Ayurveda Journal – März 2012 Ayurveda als Beruf

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Ayurveda Journal – März 2012 Ayurveda als Beruf
Ayurveda Journal – März 2012
Ayurveda als Beruf:
Perspektiven für Heilberufe, Gesundheitsfachberufe und Quereinsteiger
Autor und © Copyright: Ralph Steuernagel
Der Ayurveda ist im Westen angekommen und stellt heute eine unverzichtbare Säule der
naturheilkundlichen Medizin in Europa dar. Sein ganzheitliches Verständnis von Mensch
und Natur hat längst die engen Grenzen reiner Diagnostik und Therapie in Heilpraxen
überschritten – immer mehr Menschen vertrauen der langjährigen Erfahrung und Weisheit
dieses Systems und sehen in ihm auch eine Lebensphilosophie zur Steigerung von
Gesundheit und Langlebigkeit, Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen sowie
Entwicklung von Lebensfreude und Selbsterkenntnis.
Aus dieser Grundlage heraus haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten
unterschiedliche Zielgruppen für ayurvedische Dienstleistungen und in Folge neue
„Berufsgruppen“ entwickelt.
Zielgruppen
Waren es in den 80er Jahren noch begeisterte Indienliebhaber, die manche der wenigen
damaligen ayurvedischen Angebote nutzten, so erreicht der Ayurveda heute die ganze
Breite unserer Gesellschaft.
Ayurveda ist für Alle da!
Kinder finden zahlreiche Hilfestellungen für die gesunde Entwicklung von Körper und
Psyche. Jugendliche können pubertätsbedingte Auswirkungen des eigenen Lebensstils
ausgleichen, während der Berufsausbildung oder dem Studium unterstützt der Ayurveda
die Konzentration und Leistungsfähigkeit. Eltern werden in Fragen einer werteorientierten
Erziehung unterstützt. Vor, während und nach der Menopause helfen zahlreiche
ayurvedische Methoden Frauen im Übergang in eine neue Lebensphase. In diese Zeit fällt
auch das Rentenalter der meisten Menschen und die Frage nach weiteren
Lebensperspektiven, auf die der Ayurveda Antworten ermöglicht. Im höheren Alter kommt
es auf Prävention und den Erhalt körperlicher und geistiger Funktionen ebenso an wie auf
die Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen zur Vorbeugung von Vereinsamung –
auch diese Herausforderungen sind Bestandteil der ayurvedischen Lehre. Und zuguterletzt
versteht der Ayurveda das Leben als Teil eines Kreislaufs, zu dem auch der Tod gehört –
so können sterbende Menschen in Würde und Achtsamkeit den letzten Atemzug
vollbringen.
Wir befinden uns in Europa mit dieser Entwicklung durch alle Gesellschaftsteile am
Anfang. Gegenwärtig lassen sich noch gewisse Häufungen innerhalb der Zielgruppen
feststellen:
- Geschlecht: nach wie vor erreicht der Ayurveda zu etwa zwei Dritteln Frauen, auch
wenn der männliche Anteil stetig ansteigt…
- Alter: das Kernalter ayurvedischer Patienten liegt zwischen 30-65 Jahren
- Bildungsstand: hier lassen sich alle Bildungsgrade erkennen – auffallend häufig finden
jedoch Menschen mit akademischer Ausbildung sowie Ärzte selbst den Weg in eine
ayurvedische Praxis, was für das hohe Maß an intelligenten Konzepten spricht
- Wohnort: die ländliche Bevölkerung lebt naturverbundener, die städtische Bevölkerung
hat dafür erhöhten Bedarf an Stressbewältigungskonzepten – beide Gruppen sind dem
Ayurveda potenziell zugeneigt; ambulante Praxen laufen erfolgreicher in
Ballungszentren, Kureinrichtungen nutzen hingegen oft die Stimmung der Natur
- Familienstand: hier ist die ganze Bandbreite vertreten, vom Single über
Lebensgemeinschaften, verheiratete Paare bis zu verwitweten Menschen; oft begeben
sich nach erstem „Test“ weitere Familienmitglieder in die ayurvedische Behandlung
- Finanzielle Grundlage: Ayurvedische Angebote sind vorwiegend Selbstzahlerleistungen
und beinhalten zumeist eine Kombination aus Beratungen, Anwendungen und
Produkteinkäufen. Die Kosten sind für alle Durchschnittseinkommen tragbar,
Geringverdiener müssen hingegen zumeist Schwerpunkte setzen – hier spielt v.a. die
Ernährungstherapie eine zentrale Rolle, die mit keinen Zusatzkosten verbunden ist.
Berufsgruppen
Für welche Berufsgruppen ist eine ayurvedische Aus- bzw. Weiterbildung interessant?
Die Antwort lautet: für viele!
Gemäß den Erfahrungen ayurvedischer Ausbilder lassen sich drei Kerngruppen
unterscheiden, zu denen zahlreiche Einzelberufe zählen:
Heilberufe
Zu den medizinischen Heilberufen zählen in Deutschland Ärzte und Heilpraktiker sowie
Zahn- und Tierärzte. Zu den spezielle Heilberufen zählen zudem Psychologen (bsp.
Psychotherapeuten, Arbeits-/Betriebs-/Organisationspsychologen, pädagogische
Psychologen u.v.a.) und Apotheker.
Um das volle Spektrum ayurvedischer Diagnostik und Heilkunst anbieten zu können, ist die
ärztliche Approbation oder Zulassung als Heilpraktiker erforderlich. Psychotherapeuten
können ayurvedisch-psychologische Konzepte in ihre Arbeit aufnehmen, ohne dabei
körperliche Krankheiten zu therapieren.
Gesundheitsfachberufe
Zu den Medizinalfachberufen zählen Pflegeberufe, Physiotherapeuten, Masseure,
Ergotherapeuten, Logopäden, medizinisch/pharmazeutisch-technische Assistenten
(MTA/PTA), Hebammen, Diätassistenten und viele mehr.
Eine erweiterte Gruppe gesundheitlich ausgerichteter Berufe sind alle Trainerberufe vom
medizinischen Trainingstherapeuten über Sportlehrer bis zur bedeutsamen Gruppe der
Yogalehrer, die eine wertvolle Verbindung der Schwesterwissenschaften des Yoga und
Ayurveda herstellen. Auch Anbieter weiterer spiritueller Inhalte wie Meditationslehrer oder
Astrologen können als erweiterte Gesundheitsberufe angesehen werden.
Quereinsteiger
Immer mehr Menschen streben im Laufe des Lebens nach Neuorientierung und mehreren
Berufsfeldern, in denen sie sich verwirklichen können. So finden Angestellte aus der
Finanz- und Versicherungsbranche ebenso wie künstlerische Berufe, Coaching-Dienstleister
oder selbständige Unternehmer immer häufiger zu ayurvedischen Bildungsanbietern. Auch
alle sozialen Berufe wie Erzieher, Sozialarbeiter und Pädagogen unterschiedlicher
Richtungen stellen zunehmend eine wichtige Gruppe ayurvedischer Anbieter dar.
Ayurveda Tätigkeitsbereiche
In welchen Bereichen bieten sich Möglichkeiten der beruflichen Anwendung?
Ich habe die möglichen Tätigkeiten in acht Bereiche unterteilt:
Bereich 1: Ayurveda Heilpraxis
Als Arzt oder Heilpraktiker arbeiten Sie in eigener Praxis, einer Praxisgemeinschaft oder
einer stationären Einrichtung. Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit ist die Durchführung
ayurvedischer Diagnostik, Therapieplanung und medizinischer Anwendungen zur
Linderung bzw. Heilung vorwiegend chronischer und funktioneller Krankheiten.
Bereich 2: Ayurveda Gesundheitspraxis
Sie haben vor Ihrer Ayurveda Ausbildung einen Gesundheitsfachberuf erlernt oder sich als
Quereinsteiger medizinisches Grundlagenwissen angeeignet. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst
präventive Gesundheitsberatungen in den Bereichen Konstitution, Ernährung,
Lebensführung und Psychohygiene und Sie bieten gesundheitsfördernde Anwendungen
wie Massagen und Ölbehandlungen an.
Bereich 3: Ayurveda Kureinrichtung
Sie arbeiten in einem Team aus Medizinern, manuellen Therapeuten, Gästebetreuern,
Yogalehrern, Verpflegungspersonal und organisatorisch tätigen Mitarbeitern. Gemäß der
eigenen Qualifikation ergeben sich zahlreiche Anstellungsmöglichkeiten – ein Paradies für
Teamplayer.
Bereich 4: Ayurveda Produktherstellung und -handel
Sie lieben es, mit ayurvedisch hergestellten Naturprodukten zu handeln und diese als
Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungen im Direktverkauf eines Ladengeschäfts oder
per Versandhandel zu vertreiben. Als Apotheker könnte Sie die Herstellung und Mischung
ayurvedischer Arzneien als neues Betätigungsfeld faszinieren – damit setzen Sie sich
deutlich von anderen Pharmazeuten und dem Internet-Apothekenvertrieb ab.
Bereich 5: Ayurveda Reisen
Vielleicht haben Sie bereits berufliche Erfahrungen in der Touristikbranche gesammelt.
Ayurvedische Gesundheitsreisen boomen seit Jahren – ob als Asienreise nach Indien und
Sri Lanka oder als innereuropäischen Gesundheitsurlaub. Sie können Interessenten in der
Auswahl einer geeigneten Einrichtung beraten oder eigenständig als Kurreiseleiter mit
Gruppen ausgewählte Ziele ansteuern. Nebst aller Arbeit kuren Sie auch immer ein wenig
selbst mit…
Bereich 6: Ayurveda Wellness & Kosmetik
Ihnen liegt das Wohlbefinden des Einzelnen am Herzen und Sie begeistern sich für Genuß,
Verwöhnung, Ästhetik und das Schöne? Als ausgebildeter Masseur oder Kosmetikerin
können Sie das ganze Spektrum ayurvedischer Behandlungen zur Entspannung und
Gesundheitsförderung kompetent einsetzen. Auch Quereinsteiger finden hier oft Ihren
Platz.
Bereich 7: Ayurveda Gastronomie und Kochschule
Was wäre der Ayurveda ohne seine Ernährungslehre und damit verbundene Küche?
Sowohl Köche als auch Ernährungsberater können ihre ayurvedischen Kenntnisse beruflich
im Rahmen einer gastronomischen Einrichtung und einer Kochschule anwenden. Sowohl
Endverbraucher als auch zahlreiche Verpflegungseinrichtungen können hiervon profitieren.
Bereich 8: Ayurveda Bildungseinrichtung
Sie haben selbst den Ayurveda tiefgründig studiert und schon langjährige Erfahrung als
„Ayurveda Professional“ in einzelnen Disziplinen gesammelt? Sie verfügen über didaktische
Qualifikationen, das ayurvedische Wissen unverfälscht, strukturiert und praxisnah
weitergeben zu können? Dann sind Sie für eine Seminar- und Unterrichtstätigkeit
geeignet. Holen Sie sich dennoch gemäß der ayurvedischen Tradition die Bestätigung
Ihrer eigenen Lehrer hierzu ein.
Checkliste für eine Ayurveda Ausbildung
Um die für den eigenen Bedarf geeignete Ausbildungseinrichtung zu finden, empfiehlt sich
eine Checkliste mit folgenden 8 Punkten durchzugehen:
- Tätigkeit: Möchten Sie als Heilberuf oder Anbieter präventiver Maßnahmen tätig werden
und ist der Lehrplan auf die Berufsgruppe zugeschnitten?
- Ausbildungsdauer: Wie viel Zeit können und möchten Sie für Ihre ayurvedische
Ausbildung aufbringen?
- Lehrsystem: Wie viele Präsenzunterrichtsstunden beinhaltet Ihre Ausbildung? Woraus
besteht ein ggf. ausgeschriebenes „betreutes Heimstudium“?
- Lehrkörper: Welche Qualitäten sollten Ihre Lehrer mitbringen? Weisen die in Frage
kommenden Dozenten langjährige Erfahrung a) als Therapeut und b) als Lehrer auf?
- Kontakt: Die Beziehung von Lehrer zu Schüler spielt in der ayurvedischen Tradition eine
überragende Rolle – ist ein persönlicher Kontakt zum Lehrer möglich?
- Praxisbezug: Werden in Ihrer Ausbildung Fallbeispiele besprochen und bearbeitet, wie
sie in der realen späteren Tätigkeit vorkommen?
- Kosten: Welches Budget steht Ihnen zur Verfügung? Wie erreichen Sie den
bestmöglichen „return on invest“?
- Existenzgründung: Erhalten Sie schon während der Ausbildung Unterstützung in Fragen
des Aufbaus Ihrer Tätigkeit?
Aus der Beantwortung der obigen Fragen können Sie die auf Ihr Anforderungsprofil
passende Institution auswählen.
Wirtschaftliche Perspektiven
Ermöglicht eine ayurvedische Berufstätigkeit wirtschaftliche Unabhängigkeit? Diese Frage
ist von großer Bedeutung und bleibt dennoch oft unausgesprochen.
Der Inhaber einer privaten Praxis oder Kureinrichtung ist „therapeutischer Unternehmer“.
Auf dem Weg in die erfolgreiche Selbständigkeit gilt es daher nach dem Erwerb der
fachlichen Qualifikation zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen – hier einige Beispiele:
- Was ist meine Geschäftsidee?
- Worin unterscheide ich mich von meinen Mitbewerbern?
- Welche Zielgruppe möchte ich vorrangig erreichen?
- Welchen Standort und welches Preisniveau wähle ich?
- Welche therapeutischen oder präventiven Dienstleistungen biete ich an?
- Integriere ich eine gewerbliche Einrichtung, bsp. zum Direktverkauf ayurvedischer
Produkte?
Welche Netzwerke und Kooperationen baue ich auf?
Arbeite ich alleine und selbstverantwortlich oder in einem Team mit Aufgabenverteilung?
Wie mache ich die Öffentlichkeit auf meine Angebote aufmerksam?
Welche Gewinnmöglichkeiten bieten meine einzelnen Angebote? Zur Erinnerung: Umsatz
ist nicht gleich Gewinn!
- Wie viel Zeit möchte ich meiner „Arbeit“ widmen und welches Einkommen benötige ich
zur Deckung meiner persönlichen Bedürfnisse?
-
Aus der Beantwortung dieser und weiterer Fragen entwickeln Sie ein Geschäftskonzept
und können in die betriebswirtschaftliche Planung mit einem Unternehmens- und/oder
Steuerberater einsteigen. Nach Ermittlung des Kapitalbedarfs zur Existenzgründung folgen
zumeist Bankgespräche zur Abklärung der Finanzierung. Erst dann geht es richtig los.
Ich empfehle jedem Ayurveda Existenzgründer vor Aufnahme der Tätigkeit qualifizierte
Beratung in Anspruch zu nehmen:
- Unternehmensberater mit ayurvedischem Sachverstand und Marktkenntnis für ein
individuelles Coaching zum Aufbau der eigenen Institution
- Steuerberater zur Klärung aller steuerrechtlichen Fragen und Erstellung der jährlichen
Abschlüsse
- Unabhängiger Versicherungsberater zum Abschluß individuell passender
Berufshaftpflicht-, Rechtsschutz- und privater Versicherungen
- Rechtsberater zur Erstellung von Vereinbarungen mit Patienten und Kunden
Wenn Sie Ihre volle Aufmerksamkeit dem Ayurveda widmen und nebst Wissenserwerb vor
allem Ihre Persönlichkeit entwickeln und ein fundiertes Geschäftskonzept erstellen, werden
Sie künftig zu den erfolgreichen Anbietern mit überdurchschnittlichem Einkommen zählen.
Der Ayurveda: mehr als ein Beruf!
Bei aller rationalen Betrachtung hinsichtlich Zielgruppen, Tätigkeitsbereichen und deren
Wirtschaftlichkeit möchte ich zuletzt einen für mich persönlich und viele Kollegen
entscheidenden Aspekt erwähnen: den Ayurveda in Europa würdig und verantwortungsvoll
vertreten und seine Methoden anwenden zu dürfen, ist wahrlich erfüllend. Sicherlich lässt
sich in anderen „Branchen“ mehr Geld in kürzerer Zeit verdienen, aber um welchen Preis?
Als „Ayurveda Professional“ beschäftigen wir uns tagtäglich mit Menschen und deren
Potenzialen sowie Anfälligkeiten, mit der Natur, ihren Rhythmen und wunderbaren
Substanzen zur Ernährung und Heilung, mit der spannenden Wechselwirkung von Körper,
Sinnen und Geist und mit der Frage nach unserem Ursprung und der Sinnhaftigkeit – das
prägt!
Gibt es etwas Schöneres?

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