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Brennende Giraffen, die Greuel des Gebirges und kein Treffen mit Sigmund Freud Salvador Dalí und Österreich Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Kunstgeschichte an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Paris Lodron Universität Salzburg eingereicht von Linus Klumpner 0721371 Betreuerin: Univ.Prof. Dr. Andrea Gottdang Salzburg, 15. November 2013 Inhalt Einleitung 1 Forschungsstand .........................................................................................7 2 Künstlerreisen ...........................................................................................18 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 Der Maler als Reisender vom Beginn der Neuzeit bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts .........................................................................18 Dürer und eine Ausrede ..............................................................................19 Der Künstler als Diplomat ..........................................................................22 Das Motiv in der Ferne suchen ...................................................................24 Maler, die Alpen und Touristen ..................................................................27 2.2 Dalí auf Reisen: ein Künstler in der High Society......................................30 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís ....................................33 3.1 Die Malkunst des Johannes Vermeer – Dalís Fixpunkt in Österreich ....................................................................................................34 3.2 Dalís Auffassung der Landschaft ................................................................37 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís ................................................40 4.1 Österreich und Dalí .....................................................................................41 4.2 Narziss, die Ungeheuer und die Schubladenfrau – Dalís Gemälde mit Österreichbezug ....................................................................................46 Die Paranoia-Kritische Methode................................................................47 Die Metamorphose des Narziss ..................................................................50 Die Erfindung der Ungeheuer .....................................................................63 The City of Drawers ...................................................................................72 Geplünderte Dalís - die 17 Gemälde in der Datenbank des Jeu de Paume .........................................................................................................75 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 Don Quijote am Flexenpass – Dalís Graphiken mit Österreichbezug ..........................................................................................77 4.3.1 Eine Kiste voller Hunde für Breton – Dalís Arbeit auf einer österreichischen Postkarte...........................................................................78 4.3.2 Der spanische Nationalheld im Schnee – Dalís zweite paranoiakritische Postkarte vom Arlberg .................................................................80 4.3.3 Der Schuhhut...............................................................................................82 4.4 Gibt es noch mehr zu entdecken? – der Österreichbezug in Dalís Gesamtoeuvre .............................................................................................84 5 Resumée .....................................................................................................88 Abbildungen Literatur Eidesstattliche Erklärung Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Diese Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form noch bei keiner anderen Prüferin/ keinem anderen Prüfer als Prüfungsleistung eingereicht. Mir ist bekannt, dass Zuwiderhandeln mit der Note „nicht genügend“ (ohne Möglichkeit einer Nachbesserung oder Wiederholung) geahndet wird und weitere rechtliche Schritte nach sich ziehen kann. Diese Arbeit wurde neben der gedruckten Version auch auf CD-Rom zur Prüfung der o.g. Erklärung bei dem zuständigen Prüfer hinterlegt. Salzburg, 15. November 2013 Linus Klumpner, Bakk.phil. Abstract Abstract D er spanischstämmige Künstler Salvador Dalí (1904 – 1989) zählt ohne jegliche Zweifel zu einer der prominentesten und schillerndsten Persönlichkeiten, welche die Strömung des Surrealismus hervorgebracht hat. Seine Werke und Arbeiten genießen bis heute eine enorme Popularität unter Kunstinteressierten. Zudem sind Objekte aus seinem Oeuvre in den renommiertesten Museen und Kunstsammlungen weltweit vertreten und erreichen im Kunstmarkt Rekordpreise. Es ist nicht zu leugnen, dass die kunsthistorische Forschung bereits eine Vielzahl an Publikationen und Arbeiten zum Thema Dalí hervorgebracht hat und auf den ersten Blick mehr als ausgeschöpft erscheinen mag. Dennoch hat sich eine relevante Fragestellung rund um den Österreichbezug in Dalís Oeuvre, vor allem seine Gemälde und Grafiken betreffend, aufgetan, die wissenschaftlicher Bearbeitung bedarf. Es ist belegbar, dass sich der Künstler in den Dreißigern des zwanzigsten Jahrhunderts für eine nicht unwesentliche Zeit in Österreich aufgehalten hat. Zahlreiche Belege und Indizien deuten darauf hin, dass dieser Besuch zum einen bedeutende Kunstobjekte hervorgebracht hat, die teilweise zu den bedeutendsten seines Gesamtwerkes zählen, zum anderen auch einen markanten Einfluss auf einige dieser Arbeiten und deren Ikonographie gehabt hat. Ein Ziel dieser Arbeit ist es die Biographie Dalís im Hinblick auf diese Materie zu beleuchten, betreffende Kunstwerke zu diskutieren und die angeführten Thesen wissenschaftlich zu fundieren. Außerdem soll die Reiseroute durch Österreich, inklusive vorheriger und nachfolgender Reisestationen im Jahr 1937, unter Zuhilfenahme verbleibender Aufzeichnungen und Archivalien, dokumentiert werden. Gleichzeitig gilt es, nicht zuletzt der Vollständigkeit dieser Thematik halber, den Blick auf den Bezug zu Österreich in Dalís späterem Tun zu lenken. W ithout any doubt the Spanish artist and painter Salvador Dalí (1904 – 1989) was one of the most important members and representatives of the Surrealistic movement in Europe. His work enjoys an enormous reputation in the world of art, is represented within the most important museum collections and still reaches high estimates in auctions. It cannot be denied that there already exist tons of literature and research papers about Dalí and his enormous oeuvre, and on a first glance it might seem that there is not much space left for further studies. Nonetheless a number of relevant questions and problems regarding the relation to Austria in Dalí´s work needed to be addressed. This topic, especially his paintings, drawings and graphic art, must become subject of an art historic research. It is attestable that the artist spent some time in Austria in the thirties of the twentieth century. Several records and documents from archives point to the fact that on the one hand important objects had been produced during this stay and on the other hand this sojourn were influencing those and some of his further work. This is especially true regarding the iconography. A goal of this thesis is to review Salvador Dalí´s biography related to this issue, to discuss affected artworks and to base those theories on historic evidence. Another intention is to reconstruct the artist´s route in 1936, with the aid of remaining documents, not only through Austria but also including the places he visited before and after. At the same time it is important to have an eye on the Austria-relation in Dalí´s further work. Einleitung Einleitung Was haben brennende Giraffen, die Gräuel des Gebirges und Sigmund Freund miteinander zu tun? Die Antwort ist eine gemeinsame Schnittstelle: der Künstler Salvador Dalí. Es sind vor allem seine Werke aus dem Jahr 1937, darunter einige seiner bekanntesten Gemälde, die im Zentrum dieser Masterthesis stehen. Dabei handelt es sich um jene Stücke aus Dalís enormem Oeuvre, welche sich über einen gemeinsamen Bezug zu Österreich definieren und erstmals als ein eigenständiges Ensemble zusammengefasst werden. Eine beachtliche Zahl ausgewählter Arbeiten ist nachweislich in Österreich entstanden und es findet sich ein inhaltlicher oder ikonographischer Zusammenhang, der auf einen von Dalís Aufenthalten in den 30er Jahren in diesem Land zurückzuführen ist. Ausgehend vom Entstehungsprozess der Metamorphose des Narziss (Abb.1), sind es die ersten Entwürfe zu diesem Gemälde, welche den Beginn einer ganzen Reihe von Arbeiten darstellen, die Dalís Österreichreise und die damit verbundenen Impressionen auf ganz besondere Weise skizzieren. Neben den größeren Arbeiten auf Leinwand, sind es die graphischen Werke, die einen Eindruck davon geben, wie dieser geniale Surrealist aus ganz banalen Alltagsstücken, wie zum Beispiel einer Postkarte, ein kleines Kunstwerk kreierte. Grundlage dieser äußerst spontanen Graphiken ist häufig die von Dalí entwickelte Paranoia-Kritische Methode, deren Idee auf das Phänomen des Doppelbildes und optische Täuschungen zurückzuführen ist. Eine der zahllosen, vermeintlich verrückten Ideen, die dieser Welt der Surrealisten zuzuschreiben ist, vergleichbar mit denen anderer Größen wie beispielsweise von René Magritte. Doch jene des Salvador Dalí bleiben unübertroffen, denn keinem gelang es sämtliche Sparten der Wissenschaften, wenn nicht gar des humanen Wissens überhaupt, seiner Kunst zu subsumieren. Das, was an Einfällen aus seinem geradezu genialen Kopf hervorgegangen ist, reizt aber zugleich die Grenzen der Kunst aus. Kurzum: was vorher nicht als Kunst angesehen wurde, wird durch die Hand des Dalí einfach zur Kunst Einleitung gemacht. Gepaart mit wirtschaftlichem Talent, vor allem dem seiner Ehefrau Gala, die hier eine nicht unwesentliche Rolle spielen wird, brachte er alles, was er anpackte, an den Mann. Und in gewisser Weise konnte er schlussendlich alles verkaufen, denn selbst Berührungsreliquien des Künstlers hätten einen Abnehmer gefunden. Der daraus resultierende „Dalí-Kult“ und sein persönlicher Reichtum - absolut unüblich für einen Künstler in der Zwischenkriegszeit - ermöglichte viele Reisen. Die Eindrücke, welche er auf diesen exklusiven Touren gewinnen konnte, resultieren, neben vielen anderen, in den Werken seines enormen Oeuvres, die dieser Arbeit zugrunde liegen und die dafür gewissenhaft selektiert wurden. Das Thema Dalí hat in der kunsthistorischen Forschung, besonders in den letzten Jahren, gerade wegen den Feierlichkeiten zu seinem hundertsten Geburtstag im Jahr 2004, einen regelrechten Aufschwung erfahren. Die daraus resultierende Fülle an Publikationen, lässt eine Masterarbeit zum Oeuvre Dalís entbehrlich erscheinen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, weil die hier behandelte Thematik eines Österreichbezuges bisher nur in den Grundzügen tangiert wurde. Salvador Dalí selbst gibt in seinen Schriften nur sporadisch Auskünfte darüber, die Schlüsse zulassen würden, welche Gemälde aus dem Jahr 1937 in Österreich entstanden sein könnten. Dennoch hat die Forschung dieses Kapitel stets zurückgestellt, da vermutlich angenommen wurde, dass sich das Thema kurz abhandeln ließe. Doch ausgehend von Beweisen, die sich auf die Abbildung einer Gebirgsgruppe der Lechtaler Alpen in einem von Dalís Gemälden beziehen, hat sich gezeigt, dass es im Hinblick auf einen Österreichbezug in Dalís Oeuvre weitaus mehr zu erkunden gibt. Vor einer genauen Analyse der einzelnen Stücke, darunter tatsächlich einige von Dalís bedeutendsten Gemälden und kleinerer Arbeiten auf Papier, steht eine kurze Abhandlung der Geschichte von Malern als Reisende. Kein unwichtiges Kapitel, um bewerten zu können, wie Dalí als Maler in den 1930ern einzuordnen ist. Quer durch die Kunstgeschichte wurde Kunstschaffenden eine gewisse Reisebereitschaft abverlangt. Zu Beginn der Neuzeit freilich, um als Talent – anfänglich einzig aus reiner Selbsteinschätzung heraus - der provinzhaften und kulturfreien Umgebung der Dörfer und Kleinstädte zu entfliehen. In den Metropolen der Renaissance, oder Einleitung den Höfen des europäischen Adels angelangt, trennte sich die Spreu vom Weizen und es zeigte sich schnell, wer das Zeug dazu hatte, Karriere zu machen. Für viele platzte dieser Traum und sie landeten in den Hinterzimmern der Werkstätten jener, die mit ihrem Können überzeugen konnten. Jene wurden wieder auf Reisen geschickt, oftmals durch ganz Europa, um für ihre Auftraggeber die Gemälde der Großen der Kunstgeschichte zu kopieren. Der Strom der Reisenden verlief allerdings recht einseitig von Nord nach Süd. Die Interessen des Adels fokussierten sich auf die südeuropäische Kunst, die zur damaligen Zeit als fortschrittlicher und freizügiger galt und, nicht zuletzt deswegen, nördlich der Alpen eine Vielzahl von Bewunderern hatte. Somit wurde aus dem Maler erneut ein Reisender, dessen Reisekomfort und Auftreten jenem eines Diplomaten oft in nichts nachstand. Wie es solchen Künstlern im Fortlauf der Kunstgeschichte auf ihren Reisewegen weiter erging und wie sich die Beweggründe des Reisens an sich änderten, wird im Verlauf dieses Kapitels bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts beleuchtet. Am Ende wird feststehen, dass Salvador Dalí zwar Gemeinsamkeiten mit seinen Kollegen der Vergangenheit und Zeitgenossen teilt, aber dennoch eine absolute Ausnahme bildet. Nachdem Dalí in der Tradition des Künstlers auf Reisen besprochen wurde, gilt es den Bezug zu Österreich herzustellen. Da es tatsächlich viele Punkte gibt, an denen sich Dalí und Österreich tangieren, ist es vonnöten darauf einzugehen, wie es überhaupt dazu kam, dass Salvador Dalí eine gewisse Verbundenheit und Begeisterung gegenüber österreichischen Persönlichkeiten und Orten pflegte. Denn diese ging schlussendlich soweit, dass die landschaftlichen Ikonen dieses, in der Zwischenkriegszeit eher unbedeutenden, Alpenlandes gar mit denen seiner über alles geliebten Heimat Katalonien konkurrieren konnten. Mitunter kann die Bewegung des Dada und frühen Surrealismus und deren Zusammentreffen im abgelegenen Tirol als markanter Aspekt hinter Dalís Motivation gesehen werden. Bruchstücke dessen, was die schrägen Künstlergruppen einst in besagtem Bundesland auf künstlerischer Ebene antrieb, finden sich später bei Dalí wieder. Eine weitere prominente Rolle wird der englische Millionär Edward James einnehmen. Zum einen ist er ein nicht unwesentlicher Faktor, der Dalí dazu Einleitung bewegte, mehrere Wochen in Österreich zu verbringen und zum anderen steht James in enger Verbindung zu jenen Kunstwerken, welche Dalí in den Jahren 1936 und 1937 schuf. Der angeblich außereheliche Sohn King Edward des VII. hatte zu jener Zeit eine Art Eigentumsrecht auf Dalís Gemälde. Außerdem verband die beiden Exzentriker eine außergewöhnliche Beziehung, deren Auswirkungen auch bei den hier diskutierten Objekten zu erkennen sein werden. Bevor es aber tatsächlich an die kunstgeschichtliche Betrachtung der Gemälde Metamorphose des Narziss und Erfindung der Ungeheuer (Abb.2), City of Drawers (Abb.3), sowie mehrerer graphischer Stücke, darunter von Dalí bearbeitete Postkarten des Vorarlberger Ansichtskartenverlages Risch-Lau, geht, sollte man die Technik und Arbeitsweise des Salvador Dalí genauer unter die Lupe nehmen. Fasziniert vom Vorgehen der alten Meister, allen voran Johannes Vermeer1, dessen Malkunst ein fixer Anziehungspunkt für Dalí war, passte er seine Technik den alten Malweisen bis ins Detail an. Jene Brillanz in der Art der Darstellung, sei es bei noch so alltäglichen Motiven, die in der Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich als veraltet und unmodern galt, erlebt bei den Surrealisten und allen voran bei Dalí eine regelrechte Renaissance. So übertrieben intensiv die Faszination des Künstlers an dieser Manier einem auch vorkommen mag, stellt sie doch eine fundamentale Grundlage der hier präsentierten Forschungsergebnisse dar. Dieses präzise Malen nach der Natur und die Feinheit der Details, haben es erst möglich gemacht, auf diese Entdeckungsreise durch die österreichische Landschaft, innerhalb Dalís Gemälden, zu gehen. Die Begeisterung für Maler wie Johannes Vermeer oder Hans Baldung Grien hat ferner Auswirkungen auf diese Arbeit, als sich damals in Wien befindliche Gemälde der beiden Künstler in Dalís Oeuvre rezipiert finden – auch ein gewisser Österreichbezug, nämlich zur Kunst in Österreich, der hier kurz angeschnitten wird. Außerdem liefert ebendiese Rezeption bereits vorhandener Motive eine weitere Grundlage dieser Arbeit. Freilich wäre es alles andere als fachlich korrekt, Dalí dabei als bloßen Kopisten hinzustellen, denn durch die 1 Anm: Geburtsname Jan Vermeer, aber die in Österreich gebräuchliche Schreibweise lautet Johannes Vermeer. Einleitung von ihm entwickelte Paranoia-Kritische Methode erfahren ebendiese Motive einen vollkommen neuen Deutungsansatz. Da diese komplexe Methode für das Verstehen der beiden hier behandelten Gemälde wichtig ist, wird sich ein kleiner Abschnitt mit dem Naturwissenschaftler Dalí beschäftigen. Naturwissenschaftler deswegen, weil seine Methode nicht bloße Denkansätze darstellt, wie es bei den Surrealisten oft der Fall war, sondern von ihm zu absoluter Perfektion gebracht wurde. Und einmal verstanden, ergibt diese sogar Sinn – auch alles andere als eine Selbstverständlichkeit, was man weiß, wenn man sich genauer mit Dalí auseinandergesetzt hat. Es lohnt jedenfalls sich exemplarisch mit einigen dieser in den Gemälden und vielen graphischen Arbeiten angewandten optischen Spielereien zu beschäftigen. Denn um zwei derart komplexe Objekte aus Dalís Oeuvre verstehen zu können, muss man einschätzen können, welch markanten Einfluss die Paranoia- Kritische Methode schlussendlich auf den Arbeitsprozess des Künstlers gehabt hat. Vor allem bei dem der Legende des Narziss gewidmeten Gemälde kommt es zu einer Verstrickung mehrere Kunstgattungen, denn das Bild bezieht sich auf ein paranoia-kritisches Gedicht aus Dalís Feder und umgekehrt. Um den Kreis wieder zu schließen, kann an dieser Stelle, freilich ohne zu viel vorwegzunehmen, noch eines verraten werden: auch dieses Gedicht entstand in Österreich. Ein Schwerpunkt liegt daher auf dem Jahr der wichtigsten Österreichreise Dalís 1937 und auf dieses Jahr datieren auch die meisten Arbeiten, die hier vorgestellt werden. Trotzdem wird es nicht möglich sein, sich auf einen konkreten Zeitrahmen zu beschränken, denn sowohl zuvor als auch danach gibt es Anekdoten und Projekte in Dalís Leben, die mitunter einen Österreichbezug aufweisen. Über einige dieser Pläne kann bis heute nur spekuliert werden, darunter mögliche Auftragsarbeiten für österreichische Opernhäuser. Und auch Dalís Wirkung auf die Wiener Schule des Phantastischen Realismus und österreichische Künstler, wie Ernst Fuchs, kann nicht ganz beiseite gelassen werden. Zuletzt muss auch das düstere Kapitel des Nationalsozialismus gestreift werden. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg fand Dalís Werken gegenüber keinen Grund diese in der Öffentlichkeit zu dulden. Einige um 1937 entstandene und heute verschollene Gemälde tauchen zum letzten Mal in den Einleitung Katalogen der Nazis auf. Und es ist gut möglich, dass sich darunter Objekte befanden, welche den Gegenstand dieser Masterarbeit streifen. Um zu jener Frage zurückzukehren, welche am Beginn gestellt wurde, am Ende wird sie gänzlich beantwortet sein. Selbst der Zusammenhang zwischen Österreich und den brennenden Giraffen und die mögliche Antwort auf die Frage danach, warum die Giraffen denn überhaupt in Flammen stehen mussten, wird einem dann nicht mehr allzu kurios erscheinen. Salvador Dalí ist eine der prägendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, überheblicher Snob und Genie zugleich. Aber die Ergebnisse dieser Masterarbeit fokussieren eine andere Perspektive, die Dalí als eine Persönlichkeit zeigen, deren Subtilität fürs Detail innerhalb der Kunst gerade im 20. Jahrhundert einzigartig ist. 1 Forschungsstand 1 Forschungsstand Unter den großen Malern der Kunstgeschichte stechen einige besonders hervor, die sich heute dadurch auszeichnen, dass die Literatur und Forschung zu ihrem Oeuvre und ihrer Person an einem Punkt angelangt ist an dem zwangsweise der Eindruck entsteht, dass es kaum möglich ist mit neuen Einblicken und Erkenntnissen aufwarten zu können. Offensichtlich ist auch eine Zugehörigkeit Salvador Dalís zum Kreis ebendieser Persönlichkeiten kaum mehr von der Hand zu weisen. Dem nicht genug, kommt auch noch die Tatsache hinzu, dass uns Motive aus seinen Gemälden von Kalendern, Postern und Kitschprodukten förmlich entgegenspringen. All das zusammengenommen führte in den letzten Jahren zu einer Art Gau, da sich zunehmend jene Stimmen häufen, die eine Erschöpfung des Auges mit den wunderbaren Objekte aus Dalís Werk assoziieren. Dem Kenner liegt freilich nichts ferner als diese einmaligen Arbeiten in einen derartigen Kontext zu bringen, aber ein gewisses Verständnis für eine solche Einstellung muss dieser dann doch einräumen. Wer kennt nicht die zerflossenen Uhren, die dem Gemälde Beständigkeit der Erinnerung2 entrissen, auf Krawatten, Notizblöcken und Kugelschreibern prangen – ein Schicksal, das sie mit Raffaels lümmelnden Putten teilen. Zum Glück beschäftigt sich diese Arbeit nun mit einer Thematik, die alles andere als bekannt ist und von der Dalí-Forschung bis heute fast ausgespart wurde. Deswegen darf auch angenommen werden, dass jeder, der sich für Dalí begeistern kann, auch diesem Thema, Dalí und Österreich, ein gewisses Interesse entgegenbringen wird. Es wäre aber kaum zuträglich an dieser Stelle die wissenschaftlichen Publikationen zu Dalí bis zum Überdruss zu behandeln. Viel spannender ist es, auf die Anfänge ebendieser Forschung zu blicken und darauf, an welchem Punkt sie kunsthistorisch wurde. Denn zu Beginn waren es die Sammler und Dalís Umfeld, die sich um eine solche Aufarbeitung bemühten. Der Auftakt zu dieser wissenschaftlichen Arbeit rund um Dalís 2 Salvador Dalí, Die Beständigkeit der Erinnerung, 1931, Öl/Leinwand, 24,1 x 33 cm, Museum of Modern Art (MoMA), New York. 7 1 Forschungsstand Werk ist auch deshalb schon interessanter, weil die meisten jener Stücke, die sich in dieser Arbeit wiederfinden werden, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fallen. Und so verhält es sich auch mit den ersten wissenschaftlichen Betrachtungen – die meisten gehen auf diese Dekaden zurück. Außerdem verhält es sich oft so, dass diese konkreten Ansichten in Bezug auf bestimmte Objekten später nur rezipiert werden. Umso sinnvoller ist es, auf die Ursprünge einzelner Werkbetrachtungen zurückzugreifen, zumal ihre Verfasser Dalí meist persönlich kannten. Sicherlich muss man dabei eine gewisse Subjektivität bedenken, aber unter Berücksichtigung von Dalís enormem Ideenreichtum und seinen obskuren Denkansätzen, kann es nur ein Vorteil gewesen sein, eine persönliche Erklärung zu einem Gemälde von Dalí zu erhalten. An dieser Stelle werden nur jene Publikationen aufgeführt, die entweder in die Anfänge der Dalí-Forschung fallen, unumgängliche Basiswerke sind oder aktuelle Fragestellung innerhalb dieser Forschung repräsentieren. Jene Werke, die auf einen Österreichbezug eingehen – es handelt sich dabei um nur einige wenige, die sich meist voneinander nähren – werden erst an der passenden Stelle im jeweiligen Kapitel erwähnt. Gleiches gilt für alle Schriften, die aus Dalís Feder stammen und zwar formal als Quellen gelten, tatsächlich aber vor Phantasie gerade so strotzen. Hierbei wird es dann wichtig sein, Fiktion und Realität voneinander zu separieren und nur die für eine Beweisführung relevanten Fakten zu erwähnen. Zu einer ersten intensiven Auseinandersetzung mit dem Oeuvre Dalís kam es im Rahmen der Ausstellung im Museum of Modern Art in New York 1941. Diese würdigte Dalí auf dem Gipfel seines Erfolges in den Vereinigten Staaten von Amerika und wurde von James Thrall Soby, ein schon damals bedeutender Autor, Kritiker, Sammler und Förderer der Künste, betreut, der bald darauf gar zum Leiter der Gemäldesammlung des MoMA gekürt wurde.3 Seine Ansichten, auch aus dem Blickwinkel eines Sammlers, dürfen durchaus als Anfänge der Dalí-Forschung betitelt werden. Diese Ansichten hat in seinem 3 MoMa (Hg.): James Thrall Soby Papers in the Museum of Modern Art Archives. New York 2010 (URL: http://www.moma.org/learn/resources/archives/EAD/Sobyf; Zugriff am 30.09.2012). 8 1 Forschungsstand Buch Salvador Dalí4, welches begleitend zur erwähnten Ausstellung erschien, niedergeschrieben. Thrall Soby kann nicht als Wissenschaftler bezeichnet werden, da er kein Kunsthistoriker war und er seinen Posten ohne seine Rolle als Patron der Künste und seiner Bedeutung als Sammler kaum erlangt hätte. Als Auftakt für weitere Schriften zu Dalí in den kommenden Jahren spielte seine knapp hundert Seiten umfassende Broschüre aber eine bedeutende Rolle. Ein weiteres Medium, das sich relativ schnell für Dalí und seine surrealistische Kunst begeistern konnte, war jenes der Zeitschrift. Heutzutage würde man solchem kaum den nötigen akademischen Anspruch beimessen, da es erschwert möglich ist seriöses von unseriösem zu unterscheiden, außer es handelt sich um einen der klassischen Fachtitel. In den USA der Nachkriegszeit verhält es sich damit aber noch entschieden anders und ein Artikel, der im populären LIFE Magazine erschien, wird durchaus dem kunsthistorischen Bedürfnis gerecht. Repräsentativ für einige der erschienenen Beiträge zu Dalí ist ein von Winthrop Sargeant verfasstes „Close-Up“ mit dem Titel: Dalí - An excitabel Spanish artist, now scorned by his fellow surrealists, has succeeded in making deliberate lunacy a paying proposition.5 Für diese Arbeit ist dieser Artikel vor allem dahingehend wichtig, als er Dalís gesellschaftlichen Aufstieg skizziert. Außerdem berichtet Sargeant von einem Phänomen, das schon zur damaligen Zeit mit Dalí in Verbindung gebracht wurde: die Beliebtheit seiner Kunst bei den breiten Massen. Sargeant spricht sogar davon, dass es Dalí gelungen sei, Millionen für Kunst zu begeistern, darunter viele, die nie eine Galerie oder gar ein Museum betreten haben.6 Wieso? Aufträge großer Kaufhäuser zur Gestaltung von deren Schaufensterfronten entlang der New Yorker Avenues, damals ein viel umworbener Anziehungspunkt für die Massen. Was einst als Werbung angepriesen wurde, heute würde man es unter dem Begriff der Aktionskunst subsumieren. Dalí war also ein Prominenter und das schon seit vielen Jahren, zumal die Presse schon früher von ihm zu berichten wusste, auch 4 Soby, James Thrall: Salvador Dalí. Katalog zur Ausstellung im MoMA 1941, New York 1941. 5 Sargeant, Winthrop: Dalí - An excitabel Spanish artist, now scorned by his fellow surrealists, has succeeded in making deliberate lunacy a paying proposition. In: LIFE, Heft 13, 24. September 1945, S. 63-66, 68. 6 Ebenda, S. 64. 9 1 Forschungsstand darauf weist Sargeant, seines Zeichens eigentlich Musikkritiker7, hin.8 Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass dieser Bericht im LIFE Magazine das beste Beispiel für jene Berichterstattung ist, die Dalí in den 1940ern und den Jahren davor gewidmet wurde und außerdem eines der wichtigen Dokumente, die uns zu Dalí aus dieser Zeit erhalten geblieben sind. Stoff für Kunsthistoriker wurde Dalí auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht. Aber auch die nächste unter den Dalí-Kennern bekannte Person, die sich mit dem Künstler beschäftigte, findet sich in den 1940ern: Reynolds A. Morse, ebenfalls Sammler und Hobbyforscher, aber Verfasser erwähnenswerter, weil eben früh erschienener, Bücher und Aufsätze zu Künstler und Werk. Seine Bestrebung bestand vor allem darin, endlich ein bebildertes Werk zu jenem Künstler zu schaffen, der in den USA einen enormen Erfolg verzeichnete. Vor allem der Aufsatz The Dream World of Salvador Dalí9 von 1945 ist als Beitrag bedeutend, wie auch seine Tätigkeit als Verfasser von ausstellungsbegleitenden Publikationen, wie Salvador Dalí, catalogue de l´exposition Salvador Dalí10, erschienen zur Schau im Cleveland Museum im Jahr 1947. Nach dem zweiten Weltkrieg folgte dann 1958 noch die Publikation Dalí – Study of His Life and Work.11 Ziel war es einen Sammelband mit möglichst vielen Abbildungen herauszubringen, da gerade diese wichtig waren, um in die Bilderwelt Dalís einzutauchen. Ein problematisches Vorhaben, da eine Bebilderung damals die Kosten für ein Buch enorm in die Höhe treiben konnten und Farbabbildungen diese gar ins Exorbitante steigerten. Nachhaltig Bedeutung erlangt Morse aber als Stifter des Dalí Museums in St. Petersburg, Florida. Aus der privaten Sammlung, die er und seine Gattin Eleanor über die Zeit aufgebaut hatten, entstand das 7 Winthrop Sargeant. In: Encyclopaedia Britannica, 2013 (URL: http://www.britannica.com/EBchecked/topic/524253/Winthrop-Sargeant; Zugriff am 10.03.2013). 8 Ebenda, S. 63. 9 Morse, Reynolds: The Dream World of Salvador Dalí. In: Art in America, Bd.33, Nr. 3, Juli 1945, New York 1945, S. 110-126. 10 Morse, Reynolds: Salvador Dalí, catalogue de l´exposition Salvador Dalí. Katalog zur Ausstellung im Cleveland Museum, Cleveland 1947. 11 Morse, Reynolds: Dalí – a Study of His Life and Work. New York 1958. 10 1 Forschungsstand bedeutendste Dalí-Museum außerhalb Spaniens, welches durch einen einzigartigen Bestand an Originalen beeindrucken kann.12 Die nächste Person, die sich als Dalí-Kenner und Sammler profilieren lässt und zugleich dem engsten Umfeld der Familie Dalí zugeschrieben werden kann, ist Robert Descharnes. 1962 veröffentlichte er The World of Salvador Dalí13 ein biographisches Werk, welches sozusagen mit Informationen aus erster Hand aufwarten sollte. Doch gerade diese Nähe zu Dalí, Descharnes muss als wirklich enger Vertrauter gesehen werden,14 hat ein hohes Maß an Subjektivität zur Folge. Doch er, der eigentlich Photograph war, versuchte auch Dalís Werke Photographien gegenüberzustellen, die Dalís Alltag dokumentierten. Ein interessantes Vorhaben, da es oft solch alltägliche Begegnung waren, denen Dalí eine solche Begeisterung entgegenbrachte, dass er versuchte sie in sein Oeuvre einzubauen. Heute spielt Descharnes eine maßgebliche Rolle bei den Verkäufen von Dalís Werken. Als einer der letzten Überlebenden aus dem engsten Umfeld des Künstlers und jemand, der mit seinem Oeuvre derartig gut vertraut ist, gilt er als vorrangiger Experte und bei Versteigerungen ist er die erste Anlaufstelle der großen Auktionshäuser. In den nächsten Jahren gibt es kaum maßgebliche Publikationen zu Dalí, aber mit der nachfolgenden kann zugleich eine neue Gruppe definiert werden. Salvador Dalí war zwar über all die Jahre eine Berühmtheit geblieben, aber hinsichtlich seiner Gemälde zeichnete sich zunehmend ab, dass er seinen Zenit hinter sich gelassen hatte. Er widmete sich zunehmend anderen Projekten und legte zum Teil eine gewisse Lieblosigkeit an den Tag, was seine Malerei anging. Sein Ruhm erfuhr deswegen keine Minderung und deshalb wurden dem Meister des Surrealismus bereits zu Lebzeiten mehrere große Soloausstellungen in den großen Museen weltweit dediziert. Im Zuge dieser Expositionen kam es auch endlich zu einer Konfrontation zwischen Kunsthistorikern und Dalís Gemälden. Folglich waren es bis zu Dalís Ableben 12 The Dalí Museum Collection (URL: http://thedali.org/about_the_museum/the_collection.php; Zugriff am 30.09.2012). 13 Descharnes, Robert: The World of Salvador Dalí. New York 1962. 14 Anm.: In den letzten Lebensjahren Dalís mutierte Descharnes zu Dalís rechter Hand und hatte einen enormen Einfluss auf die Entscheidungen des Künstlers. Vgl.: Gibson, 1997, S. 584-585. 11 1 Forschungsstand vorrangig Ausstellungskataloge, die nun in einen Forschungsstand eingereiht werden können. Interessant ist auch, dass jene Wissenschaftler, die sich für diese Ausstellungen mit dem Künstler auseinandersetzten, später die eine oder andere Monographie zu Dalí veröffentlichten. Doch dazu später. Noch zu Lebzeiten des Künstlers wurde 1979 im Centre Pompidou Paris eine der wichtigsten dieser Dalí- Retrospektive organisiert. Die größte seit 1965 in New York und 1970/71 in Baden Baden, wie das Burlington Magazine berichtet. 15 Im Anschluss wurde die Pariser Schau losgeschickt um das Publikum der Tate Gallery in London in ihren Bann zu ziehen. Als federführende Person hinter dem Katalog Salvador Dalí. Rétrospective, 192080 kann Daniel Abadie genannt werden.16 Dieser Ausstellungskatalog kann als einer der Forschungshöhepunkte zu Dalís Lebzeiten erhoben werden. Die Ausstellung berücksichtigt neben seinem malerischen Werk auch dessen Arbeiten für Film und Bühne, die hier erstmals unter der Regie des Direktors des Centre Pompidou, Pontus Hulten und dem Kurator der Ausstellung Daniel Abadie, wissenschaftlich begutachtet werden. Zugleich markiert diese Publikation eine Art Schnittstelle am Übergang zu einer posthumen Auseinandersetzung mit Dalí, die nach dessen Ableben 1989 auftritt und bis heute zahllose Themenfelder aus Dalí´s Leben und Oeuvre beleuchtet hat – die Themen, mit denen man sich als Kunsthistoriker auseinandersetzten könnte, ganz abgesehenen von der wissenschaftlichen Relevanz, sind wohl endlos. Einige Schwerpunkte dürfen aber an dieser Stelle nicht fehlen. Einem überlieferten Zitat zufolge, definierte sich Dalí zwischen zwei Wassern schwimmend, dem kalten Wasser der Kunst und dem warmen Wasser der Wissenschaften.17 Umso mehr liebte er es den Betrachter mit einer Vielzahl optischer Tricks und Illusionen zu verblüffen und zu verwirren. Schlussendlich war es aber nicht sein persönliches Amüsement, welches im Vordergrund stand. Es war der Versuch seine eigenen Hypothesen – basierend auf den 15 Calendar. In: The Burlington Magazine, Bd. 122, Nr. 923, Februar 1980, S. 154. Abadie, Daniel (Hg.): Salvador Dalí. Rétrospective, 1920-80, Katalog zur Ausstellung im Centre Georges Pompidou, Musée Nationale d´Art Moderne, Paris 1979. 17 Ades, Dawn (Hg.): Dalí´s Optical illusions. Katalog zur Ausstellung im Wadsworth Athaneum, Hartford 2000, S. 11. 16 12 1 Forschungsstand Erkenntnissen der psychologischen Wissenschaften – zu fundieren, welche den tiefen Einfluss und die daraus resultierenden Effekte von Bildern auf die menschliche Psyche beschreiben. Ergebnis dieser Überlegungen ist die hoch wissenschaftlich anmutende Paranoia-Kritische Methode.18 Im Jahr 2000 hat sich eine Ausstellung des Wadsworth Athaneum in Hartford Dalís optischpsychischen Spielereien gewidmet und der im Rahmen dieser Schau entstandene Ausstellungskatalog von Dawn Ades fasst viele der erwähnenswerten Hintergrundinformationen zu dieser Thematik zusammen.19 Da Dalís Ambitionen auf diesem Gebiet der optischen Täuschungen zum Teil nur schwer nachvollziehbar sind und seine eigenen Publikationen zu diesem Thema meist nur mehr Verwirrung stiften, ist dieser Katalog ein guter Führer durch diese Welt der optischen Illusionen. Dawn Ades Nachforschungen fokussieren sich auf die komplizierten Aspekte von Dalís Methode und sezieren seine Gedankengänge. Anhand ausgewählter Beispiele werden diese schlussendlich für jedermann verständlicher. Stellvertretend für dieses beachtlich umfassende Gebiet der Dalí-Forschung ist noch Das endlose Rätsel. Dalí und die Magier der Mehrdeutigkeit20 zu nennen. Die beiden Kuratoren Jean-Hubert Martin und Stephan Andrae haben dafür höchstinteressantes Material zusammengetragen. Allerdings beschränken sie ihre Forschungen nicht auf Dalí, sondern weiten diese auf die Kunstgeschichte aus. Sie beschäftigen sich also mit der Beziehung zwischen Kunst und Illusion und dem Begriff des Doppelbildes.21 Sie gehen auf ein historisches Zusammenspiel zwischen Künstlern und diesen Methoden ein und erklären, wie diese im aufkeimenden Surrealismus eine Wiedergeburt erfuhren. Zuletzt war es eben Dalí, der diesem Gedankengut von der Gotik bis zum Barock zu einer Renaissance verhalf. Von Dalí geradezu vergöttert, ist es umso wichtiger dieses Unterkapitel der Kunstgeschichte besser zu verstehen und dieser Ausstellungskatalog kann dabei helfen. 18 Gibson, Ian: The Shameful Life of Salvador Dalí. New York, London 1997, S. 255. Ades 2000. 20 Martin, Jean-Hubert, Stephan Andrae (Hgg.): Das endlose Rätsel. Dalí und die Magier der Mehrdeutigkeit, Katalog zur Ausstellung im Museum Kunstpalast, Düsseldorf 2003. 21 Ebenda, S. 7. 19 13 1 Forschungsstand Das Jahr 2004 markierte Dalís einhundertsten Geburtstag, ein Datum, welches mit großer wissenschaftlicher Hingabe gefeiert wurde: Ausstellungen, Bücher und Projekte häufen sich um dieses Jahr geradezu. Darunter sollten aber einige hervorragende Arbeiten mit besonderer Beachtung gesichtet werden. Allen voran ein Projekt, das von einem enormen Aufwand zeugt und sich heute als unverzichtbares Instrument eines jeden Dalí-Forschers etabliert hat. Die Fundacío Gala-Salvador Dalí setzte einen lange gehegten Plan in die Tat um, nämlich die Erstellung eines „Catalogue Raisonné“ voranzutreiben. Diese zwischenzeitlich zu einem Gros verwirklichte Ressource hat den Zweck das malerische Werk Salvador Dalís zusammenzufassen und für die Öffentlichkeit als Online-Publikation zugänglich zu machen. In einem ersten Schritt wurden 2004 die Daten zu den Jahren 1910 bis 1930 online gestellt. Das in mehrere Abschnitte gegliederte Unterfangen soll am Ende alle Gemälde bis 1983 rigoros aufarbeiten. Bis heute kann man Informationen zu jenen Stücken abrufen, die vor 1952 entstanden sind.22 Für diese Arbeit reichen die bisher zur Verfügung gestellten Daten also völlig aus. Die Fundacío Gala-Salvador Dalí, mit Sitz in Figueres, der Geburtsstadt des Künstlers, ist die bedeutendste Institution, welche in Relation zu Dalí existiert. In ihrem Besitz und Archiv befinden sich nicht nur die erhaltenen Wohnhäuser des Spaniers, sondern auch die größte Sammlung an privaten Dokumenten, Zeichnungen und Gemälden. Die im Katalog zur Verfügung gestellten Daten stammen also aus erster Hand und werden dadurch mehr als vertrauenswürdig. Der Eintrag zu jedem Gemälde enthält nebst einer Abbildung, den genauen technischen Angaben, Provenienz und Ausstellungsgeschichte, auch eine detaillierte Bibliographie zum jeweiligen Werk. Da es früher teils sehr kompliziert war, genaue Angaben zu Dalís Gemälden zu bekommen, stellt die Installation dieses Onlinekatalogs eine enorme Erleichterung dar. 22 Fundacío Gala-Salvador Dalí (Hg.): Salvador Dalí Catalogue Raisonné of Paintings [1910 – 1951]. Online-Publikation 2007 (URL: http://www.salvadordali.org/cataleg_raonat/index.html?lang=en; Zugriff am 08.07.2012). 14 1 Forschungsstand Unter den vielen Ausstellungen ist eine Schau allen voran zu nennen. Hinter dem unspektakulären Namen Dalí23, verbirgt sich ein Katalog, welcher 2004 aus einer Kooperation des Palazzo Grassi in Venedig und des Philadelphia Museum of Art resultierte. Mit Leihgaben, unter ihnen namhafte Institutionen wie die Neue Nationalgalerie Berlin, das Art Institute of Chicago, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, das Museo Thyssen-Bornemisza, das Metropolitan Museum und Museum of Modern Art in New York und das Dalí Museum in St. Petersburg in Florida, war es zum ersten Mal in der Geschichte möglich, die bedeutendsten Werke aus Dalís Oeuvre gemeinsam zu zeigen. Die Früchte der Zusammenführung dieses enormen Schatzes an Gemälden sind jene durchgeführten Forschungsbestrebungen, welche, unter der Regie von Dawn Ades, Michael R. Taylor und der Mitarbeit anderer hochrangiger Wissenschaftler, im Katalog zusammengetragen sind. Vor allem die am Ende des Buches stehende Enzyklopädie und Chronologie24 bedeuten eine enorme Unterstützung bei jeglicher Nachforschung zum Thema Dalí. Durch die Überprüfung und Reflektion des bisherigen Forschungsgeschehens, konnten Fehleinschätzungen nach jahrelanger Rezeption endlich ausgemerzt werden. Somit existiert eine weitere gut recherchierte und wissenschaftlich fundierte Übersicht von allerlei Fakten zu Dalís Biographie und Oeuvre. Neben jenen wissenschaftlichen Buchprojekten, die sich vornehmlich mit dem Oeuvre Dalís beschäftigen, darf eine Publikation aus dem Jahr 2009 in diesem Forschungsstand nicht fehlen. Dabei handelt es sich um ein Kompendium mit dem Titel Dalí´s World25, eine Auswahl von Dokumenten in Faksimile, die zusammengenommen Dalís Leben und Werk in völlig neuem Licht darstellen. Die meisten persönlichen Unterlagen Dalís sind nach dessen Tod in die Archive der Fundacío Gala-Salvador Dalí gewandert und sind heute nur erschwert zugänglich. Auch wenn sich das Center for Dalinian Studies in den letzten Jahren zunehmend geöffnet hat, ist das Prüfverfahren, wer Einblick in diese Kostbarkeiten erhält, nach wie vor sehr streng. Diese Tatsache macht 23 Ades, Dawn (Hg.): Dalí. Katalog zur Ausstellung in Venedig und Philadelphia 2004/2005, Italien 2004. 24 Ebenda: S. 425–539. 25 Aguer, Montserrat: Dalí´s World. London 2009. 15 1 Forschungsstand Montserrat Aguers Buch für diese Arbeit besonders interessant, da einige jener Briefe, welche für die Recherchen zu Dalí und Österreich eine Forschungsgrundlage bilden, nun im detaillierten Nachdruck zur Verfügung standen. Als Abschluss muss noch ein Buch genannt werden, welches man auch als Dalí-Bibel betiteln könnte und das deswegen separat angeführt werden muss, da es ohne jegliche Konkurrenz dasteht. Wenn es darum geht, sich mit Dalís Biographie zu beschäftigen, gibt es neben seinen persönlichen Erzählungen nur die Biographie von Ian Gibson. Gala und Salvador Dalí führten ein für ein Ehepaar, das vorrangig von seiner Kunst lebte, beispiellos glamouröses und abwechslungsreiches Leben. Zahllose in Dalís eigenen Schriften verewigte Anekdoten und unzensierte Berichte der in den 30er Jahren aufblühenden Klatschpresse berichten davon. Aber besonders die eigenen Erzählungen des Künstlers sind mit Vorsicht zu genießen und in der Flut von biographischen Schriften haben sich viele dieser nicht allzu ernstzunehmenden Schwänke eingeschlichen und über die Jahre manifestiert. Für seriöse Recherchen gibt es seit 1997 und dem Erscheinen von Gibsons Dalí-Biographie The Shameful Life of Salvador Dalí26 nur mehr eine Biographie, die für Nachforschungen herangezogen werden muss. Auch wenn es in wissenschaftlicher Hinsicht kaum etwas an dieser Biographie auszusetzten gibt, muss man beim Umgang mit dieser Ressource doch auf zwei Dinge achten. Erstens sollte man mit dem englischsprachigen Original arbeiten, da sich bei den Übersetzungen einige Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen haben und zweitens immer im Hinterkopf behalten, dass Gibson derart von Dalí fasziniert ist, dass er in der Folge zu Schwärmereien tendiert. Der Bedeutung dieser Lebensschrift, als einer der wichtigsten Forschungsgrundlagen, tut dies allerdings keinerlei Abbruch. Gibsons Ansicht nach bedurfte es sieben Jahre nach dem Ableben des Künstlers einer dringenden Rehabilitierung seiner Person, seines Lebens und Werks. Sein Buch sollte ein unterstützender Beitrag dazu sein27 und in der Tat, ein solcher wurde es auch. 26 27 Gibson 1997. Gibson 1997, S. 28. 16 1 Forschungsstand Die Dalí-Forschung ist also im 21. Jahrhundert angelangt und trotz der Fülle an Publikationen gibt es noch Bereiche, die einer Aufarbeitung bedürfen. Zurzeit zeichnet sich ein neuer Schwerpunkt ab, der sich mit Dalís Arbeiten für Theater und Film auseinandersetzten.28 Ein weiteres Feld, das noch kaum Beachtung gefunden hat, sind Dalís unzählige Portraitarbeiten. Viele davon befinden sich nach wie vor in Privatbesitz und ebenso viele konnten bis heute nicht identifiziert werden. Doch auch hier wurde der Nachholbedarf erkannt und es steht eine höchst interessante Veröffentlichung an, die mit faszinierenden Resultaten aufwarten kann. 29 Außerdem darf der nächste Teil des Catalogue-Raisonée der Fundacío Gala-Salvador Dalí, der in Kürze veröffentlicht wird, nur mit Spannung erwartet werden. 28 Anm.: Dissertation im Druck; Dr.des. Christian Sauer ist Universitätsassistent am Fachbereich Kunstgeschichte der Universität Salzburg. 29 Anm: die Publikation zu Dalís Portraitarbeiten steht kurz vor der Fertigstellung und Publikation; Autoren: Julia Pine, Ottawa und Karl-Heinz Klumpner, Salzburg. 17 2 Künstlerreisen 2 Künstlerreisen Wie Anfangs bereits angedeutet wurde, gibt es eine Reihe von Komponenten, die Dalí als Reisenden von seinen Vorgängern differenziert. Dieser besondere Status, den Salvador Dalí als vielseitig talentierte Persönlichkeit schon von Beginn seiner Karriere an hatte, beeinflusste später zwangsläufig seine Manier, wie er mit den Eindrücken auf seinen Reisen verfahren hat. Denn es war ihm möglich, seinen Empfindungen freien Lauf zu lassen und bei der Motivwahl beliebig zu agieren, ohne jegliche Befürchtung, keine Abnehmer für seine Werke zu finden. Im folgenden Kapitel kommt es nun zu einer Konfrontation Dalís mit dem Typus des Künstlers auf Reisen quer durch die Kunstgeschichte. Außerdem gibt ein kurzer Exkurs darüber Auskunft, wie die Künstler vor Dalí bei der Rezeption der österreichischen Landschaft und der Alpen verfahren sind und warum diese solch eine Faszination auf sie ausgeübt haben. Schlussendlich sind es doch bei allen Sehnsüchte, die diese Maler in solch eine einzigartige Landschaft getrieben haben. Die Forschung hat sich über die Jahre mit den meisten Facetten der Künstlerreise beschäftigt. Die Anfänge, die Thematik des Hofkünstlers und die Auswirkungen der Grand Tour haben ausreichend Beachtung gefunden. Dennoch ist ein Schwerpunkt in Richtung Orientalismus und Primitivismus zu erkennen, der sich mit den Fernreisen von Künstlern wie Eugène Delacroix, Paul Gauguin oder Pablo Picasso beschäftigt, die stellvertretend genannt werden können. Aber auch der philosophische Aspekt des Reisens findet zunehmend Beachtung und die Frage danach, was und welche Intentionen uns in die Ferne locken. 2.1 Der Maler als Reisender vom Beginn der Neuzeit bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Begibt man sich auf die Quellensuche zum Terminus der Künstlerreise, dann stößt man im Conversations-Lexikon von 1830 auf einen interessanten Satz, der eine grundlegende Unterscheidung betrifft: Da Jemand, der nicht Künstler ist, selten bloß der Kunstanschauung und Kunstbildung wegen eine Reise anstellt […] so versteht man gewöhnlicher und Vorzugsweise unter 18 2 Künstlerreisen Kunstreisen solche Reisen, welche von Künstlern um der Kunst Willen gemacht werden.30 Somit gilt es von Anfang an, die Grand Tour - eine Reise zur Bildung der höheren Gesellschaftsschichten, die kurz thematisiert wird - von der Künstlerreise klar zu unterscheiden. Im Laufe dieses Kapitels werden sich drei Typen des reisenden Künstlers exemplarisch hervorheben: der des selbstmotivierten reisenden Künstlers, des Hofkünstlers in diplomatischen Diensten und jener des Studienreisenden. Erwähnt sei, dass jene Künstler, welche der Faszination und den Reizen des Orients und dem Exotischen verfallen waren, an dieser Stelle ausgespart werden. Ein knapper Exkurs wird sich mit der Rezeption der österreichischen Gegend in der Kunstgeschichte befassen. Da es aber nur erschwert möglich ist, auf die verschwommenen Grenzen des österreichischen Territoriums in der beginnenden und fortlaufenden Neuzeit Rücksicht zu nehmen, wird sich dieser thematische Abstecher auf die Landschaft der Alpen fokussieren. Schlussendlich war es die Anmut dieses einmaligen Naturgebiets, das Dalí dazu bewegt hat, ihr ein künstlerisches Denkmal zu setzen. 2.1.1 Dürer und eine Ausrede Im Mittelalter stand die Kunst im Dienst der Kirche und die Personen, welche als Künstler im Hintergrund agierten, interessierten zur damaligen Zeit kaum jemanden. Erst mit einem wachsenden Interesse an den Erschaffern der Kunst und der Intention die Technik und Darstellung vor den eigentlichen Zweck zu stellen, keimte auch eine Sehnsucht nach einer Erneuerung der Kunst auf, die man versuchte, durch Experimentieren und neue Erfahrungen, welche man in der Wanderschaft suchte, zu stillen.31 Nachdem der Kunst bis zum Beginn der Neuzeit also nur verhältnismäßig wenig Freiheiten und dem Künstler entsprechend wenig Raum zur Eigeninitiative zugestanden wurde, schien sich die Lage mit dem Aufkeimen einer humanistisch orientierten Strömung zu bessern. Die Renaissance führte zugleich zu einer Verlagerung der Themen, welche die Auftraggeber, nun auch vermehrt großbürgerliche und weltliche Personen, wünschten. Einen Freibrief 30 Brockhaus, F.A. (Hg.): Allgemein deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Band 6, 7.Aufl., Leipzig 1830, S. 344. 31 Otterbeck, Christoph: Europa verlassen. Künstlerreisen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Köln 2007, S. 28. 19 2 Künstlerreisen zu Vergnügungsreisen für Künstler gab es dennoch nicht, denn diese blieben den hohen Herren und Damen vorbehalten. Das Einzige, was den jungen Künstlern gebührte und zugleich von deren Meistern forciert wurde, war eine lange Gesellenreise. Da die Kunstschaffenden ebenfalls in Zünften organisiert waren, passten sie sich dahingehend an, ganz nach dem Vorbild anderer Handwerksgilden. Und die Hoffnung auf eine spannende Anstellung fernab der Heimat, war oft stiller Begleiter der zahllosen umherreisenden Burschen.32 Auf genauso einer Reise befand sich einst auch der junge Albrecht Dürer. Sein Weg führte ihn quer durch Deutschland, die Niederlande und schlussendlich bis in die Republik Venedig. Initiator war sein Vater, ebenfalls Künstler, doch nach vier Jahren auf Wanderschaft beorderte ihn dieser 1494 zurück in die Heimatstadt.33 Doch die ersten Anzeichen einer Sesshaftigkeit - Dürer heiratete kurz nach seiner Rückkehr – trügten, denn bereits 1505 kehrte er für fast ein Jahr nach Venedig zurück. 34 Dürer repräsentiert also eine Künstlerpersönlichkeit, die es, entgegen der damaligen Gepflogenheiten, stets zu Reisen drängte. Dass es eine seiner Intentionen gewesen sein muss, die Kunst dieser Länder zu studieren, zeigen exemplarisch einige Kopien venezianischer Arbeiten, die sich bis heute erhalten haben. Nach seiner Heimkehr galt es für Dürer den Anforderungen seiner Auftraggeber gerecht zu werden und die Geschäfte liefen für ihn und seine Frau Agnes, die sich rege am Betrieb beteiligte, mehr als zufriedenstellend. Aber spätestens bei den Plänen gemeinsam mit seiner Gattin auf eine mehrjährige Reise zu gehen, musste sich Dürer einer Ausrede bedienen, denn private Vergnügungs-, beziehungsweise Bildungsreisen waren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausschließlich dem Adel vorbehalten. Daher nutze Dürer den Umstand, dass ihm die Stadt Nürnberg, die vom Kaiser großzügig gewährte Leibrente, nach wie vor schuldig blieb. Maximilian I. war 1519 verstorben und der neue Kaiser sollte in Aachen inthronisiert werden. Da es nach heutigem Stand offenbar Agnes war, die den Wunsch äußerte, die Niederlande bereisen zu wollen, reisten beide unter dem Vorwand, Dürers Rente sichern zu wollen, nach Aachen. Nach einer Woche war die Angelegenheit geklärt und da man sich schon zufällig in Reichweite der Niederlande befand, beschlossen die Dürers, sich für zwei Jahre in Antwerpen 32 Rees, Joachim (Hg.): Künstler auf Reisen. Von Albrecht Dürer bis Emil Nolde, Darmstadt 2010, S. 31. 33 Roth, Johann Ferdinand: Leben Albrecht Dürers, Vaters der deutschen Künstler. Leipzig 1791, S. 16. 34 Ebeneda, S. 22. 20 2 Künstlerreisen niederzulassen. Die Rückreise nach Nürnberg erfolgte im Juni 1521.35 Auch wenn die Reise für Abrecht Dürer einen enormen gesellschaftlichen Erfolg darstellte und ihm unzählige Ehrungen zu Teil wurden, so wurde eine der ursprünglichen Intentionen, nämlich Geschäfte und vor allem Gewinn zu machen, nicht erfüllt. Denn Dürer schreibt: Ich machte viel Sachen den Leuten zu gefallen; aber das wenigste wurde mir bezahlt. – Ich hab in all´ meinen Machen, Zehrungen, Verkaufen, und anderen Handlungen Nachtheil gehabt im Niederland […].36 Auch wenn in Dürers Bericht eine gewisse Melancholie mitschwingt, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese zweijährige Reise, die Albrecht gemeinsam mit seiner Gattin Agnes antrat, in der Kunstgeschichte als einzigartig angesehen werden kann. Allen gesellschaftlichen Sitten des beginnenden 16. Jahrhunderts widersprechend, gelang es ihnen durch einen geschickten Schachzug eine Reise zu unternehmen, die aus dem Interesse entsprang, eine bestimmte Gegend Europas bereisen zu wollen. Die Niederlande waren, wie bekannt ist, zur damaligen Zeit eine der wohlhabendsten Gegenden Europas und das, was dort an den großen Häfen der Nordsee aus aller Welt ankam, muss eine unheimliche Faszination auf die Menschen ausgeübt haben. Die Dürers wollten all das zu sehen bekommen und sahen wahrscheinlich in diesem internationalen Umschlagplatz zugleich eine Möglichkeit, Kontakte zu potentiellen Auftraggebern gewinnen zu können. Es wäre durchaus legitim an dieser Stelle damit zu kontern, dass es viele Künstler in diese Metropolen der damaligen Zeit mitunter auch aus ähnlichen Beweggründen zog, aber das was mit Sicherheit als eine absolute Ausnahme zu gelten hat, ist die Tatsache, dass die Dürers stets wussten, dass sie wieder ins heimatliche Nürnberg zurückkehren würden. Und genau aus diesem Grund ist es auch angebracht einen Vergleich zwischen den Dürers und den Dalís zu ziehen. Denn im Grunde genommen sind Albrecht und Agnes Dürer beispielgebend für ein Paar, das, wie die Dalís knapp vierhundert Jahre später, auf eine Vergnügungsreise durch Europa ging, welche zwar aus eigener Tasche finanziert wurde, aber dennoch in einer gewissen Weise nur deshalb Sinnhaftigkeit erlangte, da die Reichen und Adeligen dem Ehepaar Dürer mit offenen Türen begegneten. 35 36 Rees 2010, S. 34-35, 41. Roth 1791, S. 30. 21 2 Künstlerreisen 2.1.2 Der Künstler als Diplomat Das was bei den Dürers seinen Anfang nahm, nämlich den Künstler am offiziellen Hofleben teilnehmen zu lassen, gar Feste zu seinen Ehren abzuhalten, mutierte in den kommenden hundert Jahren dazu, dass Künstler als Repräsentanten eines bestimmten Hofes in ganz Europa eingesetzt wurden. Legitimiert wurde diese diplomatische Rolle oft dadurch, diese ausgewählten Künstlerpersönlichkeiten in den Adelsstand zu erheben. Bereits im 15. Jahrhundert hatte der hohe Adel die Annehmlichkeiten des Malers als Reisebegleiter kennengelernt. Zum Einen galt es eine Fülle an neuen kulturellen Eindrücken sowie die Reise an sich graphisch zu dokumentieren, zum anderen erwies sich ein Künstler auch als perfekter Zeitvertreib um das, den mangelhaften Transportmittel gebührende, beschwerliche Fortkommen durch interessante Konversation erträglicher zu machen. Manch ein Fürst ging sogar so weit, dass er keine Reise ohne Begleitung seines Malers machte.37 Das wachsende Interesse weltlicher Herrscher an den schönen Künsten brachte es auch mit sich, dass Maler in den Prozess von Friedensfindungen integriert wurden. Dabei ging es darum, ehemals feindliche Regenten mit dem Können der Maler zu verwöhnen. Ein positiver Nebeneffekt war der daraus entstehende Wettbewerb, wer denn mit dem besten Künstler aufwarten konnte. Ein relativ frühes Beispiel für den Typus eines Malers in höfisch diplomatischer Mission, ist die Reise des Gentile Bellini ins damalige Konstantinopel. Die Republik Venedig strebte stetig nach den Reichtümern, welche mit dieser Stadt als Tor zu Asien assoziiert wurden. Im 15. Jahrhundert war diese in die Hände der Osmanen gefallen und Venedig hatte diesen den Krieg erklärt. Da sich aber ein Versagen auf venezianischer Seite einstellte, folgte 1479 das Friedensabkommen. Noch im selben Jahr erreichte ein Gesuch Sultan Mehmeds Venedig, in dem er unter anderem um die Übersendung eines Portraitmalers bat.38 Bellini sollte diese Aufgabe mit vollster Zufriedenheit des Sultans erfüllen (Abb.4) und das Können des Malers hat mit Sicherheit dazu beigetragen, den Frieden abzusichern. Berühmtestes Beispiel eines Malers in diplomatischem Rang bleibt allerdings Peter Paul Rubens. Die diplomatische Karriere des Rubens nahm ihren Anfang am Hof des Vincenzo Gonzaga. Der flämische Maler war bereits Jahre zuvor als freier Meister in den Süden gezogen und fand eine Anstellung am Hof von 37 Warnke, Martin: Stellvertretende Künstlerreisen. In: Arnhold, Hermann: Orte der Sehnsucht. Katalog zur Ausstellung im LWL-Landesmuseum, Regensburg 2008, S. 33. 38 Rees 2010, S. 18-19. 22 2 Künstlerreisen Mantua. Nun, drei Jahre später, wurde er mit der Begleitung einer Geschenksendung an den Hof von Philip II. nach Spanien betraut.39 Dieser zwischenhöfische Geschenkverkehr, wie ihn der Kunsthistoriker Martin Warnke nennt, entstammte ebenfalls dem 15. Jahrhundert und zeichnete sich durch eine rasend wachsende Popularität aus. Zu Lebzeiten Rubens war die diplomatische Bedeutung dieser Kunstgeschenke ins Unermessliche gestiegen, vor allem zwischen den europäischen Großmächten hatten diese einen Status der Unentbehrlichkeit erlangt. Zugleich war es auch wichtig geworden, nur die besten Künstler mit der Übersendung zu beauftragen, nicht zuletzt, weil diese zum Symbol des höfischen Wettbewerbs geworden waren.40 Benefit für den Künstler war dabei nach wie vor der Luxus, in entfernte Länder reisen zu können und gleichzeitig die dortige Kunst zu studieren. Das, was Dürer also noch aus eigener Tasche bezahlen musste, wurde mittlerweile offiziell geduldet und von den Höfen bezahlt. Außerdem garantierte dies den Herrscherhäusern, die sich ja mittlerweile im künstlerischen Wettstreit befanden, dass das Können ihrer Künstler stets den aktuellen Gepflogenheiten entsprach.41 Über diesen ersten Kontakt zum spanischen Hof gelangte Rubens nach Antwerpen, damals ein Zentrum der spanischen Niederlande, wo sich neben dem künstlerischen Erfolg auch eine Karriere auf diplomatischer Ebene einstellte. Rubens, der über die Jahre äußerst gute Kontakte in den höchsten Kreisen sein Eigen nennen durfte, wurde mit der Zeit an diplomatische Missionen herangeführt, deren positiver Ausgang für das Wohl Spaniens von größter Bedeutung war. Ein Umstand, der nicht bei allen Mitgliedern der königlichen Familie auf Wohlgefallen stieß. Dennoch wusste sich der Maler, denn das war er noch immer, mit bestem Geschick auf diesem Parkett zu bewegen. In England wurde er einst vom König sogar in einer Privataudienz empfangen, da dieser einen Disput unter den Gesandten vermeiden wollte, denn auch diese konnten mit einem Künstler der zum Diplomaten avanciert war nur wenig anfangen. Schlussendlich war es aber diese Intimität zu den königlichen Würdenträgern, die einen erfolgreichen Abschluss der jeweiligen Anliegen gewährleisten würde.42 Am Höhepunkt seiner politischen Karriere 39 Palais des Beaux-Arts, Lille (Hg.): Rubens. Katalog zur Ausstellung, Stuttgart 2004, S. 2526. 40 Warnke, Martin: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, 2. überarb. Aufl., Köln 1996, S.2 61-263. 41 Warnke 2008, in: Arnhold 2008, S. 34. 23 2 Künstlerreisen hatte sich Rubens derart verdient gemacht, dass Mitglieder der höchsten diplomatischen Ränge nicht mehr auf seinen Rat verzichten wollten. Beachtenswert ist der Sachverhalt, dass Rubens dabei nie der Kunst den Rücken kehrte und ein regelrechtes Imperium aufbauen konnte, dessen Ansehen sich im prachtvollen Antwerpener Wohnhaus des Künstlers noch heute erahnen lässt. Auch an Dalí haftet die Ausstrahlung eines Diplomaten. Spanien war nach dem Zweiten Weltkrieg dem Diktator Franco unterworfen, das Leid groß. Doch Dalí, der seine Heimat über alles liebte und Angst hatte, wie während der Kriegsjahre, ein Leben im Exil führen zu müssen, verstand es, sich geschickt mit dem General zu arrangieren. Dazu war ihm keine Pietätlosigkeit zu schade: als einmal eine Gruppe junger Aufständischer hingerichtet wurde, gratulierte Dalí Franco in einem Telegramm. Dalí, der international ein hohes Ansehen genoss, wurde im Fortlauf zum Staatskünstler erhoben. Somit wurde ihm eine repräsentative Rolle im Ausland zu Teil: für das angekratzte Franco-Regime zu werben. Den Einwohnern von Cadaqués blieb der diplomatische Dienst Dalís versagt, denn die setzten einmal alle Hoffnung auf Dalí, der ihre Anliegen bei einem Treffen mit dem Staatschef vorbringen sollte. Als sich Franco nach Salvadors Heimat erkundigte, entgegnete dieser, dass dort alles wunderbar sei!43 2.1.3 Das Motiv in der Ferne suchen Der Typus des Künstlers auf Reisen war über die Jahrhunderte einem kontinuierlichen Wandel unterworfen, der mit einem stetigen Wachstum des Ausmaßes an persönlichen Freiheiten einherging. Vor allem im ausgehenden 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es Künstlern vermehrt möglich, selbstständige Bildungsreisen zu unternehmen, ohne dabei dem Willen eines konkreten Arbeitgebers unterworfen zu sein. Seit dem 17. Jahrhundert gehörte es auch zum Bildungsprogramm junger Männer aus Großbritannien die Grand Tour anzutreten, sofern sie es sich denn leisten konnten. Die klassische Route verlief durch Kontinentaleuropa und konzentrierte sich auf Frankreich und Italien und führte bis an den Golf von Neapel. Das Studium der lokalen Kunst, vom Altertum bis zur Gegenwart, anhand selbst gefertigter Skizzen und 43 Thurlow, Clifford (Hg.): Sex, Surrealism, Dalí and Me. The Memoirs of Carlos Luzano, Cornwall 2000, Kapitel 21, erste Seite [Anm.: keine Seitenzahlen]. 24 2 Künstlerreisen das Führen eines ordentlichen Tagebuchs, waren maßgebliche Bestandteile dieser Reise. Mit der Zeit vermischten sich der Reisestrom der Grand Tour mit dem der Künstler und gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit zunehmender Bedeutung der landschaftlichen Eindrücke, verebbte die gesellschaftliche Bedeutung der Bildungsreise.44 Für die Künstler eröffneten sich aber neue Reiseziele in Mitteleuropa, also die Schweiz, Deutschland und Österreich. Den kunstgeschichtlichen Höhepunkt dieser Strömung kann man aber zweifelsohne im 19. Jahrhundert ansiedeln. Interessant ist dabei eine im Vordergrund stehende Sehnsucht, welche die meisten Künstler auf bestimmte Regionen in Europa fokussierte. Zu den beliebtesten Destinationen zählte unter den Klassizisten mit abwechslungsreichsten Sicherheit Italien, das Land mit den archäologischen, sowie landschaftlichen Facetten. Diese Idyllen - ein Terminus, der mit Vorsicht zu benutzen ist, aber in Bezug auf viele Maler dieser Epoche benutzt werden darf - wurden in abertausenden Gemälden festgehalten. Hinzu kam eine Faszination an den alten Meistern der Renaissance, deren Darstellungsweise in zeitgemäßer Form rezipiert wurde. Und eine ähnliche Aura ging von den unzähligen Ruinenstätten der Antike aus, die in der Glut der italienischen Sonne fabelhafte Motive abgaben. Mit der Zeit entwickelte sich ein regelrechter Italienboom, denn je mehr Leute mit ihren Reiseberichten und Skizzen aus dem Süden heimkehrten, wuchs die Begierde der Daheimgebliebenen selbst eine solche Aventüre zu unternehmen.45 Somit begann sich der Typus der Künstlerreise mit dem der Grand Tour zu vermischen, denn da es sich geziemte, das Gesehene im Detail zu studieren und in Skizzen festzuhalten, wurde aus jedem ein Künstler, auch wenn die meisten mit den Zügen eines Amateurs versehen waren. Im Übrigen unterwarfen sich alsbald alle Gattungen der bildenden Künste der Notwendigkeit einer solchen Studienreise. Vor allem Architekten und Poeten fanden Gefallen daran ihr Oeuvre vom Flair des Südlandes beeinflussen zu lassen. In einigen ausgewählten Fällen war sogar zu beobachten, dass die Grenzen zwischen 44 Grand Tour. In: Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus (Hg.): Der Brockhaus Kunst. Künstler, Epochen, Sachbegriffe, 3. akt. u. überarb. Ausg., Mannheim 2006, S. 335. 45 Roettgen, Steffi: Natur und Kultur Italiens in der Wahrnehmung der „nordischen Wanderer“. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.): Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880, Katalog zur Ausstellung, München 2010, S. 41. 25 2 Künstlerreisen Malerei und Architektur zu verschwimmen begannen. Prominentestes Beispiel hierfür mag wohl Karl Friedrich Schinkel sein, dessen Bauten oftmals aus Italien transferiert wirken und dennoch im tiefsten Preußen angesiedelt und entstanden sind.46 Hatten die Herrscher nördlich der Alpen in den Jahrhunderten zuvor noch das Verlangen verspürt italienische Künstler zu sich zu holen – Beispielgebend hierfür Bernini am Hof Ludwig XIV.47- war es nun selbstverständlich geworden, einen heimischen Architekten mit demselben Erfahrungsschatz in Reichweite zu haben. Schlussendlich gilt es noch zu klären, wie sich nun der Typus der Künstlerreise hin zum 20. Jahrhundert veränderte. Basierend auf den soziokulturellen Veränderungen der Revolutionsjahre und dem Niedergang jahrhundertealter Hierarchien, nahm das Ansehen des Berufsstandes der Maler einhergehend ab. Letztes Beispiel für einen reisemotivierten Künstler, bei dem sich Parallelen zu Salvador Dalí erkennen lassen, ist Vincent van Gogh. Teile seiner Vita bergen wertvolle Informationen, welche Veranlassung einen Künstler dieser Zeit zu einer längeren Reise motivieren konnte. Van Gogh hatte am Anfang seiner Karriere zu seiner Berufung als Maler gefunden und hielt sich seit einiger Zeit in Paris auf. Im Winter 1888 machte sich der junge Künstler auf in die Provence, denn die französische Hauptstadt schien für Van Gogh an Reiz verloren zu haben. Nach einer über einjährigen Anwesenheit in Frankreichs Süden waren tatsächlich hunderte Gemälde und graphische Arbeiten entstanden, die Van Goghs Impressionen eingefangen hatten (Abb.5). Dieser resümierte: Ich glaube, dass das Leben hier etwas dankbarer ist als an manch anderem Ort. Und Van Gogh war darum bemüht, den zukünftigen Betrachtern die Schönheit dieses Ortes in seinen Bildern zugänglich zu machen. Prinzipiell tat er also das, was schon die Romantiker taten, um den Nordeuropäern den Süden visuell zugänglich zu machen. Aber Van Gogh bediente sich einer gänzlich anderen Methodik, die auf den Empfindungen und Emotionen basiert, die das menschliche Auge mit bestimmten Farben verbindet und tatsächlich betätigt das Van Gogh in einem seiner Briefe, in denen er eingesteht, dem Betrachter durch seine Gemälde und die Wahl bestimmter Farben und Techniken die Annehmlichkeiten bestimmter Regionen vermitteln zu wollen.48 46 Schumann, Ulrich Maximilian: Eingebildete Bauten – Italienerfahrung und Bilderfindung von Architekten zwischen Aufklärung und Romantik. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 2010, S. 35. 47 Rees 2010, S. 89-100. 48 De Botton, Alain (Hg.): Kunst des Reisens. Frankfurt a.M. 2002, S. 202-205. 26 2 Künstlerreisen In diesem Fall besteht die Verbindung zu Dalí darin auf, dass er Dinge, die er auf seinen Reisen sah, oftmals in seinen Gemälden rezipierte. Dies geschah im Wesentlichen oft, um Menschen seine Erfahrungen und Eindrücke, die er an bestimmten Orten machte, jederzeit wieder erfahrbar zu machen. So auch in vielen der Arbeiten, die im Rahmen dieser Arbeit mit einem Österreichbezug in Verbindung gebracht werden. 2.1.4 Maler, die Alpen und Touristen Dalí in der Alpenregion, insbesonders in Österreich, ist zweifelsohne eine detaillierte Abhandlung wert. Aber da Salvador Dalí nicht der erste Maler war, welcher der Schönheit dieser Region verfallen war, gilt es auch dahingehend einen Kontext zu seinen Vorgängern zu eruieren. Erst in der Folge kann untersucht werden, inwiefern Dalís Arbeiten einzuordnen sind und ob es Besonderheiten gibt, die ihn von diesen Pionieren unterscheiden. Hauptsächlich aber fundiert sich eine Unterscheidung in diesem Punkt erneut darin, dass Dalí irgendwie immer einzigartig bleibt. Denn ein professioneller Maler, der auch als Tourist eines Nobelskiortes auftritt, findet sich in der Kunstgeschichte kein zweites Mal. Graphisch eingefangen wurden die Alpen schon früh. Denn als schnellster Verbindungsweg auf dem Landweg zwischen Nord und Süd querte ein mancher Künstler die Alpen. Oftmals, wie erwähnt, als Begleiter eines Standeshohen oder in diplomatischer Mission. Stellvertretend ist auch das Interesse Rudolfs II. an den Alpen. Dieser residierte Anfang des 17. Jahrhunderts in Prag und fristete ein elend anmutendes Dasein. Sein Hofmaler Roelant Savery musste mehr als einmal nach Tirol reisen, um die landschaftliche Schönheit für den Kaiser in Bildern zu verewigen (Abb.6), denen dieser sich dann schwärmerisch hingab.49 Ein weiteres beeindruckendes Zeugnis eines künstlerischen Verständnisses für landschaftliche Besonderheiten ist ein Blatt Leonardo Da Vincis (Abb.7). Da Vinci fertigte allerlei Skizzen in seinen Reiseaufzeichnungen, oftmals dienten diese zu Studienzwecken, manchmal suchte er nach geeigneten Handlungsorten für seine Gemälde.50 Dieses Blatt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Maler begonnen hatten, die tradierten Stoffe aus der Bibel oder der Mythologie in reale Landschaften zu versetzten. Da Vinci kann darüber hinaus als Vorreiter anerkannt werden, da er es sich angeeignet hatte, die atmosphärischen 49 50 Warnke 2008, in: Arnhold 2008, S. 33. Abdelouahab, Farid: Unterwegs! Reisetagebücher aus fünf Jahrhunderten, Kehl 2007, S. 12. 27 2 Künstlerreisen Gegebenheiten perfekt in einem zweidimensionalem Medium einzufangen. Die Alpen boten ihm dafür ein hervorragendes Studienobjekt, denn nirgends sonst gibt es derart viele atmosphärische Eindrücke zur gleichen Zeit zu bewundern. Für die nordeuropäischen Künstler hingegen waren die Alpen die einzige Möglichkeit, sich mit den Darstellungsmöglichkeiten alpiner Regionen vertraut zu machen. Ein Kuriosum ist die Tatsache, dass sich manche Künstler sogar auf das Malen der Alpen spezialisierten. In einer Art Symbiose, beziehungsweise einer Kollaboration, arbeiteten diese Spezialisten dann mit den Größen der niederländischen Malerei zusammen. Als repräsentatives Beispiel kann ein Gemälde Joos de Mompers (Abb.8) genannt werden. Die Staffagefiguren in einer solch für die Niederlande des 17. Jahrhunderts beliebten Landschaftsszene stammen von einem anderen Künstler, hier von einem Mitglied der Brueghel-Familie.51 Eine topographische Genauigkeit, also das Streben nach Wiedererkennung, sollte erst mit dem 18. Jahrhundert eine Rolle spielen, zumal diese unwegsame Landschaft kaum erforscht war. 52 Doch gerade diese Ungenauigkeit und der Verzicht auf eine reale Darstellung eines bestimmten Gipfels, sind ausdruckgebend für die Faszination, welche vom Gesamtflair der Alpen ausging. Eine Faszination, der Dalí noch Jahrhunderte später verfiel, allerdings konzentrierte er sich auf die spezifische Darstellung einer Gipfelgruppe, da er es als Künstler einer viel späteren Generation und für sich so gewohnt war. Als große Epoche der künstlerischen Alpenrezeption muss jedoch unbedingt das Zeitalter der Romantik verstanden werden. Für diese Arbeit ist es dabei von spezifischem Interesse, dass die touristische Erschließung vieler alpiner Regionen damit in einem engen Kontext zu sehen ist. Denn ohne die verklärten und zugleich heroisierenden Ansichten vieler, uns heute allen bekannter Berggipfel, durch die Größen der romantischen Malerei, wie zum Beispiel Joseph Anton Koch (Abb.), wäre es nie zu einer solchen Hochkonjunktur von Reisenden gekommen. Denn die Alpen wurden Sinnbild für die Beständigkeit und Tradition, in einer Welt der Industrialisierung, deren einziges Ziel es war, sich möglichst schnell zu entwickeln und zugleich zu verändern. Faktischer Grundstein für den Massentourismus in den Alpen war aber die Gründung eines Alpine Club in London 1857. Kurz darauf folgten die Schweizer und Österreicher mit der Gründung ähnlicher Vereine in den Sechzigern des 51 Maringer Eva: Die Alpen. Faszination und Schrecken ferner Gipfel. In: Arnhold 2008, S. 346. 52 Ebenda, S. 341-342. 28 2 Künstlerreisen 19. Jahrhunderts.53 Zugleich kam es auf diesen ersten geführten Alpenreisen zu einer ersten Konfrontation zwischen dem Tourismus und der Kunst. Da eine Reise in die Alpen lediglich für das betuchte Publikum gedacht war – eine gewisse Ironie, war die Alpenbevölkerung mitunter die ärmste – sah der Erfinder des Gruppentourismus Thomas Cook auch keinen Widerspruch darin, seine hastigen Europarundreisen um einen Abstecher in die Alpen zu erweitern. Ziel war es dabei in einer Woche möglichst viel „Europa“ zu Gesicht zu bekommen. Zu einem Aufschrei führte dies wiederum bei einem der wichtigsten Verfechter des gemäßigten Reisens John Ruskin. Dieser hatte sich als Künstler und unter anderem als Patron der Zeichenkunst einen Namen gemacht und sah den Sinn und Zweck einer Reise darin, das Gesehene zu skizzieren und dadurch besser wahrzunehmen, eine Einstellung, die sein erhaltenes Oeuvre an Reiseaufzeichnungen bekräftigt. Das Talent des jeweiligen Reiseindividuums spielte dabei seiner Ansicht nach keine Rolle, aber das Reisen ohne das Führen adäquater Aufzeichnungen ließ in Ruskins Augen jedwede Sinnhaftigkeit entbehren. Auf die Tourismusbranche hatten Ruskins Ansichten keinen Einfluss und Cooks Klientel hastete weiter, wie mit Scheuklappen versehen und im Rekordtempo durch Europa. Die Kunst und der Tourismus gingen wieder getrennte Wege.54 Allerdings sollten zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Künstlern Touristen werden. So hat der Weg über die, auf Sommerfrische in Tirol befindlichen, Hauptvertreter des Dada und Surrealismus, über Gala Eluard, hin zu Dalí und dessen Bezug zu Österreich geführt. Ein konträres Exempel innerhalb der modernen Kunst, das außerdem als Zeugnis des österreichischen Alltags verstanden werden kann und zugleich die Lebensbedingungen der Landbevölkerung darlegt, ist Franz Marcs Gemälde Das arme Land Tirol (Abb.9).55 Bei Marc stand 1913 der gesellschaftskritische Aspekt im Vordergrund und nicht die Schönheit der österreichischen Landschaft.56 Innerhalb der Historie der Tätigkeit des Künstlers auf Reisen und eines Österreichbezuges in der frühen Moderne, handelt es sich aber um ein Stück, das aufgrund seiner Bedeutung angeführt werden muss. 53 Lautsch, Sebastian (Hg.): Die Regionale Differenzierung der Tourismusindustrie in Europa. Norderstedt 2008, S. 6 54 De Botton 2002, S. 237-240. 55 Marc, Franz, Das arme Land Tirol, 1913, Öl/Leinwand, 131,1 x 200 cm, Guggenheim Museum, New York. 56 Spector, Nancy: The Unfortunate Land of Tyrol (URL: http://www.guggenheim.org/newyork/collections/collection-online/artwork/2775; Zugriff am 24.10.2013). 29 2 Künstlerreisen 2.2 Dalí auf Reisen: ein Künstler in der High Society Nachdem die Historie der Künstlerreise nun ausführlich beleuchtet wurde, geht es darum Parallelen und Unterscheidungen zu den Reisen Salvador Dalís nachzuweisen. Auf den ersten Blick handelt es sich bei Dalí um einen Flüchtigen, der den Wirren des 2. Weltkriegs zu entkommen versuchte, so wie viele seiner Zeitgenossen. Obwohl Spanien nicht direkt von den Auswirkungen der faschistischen Machtergreifung in Deutschland betroffen war, litt das Land unter den katastrophalen Zuständen eines Bürgerkriegs. Dieser dauerte mehrere Jahre und hinderte das Ehepaar Dalí daran in seine Heimat zurückzukehren. Eine daraus resultierende, fast übertrieben anmutende Reisetätigkeit half den beiden dabei die Zeit ohne Aufkommen von Langeweile zu überbrücken. Den meisten, vor allem wohlhabenden Kriegsflüchtlingen war es offenbar wichtig, eine dauerhafte, beziehungsweise sichere Exilheimat ausfindig zu machen, die Dalís hingegen strebten nach etwas für ihre Ansprüche passendem. Erfüllung fanden die beiden in der Welt der internationalen High Society. Die Tour durch die Metropolen des Luxus - natürlich nur durch jene, die vom ersten Weltkrieg verschont geblieben waren- erreichte um das Jahr 1937 ihren Höhepunkt. Ein besonderes Augenmerk ist auf einen von Dalís Aufenthalten in den USA zu legen, die er und Gala am 7. Dezember 1936 an Bord eines Luxusdampfers erreichten. Denn das was Dalí in den kommenden Tagen in New York widerfahren würde, war die endgültige Etablierung seines Ruhmes. Julien Levy, mitunter einer der geschicktesten Galeristen seiner Zeit, hatte in Dalís Arbeiten ein enormes Potential erkannt und es sich zum Ziel gemacht, dem jungen Künstler zu einer angemessenen Bekanntheit zu verhelfen. Levys Kunstverständnis ging weit über das eines Geschäftsmannes hinaus, hatte er doch zahlreiche Schriften zu den aktuellsten Kunstströmungen verfasst und sich ein facettiertes Wissen auf diesem Gebiet angeeignet. Außerdem legte er ein ungemeines Geschick an den Tag, denn die Eröffnung der Dalí-Ausstellung in Levys New Yorker Dependance sollte einen Tag nach der Vernissage von Fantastic Art, Dada, Surrealism im Museum of Modern Art, bei welcher ebenfalls einige von Dalís Arbeiten gezeigt wurden, stattfinden. Die Einzelausstellung Dalís, welche definitiv die hochkarätigeren Arbeiten präsentierte, wurde zu einem Durchbruch, denn nur wenige Tage später prangte Dalís Konterfei auf dem Titel des Time Magazine (Abb.10). Er war damit zu einer Persönlichkeit geworden, deren Status mit dem eines Künstlers wenig zu tun hatte, denn Dalí war nun eine Berühmtheit geworden. Julien Levys 30 2 Künstlerreisen überlieferte Einschätzung fängt diesen Wandel am passendsten ein, denn Dalí war nun nicht länger ein halb befangener, halb boshafter Fremdling, sondern teuer, elegant und äußerst beeindruckend. Salvador selbst musste diese Metamorphose am eigenen Leib erleben, denn es war ihm quasi unmöglich sich unerkannt durch die Straßen New Yorks zu bewegen, auf der 5th Avenue musste er Autogramme an Passanten verteilen.57 Dalí als reisender Künstler, ist von diesem Moment an von all seinen Zeitgenossen klar zu unterscheiden. Auch wenn sich die Ambitionen zu seiner Reise in einem direkten historischen Vergleich mit seinen Vorgänger anfangs decken, gilt es Dalí nun klar als Einzelfall zu extrahieren. Die Aufmerksamkeit wird einzig seiner Person entgegengebracht und gilt weder seinem Können allein, noch einem im Hintergrund agierenden Mäzen, beziehungsweise einer Herrscherfigur, wie in früheren Zeiten. Dass es so weit kam, ist tatsächlich dem Zustand zu verdanken, dass Dalí in den Vereinigten Staaten zu Ruhm gelangte und die dort agierende Medienmaschinerie wesentlich weiter entwickelt war, als in Europa. Denn einzig und allein diese verfügte über die nötigen Mittel und das benötigte Maß an Aufmerksamkeit und Reichweite, um eine Person derart prominent zu machen, wie sie es mit Salvador Dalí tat. Ein neuer Liebling der neureichen amerikanischen High Society war geschaffen. Und Dalí, seines Zeichen nun Prominenter, beschloss kurz darauf sich dem Rummel um seine Person zu entziehen und einige Wochen in Kanada zu verbringen, wo auch Edward James zugegen war. Diese Reise diente allerdings ausschließlich dem Zweck der Erholung und wurde angemessen im Flaggschiff von Québec, dem Château Frontenac, verbracht.58 Ab diesem Zeitpunkt ist Dalí zugleich meilenweit von dem entfernt, was in den vorangehenden Kapiteln unter Künstlerreisen subsumiert wurde, denn ein Leben im puren Luxus und dazu passende Reisen zu führen und die Arbeit auf diesen Routen vorrangig dem Zweck zuzuführen diesen Lebensstandard zu halten, war in der Kunstgeschichte noch keinem Künstler geglückt. Doch gerade auf dieser Erholungsfahrt kommt es zu einem bedeutenden Übereinkommen zwischen Edward James und Salvador Dalí. Am 21. Dezember 1936 besiegeln die beiden einen Vertrag, der die zwischen Juni 1937 und Juni 1938 geschaffenen Arbeiten, wobei ein genaues Pensum an Gemälden ebenfalls Vertragspunkt ist, als automatischen Besitz von Edward James deklariert. Dadurch werden einige der bedeutendsten Gemälde, darunter auch jene, die Bestandteil dieser Arbeit sind, direkt in den Besitz des reichen Engländers und Dalí-Begeisterten Edward James gehen. Die dabei vereinbarte 57 58 Gibson 1997, S. 364-366. Gibson 1997, S. 369. 31 2 Künstlerreisen und dem Künstler zugesicherte Apanage sollte dem Ehepaar Dalí den sorgenfreien Luxusalltag für die kommenden Jahre erhalten.59 Bevor die Dalís im Frühjahr 1937 die Rückkehr nach Europa planten, stand noch ein Besuch an der amerikanischen Westküste an. Hollywood lockte Dalí als Mekka der Filmindustrie und zugleich trieb ihn die Ambition an, den surrealen Film einer noch breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Neben Walt Disney waren es vor allem die Marx Brothers, die Dalí für eine Kooperation ins Auge gefasst hatte. Schon das erste Treffen lief äußerst erfolgsversprechend ab und allen voran Harpo Marx schien ein Seelenverwandter Salvadors zu sein (Abb.11). Bei einigen weiteren Begegnungen kam es tatsächlich zu intensiveren Gesprächen hinsichtlich eines gemeinsamen Filmprojektes und die dazu gehörende Korrespondenz wird auch beim Österreichbezug eine Rolle spielen.60 Im März 1937 findet sich die Spur der Dalís dann bereits in Österreich, wo sich die beiden im Hotel Berghof in Seefeld aufhielten (Abb.12).61 Sowohl für Gala als auch für Salvador war dies nicht das erste Mal in Österreich, denn schon über die Jahre zuvor lässt sich ein Österreichbezug in der Vita der beiden erkennen. Wann und wie es zu diesen Berührungen kam und was es zu Dalí und Österreich neben der Reise von 1937 zu berichten gibt, wird in einem eigenen Kapitel behandelt. Zusammenfassend ist es aber wichtig nochmals festzuhalten, dass Dalís Künstlerreisen, abgesehen von einigen weniger Parallelen, einem historischen Vergleich mit gleichgestellten Personen kaum standhalten. Auch in diesem Punkt sticht er als ein Unikum hervor, das lediglich seinem eigenen Verständnis der Dinge folgte und zumindest was ihn selbst anging, sich, obwohl Künstler, einer Herrscherfigur gleichsetzte. Dalí selbst wusste diesen Status in seinen eigenen Worten noch zu steigern, denn er schrieb einmal über seine Kindheit: Ich habe erzählt, dass ich mit sechs Jahren Koch werden wollte. Mit sieben Napoleon. Doch als ich das Alter der Vernunft erreicht hatte, wurde mir klar, dass es keinen höheren Ehrgeiz gab, als Dalí zu werden!62 59 Ebenda S. 369. Ebenda S. 370. 61 Salvador Dalí an André Breton; Poststempel vom 27.März 1937; Privatsammlung (URL: http://www.andrebreton.fr/fr/item/?GCOI=56600100125640; Abb. 8, 10-12; Zugriff am 20.03.2013). 62 Dalí, Salvador: Meine Leidenschaften. Aufgezeichnet von Louis Pauwels, München 1989, S. 157. 60 32 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís In den Kunstwissenschaften, insbesonders der kunstgeschichtlichen Beweisführung bedarf jede Theorie einer Stütze, die sie bekräftigt. Da diese Arbeit viele Erkenntnisse ans Tageslicht bringt, die in der Literatur zu Dalí bisher nicht erwähnt wurden, geht es in diesem Kapitel darum, Dalís Affinität gegenüber den alten Meistern und die daraus resultierende Rezeption bekannter Motive, seien sie aus Gemälden oder der Landschaft, vorzustellen. Denn nur auf diesem Wege wird es an spätere Stelle klar sein, dass es sich bei der Aufnahme solcher Motive in Dalís eigenes Oeuvre bei Weitem um keinen Einzelfall handelt. Zugleich lässt diese Beobachtung auch eine Analyse von Dalís Technik und Malweise zu, die im 20. Jahrhundert in ihrer Brillanz und technischen Ausgereiftheit konkurrenzlos bleibt. Die Gemälde aus Dalís Frühwerk unterlagen einer außerordentlichen Experimentierfreudigkeit, denen die unterschiedlichsten Kunstströmungen und stilistischen Einflüsse zu Grunde liegen. Ein Indiz dafür, dass sich der junge Künstler längst nicht sicher war, in welcher Stilrichtung er seine Erfüllung finden würde. So erkennt der Kunsthistoriker darin impressionistische, expressionistische gar kubistische Züge, bevor die Tendenzen vermehrt auf den Surrealismus hindeuten. Für Dalís technische Orientierung ist vor allem das Gemälde Der Brotkorb (Abb.13) von 1926 ausschlaggebend.63 Binnen weniger Gemälde zeichnet sich eine Entwicklung ab, die zu einer Adaptierung altmeisterlicher Maltechniken geführt hat. Dalí gelingt es daher eine absolut realistische Malerei mit den Grundgedanken des Surrealismus zu vereinen und dadurch einen vollkommen neuen Stil zu entwickeln. André Breton hat es einmal am treffendsten formuliert und erkannt, dass Dalís surreale Phantasien gemeinsam mit dieser ultra-rückgreifenden Technik - die Breton gerne mit Meissonier in Verbindung brachte - eine bis dahin unbekannte Symbiose formieren.64 Der Effekt auf den Betrachter ist ebenfalls eine absolute Neuheit. Da Dalís Traumwelten in derart naturnaher Weise abgebildet sind, ist die Wirkung eine gänzlich andere und die optische und psychische Auswirkung auf den Bildbetrachter nähert sich einer nie dagewesenen Perfektion der 63 64 Salvador Dalí, Der Brotkorb, 1926, Öl/Holz, 31,5 x 31.5 cm, St. Petersburg, Florida Hopkins, David: Salvador Dalí: The Early Years. New York, Metropolitan Museum, Review, in: The Burlington Magazine, Vol. 136, London 1994, S. 402. 33 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís Täuschung. Es darf also behauptet werden, dass die surreale Malerei Dalís den Zenit dieser Bildgattung repräsentiert. Zwei Jahrzehnte später fertigte Dalí eine weitere Version seines Gemäldes Brotkorb an, die sich verblüffend an den Photorealismus annähert. Er selber erinnert sich damals an die erste Version und sieht zwischen den beiden Gemälden eine stilistische Entwicklung vom Charme des Primitivismus zu einem stereokopischem Hyper-Ästhetizismus.65 Und erst diese Detailverliebtheit Dalís ermöglicht es uns heute noch aus der Natur übernommene Motive einwandfrei identifizieren zu können. Anlehnungen an den Stil und die Motive zeitgenössischer und zeitnaher Kollegen finden sich schon früh in Dalís Oeuvre. Aber mit der Zeit beginnt er den kunstgeschichtlichen Größen, deren Werke er über die Jahre eingehend studiert hat, in seinen Gemälden einen Platz zu geben. Somit findet sich die eine oder andere in ein surreales Thema verpackte oder verwandelte Hommage. Neben den Meistern der italienischen Renaissance schien Dalí eine besondere Vorliebe und Faszination für die nordeuropäische Malerei des goldenen Zeitalters zu hegen. Kennzeichnend für diese Bewunderung ist die Adaption deren Technik, die zum Beispiel aus den niederländischen Genrebildern und alltäglichen Interieurs bekannt ist, und unverwechselbare Charakteristika aufweist. Für den Kontext zu dieser Arbeit ist daher die Verbundenheit Dalís zu Johannes Vermeer und dessen Gemälde Die Malkunst66 (Abb.14) von besonderer Bedeutung, denn dieses war über die Jahrhunderte nach Österreich gelangt 3.1 Die Malkunst des Johannes Vermeer – Dalís Fixpunkt in Österreich Als er fertig war, ging er in das große Zimmer zurück und setzte sich wieder in den Armsessel. Und nun sah man, dass diese Figur Adolf Hitler war. Und man sah auch […], dass er sich in seinem Refugium in Berchtesgaden befand. Ehe er sich wieder hinsetzte blieb Adolf Hitler vor dem großen Vermeer stehen[…] Hitlers Hand schien die Leinwand zu streicheln, fast ohne sie zu berühren, und verharrte einen Moment lang auf dem mit Lorbeer bekrönten Gesicht der jungen Frau[…]67 65 Aguer 2009, S. 25. Johannes Vermeer, Die Malkunst, um 1666/68, Öl/Leinwand, 120 x 100 cm, KHM, Wien. 67 Dalí, Salvador: Verborgene Gesichter. Frankfurt a.M. 1973, S. 362-63. 66 34 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís Eine befremdliche und zugleich fabelhafte Situation, die Salvador Dalí in seinem Roman Verborgene Gesichter da beschreibt. Dalís Begeisterung für Vermeer lässt aber fast vermuten, dass er sich selbst in dieser Szene skizziert und seiner Verbundenheit zu diesem einen Gemälde Ausdruck verleihen soll. Dieses Gemälde eines Meisters der niederländischen Malerei, eignet sich besonders, neben einem Österreichbezug, Dalís Verständnis der Kunstrezeption zu studieren und zugleich zu begreifen, was geschah, wenn der ehrgeizige Katalane in ein Motiv vernarrt war. In der Folge tauchte dieses oft in Dalís Gemälden auf, wobei sich die Rezeption an sich von einer absolut banalen Kopie bis hin zur absoluten Komplexität steigern kann und es in der Folge nur dem Kenner möglich ist, eine Verbindung wahrnehmen zu können. Auch wenn Dalís Schaffensprozess stark von Phasen geprägt ist, zieht sich einzig die Bewunderung für Vermeer wie ein roter Faden durch dessen Lebenswerk. Bereits in seiner Jugend dürfte Dalí erste Bekanntschaft mit Vermeer gemacht haben, hing doch die Kopie eines seiner Gemälde im elterlichen Haushalt. Später und besonders in der 1930ern steigerte sich diese Faszination spürbar. Dalí adaptierte Elemente seiner Technik, wie beispielsweise dessen Präzision bei Details und analysierte Vermeers Auffassung des Lichts. Dabei spielte vor allem das Einsetzen verschwommener Passagen an der richtigen Stelle eine wesentliche Rolle um eine perfekt illusionistische Atmosphäre zu schaffen.68 Dalís Arbeitstempo orientiert sich jedoch keineswegs an dem der alten Meisters. Brillante Gemälde sind oft in wenigen Wochen entstanden, andere Monumentalwerke in mühevoller Arbeit, manch ein Kunstwerk gar in wenigen Sekunden. Dalís Tempo kann also nicht standardisiert werden und muss im konkreten Einzelfall anhand biographischer Daten festgelegt werden. In Vermeer erkennt der Spanier also den für ihn größten Maler aller Zeiten, in der Malkunst gar das schönste Gemälde der Welt.69 Neben dem offensichtlich hohen technischen Können des Niederländers, erstreckte sich diese Hochachtung allem voran auf dessen einzigartige Auffassungsgabe. So schrieb Dalí: 68 Elder, R.Bruce: Deception as Agression: Salvador Dalí and Luis Buñuel´s “Un Chien Andalou”. In: Boldt-Irons, Leslie, Corrado Federici, u.a. (Hgg.): Disguise, Deception and Trompe-l´oeil. Interdisciplinary Perspectives, New York 2009, S. 218-219. 69 Dalí 1973, S. 363. 35 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís Vermeer, das ist das Auge der Seele, das das Unsichtbare durchdringt, um zu den angelischen Wirklichkeiten der Natur zu gelangen. Für ihn gehört das Sehen in die Ordnung der Gnade.70 Dass Dalí eine kuriose Auffassung von seiner Umwelt vertrat, ist nicht von der Hand zu weisen und in Vermeer erkannte er daher quasi einen Seelenverwandten. Dieser besaß in seinen Augen, genau wie er selbst, die Gabe in der Fülle der alltäglichen Begegnungen und Eindrücke die Besonderheiten zu selektieren und in einem künstlerischen Werke aller Welt zu offenbaren. Dalí hatte das Gemälde seinen Angaben nach bei jedem seiner drei Aufenthalte in Wien besichtigt. Dieses hing damals noch im Palais Czernin und der Gang zur Malkunst war das erste was Dalí am Morgen eines Besuches in der österreichischen Hauptstadt tat.71 Eine daraus logisch resultierende Schlussfolgerung lässt vermuten, dass Dalí das Gemälde in natura eingehend studierte und sich zugleich mit den Besonderheiten in diesem Gemälde auseinandergesetzt hat. Die Perfektion Dalís lässt sich dann am breiten Spektrum der Rezeptionsebenen erkennen, die sich der Maler angeeignet hat. Am Beginn steht dabei die direkte Konfrontation mit dem Gemälde, wobei das Motiv zu einem paranoia-kritischem Bild transformiert wird. (Abb.) Bereits hier wird die Bedeutung einer simplen Kopie überschritten, da Dalí das Bild einer von ihm entwickelten Methodik unterwirft. Dennoch bleibt in diesem Schritt das ursprüngliche Gemälde, freilich auch aufgrund seiner Popularität, erkennbar. Später beschränkt sich Dalí darauf, einzelne Elemente der Malkunst zu entleihen und in seine surrealen Szenarien zu integrieren.(Abb.) Außerdem inszeniert er in einem Gemälde Gala und sich ganz im Sinne der Malkunst als Maler und Modell. (Abb.) Die Rezeption der Malkunst innerhalb Dalís Oeuvre bekräftigt exemplarisch den Standpunkt, dass jeder noch so kleine Bestandteil eines Bildes, ganz im Sinne eines Gesamtkunstwerkes, einem Zweck zugeführt werden kann, oder auf einen bestimmten Gedanken Dalís verweist. Oftmals verbirgt sich dahinter, wie im Zusammenhang mit Vermeer, eine nahezu fanatische Wertschätzung, deren Einfluss weit über die Rezeption hinausgeht. Eine Anekdote dazu hat sich bis heute erhalten. Einmal soll Dalí erfahren haben, dass es eine alte Frau 70 71 Dalí 1989, S. 56-57. Dalí, Salvador: Das geheime Leben des Salvador Dalí. München 1984, S.37-38. 36 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís in Wien gäbe, der es nach Jahrzehnten gelungen sein soll, Vermeers Technik perfekt zu imitieren. Außer sich vor Freude machte sich Dalí sofort auf den Weg, um besagte alte Dame zu konsultieren, doch die Truppen der Nazis hatten diese bereits deportiert.72 Aber genau an dieser Erzählung lässt sich die nahezu bedingungslose Faszination Salvador Dalís gegenüber Vermeer festmachen. In seinem Buch 50 magische Geheimnisse erstellt Dalí eine Rangliste der besten Maler aller Zeiten. Darin bewertet er handwerkliches Können, Inspiration, Farbgebung, Strichführung, Genie, Bildkomposition, Originalität, Atmosphäre und Authentizität. Für jeden Abschnitt kann eine maximale Punktezahl von 20 erreicht werden, die Vermeer, abgesehen von 19 Punkten bei Originalität, durch die Reihe erhält. Damit führt er vor Raphael mit 176 Punkten und Velasquez mit 173 Punkten. Sich selbst bewertet Dalí mit 148 Punkten.73 In diesem Sinne also: Vermeer ist nahezu alles!74 3.2 Dalís Auffassung der Landschaft Baut man auf dem Wissen auf, welche Relevanz die Rezeption bei Dalí hat, kann man einen weiteren Akzent auf die Landschaften beziehungsweise landschaftlichen Elemente in Dalís Gemälden setzen. Denn auch hier achtete Dalí stets auf eine getreue Abbildung von Landstrichen oder geologischen Formationen, die eine gewisse Faszination in ihm erweckten und die zugleich seine Phantasie beflügelten. Eine vorrangige Stellung aber nimmt die Gegend ein, die Dalí seit seinen Kindheitstagen beflügelte, das Cap de Creus. Zerklüftet vom Meer und der Tramontana fasziniert diese Landschaft durch einzigartige Felsformationen und Gebilde, in denen gerade Dalí mehr als das bloße Gestein erkennen konnte. Welchen Eindruck diese auf ihn ausübte, hat Dalí einmal selbst beschrieben: Eine halbe Stunde Bootsfahrt (von Cadaques) entfernt, beginnen die Felsaufhäufungen des Cap Creus, der verlassenen Hauptstadt des dalinischen Reiches. Die Pyrenäen estreben in einem letzten leidenschaftlichen Gebärdenspiel im Meer. Diese berühmte Landmarke […] strotzt von Figuren, die die Tramontana ausgeschliffen hat. […] auf den hohen Felsen hat der Wind, als ob er Teig arbeitete, Orgeln, Faltenwürfe und 72 Soby, James Thrall: Salvador Dalí. New York 1946, S. 17. Dalí, Salvador: 50 magische Geheimnisse. Ostfildern 1986, S. 28. 74 King, Elliott: Dalí, Surrealism and Cinema. Harpenden 2007, S. 156. 73 37 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís denkmalhafte Modellierungen geschaffen: Indianerkopf, Stier, Tiger, Adler, Schildkröte, Greifen, Ratten, Pferde.75 Wie aus Dalís zitiertem Bericht hervorgeht, waren viele dieser Formationen mit Tieren oder Gestalten assoziiert. Dass viele davon später in seinen Gemälden eine Rolle spielen, ist kein Zufall. Denn diese Landschaft war für Dalí zugleich eine der wichtigsten Inspirationsquellen, was ihn auch zu der Aussage führte: Das Cap de Creus, bin ich!76 Diese auf der Welt einzigartige Region mit ihren kuriosen, von der Natur geformten Gesteinsanordnungen, hat Dalí nicht nur zu allseits bekannten Meisterwerken wie Der Große Masturbator geführt, sondern fand zugleich Eingang in sein multimediales Schaffen, wie zum Beispiel die Eröffnungssequenz des Filmes L´Âge d´or77 (Abb.15). Bereits Dalís erste Konfrontation mit dem Medium der Malerei, ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Thematik der Landschaftsmalerei. Dies ist natürlich nichts außergewöhnliches, da eine Person, die sich als Künstler versuchen möchte, meist diese Gattung wählt. Doch bei Dalí, der sich sehr schnell von der Amateurkunst abhob, ist von Beginn an eine gewisse Stringenz ersichtlich, was seine Verbundenheit zur Landschaft der Costa Brava und des Empordà78 anbelangt. Unter den ersten, uns heute bekannten Werken des Meisters, finden sich neben Portraits einige spannende Gemälde, die Szenen aus dieser Gegend einfangen. Auch wenn Dalí hinsichtlich seiner stilistischen Orientierung über einen langen Zeitraum experimentierte, so eröffnet sich dem Betrachter eine Konstante, die nicht zu übersehen ist: die Rezeption der Landschaft. Seien es impressionistisch angehauchte Hafenszenen, oder expressionistisch anmutende Portraits, im Vorder-, als auch im Hintergrund steht immer eine Dalí vertraute Gegend. Ein Aspekt ist dabei aber von äußerster Wichtigkeit. Diese landschaftlichen Impressionen sind stets mit einer solchen Genauigkeit dargestellt, dass sie mühelos lokalisiert werden können. Mögen Dalís Bilderwelten noch so surreal sein, die in seinen Gemälden erscheinenden Felsformationen und Küstenabschnitte, entsprechen meist der Realität. 75 Dalí 1989, S. 16. Aguer 2009, S. 7. 77 Ades 2004, S. 42. 78 Bezeichnet die Gegend um Dalís Heimatstadt Figueres. 76 38 3 Der Stellenwert der Rezeption im Oeuvre Dalís Dalís Begeisterung für seine Heimat und die Landschaft um Figueres und vor allem Cadaqués sind wohl ausreichend dokumentiert und lassen keine Zweifel offen, dass eine damit in Zusammenhang stehende detailgetreue Rezeption einen hohen Stellenwert innerhalb Dalís Oeuvre einnimmt. Was außerdem längst bewiesen ist und nicht angezweifelt werden kann, ist die dabei im Vordergrund stehende Übereinstimmung mit den tatsächlichen geographischen Gegebenheiten. Da dem also so ist, ist es auch alles andere als spekulativ, dass Dalí bei seinem Aufenthalt in Österreich seiner Einstellung gegenüber der Landschaftsmalerei treu geblieben ist. Bei den im Anschluss besprochenen Gemälden finden sich freilich auch Züge des Cap de Creus wieder. Aber dass Dalí darüber hinaus eine Begeisterung gegenüber den österreichischen Alpen entwickelte, hat sich, wie sich zeigen wird, auch in einigen der 1937 entstandenen Arbeiten manifestiert. Darüber, warum den Alpen die „Ehre“ einer Rezeption zu Teil wurde, kann nur spekuliert werden, aber vielleicht erinnerten Dalí die zerklüften Berge an die Felsen in seiner Heimat, die ihm zu diesem Zeitpunkt, resultierend aus den Wirren des Krieges, verwehrt geblieben war. 39 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Das Herzstück dieser Arbeit bildet zweifelsohne die nachfolgende Gruppe jener Gemälde und kleinerer graphischer Stücke, welche in einem Bezug zu Österreich stehen. Im Vordergrund steht Dalís Rezeption und Auffassung einiger österreichischer Landmarken, die er, womöglich aus spontaner Begeisterung, in eben diesen Gemälden wiedergegeben hat. Sieht Dalí also eine bestimmte Form oder ein konkretes Motiv, zum Beispiel in der Landschaft oder auf einer Postkarte, das seinen künstlerischen Geist beflügelt, resultiert daraus eine sofortige Verwertung in einer künstlerischen Arbeit. Das wurde bereits im Hinblick auf den Einfluss des Cap de Creus auf Dalí erläutert. Oftmals handelt es sich dann dabei nur um eine kleine Kritzelei, sollte sich Dalí in diesem Moment aber in einem Anflug nahezu manischer Begeisterung befunden haben, so kommt es zu einer intensiven Konfrontation, welche die Grenzen der Malerei sprengt, also eine Verarbeitung in mehreren Gattungen der Schönen Künste findet. Dabei handelt es sich freilich um konkrete Einzelfälle, aber bei der Metamorphose des Narziss liegt ein solcher eben vor. Bei einigen der nachfolgenden Beispiele kommt noch hinzu, dass sie für Dalí die perfekte Möglichkeit darstellten, die von ihm entwickelte ParanoiaKritische Methode in all ihren Facetten zur Geltung zu bringen. Zumal diese erst einige Jahre zuvor entstanden war und Dalí alles daran setzte, ihre allgemeine Gültigkeit unter Beweis zu stellen, ist diese wiederum der Zugang zum Verständnis einiger der hier präsentierten Arbeiten. Über diese Methode lässt sich zum Beispiel erklären, wie aus einer in Österreich aufgenommenen Photographie bei Dalí eine Darstellung des spanischen Nationalhelden Don Quijote werden konnte. Und genau in diesem Kapitel der Arbeit greift auch jene Affinität Dalís für die alten Meister. Schließlich war es nicht nur die Technik vorangegangener Malerdynastien, die Dalí versuchte zu kopieren, nein er beschäftigte sich auch zeitlebens mit den bedeutendsten literarischen Grundlagen, die schon von 40 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís seinen Vorgängern ins Bild umgesetzt wurden. Hat er einmal ein Thema gewählt, ist anzunehmen, dass sich dessen Ausgestaltung über mehrere Arbeiten erstreckt. Er experimentiert produktiv damit und es entstanden mitunter Zyklen, die entweder zur Gänze oder zum Teil Gemeinsamkeiten in der Ikonographie aufweisen. Oftmals ist es dabei schwer, diese Parallelen zu erkennen, was auf das Detailreichtum besagter Szenerien oder des entsprechenden Bildmotivs innerhalb Dalís Gemälden zurückzuführen ist. Durch eine ausführliche Analyse ist es aber dann möglich, mehrere Gemälde und Graphiken in einen Zusammenhang zu bringen. 4.1 Österreich und Dalí Bereits vor dem Jahr 1937 lassen sich Verbindungen zwischen Dalí und Österreich ausfindig machen. Inwiefern diese Einfluss auf die Arbeiten von 1937 genommen haben, sei dahingestellt, aber sie können dabei assistieren, das Österreichverständnis Dalís womöglich analysierbarer zu machen. Dieser kurze Exkurs greift die noch existenten und überlieferten Zusammenhänge in Dalís persönlichen Aufzeichnungen, sowie in denen von ihm nahestehenden Personen von vor 1937 auf. Gala Dalí, in erster Ehe mit Paul Eluard verheiratet, ist schon 1921 in Österreich gewesen. Die Dadaisten nutzen die inspirierende Umgebung Tirols schon 1921 zur Niederschrift ihres Manifestes Dada au Grand Air / Der Sängerkrieg in Tirol, wobei in jener Zeit auch ein erstes Aufkeimen des Surrealismus zu datieren ist. Dies könnte vor allem auf die Berührung mit Freuds Schriften zurückzuführen sein. In Kombination mit der Unberührtheit der Tiroler Berge führte dies zu gänzlich neuen Ansichten. Dass Paul Eluard und André Breton dann in jenem Sommer sogar noch Sigmund Freud in Wien besucht haben sollen, 79 stimmt so nicht. Als die Eluards in Tirol eintrafen, fanden sie nur noch das Ehepaar Breton vor.80 Gemeinsam reisten sie nach Wien, wo André Breton alleine am 10. Oktober 1921 ein, aus seiner Sicht 79 80 Dankl, Günther: DADAutriche, 1907-1970. Innsbruck 1993, S. 11. Gateau, Jean-Charles: Paul Eluard oder Der sehende Bruder. Berlin 1994, S. 87. 41 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís enttäuschendes, Interview mit Freud führen konnte.81 Dies könnte, freilich spekulativ, sogar dahingehend interpretiert werden, dass die Idee eines Surrealismus in Österreich geboren wurde. Obwohl es den Dadaismus in Österreich nie gegeben hat, fand das dritte und zugleich letzte große Treffen der Dadaisten 1922 in diesem Land statt. Darunter befand sich die gesamte Dada-Prominenz, wie Tristan Tzara, Andre Bréton, Hans Arp, Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld.82 Für die Thematik einer frühen Rezeption der österreichischen Landschaft in der modernen Kunst, hebt sich ein besonders interessantes Zeugnis aus jenen Tagen hervor: Max Ernst Gemälde Au rendezvous des amis von 192283 (Abb.16). Denn vor dem Panorama der Tiroler Berge wurden die Teilnehmer dieses Treffens damals portraitiert, unter ihnen Gala Eluard. Dadurch dokumentiert dieses Gemälde zwei für diese Arbeit wichtige Aspekte: einen Österreichbezug Dalís, der über Gala hergestellt werden kann und die Tatsache, dass sich auch ein anderer Surrealist, wie Ernst einer wurde, derart für die österreichische Landschaft begeistern konnten, dass er diese in seinem Oeuvre verewigte. 1922 hatte sich Max Ernst mit seiner Frau auf Sommerfrische nahe Imst niedergelassen und die Eluards dürften wenig später nachgereist sein.84 In jenem Sommer führten die beiden Ehepaare dann gar einen gemeinsamen Haushalt im Starkenberger Schlösschen in Tarrenz bei Imst.85 Dalí selbst hatte schon vor seinem Aufenthalt in Zürs im Frühjahr 1937 Erfahrungen mit dem Treiben in einer der österreichischen Touristenhochburgen, konkret mit Kitzbühel, gemacht. Tourismus war wohlgemerkt eine „Erfindung“ der vom ersten Weltkrieg gebeutelten Mittelund Oberschicht, und der Künstler scheint, stilgerecht, einige Tage in Kitzbühel in Tirol verbracht zu haben, wenn auch nicht zur Gänze aus freien 81 Polizzotti, Mark: Revolution des Geistes. Das Leben André Bretons, München 1996, S. 235. Dankl 1993, S. 34. 83 Max Ernst, Au rendez-vous des amis, 1922, Öl/Leinwand, 130 x 195 cm, Museum Ludwig, Köln. 84 Dankl 1993, S. 11. 85 Ebenda, S.87. 82 42 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Stücken. Gala musste sich aus gesundheitlichen Gründen seit ihrer Jugend regelmäßig in den Bergen aufhalten.86 Seine ersten Eindrücke vom winterlichen Treiben, die zugleich eine äußerst unterhaltsame Anekdote darstellen, finden sich in Dalís Buch „Meine Leidenschaften“.87 Eine Sammlung von Anekdoten, die erstmals in den 1960ern erschien und Erzählungen aus Dalís bisherigem Leben enthält. Um seine Ansicht authentisch wieder zu spiegeln, ist es am besten, dies mit seinen eigenen Worten zu tun. Außerdem wurde dieses Zitat, das sich auf Dalís Österreichaufenthalt um 1934 bezieht, bisher mit zu wenig Beachtung gewürdigt. So berichtet Dalí: Greuel! Greuel! Greuel des Gebirges! Und der Wintersport, welche Abscheulichkeit! All diese leeren Orte, diese Wüsten in der Höhe, diese Gefängnishofmauern aus weißem Quark! Eines Tages überließ uns Gaston Berger88, der das Skilaufen liebte und in Paris zurückgehalten wurde, seine Plätze in einem Hotel in Kitzbühel. Ich war noch nie an einem solchen Ort gewesen. Es wurde das trostloseste Schauspiel meines Lebens. Zunächst ist für einen Voyeur von meinem Weitblick der Kummer groß, ein Fenster zu öffnen und sich klar darüber zu wundern, dass da nicht das geringste zu sehen ist: Weiß, nichts als Weiß von so einer arroganten Nichtigkeit, dass es ihm nicht einmal genügt, waagrecht zu bleiben. Ferner ist für einen Mann von meinem Geschmack nichts abstoßender, als diese Skifanatiker zu hören und zu sehen, die kindisch bei ihren Abfahrten sind, ganz zu schweigen von dem, was sie mit ihren Füßen machen und dass sie wie Schweine leben, wenn sie mit ihren riesigen Stiefeln überall schmutziges Wasser von sich geben. Ich hatte mir monumentale Kamine und herrschaftliche Speisen vorgestellt. Ich bekam lauwarme Heizkörper, Fußböden, auf denen sich der Schmutz häufte, panierte Koteletts und Horsd´oeuvres aus der Klinik, eine Schnitte Lachs, gekrönt von einer Olive, in Mayonnaise gebettet. Schließlich brachte man mich in eine 86 Bona, Dominique: Gala. Frankfurt a.M. 1996, S. 23. Dalí, Salvador: Meine Leidenschaften. Aufgezeichnet von Louis Pauwels (Übers. a. d. Französischen Orig. v. Jutta u. Theodor Knust), München 1989. 88 Anm.: gemeint Gaston Bergery. 87 43 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís graue Höhle hinab und nagelte mich auf Skier wie einen gefrorenen Christus. Draußen versuchten diese furchtbaren Objekte, mit boshaftem und gespenstigem Leben begabt, sich davonzumachen, indem sie mir die Knöchel zerschlugen. Ich hätte weinen mögen, ich war in einen Zustand klebriger Trauer, in beklagenswerte Wut und ungeheuerliche Trostlosigkeit versetzt worden. Greuel des Gebirges, das weder dem Maß noch der Maßlosigkeit des Menschen entspricht, disproportioniert ohne jede Erhebung! Übrigens liebe ich ausschließlich Cadaques, mein eigenes Zentrum, das die ganze Welt am Rand des Meeres ist.“89 Wie aus diesem Bericht zu entnehmen, scheint Salvador Dalí bei seinen ersten Erfahrungen in den österreichischen Alpen nur wenig Erfreuliches erlebt zu haben. Womöglich waren es für den Katalanen die ersten authentischen und vor allem sportlichen Berührungen mit Schnee. Und es fällt schwer sich den südländischen Künstler auf einem wackeligen Modell Skier der 30er Jahre vorzustellen. Ganz zu schweigen vom ersten Kontakt mit der österreichischen Küche, für einen Gaumen, der die Kost der leichten mediterranen Küche und der französischen Haute Volée gewohnt war. Ein banales Wiener Schnitzel, und das aus dem tiefsten Tirol, konnte da wahrlich nur erschwert mithalten. Und Kitzbühel hatte mit seinem heutigen Ruf, als einer der nobelsten Skiorte der Alpen, noch nichts gemein. Von Interesse ist auch der Mann, der dieses Höllenszenario in den Tiroler Bergen zu verantworten hatte: Gaston Berger.90 Der Name Berger, auch unter dem Nachnamen Bergery aufgeführt, steht auch mit einer der Arbeiten Dalís aus dem Jahr 1937 in Verbindung, die später unter die Lupe genommen wird. Gastons Frau Bettina Bérgery (Abb.17), eigentlich Bettina Shaw Jones, war die rechte Hand der italienischen Modedesignerin Elsa Schiaparelli, die einige großartige Entwürfe Dalís verwirklichte. Übrigens dürfte Dalí Bettina Bergery 1934 in einem Gemälde verewigt haben, das bisher 89 90 Dalí: Meine Leidenschaften. München 1989, S. 156 – 157. Ebenda, S. 156. 44 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís nur als das Portrait einer Unbekannten91 (Abb.18) betitelt ist und als nicht identifizierbar galt. Einige Photographien, die Bettina Bergery zeigen, eines unter Umständen sogar beim Winterurlaub in Kitzbühel, lassen eine markante Ähnlichkeit zwischen der unbekannten Frau und Bettina Bergery erkennen. Dalís nächster Aufenthalt in Österreichs Bergen sollte dann wesentlich beschaulicher zugehen und auch die Jahreszeit dürfte dem Künstler ungleich mehr zugesagt haben. Die Impressionen der Schneeschmelze in der sanften Aprilsonne und der Anblick der blühenden Narzissen, haben bei Dalí einen künstlerischen Erguss ausgelöst, von dem bei seinem ersten Aufenthalt im tief verschneiten Tirol nicht im Entferntesten zu träumen gewesen wäre. Und der Ort Zürs mit seinen imposanten, verschwenderischen Bauten, die doch den Charme eines Alpenchalets bewahren, dürfte eher in die Welt, der inzwischen vom Luxus verwöhnten Dalís, gepasst haben. Das Publikum selbst, hatte dort auch nicht mehr viel mit den „Schweinen“ aus Tirol zu tun und entstammte zum Teil auch den gekrönten Häusern Europas. Kurzum: ein Flair lag in der Luft, welcher ganz nach dem Geschmack Dalís war. Damals war es wahrscheinlich Edward James, der Salvador Dalí und seine Frau Gala zu einer weiteren Österreichreise bewegen konnte. James liebte die Alpen und war ein begeisterter Skifahrer.92 Obwohl die Aufzeichnungen der Tourismusbehörde, die Dalís betreffend, allesamt nicht mehr erhalten sind, konnte im Zuge der Recherchen im Gemeindearchiv Lech/Zürs immerhin im Falle Edward James ein kleiner Durchbruch erreicht werden. So berichtet das Vorarlberger Volksblatt am 28. Jänner 1936 über einen Auszug aus der Zürser Fremdenliste des aktuellen Monats. Es findet sich folgender Vermerk: Zürserhof: Herr und Frau Franz Schicht, London; Herr und Frau Werner Schicht mit Tochter, Wien; […] Lady Winston Churchill und Familie, London; […] Prinzessin Natalie Paley, Kinoschauspielerin, Paris; Monsieur Joseph Sert, Attaché a l’Embassade d’Espagne, Paris; Madame Doroville de la Cour, 91 Salvador Dalí, Portrait einer Unbekannten (wohl Bettina Bergery), 1934, Öl/Holz, 25,4 x 18,7 cm, Balogh Family Foundation, Miami Beach. 92 James, Edward: Swans Refelcting Elephants. My Early Years, London 1982, S. 54. 45 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Kopenhagen; Mr. James, Eleonore v. Placher, Wien;94 93 Schriftsteller, London; Frau Primär interessiert hier der ominöse Mr. James, Schriftsteller aus London. Die Auflistung der anderen Personen bekräftigt die Annahme, dass es sich dabei wirklich um „unseren“ Edward James handelt, denn Joseph Sert, 95 Natalie Paley und die Churchills zählten damals zum Freundeskreis von James und Dalí96 (Abb.19). Da Edward James veranlasste, nach seinem Ableben auf seinem Grabstein als Poet bezeichnet zu werden, muss es auch nicht verwundern, dass es sich laut Vorarlberger Volksblatt um einen Schriftsteller James handelt. 4.2 Narziss, die Ungeheuer und die Schubladenfrau – Dalís Gemälde mit Österreichbezug Neben einer Arbeit aus dem Jahr 1936, steht Dalís Schaffen von 1937 bei den folgenden Objekten klar im Vordergrund. Während die Intention des Künstlers bis weit in die Neuere Kunstgeschichte einem klassischen Schema an Symbolen, also quasi einer vorgegebenen Bildsprache untergeordnet war, verhält es sich bei Dalí zuweilen anders. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit billigten dem Kunstschaffenden ein nie zuvor dagewesenes Maß an persönlicher Kreativität zu, welches der Tragödie der Zeitgeschichte folgend, nur allzu kurz möglich war. Unter dem Einfluss der Nationalsozialisten wendete sich das Blatt, was zur Folge hatte, dass Dalís Gemälde in deren Machtgebiet als nicht herzeigbar galten. Die hier vorgestellten Werke, die vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, kurz ERR, nach dem Einmarsch in Frankreich beschlagnahmt wurden und deren Schicksal sind beispielgebend. Offizielle Stellen, konkret die Fundacío Gala- Salvador Dalí, klammern diese Stücke interessanterweise mehrheitlich aus und 93 Anm.: Hervorhebungen vom Autor. Auszug aus der Zürser Fremdenliste im Monat Jänner 1936. In: Vorarlberger Volksblatt, 28.01.1936. 95 Etherington-Smith, Meredith: Dalí: a biography. London 1992, S. 173. 96 Dalí 1984, S.463. 94 46 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís berücksichtigen diese nicht einmal im offiziellen Oeuvrekatalog. Und das, obwohl deren Existenz Dank der Aufarbeitung des Jeu de Paume gesichert ist. Bei einigen dieser Arbeiten ist jedoch ein Österreichbezug zu vermuten und daher werden sie in der Folge in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Ein Gemälde ist bei Dalí nie ein bloßes Bild, sondern eine komplexe Struktur vielschichtiger Inhalten, deren gemeinsamer Schlüssel zum Verständnis die Paranoia-Kritische Methode ist. Diese konnte nur entwickelt werden, weil Dalí keinerlei Konventionen unterworfen war, was die Themen seiner Gemälde und Bilder und die damit erhoffte Wirkung auf den Betrachter betrifft. 4.2.1 Die Paranoia-Kritische Methode „Ich weiß nicht genau, worin sie besteht, aber […] sie funktioniert fabelhaft!“97 – trotz dieser etwas verstörenden Antwort Dalís auf die Frage nach seiner Paranoia-Kritischen Methode, kann diese durchaus zufriedenstellend in ihren Grundzügen erläutert werden. Was genau ist die Paranoia eigentlich? Der Begriff geht aus dem Altgriechischen hervor und bedeutet so viel wie „verwirrter Verstand“. Vom psychologischen Standpunkt aus lassen sich Paranoia als eine Geistesstörung definieren, die sich vor allem durch ein gesteigertes Misstrauen sowie das Gefühl einer permanenten Gefährdung durch andere bei der erkrankten Person diagnostizieren lässt.98 Dalí selbst war von diesem Phänomen fasziniert und beschäftigte sich mit allem, was diesen Bereich tangierte. Als er erfuhr, dass einer seiner Großväter paranoid gewesen sein soll und auch weitere Verwandte von dieser Geistesstörung geplagt waren, befiel ihn dann doch ein gewisses Unbehagen. 99 Die Schlussfolgerung, warum Dalí sich derart intensiv mit Paranoia beschäftigte, ist, dass er versuchte, durch die Entwicklung seiner Methode sich selbst vor einer Erkrankung zu schützen, beziehungsweise diese dadurch kontrollierbarer zu machen. Als Hypochonder bekannt, würde eine solche Intention durchaus in Betracht zu ziehen sein. 97 Salvador Dalí 1979 in der spanischen Fernsehsendung „Imagénes“; in: Gibson 1997, S. 255 Fenigstein, A.: Paranoia. In: Ramachandran, V.S. (Hg.): Encyclopedia of Human Behavior. Online-Ausgabe 2012 (URL: http://dx.doi.org/10.1016/B978-0-12-375000-6.00265-2; Zugriff am 14.03.2013). 99 Gibson 1997, S. 255 98 47 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Was auch immer Dalí zu dieser komplexen, aber in sich absolut homogenen Methodik bewegt haben mag, auf ihre Ansätze stößt man bei einem seiner frühen Vorträge. Am 22. März 1930 referierte er vor dem Ateneu-Club in Barcelona über „Die moralische Position des Surrealismus“, Ansichten, die bei den Zuhörern eine große Resonanz zur Folge hatte.100 Heute ist diese Rede dahingehend interessant, dass Dalí die Grundzüge seiner Methode in derart klaren Worten formuliert, wie es später nur selten der Fall sein wird. Der Terminus einer Methode taucht überhaupt erst einige Jahre später auf101 und zugleich ein gewisser wissenschaftlicher Anspruch, welchen Dalí unter anderem durch mannigfaltige Deutungen und verwirrende Fachsimpelei zu erreichen versuchte. Wirft man nun einen Blick in den Text seiner Lesung, gelingt es Dalí mit Bravour seine Ausführungen zu Paranoia geschickt in das eigentliche Thema, den Surrealismus, einzuordnen. Er spricht von der Geburt des neuen surrealistischen Bildes, der Geburt eines Bildes der Demoralisierung. Es ist vonnöten auf das extreme Wahrnehmungsvermögen der Paranoia […] zu bestehen. Ein Paranoiker, der denkt er sei vergiftet […] erkennt in allem um ihn herum eine Vorbereitung seines Todes. Kürzlich habe ich (Dalí) im Zuge eines paranoiden Prozesses erkannt, dass das Bild einer Frau […], ohne das tatsächliche Aussehen zu verändern, […] zugleich das eines Pferdes ist.102 Die Essenz der Paranoia-Kritischen Methode beruht also auf dem Phänomen des Doppelbildes und darin, in einem Motiv mehrere Dinge erkennen zu können. Solche einfachen optischen Spielereien sind uns allen bekannt, wie zum Beispiel das Bild eines Kelches, das bei längerer Betrachtung zu zwei, entgegenstehenden Gesichtssilhouetten mutiert. Dieses Prinzip der optischen Täuschbarkeit des menschlichen Auges und Geistes kam den Surrealisten, die in ihren Bildern einen Zustand zwischen Traum und Realität einfangen wollten, zugute. Allerdings hat keiner von ihnen anfangs auch nur annähernd 100 Ebenda, S. 250. Ebenda, S. 255. 102 Dalí in seinem Vortrag „Die moralische Position des Surrealismus“; Ateneu-Club Barcelona 22.03.1930. [Anm.: Übersetzung vom Autor] 101 48 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís so darauf beharrt, wie später Dalí. Was bei den Surrealisten als Traumbilder begonnen hat, gipfelt in der Folge in Dalís Arbeiten, die zur Gänze nach der Paranoia-Kritischen Methode entworfen wurden. Am einfachsten ist es jedoch kurz auf ein Werk Dalís einzugehen, das am besten erklärt, wie es sich bei der Entwicklung, besser gesagt Entdeckung, eines paranoia-kritischen Bildes einmal zugetragen hat, um seine Gedankengänge beim Entstehungsprozess zur Metamorphose des Narziss leichter zu begreifen. Neben solch komplexen Gemälden sind es vor allem die kleineren Arbeiten, die Zeugnisse Dalís „paranoider Spontanität“ sind. Diese konnte ihn bei der Betrachtung eines jeden beliebigen Bildes überkommen. Vermutlich ging es ihm auch so, als ihm eines Tages eine Karte in die Hände fiel, die eine kleine Strohhütte mit einigen davor sitzenden afrikanischen Ureinwohnern abbildete. Das, was er darin erkannte, wurde von ihm 1930 sofort in der Zeitschrift Le Surréalisme au service de la révolution publik gemacht. Was er als Communication: visage paranoiaque103 dort erstmals zu vermitteln versuchte, war Folgendes: beim Anblick dieser Buschszene erkannte er durch drehen der Abbildung den Kopf Picassos. Als er dies André Breton kommunizierte, konterte dieser und meinte darin das Konterfei des Marquis de Sade mit gepuderter Perücke wiederzuerkennen. Durch diesen Widerspruch ergab sich für Dalí ein wunderbares Beispiel dafür, welches die Existenz solcher mehrdeutiger Bilder bekräftigte, wenn nicht gar unleugbar machte.104 Später entstand aus dieser ersten Begegnung das Gemälde Visage Paranoiaque.105 Dieses ist zwar, im Gegensatz zum ursprünglichen Bilde, leicht überarbeitet, aber dennoch gibt es im Wesentlichen die kleine Hüttenszene detailgetreu wieder. Interessant ist dabei vor allem, dass Dali weiterhin auf die Eigeninitiative des Betrachters setzt und das Bild in der Horizontalen wiedergibt, also nicht entsprechend dreht, um das Profilgesicht sofort erkennbar zu machen – er setzt also voll und ganz auf das Prinzip einer 103 Le Surréalisme au service de la révolution, Nr. 3, 1931; in: Ades 2004, S. 130. Schneede, Uwe: Die Kunst des Surrealismus: Malerei, Skulptur, Fotografie, Film. München 2006, S. 125. 105 Salvador Dalí, Visage Paranoiaque, ca. 1935, Öl/Leinwand, 18,5 x 22,5 cm, Privatsammlung. 104 49 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís optischen Entdeckungsreise, bei der der Betrachter den Weg dieser paranoiakritischen Veränderungen selbst durchleben soll. Bei späteren Arbeiten wie der Metamorphose des Narziss wird diese Entdeckungsreise durch das Gemälde aber derart komplex, dass Dalí in diesem besonderen Fall mehrere Sehhilfen integriert. Außerdem verfasste er das dazu passende Gedicht, das neben einer einfühlsamen Beschreibung der dargestellten Tragödie zugleich eine Anleitung ist, in welcher Reihenfolge die Betrachtung des Gemäldes zu erfolgen hat. Was Dalí uns dabei noch über seine eigenen Empfindungen und seine Psyche verrät und wo nun der Österreichbezug in diesem brillanten und zugleich intimen Bild versteckt ist, soll nun erläutert werden. 4.2.2 Die Metamorphose des Narziss Als eines der bekanntesten Gemälde Dalís wurde die Metamorphose des Narziss in der Vergangenheit zum Thema zahlreicher Aufsätze. Darunter auch hervorragende Abhandlungen, wie jene von Milly Heyd. Dalí´s „Metamorphosis of Narcissus“ Reconsidered106 von 1984 beleuchtet das Gemälde von einem vollkommen neuen Standpunkt aus. Heyd stellt die ursprüngliche Erzählung des Narziss in den Kontext zu Dalís Arbeit und geht dabei auch auf den Bezug zu den in den Jahrhunderten davor entstandenen Darstellungen ein. Ferner orientiert sie sich an der Struktur einer klassischen kunstwissenschaftlichen Abhandlung zu einem Gemälde, sie analysiert schließlich die Ikonographie und führt das Stück an das Oeuvre von Dalís Zeitgenossen heran. Auch die spezielle Symbolik Dalís findet dabei Beachtung. Schließlich isoliert sie einzelne Objekte aus dem Bild - wie zum Beispiel das Ei, als ein bei Dalí häufig verwendetes Symbol – und versucht deren Bedeutung anhand der neuzeitlichen Standardwerke zur Emblematik und Ikonographie noch eingehender zu betrachten. 106 Heyd, Milly: Dalí´s „Metamorphosis of Narcissus“ Reconsidered. In: Artibus et Historiae, Bd.5, Nr.10, 1984. 50 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Ähnlich verhält es sich auch mit den aktuellsten Nachforschungen zu diesem Gemälde Dalís, die David Lomas in seinem Buch Narcissus Reflected107 zusammengetragen hat. In dieser begleitenden Publikation zu einer Ausstellung in Edinburgh, an deren Verwirklichung auch die namhafte Dawn Ades beteiligt war, versucht Lomas die Metamorphose des Narziss noch eingehender mit anderen Werken der Moderne bis zur Gegenwartskunst zu vergleichen. Dabei verläuft sich der Bezug zu Dalís Gemälde, das zum Auftakt im Mittelpunkt steht, ein wenig. Er geht allerdings auf einen Umstand ein, der bis dahin nur in einigen wenigen Dalí-Biographien gestreift wurde, nämlich, dass dieses Gemälde einen Bezug zu Österreich aufweist. Am entscheidenden Punkt nimmt er zwar an, dass die österreichischen Alpen zur Zeit der Narzissenblüte einen Einfluss auf Dalí genommen haben, aber die Landschaft im Gemälde ist für ihn ganz klar am Cap de Creus anzusiedeln.108 Eine Fehleinschätzung, wie sich gleich zeigen wird, da sich von diesem Gemälde ausgehend ein roter Faden durch Dalís Arbeiten des Jahres 1937 zieht, der Österreich eine besondere Rolle zukommen lässt. Die aktuellste Publikation zu diesem Gemälde ist die Monografie Metamorfosis de Narciso109, die von der Gala-Salvador Dalí Stiftung 2008 herausgegeben wurde und neben einigen Aufsätzen die wichtigsten Quellen und Originalabbildungen davon zusammenfasst. Ein Glücksfall, da die Stiftung aus Figueras sehr sorgsam mit dem Erbe Dalís umgeht und solche Quellen meist nur selbst publiziert. In diesem Buch ist also nun erstmals das vollständige Manuskript zum Gedicht Metamorphose des Narziss in leserlicher Größe abgelichtet. Die enthaltenen Essays von Montse Aguer, Joan M. Minguet Batllori und David Lomas, können mit keinen unbekannten Themen aufwarten. Der Mythos des Narziss, optische Täuschungen und Dalís Bezug zu Freud stehen auch hier an erster Stelle. Am revolutionärsten erscheint der Beitrag von Lomas, der sich ja bereits in der Vergangenheit mit diesem Gemälde beschäftigt hat und kein Neuland betritt. Diesmal seziert Lomas das 107 Lomas, David (Hg.): Narcissus Reflected. Katalog zur Ausstellung in der Fruitmarket Gallery Edinburgh, London 2011. 108 Ebenda, S. 33. 109 Fundació Gala-Salvador Dalí (Hg.): Salvador Dalí: Metamorfosis de Narciso. Barcelona 2008. 51 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Gedicht penibel, aber in den entscheidenden Passagen, die sich mit der Landschaft beschäftigen, dringt die Bedeutung des Cap de Creus wie gewohnt in den Vordergrund der Diskussion. Die Alpen werden seitens Lomas auch hier nur als Quelle der Inspiration benannt.110 Im Großen und Ganzen enthält dieser Essay aber weitläufige Exzerpte aus Lomas Aufsatz Painting is dead – long live painting!: Notes on Dalí and Leonardo111, der 2006 erschienen ist. Vor einigen Jahren war die Auseinandersetzung mit dem Gemälde Metamorphose des Narziss meine Aufgabenstellung in einem Seminar, das ich belegt hatte. Im Laufe meiner Recherchen zu dieser Seminararbeit, gelangte ich erstmals zu jenen Erkenntnissen, welche zu dieser Masterthesis geführt haben. Da wenig später eine Ausstellung im Museum Huber-Hus in Lech am Arlberg geplant war, die sich auf Kunst und Architektur in der Region konzentrierte und ich kurz zuvor mit Nachforschung in Lech beschäftigt war, wurden die Ergebnisse meiner Arbeit im begleitenden Ausstellungskatalog gewürdigt.112 Außerdem konnten die Autoren noch ein weiteres Kleinkunstwerk Dalís ausfindig machen, das mit Österreich in Verbindung steht. Somit ist dieser kleine Katalog die einzige, mir bekannte Publikation, die bisher auf einen Österreichbezug innerhalb Dalís Oeuvre des Jahres 1937 eingeht und darüber hinaus zwei damit korrespondierende Werke Dalís vorstellt. Der Mythos des Narziss erfreut sich in der Rezeption durch die Malerei einer äußerst großen Beliebtheit. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war es keine Besonderheit, weiterhin den klassischen Mythenstoff, zu welchem auch die tragische Geschichte des selbstverliebten Jünglings gehört, in Gemälden zum Leben zu erwecken. Mit einem Neudenken innerhalb der Kunst am Ende der Romantik jedoch waren es plötzlich andere Motive, die Eingang in die Malerei fanden. Bei den Zeitgenossen Salvador Dalís schließlich war der klassische Stoff dann fast zur Gänze in anderen Gattungen der bildenden Künste 110 Lomas, David: Sobre el Narcismo en Dalí: una Introducción. In: Fundació Gala-Salvador Dalí (Hg.): Salvador Dalí: Metamorfosis de Narciso. Barcelona 2008, S. 95. 111 Lomas, Davis: Painting is dead – long live painting: Notes on Dalí and Leonardo. In: Papers of Surrealism, 4 Ausgabe, Frühjahr 2006. 112 Just, Marcel, Birgit Ortner (Hg.): Lech & Zürs am Arlberg 1920 – 1940, Zwischen Tradition und Moderne. Architektur-Technik-Kunst-Grafik-Fotografie-Film, Lech 2010, S. 50-52. 52 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís angesiedelt. Dalí hingegen entzog sich sein ganzes Leben hindurch nie einer Konfrontation mit diesen alten Erzählungen. Dass er sich eingehend mit Ovid beschäftigt haben muss, zeigt nicht nur der Titel des Gemäldes, sondern lässt sich auch dadurch beweisen, dass Passagen der Metamorphosen, freilich frei verändert, in das mit dem Bild korrespondierende Gedicht integriert wurden. Hier muss aber eine Beweisführung im Vordergrund stehen, die sich auf den hier im Mittelpunkt stehenden Österreichbezug fokussiert. Zuerst geht es darum einen zeitlichen Rahmen zu setzten, wie lange Salvador und Gala Dalí, sowie Edward James am Arlberg verweilt haben. Dafür kann die Korrespondenz Dalís herangezogen werden, anhand derer man, dank Poststempeln, eruieren kann, wo Dalí sich zu welchem Zeitpunkt aufgehalten hat. Grundsätzlich gäbe es einen einfacheren Weg, um die Aufenthaltsdauer der oben genannten Personen genau feststellen zu können. Wie schon am Beispiel Edward James für das Jahr 1936 aufgezeigt werden konnte, bestand zur damaligen Zeit eine Meldepflicht für Touristen. Die Hotels und Gaststättenbetriebe hatten die Pflicht, die Ankunft ihrer Gäste bei den Behörden anzuzeigen. Bedauerlicherweise wurden die offiziellen Unterlagen aus Zürs für das Jahr 1937 bei einem Brand vernichtet. Da es bei den Tageszeitungen nicht immer zu einer Berichterstattung bezüglich der Fremdenliste kam und es sich bei dem Nachweis eines „Mr. James“ im Jänner 1936 um einen Glückstreffer handelt, war es nicht möglich die Dalís in einer vergleichbaren Quelle zu ermitteln. Selbst bei den relevanten Hotels haben sich keine Dokumente erhalten, da diese heute in große Hotelketten eingegliedert sind. Auch die Angehörigen der damaligen Besitzerfamilien konnten trotz intensiver Nachforschungen keine Nachweise mehr finden und lebende Zeitzeugen gibt es in den Orten Lech und Zürs keine mehr. Alle heutigen Einwohner kamen erst nach dem zweiten Weltkrieg in die Gemeinden. Im Januar und Februar 1937 weilte Dalí noch in den USA, in Los Angeles und auch im luxuriösen Arizona Inn in Tucson113 (Abb.20), weshalb angenommen werden kann, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit der 113 Salvador Dalí an René Magritte; Poststempel vom 3. Februar 1937; Privatsammlung (URL: http://www.autographauctions.co.uk/bidcat/detail.asp?SaleRef=0009&LotRef=380; Zugriff am 20.03.2013). 53 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Metamorphose des Narziss auseinandergesetzt hat. Denn Dalí war nachweislich äußerst umtriebig mit seinen Projektideen für Hollywood beschäftigt. Die Idee einer Kooperation mit der immer einflussreicher werdenden Filmindustrie hatte es ihm angetan und die Vorstellung eines internationalen Durchbruches des surrealistischen Films.114 Einen Partner fand Dalí damals, vor allem in Harpo Marx, der einer cineastischen Inszenierung des Surrealismus nicht abgeneigt schien.115 Am 27. März 1937 war Dalí dann jedenfalls schon in Seefeld in Tirol. Aus dem Hotel Berghof schrieb er an André Breton nach Paris. Bis heute haben sich das Kuvert und zwei beschriebene Bögen des hoteleigenen Briefpapiers aus Bretons Nachlass erhalten.116 Der Inhalt des Schreibens ist an dieser Stelle eher bedeutungslos, da Dalí lediglich seine Ausführung zur Idee einer Eröffnung einer Galerie in Paris an Breton weitergibt. Kurz danach muss Dalí dann schon am Arlberg gewesen sein. Das beweist eine Postkarte, die mit einem Poststempel vom 11. April 1937 an Pablo Picasso in Paris ging (Abb.21a-b). Aufschlussreich ist auch der Inhalt, der einen Eindruck davon vermittelt, wie der Tagesablauf des Künstlers verlaufen ist. Im Gegensatz zum klassischen Publikum in Zürs, scheint sich Dalí nicht voll und ganz dem Wintersport hingegeben zu haben. Er schreibt: […] ich arbeite von 7h bis 9h abends, ich habe auch viel gesehen; es gibt viel zu erzählen in einem Monat in Paris[…].117 Der Inhalt der Postkarte, die auf der Vorderseite einen Blick in die Alpen bei Lech und einen Skifahrer zeigt, verrät uns also, dass Dalí durchaus daran war zu arbeiten. Ferner scheint das Ehepaar hinsichtlich seiner Rückkehr nach Paris bereits einen Zeitpunkt ins Auge gefasst zu haben, der somit in den ersten 114 Gibson 1997, S. 370. King 2007, S. 66. 116 Salvador Dalí an André Breton; Poststempel vom 27.März 1937; Privatsammlung (URL: http://www.andrebreton.fr/fr/item/?GCOI=56600100125640; Abb. 8, 10-12; Zugriff am 20.03.2013). 117 Salvador Dalí an Pablo Picasso; Poststempel vom 11.April 1937. In: Madeline, Laurence (Hg.): Dalí: Letrres à Picasso (1927-1970). Paris 2005, S.70-73. Anm.: fälschlicher Weise Zürich als Aufgabeort vermutet. 115 54 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Maiwochen anzusiedeln wäre. Am 12. April schrieb Dalí außerdem eine Karte an Chick Austin, den Direktor des Wadsworth Atahaneum in Hartford118 (Abb.21c). Ein weiteres Zeugnis für Dalís Österreichaufenthalt ist ein aufgesetztes Telegramm an Harpo Marx. Dalí hatte die geplante Kooperation nicht vergessen und arbeitete in Zürs an der Umsetzung dieser Idee.119 Da sich dieses Schreiben auf einem Briefpapier des Wintersporthotels nur im Archiv der Edward James Foundation erhalten hat, ist nicht klar, ob Marx das Telegramm je erhielt. Ein genaues Datum für die Komplettierung der Zeitleiste zur Entstehung der Metamorphose des Narziss gibt es nicht.120 Neben diesen Postkarten ist es vor allem die Korrespondenz von Paul Eluard, die uns darüber informiert, wie die Reiseroute der Dalís durch Österreich verlaufen ist und ab wann das Ehepaar wohl die Rückreise nach Paris angetreten hat. Wie aus einem Brief von Eluard hervorgeht, war Edward James im April auch noch mit von der Partie, da Paul Eluard über Gala Grüße an „den kleinen Dalí und James“ ausrichten lässt. In einem Brief vom ersten Mai berichtet Eluard dann, dass Edward James bei ihm in Paris gewesen sei und er bedaure noch keine Neuigkeiten von Julien Levy gehört zu haben. Gala und Salvador Dalí weilten zu diesem Zeitpunkt am Semmering und scheinen ihren Aufenthalt verlängert zu haben und da Eluard plante, Gala noch ein paar Bücher dorthin zu schicken, darf angenommen werden, dass die beiden auch nicht vorhatten, kurzfristig nach Paris heimzukehren.121 Warum an dieser Stelle derart penible auf die Aufenthaltsorte der Dalís, Edward James und die Berichterstattung zu Julien Levy eingegangen wird, hat einen bestimmten Grund. Es darf nämlich angenommen werden, dass die Metamorphose des Narziss nicht nur ikonographisch einen Bezug zu Österreich aufweist, sondern höchstwahrscheinlich auch auf österreichischem Boden entstanden ist. Eine derartige Andeutung hat bisher nur Edward James gemacht, der seinen eigenen Angaben nach die Anfänge zum 118 Ades 2000, S. 52. King 2007, S. 66-67. 120 Gibson 1997, S. 370 121 Briefe Nr.229-231, in: Dreyfus, Pierre (Hg.): Paul Eluard. Liebesbriefe an Gala (19241948), Hamburg 1937, S. 264-268. 119 55 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Entstehungsprozess des Gemäldes, bis hin zu den ersten Vorzeichnungen auf der Leinwand mitverfolgt hat.122 Es lässt sich jedenfalls nachweisen, dass der Künstler lange genug am Arlberg und in Österreich verweilte, um das Gemälde im Wesentlichen fertigzustellen. Diese zeitlich enge Rekonstruktion des Aprils und Mais 1937 wird im Nachfolgenden auch eine Rolle bei Erfindung der Ungeheuer spielen. Dieses Gemälde wurde im Gegensatz zur Metamorphose des Narziss noch nie mit Dalís Österreichreise im Frühjahr 1937 in Verbindung gebracht, weswegen nicht zuletzt die chronologische Betrachtung der Entstehung der beiden Werke Dalís eine wesentliche Bedeutung in dieser Arbeit einnimmt. Julien Levy jedenfalls – ein Galerist aus New York, der in den 1930ern eine durchaus innige Beziehung zu Dalí pflegte – publizierte 1937 mit freundlicher Genehmigung von Edward James, dem Besitzer der Metamorphose des Narziss, eine Broschüre mit selbigem Titel.123 Diese beinhaltete das Gedicht und das Gemälde, die erstmals gemeinsam nach der Paranoia-Kritischen Methode entstanden sind und somit eine surrealistische Sensation darstellen. Dieses Heft, welches bereits im Juni 1937 gleichzeitig in französischer und englischer Sprache veröffentlicht wurde, setzt voraus, dass das Gemälde an sich schon im Mai fertig gestellt sein musste. Die Beteiligten bestanden auf eine Farbabbildung, was zu dieser Zeit mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden war. Daher muss eine gewisse Vorlaufzeit angenommen werden. Darüber, ob James bei seinem Aufenthalt in Paris im Mai 1937 das Gedicht oder gar das Gemälde im Gepäck hatte, kann nur spekuliert werden. Aber aufgrund des engen Zeitrahmens muss Dalí die Metamorphose des Narziss spätestens kurz nach seiner Rückkehr nach Paris zwecks der Druckvorbereitungen fertig gestellt und abgeliefert haben. Dafür, dass Dalí das Gemälde nach Paris brachte, spricht eine Photographie, die Dalí in seiner Pariser Wohnung beim Malen zeigt. Auf der Staffelei vor ihm steht die Die Metamorphose des Narziss, bis auf einige Elemente vollendet. Hinzu kommt die Existenz eines Briefes Dalís an Edward James vom 15 Juni 1937, dem 122 Ades, Dawn: Edward James and Surrealism. In: Coleby, Nicola (Hg.): A Surreal Life. Edward James, Katalog zur Ausstellung im Royal Pavilion, Brighton 1998, S. 73. 123 Levy, Julien (Hg.): Metamorphosis of Narcissus. New York 1937. 56 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís besondere Beachtung zu schenken ist. Den Briefkopf ziert eine kleine Skizze des Gemäldes und der Inhalt des Schreibens lässt keinen Zweifel offen, dass die Metamorphose des Narziss zu jenem Zeitpunkt schon fertig gewesen sein muss. Dalí erwähnt in dem Brief beigelegte Photographien des vollendeten Gemäldes und gibt eine Auflistung der für James resultierenden Kosten für die Finanzierung der Farbabbildung in der Broschüre, welche dann bei Levy erschienen ist.124 Wenn man versucht, die Entstehungsgeschichte des Bildes zu rekonstruieren, dann findet man womöglich in einem Brief Edward James aus dem Jahr 1938 Hinweise auf die Beweggründe, die Dalí dazu brachten, dieses Gemälde zu malen. Obwohl es nicht seine erste Reise nach Österreich war, dürfte ihn der Anblick der Bergwelt zum Frühlingsbeginn tatsächlich beeindruckt haben. So erinnert sich Edward James noch ein Jahr danach an den gemeinsamen Aufenthalt mit den Dalís und verweist auf die “diamantgleiche Transparenz der Luft in den österreichischen Alpen“ und „die Narzissenblüte und Schneeschmelze“.125 Prüft man die von James tradierten atmosphärischen Gegebenheiten, finden sich diese auch im Gemälde wieder, denn die Sicht in die Ferne ist vollkommen klar, die Berge gestochen scharf. Und auch die Elemente der Schneeschmelze und Narzissen-Blüte finden sich im Bild wieder. Vielleicht hatte James gar das Gemälde vor Augen, als er 1938 den Brief an seinen Bekannten schrieb. Vielleicht haben aber auch Jugenderinnerungen aus James glücklichsten Tagen in der Schweiz einen Anstoß zur Metamorphose des Narziss gegeben. Die Zeit im Internat genoss er in vollen Zügen und fuhr stundenlang mit dem Rad, entlang an den, ihm endlos erscheinenden, Narzissenfeldern.126 Selbst von botanischer Seite lässt sich verifizieren, dass es sich bei der im Gemälde dargestellten Narzissenart um eine Gattung handelt, die in den österreichischen Alpen heimisch ist. Dalí schreibt zwar auch, wie schön er die blühenden Narzissen in Vorarlberg findet, aber das alleine bestätigt bei über 124 Salvador Dalí an Edward James; 15. Juni 1937, Edward James Foundation. in: Coleby 1998, S. 34. 125 Edward James an Mr. Kornfeld, 12. Oktober 1938, Edward James Foundation. 126 James 1982, S. 55. 57 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís 24.000 bekannten Formen freilich nicht, dass es sich bei der im Gemälde verewigten Blume um eine Untergattung aus Österreich handelt. Nachweisbar handelt es sich tatsächlich um die Darstellung einer Narcissus poeticus (Abb.22), welche in der Natur nur in montanen Lagen über 400 Meter und in ausgewählten vorkommt. 127 Gebieten der Westalpen und hauptsächlich in Österreich Dazu zählt auch der Raum des Lechtals und der Vorarlberger Alpen. Es bedarf wohl keiner großen Überzeugungskraft mehr, um Dalí als einen Künstler wahrzunehmen, dessen Arbeitsprozess verstärkt auf der visuellen Wahrnehmung seiner Umgebung basiert. Kurzum ein Maler, der darum bemüht ist, das kürzlich Gesehene in seinem Oeuvre zu verewigen. Aufgrund des Briefpapiers mit dem Entwurf des Gedichtes, das sich heute im Besitz der Gala-Salvador Dalí Stiftung befindet, ist bekannt, dass Dalí im Hotel Alpenrose Post in Zürs gewohnt hat. Dieses Hotel befindet sich, vom Flexenpass kommend, direkt am Ortseingang von Zürs und existiert noch heute (Abb.23). Allerdings wurde das Gebäude von den privaten Eigentümern an eine Hotelkette verkauft und zwischenzeitlich erweitert. Das bemerkenswerte an diesem Ort am Arlberg ist die Tatsache, dass er sich in den letzten siebzig Jahren baulich kaum verändert hat. Und das obwohl er seit dem Aufkommen des Tourismus als Reiseziel der Haute Volée gilt. Aber man wollte eben eine gewisse Intimität bewahren, was es heute noch möglich macht, sich das Wesen des Ortes in den 1930ern vorstellen zu können. Die Natur ist in Zürs allgegenwärtig und darum darf durchaus angenommen werden, dass Dalí trotz Arbeit die eine oder andere kleine Wanderung unternahm – ein Zeitvertreib, dem er auch an der heimatlichen Costa Brava gerne nachging. Östlich von Zürs gelegen befindet sich das Parzil Tal, ein leicht zu erwanderndes Gebiet, an dessen Ende sich die Valuga und der Rockspitz erheben (Abb.24a-b). Dieses Bergmassiv findet sich nun tatsächlich fast naturgetreu in Dalís Gemälde Metamorphose des Narziss wieder (Abb.25). Es handelt sich bei der Berggruppe im Bildhintergrund also nicht um die Ausläufer der Pyrenäen, wie oft angenommen, sondern um zwei Berge der 127 Pohler, Alfred (Hg.): Alpenblumen. 2004, S. 54. 58 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís österreichischen Alpen. Da diese über eine äußerst charakteristische Form und Silhouette verfügen, lässt sich eine Übereinstimmung nicht von der Hand weisen. Chronologisch betrachtet taucht diese Gebirgsgruppe erstmals auf dem so bedeutsamen Briefpapier als schemenhafte Zeichnung auf (Abb.26). Allerdings skizzierte sie Dalí aus einem anderen Blickwinkel. So wie das Dokument heute im Archiv der Stiftung inventarisiert ist, findet sich die kleine Skizze auf der dritten Seite. Interessant ist dabei, dass diese im Vergleich zum gedruckten Briefkopf richtig herum angelegt ist, während der Entwurf des Gedichts verkehrt herum auf das Papier gebracht wurde. Somit drängt sich folgendes Vorgehen Dalís auf: er wird sich für den Anblick der aufblühenden Natur im April mit Sicherheit begeistert haben und deswegen eine schnelle Skizze auf das Briefpapier gezeichnet haben, welche einige wesentliche Elemente der Metamorphose des Narziss wiederspiegelt. Bei diesen Elementen handelt es sich zugleich um Inhalte des Gedichtes und des Gemäldes: die Berge, die blühende Narzisse und die Schneeschmelze. Das ist es, was Dalí auf dem Papier verewigt hat, umgeben von einem simplen rechteckigen Rahmen, von flottem Strich. Darunter die gekritzelten Worte „Mite de Narcis“. Das suggeriert, dass Dalí zuerst vorhatte ein Gemälde zu malen und der Prozess, ein dazu passendes paranoia-kritisches Gedicht zu verfassen, erst später einsetzte. Auffällig ist die Tatsache, dass der erste Entwurf eines Gedichtes auf dem Papier verkehrt herum und auf der Rückseite des Blattes begonnen wurde – heute die erste Seite. Außerdem ist die erste Seite in perfektem Französisch verfasst und zugleich fein säuberlich geschrieben. Beides Sachverhalte, die schwer mit Salvador Dalí in Einklang zu bringen zu sein scheinen. Erst nachträglich wurden Passagen mit der für Dalí typischen Handschrift überarbeitet und die übrigen Seiten des Gedichts in der gleichen Manier fortgesetzt. Es drängt sich also die Vermutung auf, ob es nicht einen zweiten Schreiber gab, nämlich Edward James, bekennender Poet. Da Edward James 1936 maßgeblich in Dalís Schaffensprozess miteingebunden war, wäre es auch alles andere als spekulativ, den Engländer als Initiator des Gedichtes anzunehmen. Zumal diese ausgeprägte Symbiose zwischen Gedicht und 59 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Gemälde, wie bei der Metamorphose des Narziss, innerhalb Dalís Oeuvre einzigartig geblieben ist. Dennoch wird es ohne intensive Nachforschungen, die den Rahmen an dieser Stelle sprengen würden, weder möglich sein, eine solche Vermutung zu verifizieren, noch zu widerlegen. Dalí war ein Meister des Wandels und diese Flexibilität lässt sich auch auf seine Handschrift übertragen, denn diese wechselte andauernd. Manchmal nutzte er sie sogar als ein Mittel, um seinen graphischen Arbeiten Ausdruck zu verleihen. Das Gedicht wird also wohl von Dalí stammen, die Motivation zu einer kalligraphisch anmutenden Schrift hat nicht lange angehalten und innerhalb weniger Zeilen mutiert sie zu dem Geschmiere, wie wir es vom Künstler gewohnt sind. Nimmt man also an, dass Dalí im Anschluss an die kleine Zeichnung damit begonnen hat, den Mythos des Narziss in ein Gedicht zu verpacken, dann haben die aus der österreichischen Natur entnommenen Grundelemente, welche als Motivation zu dieser Arbeit Dalís dienten, auch in diese Zeilen Eingang gefunden. Für einen Kunsthistoriker erweist sich eine Analyse dieser Zeilen schon deswegen als lukrativ, weil Dalí weitere Ausführungen von sich gibt, die in einem Gemälde nicht wirklich vermittelt werden könnten. Zum Beispiel legt er einen zeitlichen Rahmen fest, wann sich die Verwandlung vollzieht: dans le ciel neuf d´Avril. Kaum ein Zufall, dass die Metamorphose des Narziss im April von Statten geht, dem gleichem Monat in dem sich Dalí am Arlberg aufhält. Die daraus resultierende Schlussfolgerung bekräftigt einen Österreichbezug und lässt die Annahme zu, dass die Geschehnisse mit einer Alpenkulisse versehen wurden und eben nicht mit der des Cap des Creus. Neben dem Motiv der Schneeschmelze ist es aber die Narzissen-Blüte, die als Bindeglied zwischen Realität und Erzählung dient und als Objekt zum Mythos überleitet. Kurzum haben nicht nur die österreichischen Alpen ihre Verewigung in diesem Gemälde Dalís erfahren, sondern es dürfte tatsächlich jene einzigartige Frühlingsatmosphäre in Zürs gewesen sein, die Dalí überhaupt zu diesem markanten Hauptstück seines Oeuvre inspiriert hat. Das Gemälde hat aber noch einen anderen Österreichbezug aufzuweisen, der auf der Begegnung mit einem der berühmtesten österreichischen Zeitgenossen 60 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Dalís basiert. Sigmund Freud war eine Ikone des Surrealismus und seine verschwommenen Thesen von Traumwelten und den komplexen Ebenen der menschlichen Psyche stellten einen Nährboden für die Anschauungen dieser Kunstströmung dar. Doch keiner gab sich mit solcher Inbrunst Mühe den Wissenschaftler kennenzulernen, wie es Dalí tat. Über den gemeinsamen Bekannten Stefan Zweig unternahm Dalí zahllose Versuche den Österreicher zu treffen. Doch der Krieg und die daraus resultierende Flucht Freuds aus Wien verhinderte ein Zusammentreffen über lange Zeit. Zumal Freuds Meinung über die Surrealisten alles andere als begeistert war, dürfte das Bedauern dahingehend, dass ein Treffen immer verschoben werden musste, recht einseitig gewesen sein. Doch 1938 gelang das, was sich Dalí so lange wünschte und Freud stimmte einem Treffen zu. Als Beispiel für seine paranoia-kritischeMethode entschied Dalí das Gemälde Metamorphose des Narziss auf die Visite mitzunehmen, um dem Psychoanalytiker zugleich geeignetes Anschauungsmaterial unterbreiten zu können. So skeptisch sich Freud all die Jahre über die Gesellschaft seiner seltsamen Anhängerschaft geäußert hat, so war es ihm doch nicht möglich sich einer gewissen Faszination über das, was ihm Dalí zeigte, zu entziehen.128 Obwohl das Gemälde zu besagtem Zeitpunkt schon in den Privatbesitz Edward James übergegangen war, wurde es trotzdem auf diese ungewöhnliche Exkursion geschickt. Es war der 19. Juli 1938129 (Abb.27), als Salvador, Mr. James und Stefan Zweig sich auf den Weg nach Primerose Hill machten, der Exiladresse Freuds in London. Dort weilte er seit dem Juni 1938, da Freud gegen seinen Lebensabend seine Heimat Wien wegen großer Eskapaden und Druck durch die Nazis verlassen musste.130 Der mitgenommene, alte Freud hatte sich, wie bereits erwähnt, lange um diese Begegnung bitten lassen, weshalb das Zusammentreffen bei Dalí eine enthusiastische Begeisterung zur Folge hatte. Für ihn bestand nun endlich die Möglichkeit, seinem naturwissenschaftlichem Vorbild, die Paranoia-Kritische Methode zu 128 Purser, Philip: The extraoridnary worlds of Edward James. London 1978, S. 67. Eintrag im Kalender Stefan Zweigs in dessen Londoner Taschenkalender des Jahres 1938. [Abb.] 130 Gibson, 1997, S. 381. 129 61 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís präsentieren, zugleich ein Geschehnis, das ihn endgültig im Kreise seiner Künstlerkollegen nobilitieren würde. Eines lässt sich heute aus den Biographien der beiden Männer, Dalí und Freud, klar erkennen, nämlich den großen Eindruck, den diese Begegnung beiderseits hinterließ. So schreibt Freud später in einem Brief an Zweig Wirklich ich darf Ihnen für die Führung danken […], denn bis dahin war ich geneigt, die Surrealisten, die mich scheinbar zu ihrem Schutzpatron gewählt haben, für absolute (sagen wir 95%, wie beim Alkohol) Narren zu halten. Der junge Spanier mit seinen fanatischen Augen und seiner unleugbaren technischen Meisterschaft hat mir eine andere Schätzung nahe gelegt. Es wäre in der That sehr interessant die Entstehung eines solchen Gemäldes analytisch zu erforschen. Kritisch könnte man jedoch noch immer sagen, der Begriff der Kunst verweigere sich einer Erweiterung, wenn das quantitative Verhältnis von unbew. Material und vorbew. Verarbeitung nicht eine bestimmte Grenze einhält. Aber jedenfalls ernsthafte psychol. Probleme.131 Für Die Metamorphose des Narziss und das Ziel dieser Arbeit stellt dieser Brief eine unschätzbare Quelle dar. Denn Freud war zu jener Zeit schon durch die Strapazen seiner Flucht und seiner Krebserkrankung ein gebrochener Mann gewesen. Für die Surrealisten bedeutete dies, dass sich ihr Schutzpatron, wie sich Freud selbst betitelt, nie über sie äußern würde, geschweige denn in Richtung einer Akzeptanz einlenken würde. Und doch geschah diese unglaubliche Kehrtwende in den letzten Lebenszügen des Psychoanalytikers. Auch wenn es lange nicht erkannt wurde, verbirgt sich darin eine gewisse Faszination und zugleich Ironie, war es doch ein Bild aus Freuds Heimat Österreich, welches dieses Ereignis mitbewirkt hat. Und obwohl es den Surrealismus in diesem Land nie gab, hat es Salvador Dalí in seinem Oeuvre verewigt. Zu einer Analyse Freuds kam es nicht mehr. Bei seinem Besuch hatte Dalí eine Skizze von Freud angefertigt. Stefan Zweig betont in einem Buch, dass es gut 131 Cowles, Fleur: Der Fall Salvador Dalí. München 1959, S. 283 62 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís gewesen sei, dass Freud diese vielsagende Portraitskizze nie zu Gesicht bekommen hat132: sie zeigt einen alten, kränklichen Mann, der nicht mehr lange zu leben hat. Dalí scheint Freuds miserable Verfassung erkannt zu haben und tatsächlich starb dieser ein Jahr nach dem Besuch. Salvador erzählte noch lange von jenem Nachmittag in London, wobei sich Realität und Fiktion schnell mischten. Aber eine Bemerkung Freuds über Dalís Bild ist noch interessant. Denn dieser verweilte und sagte: In klassischer Malerei suche ich nach dem Unbewussten – in einem surrealistischen Gemälde nach dem Bewussten.133 Somit hatte der Surrealismus die Antwort auf all seine Fragen erhalten und Dalí erkannte darin ein Todesurteil der Kunstströmung, auch wenn sie als geistiger Zustand erhalten bleiben werde.134 4.2.3 Die Erfindung der Ungeheuer Bei der Metamorphose des Narziss wird ersichtlich, dass es sich tatsächlich lohnt einen Österreichbezug innerhalb Dalís Oeuvre aufzuarbeiten. Allerdings hat es bei diesem Gemälde diesbezüglich schon die eine oder andere Bemerkung gegeben, zumal das Gemälde eines der bekanntesten von Dalí ist und zugleich häufiger von Kunsthistorikern bearbeitet wurde. Außerdem lässt die Quellenlage in diesem einen besonderen Fall schnell eine Verbindung zwischen dem Gemälde und Österreich erkennen. Dennoch konnten in dieser Arbeit einige bedeutungsvolle Beobachtung vorgestellt werden, die bisher so nicht wahrgenommen wurden. Das Gemälde zum Mythos des Narziss ist aber nur als Stein des Anstoßes zu verstehen, denn die aus einer kunsthistorischen Analyse resultierenden Erkenntnisse hatten gewissermaßen eine Erweiterung des Blickfeldes zur Folge. Wenn Dalí bei seinem Aufenthalt in Zürs schon eine Beeinflussung seiner Tätigkeit als Künstler durch die Landschaft zugelassen hat, wäre es dann nicht eine logische Schlussfolgerung, dass er im Laufe seiner Reise durch 132 Cowles 1959, S. 283 Brief Salvador Dalís an André Breton Anfang 1939; Fonds Breton, Bibliothèque Littéraire Jacques Doucet, Paris. 134 Gibson 1997, S. 383. 133 63 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Österreich weiter so verfahren hat? So plausibel ein solcher Gedankenansatz auf den ersten Blick auch erscheint, verfolgt hat ihn bisher offenbar niemand. Fakt ist, dass Dalí 1937 noch weitere Arbeiten auf seinem Weg durch Österreich begonnen hat. Das nächste Gemälde, auf welches daher eingegangen werden muss, ist Die Erfindung der Ungeheuer,135 ebenfalls ein durchaus prominentes Stück innerhalb Dalís Oeuvre. Da dieses Gemälde aber weniger bekannt ist, als zum Beispiel Metamorphose des Narziss, wird eine kurze Bildbeschreibung wohl dienlich sein. Der Betrachter findet sich in einer wüsten, trockenen Eben wieder, die im Bildhintergrund durch eine Gebirgskette flankiert ist. Zur Mitte hin senkt sich diese von beiden Seiten zum Horizont ab und gibt den Blick gegen Himmel frei. Dort hängen einige Wolken, die auf den ersten Blick wirken, als ob sie im Licht des Abendrots erglühen, doch bei genauerem Hinsehen scheinen ihre Ränder in Flammen zu lodern. Das Licht und die Stimmung sind befremdlich und erschaffen eine fast überirdische Atmosphäre. Links vorne, an den Bildrand grenzend, erkennt man einen länglichen Tisch. Auf ihm ein Sammelsurium an Objekten, deren Zusammenhang vorerst nicht erkennbar ist: eine Büste, die kleine Plastik einer Hand, die ein Ei hält und eine Brotstange. Am vorderen Ende des Tisches sieht man eine amorphe Gestalt, die in ein rotes Gewand gehüllt ist. Eigentlich zwei Wesen, mit menschlichen Zügen, die aber zu einem verschmelzen. Die Gesichter sind schon nahezu eins und in den drei erkennbaren Händen halten sie einen gelben Falter und ein Stundenglas. Interessiert betrachten, nahezu studieren sie diese Objekte. Am Tisch sitzen Dalí und seine Frau Gala, in ihrer Pose ähneln sie dem Wesen, ihre Gesichter halten sie ebenfalls Wange an Wange136 (Abb.28). Dalí schielt den Betrachter aus dem Augenwinkel an. Darüber, also zur linken oberen Bildecke, tummeln sich in einer Senke mehrere Figuren, die in ihrer Form an Kentauren erinnern. Einige von ihnen sind nur schemenhaft angedeutet, manche verschwinden in einer Materie, die in einem Strom vom Gebirge herabfließt und die Senke füllt. Rechts daneben, im Zentrum des Bildes, erhebt sich ein blockartiges Gebilde, 135 Salvador Dalí, Die Erfindung der Ungeheuer, 1937, Öl/Leinwand, 51,4 x 78,4 cm, The Art Institute of Chicago. 136 Anm.: basierend auf einer Photographie Eric Schaals von 1937. 64 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís das, den räumlichen Gesetzten widersprechend, über dem Boden zu schweben scheint. Es ist in verschiedenen Farben gehalten und wird am Fuß von einem schmalen Fries begrenzt. Auf dem Objekt, fast könnte man es als Altar benennen, steht die Büste einer Frau, deren Kopf in den eines Einhornes übergeht. Diese Büste betrachtend, kniet vor dem Altar eine weitere Figur, die den rechten Arm auf der Platte abstützt. Aus ihrem Rücken springen blaue Schwingen hervor und sie trägt eine Maske, die an das Gesicht einer Katze erinnert. Die Maske vereint sich wiederum mit dem Kopf einer Katze, die auf dem Altar liegt. Das irritierende Treiben wird durch die Erscheinung eines blauen Hundes im rechten, unteren Bildfeld und einer brennenden Giraffe gleich darüber vervollständigt. Dem Betrachter eröffnet sich also eine surreale Traumwelt, welche den meisterhaften Gedanken Dalís entsprungen ist und deren Rätsel es zu erkunden gilt. Das Museum des Art Institute of Chicago konnte das Gemälde 1943 erwerben und wusste es damals schon als ein bedeutendes Werk der Gegenwartskunst zu schätzen.137 Als Dalí über den Ankauf informiert wurde, verfasste er gar ein Gratulationsschreiben, in dem er immerhin einige, wenn auch zugleich verwirrende, Angaben zu seinem Gemälde machte: According to Nostradamus the apparition of monsters presages the outbreak of war. The canvas was painted in the Semmering mountains near Vienna a few months before the Anschluss and has a prophetic character. Horse women equal maternal river monsters. Flaming giraffe equals masculine apocalyptic monster. Cat angel equals divine heterosexual monster. Hourglass equals metaphysical monster. Gala and Dalí equal sentimental monster. The little blue dog is not a true monster.138 Der erkennbare Vorteil dieses Schreibens liegt jedenfalls darin, dass Dalí den Gestalten, die in der Bildbeschreibung genannt sind und nur provisorisch 137 Reports of the Departments for 1943. In: Bulletin of the Art Institute of Chicago, Bd.38, Nr.3, Report for the Year 1943, Chicago 1944, S. 9. 138 Schriftsendung Salvador Dalís an das Art Institute Chicago 1943; (URL:http://www.artic.edu/aic/collections/artwork/151424; Zugriff am 17.08.2013). 65 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís beschrieben werden können, Namen zukommen lässt. Ob allerdings die Klassifizierung des zum Beispiel katzenähnlichen Wesens als Katzenengel zugleich heterosexuelles Monster zufriedenstellend sein kann, bleibt dahingestellt. Offensichtlich würde sich eine psychologische Analyse des Gemäldes durchaus lohnen und bei mehrmaligem Durchlesen entwickelt sich eine gewisse Sinnhaftigkeit hinter der komplexen Konzeption der Erfindung der Ungeheuer, aber studiert man diese Quelle hinsichtlich eines Österreichbezuges, springt einem nur ein Wort ins Auge: Semmering. Nun verhält es sich tatsächlich so, dass dieser Hinweis Dalís für jeden offensichtlich gewesen ist und auch keine Neuentdeckung ist. Aber da sich die Forschung bisher eines Österreichbezuges in Dalís Werken, vor allem jenen aus dem Jahr 1937, verschloss, ging keiner dieser Äußerung des Künstlers im Detail nach. Zumal die Beurteilung dieser unmittelbaren Quelle völlig fehlinterpretiert wurde und lange vermutet wurde, Dalí hätte zwar 1937 etwas am Semmering gemalt, aber teilweise wurde sein künstlerisches Schaffen auf die Schöpfung des Motives der brennenden Giraffe reduziert.139 Überdies wird als Entstehungszeitpunkt auch das Jahr 1938 genannt. Folglich wurde ein Zusammenhang mit der Reise des Ehepaares Dalí im Jahre 1937 und eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit der österreichischen Landschaft auch hier vorerst nicht erkannt. Das Art Institute of Chicago, als heutiger Eigentümer, lässt zumindest keine Zweifel mehr daran offen, dass Erfindung der Ungeheuer am Semmering gemalt wurde.140 Diese Erkenntnisse decken im Wesentlichen die von der Forschung anerkannten Beziehungen zwischen diesem Gemälde und Österreich ab, eventuell noch mit dem Zusatz, dass Dalí, wie er selbst schreibt, darin eine apokalyptische Vision des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 festhält. Aber mit dem Fundament eines entsprechenden Vorwissens und ehrlicherweise Dank eines glücklichen Zufalls, gibt es noch weitaus mehr über das zu berichten, was Dalí in diesem Gemälde verewigt hat. 139 Habarta Gerhard und Annemarie: Dalí in Wien. In: Perrot-Moore, Catherine, John Peter Moore (Hgg.): Salvador Dali (1904), Bilder, Zeichnungen, Objekte. Katalog zur Ausstellung im Palais Auersperg, Wien 1982. 140 Invention of the Monsters (URL: http://www.artic.edu/aic/collections/artwork/151424; Zugriff am 18.08.2013). 66 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Der Semmering war also nach Zürs am Arlberg die nächste große Station des Ehepaars Dalí. Dass die Dalís dort einen längeren Aufenthalt eingeplant hatten, beweist einer der bereits angeführten Briefe von Paul Eluard an Gala.141 Außerdem galt der Semmering damals als angemessene Reisedestination der oberen Gesellschaftsschicht und entsprach genau dem Niveau, das Salvador Dalí für sich als einzig angemessen empfand. In den 1930ern hatte die Region um den Semmering ihren Ruf als Kurort der Reichen etabliert und diese besondere Klientel musste auch auf keinerlei Annehmlichkeiten mehr verzichten, die es aus den europäischen Metropolen, wie zum Beispiel Wien, gewohnt war. 1937 durften sich die dortigen Hotelbetriebe dann bereits definitiv dem Luxussegment der Beherbergung hinzuzählen.142 Als Flaggschiffe dieser Luxusherbergen können das Grand Hotel Panhans und das Südbahn-Hotel genannt werden, wobei bisher immer unklar gewesen war, wo die Dalís residierten. Über die Jahre verlor der Semmering dann den Hauch des Elitären und Exklusiven und viele Hotels mussten schließen, wurden gar dem Verfall preisgegeben. Heute tummeln sich auf den lokalen Flaniermeilen eher durchschnittliche Touristen, wobei die Anziehungskraft des Semmerings nicht mehr weit über den deutschsprachigen Raum hinauszugehen scheint. Bedauerlich, kann diese unverwechselbare Gegend Österreichs doch mit landschaftlicher Schönheit und einzigartigen Szenerien aufwarten. Touristisches Lockmittel erster Güte ist vor allem die Polleroswand an welcher sich die Gleise der Semmeringbahn, ein weiteres Charakteristikum der Region, nahezu waghalsig anschmiegen143 (Abb.29). Dieses imposante Erscheinungsbild stand sogar für das Motiv einer der ehemaligen 20-Schilling Geldschein-Serien Pate, wenn auch in einer freien Komposition mit anderen Landmarken um den Semmering, wie man sie in natura nicht vorfinden würde. Aber dieses Motiv auf den Geldscheinen der alten österreichischen Währung ist nur ausdruckgebend dafür, welche Faszination von dieser besonderen 141 Brief Nr. 231, in: Dreyfus, Pierre (Hg.): Paul Eluard. Liebesbriefe an Gala (1924-1948), Hamburg 1937, S. 264-268. 142 Kos, Wolfgang (Hg.): Die Eroberung der Landschaft. Semmering, Rax, Schneeberg. Katalog zur Ausstellung im Schloss Gloggnitz, Wien 1992, S.600-601. 143 Ebenda, S. 84. 67 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Gegend Österreichs ausging. Nicht zuletzt findet sich die Polleroswand auf zahlreichen Darstellungen von der Landschaftsmalerei bis zur Postkarte. Und offenbar hielt auch Dalí die Polleroswand bestens dafür geeignet, wenn nicht gar prädestiniert dafür, seiner apokalyptischen Vorahnung, die Geschichte Österreichs betreffend, in der Erfindung der Ungeheuer ihren angemessenen Platz zukommen zu lassen: denn der markante Berg im rechten Hintergrund ebendieses Gemäldes ist die signifikante Polleroswand. Folglich kann ein weiteres bedeutsames Werk Dalís aus dem Jahr 1937 in einen gewichtigen Zusammenhang mit Österreich gebracht werden. Jenes Rezeptionsschema, welches in Metamorphose des Narziss mit der Valuga und dem Rockspitz beginnt, manifestiert sich in der Erfindung der Ungeheuer durch die Darstellung der Polleroswand. Kritische Stimmen könnten an dieser Stelle sicherlich damit argumentieren, dass es ziemlich vage erscheint, diese Ansichten auf einer Aussage Dalís und einem Brief Eluards aufzubauen. Einen überlieferten Beweis dafür, dass das Ehepaar Dalí tatsächlich am Semmering geweilt hat, gab es nämlich bisher nicht, da Eluard Galas Briefe wunschgemäß vernichtet hatte. Und es wäre als äußerst bedauerlich zu erachten, wenn die Quellenlage so geblieben wäre. Denn eine intensive landschaftliche Auseinandersetzung Dalís mit dem Semmering würde vor allem nur dann Sinn ergeben, wenn Dalí einige Zeit vor Ort gewesen wäre. Erst so würde die Theorie einer Rezeption der Polleroswand in einem Gemälde Dalís beachtenswert und zugleich würde es eine Entstehung der Erfindung der Ungeheuer in Österreich bekräftigen. Der besagte und bisher fehlende Beweis ist im Mai 2013 aufgetaucht und ebenso schnell wieder verschwunden, aber glücklicherweise und durch Zufall war es möglich, ihn in diesem kurios kurzen Zeitfenster zu erfassen. Am 16. Mai 2013 wurde bei einem Pariser Auktionshaus eine Ausgabe der Begleitbroschüre zur Metamorphose des Narziss angeboten.144 Darin enthalten waren zwei autographe Blätter Salvador Dalís, die bisher unbekannt waren. Diese paranoia-kritische Skizze, die hier keine eigentliche Rolle spielt, hat Dalí auf 144 Auktion bei Binoche et Giquello, Paris am 16. Mai 2013 (URL: http://www.binocheetgiquello.com/html/fiche.jsp?id=2990619&np=13&lng=fr&npp=20&o rdre=1&aff=1&r; Zugriff am 28.10.2013). 68 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís dem Briefpapier des Südbahn-Hotels am Semmering gezeichnet (Abb.30). Dank des unübersehbaren und authentischen Schriftzuges „autentique Dalí“, vom Künstler im oberen Bildrand mit dickem, blauen Stift gekritzelt, stellt diese eher alltägliche Arbeit für die Belange dieser Arbeit eine Sensation dar! Ein Aufenthalt Dalís am Semmering ist anzunehmen, noch dazu in einer der nobelsten Herbergen, die dort zur Verfügung standen. Besonders erfreulich ist dabei, dass das Südbahn-Hotel an einem Hang, gegenüber der Polleroswand, situiert ist (Abb.31). Dalí hätte sie also theoretisch sogar von seinem Zimmerfenster aus malen können. Außerdem ist in Betracht zu ziehen, dass dieses Auktionsstück eine zeitnahe Verbindung zwischen der Schöpfung der beiden Gemälde Metamorphose des Narziss und Erfindung der Ungeheuer nahelegt. 4.2.3.1 Die berühmte „brennende Giraffe“ – in Österreich erfunden? Nach Nostradamus sagt das Auftauchen von Ungeheuern Krieg an. Die brennende Giraffe ist das männliche kosmische Ungeheuer der Apokalypse.145 Dalís Erfindung der brennenden Giraffe ist beinahe schon so berühmt, wie seine zerflossenen Uhren. In unzähligen Arbeiten findet sich dieses Tier, wenn auch oft nur klein im Hintergrund. In Erfindung der Ungeheuer wird sie zu einem wesentlichen Bestandteil Dalís apokalyptischer Vision und taucht dort vermutlich erstmals in einem Gemälde auf. Laut eigenen Aussagen Dalís, gegenüber dem Wiener Galeristen Gerhard Habarta 1973, soll die Idee der brennenden Giraffe in Österreich entstanden sein.146 Es ist tatsächlich nachweisbar, dass dieses Bildmotiv erstmals in Werken von 1937 auftaucht. Allerdings ist es nur mehr zum Teil möglich, eine chronologische Abfolge dieser Werke zu erstellen. Unrichtig ist jedenfalls die Annahme, dass die brennende Giraffe erstmals im Film L´Age d´Or zu sehen 145 Salvador Dalí. In: Habarta, Gerhard (Hg.): Salvador Dalí. EintausendundEin Träume, Wien 1988, S. 3. 146 Perrot-Moore 1982, Vorwort. 69 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís sei.147 Wer die betreffende Szene anschaut, wird bemerken, dass da zwar neben diversen Gegenständen auch ein brennender Nadelbaum und eine Giraffe aus dem Fenster geworfen werden (Abb.32a-b), aber keineswegs eine brennende Giraffe148 Gesichert ist, dass Dalí die brennende Giraffe im Gemälde Erfindung der Ungeheuer einfügt, welches mit Sicherheit 1937 und mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit am Semmering entstanden ist. Das Giraffenmotiv taucht aber auch in einer Fassung des Gemäldepaares Paar die Köpfe voller Wolken149 (Abb.34a) auf, welches dem italienischen Komponisten Giacomo Scelsi gehört hat und heute in eine Sammlung im italienischen Rovereto eingegangen ist. Die Datierung auf das Jahr 1936, wie sie noch im Katalog zur Dalí-Retrospektive von 2004 vorzufinden ist,150 wurde mittlerweile revidiert.151 Somit steht die berühmtere Fassung von 1936 ohne brennende Giraffe152 (Abb.33b) an erster Stelle, die 1937 auch auf der Begleitbroschüre zur Metamorphose des Narziss abgebildet ist.153 Infolgedessen kann ausgeschlossen werden, dass das berühmte Bildmotiv schon 1936 entstanden ist. Weitere Darstellungen einer brennenden Giraffe finden sich auf einer Zeichnung für ein Filmprojekt mit den Marx Brother (Abb.). Dalí hat, wie bereits angeschnitten, während seines Aufenthaltes in Zürs im April 1937 am Drehbuch für Giraffes on Horseback Salad gearbeitet.154 Nach dem Treffen mit Harpo Marx in Hollywood hat Dalí erste Skizzen angefertigt und damit begonnen, seine Ideen für das Projekt niederzuschreiben. Zeichnungen mit den brennenden Giraffen dürften wohl erst später entstanden sein (Abb.34). So gibt es eine Zeichnung, die während des besagten Zusammenkommens in den USA angefertigt wurde und Harpo Marx mit einem Hummer am Kopf, an einer Harfe sitzend, zeigt. Eine weitere Portraitskizze von Marx, die auch mehrere 147 Buñuel, Louis: L´Age d´Or. Film, Frankreich 1930. Drehbuch zu L´Age d´Or, in: Walther, Ingo: Salvador Dalí: Retrospektive 1920-1980. Katalog zur Ausstellung im Centre Pompidou Paris, Dezember 1979 – April 1980, München 1980, S. 100. 149 Salvador Dalí, Paar die Köpfe voller Wolken, 1937, Öl/Holz, 92.5 x 72.5 cm und 90 x 70.5 cm, Privatsammlung. 150 Ades 2004, S. 256-257. 151 Couple with Their Heads Full of Clouds, in: Fundcacío Gala-Salvador Dalí (Hg.): Catalogue Raisonée der Gemälde [1910-1951]. 2007 (URL: http://www.salvadordali.org/cataleg_raonat/fitxa_obra.html?obra=508&inici=1935&fi=1939&lang=en; Zugriff am 31.10.2013). 152 Salvador Dalí, Paar die Köpfe voller Wolken, 1936, Öl/Holz, 92,5 x 69,5 cm und 82,5 x 62,5 cm, Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam. 153 Fundació Gala-Salvador Dalí 2008, S. 59. 154 King 2007, S. 67. 148 70 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís brennende Giraffen abbildet, ist nicht während dieses Treffens entstanden. Letztlich gibt es noch einen Coverentwurf für die Zeitschrift The American Weekly, der ebenfalls das Thema der brennenden Giraffe aufgreift (Abb.35). Das Blatt datiert zwar auf 1937, dürfte aber zeitnahe zur Veröffentlichung der Ausgabe angefertigt worden sein, die am 9. Jänner 1938 erschien. Dalís Gemälde waren zu jener Zeit nur einer ausgewählten Klientel zugänglich und erst über den Titel des us-amerikanischen Magazins wurde das Motiv der brennenden Giraffe einem großen Publikum bekannt. Auf der Suche nach der ersten brennenden Giraffe ist das Gemälde Die brennende Giraffe155 (Abb.36) ein weiteres Glied in der Kette der Indizien. Es könnte ebenfalls in Österreich entstanden sein, da es neben Die Metamorphose des Narziss und Die Erfindung der Ungeheuer im Juli 1937 bei Renou & Colle in Paris zu sehen war (Abb.37). Es könnte sich bei dem ausgestellten Stück aber auch um eine gleichnamige Gouache auf Papier handeln, die am 4. November 2009 zu einem Rekordpreis bei Sotheby´s156 versteigert wurde und sich heute im Besitz von Lauren Santo Domingo in New York befindet (Abb.38). Ein weiteres Gemälde mit brennender Giraffe, das ausfindig gemacht werden kann, wurde von den Nazis beschlagnahmt und ist nur noch über eine Photographie nachweisbar, welche das Objekt neben vielen anderen aufgereiht zeigt. Letztlich aber spricht eine plausible These dafür, dass das Motiv der brennenden Giraffe tatsächlich in Österreich entstanden ist und von Dalí erstmals in Erfindung der Ungeheuer gemalt wird. Der Denkansatz ist ein vollkommen neuer und ist mit dem Absturz des Deutschen Luftschiffs Hindenburg verknüpft. Diese Katastrophe ereignete sich am 6. Mai 1937 in Lakehurst, zu jener Zeit, als Dalí nachweislich am Semmering weilte und an Erfindung der Ungeheuer arbeitete. Die Photographien der Katastrophe, vor allem des in Flammen stehenden Luftschiffes, gingen um die Welt und prangten weltweit auf den Titelseiten der Tageszeitungen. Vielleicht inspirierten Dalí diese Bilder dazu die Giraffe in Flammen zu setzten. In das Schema seiner apokalyptischen Vorahnungen, die er in diesem Gemälde festhielt, passt diese Katastrophe perfekt. Sohin würde diese Variante erstmals eine plausible Erklärung dafür geben, warum er begonnen hat brennende 155 Salvador Dalí, Die Brennende Giraffe, 1937, Öl/Lindenholz, 35 x 27 cm (?),Emanuel Hoffmann Foundation. 156 Auktion bei Sothebys, New York am 4. November 2009, Impressionist and Modern Art (URL: http://www.nytimes.com/2009/11/06/arts/06iht-melik6.html?_r=2&; Zugriff am 28.10.2013). 71 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Giraffen zu malen. Wer Dalís spezielle Art der Wahrnehmung kennt und die Photos des Hindenburgunglücks anschaut (Abb.39), kann darin vielleicht wie Dalí eine brennende Giraffe erkennen, also das Ungeheuer der Apokalypse, das sich in der Katastrophe offenbart. Bisher beruhte die Vermutung, die brennende Giraffe sei in Wien oder auf dem Semmering erfunden worden, lediglich auf einer Aussage Dalís gegenüber dem Wiener Galeristen Habarta.157 Aber Dalí erzählte viel, dass so nicht stimmte und eine kunsthistorische Beweisführung fehlte. Doch erfreulicherweise hält diese Behauptung dieser ersten wissenschaftlichen Analyse stand. 4.2.4 The City of Drawers Chronologisch betrachtet fällt dieses Gemälde ein wenig aus dem Kontext, da es bereits im Jahr 1936 gemalt wurde. Überdies ist es von den vorangestellten Gemälden abzugrenzen, da es zwar einen Österreichbezug im Gemälde gibt, aber das Bild, im Unterschied zur Metamorphose des Narziss und Erfindung der Ungeheuer, nicht in Österreich gemalt oder zumindest begonnen wurde. Inhaltlich orientiert sich The City of Drawers158 an Dalís Begeisterung für Freud und die Psychoanalyse, wodurch es mit den beiden Gemälden von 1937 in einer Linie steht. Dieses Entzücken Dalís gegenüber den freudschen Theorien kommt in der Verwendung des Schubladenmotives zur vollen Geltung. Genauer in den für den Katalanen so charakteristischen Schubladenfiguren – seine Version der Venus von Milo mit Schubladen159, ist nahezu so bekannt wie das Original. Eine solche Figur steht auch im Zentrum von The City of Drawers, zwar liegend und in ihrer Anatomie eher befremdlich, aber die dem Torso entspringenden Schubladen stehen im Mittelpunkt des Bildes. Die Frage, warum Dalí diese Idee des Torsos mit Schubladen so häufig verwendete, hat er selbst beantwortet:160 157 Perrot-Moore 1982, Vorwort. Salvador Dalí, The City of Drawers, 1936, Öl/Holz, 25,4 x 17,4 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. 159 Salvador Dalí, Venus von Milo mit Schubladen, 1936, Gips, Metall, Nerz, 98 x 32,5 x 34 cm, Art Institute of Chicago. 160 Anm.: nachfolgendes Zitat vom Autor übersetzt. 158 72 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Nehmen Sie diese Zeichnung von mir [Abb]161, die den Körper einer Frau zeigt, dem Schubladen entspringen. Diese Schubladen beinhalten alles: Freud, christlichen Glauben, die Möglichkeit in das Innere des menschlichen Wesens einzudringen, mit seinen geheimen Fächern, voll mit Bedeutung.162 Dalís Interpretation dieser Schubladen, denen seiner Ansicht zufolge auch der Geruch des Narzissmus entströmt und sein persönlicher Umgang mit dem menschlichen Körper und dessen Natur, gipfeln also unweigerlich in Der Metamorphose des Narziss.163 Dalís Oeuvre der Jahre 1936 und 1937 ist maßgeblich von zwei Faktoren beeinflusst. Neben der Paranoia-Kritischen Methode ist dies vor allem seine Faszination für Freud. Diese beinahe Besessenheit, allen Facetten der freudschen Lehre gerecht zu werden, findet ihre Besänftigung erst in jenem Treffen in London 1938 und dem Umstand, dass Freud schlussendlich doch von Dalí begeistert war. Aber dieses Treffen war über Jahre lediglich ein inniger Wunsch Dalís gewesen, den ihm das Schicksal immer wieder zu Nichte machte.164 Das kleine Geheimnis, das sich in The City of Drawers verbirgt, könnte dieser Frustration und dem innigsten Wunsch Freud zu treffen, geschuldet sein. Mit Sicherheit aber steht das Gemälde in einem engen Zusammenhang mit Dalís eingehender Aufarbeitung psychoanalytischer Ideen. Es existieren mehrere Studien, die Dalí angefertigt hat, bevor er das Gemälde The City of Drawers gemalt hat. In der Folge gilt die hauptsächliche Aufmerksamkeit der rechten, oberen Ecke des Bildes und der dort festgehaltenen Szenerie. Dieses kleine Detail variiert in den einzelnen Arbeiten und zeigt Anfangs den Blick in das Interieur einer Wohnung und einige Staffagefiguren (Abb.40a) In einer weiteren Version (Abb.40b) und im fertigen Gemälde eröffnet dieser Teil des Bildes den Blick in eine Straße. Neben einigen Personen ist eine Häuserzeile zu erkennen, in der auch ein Sakralbau mit Doppelturmfassade situiert ist. Dieses kleine Straßenpanorama hat Dalí für 161 Anm.: z.B. das Exemplar im Art Institut of Chicago. Salvador Dalí, in: Judovitz, Dalia; Drawing on art. Duchamp and Company, Minneapolis 2010, S. 164. 163 Judovitz 2010, S. 164-165. 164 Gibson 1997, S. 381. 162 73 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís das Gemälde nochmals leicht abgewandelt (Abb.41) Betrachten wir das Detail in The City of Drawers also genauer. Nachforschungen haben ergeben, dass es sich um ein Capriccio handelt, das Dalí aus Gebäuden des IX. Wiener Gemeindebezirkes Alsergrund konzipiert hat. In diesem Stadtteil, nämlich in der Berggasse, praktizierte auch Sigmund Freud. Dalí muss sich, seinen missglückten Versuchen Freud zu sehen, bedingt, auch mehrmals in diesem Teil Wiens aufgehalten haben. Dementsprechend wäre es auch möglich, dass er dort einige Postkarten mit Ansichten aus dem Alsergrund gekauft hat und Impressionen von dort in sein Gemälde übernommen hat. Bei der Kirche handelt es sich um St. Canisius, einen neoromanischen Bau aus dem Jahr 1903 in der Lustkandlgasse im IX. Bezirk Wiens (Abb.42). Bei einem direkten Vergleich der Kirche im Gemälde und dem Original in Wien, bleibt kein Zweifel offen, dass es genau dieses Gebäude ist, welches Dalí adaptiert hat. Die Analyse der architektonischen Charakteristika, darunter selten vorzufindende Baudetails, bestätigt diese Annahme. Zum Beispiel gibt es eine Übereinstimmung bei der Dachform der Türme. Dabei handelt es sich um eine unverkennbare Kombination aus Pyramidendach, mit an den vier Turmseiten vorgesetzten dreieckigen Giebeln und vier an den Ecken platzierten Wichhäusern. Hinzu kommt die bestechende Übereinstimmung hinsichtlich der Fassadengliederung: die Portalsituation, die Situierung der Fensterrose und der abschließende, dreieckige Giebel mit eingestellten Rundbogenfenstern finden sich am Originalbau und im Gemälde wieder. Bei dem markanten Gebäude, welches Dalí weiter hinten im selben Straßenzug abbildet, könnte es sich um das Hotel Mozart handeln (Abb.43). Dafür sprechen würde der unverkennbare Eckturm, der mit einer Kuppel abschließt und auch die Thermenfenster im obersten Geschoß des Eckrisalits würden einem direkten Vergleich standhalten: eine Übereinstimmung mit dem Gemälde ist gegeben. Somit existieren mindestens drei Gemälde aus Dalís Oeuvre, in denen sich eine beachtenswerte Hommage an Österreich verbirgt. Natürlich sind diese Forschungsergebnisse erfreulich, da sie bisher nicht dokumentiert wurden, aber grundsätzlich bekräftigen sie Salvador Dalís Vorliebe, die reale Welt in seine Arbeiten zu übernehmen. Und das in einer ganz eigenen Art und Weise, die ganz im Zeichen des Surrealismus steht und dies nicht offensichtlich tut. 74 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís 4.2.5 Geplünderte Dalís - die 17 Gemälde in der Datenbank des Jeu de Paume165 Die Galerie nationale du Jeu de Paume in Paris hat in einem aufwendigem Projekt die Verzeichnisse und andere Hinterlassenschaften des Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, kurz ERR, ausgewertet und in einer Datenbank166 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Scans der Inventare und die dazugehörigen Originalabbildungen der Kunstwerke komplettieren diese außergewöhnliche Ressource. Aus diesem Grund war es möglich, in dieser Quelle nach vernichteten oder verschollenen Gemälden Salvador Dalís zu suchen, die in den Jahren um 1937 entstanden sind und womöglich der Gruppe der Gemälde mit einem Österreichbezug zuzuordnen sind. Adolf Hitler ernannte Alfred Ernst Rosenberg bereits 1934 zum Kulturbeauftragten der NSDAP,167 der später mit dem ERR seine Beutezüge durch Europa begann. Rosenberg oblag es, Kunstgegenstände jeglicher Herkunft, ob aus öffentlichen Sammlungen oder Privatbesitz, für den Führer zu beschlagnahmen. Vorrangig ging es dabei aber um die Überführung „verwaisten“ jüdischen Eigentums in den Besitz der Nazis. Ab dem Jahr 1940 folgte die Plünderung französischer Sammlungen, in denen sich insgesamt 17 Arbeiten Salvador Dalís befanden, die vom ERR eingezogen wurden. Die konfiszierten Kunstwerke wurden in den Räumlichkeiten des Jeu de Paume gelagert und ausgestellt.168 Außer besagtem Inventar, das in dieser Institution bis heute verwahrt wird, existiert eine Photographie, die einige der vom ERR beschlagnahmten Gemälde Dalís zeigt (Abb.44). Darunter auch Arbeiten, die zwar in der Datenbank aufgeführt werden, aber zu denen es keine Photographien des ERR gibt. Einige der Gemälde, die von den Truppen der Nazis geraubt wurden, datieren auf das Jahr 1937 und greifen Motive auf, welche auch in den drei oben angeführten Bildern auftauchen. Darunter eine Arbeit, welche die Nazis als Nächte Fels- und Küstenlandschaft mit kauernder Figur, im Mittelgrund und zwei Flammenbesetzte Giraffen169 benannten. Es existiert also noch eine Arbeit die das Thema der brennenden Giraffe beinhaltet, und die in der Historie dieses 165 Anm.: gemeint ist die Galerie nationale du Jeu de Paume in Paris. Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume (URL: http://www.errproject.org/jeudepaume/; Zugriff am 01.11.2013). 167 Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. München 2006, S. 58. 168 Playà Maset, Josep: Lalista de las 20.000 obras robadas por los Nazis. In: La Vanguardia, 23.10.2010, S. 36-37. 169 Salvador Dalí, Öl/Leinwand, 51 x 78 cm, vernichtet. 166 75 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Sujets berücksichtigt werden muss. Da eine Datierung dieses Gemäldes fehlt und das Stück vernichtet wurde, muss es, vom heutigen Standpunkt aus und aufgrund der mangelnden Fakten, in der Entstehungsgeschichte der brennenden Giraffe beiseite gelassen werden. Eine weitere Arbeit, betitelt als Studie von Pferden und Frauen170 (Abb.45) greift ein Detail aus Erfindung der Ungeheuer auf und ist womöglich eine Studie zu besagtem Gemälde. Bei diesem Objekt wäre es somit möglich, dass es in Österreich entstanden ist und sich folglich wunderbar in diese Masterarbeit einfügen würde. Da es aber an einer gesicherten Datierung fehlt, bleibt auch diese Annahme rein spekulativ. Nicht zuletzt deswegen, weil Dalí konkrete Motive öfters verwendet hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er diesem Detail eine große Arbeit gewidmet hat, die chronologisch nach Erfindung der Ungeheuer anzusiedeln ist. Es gibt aber auch Gemälde, die dank glücklicher Umstände, nicht in den Wirren des Krieges verloren gegangen sind – so auch Schwäne spiegeln Elefanten171 von 1937. Das Gemälde ist auch auf der Photographie aus dem Jeu de Paume zu erkennen, wo es bis 1944 in der Salle des Martyrs aufbewahrt wurde (Abb.). Interessanterweise ist es das einzige der ERR-Gemälde, das in den Katalog Raisonée der Gala-Salvador Dalí Stiftung aufgenommen wurde. Dort findet sich auch ein Hinweis auf die Beschlagnahmung durch den ERR.172 Über den Gesamtkatalog kann die unbekannte Sammlung, die in den ERRInventaren bei diesem Gemälde angeführt wird, als die von Edward James identifiziert werden. Die Angaben des Jeu de Paume, das dieses und ein weiteres Objekt aus dem Besitz eines Peter Watson stammen, muss revidiert werden. Wie viele der geplünderten Arbeiten aus dem Besitz James waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ominös ist der Verbleib der übrigen sechzehn Gemälde. Der ERR gibt an, dass 13 Gemälde vernichtet wurden, darunter verwunderlicher Weise auch Schwäne spiegeln Elfanten. Von den vier angeblich verbliebenen Gemälden fehlt hingegen heute jede Spur. Der Ungereimtheiten nicht genug, könnte es sich bei dem von den Nazis als Menschenkopf zy phantastischer Berglandschaft mit grauweissen Figuren 170 Salvador Dalí, Studie von Pferden und Frauen, Öl/Leinwand, 60 x 73 cm, vernichtet. Salvador Dalí, Schwäne spiegeln Elefanten, 1937, Öl/Leinwand, 51 x 77 cm, Privatsammlung. 172 Swans Reflecting Elefants. In: Fundacío Gala-Salvador Dalí 2007 (URL: http://www.salvadordali.org/cataleg_raonat/fitxa_obra.html?obra=454&inici=1935&fi=1939&lang=en; Zugriff am 02.11.2013). 171 76 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís geformt173 beschriebenen und angeblich vernichtete Gemälde um Der große Paranoiker174 handeln, der heute in Rotterdam hängt. Allerdings fehlt ein entsprechender Verweis im Katalog der Fundacío Gala-Salvador Dalí. Das Fazit zu den ERR-Gemälden fällt also schlussendlich eher ernüchternd aus, da es aus heutiger Sicht schwer ist, den Werdegang der Objekte und die damit verknüpften Widersprüche zu entwirren. Zumal der ERR den Gemälden teils befremdliche Titel gegeben hat und sich nur bedingt Photographien zu den einzelnen Inventarnummern erhalten haben. Es wäre also durchaus denkbar, dass sich in einigen der Bilder ein Österreichbezug verbirgt, der aber leider aufgrund der überraschend komplizierten Quellenlage nicht mehr aufgelöst werden kann. 4.3 Don Quijote am Flexenpass – Dalís Graphiken mit Österreichbezug Anhand von Dalís Gemälde hat sich deutlich machen lassen, wie spannend sich die Spurensuche nach Verweisen auf Österreich innerhalb seines Oeuvre gestalten kann. Aber die wirklichen Überraschungen finden sich unter seinen kleineren Arbeiten auf Papier, denen allgemein weniger Aufmerksamkeit beigemessen wird. Die größte Problematik einen Österreichbezug nachzuweisen, liegt dabei in Dalís Arbeitseifer, der die ursprünglichen Motive, oft Postkarten, bis zur Unkenntlichkeit überzeichnet hat. Doch genau aus diesem Grund ist es im Umkehrschluss so erfreulich die ursprünglichen Bilder rekonstruieren und einem Ort zuordnen zu können. Hilfreich dabei war der Katalog der VLB-Fotosammlung Risch-Lau.175 Die Firma war bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der bedeutendste Ansichtskartenhersteller im Vorarlberger Raum. Sollte Dalí also eine solche Postkarte verwendet haben, ist es wahrscheinlich, diese oder zumindest ein vergleichbares Exemplar in besagtem Archiv ausfindig zu machen. Neben den Postkarten sind es vor allem Dalís Zeichnungen zu seinen vielfältigen Projekten, deren Entwicklung auch auf seinen Reisen 173 ERR Sammlung (Unbekannt/UNB) – Unk., Inventar Nr.: Unb. 55 a-r (URL: http://www.errproject.org/jeudepaume/card_view.php?CardId=17270; Zugriff am 02.11.2013). 174 Salvador Dalí. Der große Paranoiker, 1936, Öl/Leinwand, 62 x 62 cm, Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam. 175 Onlinekatalog der Vorarlberger Landesbibliothek, Fotosammlung Risch-Lau (URL: http://vlb-katalog.vorarlberg.at/F?func=file&file_name=find-a&local_base=fot; Zugriff am 03.11.2013). 77 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís vorangetrieben wurde. Und wie sich zeigt, ist manch eine dieser kuriosen Ideen offenbar in Österreich entstanden. 4.3.1 Eine Kiste voller Hunde für Breton – Dalís Arbeit auf einer österreichischen Postkarte La mélancolie extatique de chiens, gâteuse comme une vertigineuse descente en ski – dieser imposante Titel steht unter einer kleinen Arbeit Dalís von 1936.176 Dabei handelt es sich um ein paranoia-kritisches Bild, das zum Bestandteil einer Collage des Surrealisten Georges Hugnet wurde. Cartes postales surréalistes177 vereint einundzwanzig eigens kreierte Postkarten surrealistischer Künstler, die ihrem Gedankengut entsprechend beweisen, dass sich eben aus einem alltäglichen Motiv mehr machen lässt, als das Auge auf den ersten Blick wahrnimmt. Bei Dalís Beitrag handelt es sich um eine kleine Karte, die eine Kiste voll mit Welpen178 zeigt, mitten in einer Schneelandschaft (Abb.46) Nun kommt es zu einigen Widersprüchlichkeiten bei der zeitlichen Einordnung dieser Arbeit und hinsichtlich der Frage, warum Dalí schon 1936 im Besitz dieser Postkarte war, oder diese angeblich schon 1932 aus Zürs an Breton geschrieben haben soll.179 Vor 1937 ist Dalí aber mit Sicherheit nicht am Arlberg gewesen und wenn man alle Komponenten berücksichtigt, hat Dalí auch keine Urlaubsgrüße an Breton geschickt. Der Schlüssel liegt in Hugnets Arbeit, die auf das Jahr 1936 datiert180 Im Jahr 2010 wurde ein Original der ersten Edition von 1937 bei Sotheby´s in Paris versteigert und im Katalog finden sich die genauen Angaben, die auf der Rückseite von Hugnets Arbeit abzulesen sind. Neben der Datierung sind das auch die Namen der 21 Künstler, die einen Beitrag zu Cartes postales surréalistes geleistet haben.181 Daher ergibt sich folgendes Bild zur Entstehungsgeschichte dieser Graphik Dalís: dieser hat sie 1931182 oder 1932 als normale Postkarte an André Breton geschickt, in dessen Nachlass sich das 176 Salvador Dalí, La mélancolie extatique de chiens, gâteuse comme une vertigineuse descente en ski, 1936, Collage, Gouache/Postkarte, 14 x 9 cm, Verbleib unbekannt. 177 Georges Hugnet, Cartes postales surréalistes, 1937 178 Anm.: Direkte Übersetzung aus dem Titel der arbeit wäre „Hund“, aber da die Tiere aufeinandersitzen, könnte es sich auch um ein für Welpen typisches Verhalten handeln. 179 Just 2010, S. 52. 180 Jaguer, Edouard: Les mystères de la chambre noire, Paris 1982, S. 69. 181 Auktion bei Sotheby´s Paris am 18.Mai 2010, Books and Manuscripts, Lot 125 (URL: http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2010/books-and-manuscriptspf1018/lot.125.html; Zugriff am 03.11.2013). 182 Katalognummer 26, in: Breton, André (Hg.): L´Écart absolu. Katalog zur Ausstellung, Paris 1965. 78 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Original befand und erst 1936 haben sich mehrere Künstler getroffen, um aus alten Postkarten kleine Arbeiten für Hugnets Collage anzufertigen. Dabei sollte die spontane Kreativität der Surrealisten unter Beweis gestellt werden und Dalí konnte die Wirksamkeit seiner Paranoia-Kritischen Methode erneut vorführen.183 Diese Postkarte ist also aus zwei Gründen besonders interessant. Zum einen könnte sie ein Indiz dafür sein, dass Dalí bereits Anfang der 30er Jahre in Kitzbühel gewesen ist, sofern es sich bei der Postkarte nicht doch um ein Relikt aus Galas erster Ehe mit Eluard handelt – sie war mit ihm ja schon mehrmals zuvor in Österreich gewesen. Zum anderen ist es ein außergewöhnlicher Zufall, dass Dalí schon ein Jahr vor seinem Aufenthalt in Zürs eine Postkarte mit einem Motiv aus den Vorarlberger Alpen bearbeitet hat und dies Jahre später wieder getan hat, als ihm das paranoia-kritische Bild Don Quijotes in die Hände fiel. Die Postkarte aus den Anfängen der 30er Jahre stammt tatsächlich aus dem Sortiment der Ansichtskartenfirma Risch-Lau, wie das Siegel, ein monogrammiertes RL, das in ein Dreieck eingestellt ist, verrät. Am linken unteren Rand steht der Titel Schussfahrt. Ursprünglich war also lediglich die Schussfahrt dreier Skifahrer am Tannberg bei Lech inszeniert. Das Motiv wurde vom Hersteller bis in die 60er Jahre verwendet, kursierte aber seit den dreißiger Jahren184 (Abb.47). Da es sich bei Risch-Lau um eine namhafte Institution handelt, hätte Dalí die Karte deshalb auch in Kitzbühel kaufen können. Rein spekulativ könnte man auch vermuten, dass Dalí auf diesem Weg Breton über seine grauenhaften Erfahrungen auf Skiern berichten wollte. Kennt man aber nun die Collage, die Dalí aus dieser Karte angefertigt hat, dann ist das „unschuldige“ Auge des Betrachters passé. Man wird stets nur mehr den Kopf eines Terriers sehen. Die oberen zwei Skifahrer bilden die Augen, der untere die Nase, der aufgewirbelte Schnee fungiert als Fell. Dalí lässt diese ursprüngliche Szene in seiner Arbeit unberührt und arrangiert dann lediglich die übrigen sechs Hunde drum herum und bastelt eine dazugehörige Kiste, die als Körbchen dient. La mélancolie extatique des chiens, gâteuse comme une vertigineuse descente en ski ist das Paradebeispiel eines paranoia-kritischen Bildes mit Österreichbezug. Erst wenn man das Ausgangsmotiv kennt - so war es schon bei der erwähnten Postkarte, die eine Hütte im Busch zeigt – ist es 183 184 Katalog zu “Vente Breton”, Auktion bei Calmels Cohen Paris, 14.April 2003, Lot 4017. Fotosammlung Risch-Lau, Inv.Nr. R-Lau b 200897 (URL: https://vlbkatalog.vorarlberg.at/F/JDRHUJ4RK6VEXQ2F3P2THVKRBUACQX82YTRF16CSR6K YTFPSXI-29610?func=full-set-set&set_number=002081&set_entry=000009&format=999; Zugriff am 04.11.2013). 79 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís einem möglich, Dalís Vorgehen zu verstehen. Betrachtet man die Augen und Münder der Hündchen genauer, lassen sich bei allen noch die ursprünglichen Umrisse der Skifahrer erkennen. Dalí verändert das Ausgangsmotiv also nur bis zu einem gewissen Grad, denn obwohl es sich um eine optische Spielerei handelt, funktioniert diese nur dann, wenn es möglich ist, beim Betrachten zwischen Ursprung und Verfälschung wechseln zu können. 1944 hat Dalí das Postkartenmotiv von Risch-Lau nocheinmal verwendet. Für eine Illustration in der Zeitschrift Town&Country,185 die seinen Roman Hidden Faces bewirbt, mutieren die drei Skifahrer diesmal zu einem Katzenkopf. Bis zu diesem Punkt ist die Parnaoia-Kritische Methode ausführlich erläutert worden, aber es bedarf eben einiger Beispiele, bis man Dalís Praktik versteht und worin die Unterschiede zu den gängigen optischen Täuschungen liegen. Diese Methode befähigt quasi, durch den Alltag zu gehen und stets von neuen Dingen überrascht zu werden, die nicht jeder wahrnimmt. Daraus entsteht also ein erlebbarer Surrealismus. Aufschlussreich ist auch der Titel, den Dalí der Karte regelrecht verpasst hat. Auf Deutsch: Die ekstatische Melancholie der Hunde, vertrottelt wie eine schwindelerregende Schussfahrt.186 Es ist endgültig: Dalí verachtet den Wintersport. 4.3.2 Der spanische Nationalheld im Schnee – Dalís zweite paranoiakritische Postkarte vom Arlberg Dieses Beispiel beweist, dass auch Salvadors Ehefrau Gala ein Gespür dafür hatte Postkarten zu entdecken, die erstaunliche Doppelbilder zutage brachten. Es ist darüber hinaus bekannt, dass es eine österreichische Postkarte war, in welcher Dalí das Portrait des Don Quijote erkannte und dieser Entdeckung eine kleine Arbeit widmete187 (Abb.48a-b) Dalí äußert sich nicht genauer darüber, wann sich diese Geschichte zugetragen hat, aber es muss fast während dem Österreichaufenthalt 1937 am Arlberg gewesen sein. Er war ja mit Gala gemeinsam unterwegs und das ursprüngliche Postkartenmotiv war, wie sich gleich zeigt, mit Sicherheit nur regional erhältlich und nicht, wie die Schussfahrt im vorherigen Beispiel, überregional zu erwerben. 185 Dalí, Salvador: Uncovering Hidden Faces. In : Town&Country, März 1944, S. 117. Anm.: Übersetzung des Autors; wichtig ist es gâteuse als das Umgangssprachliche Wort zu übersetzten, dass es auch ist. Also mit vertrottelt und nicht abgeschwächt wie z.B. närrisch. 187 Dalí 1984, S. 339. 186 80 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Don Quijotes Kopf ergibt sich aus einer Straßensituation, wie sie sich am Flexenpass wiederfindet. Dieser imposante Passübergang, der in den 1930ern schon durch eine Straße erschlossen war, führt von der Arlbergstraße hinauf nach Zürs und zählt sicherlich zu einer der eindrucksvollsten Straßenkonstruktionen Österreichs. Besonders in den 1930ern muss eine Überquerung im Winter äußerst abenteuerlich gewesen sein. Aber Dalí kannte ähnliches aus Katalonien, wo sich der Weg nach Cadaques vergleichbar gestaltete. Leider war es in diesem Fall nicht möglich, die ursprüngliche Postkarte im umfassenden Risch-Lau Archiv ausfindig zu machen, aber über den Vergleich mit ähnlichen Karten ist es leicht nachzuweisen, dass es sich um eine Lawinengalerie am Flexenpass handelt (Abb.49a-b). Die Aufnahme ist, was die Schneemassen indizieren, im Winter entstanden. In einer existenten Aufnahme der Postkarte aus Dalís Buch Das Geheime Leben, lässt sich einiges erkennen. Im Vordergrund die Spuren im Schnee, rechts die aufgetürmten Schneehaufen, die zur Seite geschaufelt wurden und dann einer der charakteristischen Tunnel, die oben mit einem Pultdach abschließen. Rechts, oberhalb der Galerie, lässt sich eine Bergkette erkennen, die ebenfalls so von der Flexenstraße aus zu sehen ist. Dank freundlicher Hinweise aus dem Gemeindearchiv Lech/Zürs, müsste es sich konkret um den ersten Lawinentunnel nach dem Flexentor handeln.188 Dalí hat die Postkarte dann in einen Kupferstich integriert. (Abb. Arbeit Dalí) Recherchen haben ergeben, dass es sich ursprünglich um ein Portraitmedaillon handelt, das den niederländischen Maler Pieter Bruegel glorifiziert. Gestochen wurde das Blatt 1580 von Egidius Sadeler189 (Abb.50). Die beiden österreichischen Postkarten, die hier vorgestellt wurden, zeigen also dass es sich lohnt, auch Dalís kleineren Arbeiten Beachtung zu schenken. Für diese Masterarbeit, die einen Österreichbezug in Dalís Oeuvre untersucht, erlangen sie natürlich einen besonderen Stellenwert, überhaupt wenn es nach Jahrzehnten gelingt, die Orte, mit denen diese Stücke verknüpft sind, ausfindig zu machen. 188 189 Der entsprechende Ort ist in der Abbildung mit einem Kreis gekennzeichnet. Anm.: Egidius Sadeler, um 1555 – 1609; in: AKL online (URL: https://secure.sbg.ac.at/view/AKL/,DanaInfo=.awxyChjmy273p3Mq32+_00117404T1?rske y=hp6mHM&result=10&dbq_0=egidius+sadeler&dbf_0=aklfulltext&dbt_0=fulltext&o_0=AND#akl_00117404T1_1M; Zugriff am 11.11.2013, Lizenzpflichtig). 81 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís 4.3.3 Der Schuhhut Salvador Dalí weilte, eigenen Angaben nach, vor 1941 dreimal in Wien.190 Da er jedes Mal den Vermeer in der Sammlung Czernin zu bestaunen pflegte, ist anzunehmen, dass die erste Reise nach Wien 1934 stattfand. Die Tatsache, dass Dalí im selben Jahr damit begonnen hatte, das Sujet aus Vermeers Malkunst in seinen Gemälden aufzugreifen, muss eine Koinzidenz sein. Ein weiterer Aufenthalt ist 1937 anzusiedeln, dem Jahr der großen Reise durch Österreich. Da die Dalís bereits am Semmering waren, von wo aus es nicht mehr weit nach Wien ist, werden sie vorher oder anschließend der Bundeshauptstadt einen Besuch abgestattet haben und im Hotel Sacher logiert haben.191 Dalí pflegte bereits zu dieser Zeit eine Freundschaft mit der italienischen Modeikone Elsa Schiaparelli,192 mit welcher er gerne kooperierte und diverse Projekte verwirklichte. Über Schiaparelli hat er auch Bettina Bergery kennengelernt. Vor einigen Jahren bot ein deutsches Auktionshaus eine Zeichnung Salvador Dalís an,193 die eine elegante Dame, womöglich Gala, mit einer etwas eigenwilligen Kopfbedeckung zeigt: dem Schuhhut. Die Kreation ist legendär, taucht in Terry Gilliams Klassiker Brazil von 1985 auf und wirkt sogar bis zur Widerbelebung der Marke Schiaparelli im Jahr 2013 nach.194 Bei einem Zeichentrickkurzfilm, der im Herbst 2013 auf der Homepage des Maison Elsa Schiaparelli gezeigt wurde, wird die Dame mit Schuhhut unerwartet zum Publikumsliebling. Und einer der ersten Entwürfe zu dieser schrägen Erfindung Dalís wurde 1937 auf einem Briefpapier des Hotel Sacher in Wien skizziert (Abb.51). Ob es tatsächlich der erste war, kann aus heutiger Sicht nicht mehr bestimmt werden, da es ein weiteres Skizzenblatt Dalís gibt, welches heute im DalíMuseum in St Petersburg, Florida aufbewahrt wird. Heads of Gala195 (Abb.52a) bildet neben einigen Kopfstudien Galas mit dem Schuhhut auch Details aus Schwäne spiegeln Elefanten und Die Metamorphose des Narziss ab. Außerdem taucht auch ein Kopf auf, der eine Kopfbedeckung trägt, die an zwei 190 Dalí 1984, S. 37. Ebenda, S. 38. 192 Gibson 1997, S. 377. 193 Auktion bei Ketterer Kunst am 30.03.2007, Lot 77 (URL: http://globoauctions.com/kunst/kd/details.php?obnr=410700580&anummer=318; Zugriff am 04.11.2013). 194 Vogue, 30.09.2013 (URL: http://www.vogue.de/mode/mode-news/mode-news-marcozanini-uebernimmt-leitung-von-maison-schiaparelli, Zugriff am 04.11.2013). 195 Salvador Dalí, Heads of Gala, um 1937, Bleistift auf Papier, 24,8 x 35,2 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, USA. 191 82 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís übereinander gefaltete Hände erinnert. Schließlich dürfte diese Skizze zumindest zeitnah zu jener auf dem Schreibpapier des Hotel Sacher gezeichnet worden sein, was sich dadurch erkennen lässt, dass in dieser Kritzelei Bestandteile aus besagten zwei Gemälden auftauchen. Und es gibt eine dritte, undatierte Skizze, die nur den Torso einer Frau mit Schuhhut wiedergibt. Dieses Blatt wurde 2009 in einer Auktion196 angeboten und trägt auf der selben Seite eine kleine handschriftliche Notiz Dalís: Nous arriverons à Paris demain à 3 ½. (Abb.52b) Vielleicht stammt diese Notiz von der Rückreise aus Österreich nach Paris im Jahr 1937? Es wäre denkbar. Letztlich befindet sich noch ein vergleichbares Blatt im Los Angeles County Museum of Art (LACMA). Shoe Hat197 (Abb.52c) wird zwar auf das Jahr 1937 datiert, ist aber mit Sicherheit nicht in Spanien enstanden, wie das LACMA anführt,198 da diese Zeichnung einer weiblichen Büste in der Ausführung sehr dem Portrait Galas auf dem Sacher-Papier ähnelt. Am logischsten erscheint es daher, dass Dalí alle diese Skizzen in Österreich und kurz danach in Paris angefertigt hat. Bleibt noch die spannende Frage zu beantworten, ob denn der Schuhhut nun in Österreich erfunden wurde. Eines der Originale, ein Exemplar199 aus dem Nachlass von Galas Tochter Cécile Eluard, befindet sich im Musée de la Mode in Paris (Abb.53). Dortigen Ansichten zu Folge stammt die Idee des Schuhhutes bereits aus dem Jahr 1933 und wurde von Dalí 1937 lediglich erneut aufgegriffen.200 Diese Annahme basiert auf einigen spontanen Photographien, die Man Ray im Garten des Hauses in Port Lligat von Salvador gemacht hat, darunter auch einige experimentelle Aufnahmen mit einem Schuh. Es handelt sich dabei aber bestimmt nicht um die Erfindung des Schuhhutes. Ganz im Sinn des Dada und Surrealismus und dem Objét trouvé hat sich Dalí an diesem Tag so ziemlich alles auf den Kopf gesetzt, was in seiner greifbaren Nähe war. Neben einem Stock, einem Stein und einem Brot auch einen Schuh Galas. Diesen balanciert er richtig herum auf dem Kinn, setzt ihn aber nicht wie einen Hut auf. Dalí hatte an diesem Tag, den er zum großen 196 Auktion der Autographenhandlung J.A. Stargardt, 23./24. Juni 2009. Salvador Dalí, Shoe Hat, um 1937 Bleistift/Papier, 19,05 x 12,06 cm, LACMA. 198 Salvador Dalí, Shoe Hat, in: Onlinekatalog des LACMA (URL: http://collections.lacma.org/node/184967; Zugriff am 05.11.2013). 199 Elsa Schiaparelli/Salvador Dalí, Chapeau-Chaussure, 1937-1938, schwarzer Filz, Musée de la Mode de la Ville de Paris. 200 Elsa Schiaparelli/Salvador Dalí, Chapeau-Chaussure, in: Onlinekatalog des Musée de la Mode de la ville de Paris (URL: http://palaisgalliera.paris.fr/oeuvre/chapeau-chaussureelsa-schiaparelli-en-collaboration-avec-salvador-dali; Zugriff am 05.11.2013). 197 83 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Teil in ein Leintuch gehüllt verbrachte, also eher nicht den Schuhhut erfunden. Auch von einem Photo das Gala 1932 gemacht hat, rührt diese Erfindung nicht her (Abb.54). Folglich lässt der aktuelle Forschungsstand vermuten, dass die Idee erst 1937 in Dalís Kopf gereift war und die oben vorgestellten Skizzen und Zeichnungen die Anfänge dieses Konzeptes eines Schuhhutes darstellen. Somit ist die Idee in Österreich enstanden. Der Hut war schon Teil der Herbstkollektion 1937 und Dalí wird zu den ersten Treffen in Paris schon vorbereitete Konzepte mitgebracht haben. Ungeachtet dessen ist der Schuhhut mehr als ein Kunstwerk und gilt noch heute als eine Ikone der Moderevolution der 30er Jahre. Elsa Schiaparellis Entwürfe waren elegant und doch ausgefallen und irgendwie das absolute Gegenteil dessen was Gabrielle „Coco“ Chanel anbot.201 Zu den Kunden des Maison Schiaparelli Paris zählten Bekanntheiten wie die Herzogin von Windsor, die für die Vogue in Dalís Hummerkleid posierte. (abb) Deshalb widmete die Zeitschrift L’Officiel de la Mode et de la Couture den Kreationen eine ganze Strecke an Aufnahmen des Photographen, mit dem Schuhut als Titelstar und weiteren Entwürfen der Kooperation Dalí-Schiaparelli.202 Der Hut war übrigens alles andere als untragbar: Gala gebührte die Ehre ihn als erste zu tragen und Mrs. Reginald Fellowes führte ihn, kurz nach der Entstehung, zur Sommersaison der Upperclass in Venedig aus.203 4.4 Gibt es noch mehr zu entdecken? – der Österreichbezug in Dalís Gesamtoeuvre Die Kunstwerke, die in dieser Masterarbeit thematisiert werden, stammen alle aus den Jahren 1934 bis 1938. Reflektiert man über die Ergebnisse zum Österreichbezug in Dalís Oeuvre, stellt sich die logische Frage, ob es wohl Beispiele gibt, die zeitlich gesehen früher oder später entstanden sind. Dalís relevante Reisen nach Österreich fanden alle in den 1930ern statt und könnten den einzigen Grund für eine Konfrontation mit österreichischen Sujets darstellen. Dieser wesentliche Faktor würde zu einem anderen Zeitpunkt fehlen. Andererseits lässt sich in Dalís Arbeitsweise öfters so etwas wie eine 201 Cabasset, Patrick: 1937 : Le monde marche sur la tête! 05.08.2012 (URL: http://www.lofficielmode.com/2012/08/05/1937-le-monde-marche-sur-la-tte/; Zugriff am 05.11.2013). 202 L’Officiel de la Mode et de la Couture, Oktober 1937. 203 Dalí 1984, S. 113. 84 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís zeitliche Verzögerung zwischen der Entdeckung und der Verwertung eines Motivs erkennen. Fakt ist, dass der Österreichbezug nach dem Jahr 1937 nicht abreißt. Als Paradebeispiel lässt sich einer der Titelentwürfe zu Dalís Roman Hidden Faces von 1944 aufführen204 (Abb.55a). Als Grundlage dient das Gemälde Die drei Lebensalter und der Tod 205des deutschen Künstler Hans Baldung, genannt Grien (Abb.55b). Dalí verändert lediglich den Körper der erwachsenen Frau: diesen übersäht er mit ins Fleisch geritzten Hakenkreuzen und Ameisen und er setzt ihr eine Augenmaskierung auf. In den Zwischenraum über der Gruppe fügt er den Titel Hidden Faces ein. Der relevante Bezug zu Österreich ist über das originale Gemälde des Grien herzustellen, das sich seit 1806 in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien befindet.206 Es bietet sich an, dass Dalí die Photographie des Gemäldes in Wien erworben hat. Dies bestätigt er Jahre danach selbst: gekauft wurde sie bei Wolfrum. 207 Da er während seiner Aufenthalte gerne durch die Stadt flanierte und Antiquariate durchstöberte, um den Frust darüber zu kompensieren, Freud nicht getroffen zu haben,208 hat er das Bild wohl auf einer dieser Touren entdeckt. Berücksichtigt man also diese Arbeit von 1944, liegt die Vermutung nahe, dass sich in Dalís nahezu unüberblickbarem Oeuvre weitere Funde ähnlicher Art enthüllen lassen könnten. So finden sich umgekehrt auch vor 1937 weitere Bezüge zu Österreich. Ein skurriles Beispiel: Machine à penser209 (Abb.56a), eine Entwurfszeichnung von 1935, 210 die als Illustration für Das Geheime Leben Verwendung fand, zeigt den Stuhl Nr. 30 der Wiener Firma Jacob & Josef Kohn211 (Abb.56b). Der Stuhl, der leicht mit einem Bugholzstuhl der Firma Thonet verwechselt werden kann, zeichnet sich durch die Raffinessen im Design aus. Die Lehne besteht aus nur zwei Teilen, von denen einer nahtlos in die hinteren Stuhlbeine übergeht. Eine klare Übereinstimmung mit dem Stück in Dalís Entwurfszeichnung. 204 Salvador Dalí, Hidden Faces, 1944, Mischtechnik, 24,8 x 17 cm, Verbleib unbekannt. Hans Baldung, gen. Grien, Die drei Lebensalter und der Tod, um 1509/10, Öl/Lindenholz, 48,2 x 32,8 cm, KHM Wien. 206 Hans Baldung, gen. Grien, Die drei Lebensalter und der Tod, in: Onlinekatalog des KHM (URL: http://bilddatenbank.khm.at/viewArtefact?id=96; Zugriff am 06.11.2013). 207 Perrot-Moore 1982, Vorwort. 208 Dalí 1984, S. 38. 209 Salvador Dalí, Machine à penser, 1935, Tinte/Papier, Privatsammlung. 210 Abadie 1979, S. 228. 211 Katalog der Firma Jacob & Joseph Kohn, 1916, S. 8 (URL: http://bugholzmoebel.at/jacobjosef-kohn/; Zugriff am 14.11.2013). 205 85 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Oder man betrachtet den nach vorne gebeugten Mann in dem Gemälde Apotheker, der mit äußerster Vorsicht die Haut des Konzertflügels lüftet212 (Abb.57a) und auch in andren wie Der Apotheker von Ampurdan, der absolut nichts sucht213 zu sehen ist. Robert Descharnes zeigt zwar das ursprüngliche Bild, führt aber keine Herkunft der Photographie an und nennt die Person Dr. Heisenmenger.214 Das Photo stammt aus einer französischen Fachzeitschrift und zeigt den ungarisch-österreichischen Mediziner Dr. Rudolf Eisenmenger beim Betrieb seiner Beatmungsmaschine, einem Vorläufer der heutigen HerzKreislauf-Maschine215 (Abb.57b). Sowohl die Literatur zu Dalí, als auch der heutigen Eigentümer des Gemäldes führen fälschlicherweise den Leibarzt Kaiser Frans Joseph I., Dr. Viktor Eisenmenger,216 an,217 um den es sich hier definitiv nicht handelt. Dalí hatte aber außer zu Stefan Zweig und Sigmund Freud auch zu zahlreichen weiteren Österreichern Kontakt. Darunter der surrealistische Maler Wolfgang Paalen, der Cineast Amos Vogel oder die Künstlerin Angela Aschauer, besser bekannt als Brenda Star West, Mitglied von Andy Warhols Factory. Weitere Anknüpfungspunkte sind diverse Projekte, die er mit Österreichischen Persönlichkeiten oder Institutionen verwirklicht, oder zumindest geplant hat. Es findet sich zum Beispiel der Hinweis auf den Auftrag für ein Bühnenbild für eine Produktion der Wiener Staatsoper, die im März 1961 Puccinis Turandot auf dem Spielplan hatte.218 Die tatsächliche Ausführung ist fraglich, aber zumindest berichtet die spanische Tageszeitung La Vanguardia im April 1960219 über ein entsprechendes Vorhaben. 212 Salvador Dalí, Apotheker, der mit äußerster Vorsicht die Haut des Konzertflügels lüftet, 1936, Öl/Holz, 30 x 52 cm, Museum Volkwang Essen. 213 Salvador Dalí, Der Apotheker von Ampurdan, der absolut nichts sucht, 1936, Öl/Leinwand, 48 x 62 cm, Privatsammlung. 214 Descharnes, Robert (Hg.): Die Eroberung des Irrationalen. Dalí, Sein Werk – Sein Leben, Köln 1984, S. 155. 215 L.R. (?) in: La Nature. Revue des Sciences et de leurs application aux artsat a l´industrie, Journal hebdomadaire illustré, 34. Jhg., 2. Halbjahr, Paris 1906, S. 19-20. 216 Artikel zu Viktor Eisenmenger, in: Vierhaus, Rudolf (Hg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie, 2. Ausg., München 2006, S. 12. 217 Salvador Dalí, Apotheker, der mit äußerster Vorsicht die Haut des Konzertflügels lüftet. In: Onlinekatalog des Museum Folkwang Essen (URL: http://sammlung-online.museumfolkwang.de/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultDetailView/result.inline.list.t1.collectio n_list.$TspTitleImageLink.link&sp=13&sp=Sartist&sp=SfilterDefinition&sp=0&sp=1&sp =1&sp=SdetailView&sp=1&sp=Sdetail&sp=0&sp=T&sp=0&sp=SdetailList&sp=0&sp=F &sp=Scollection&sp=l2952; Zugriff am 12.11.2013). 218 Neuinszenierung, Premiere am 22.Juni 1961. In: Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper (URL: http://db-staatsoper.die-antwort.eu/performances/2828; Zugriff am 11.11.2013). 219 La Vanguardia, 9. April 1960, S. 35. 86 4 Österreich im Bild – Rezeption der österreichischen Landschaft und Kultur im Oeuvre Dalís Zu berücksichtigen sind aber auch die Kontakte mit dem Wiener Galeristen Gerhard Habarta, der die große Dalí-Ausstellung 1982 nach Wien holte, oder dem Künstler André Heller, zu dessen Projekt Luna, Luna Dalí den Spiegeldom beisteuerte. 87 5 Resumée 5 Resumée Salvador Dalí und Österreich sind nachweisbar enger miteinander verbunden als es die kunsthistorische Forschung bisher angenommen hat. Dalís Österreichaufenthalt von 1937 war immer schon bekannt und das Wissen über bestimmte Quellen, wie der Entwurf des Gedichtes zur Metamorphose des Narziss auf dem Briefpapier eines Hotels in Zürs, waren immer frei zugänglich. Und dennoch wurde nie in Betracht gezogen, dass einer der schlussendlich drei Österreichaufenthalte Dalís ein Indiz zur Identifikation derartig vieler Details in seinem Oeuvre sein kann. Darüber hinaus geht es nicht darum die betreffenden Gemälde und Arbeiten dadurch aufzuwerten, dass sie in Österreich entstanden sind, sondern einen wesentlichen Teil dazu beizutragen die Arbeitsweise des Salvador Dalí und seine Person für die Forschung besser verständlich zu machen. Denn bisher konnte es nicht anhand eines konkreten Beispiels und zugleich auf eine derart minutiöse Art bewiesen werden, dass die permanente Umgebung eine solch große Auswirkung auf Dalís Werk hatte. Der Zufall bedingt es wahrscheinlich, dass sich ein österreichischer Autor derart intensiv mit dem Gemälde Metamorphose des Narziss auseinandergesetzt hat, dass er auf die Idee kam die Berge im Bildhintergrund mit den Vorarlberger Alpen um Zürs abzugleichen. Wäre dabei nicht herausgekommen, dass sich tatsächlich ein Treffer ergibt, hätte es keinen persönlichen Anreiz gegeben, nach weiteren vergleichbaren Funden zu suchen. Aufgrund der Fülle an Ergebnissen, die alle anfänglichen Erwartungen an das Thema übersteigen, steht es außer Zweifel, dass Dalí so etwas wie das heutige Mind-Mapping praktiziert hat. Allerdings in einem derartigen Ausmaß, wie es nur ein Genie kann. Aus einem umfassenden Fundus scheint er dann bei Bedarf auf die passenden Motive zurückgegriffen zu haben, um diese in seine Arbeiten zu integrieren. Dieser Umstand hat zur Folge, dass es umgekehrt schwierig ist, diesen Arbeitsvorgang wieder zu entwirren, aber für einige Schlüsselwerke Dalís, wie beispielsweise Erfindung der Ungeheuer, konnten mehr als siebzig Jahre nach deren Entstehung, umfassende Erkenntnisse dazugewonnen werden. Selbst für die berühmte Idee der brennenden Giraffe gibt es eine neue schlüssige Sichtweise, wie diese entwickelt wurde. 88 5 Resumée Es hat sich gezeigt, dass die Dalí-Forschung an einem Punkt angelangt ist, an dem sie sich darauf fokussieren muss tief verwurzelte Annahmen zu hinterfragen. Beispielgebend ist die allgemein gültige Meinung zu Dalís Verständnis der Landschaftsrezeption und die fixe und zugleich unüberwindbare Idee, dass es immer das Cap de Creus und die Empordà sein müssen, die den Handlungsrahmen seiner Gemälde bilden. Der Umstand, dass dem offenbar nicht so ist, wirft die Frage auf, ob es sich mit anderen Themen nicht ähnlich verhalten könnte. Zumal sich herausgestellt hat, dass sich in den zahlreichen von Dalí persönlich aufgezeichneten Anekdoten mehr Wahrheit verbirgt, als lange vermutet wurde. Bevor Fleur Cowles durch ihre Recherchen im Nachlass Stefan Zweigs beweisen konnte, dass es tatsächlich zu einem Treffen Dalís mit Sigmund Freud kam, wurde diese Erzählung als Hirngespinst abgetan. Dabei handelt es sich dabei um eines der prägendsten Ereignisse in Dalís Leben. Mit Erzählungen zu seinen Österreichreisen wurde teilweise ähnlich verfahren. Salvador Dalís Oeuvre ab den 30er Jahren ist von der ParanoiaKritischen Methode geprägt. Die Recherchen zu dieser Arbeit standen ganz im Zeichen dieser Methode und dem persönlichen Versuch, ein wenig wie Dalí zu denken. Der Schlüssel zu dieser Vorgehensweise liegt in einem Zitat Dalís versteckt: Es ist richtig, dass ich mich mein Leben lang der Fotografie bedient habe. Ich habe schon vor Jahren erklärt, dass die Malerei nur eine von Hand gefertigte Farbfotografie ist […]. Alle großen Kunstwerke, die ich bewundere, sind nach Fotografien entstanden.220 Dalí hat nicht nur die Kunst der alten Meister, sondern auch stets seine eigenen Kunstwerke bewundert und so gibt es wohl noch viel zu entdecken. 220 Perrot-Moore 1982, Kat.Nr. 33. 89 Abbildungen Abbildungen Anmerkung zum Abbildungsteil Aufgrund der derzeitigen rechtlichen Lage, hält die Fundacío GalaSalvador Dalí in Figueres die exklusiven und ausnahmslosen Rechte an allen Arbeiten des Künstlers. Der rein wissenschaftliche Rahmen dieser Masterarbeit gestattet es, jegliche verfügbare Abbildung zu verwenden. Obwohl die Photographien der Stiftung mit einem Wasserzeichen versehen sind, werden diese aber bei Gemälden Dalís, vor allem aus qualitativen Gründen, benutzt. Ausgenommen davon sind Details aus diesen Gemälden. Die Rechte der übrigen Abbildungen werden, sofern sie nicht frei zugänglich sind oder bei den jeweiligen Museen liegen, im abschließenden Abbildungsnachweis erläutert. Bei Kunstwerken werden außer Künstler, Titel und Entstehungsjahr nur dann genau Angaben genannt, sofern diese noch nicht in den Fußnoten innerhalb der Arbeit aufgeführt werden. 90 Abbildungen 1. Salvador Dalí, Metamorphose des Narziss, 1937 Abbildungen 2. Salvador Dalí, Die Erfindung der Ungeheuer, 1937 Abbildungen 3. Salvador Dalí, The City of Drawers, 1936 Abbildungen 4. Gentile Bellini, Sultan Mehmet II., 1480, Öl/Leinwand, 70 x 52 cm, National Gallery, London 5. Vincent van Gogh, Ernte in La Crau, 1888, Öl/Leinwand, 73 x 92 cm, Rijksmuseum Vincent van Gogh, Amsterdam Abbildungen 6. Roelant Savery, Karstige Gebirgslandschaft mit Flusstal, 1629, Feder/Papier, 18,8 x 25,7 cm, Albertina, Wien 7. Leonardo da Vinci, Sturm in einem Alpental, ca.1508/10, Kreide/Papier, 19,8 x 15 cm, Royal Collection, HM Queen Elizabeth II. Abbildungen 8. Joos de Momper, Große Gebirgslandschaft, ca. 1620, Öl/Leinwand, 226 x 327 cm, Sammlung Liechtenstein, Wien 9. Franz Marc, Das Arme Land Tirol, 1913 Abbildungen 10. Cover des Time Magazine vom 14. Dezember 1936 11. Harpo Marx mit Salvador Dalí 1937 Abbildungen 12. Salvador Dalí an André Breton, 27. März 1937 13. Salvador Dalí, Der Brotkorb, 1926 Abbildungen 14. Johannes Vermeer, Die Malkunst, um 1666/68 Abbildungen 15. Still aus L´Age d´Or, 1930 16. Max Ernst, Au rendez-vous des amis, 1922 Abbildungen 17. Bettina Bergery in Skikleidung von Elsa Schiaparelli, frühe 1930er 18. Salvador Dalí, Portrait einer Unbekannten (wohl Bettina Bergery), 1934 Abbildungen 19. Aufnahme von 1934 aus Das Geheime Leben des Salvador Dalí 20. Salvador Dalí an René Magritte, 3. Februar 1937 Abbildungen 21. a-b Salvador Dalí an Pablo Picasso, 11. April 1937 Abbildungen 21. c Salvador Dalí an Chick Austin, 12. April 1937 22. Narcissus poeticus Abbildungen 23. Wintersporthotel Alpenrose-Post in Zürs, 1950er 24. a Parziltal, 1927 Abbildungen 24. b Valuga mit Rockspitz 25. Metamorphose des Narziss, Detail des rechten oberen Bildrandes Abbildungen 26. Salvador Dalí, Entwurf zu Metamorphose des Narziss, 1937 Abbildungen 27. Eintrag im Kalender Stefan Zweigs vom 19. Juli 1938 28 Eric Schaal, Gala und Salvador Dalí, vermutlich Anfang 1937 Abbildungen 29. 20-Schilling Geldschein mit Polleroswand, Serie 1968 30. Salvador Dalí, Entwurf auf Briefpapier des Südbahn-Hotel, ca. 1937, Privatsammlung Abbildungen 31. Werbebild der Firma Ittner, Südbahnhotel mit Blick zur Rax, um 1925 32. a-b Still aus L´Age d´Or, 1930 Abbildungen 33. a-b Salvador Dalí, Paar die Köpfe voller Wolken, oben 1936, unten 1937 Abbildungen 34. Salvador Dalí, Entwurf zu einem Projekt mit Harpo Marx, 1937, Kohle/Gouache/Papier, 60 x 46 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida 35. Cover des American Weekly vom 9. Jänner 1938 Abbildungen 36. Salvador Dalí, Die brennende Giraffe 1937 37. Einladungskarte Renou & Colle, 30. Juli 1937 Abbildungen 38. Salvador Dalí, Brennende Giraffe, 1937, Gouache/Papier, Privatsammlung 39. Absturz des Luftschiffs Hindenburg am 6. Mai 1937 in Lakehurst Abbildungen 40. a Salvador Dalí, Entwurf zu The City of Drawers, 1936, Grafitstift/Papier, 35,2 x 52,2 cm, Art Institute of Chicago 40. b Salvador Dalí, Entwurf zu The City of Drawers, Tinte/Papier, 32 x 41,5 cm, Privatsammlung Abbildungen 41. The City of Drawers, Detail des rechten oberen Bildrandes 42. St. Canisius in Wien 43. Hotel Mozart in Wien IX. Abbildungen 44. Dalís Gemälde im Jeu de Paume, nach der Beschlagnahmung durch den ERR 45. Salvador Dalí, Studie von Pferden und Frauen, ERR-Inventar Abbildungen 46. Salvador Dalí, La mélancolie extatique de chiens, 1936 47. Schussfahrt, Ansichtskarte des Verlages Risch-Lau, undatiert Abbildungen 48. a Postkarte die Dalí 1937 am Arlberg erworben hat 48 b Salvador Dalí, Don Quijote aus Das Geheime Leben des Salvador Dalí Abbildungen 49. a-b Flexenstraße, Ansichtskarten des Verlages Risch-Lau, 1965 und 1948 Abbildungen 50. Egidius Sadeler, Portrait Pieter Bruegel d.Ä., 1580, Kupferstich, Bibliothèque Royale, Brüssel Abbildungen 51. Salvador Dalí, Femme au Chaussure, ca. 1934/37, Kugelschreiber/Papier, 18 x 13,5 cm, Privatsammlung 52. a Salvador Dalí, Kopfstudien Galas, 1937/38, Stift/Papier, 24,8 x 35,2 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida Abbildungen 54. b Salvador Dalí, Skizze, ca. 1937, Privatsammlung 54. c Salvador Dalí, Shoe Hat, um 1937 Abbildungen 53. Elsa Schiaparelli / Salvador Dalí, Chapeau Chaussure, 1937/38 54. Salvador Dalí in seinem Garten in Port Lligat, 1932 Abbildungen 55. a-b Salvador Dalí, Coveretwurf zu Hidden Faces von 1944 und das Gemälde von Hans Baldung, gen. Grien im KHM in Wien Abbildungen 56. a Salvador Dalí, Machine à Penser aus Das Geheime Leben des Salvador Dalí 56. b Bugholzstuhl Nr. 30 der Firma Jacob & Joseph Kohn, 1960 Abbildungen 57. Salvador Dalí, Apotheker, der mit äußerster Vorsicht die Haut des Konzertflügels lüftet, 1936 57. b Dr. Rudolpf Eisenmenger in einer französischen Fachzeitschrift, 1906 Abbildungsnachweis Abbildungsnachweis Artprice.com: Abb. 51, 54 b Association Atelier André Breton: Abb. 12, 37, 46 Binoche et Giquello, Paris: Abb. 30 bugholzmoebel.at: Abb. 56 b Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland: Abb. 44, 45 Dumont Verlag: Abb. 54 Fundacío Gala-Salvador Dalí: Abb. 26 Gallimard: Abb. 21 a-b Guggenheim Museum, New York: Abb. 9 Habarta Kunsthandel & Verlag: Abb. 55 a International Autograph Auctions Ltd.: Abb. 20 Los Angeles County Museum of Art: Abb. 54 c Media Wien: Abb. 42 Musée de la Mode de la Ville de Paris: Abb. 53 Museum Ludwig, Köln: Abb. 16 Schirmer/Mosel: Abb. 19, 28, 40 b, 48 a-b, 56 a Sotheby´s Auctions, New York: Abb. 38 Thomas Reinagl, Wien: Abb. 31 Time Inc.: Abb. 10 Vorarlberger Landesbibliothek: Abb. 23, 47, 49 a-b Wadsworth Athaneum, Hartford: Abb. 21 c Literatur Literatur Abadie, Daniel (Hg.): Salvador Dalí. 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