulande der größte Teil der Intellektuellen den neu entstandenenBasisgruppen fern." (S. 206) Aufgrund der mittlerweile zu diesem Thema vorliegenden Literatur (vgl. u.a. Antonia Grunenberg, Antifaschismus - ein Mythos in Deutschland, rororo aktuell) spricht vieles für die von Poppe vorgetragene These, daß „die historische Besonderheit" der Oppositionsentwicklung in der DDR darin lag, daß es - vor dem Hintergrund der Machtverkopplung der Intellektuellen mit dem SED-Regime und ihres antifaschistischen Loyalitätsdenkens - gerade nicht zu einem Bündnis zwischen sozialethischen Basisgruppen und Intellektuellen gekommen ist. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Elemente weisen auf einige fundamentale Unterschiede z.B. zu den Neuen Sozialen Bewegungen des Westens hin. Die Herausgeber haben erklärtermaßen und klugerweise darauf verzichtet, voreilig das Raster westlicher sozial wissenschaftlicher Theoriebildung auf die Entstehung und Bedeutung der DDR-Gruppen zu übertragen, aber ich denke, es hätte sich der Versuch gelohnt, auf Grundlage der Akteursbeiträge und der schon vorliegenden Untersuchungen über die ostdeutschen Bürgerbewegungen einige theoretische Überlegungen über ihre Besonderheiten im Vergleich zu westlichen Gruppierungen anzustellen und thesenartig vorzutragen. Zuweilen vermißt man bei den Herausgebern die notwendige Distanz zu dem Objekt ihrer Beschreibung, z.B. wenn sehr stark wertende Äußerungen die vorgetragenen Einschätzungen bestimmen. So heißt es u.a. in Gerda Haufes Beitrag: „Hier sei darauf hingewiesen, daß mit der Gründung des Bündnis 90 am 3. Oktober 1991 sich die Bürgerbewegungen zu dieser auch organisatorisch starken Alternative gegenüber den Parteien herausgebildet In Poppes Beitrag erfährt man haben. Inwieweit sich damit beauch Erhellendes über die Denk- reits eine 'Partei neuen Typs' im strukturen der wenigen nicht- Sinne von Bewegungspartei zu kirchlichen Oppositionsgruppen formieren beginnt, kann zum jetin der DDR und über ihren An- zigen Zeitpunkt noch nicht besatz der civil society: Ost- antwortet werden." (S.142) NaEuropadialog, Erfahrung mit der türlich ist es für den Rezensenten Wirklichkeit einer totalitären immer einfacher, vom Wissen um Staatsdiktatur, Überwindung des den Fortgang der Geschichte her blockorientierten Status-quo- eine derartige Einschätzung nachDenkens und des Links-Rechts- träglich in Frage zu stellen, aber Schemas, Abschied von holisti- auch zum Zeitpunkt der Abfasschen Ideologiebildungen. Diese sung dieser Aussage konnte man 1994 wohl kaum davon sprechen, daß die Bürgerbewegungen sich organisatorisch zu einer „starken" (!) Alternative gegenüber den Parteien herausgebildet hatten. Wie an anderer Stelle des Buches richtig beschrieben, machten sich zu diesem Zeitpunkt vielmehr bereits organisatorische Zerfallserscheinungen bemerkbar. Auch in den Ausführungen GerdaHaufes über die Bedeutung und Rolle des Runden Tisches finden sich problematische Einschätzungen, die - aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet - auf eine zu starke Identifikation mit den Bürgerbewegungen hinweisen und angesichts der dazu vorliegenden Literatur stärker hätten hinterfragt werden müssen. In bezug auf eine unkritische Überhöhung und Verallgemeinerung des Modells Runder Tisch hat Thaysen bereits zu recht darauf hingewiesen, daß „an den Runden Tischen [...] Politik unter Vorbehalten und Bedingungen stattfand], die für entwickelte Demokratien nicht zutreffen, auch nicht hinzunehmen sind". Insofern waren die Runden Tische seiner Meinung nach „Institutionen der Transformation mehr oder minder geschlossener politischer Systeme zu offenen Gesellschaften". Sie sicherten gewissermaßen einen geordneten Machtwechsel in einer Zeit, in der es noch keine demokratisch legitimierte Volksvertretung und Regierung gab. Nach meinen Eindruck vernachlässigt eine zu positive Bewertung des Modells Runder Tisch, wie sie aus verständlichen Sympathiegründen für die Anliegen der Bürgerbewegung aus dem Beitrag von FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Gerda Haufe herausklingt, die losigkeit, den die allgemeine Lage Tatsache, daß sich in diesem bisher gemachthatte, jedochnicht Modell auch die Sehnsucht nach mehr eindeutig negativ bewertet, einer Interessenhomogenität wi- sondern als Chance, aus starren, derspiegelt, die sich dem Zugriff vorgegebenen Denkmustern ausparlamentarisch und gesellschaft- zubrechen und so Phänomene, die lich auszutragender Interessen- in den bisherigen Interpretationsgegensätze in einer pluralisti- schemata keinen Platz fanden, schen demokratischen Gesell- mitaufnehmen zu können. Dazu schaft zu entziehen versucht. D.h. gehört, die momentane Situation der Stellenwert sogenannter ba- als instabil und sich schnell versisdemokratischer Entschei- ändernd zu empfinden, was zur dungsfindung in einer komple- Folge hat, daß sie als Epochenxen und institutionell verästelten umbruch gedeutet wird. Auf dies Industriegesellschaft wird zu alles wollen die Zeitschriften reawenig thematisiert. gieren, um „deutliche Akzente" Diese kritischen Anmerkungen zu setzen. sollen gleichwohl die Verdienste In dieser Reihe ist ein Band erdes Buches nicht schmälern. Es schienen mit Aufsätzen Axel ergänzt und bestätigt zum Teil Honneths, die entstanden sind für bereits vorliegenden Analysen zur die Kolumne 'Soziologie' im Geschichte und Bedeutung ost- Merkur. Leider haben sich weder deutscher Bürgerbewegungen Verlag noch Autor bei der Zuund ist nicht zuletzt aufgrund der sammenstellung die Mühe geAkteursbeiträge und des ausge- macht, das Erscheinungsdatum v. ählten Dokumentenanhangs mit anzugeben, was interessant eine wichtige Erkenntnisquelle und informativ für den Leser gefür die weitere Forschung. wesen wäre. Der Titel 'Desintegration' deutet Lothar Probst, Bremen das doppelte Programm an, sowohl auf den Zustand der soziologischen Zeitdiagnose als auch auf den objektiven Zustand der Gesellschaft selbst hinweisen zu wollen. Im Vorwort wird annonAxel Honneth: ciert, daß es in diesem Band darDesintegration um ginge, das theoretische Unternehmen der Zeitdiagnose kriBruchstücke einer soziolotisch zu beleuchten. Der Zeitdiagischen Zeitdiagnose gnose, die in permanent neuen Fischer: Frankfurt/Main 1994 Formeln versucht, die veränderten Charakterzüge der GesellIm Fischer Verlag erscheint un- schaft auf einen Begriff zu brinter dem Titel Zeitschriften eine gen, der auch noch möglichst Reihe, die zu aktuellen Tenden- pointiert und originell sein soll, zen in Politik und Ökonomie wird Skepsis entgegengebracht. Auskunft geben will. Dabei wird Das beruht zum einen auf empirider Eindruck der Orientierungs- schen Einseitigkeiten, zum ande- 103 ren auf der Unstimmigkeit der theoretischen Mittel. Diese Kritik ist zwar ein wichtiges Thema des Buches, als präzise These aber zu knapp formuliert und wird deshalb nicht allen Themen gerecht. Zudem sitzt Honneth - zumindest im Vorwort, bei dem es sich vorrangig um Honneths eigene Position und nicht eine Kritik anderer handelt - tendentiell selber dem auf, was er an Zeitdiagnosen kritisiert: Auf der Jagd nach der pointierten Formulierung das Ziel aus den Augen zu verlieren. In den einzelnen Artikeln entfällt dieser Eindruck jedoch wieder. Hält man sich simpel an den Titel, wird der gemeinsame Bezugspunkt der Artikel deutlicher. Es geht um die Individualisierungsschübe, die in den letzten Jahren in der Gesellschaft stattfanden und zu denen der Zerfall lebenswel tl icher Bindungen oder eines institutionellen Rahmens gehört. So werden - ausgehend von einer Betrachtung der Postmoderne im ersten Drittel des Buches - zeitdiagnostische Modelle behandelt. Die Postmoderne, die als Kategorie problematisch ist wegen ihrer Diftüsität, aber beachtenswert wegen ihrer Suggestivkraft, wird von Honneth in einer ideologiekritischen Perspektive behandelt. Der zeitdiagnostische Gehalt der Kategorie der Postmoderne, der den Zustand wachsender Orientierungslosigkeit des einzelnen Subjekts beschreibt als kulturelle Erosion und individuellen Authentizitätsverlust, wird bezogen auf ihr normatives Bezugssystem. Es handelt sich um einen an Nietzsche orientierten Subjektbegriff, GÜIII] der den durch Verlust der Bindungen möglichen Individualisierungsschub affirmativ als Erweiterung der Freiheit begreift. In keinem weiteren Artikel wird Honneth einer Position gegenüber so ablehnend wie in dem über die Postmoderne. Er beruft sich in seinem Zweifel daran, daß mit dem fehlenden institutionellen Rahmen die Entwicklungsmöglichkeiten der Subjekte größer werden können, auf Hegel. In dessen Formulierung der Anerkennung wird deutlich, daß die normative Zustimmung anderer konstitutiv ist für die Identitätsbildung. Die Chance, die in der Pluralisierung von individuellen Lebensstilen liegt, kann nicht genutzt werden, weil ihr „jeder soziale Rückhalt in einer nachwachsenden Form von Sittlichkeit" fehlt. Worin die Probleme des postmoderen Theoriegebäudes liegen, wird in den Artikeln, die das Buch beschließen, deutlicher. Hier werden empirische Forschungen zu den Veränderungen in den familiären Strukturen und der sich mehr und mehr ausbreitenden Armut vorgestellt. Besonders im Fall des Strukturwandels der Familie, einem Prozeß, den jeder in seiner direkten Umgebung erleben kann, wird die Pluralisierung von Lebensstilen als Verlust erlebt. Neben den Einstellungsveränderungen gegenüber den kulturellen Normen, die die Sphäre des privaten Lebens bisher regelten, gibt es auch noch die von außen einwirkenden Ursachen. Die eigene Lebenswelt muß neu organisiert werden, weil die Erhaltung alter Strukturen aufgrund fehlender materieller Basis und FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Schwierigkeiten in Partnerschaften nicht mehr möglich ist. In Reaktion auf feministische Ideen und schlichte Überforderung sind es vor allem Frauen aus den unteren Sozialschichten, die neue Formen der Lebensführung hervorbringen. Wie die Emanzipierungsschübe vonstatten gehen, wird in der Erklärung, die die soziale Notlage miteinbezieht, plausibler. Auch die Untersuchung zur Wiederkehr der Armut zeigt jene Seite, auf der Individualisierung nur noch Isolierung bedeutet. Die Komponente des Schmerzes und des Verlustes, die in dem asymmetrischen Verhältnis liegt, in das man zur Gesellschaft gerät, wird in den schwungvollen nietzscheanischen Ordnungszertrümmerungen nicht beachtet. Wie allerdings die Ausbildung einer posttraditionalen Form von Sittlichkeit aussehen soll, wird von Honneth nicht ausgeführt. Das Ignorieren einzelner Phänomene scheint aber nicht ein spezielles Problem der Postmoderne zu sein, sondern ein allgemeines der Zeitdiagnose. Auch die Zeitdiagnosen von Beck und Schulze, die für die gesellschaftlichen Veränderungen die Schlagworte Risiko- und Erlebnisgesellschaft gefunden haben, kranken an dem Wunsch, alles auf einen Begriff bringen zu wollen. Nach Honneth führt der Verzicht aufkategorialeDifferenzierungen Zwischenindividualisierung, PrivatisierungundAutonomisierung bei Ulrich Beck (Risikogesellschaft) zugunsten der Ausrichtung auf die Individualisierungsthese dazu, daß ein so vielschichtiges Geschehen nicht mehr ad- 1994 äquat soziologisch diagnostiziert werden kann. Diese Schwäche beginnt schon bei der Verarbeitung der empirischen Daten und gipfelt in einer mangelnden Begriffsdifferenzierung. Gerhard Schulze dagegen wird in der Besprechung der 'Erlebnisgesellschaft' von Honneth eine sowohl empirisch als auch kategorial präzise Arbeit bescheinigt. Schulzes These vom Wandel der Gesellschaft zu einer der Wahlmöglichkeiten, in der man seine Gruppenzugehörigkeit über eine Kategorie wie Erlebnis bestimmt, ist Honneth zufolge jedoch zu stark in die Richtung der freien Wahl gerückt. Es stellt sich die Frage, ob die empirische Basis nicht doch zu schmal ist; zu erinnern wäre an die schon erwähnte Wiederkehr der Armut, die in den Kategorien einer Erlebnisgesellschaft nicht unterzubringen ist. Dazu kommt eine mangelnde historische Bearbeitung des Themenkomplexes, wie die Besprechung einer die Traditionen des Hedonismus untersuchende Studie zeigt. In allen Artikeln des Buches, ob an dieser Stelle angesprochen oder nicht, fällt angenehm der Mut zur Differenziertheit auf, der auch bedeutet, daß die Griffigkeit einer als Schlagwort leicht in allen Köpfen haftenden These entfällt. Darüberhinaus bieten sie einen Einstieg in aktuelle soziologische Debatten über Probleme und Formen der Individualisierung und der gesellschaftlichen Entwicklung. Erwartet man jedoch tiefere Einsichten oder Honneths eigenes Konzept, sollte man besser die besprochenen Texte selbst oder sein 1992 erschiene- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, nes Buch 'Der Kampf um Anerkennung' heranziehen, in dem die hier nur thetisch formulierte Position der Identitätsbildung qua Anerkennung ausgeführt wird. Als Orientierungshilfe oder aber als kurzer Überblick für Themen, für die man sich interessiert, ist die Textsammlung sehr nützlich. Petra Ziech, Berlin ca Lutz Wingert: Gemeinsinn und Moral Grundzüge einer intersubjektivistischen Moralkonzeption Suhrkamp: Frankfurt/Main 1993, 336 S. In der gegenwärtigen moralphilosophischen Debatte nimmt die Habermas'scheDiskursethikeine wichtige Position ein. Aus ihrem Umkreis kommt das Buch von Lutz Wingert, das die Habermas'sche Position um einige wichtige Punkte ergänzt, ihr in der Grundstruktur aber beipflichtet. Die ersten Unterscheidungen, die Wingert in seinem Buch trifft, beziehen sich auf die Differenz von moralisch und ethisch. Unter Moral versteht Wingert im Anschluß an Kant ein Ensemble von Normen, die das soziale Zusammenleben regeln und zwar so, daß damit Personen zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen kategorisch und wechselseitig verpflichtet werden. Die Moral soll eingebettet sein in die Infrakstruktur sozialerBeziehun- 1994 gen. Ethik dagegen befaßt sich mit Fragen des guten Lebens, die sichjeweils nur 'mir' stellen, während die Moral von einem 'wir' ausgeht. Hier stellt sich die Frage, ob diese Trennung zwischen „Regeln des sozialen Zusammenlebens" und „Regeln der persönlichen Lebensführung" (13) so durchführbar ist. Wingert nimmt dabei ein Subjektivierung des ethisch Guten vor, in dem Sinne, daß es in ethischen Fragen nur um ein gelingendes praktisches Selbstverhältnis geht, während moralische Fragen 'uns' betreffen und irreduzibel intersubjektiv sind. Die Differenz von Ethik undMoral wird also auf den grammatischen Unterschied von 'ich' und 'wir' abgebildet. Die Differenz von Ethik und Moral betrifft vor allem den Begründungsaufwand, der bei moralischen Fragen höher ist und damit zusammenhängend die Differenz zwischen universeller und partikularerGeltung. Ethische Fragen aber sind nicht reduzierbar auf die Perspektive der 1. Person Singular, es sind Fragen, die sich einer Gemeinschaft stellen. Warum aber soll Intersubjektivität nur für moralische und nicht auch für ethische Fragen gelten? Wingert geht nun bei der näheren Bestimmung dessen, worum es bei moralischen Fragen geht, so vor, daß er negativ bei moralischen Problemen ansetzt und diese in einer 'Phänomenologie des Moralbewußtseins' beschreibt. Moralische Probleme sind „Störungen eines Einverständnisses über die Legitimität von Moralnormen" (48), die er dann in drei Erscheinungsformen des Moralbewußtsein - Sprache, Gefühle 105 und Handlungen — untersucht. Ziel der Phänomenologie ist zu zeigen, daß das Moralbewußtsein eingebettet ist in eine moralische Welt. Diese Gemeinsamkeiten der moralischen Welt, und das hängt mit Wingerts formalem und eigentümlichem Begriff der moralischen Gemeinschaft zusammen, führen auf den formalen Begriff des Angehörigen, der insgesamt in dem Buch unklar bleibt. Gemeinschaft bleibt ein dünner Begriff und wird verstanden als kommunikative Lebensform. Am Kapitel über moralische Gefühle wird insgesamt deutlich, daß Wingert einer kognitivistischen Moralauffassung verpflichtet ist: das Affektive wird weitgehend zurückgedrängt und die Rolle der moralischen Gefühle scheint unterbelichtet. Wingert geht von der Grundthese aus, daß Moral nur intersubjektiv zu denken ist. Im zweiten, dem wichtigsten und besten Kapitel des Buches behandelt Wingert den Standpunkt der Moral, von dem aus moralische Urteile gefällt werden können. Mit diesem Standpunkt ist so etwas intendiert wie eine formale Instanz, die gegenüber den unterschiedlichen und spezifischen Moralauffassungen nicht nur formal bleibt, sondern diese auch in einen kohärenten Zusammenhang bringt und die Beurteilungskriterien für spezifische Moralnormen enthält. Wingert geht dabei so vor, daß er ex negativo von sechs Formen moralischer Verletzung ausgeht, denen positiv zwei Formen des moralischen Respekts entsprechen. Voraussetzung dafür, daß die Individuen überhaupt moralisch verletzt werden können, ist, 106 daß sie eine kommunikative Lebensform teilen. Aus dieser Lebensformergeben sich zwei Quellen moralischer Verletzung: einmal die Mißachtung des Individuums als unvertretbar Einzelnem, zum anderen die Mißachtung als Angehöriger einer Gemeinschaft. Das eine Mal geht es darum, daß das Individuum sein eigenes Leben zu leben hat, das andere Mal, daß es angewiesen ist auf soziale Interaktion und ein responsives Verhalten in einer Gemeinschaft. Der nächste Schritt Wingerts besteht nun darin, zu zeigen, daß diesen beiden Quellen moralischer Verletzung zwei miteinander verschränkte Grundformen des moralischen Respekts entsprechen. Es ist einmal der Respekt gegenüber dem Individuum als unvertretbar Einzelnem und zum anderen der Respekt gegnüber dem Individuum als gleichberechtigtem Angehörigen einer Gemeinschaft. Diese beiden Respektformen definieren den moralischen Standpunkt, insofern als wir durch ihn eine bestimmte Haltung einnehmen. Die Verschränkung ist so zu verstehen, daß der Respekt das Individuum in der subjektiven Perspektive des Einzelnen wie auch als Angehörigen einer Gemeinschaft gleichrangig betrifft. Es wird deutlich, daß Wingert hier die Moral als Gerechtigkeit definiert und in Anlehnung an Habermas die beiden Formen des Respekts mit dem Prinzip der Gerechtigkeit und dem Prinzip der Solidarität identifiziert. Für Wingert ist nun wichtig zu zeigen, daß diese beiden Respektformen sich nicht inhaltlich be- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, stimmen, sondern strukturell in der Kommunikation derinteragierenden Subjekte angelegt sind; daß sie diese Formen, wenn sie kommunizieren wollen, anwenden müssen, ob sie wollen oder nicht. Im dritten Teil des Buches beschäftigt sich Wingert mit Fragen der Begründung moralischer Urteile. Ziel ist nicht Letztbegründung. Vielmehrsoll imSinneder kognitivistischen Perspektive gezeigt werden, daß die Moral des uneingeschränkten zweifachen Respekts allen anderen Lösungen moralischer Probleme überlegen ist. Gezeigt wird diese komparative Überlegenheit der Moral des zweifachen Respekts in der Operationalisierung des moralischen Standpunkts im Diskurs. Nun zeigt sich aber, daß die Diskursregeln - die die Richtigkeit des gebildeten Urteils sicherstellen sollen - bereits etwas enthalten, was in die Prämissen des moralischen Standpunkts eingegangen ist. Hier trifft Tugendhats Kritik an der Diskursethik, wonach Egalität vorausgesetzt wird und man sich nicht wundern muß, wenn das Ergebnis des Dikurses dann eine universalistische Moral ist. Die Begründung eines moralischen Urteils im Diskurs bedeutet, daß einem moralischen Urteil zugestimmt werden kann, und zwar von allen. Dies hat zur Folge, daß moralische Urteile universell und allgemeingültig sein müssen. Hierin unterscheidet sich Wingert von Vertretern, die der Vernunft eine zentrale Rolle zugestehen wollen. 'Alle' meint in diesem Zusammenhang alle moralisch verletzbaren und zu Verletzungen fähigen Subjek- 1994 te. Doch letztlich muß Wingert Antwort auf die motivationale Frage geben, warum man sich an diese Moral halten muß. Die Überlegenheit dieser Moral des zweifachen Respekts erweist sich als epistemische, d.h. ihre normativen Erwartungen können vernünftigerweise nicht zurückgewiesen werden. Daß diese Art der epistemischen Begründung nicht überzeugend ist, gesteht Wingert im letzten Kapitel ein, denn die „Prinzipien dieses Respekts sind etwas, was als Gegenstand eines faktischen Konsenses der Begründung vorausgesetzt ist und deshalb nicht ihrerseits begründet werden kann." (295) Wingerts Buch ist zweifellos eine Konzeption einer universalistischen Moral minimaler Prinzipien, in der der Begriff des Gemeinsinns ebenfalls minimalistisch zurechtgestutzt wird auf Sinnverstehen von sprachlichen Ausdrücken. Die Frage ist berechtigt, ob dann bereits von Gemeinsinn gesprochen werden kann, wenn Kommunikationsteilnehmer die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verstehen. Fraglich ist ebenfalls, ob neben dem Gemeinsinn ein dünner Begriff von Gemeinschaft tauglich ist. Von dieser Perspektive aus werden dann Gemeinsinn und Gemeinschaft so problematisiert, daß Gemeinschaft nur noch als strukturell offene zu verstehen ist. Problematisch scheint auch der Begriff der Solidarität zu sein, den Wingert auf die 2. Form des Respekts reduziert; sie dient als Korrekti v der ersten Respektform, die er als Prinzip der Gerechtigkeit faßt. Insofern bleiben nach FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Lektüre dieses Buches auch Fragen noch offen. Rudolf Speth, Berlin to Helmut Dubiel: Ungewißheit und Politik Suhrkamp: Frankfurt/Main 1994, 247 S. Fragen der Demokratietheorie und der soziokulturellen und soziomoralischen Grundlagen einer demokratischen politischen Kultur stehen im Zentrum des Sammelbandes, in dem Helmut Dubiel zahlreiche zuvor bereits (v.a. im 'Merkur' und der 'Sozialen Welt') publizierte Essays versammelt hat (über 'Linke Trauerarbeit', den 'nachliberalen Sozialcharakter', 'Zivilreligion', 'Populismus' und 'Fundamentalismus'). Für den B and neu geschrieben wurden Beiträge Uber die 'Metamorphosen der Zivilgesellschaft' ('Selbstbegrenzung und reflexive Modernisierung' und 'Das ethische Minimum der Demokratie') sowie eine Auseinandersetzung mit der politischen Theorie Hannah Arendts. Die Beiträge können insgesamt als Vertiefung und präzisierende Kommentierang der Überlegungen verstanden werden, die Dubiel zusammen mit Ulrich Rödel und Günter Frankenberg 1989 in dem Essay 'Die demokratische Frage' vorgelegt hat. Die radikale Selbstbezüglichkeit eines demokratischen Projektes der Selbstregierung unter den Bedingungen einer von allen transzen- 1994 denten Legitimationsbezügen abgeschnittenen säkularen Moderne ist dort im Anschluß an Marcel Gauchet und Claude Lefort der Ausgangspunkt der politischtheoretischen Reflexionen. In den Essays des vorliegenden Sammelbandes nimmt Dubiel diese Überlegung von verschiedenen Seiten wieder auf. In seiner Auseinandersetzung mit der politischen Theorie Hannah Arendts erläutert er seine Konzeption von öffentlicher Freiheit als der institutionellen Voraussetzung einer sich nur noch innerweltlich legitimierenden politischen Selbsteinwirkung von Gesellschaften. Auf der Grundlage liberaler 'negativer' Abwehrrechte und ihrer Ausdehnung zu allgemeinen Menschenrechten nehmen die republikanischen 'positiven' Freiheiten, die vor allem in politischen Kommunikationsrechten institutionalisiert sind, eine Schlüsselposition für das demokratische Projekt der 'Selbstregierang' ein. Die „Institutionen, politisch-kulturellen Praktiken und Rechtsprinzipien, in deren öffentlicher Betätigung sich die Integrität eines politischen Gemeinwesens erhält und eine die Zeiten überdauernde Gestalt annimmt" (56), bilden die Voraussetzungen eines inklusiven Konzepts der Öffentlichkeit als einem „'sachlich','sozial'und 'zeitlich' unabgeschlossene(n) Raum, in dem sich die Konflikte der Bürger über die Regelungen ihrer gemeinsamen Angelegenheiten vollziehen." (64) Die Legitimationsgrundlagen demokratischer Gesellschaften, so Dubiel in seinem Beitrag Uber das 'ethische Minimum der De- mokratie', erneuern sich nach dem Wegfall traditioneller Orientierungsgewißheiten einzig über das Medium des politischen Konflikts, in dem sich kollektive Identität, verstanden als „symbolische(r) Bezug personaler oder sozialer Subjekte auf das Ganze der Gesellschaft", nur noch im schwachen Sinne des „Bewußtseins eines geteilten gesellschaftlichen Raumes herausbildet" (115).DieBeiträge über Populismus und Fundamentalismus analysieren „weltweite Reaktionsbildungen auf eine Politik der Ungewißheit" (10) und verdeutlichen die Attraktivität kollektiver Sinnstiftungsangebote, die sich der Riskanz konfliktärer Identitätsbildung zu entziehen trachten. Die Ungewißheit der Politik, so Dubiels postmarxistischer Rückblick auf die zerfallenen Gewißheiten der Linken, zwingt auch zu einer illusionslosen Verabschiedung von Geschichtsphilosophie, Fortschrittsoptimismus und der Utopie des revolutionären System« andels kapitalistischerGesellschaften. Zurreformpolitischen Suche nach Möglichkeiten eines strukturellen Umbaus der Gesellschaft mittels demokratischer Willensbildung und rechtsstaatlicher Verfahren gibt es keine Alternative. Diese Suche ist überdies nicht immer erfolgreich und muß auch Rückschläge aushalten. Die Linke, so Dubiel, müsse sich derzeit eingestehen, daß sie nicht Uber tragfähige Alternativen im Bereich wirtschaftspolitischer Ordnungskonzepte verfügt. Der ernüchterte Realismus, mit dem Dubiel die Grenzen politischer Reformpoli- tik beschreibt, ist verbunden mit der Anerkennung der Konsequenzen, die sich aus der Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme in komplexen modernen Gesellschaften ergeben. Die spezifischen Funktionslogiken der Teilsysteme begrenzen die Möglichkeiten staatlicher Steuerung und stellen ein hierarchisches Modell politisch-staatlicher Selbsteinwirkung der Gesellschaft in Frage. Die Reforminitiative geht unter diesen Umständen in vielen politischen Teilbereichen auf gesellschaftliche Akteure über, deren Einflußnahme auf die gesellschaftlichen Teilsysteme freilich nur noch im Modus der 'Selbstbeschränkung' als einer 'zivilisierenden Modernisierungskontrolle' angemessen gedacht werden kann. So wachsen die Rationalitätszumutungen gegenüber den gesellschaftlichen Akteuren. Die Orientierung der 'Selbstbeschränkung' zeichnet jene nichtstaatlichen Akteure aus, die die „Macht des Staates und der kapitalistischen Ökonomie, des Wissenschaftssystems zwar 'eindämmen', 'begrenzen', 'zivilisieren' und 'humanisieren', aber nicht abschaffen wollen" (102). Liberal-demokratische Systeme drohen jedoch, sich von Prozessen demokratischer Einflußnahme abzuschließen und deren Bedingungen auszutrocknen. „In der politischen Aphatie der Bürger in elitendemokratischen Systemen, in der undemokratischen B innenverfassung der Parteien und Interessenverbände, in der asymmetrischen Repräsentanz von Gruppeninteressen, in der korporativen Abdichtung der öffentlichen Sphäre etc. ist die Gefahr der autoritären Entgleisung der liberalen Demokratie immer vorhanden." (96) Die frühe Pluralismustheorie hatte diese Gefahr mittels einer impliziten Kongruenzannahme von normativen Ansprüchen und Realität westlicher liberaler Demokratien ausgeblendet. Das von Dubiel verfochtene Konzept der Zivilgesellschaft ist sich demgegenüber der Gefahr einer autoritären Entwicklung der liberalen Demokratie stets bewußt. Es bietet aus seiner S icht nach dem Wegfall der utopischen Systemalternative des Sozialismus - das einzige normative Konzept, mit dessen Hilfe der w eitere Demokratisierungsprozeß liberaler Demokratien auf dem Wege immanenter Kritik vorangetrieben werden kann. Dubiel sieht in den nichtstaatlichen Formen kollektiven Handelns, für die die Zivilgesellschaft nureinen unscharfen soziologischen Sammelbegriffabgibt, ein reformpolitisches Potential (101 f.) und in ihren „Kommunikationspraktiken, Diskursrituale(n) und öffentlichen Arenen" eine unverzichtbare „reflexive Kapazität" (97) der Gesellschaft. tien bewegt sich dabei auf einem schmalen Grad, von dem aus ein Absturz in den Autoritarismus jederzeit ebenso möglich scheint wie ein regressiver Rückzug in den Schutz populistischer Führung und fundamentalistischer Orientierungsgewißheiten. Das erforderliche orientierangsgewisse Gleichgewicht für den Balanceakt vor den Abgründen der Ungewißheit, als welcher das politische Projekt demokratischer Selbstregierung beschrieben werden kann, stellt sich alleine noch in der öffentlichen Kommunikation über das legitime politische Handeln ein und bezieht sich auf die paradoxe Figur einer politischen Konfliktgemeinschaft, deren normative Integration sich einzig aus den institutionalisierten Chancen demokratischer Partizipation ergibt. Der politische und soziologische Hintergrund bietet freilich wenig Ansatzpunkte für das demokratische Projekt. 'Demokratieverdrossenheit', Formen 'ziviler Desertion' und eine 'politische Kultur der Segregation' werden von Dubiel ebenso eingeräumt wie eine ernüchterte Bilanz der Der Gesamteindruck, der sich bei neuen sozialen Bewegungen: der Lektüre der im übrigen glän- „Zwar gab es in den westlichen zend und informiert geschriebe- Gesellschaften der achtziger Jahnen Essays einstellt, bleibt gleich- re massive und militante öffentliwohl ambivalent. Die Unaus- che Infragestellungen einer techweichlichkeit politischer Selbst- nokratischen Modernisierungseinwirkung der Gesellschaft stößt politik, besonders in den Bereian strukturelle Grenzen, die die chen der Energie- und MilitärpoAnsprüche an die Rationalität sich litik. Aber die demokratische und selbst begrenzender politischer wirtschaftliche Kernverfassung Akteure nach oben schrauben. Die des Spätkapitalimus wurde durch normativ verfolgte Konzeption diese Kritik der 'Neuen Sozialen demokratischer Selbstregierung Bewegungen' nicht ernsthaft beund einer weitergehenden Demo- rührt. Man kann vielmehr annehkratisierung liberaler Demokra- men, daß der Kapitalismus und FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, das Repräsentativsystem aus den Kämpfen der achtziger Jahre eher noch gestärkt hervorgingen." (85) Die von Dubiel eindrucksvoll beschriebene Aufzehrung traditioneller Orientierungsgewißheiten in der kulturellen Moderne bietet regressiven Deutungsangeboten ein offenes Feld. Der wohlfahrtsstaatliche Interventionismus einer 'politischen Gesellschaft' begrenzt die Möglichkeiten nichtstaatlichen kollektiven Handelns. Die Krise wohlfahrtsstaatlicher Regulierung hat bislang vor allem den Einfluß neokonservativer Lösungsstrategien gestärkt. So mag es eine zwangsläufige Konsequenz sein, daß Dubiel sich auf das normative Terrain zurückzieht, auf dem sich kontrafaktisch die Priorität demokratischer Selbstregierung, die Erfordernisse einer ungeteilten Gewährleistung von Bürger- undMenschenrechten und die Garantie der öffentlichen Sphäre durch Menschen- und Bürgerrechte begründen lassen (94). Seine Zeitdiagnose stützt sich - hier nur in Nuancen von Habermas unterscheidbar - vor allem auf die rechtlich-institutionellen Bedingungen der Möglichkeit der Realisierung des demokratischen Projekts (mit seinen Eckwerten demokratischer Inklusion, nichtstrategischer öffentlicher Debatten, verwirklichter Chancengleichheit, gesicherter politischer Kommunikationsfreiheiten und ausgeprägter innerparteiliche Demokratie (206f.). Das politisch-soziologische Potential dieser normativ angeleiteten Zeitdiagnose wird so allerdings prekär. Es scheint beinahe so, als ob das 1994 Pathos unvermeidlicher Ungewißheit, das den alternativlosen Prozeß politischer Selbsteinwirkung der Gesellschaft begleitet, die letzte denkbare Schwundstufe des utopischen 'Prinzip(s) Hoffnung' darstellt, auf die sich das demokratische Projekt gesellschaftlicher Selbsteinwirkung heute noch stützen kann. Ansgar Klein, Berlin CQ Harald Rein/Wolfgang Scherer: Erwerbslosigkeit und politischer Protest. Zur Neubewertung von Erwerbslosenprotest und der Einwirkung sozialer Arbeit (Europäische Hochschulschriften; Reihe 22, Soziologie; Bd. 250) Peter Lang, Frankfurt/Main u. a. 1993 Einen nicht eingelösten Anspruch stellt die von Joachim Hirsch betreute Frankfurter Dissertation von Harald Rein und Wolfgang Scherer dar. Die im Untertitel der Arbeit angesprochene Neubewertung von Erwerbslosenprotest sowie der sozialen Arbeit mit Erwerbslosen bleibt für den Leser kaum nachvollziehbar. Das Buch besteht aus vier Kapiteln. Im Anschluß an die Entfaltung derBegriffe „Erwerbslosenprotest" und „Erwerbslosenbewegung" wird ein Teil der wissenschaftlichen Diskusson Uber Arbeitslosenarbeit referiert und an- 109 satzweise diskutiert. Sodann wird - verantwortet von Wolfgang Scherer - der Zusammenhang sozialer Arbeit mit der Erwerbslosigkeit analysiert. Beschrieben werden verschiedene Arbeitsfelder, in denen professionelle soziale Arbeiter mit Arbeitslosen konfrontiert werden. Dargestellt werden auch die Handlungsfelder, in denen professionelle Arbeitslosenarbeit stattfindet. Für sich genommen, bietet dieses Kapitel eine informative Zusammenfassung. Es folgt ein Referat über die Erwerslosenbewegung in der Geschichte sowie eine Interpretation verbreiteter gesellschaftlicher Rückzugsstrategien Dauerarbeitsloser als „stummer Protest". Daß es den Autoren nicht gelingt, die annoncierte „Neubewertung von Erwerbslosenprotest" zu leisten, ist auf eine Reihe von Defiziten zurückzuführen, deren Häufung die Annahme des Textes als Dissertation sowie die Aufnahme in das Programm eines wissenschaftlichen Verlages erstaunlich erscheinen lassen. Zu bemängeln ist zunächst, daß ein 1992 abgeschlossenes, 1993 erschienenes Buch zu 'Erwerbslosigkeit und politischem Protest' trotz gegenteiliger Behauptung der Autoren nicht auf die Situation in den neuen Bundesländern eingeht, obwohl zu Arbeitslosigkeit und Armut oder zur Arbeit des Arbeitslosenverbandes Deutschland in der ehemaligen DDR eine Reihe von Publikationen vorliegen. Daß die zur Bewertung des Protestpotentials Arbeitsloser sicher wichtigen Aktivitäten gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen sowie die FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit kaum berücksichtigt werden, schränkt die Relevanz der Arbeit weiter ein. Gravierender noch ist das Fehlen eines das Buch strukturierenden theoretischen und/oder methodologischen Konzeptes, einhergehend mit der Nichtberücksichtigung wichtiger vorliegender Literatur zum Thema, etwa der grundlegenden Arbeiten von Hans-Georg Wolf (1990/91). Wo die Autoren sich auf eigene bereits 1988 an anderer Stelle veröffentlichte - empirische Ergebnisse berufen, sind zum einen die Bezüge zur Thematik der Arbeit nicht deutlich - nach politischem Protest wurde bei der Befragung von Arbeitslosenprojekten nicht gefragt -, zum anderen wurde eine überzeugende Evaluierung des Fragebogens nicht vorgenommen, so daß die Antworten teilweise nicht valide ausfielen. Wegen dieser und weiterer Desiderate erscheint der Text weitgehend als beliebige Ansammlung von Literaturberichten, bei denen Rein/Schererzwar eine „Neuinterpretation" vornehmen wollen, diese aber kaum irgendwo erkennbar wird. führen. Wenig überzeugend ist auch die Behandlung der - in der Literatur ausführlich, zuletzt mit der materialreichen Dissertation von RoseMarie Huber-Koller abgehandelten - Erwerbslosenbewegung in der Weimarer Republik. Warum Rein/Scherer, wie sie schreiben, mit diesemhistorischen Abschnitt „einen bewußten Bruch der Darstellung in Kauf" nehmen (S. 61), wird nicht begründet und ist auch aus dem Text nicht erkennbar. Die im Titel angekündigte „Neubewertung" des-begrifflich nicht nachvollziehbar erfaßten - Erw erbslosenprotestes erfolgt lediglich voluntaristisch insofern, als Rückzugs- und materielle Überlebensstrategien Arbeitsloser in individuellen Protest umgedeutet werden. „Unsere Thesen basieren auf jahrelangem Erfahrungswissen in der Beratungsarbeit eines Erwerbslosenzentrums und auf dem wenigen, unverfänglichen Material zu dieser These. Es beinhaltet zu vermutende, wahrscheinlich in größerem Maßstab vorhandene Verweigerungsund Absagereaktionen, die durchaus als Widerstandsformen gekennzeichnet werden können." (S. 254) 1994 Apostolidou, Natascha: Die neue Frauenbewegung in der Bundesrepublik und Griechenland. Eine vergleichende Studie. Helmer 1994, 300 S. Worin die Ursprünge der Bewegung im Ländervergleich lagen, worin sich ihre Entstehungsbedingungen unterschieden und welche Organisationsformen jeweils entwickelt wurden, untersucht diese erste ausführliche vergleichende Studie einer Griechin, die in Deutschland lebt. Natascha Apostolidou dokumentiert damit zugleich ein Stück Zeitgeschichte beider Länder: die kapitalistische Gesellschaft nach dem Kriege, die sie anhand des 'Fordismus'-Ansatzes theoretisch erschließt. Im dritten Teil gewährt das Buch einen vielschichtigen Einblick in die Veränderungen der Lebens- und Arbeitsformen Eine kritischere Distanz zur eige- der Frauen. nen selektiven Wahrnehmung sowie die Berücksichtigung der CQ empirischen Feststellung, daß die Arbeitslosenprojekte lediglich Betz, Hans-Georg: von einer kleinen Minderheit von Radical Right-Wing Arbeitslosigkeit Betroffener aufgesucht werden, ist aus solcher Populism and Western Europe. Begründung nicht erkennbar. Ihrem eigenen Anspruch nach setzen sich die Autoren weiter mit dem mainstream der sozialpsychologischen Arbeitslosenforschung auseinander, dem sie Psychologisierung und Pathologisierung der Arbeitslosigkeit attestieren. Kritik an diesbezüglich allzu generalisierenden Tendenzen in der Literatur äußerte auch der Rezensent gelegentlich; Rein/ Friedhelm Wolski-Prenger, Herz- Macmillan: Hampshire 1994 Scherer freilich negieren die vorlake liegenden Forschungsresultate, ohne für ihre Kritik Belege anzuCQ One of the most important recent FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, developments in Western Europe has been the rise and rapid spread of radical right-wing parties. Crucial to this transformation in West European politics has been the political climate of the 1980s, which was marked by disenchantement with the major social and political institutions andprofound distrust in their workings, the weakening and decompo.sition of electoral alignments, and increased political fragmentation and electoral volatility. This has put party Systems in the region under heavy pressure from a radical populist right. Distancing themselves from the reactionary politics of the traditional extremist right, these parties have become the most significant challenge to the established structure and politics of West European democracy today. £Q Björgo, Tore/Witte, Rob: Racist Violence in Europe. Macmillan: Hampshire 1994 All over Europe, asylum-seekers, immigrats and minorities are increasingly finding themselves under violent attack. Who are the perpetrators? What are their motives? To what extent are rightwing or neo-Nazi organizations involved? How do the authorities and the police respond? What are the roles of the media, the public opinion and anti-racist movements? What can be done to stop the violence? These are questi- 111 1994 ons addressed in this volume by some of Europe'sleadingexperts on racism and racist violence. CO Einhorn, Barbara / Kaldor, Mary / Kavan, Zdenek (Ed.): Hall, John A.: Civil Society. Theory, History and Comparison. Polity Press: Cambridge 1994, 280pp The banner of 'Civil Society' has been raised in recent years by social movements, in East Asia and Latin America quite as much as in Eastern Europe, seeking to push their societies from authoriMacmillan: Hampshire 1994 ties to democracy. The popularity of the concept is, however, European integration, the collapse almost inversely related to its claof State socialism and the relative rity. Therefore the prime task of decline of social democracy have this volume is to better define left only two dominant European what is meant by civil society, ideologies: nationalism and the not least so that the extent of its free market. In this book a distinusefulness descriptively rather guished group of scholars argue than merely prescriptively can be that ademocratically reconstrucestablished. To that end, analysis ted Europe requires a new apis comparative and historical proach centred around a concept quite as much as theoretical. Parof citizenship which is neither ticular attention is paid to the individualistic nor ethnically barelations between civil society and sed. The authors proposes the other social forces, most notably development of a well structured to nationalism and to populism. and pluralistic civic society which encourages activecitizenship and ea a definition of democratic citizenship which can be related to different types and levels of soci- Holthusen, B. / al activity. Jänecke, M.: Citzenship and Democratic Control in Contemporary Europe. CQ Rechtsextremismus in Berlin. Aktuelle Erscheinungsformen, Ursachen, Gegenmaßnahmen. Schüren: Marburg 1994, 324 S. Am Beispiel der Stadt Berlin untersuchen die Autoren das gesamte Spektrum rechtsextremer [112 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEIT 4, Denk- und Handlungsweisen, die unterschiedliche Geschichte des Rechtsextremismus in den beiden Stadthälften, das Ausmaß rechsextremer Einstellungen und die unterschiedlichen Erscheinungsformen vom Protestverhalten bis zu den Aktivitäten und Verbindungen der rund 50 in Berlin ansässigen rechtsextremen Parteien und Organisationen. ca Jenkins, J . Craig / Klandermans, Bert. The politics of social protest. Comparative perspectives on states and social movements. UCL: London 1994, 277pp This introduction to social movements applies a critical understanding of the State to provide an overview of the relationship between protest movements and the formal political System. The authors examine why Citizens prefer the risky and demanding strategy of disruptive protest to other Channels of political intervention. They analyze the link between protest and political representation, and the impact of the structure and development of the State on social movements themselves. CQ Kliment, Tibor: 1994 gangs für Protestbewegungen herangezogen. Im Ergebnis zeigt sich, daß Bewegungen in die massenmediale AuseinandersetDeutungsmuster einer zung eingreifen und diese zu ihWiderstandsbewegung ren Gunsten beeinflussen könund öffentliche Rezeption. nen. Dieses istjedoch als ein fragmentierter Prozeß zu beschreiDeutscher Universitäts Verlag: ben, der sich nach den SubtheOpladen 1994, 506 S. men des Issues den Protestakteuren und den Medien in unterDie Arbeit geht von der Frage schiedlichen Geschwindigkeiten aus, unter welchen Bedingungen und Formen vollzieht, und allendie Anliegen nichtinstitutionali- falls partiell erfolgreich ist. Entsierter, kollektiver Akteure in den scheidend ist die Fähigkeit der öffentlich anerkannten Problem- Bewegung, Bündnispartner zu haushalt einer Gesellschaft ein- gewinnen. Ohne diese Unterstütgehen. Am Beispiel der Protest- zung sind ihre Anliegen gesellbewegung gegen atomare, groß- schaftsweit kaum zu kommunitechnische Wiederaufarbeitungs- zieren. Aus der Sicht der Beweanlagen wird gezeigt, wie sich gung istein solcher Erfolgjedoch die Problemdefinitionen bei den zwiespältig. Protagonisten des Widerstands darstellen undwiesiesieim Zuge CQ ihrer öffentlichen Verbreitung verändern. Die in der Protestbewegung vorfindlichen Risiko- List, Juliane: wahrnehmungen und Deutungs- Studienführer muster werden rekonstruiert und Ökologische anschließend gefragt, in welcher Studiengänge. Form diese den Weg in die Massenmedien finden. Dazu werden Deutscher Instituts-Verlag 1993, umfangreiche Inhaltsanalysen der 318 S. internen Veröffentlichungen der Bewegung unternommen und mit Wenn integrierter Umweltschutz Analysen der regionalen und in Unternehmen Wirklichkeit überregionalen Presseberichter- werden soll, stellt sich die Frage, stattung gekoppelt. In theoreti- wo eine entsprechende Ausbilscher Hinsicht wird auf Konzep- dung angeboten wird. Der Studitualisierungen über die Struktu- enführer Ökologische Studienren mobilisierungsfähiger Deu- gänge von Juliane List gibt hier tungsmusterzurückgegriffen, Be- einen Überblick, der sichjedoch stimmungen Uber die Semantik auf die Bereiche Technik und Navon Bewegungsprotest einge- turwissenschaften beschränktund spielt, und kommunikationswis- Fachhochschulen sowie Pädagosenschaftliche Überlegungen zu gische Hochschulen unberückden Chancen, Risiken und den sichtigt läßt. Konsequenzen des MedienzuKernkraftprotest und Medienreaktionen. CQ FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Martell, Luke: Ecology and Society. An Introduction. Polity Press: Cambridge 1994, 234pp The book analyses ecological limits on, and effects of, industriaIism and economic growth. Martell evaluates forms of society and politcs appropriate to substainability. The volume assesses explanations for the development of the green movement in recent years. He shows how ecology both revolutionizes and relies on traditions in political thought such as conservatism, liberlism, socialism and feminism. He proposes arealist perspective in rethinking relations between society and nature over approaches populär in sociology and the green movement. The book concludes with an assessment of the future of the green movement. CQ Hans-Peter Müller, Bernd Wegener: Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit. Leske+Budrich: Opladen 1994, 240 S. Die Soziologie hat ihr Interesse in letzter Zeit auf Probleme sozialer Ungleichheit gerichtet. In Anknüpfung an den theoretischen Diskurs in der politischen Philosophie zwischen Liberalismus (Rawls) und Kommunitarismus 1994 (Walzer) und die empirische Gerechtigkeitstradition in der Sozialpsychologie versucht die soziologische Gerechtigkeitsforschung ihren Gerechtigkeitsbegriff zu klären und die Komplexität des Gegenstandes zu vermessen. CQ Herfried Münkler (Hrsg.): Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Lust an der Erkenntnis. Landeszentrale für politische Bildung NRW 1994 Der Band vereint Schlüsseltexte des politischen Denkens des 20. Jahrhunderts. Präsentiert werden zentrale Passagen aus den Werken M . Weber, C. Schmitt, J. Habermas, N . Luhmann, J. Schumpeter u.v.a. Die Texte sind nach Themenbereichen wie Staat und Gesellschaft, Diktatur, Parlamentarismus, Parteien und Opposition, Macht und Gewalt geordnet und fügen sich zu einem Lese- und Studienbuch zu den politischen Grundsatzfragen unserer Zeit zusammen. CQ Hiltrud Nassmacher, Oskar Niedermayer, Hellmut Wollmann (Hrsg.): Politische Strukturen im Umbruch. Akademie-Verlag 1994, 300 S. Der Reader zum Transformationsprozeß der politischen Strukturen präsentiert erste Forschungsergebnisse der 'Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern' (KSPW). Schwerpunkte sind soziopolitische Interessenvermittlung, Gebiets- und Funktionalreform, Kommunalverwaltung. CQ Pfahl-Traughber, Armin: Volkes Stimme? Rechtspopulismus in Europa. Dietz: Berlin 1994, 192 S. Ein Gespenst geht in Europa um, das Gespenst des Rechtspopulismus. Im Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen (und um Wählerstimmen) drängt sich ein neuer Typus von Politikern nach vorn: der gnadenlose Vereinfacher, der mit agitatorischer Polemik, Maulheldentum und kühl-kalkulierter Tabuverletzung die schnellen falschen Lösungen für komplexe gesellschaftliche Problemlagen unters Volk streut. 114 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HHIT 4, Der Autor hat den Populisten aufs Maul und ihren Parteien in die Programme geschaut. Vergleichend, analysierend und bewertend porträtiert er die bedeutendsten europäischen Parteien dieses Typs: den 'Front National' (Frankreich), die 'Republikaner' (Deutschland), die 'Lega Nord' (Italien), den 'Vlams Block' (Belgien), die FPÖ (Österreich) und die Frontmänner. Was Rechtspopulismus mit rechtsextremer Politik zu tun hat, welche Chancen sich den rechten Verführern bieten und weshalb manche Länder solche Parteien (noch) nicht kennen, sind weitere Themen dieses fundierten, sachlichen Überblicks über ein bislang kaum erforschtes Phänomen. ca Pollack, Detlef: Politischer Protest Politische alternative Gruppen in der DDR. Leske+Budrich: Opladen 1994 Wie entsteht politischer Protest in einer zwangshomogenisierten Gesellschaft? Diese Frage wird untersucht anhand des Aufkommenspolitisch alternativer Gruppierungen im Umfeld der evangelischen Kirchen in der DDR. Dabei beachtet der hier vorgeschlagene Ansatz stärker die DDR-spezifischen Voraussetzungen des Entstehens dieser Gruppen. Auf breiter empirischer Grundlage werden die Geschichte der alternativen Gruppierungen, ihre Strukturtypik sowie die Handlungsmotive und Einstellungen ihrer Mitglieder analysiert. CQ Richter, Emanuel: 1994 Sering, Kerstin: Jugendliche im Transformationsprozeß. Wissenschaftszentrum Berlin (P 94-103) Die Expansion der Herrschaft. Gegenstand dieser Arbeit sind zentrale Aspekte des Verlaufs der Integration ostdeutscher Jugendlicher im Transformationsprozeß. Leske+Budrich: Opladen 1994, Es wird einerseits der objektive 240 S. Verlauf ihrer Eingliederung in die neue Gesellschaft untersucht und andererseits gefragt, wie JugendUm die demokratischen Herausliche die einschneidenden Verforderungen der Gegenwart zu änderungen ihrer Lebens wel t subbegreifen, muß schärfer zwischen jektiv wahrnehmen. Die Datendem räumlichen Ausmaß politibasis bilden im wesentlichen zwei scher Herrschaft und ihrer KomUmfragen: die Shell-Jugendstuplexität, der zunehmenden Regedie von 1990 und das Sozio-ökolungsdichte im Sinne des wachnomische Panel. Die Ergebnisse senden Zugriffs von Staat und der Arbeit verdeutlichen, daß die Verwaltung auf alle LebensbeEinstellungen und Orientierunreiche, unterschieden werden. genostdeutscher Jugendlicher bis Das Buch zeigt anhand einiger 1992 insgesamt ein großes HoffModelle aus der neuzeitlichen nungspotential aufweisen, das für Staatstheorie auf, wie diese uneine schnelle Integration in die terschiedlichen Dimensionen der neuen gesellschaftlichen StrukHerrschaft und ihrer Expansion turen vorteilhaft sein könnte. immer deutlicher erkannt, aber noch viel zu wenig demokratietheoretisch durchdacht werden. CQ Anhand der europäischen Integration und der deutschen Wie- Twine, Fred: dervereinigung zeichnet das Buch Citizenship and Social die unterschätzte Expansion der Rights. Herrschaft nach und entwickelt Lösungsansätze für ihre demo- The Interdependence of Seif and Society. kratische Bewältigung. Eine demokratietheoretische Studie. Sage: London 1994 CQ This broad-ranging text offerts a comprehensive analysis of the potential and limitations of the idea of citizenship and its relevance to social problems and so- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, cial policies in advanced societies. The author demonstrates that two concepts are essential to an understanding of the issue of citizenship: the socially embedded nature of human agents, and their interdependence with each other and with the natural and social worlds they inhabit. In contrast to the glorification of a presumed free-floating consumer, Twine emphasizes the social nature of individual needs and individual rights. He shows that interdependence is not limited to the mutual linkages within advanced and developing nations, and to the environmental contexts of human existence. 1994 115 Adell Cook, Elizabeth/Jelen, Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe Ted G./Wilcox, Clyde 1993: 1994: Lichterketten und andere State Political Cultures and Pu- Irrlichter. 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Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt Tillner, Christiane(Hrsg.) 1994: Frauen - Rechtsextremismus, Rassismus, Gewalt. Feministische Beiträge, agenda Utzmann-Krombholz, Hilde 1994: Rechtsextremismus und Gewalt: Affinitäten und Resistenzen von Mädchen und jungen Frauen. Ergebnisse einer empirischen Studie, in: Zeitschrift für Frauenforschung, 12. Jg., Heft 1/ 2, 6-31 Vollrath, Ernst 1993: Hannah Arendt bei den Linken, in: Neue politische Literatur, XXXVIII. Jg., Heft 3, 361-372 Watts, M . W. 1994: A 'participatory revolution' amongtheGerman 'unification generation'? Youth attitudes toward noninstitutional participation after the East German revolution, in: European Journal of Political Research, Vol. 25, No. 2, 187-206 Waylen, Georgina 1994: Women and Democratization: Conceptualizing Gender Relations in Transition Politics, in: World Politics Vol. 46, No. 3, 327-354 Weiner, Gaby 1994: Feminisms in Education. An Introduction. Open University Press FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, Weiß, Ralph 1994: Von 'Lichterketten'zum'Bürgerkrieg'. Wie Lokalsradios den kommunalen Unfrieden öffentlich machen, in: Rundfunk und Fernsehen, Jg. 42, Heft 2, 149-170 Weißhuhn, Reinhard 1994: Bürgerbewegung in der DDR und Ostpolitikin derBundesrepublik, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 45. Jg., Heft 6, 406-412 1994 Wehling, Peer 1993: Postindustrialismus - eine ökologische Utopie?, in: PROKLA 93, 664683 Wessel, K. F./Naumann, F./ Lehmann, M . (Hrsg.) 1994: Migration. Kleine Verlag Wiesendahl, Elmar 1993: Parteien in der Krise. Mobilisierungsdefizite, Integrations- und Organisationsschwächen der Parteien in Deutschland, in: Sowi, Jg. 22, Heft 2, 77-87 123 Wolfsfeld, Gabi/Opp, Karl-Dieter/Dietz, Henry A./Green, Jerroid D. 1994: Dimensions of Political Action: A Cross-Cultural Analysis, in: Social Science Quarterly, Vol. 75, No. 1,98-114 Zapf, Wolfgang 1994: ZurTheorie der Transformationen, in: BISS public, Heft 13, 1-10 1124 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 7, HEFT 4, 1994 Thomas Ohlemacher: Painf ul episodes: Aigainst the discourse upon a right movement in reunified Germany; FJ NSB 4/1994, pp. 16-25 Although xenophobe acts of violence were on the increase in reunited Germany in the beginning of the nineties it would be wrong to suggest a steady movement from the right. The significant structures for such a movement are non-existing: there are no large organizations, no public support, no unifying ideology, not even a central mobilizing actor. Warnings from the social sciences against rightist phenomena could be contraproductive: right activists might feel more important than they really are. Werner Bergmann/Rainer Erb: Cadre party, movement, collective episodes or what eise? Problems of thinking the modern right-wing extremism in terms of sociology; FJ NSB 4/1994, pp. 26-34 Following a systemtheoretical approach towards social movements (as reproducing and combining instances of mobilizing events) the authors propose to analyseright-wingextremism asa social movement; the main issue is immigration. This approach integrates methods of Organization sociology, of youth sociology, of research on elections, on subcultures, on violence etc. Criticism of this approach is repudiated, because it is based upon a normative idea of social movements, that is too rationalistic and too narrow to come to terms with reality. Christoph Butterwegge: Murder attemps as youth protest - neo-Nazis as protest movement? Towards a criticism of a model of explanation in the research on right-wing extremism; FJ NSB 4/1994, pp. 35-41 The author dismisses the idea of a new social movement from the extreme right. The discourse of the scientific community as well as of the public use this term only in order to point at deficiencies and errors. The concepts of „protest" and of „social movements" are outlined; it is emphasized that these terms do not apply to the phenomena of extreme right-wing activism. Wolfgang Kühnel/Ingo Matuschek: Social networks and group processes of East-Germany youth - a Substrate for right mobilization?; FJ NSB 4/1994, pp. 42-53 The actions of right-wing, nationalistic and xenophobe groups are analysed in a threefold manner. With the methods of youth and group sociology the inner structures are revised. Second, the possibilities and limits of instrumentalizing youths by right-wing parties and groups are under investigation. Finally, the extent of the establishment and stabilization of an infrastructure for radical right-wing politics are analysed. The authors conclude that one should only talk of „initial stages" of a social movement. Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder: The analysis of right extremism: Disintegration, deprivation and other conceptual dilemmas; FJ NSB 4/1994, pp. 54-64 The authors point at the fact that there are still crucial desiderata of social and political science concerning the analysis of right extremism, even if there are a bulk of publications on this topic. The approach of „relative deprivation", brought about by Scheuch/Klingemann in 1967, is taken up again; the authors try to develop this approach according to the current debate of the connection of right extremism with wellknown processes of general social disintegration. Frank Nullmeier: Hannah Arendt: Movement and duration; FJ NSB 4/1994, pp. 65-75 The author sets out to discuss ARENDT's theory of totalitarian societies and their political movements in the context of the current debate onrightextremism. ARENDT's political movements from the right are identified by their „Weltanschauungen", not so much by their common interest. In totalitarian regimes, movements are an end in themselves. The alternative of a free society, on the contrary, consists institutionalized, republican movements that act in a sphere of publicrights.ARENDT' s analysis of mass society and its movements could offer significant contributions tow ards an analysis of modern research on social movements, even if she did not recognize the conflicts between institutions and movements. However, her ideaof republican elitism would have to be transformed according to the democratic civil society of today. Thema 11/94: Der Wechsel fand noch nicht statt J ü r g e n Busche: Die verpaßte Chance Die Neue Gesellschaft franHurter Hefte Hans-Martin Lohmann: Warum auch >Kanzlerwechsel<? Hubert Kleinert: Die Rückkehr der GRÜNEN ins Hohe Haus D • 4 r . 11; K a r l Starzacher: Alltagsdiskurse und Reformmilieu Weitere Beiträge u. a. von: Robert Misik: Österreich in der Bredouille Guntram von Schenck: Die Angst des Westens vor dem Islam SAID: Exil und Sprache des Verlusts Thema 12/94: Kerneuropa Gespräch mit K a r l Lamers • Peter Glotz: Selbstkritische Bemerkungen zur Architektur Europas • Gilbert Ziebura: Der Anfang vom Ende der Europäischen Union? • J ü r g e n Krönig: Großbritannien und Europa - ein Trauerspiel Weitere Beiträge u. a. von: Ralf Sotschek: Freiheit f ü r Nordirland? • Hans Dieter Zimmermann: Literaten im Ersten Weltkrieg • Thomas Rothschild: Roth, Babel und Pilnjak Neuerscheinungen zu aktuellen Themen JUGEND-GEWALT ! Benno Hafeneger Bemühungen um angemessene Ana- Jugend-Gewalt lysen und Zwischen Erziehung, Kontrolle und chend, weil wichtige Begriffe un- Repression. Ein historischer Abriß scharf benutzt und 1 9 9 4 . 1 6 8 S. Kart. Zusammenhänge unterschätzt oder D M 19,80/öS 155,-/SFr 19,80 gar nicht gesehen w e r d e n . Dieser bleiben Handlungsalternativen jedoch vielfach unzureistrukturierende ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 6 6 3 - 6 Band bietet einen Uberblick über Vor allem Teile der männlichen Ju- die g e n d aus d e n unteren sozialen Debatte. Schichten stehen im unübersichtlich gewordene Blickpunkt, wenn von unterschiedlichen gewalt- Anne Kathrin Flohr förmigen Verhaltensweisen und ju- Fremdenfeindlichkeit gendlichen Gruppierungsformen die Rede ist. Phänomen- und jugendkulturgeschichtlich g a b es zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Biosoziale G r u n d l a g e n von Ethnozentrismus 1 9 9 4 . 2 7 1 S . (Beiträge zur sozial- Halbslarkendebatte, in der W e i - wissenschaftlichen Forschung, marer Republik die Diskussion um B d . 124] Kart. Banden, Cliquen und d i e verwahr- DM 46,-/öS 359-/SFr 4 6 - loste männliche Großstadtjugend, ISBN in den fünfziger Jahren eine kurze, Entgegen allen Erwartungen zeigte g e r a d e z u dramatische Auseinan- sich nach dem Ende des Ost-West- dersetzung um die Gegensatzes eine kräftige W i e d e r - Halbstarken. 3-531-12576-1 Diese drei Erscheinungsformen ju- belebung von Ethnozentrismus. Uber gendlicher G e w a l t werden mitzahl- die Ursachen von Ethnozentrismus reichen Quellenbezügen vorgestellt. weiß die Wissenschaft aber noch Der Band zeigt, w i e d i e jeweiligen w e n i g . Aus der Perspektive Politi- Jugendkulturen und Freizeitmilieus scher Anthropologie leistet dieses in der pädagogischen Literatur dar- Buch einen beachtlichen gestellt und w i e über sie diskutiert zur Grundlagenforschung. Im Vor- wurde. dergrund steht d a b e i die Frage nach Beitrag den natürlichen W u r z e l n der ethnoHans-Gerd Jaschke zentrischen Verhaltensneigung. D i e Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit se wird in ihrem Kern als Auswei- Begriffe, Positionen, Praxisfelder bens nach Gesamtfitness ist. tung von Nepotismus bestimmt, der selbst wiederum Ausdruck des Stre- 1 9 9 4 . 1 9 9 S. Kart. DM22,-/öS 172,-/SFr 2 2 - ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 6 7 9 - 2 Seit den Wahlerfolgen von Rechtsaußen-Parteien in Westeuropa und dem Aufbrechen jugendlicher rechtsextremer G e w a l t wird in der politischen Öffentlichkeit und in den Sozialwissenschaften heftig über Ursachen und Gegenmaßnahmen diskutiert. Die teilweise hektischen WESTDEUTSCHER VERLAG OPLADEN • WIESBADEN Terror und Extremismus in Deutschland Ursachen, Erscheinungsformen Wege zur Überwindung Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 42 174 S. 1994 (3-428-08027-0) DM 98,- / öS 765 - / sFr 9 8 Die deutsche Geschichte ist reich an Erfahrungen mit extremistischen Kräften. Allein im 20. Jahrhundert hat das Land in der europäischen Mitte die Machtübernahme einer rechts- und einer linksextremen Bewegung erlebt. Schon aus diesem Hintergrund erklärt sich die Aufmerksamkeit, die dem Phänomen des politischen Extremismus von der Gründung der zweiten deutschen Demokratie an in der Öffentlichkeit zuteilgeworden ist. Dies ist nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der Renaissance der extremen Rechten im besonderen Maße der Fall. Vor allem ausländische Beobachter fragen besorgt, ob das Land, in dem sich der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus als so folgenreich erwiesen hat, durch die Annäherung seiner geopolitischen Situation an diejenige vor 1945 veranlaßt werden könnte, sich nun wieder politischen Traditionen zuzuwenden, die schon einmal in eine beispiellose Katastrophe geführt haben. Auch besonnene Kommentatoren kommen um die Feststellung wachsender extremistischer Potentiale nicht herum. Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf eine Tagung zurück, die von der Fachgruppe Politikwissenschaft der Gesellschaft für Deutschlandforschung im November 1992 an der Universität Bayreuth veranstaltet wurde. Sowohl Praktiker des Verfassungsschutzes als auch Wissenschaftler kamen dabei zu Wort. Bei der Auswahl der Themen wurde eine aktualistische Schwerpunktbildung bewußt vermieden. WattfirJItffln WSi'XLSSi Medien und Kommunikation Orfried Jarren (Hrsg.) akttheorie, Systemtheorie und Kon- Medien und Journalismus 1 versationsanalyse reichen. Hans A . Hartmann Eine Einführung 1 9 9 4 . 3 3 0 S . (Fachwissen für M o h l und G e r h a r d Vowe) Kart. Bilderflut und Sprachmagie D M 38-/ÖS 297,-/SFr Fallstudien zur Kultur der W e r b u n g Journalisten; hrsg. v. Stephan Ruß38- ISBN 3-531-12580-X DIE BEOBACHTUNG V O N Das Lehrbuch bietet eine allgemeine Einführung in Theorien, Ansätze, M e t h o d e n und Kernergebnisse der Publizistik-und Kommunikationswissenschaft sowie Orienlierungshilfen und problembezogenes, praxisorientiertes Basiswissen. Die Beiträge sind so aufgebaut, daß insbesondere Praktiker (z.B. Journalisten, Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter) sich Fachwissen auch im Selbststudium aneignen können. KOMMUNIKATION W o l f g a n g Ludwig Schneider Die Beobachtung von Kommunikation Zur kommunikativen Konstruktion sozialen Handelns 1 9 9 4 . 2 9 5 S. Kart. D M 4 9 - / Ö S 382 - / S F r 4 9 ISBN 3-531-12642-3 BILDE RFLIFT UND SPRACHMAGIE IV / Rolf H a u b l (Hrsg.) H a n d e l n wird üblicherweise als intentionales Verhalten verslanden. O b w o h l damit von H a u s e aus individuell und psychisch konstituiert, gelten Handlungen zugleich als Basiseinheiten des S o z i a l e n . In der darin angezeigten, aber in der Regel mißachteten Differenz z w i s c h e n Handlung als Bewußtseinsleistung und Handlung als sozial erzeugter Einheit liegtderAusgangspunktdieser Untersuchung. Sie bildet den Hintergrund für die Diskussion maßgeblicher Positionen, d i e von der soziologischen und philosophischen Handlungstheorie über d i e Kriterien der Zurechnung von Handlungen im Recht bis hin zur Sprech- 1 9 9 2 . 3 1 2 S . Kart. D M 4 8 - / Ö S 375,-/SFr 4 8 ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 3 6 5 - 3 Die Konsumgüterwerbung hat sich zu einem eigenständigen M a s s e n medium, genauer gesagt: zu einem Unterhallungsmedium für die M a s s e n entwickelt. Die Unterhaltungsfunktion drängt d a b e i d i e absatzwirlschaftliche Funktion langsam aber sicher in den Hintergrund. Damit wird die Konsumgüterwerbung a b e r zu einem kulturschaffenden M e d i u m von verbaler, mehr noch: von visueller Kultur. Sie schafft Kultur, indem sie sich traditionelle Motive aus Literatur und Kunst aneignet und diese ihrem vordringlichen Verwertungsinteresse gemäß umgestaltet. DerartführtsieTraditionen, Sprach- und Sehgewohnheiten verfremdend und entfremdend fort. Sozialwissenschaftlich ist es von Interesse, diesen Umgestaltungsprozeß zu studieren, in dessen Verlauf Muster verbalen und visuellen Erlebens sozialisiert w e r d e n . Von dem Hintergrund dieser Diagnose versammelt der B a n d 1 2 exemplarische Fallanalysen von W e r b e a n z e i g e n in Publikumszeitschriften. WESTDEUTSCHER VERLAG OPLADEN • WIESBADEN TiTi " * _ I l T % r f i F d d M j B Ltrof!<*tsm | * 1 *" TU \flftsjrens«Mft • Hrü sä^gf djfes® i r iß. 'aadsfiSs^ . -.V5!SJfi' : kt: Interdisziplinäre wicklun* . - V* ~' MJJ! <I y,'-i»ii>^T..j.,rijni-{ri.j, Jt-> I J issenschaft und Techni J Bestellen Sie mit diesem Coupon • Probeheft für 3 D M in Briefmarken • Das aktuelle Heft für 10 D M • (bitte per Scheck!) | Bestellungen: WECHSELWIRKUNG, Mariabrunnstr. 48, D - 52069 Aachen V Alternative Kommun.il Politik • Wenn mensch über alle Gebiete der Kommunalpolitik eine grundlegende und kompetente Einführung sucht, • wenn die wichtigsten Konzepte, Programme und Diskussionsansätze von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den zahlreichen Politikfeldern rund ums Rathaus abgesteckt werden sollen, • wenn zudem der Bedarf nach weiterführenden Literaturhinweisen, Adressenverzeichnissen, schnell auffindbaren Stichworten etc. besteht — tja, dann. Dann benötigt mensch einfach das « H a n d b u c h KZFSS Sonderheft 34/1994 Friedhelm Neidhardt (Hrsg.) Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen 1 9 9 4 . 4 4 4 Seiten. (Kölner Zeitschrift für S o z i o l o g i e und S o z i a l p s y c h o l o g i e , Sonderheft 3 4 ) Kartoniert DM66,-/öS515,-/SFr 6 6 ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 6 5 0 - 4 Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen für alternative Kommunalpolitik» Über 40 Autorinnen haben darin ihr Wissen für Ratsmitglieder, Verwaltungsmitarbeiterlimen und Aktive aus Initiativen zur Verfügung gestellt. Das Buch umfaßt 415 Seiten und kostet 45.DM (zzgl. 4.- DM Porto). Ein vergleichsweise geringer Preis für das, was drinsteht! *»* Übrigens: Wer die «Alternative Kommunalpolitik» — die seit 15 Jahren erscheinende Fachzeitschrift der Grünen für "Kommunalas/Kommunalos" — noch nicht kennt, sollte Asche auf sein Haupt streuen, Buße tun und ganz, ganz schnell ein kostenloses Probeheft sowie unseren Gesamtkatalog anfordern. Öffentlichkeit entwickelt sich unter den Bedingung e n der Massenkommunikation zum zentralen Forum gesellschaftlicher Selbstbeobachtung. In diesem Band werden d i e Bedingungen, Strukturen und Funktionen von Öffentlichkeit beschrieben und d i e relevanten Öffentlichkeitsakteure (Sprecher, M e d i e n , Publikum) untersucht. Die Analyse ihrer Interaktionen ermöglicht die Bestimmung von Prozessen und Wirkungen öffentlicher Meinungsbildung. D a b e i erfahren jene Mobilisierungen des Publikums, die sich als soziale Bewegungen formieren, besondere Aufmerksamkeit. Bestelladresse: AKP-Redaktion und Vertrieb Luisenstraße 40 33602 Bielefeld Td.: 0521/177517, Fax: 0521/177568 Fachzeitschrift f ü r alternative Kommunalpolitik WESTDEUTSCHER VERLAG OPLADEN • WIESBADEN— tuelle Neuerscheinungen Josef Schmid (Hrsg.) Bevölkerung Umwelt - Entwicklung Eine humanökologische Perspektive 1 9 9 4 . 1 9 6 S. Kart. D M 38,-/öS 297,-/SFr 38- ISBN 3-531-12659-8 In dem Bestreben der Deutschen Gesellschaff für Humanökologie, immer mehr Bereiche für ihren interdisziplinären Denkansatz z u öffnen und ihre M e t h o d e für die Analyse und Lösung globaler Probleme nutzbar zu machen, leistet dieser nunmehr dritte S a m m e l b a n d einen weiteren wichtigen Beitrag. N e ben grundlegenden Untersuchung e n , w e l c h e d i e Zusammenhänge zwischen Bevölkerungsentwicklung und Umweltbedingungen beschreiben und erklären, stehen vor allem an wendungsbezogene Themen aus Epidemiologie und Enlwicklungspolitik im Vordergrund. Karl-Heinz Reuband Soziale Determinanten des Drogengebrauchs Eine sozialwissenschaftliche Analyse des G e b r a u c h s weicher Drogen in der Bundesrepublik Deutschland 1 9 9 4 . 3 4 6 S. Kart. DM 59-/ÖS 460,-/SFr 5 9 - ISBN 3-531-12584-2 Der Drogengebrauch Jugendlicher - insbesondere von C a n n a b i s - ist weniger eine Reaktion auf ungelöste individuelle Problemlagen als elmehr ein Akt von Konformität gegenüber den Alltagsnormen G l e i c h altriger. Die Zusammensetzung des Freundes-und Bekanntenkreises bestimmt in maßgeblicher W e i s e darüber, welchen Verlauf die Drogenkarriere nimmt. Die Arbeit ist über die spezifische Problematikdes Drogengebrauchs hinaus zugleich ein Beitrag zur S o z i o l o g i e a b d e i c h e n - den Verhaltens und damit auch zur Grundfrage der S o z i o l o g i e , unter welchen Bedingungen gesellschaftliche Konformität und A b w e i c h u n g auftreten. Reinhard Stockmann / W o l f G a e b e (Hrsg.) Hilft Entwicklungshilfe langfristig? Bestandsaufnahme zur N a c h h a l tigkeil von Entwicklungsprojekten 1 9 9 3 . 2 2 3 S . Kart. D M 3 6 - / Ö S 281,-/SFr 36- ISBN 3-531-12487-0 Die Nachhaltigkeit von Entwicklungsprojekten und damit die Frag e , o b d i e Hilfe langfristig wirklich hilft, ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema in der Entwicklungszusammenarbeit avanciert. Das Buch legt hierzu eine erste, umfassende Bilanz vor. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten sowie die Erfahrungen der wichtigsten deutschen und schweizerischen Geberorganisationen v/erden in kurzen Aufsätzen präsentiert. Alle Autoren bestätigen die große Bedeutung der Nachhaltigkeit als entwicklungspolitisches Erfolgskriterium. Die H e r a u s g e b e r verbinden damifdie Forderung nach einer systematischen Erfolgskontrolle in der Enfwicklungszusammenarbeif mit Hilfe von Ex-post-Evaluationen, weil nur so festgestellt werden könne, o b die Förderung d i e Zielgruppen dauerhaft zu einer Hilfe zur Selbsthilfe befähigt. WESTDEUTSCHER VERLAG OPLADEN • WIESBADEN Aktuelle Neuerscheinung Rechtspolitisches Magazin für Uni und soziale Bewegungen! Erscheint vierteljährlich Einzelheft: 4,00 + 1,50 Mark Porto Jahres-Abo: 16,00 Mark Heft 4/1994 Schwerpunkt: Wirtschaft und Recht • Die emanzipierte Belegschaft • Der deregulierende Zeitgeist • Tarifautonomie trockengelegt • Kleineres Übel Staatsschulden • Analyse & Kritik der Neoliberalen Weitere Themen: • Polit. Justiz, §ammel§urium, Juristische Ausbildung, Recht Kurz. Verbrechensbekämpfungsgesetz '94. Grundgesetz verteidigt, Staat geschützt, Recht gebeugt Probe-Abo (ohne Verlängerung): 3 Hefte für 10 Mark Schein oder Scheck an: RECHT & BILLIG VERLAG Falkstr. 13, 33602 Bielefeld Jochen Köhler Mittler zwischen den Welten G T Z - Ein Unternehmen in Entwicklung 1 9 9 4 . 2 4 2 Seiten. Kartoniert DM 36-/ÖS 281,-/SFr 3 6 ISBN 3 - 5 3 1 - 1 2 6 9 1 - 1 W i e hat sich die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Partnerländern in aller W e l t während der vergangenen z w a n z i g Jahre verändert? W e l c h e s sind die Grundsätze der deutschen Entwicklungspolitik? W i e gestaltet sich die Projektarbeit allgemein und im Konkreten? W e l c h e Erfolge und Mißerfolge, Stärken und Schwächen kennzeichnen die deutsche Enlwicklungszusammenarbeit? Diese und viele andere Fragen versucht das Buch detailliert zu beantworten. Es stellt das Wirken der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) G m b H in einen umfassenden Kontext: Eniwicklungspolitik, globale Tendenzen, Probleme der Dritten Welt, Projektumfelder, Menschliches - Allzumenschliches. WESTDEUTSCHER VERLAG - O P L A D E N • WIESBADEN-