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www.detecon-dmr.com
Detecon
Management Report
leading digital!
DMR
blue
Ausgabe 1 / 2014
Wir begleiten Unternehmen
in die digitale Zukunft.
www.leading-digital.com
We make
ICT strategies work•
Detecon Management Report
blue
1 / 2013
www.detecon.com
Detecon Management Report
blue
• 1 / 2014
Alive!
Zwischen Sicherheit und Fortschritt :
Digitalisiert ist besser
„Strategy is a Mentality“ :
Innovation im Zentrum der digitalen Transformation
Pro-Bono-Projekt mit DESERTEC-Foundation :
Wenn die Crowd den Klimaschutz in die Hand nimmt
Alive !
Liebe Leserinnen und Leser,
noch immer beherrschen die NSA-Spähaffäre und die Frage nach der Informa­
tionssicherheit die Medien. Neben die Empörung treten aber auch konkrete Sicherheitskonzepte – und das ist gut. Denn Sicherheit ist die Voraussetzung für die kontinuierliche Weiterentwicklung der digitalen Welt. Ein Zurück gibt es nicht mehr:
Wir befinden uns bereits inmitten der digitalen Transformation. Statt Bedrohungsszenarien brauchen wir deshalb einen gesellschaftlichen Lernprozess, um zukünftig
verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten der Digitalisierung umzugehen. Und
diese sind vielfältig: Vernetzung macht das Leben einfach! Zahlreiche Themen dieser
Ausgabe zeigen sehr konkret, wie digitale Technologien Nutzen stiften können.
Die Lücke zwischen Consumer-IT und Corporate-IT ist allerdings noch lange nicht
geschlossen. Neben innovativen Produkten und Services sind Unternehmen auf­
gefordert, auch intern zum heute möglichen Standard aufzuschließen. Und noch ein
Punkt liegt uns am Herzen: Die digitale Transformation basiert auf einer entsprechenden Infrastruktur. Politisch werden derzeit die richtigen Signale gesetzt, Anbieter müssen den Ball aufnehmen und ihrerseits in den Ausbau der Netze i­nvestieren.
Wir wünschen Ihnen zahlreiche Anregungen und eine gute Unterhaltung!
Ihr
Francis Deprez
CEO, Detecon International GmbH
1
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Inhalt
Zwischen Sicherheit und Fortschritt
Digitalisiert ist besser
4
Cyber Security
Der Irrtum der „gefühlten“ Sicherheit
8
Anti-Spionage-Netzwerk
Clean Pipe Security Services der T-Systems
machen den deutschen Mittelstand sicher
12
„Strategy is a mentality“
Innovation im Zentrum der digitalen Transformation
14
Interview mit Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Telekom AG
Welche Rolle spielt die Deutsche ­Telekom
im Feld von Industrie 4.0? 18
Enterprise Architecture Management als Top-down-Ansatz für Umsetzungsstrategien
Industrie 4.0 erfolgreich gestalten
20
Innovationsmanagement 1
Der steinige Weg von der Idee zu ihrer Implementierung 24
Innovationsmanagement 2
Unternehmenseigene Innovationszentren
und Inkubatoren auf dem Prüfstand
28
Future Telco
Überlebenskampf im Telko-Markt:
Nur integrierte Carrier überleben
30
Interview mit simpleshow-Gründer und Geschäftsführer Jens Schmelzle
Legetrick-Videos gegen Komplexität
32
Customer Self-Services
Empirische Studie belegt hohes Potenzial
aus Unternehmens- und Kundensicht
36
Customer Self-Service in der Versicherungsbranche
“Do it digital!”
Impressum:
Herausgeber:
Detecon International GmbH
Sternengasse 14-16
50676 Köln
www.detecon.com
[email protected]
2
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Aufsichtsrat:
Thilo Kusch (Vorsitz)
Geschäftsführung:
Francis Deprez (Vorsitz)
Dr. Jens Nebendahl
Handelsregister:
Amtsgericht Köln HRB 76144
Sitz der Gesellschaft: Köln
38
Druck:
Kristandt GmbH&Co.KG
Frankfurt/Main
Fotos:
Fotolia
iStockphoto
Leading Digital!
VMS, Fabasoft und Next Kraftwerke
gewinnen Detecon ICT Award
40
Interview mit Bernd Gebert, Gründer und Leiter der Initiative „Das macht Schule“
IT- und Medienbildung an deutschen Schulen
ist Basis für digitalen Wandel
46
M2M-Geschäftsmodelle
Sprungbrett zu mehr Wachstum auf der Basis von Partnering
48
Next Generation Digital Health Services
Diabetes Präventionsportal gibt die Richtung vor
52
Ambient Assisted Living
Hohes Marktpotenzial, aber der Anstoß fehlt
54
eGovernment-Gesetz
Drei Thesen zur Zukunft der digitalen Behörde
56
Wenn einer eine Reise tut …
Ein Bericht über die eGovernment-Städtelandschaft
Deutschlands58
Interview mit Sven Hense, Leiter eGovernment und Open Government Data
„Behördliche Onlinedienstleistungen müssen zu
erledigen sein wie eine Bestellung im Onlineshop“
62
Pro-Bono-Projekt mit Desertec Foundation
Wenn die Crowd den Klimaschutz
in die Hand nimmt
64
Digitale Sinnlichkeit
Tulpenschönheiten aus dem Scanner
68
Wir bedanken uns bei den Co-Autoren:
Svenja Arens
Nadine Kaesler
Tanja Misiak
Jochen Straub
3
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Zwischen Sicherheit und Fortschritt
Digitalisiert ist besser
Die Digitalisierung bahnt sich ihren Weg: Informationen, ­Gegenstände
und Prozesse werden rigoros miteinander ­vernetzt. Maschinen,
­Produkte und Dienste werden immer ­intelligenter. Der Mensch rückt
vermeintlich in den Hintergrund. Dabei dient der digitale Wandel
in erster Linie seinem Wohl und verbessert sein Leben nachhaltig.
Um die Möglichkeiten der Digitalisierung auszuschöpfen, sind mehr
­Sicherheit und Innovationskraft gefordert.
4
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
L
eben war noch nie so leicht wie heute. Die Digitalisierung
schenkt dem Menschen die Möglichkeit, organisatorische und
logistische Aufgaben mit geringem Aufwand geradezu nebenbei zu erledigen. Das gibt ihm mehr Zeit für die wesentlichen
­Dinge. Theoretisch zumindest. Eine Fülle von Software-Tools
und Cloud-Diensten steht zur Verfügung, um jederzeit und
überall die nächste Reise zu planen, Produkte und Dienst­
leistungen zu erwerben und nebenbei die Steuererklärung zu
­erledigen. Der Konsument ist so souverän wie nie zuvor. Er
recherchiert Informationen über nahezu jedes Produkt im Internet, vergleicht Angebote aus der ganzen Welt mit wenigen
Mausklicks oder Wischbewegungen und organisiert sowohl
seine Geschäfte als auch seine Freizeit mit PC und mobilen
Endgeräten. K
­ inokarten samt Platzreservierung gibt es über das
Smartphone, der Tisch für das Abendessen wird aus dem Zug
gebucht und Freunde verabreden sich dank Nachrichten-App
auch zeitversetzt auf dem Weg zwischen zwei Terminen. Noch
nie war es so einfach, den Kontakt mit anderen Menschen zu
halten, kurzfristig Informationen auszutauschen und zu gewinnen.
Der Preis für den Komfort ist häufig die Freigabe eigener D
­ aten.
Passgenaue Suchergebnisse und auf Konsumentenverhalten
und Konsumentenwünsche abgestimmte Angebote gibt es nur,
wenn der Anbieter etwas über Angewohnheiten und Vorlieben des Kunden erfährt. Und genau dieser Umstand sorgt bei
vielen Menschen für Unbehagen. Wer unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln Informationen über eine
Person gewinnt und was mit diesen geschieht, ist oft unklar.
In Deutschland gewährt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dem Einzelnen, selbst darüber zu entscheiden,
welche persönlichen Daten er anderen gegenüber preisgibt und
wie diese Daten verarbeitet werden dürfen. Auch in der Europäischen Union zählt der Schutz personenbezogener D
­ aten zu
den Grundrechten. In den USA hingegen gibt es kaum vergleichbare Gesetze oder Vorschriften. Durch die NSA-Späh­
affäre hat die Datenschutzdebatte ab Sommer 2013 an Brisanz
gewonnen. Das Vertrauen des Bürgers in die digitale Welt ist
erschüttert. Nun ist es einerseits Aufgabe der Staatengemeinschaft, Richtlinien festzulegen, die den neuen Rahmenbedingungen des d
­ igitalen Zeitalters gerecht werden und die Rechte
des Bürgers schützen. Andererseits ist es eine Herausforderung
für die U
­ nternehmen, sichere Angebote zu entwickeln, um das
Vertrauen des Konsumenten zu gewinnen. Gelingt es ihnen,
werden sie die Möglichkeiten der Digitalisierung ausschöpfen,
die immer noch in den Kinderschuhen steckt. Die Wirtschaft
blickt gespannt auf die für das Jahr 2014 erwartete europäische
Datenschutzreform, die mehr Klarheit darüber schaffen wird,
welche Schutzmaßnahmen künftig erforderlich sind.
Die digitale Welt braucht Sicherheit
Nicht nur der Schutz personenbezogener Daten spielt eine
gewichtige Rolle, wenn es darum geht, die Möglichkeiten der
Digitalisierung umzusetzen. Die Sicherheit in der digitalen
Welt muss grundsätzlich verbessert werden. Mit jeder neuen
Schnittstelle und jedem neuen vernetzten Gerät steigt die Verwundbarkeit der Systeme. Das Bundeskriminalamt geht davon
aus, dass täglich etwa 30.000 Cyberangriffe auf Unternehmen
in Deutschland stattfinden. Vielen von ihnen ist das bewusst.
87 Prozent der Unternehmen, die im Sommer 2013 vom Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen
Telekom befragt wurden, gaben an, aus dem Internet angegriffen zu werden. Rund ein Fünftel der Befragten wird sogar täglich oder mehrfach pro Woche attackiert. Nur 13 Prozent sind
der Meinung, bislang von Cyberattacken verschont geblieben
zu sein. Die tatsächliche Zahl von Angriffen und betroffenen
Unternehmen mag höher sein. Wie unbemerkt Aktionen im
Cyberbereich bleiben können, veranschaulicht die Zahl der an
die Öffentlichkeit gelangten Angriffe, die die NSA im Jahr 2011
ausgeführt hat: Von 231 Attacken wurde vor der Spähaffäre
kaum eine bekannt.
Zu viele Unternehmen wähnen sich in Sicherheit, während
Cyberkriminelle und Wirtschaftsspione immer neue Angriffsmethoden entwickeln, um Kundendaten und Know-how
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
zu stehlen und ganze Infrastrukturen zu bedrohen. Dabei
­existieren ausgereifte Sicherheitskonzepte und Lösungen, mit
denen sich Unternehmen schützen können. Auch Detecon legt
einen Schwerpunkt auf das Thema Sicherheit. Zusammen mit
T-Systems arbeiten die Sicherheitsspezialisten ­
­
beispielsweise
an der „Clean Pipe“, einer Lösung, die Unternehmen einen
­sicheren Zugang zum Internet und zu Cloud-Angeboten bietet.
CIOs sind bei der Aufgabe, ihr Unternehmen gegen Angriffe
aus dem Netz zu sichern, nicht auf sich alleine gestellt.
Sicherheit bietet Chance für Innovationen
Der Bedarf an mehr Sicherheit in der digitalen Welt darf nicht
als Hemmnis für technologischen Fortschritt und die Entwicklung neuer Angebote verstanden werden. Gelingt es der Wirtschaft, durch ein hohes und transparentes Schutz- und Sicherheitsniveau mehr Vertrauen auf Verbraucherseite zu schaffen,
öffnet sich ein neues Spielfeld für Innovationen. Viele heutige
Geschäftsmodelle und Angebote wurden erst durch die Digitalisierung möglich. Innovative Apps und Services funktionieren
nur auf Basis vernetzter Informationen, Produkte und Dienste.
Welche neuen Lösungen und Angebote durch den digitalen
Wandel in Zukunft möglich werden, liegt bei der Kreativität
und Innovationskraft der Unternehmen. Im Gesundheitswesen
etwa, insbesondere im Bereich der medizinischen Versorgung,
können vernetzte Lösungen dazu beitragen, die Lebensqualität
der Menschen nachhaltig zu verbessern. Gleichzeitig liegt hier
großes Potenzial für neue Geschäftsmodelle. Ein Beispiel dafür
ist das Präventionsportal Diabetes, das Detecon, die Telekom
und die Central Versicherung gemeinsam entwickelt haben.
Patienten überwachen ihre Vitaldaten auf Basis einer sicheren
Online-Plattform selbst. Angeschlossene Spezialisten empfehlen
ihnen individuelle Maßnahmen zu Sporttherapie und Ernährung. Die Heilungschancen des Diabtes Typ 2 steigen dadurch
und ermöglichen vielen Erkrankten ein besseres Leben.
Die Digitalisierung birgt enormes Wachstums- und Wohlstandspotenzial. Unternehmer wissen, dass Chancen immer auch mit
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Risiken verbunden sind. Mit dem Fortschritt wachsen nicht nur
die Möglichkeiten, sondern auch die Komplexität und die Erwartungen des Kunden. Der digitale, anspruchsvolle und gut
informierte Verbraucher erwartet heute mehr von Anbietern als
noch vor wenigen Jahren. Dieser Trend lässt sich nicht umkehren. Jede neue Generation, die mit digitalen Helfern aufwächst
und bereits im Kindesalter lernt, mit Computer, Smartphones,
Apps und Cloud-Diensten umzugehen, stellt neue Anforderungen an Produkte und Services. Um auch morgen noch attraktiv für ihre Kunden zu sein, müssen Unternehmen bestehende
Geschäftsmodelle an den digitalen Wandel anpassen. Zugleich
gewinnen sie die Möglichkeit, völlig neue Angebote und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Erfüllen Unternehmen die geänderten Konsumentenwünsche, gewinnen sie lukrative Wachstumschancen. Innovationsfähigkeit wird an der Schnittstelle zur
digitalen Dekade zum immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor.
Für Unternehmen ist es deshalb von äußerster Relevanz, Organisationsstrukturen und Prozesse schaffen, die die Entwicklung
innovativer Produkte und Dienste fördern. Dies ist noch längst
nicht überall der Fall, weshalb Innovationen in vielen Organisationen heute noch zum Scheitern verurteilt sind.
Digitalisierung steht noch am Anfang
Die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft
findet jetzt statt. Vernetzte Geräte und Dienste sind binnen
kürzester Zeit zu einem Bestandteil des Lebens geworden. Mit
ihrer Hilfe sind Menschen dazu in der Lage, souveräner zu entscheiden, sich besser zu informieren und mehr Zeit für schöne
Dinge zu gewinnen. Diese Entwicklung hat sich mit rasanter
Geschwindigkeit vollzogen. Die Computerisierung des privaten
Bereichs begann in den 1980er Jahren. 1993 schaltete CERN
das World Wide Web für die öffentliche Nutzung frei und im
Jahr 2004 wurde UMTS in Deutschland kommerziell verfügbar. Erst 2007 erschloss Apple den flächendeckenden Gebrauch
des mobilen Internets mit der Einführung des Smartphones.
In ­wenigen Jahren hat die Digitalisierung soziale Interaktions­
muster und das Kommunikationsverhalten des Menschen
­ auerhaft verändert. Die arabische Welt hat eine Facebookd
Revolu­tion erlebt, nun halten vernetzte und mit Sensoren ausgestattete Datenbrillen, Uhren und Kleidungsstücke Einzug.
Neue Sicherheitsrisiken und Bedrohungen sind ebenso schnell
gewachsen wie die zahlreichen Lösungen, die das Leben h
­ eute
angenehmer machen. Das heißt jedoch nicht, dass sich der
Mensch nun zwischen Sicherheit und Fortschritt entscheiden
müsste: Das digitale Zeitalter steht noch am Anfang. Um ver-
antwortungsvoll mit den Möglichkeiten der Digitalisierung
umzugehen, ist ein gesellschaftlicher Lernprozess erforderlich, den sowohl der Einzelne als auch Wirtschaft und Politik
durchlaufen. Unternehmen, denen es gelingt, sichere Angebote zu entwickeln, die Spaß machen und die Lebensqualität
des ­Menschen verbessern, werden mit neuen Wachstumsmöglichkeiten belohnt. Für die Wirtschaft ist das gut und für den
­Menschen noch besser.
Cyberangriffe auf deutsche Unternehmen
Sicherheit ist wichtiger als Freiheit
87 Prozent der deutschen Unternehmen werden von Cyberkriminellen
angegriffen – jedes fünfte sogar täglich oder mehrmals pro Woche. Das
ist eines der Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter Politikern
und Führungskräften mittlerer und großer Unternehmen, die das Institut
für D
­ emoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag der Deutschen Telekom im
­Sommer 2013 durchgeführt hat.
Nie: 13 Prozent
Täglich: 12 Prozent
79 Prozent der Deutschen entscheiden sich im Zweifelsfall für mehr
­Sicherheit anstatt Freiheit im Internet. Der Schutz ihrer Daten vor A
­ ngriffen
beziehungsweise Missbrauch durch Dritte ist ihnen wichtiger, als die
Möglichkeiten der digitalen Welt ohne Kontrollmechanismen a­ usschöpfen
zu können.
keine Angabe: 1 Prozent
Freiheit: 20 Prozent
Mehrmals in der
Woche: 8 Prozent
Etwa einmal pro
Woche: 5 Prozent
2- bis 3-mal im Monat: 10 Prozent
Seltener: 43 Prozent
Quelle: Cyber Security Report 2013
Etwa einmal im
Monat: 5 Prozent
Freiheit: 20 Prozent
Quelle: LIFE-Kurzumfrage von 1500 Internetnutzern von TNS Infratest im
Auftrag der Deutschen Telekom und der Münchner Sicherheitskonferenz im
Vorfeld des zweiten Cyber Security Summit, 2013
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Cyber Security
Der Irrtum der „gefühlten“ Sicherheit
Krieg und Kriminalität in der virtuellen Welt beschäftigen derzeit ­Staaten wie Unternehmen gleichermaßen.
Ob Online-Spionage, ­Datenklau oder Lahm­legen von Webseiten – jede Cyber-Attacke hat ein tückisches
Merkmal: Wenn der Betroffene die Attacke bemerkt, ist es meistens schon viel zu spät.
iskussionen über Cyber Crime und Cyber War beherrD
schen derzeit die Medien. Diese Aufmerksamkeit war nicht im-
mer gegeben. Bis Ende 2012 wurde das Thema Cyber Crime
­weitestgehend als Fortführung und Verbesserung der aktuellen
Angriffsmöglichkeiten von kriminellen Organisationen gegen
industrielle Vereinigungen oder Organisationen betrachtet.
Und Cyber War wurde von der Allgemeinheit als virtueller
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Krieg zwischen einzelnen Staaten wahrgenommen, der von
staatlichen Organisationen ausgeht und in einer realen Aus­
einandersetzung münden kann.
Die portionsweisen Veröffentlichungen von Edward S­ nowden
führen nun dazu, dass diese Trennung zumindest teilweise
­revidiert werden muss. Es besteht der begründete Verdacht,
dass in Einzelfällen durchaus staatliche Organisationen zu
Cyber-Crime-Attacken eingesetzt werden, um wirtschaftliche
Vorteile für die Unternehmen ihres Landes zu gewinnen oder
wirtschaftliche Nachteile bei Unternehmen anderer Länder zu
verursachen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der Gegner bleibt meistens unerkannt! Doch auch wenn man seinen Angreifer erkennt, bleibt
die Frage offen: Wie sieht eine angemessene Reaktion aus?
­Welche rechtlichen Regelungen sind ohne handfeste Beweise
anwendbar?
Reale Cyber-Attacken wie im Agentenfilm
Jeder Angriff, ob er von einem Scriptkiddyie oder von einer
kriminellen Vereinigung durchgeführt wird, benötigt eine
­definierte Anzahl an finanziellen, personellen, organisatorischen,
physischen oder technologischen Ressourcen. In ­Abhängigkeit
von der Menge der benötigten Ressourcen können die Angriffsvarianten in drei Klassen eingeteilt werden:
Eine der bekanntesten Cyber-Attacken, die öffentlich im
­Internet diskutiert wurden, war der Vorfall zwischen Russland
und Estland im April 2007. Die estnische Regierung ließ ein
­russisches Kriegsdenkmal versetzen. Der russische Anteil der
Bevölkerung von Tallin demonstrierte gegen die Versetzung
des Denkmals an einen aus ihrer Sicht unbedeutenden Ort.
Kurz darauf wurde eine Vielzahl öffentlicher Einrichtungen
wie ­Banken, Ministerien und Krankenhäuser über das Internet durch massenhafte Serveranfragen, die die Kapazität der
­estnischen Server bei weitem überstiegen, angegriffen. Diese
Attacke wurde über derart viele Angriffspunkte geführt, dass die
öffentlichen Einrichtungen mehrere Tage lahm gelegt waren.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Attacke vermutlich
nicht von der russischen Regierung initiiert wurde, sondern von
einer russischen Jugendorganisation – eindeutig nachweisen
lässt sich dies allerdings nicht.
Cyber War existiert in Wahrheit aber schon sehr viel länger.
­Einer der ersten Fälle von Cyber War tobte von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt im Jahre 1980 zwischen der USA und
der Sowjetunion. Die Sowjetunion baute eine transsibirische
Gaspipeline, um die Bodenschätze aus Sibirien in den ­Westen
der Sowjetunion und nach Europa zu exportieren. Da der
­Sowjetunion Know-how fehlte, hat der sowjetische Geheimdienst KGB beschlossen, entsprechende Software aus den USA
zu stehlen. Die CIA nutzte die Gelegenheit, um der gestohlenen
Software für die Kontrollsysteme der Gaspipeline mittels eines
Doppelagenten unbemerkt Schadsoftware beizufügen und die
Kontrollsysteme auf diese Weise zu sabotieren. Nach Fertigstellung der Pipeline war es im April 1982 soweit: Die Schadsoftware verursachte fehlerhafte Anzeigen im Kontrollsystem, große
Teile der Pipeline wurden durch Explosionen zerstört. Durch
diesen Cyber-Angriff verlor die Sowjetunion die Kontrolle über
den Energiemarkt in Europa und erlitt einen enormen finan­
ziellen Verlust. Beide Seiten haben sich über die Hintergründe
des Vorfalls niemals in der Öffentlichkeit gegenseitig beschuldigt.
Drei Ziele, drei Angriffsvarianten
Schon dieser erste Vorfall aus den frühen 80’er Jahren zeigt das
Hauptmerkmal einer Cyber Attacke: Wenn der Betroffene die
Cyber-Attacke bemerkt, ist meistens schon viel zu spät!
Kategorie 1 – Internet-Hacking: Willkürliche Angriffe dieser Kategorie verfolgen einen Angriff auf weitestgehend unspezifische Ziele. Der Akteur versucht, mit sehr begrenzten
Mitteln einen maximalen Erfolg zu erzielen. Dabei sind vor
allem Online-Banking-Daten und Kreditkartendaten das Ziel
des Angreifers. Bei finanzierten Aktionen werden die Opfer
in ihrer Arbeit mit Spam-Angriffen behindert. Bei diesen Angriffen werden meistens die klassischen, über das sogenannte
„Darknet“, der „dunklen Seite“ des Internets, relativ einfach
erhältlichen Scripts durchgeführt. Die zum Angriff genutzten
Tools sind weitverbreit und haben nur eine geringe Komplexität. Sie sind einfach zu bedienen und werden normaler­weise
über die in den meisten Firmen eingesetzten Sicherheitstechnologien erkannt und abgewehrt. Voraussetzung dafür ist lediglich
die ­regelmäßige Aktualisierung der Sicherheitstechnologien wie
zum Beispiel Firewalls und Virenscanner.
Kategorie 2 – Cyber Crime: Im Bereich des Cyber Crime führen
meist Akteure von kriminellen Unternehmen A
­ ktionen g­ egen
Industrieunternehmen durch. Das Ziel können Sabotageak­
tionen sein oder, und das ist der häufigste Fall, der Diebstahl von
Informationen. Bevorzugt entwendet werden die Kronjuwelen
der angegriffenen Firmen, streng vertrauliche unternehmens­
kritische Informationen wie Patent-Entwicklungen und Produktionsverfahren von weltmarktführenden Unternehmen. Für
diese Kategorie von Angriffen stehen umfangreiche R
­ essourcen
zur Verfügung. Die Angreifer bilden oft Auftragshacker-Gruppierungen, um eine größere Schlagkraft zu erzielen und koordinierte Angriffe starten zu können.
Kategorie 3 – Cyber War: Im Cyber War stehen staatliche
­Interessen im Vordergrund. Die Akteure können quasi unbegrenzt auf Ressourcen zurück greifen, um Angriffe erfolgreich
zu gestalten. Kostenaspekte spielen nur eine äußerst untergeordnete Rolle. Während bei Cyber-Crime-Attacken die Beschaffung geheimer Informationen im Vordergrund steht,
werden bei ­Cyber-War-Attacken bevorzugt Sabatageaktionen
ausgeführt, die möglichst eine maximale Zerstörungswirkung
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
zur Folge h
­ aben. Deutsche Industrieunternehmen sind kein
primäres Ziel dieser Kategorie, könnten allerdings in Einzelfällen in den F
­ okus einer Cyber-War-Attacke rücken. Sollte sich
ein feindlicher Staat das Ziel setzen, Unruhen in Deutschland
herbei zu führen, ist beispielsweise eine Sabotageaktion gegen
einzelne ­
Industrieunternehmen, vorrangig Energieversorger,
Wasserwerke und ähnliches, denkbar.
Die Vielzahl deutscher Unternehmen, die als Weltmarktführer
ihrer Branche oder Produktkategorie agieren, stehen definitiv
im Fokus krimineller Vereinigungen, die im Bereich der Kategorie 2 „Cyber Crime“ aktiv sind. Ein Bespiel für eine solche
kriminelle Vereinigung ist die „Hidden Lynx“-Gruppe, die sich
aus 50 bis 100 Personen zusammensetzt. Der Zusammenschluss
soll seit 2009 aus China heraus operieren und gegen Bezahlung
Angriffe auf bestimmte Ziele durchführen. Hidden Lynx ist in
der Lage, hochqualifizierte Cyber-Angriffe weltweit durchzuführen.
Diese professionellen Hacker-Gruppierungen sind auf dem
neuesten Stand der Technik und verwenden Eigenentwicklungen von Schadsoftware. Sie entwickeln Angriffsprogramme,
die sie gezielt für einen bezahlten Angriff auf ein Unternehmen
einsetzen. Die endgültige Kompilierung des Exploits führen
die Hacker erst wenige Stunden vor dem eigentlichen Angriff
durch, um absolut sicher zu gehen, dass dem Ziel der Exploit
beim Angriff nicht bekannt ist. Einem geplanten Angriff, der
zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuführen ist, geht oft eine
Vorbereitung über mehrere Monate voraus.
Kriminelle Vereinigungen wie Hidden Lynx arbeiten wie Wirtschaftsunternehmen. Liegen keine spezifischen Aufträge vor,
führen sie Aktionen gegen aus ihrer Sicht interessante Unternehmen durch. Ziel der Aktionen können Kreditkartendaten,
Kundendaten, personenbezogene Daten oder unternehmens­
kritische Informationen von weltmarktführenden Unter­
nehmen sein. Die gewonnenen beziehungsweise gestohlenen
Informa­tionen werden anschließend zum Kauf angeboten. Dies
erfolgt über das Internet, wo Interessierte über einfache Suchanfragen diese Art von Informationen finden und anschließend
erwerben können, oder durch direktes Anbieten der Informa­
tionen an einen Pool von potenziellen Käufern. Die Ressourcen
für den Diebstahl von Informationen sind bei diesen kriminellen Organisationen in ausreichendem Maße vorhanden. Die
Gewinnmarge ist außerordentlich hoch, da der Kostenfaktor im
Vergleich zum Erlös vernachlässigbar ist.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Sicherheitsstandard von Unternehmen ist nicht ausreichend
In Deutschland haben alle kleinen und mittleren Unternehmen
sowie in besonderem Umfang die großen Konzerne technische
und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um gegen Angriffe über IP-Technologie und die Internet-Infrastruktur gewappnet zu sein. Selbst Kleinunternehmen haben ihren
Internetzugang mindestens mit einer Firewall geschützt. Der
E-Mail-Verkehr wird durch Virenscanner überwacht, auf mobilen Geräten wie Laptops oder Smartphones sind lokale Firewalls
installiert. Viele Unternehmen sichern ihre Daten über diverse
Backup-Mechanismen. Diese technischen Maßnahmen sind
mittlerweile Standard und bewähren sich seit vielen Jahren.
Vor allem die größeren Unternehmen haben in den letzten Jahren viel Aufwand in die Optimierung der Sicherheitsprozesse
gesteckt, die hinter diesen technischen Maßnahmen stehen.
Beispielsweise wurden die internen Abläufe verbessert, um
Sicherheits-Updates schneller auf die betreffenden Systems zu
übertragen. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen
(KMU) steht die Optimierung der vorhandenen Maßnahmen
noch nicht im Vordergrund, da die reine Existenz der Maßnahmen als ausreichend empfunden wird. Bis zu den Enthüllungen
von Edward Snowden herrschte dadurch weitestgehend Zufriedenheit hinsichtlich der Sicherheitssituation der Unternehmen
in Deutschland.
Unbeachtet blieb, dass alle diese Maßnahmen nur gegen Angreifer der Kategorie 1 „Internet-Hacking“ wirksam sind. Firewalls
und Virenscanner sowie alle ähnlichen Sicherheitslösungen
prüfen den Bitstrom auf ihnen bekannte Muster und melden
Alarm, wenn sie ein bekanntes Angriffsmuster erkennen. Unbekannte Muster werden erst als Gefahr erkannt, wenn diese
gehäuft auftreten, da es sich auch um einen Übertragungsfehler
handeln könnte.
Kriminelle Organisationen nutzen neben vielen anderen Möglichkeiten auch diesen Aspekt aus, um unerkannt in Unternehmen eindringen zu können. Sie fahren „langsame Attacken“,
um die Firmenschutzsysteme zu überwinden. Auch wenn Edward Snowden vordergründig die Spionageaktionen von staatlichen Organisationen anprangerte, wurde die Aufmerksamkeit
aller Unternehmen verstärkt auf Cyber-Attacken gelenkt. Alle
Unternehmen haben begriffen, dass die „gefühlte Sicherheit“
auf der Basis vorhandener, jahrelang bewährter technischer
Maßnahmen, ein Irrtum war.
Die Tatsache, dass staatliche Organisationen mit überschaubarem Aufwand in der Lage sind, eine Unmenge an geheimsten
Informationen zu erlangen und quasi in Echtzeit auszuwerten,
demonstriert die Möglichkeit, dass auch kriminelle Organisa­
tionen mit überschaubarem Aufwand zu ähnlichen Ergebnissen
kommen können.
Die in den meisten Unternehmen eingesetzten Sicherheitstechnologien existieren seit über zehn Jahren. Sie wurden in den
letzten Jahren allerdings immer nur optimiert. Sowohl staatliche
Angreifer, also Cyber-War-Soldaten, als auch kriminelle Organisationen kennen diese Technologien ebenso lange und haben
Möglichkeiten entwickelt, um die bekannten Technologien zu
überwinden. Während die Ziele der Angreifer aus Kategorie 1
darin bestanden, Aufmerksamkeit zu erhalten oder die Schwächen von Firmeninstallationen aufzuzeigen, haben kriminelle
Organisationen, die typischen Angreifer aus Kategorie 2, ganz
andere Ziele. In den meisten Fällen möchten diese Angreifer
Informationen beschaffen, ohne dass der Angegriffene merkt,
dass diese Informationen überhaupt entwendet wurden. Ein
anderes mögliches Ziel ist eine Sabotageaktion, die zu einem
definierten Zeitpunkt eine schadenserzeugende Aktion auslöst.
In beiden Fällen geschieht der eigentliche Angriff lange bevor
der Angegriffene trotz der vorhandenen klassischen Sicherheitslösungen wie Firewall und Virenscanner etwas davon bemerkt.
Häufig verschwindet der professionelle Angreifer, ohne Spuren
zu hinterlassen.
Schutzmaßnahmen müssen Angriffe bereits
im Vorfeld verhindern
Durch die intensive öffentliche Diskussion der Spionage­
aktionen der USA fragen sich viele Unternehmen: Welche
Möglichkeiten haben potenzielle Angreifer tatsächlich, um uns
anzugreifen? Gibt es Angriffsszenarien und Möglichkeiten, die
wir noch nicht kennen? Wie gut sind wir mit unseren eingesetzten Maßnahmen geschützt, um gegen hochgradig professionelle
Angreifer zu bestehen?
Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, müssen
Unternehmen potenzielle Angreifer analysieren („Kenne
­
­deinen Feind!“) und die schützenswerten Güter wie Standorte,
­Materialien und Informationen aufnehmen. Danach müssen
sie Angriffsszenarien ermitteln und analysieren. Der Schwerpunkt wird zu Beginn auf die unternehmenskritischen Prozesse
und Systeme oder Informationen gelegt. Nach der Analyse der
vorhandenen Maßnahmen und der Ermittlung einer möglichen
Lücke (GAP-Analyse) können Unternehmen in die Maßnahmenplanung einsteigen. Zu beachten ist, dass die Einfallstore
für Angriffe äußerst vielfältig sind. Neben den Außenpunkten
des Unternehmens wie Webportale oder Internetzugang ist
­jedes einzelne System angreifbar. Dazu gehören alle PC-­Systeme
des Unternehmens. Jeder Laptop, der im Außendienst eingesetzt ist, kann über diverse Schnittstellen, zum Beispiel über
WLAN im Internetcafe, kompromittiert werden. Häufig wird
Schadsoftware über firmeneigene oder private USB-Sticks sowie
über Smartphones unbemerkt in die Firmen hinein getragen.
Neben diesen außerordentlich vielfältigen technischen Angriffspunkten ist auch der Mitarbeiter selbst ein für den professionellen Angreifer äußerst attraktiver Angriffspunkt. Diese
Angriffsform wird „Social Engineering“ genannt. Der Angreifer
gelangt durch konkreten Kontakt zum Opfer an die gewünschten Informationen. Dabei nutzt der Angreifer psychologische
Effekte und gibt sich als Autoritäts- oder Vertrauensperson aus,
verwendet den unternehmensinternen Wortschatz oder spiegelt
Situationen vor, die das Opfer zusätzlich in eine Stress­situation
bringen. Der Angreifer könnte sich zum Beispiel als M
­ itarbeiter
ausgeben, der dringend die Zugangsdaten benötigt, da alle
­Server ausgefallen sind und die Geschäftsprozesse still­stehen. In
einer solchen Stresssituation reagieren viele Angestellte unüberlegt, folgen den Anweisungen des Angreifers und geben schützenswerte Informationen preis.
Doch wie sollte nun ein Unternehmen auf eine Cyber-Attacke
reagieren? Leider muss man offen sagen, dass es keine angemessene Reaktion gibt. Der Schaden ist passiert – der Verursacher ist nicht greifbar! Während man auf Hacking-Angriffe
der ­Kategorie 1 während des Angriffs reagieren kann, müssen
Cyber-Attacken im Vorfeld verhindert werden.
Unternehmen, die sich den aktuellen Bedrohungen stellen, analysieren ihre Situation genauestens und erarbeiten neue technische Maßnahmen zum Schutz ihrer kritischen Assets. Dabei
werden neue Technologien, die auch auf die neuen Angriffsmethoden reagieren, evaluiert und bedarfsgerecht eingesetzt. Für
den optimierten Einsatz der neuen Technologien müssen die
Reaktionszeiten und Prozesse diesen Technologien angepasst
werden. Neben den technischen und organisatorischen Maßnahmen ist die Sensibilisierung und Schulung aller Mitarbeiter
mindestens ebenso wichtig, um professionell auf Social-Engineering-Attacken reagieren zu können. Diese Aktionen unterstützen Unternehmen darin, den Vorsprung von kriminellen
Organisationen zu minimieren – oder sogar auszugleichen.
Torsten Stimmel berät als Managing Consultant seit 15 Jahren
Kunden unterschiedlicher Branchen zu den Themen IT Security
und Informationssicherheit.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Anti-Spionage-Netzwerk
Clean Pipe Security Services
der T-Systems machen
den deutschen Mittelstand sicher
Endlich existiert auf dem Markt eine Lösung, die Unternehmen einen sicheren
Zugang zu Internet und Cloud-Angeboten bietet.
er heute in Deutschland den Wasserhahn aufdreht, braucht
W
sich keine Sorgen zu machen: Es kommt sauberes und gefah-
renlos trinkbares Wasser aus der Leitung. Die Qualität kontrolliert jemand anderes. Clean Pipe funktioniert nach demselben
Prinzip, nur auf die Sicherheit des Datenverkehrs im Internet
bezogen: Über die Clean Pipe Security Services erhalten Unternehmen eine “saubere Datenleitung“ für den Datenverkehr in
und aus dem Internet und müssen sich nicht mehr selbst um
dieses ­Thema kümmern. Den Schutz übernimmt T-Systems als
Serviceangebot.
Schon vor der NSA-Affäre hat T-Systems erkannt, dass es keine
Sicherheitslösung für Mittelstandskunden gibt, die dem Sicherheitsniveau wie eine dedizierte Lösung, jedoch hochstandardisiert und schnell bereitstellbar, entspricht. Aus dieser Erkenntnis
entstand das Projekt „Clean Pipe“ mit dem Auftrag, genau diese
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Lücke zu schließen und den deutschen Mittelstandskunden eine
Lösung mit Datenhaltung in Deutschland anzubieten. Wichtige
Rahmenbedingung ist eine hohe Standardisierung und eine für
den Mittelstandskunden einfache Lösung, da nicht jeder Mittelständler über eine spezialisierte IT-Abteilung verfügt.
Mittelstandskunden sind vor allem Kunden der Telekom
Deutschland, so dass in dem Projekt ein kombiniertes Team
aus Mitgliedern der Telekom Deutschland und der T-Systems
­gemeinsam an der Lösung und Umsetzung gearbeitet haben.
­Detecon hat die Projektleitung übernommen.
Anfang November 2013 wurde das Release 1 des Produktes
­Clean Pipe Security Services in einem sogenannten Softlaunch,
also nur für einzelne reale Testkunden, auf den Markt gebracht.
Das Produkt ist in vier Services aufgeteilt (siehe Abbildung).
Abbildung: Clean Pipe Services zum Softlaunch
Basic Firewall & IPS
Basic-Firewall-Service
inklusive Intrusion-Prevention-Service (IPS)
Web & Mail Security
Sicherer Mail- und
Web-Verkehr, inklusive
Antivirus, SPAM-Schutz,
URL-Blocking
Secure Site Access
Secure Mobile Access
Verschlüsselter und
­authentisierter Datenverkehr zwischen Unternehmensstandorten und
Clean-Pipe-Plattform über
das Smart Security Device
Sicherer Zugriff auf CleanPipe-Plattform für mobile
Mitarbeiter
Quelle: T-Systems, Release 1 (2013)
Der Kunde erhält nur noch ein sogenanntes Smart Security
­Device, einen Router ohne Sicherheitsfunktionalitäten, der einen
gesichteten Zugang in Form einer verschlüsselten Verbindung
zur T-Systems Cloud ermöglicht. Das Smart Security Device
wird hinter dem eigentlichen Internetzugang, der nicht Bestandteil des Clean-Pipe-Produktes ist, in Betrieb genommen. Für dieses Endgerät fiel die Wahl auf einen Router der deutschen Firma
Lancom. Die Wifi-freie Version dieses Routers besitzt die BSI
Zertifizierung gemäß Common Criteria EAL 4+.
Einfach sollte auch die Lösung für die Nutzung mit Blick auf
die Vertragsgestaltung sein. Man entschied sich statt einer
­Abrechnung pro Nutzer (userbasiertes Abrechnungsmodell) für
ein einfaches, bandbreitenbasierendes Modell, da dies der eigentliche Kostentreiber des Angebotes ist. Ergebnis ist ein einfaches,
dreistufiges Preismodell, das auf 2, 10 oder 34 Mbit/s Zugangsbandbreite basiert. Der Einstieg in die Clean Pipe Services ist
ohne Nutzerbeschränkung ab 99,95 Euro pro Monat möglich.
Zusätzlich kann der Kunde seinen individuellen Bedürfnissen
entsprechend weitere Services wie beispielsweise Websecurity
dazu buchen, um dem Bedrohungsszenario „Surfen im Internet“
zu begegnen und das Risiko zu minimieren, sich über „infizierte“
Web-Seiten Viren und ähnliches auf den eigenen Computer zu
ziehen. Für Unternehmen ist es darüber hinaus wichtig, den Zugriff der Mitarbeiter auf nicht gewünschte Internetseiten verhindern zu können.
Die Administration der Services übernimmt der Kunde selbst
über den „Customer Self Administraion“-Zugang. Im ServiceBeispiel Websecurity kann er eines von drei Security-Profilen
„high“, „medium“ und „low“ auswählen. T-Systems pflegt diese
Profile und passt sie laufend an – um Details muss sich der Kunde
nicht kümmern. Im Gegensatz zu einer nicht standardisierten,
aber auch viel teureren kundenindividuellen Lösung benötigt er
keinerlei technisches Verständnis. Allerdings kann er auch keine
individuellen Änderungen einbringen, sondern muss eines der
drei angebotenen Profile annehmen und nutzen.
Zur Zeit werden mit den ersten beiden Softlaunch-Kunden wertvolle Erfahrungen gesammelt, die in das geplante Release 2 eingehen. Release 2 wird zum Mai 2014 live gehen. Dieses Release
ist der eigentlich Marktstart für den deutschen Mittelstand in der
Masse. Wesentliche Änderungen bestehen in der Erhöhung der
internen Automation, dem Launch eines Bestellportals für den
Kunden und zusätzlichen Funktionen wie einer Inbound Mitigation (Datenverkehr) oder der DDos Mitigation. Auch der 155
Mbit/s Anschluss wird ab dem Release 2 mit Clean Pipe Services
schützbar.
Alternativen zu diesem Produkt fehlen bislang auf dem Markt,
was die Erfolgsquote zusätzlich erhöht. So, wie heute jeder sauberes Wasser aus dem Hahn erwartet, kann diese Erwartung
nun auch für den Datenverkehr in und aus dem Internet mittels
­Clean Pipe Security Services erfüllt werden.
Hans Gaiser ist als Managing Consultant seit vielen Jahren in
­Unternehmen als Projektleiter tätig. Zu seinen Schwerpunkt­
themen gehört das weite Feld der Prozesse und das Thema
­Workforce Management im Field Service.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
„Strategy is a mentality“
Innovation im Zentrum
der digitalen Transformation
Die Zukunft der großen Telekommunikationsunternehmen liegt in der digitalen Transformation.
Die Umwandlung „analoger“ in „digitale“, ICT-basierte Geschäftsmodelle ist noch längst nicht am
Ende. Das Beispiel Deutsche Telekom zeigt, wie sich ein Unternehmen als Orchestrator digitaler
Wertschöpfungsnetze formiert. Eine offene Innovationskultur ist Voraussetzung für die erfolgreiche
Positionierung.
14
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
nternehmen aller Branchen stehen heute vor der HerausforU
derung, ihre linearen Wertschöpfungsketten in agile Wertschöp-
fungsnetzwerke zu verwandeln. Statt am Ende einer Kette zu
stehen, müssen sie zu Knotenpunkten innerhalb von IT-unterstützten Netzwerken werden. In diesen Smart Business Networks
können sie ad hoc und flexibel mit Partnern, Zulieferern und
Wettbewerbern zusammenarbeiten und sich mit ihren Kunden
vernetzen. Zwei Grundprinzipien zeichnen diese Netzwerke aus:
Fung die Malls umgeht und sich direkt bei Kunden anbietet. Für
Frauenkonfektion in Indien ist dies bereits der Fall!
Es ist interessant, die Muster der Transformation der „alten“ mit
dem Entstehen der „neuen“ Marktplätze zu vergleichen. Für
­einen erfolgreichen Mall-Anbieter gelten noch heute drei Erfolgsrezepte:
• Die Akteure wählen digitalisierte Geschäftsprozesse rasch aus,
können diese schnell andocken und ausführen: „Pick, Plug and
Play“.
1.
2.
3.
• Sie können sich genauso schnell wieder voneinander trennen:
„Quick Connect and Disconnect“.
Die Erfolgsfaktoren der digitalen Marktplätze lassen sich übertragen:
Auf dieser Basis entwickeln die Teilnehmer des Netzwerks ad hoc
gemeinsam Produkte, stimmen logistische Prozesse ab oder organisieren ihren Vertrieb. Die Basis für diese Zusammenarbeit
bieten digitalisierte, standardisierte Prozesse und modularisierte
IT-Systeme mit offenen Schnittstellen sowie einheitlichen Datenformaten. Aus diesem Status leiten wir Erfolgsfaktoren für eine
Positionierung im Zentrum der digitalen Transformation ab.
1. eine gute Positionierung in den richtigen Wertschöpfungs netzen mit einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur,
2. kaum eigene Endprodukte, ein hoher Anteil von innovativen
Partnerprodukten, die allerdings sehr schnell skaliert werden
können,
3. offene und günstige Vernetzung der digitalen Geschäfts prozesse der Kunden mit eigenen Mehrwertdiensten.
Aufbau effizienter Wertschöpfungsnetze folgt
bekannten Mustern
Das wohl bekannteste Beispiel eines „Orchestrators von digitalen
Wertschöpfungsnetzen“ stellt zweifelsohne Amazon dar. Die
Vielfalt und Lieferqualität dieses ursprünglich für Bücher konzipierten Marktplatzes ist bekannt. Wer heute Buchhändler werden
möchte, findet hier eine vollständige Handelsplattform vor mit
Infrastrukturleistungen in Form von Cloud Computing Services
für Geschäftsanwendungen, die sich nahezu beliebig skalieren
lassen, sowie eine Suite von Geschäftsprozessen und Service­
leistungen – „Business as a Service“. Die Prozesse reichen von der
Produktsuche über Auswahl, Bestellung, Lieferung und Zahlung
bis zur Verwaltung. Und die Kundenbasis liefert amazon.com im
Prinzip gleich mit.
Die Vernetzung lässt sich gut an einer klassischen, amerikanischen Einkaufsmeile („Mall“) verdeutlichen. Die Besucher
– und potenziellen Kunden – kommen bereits mit Navigationshilfen an und sind mit vernetzter Einkaufshilfe und Preisvergleich-Software ausgestattet. Der Mall Provider kann sein Parkleitsystem mit Navigationsdaten speisen und dem Shop-Betreiber
schon relativ präzise voraussagen, wann in den nächsten Stunden
ein Besucheransturm zu erwarten ist und mehr Verkaufspersonal benötigt wird. Auch der Blick hinter die Schaufenster der
US-Einkaufsmeilen zeigt ein ausgeprägtes Bild der Transforma­
tion: 40 Prozent der Bekleidung dort werden von Li & Fung aus
Hongkong ‚orchestriert‘. Das 1906 gegründete Handelshaus hat
im Laufe der Zeit etwa 15.000 Fabriken zu einem virtuellen Produktionsverbund zusammengesetzt und koordiniert alle Prozesse
von Design und Stückliste über die Produktion bis zur Distribution. Gerade weil die Firma niemals eigene Fabriken besessen
hat, kann sie sich gut als Vermittler zwischen den amerikanischen
Brands und den „low-cost“-Produktionsstandorten dieser Welt
positionieren. Sicherlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Li &
die beste Lokation und Infrastruktur,
die populärsten Marken in der Mall,
den Shop-Betreibern und Markenartiklern zusätzlich
Waren und Dienste anbieten zu können.
Der Erfolg dieser Firma basiert zu einem großen Teil auf der
Rastlosigkeit des Firmengründers Jeff Bezos, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Das Produktsortiment wird ständig erweitert, die Randnutzung von Computerleistung und Webhosting
verwandelte sich in ein eigenes, florierendes Geschäft, über das
seit zwei Jahren auch SAP-Software vertrieben wird. Einer der
jüngsten Schritte auf neuem Terrain geht in Richtung „Food“:
Mit „AmazonFresh“ wird derzeit die Online-Bestellung und
Freihaus­lieferung von Lebensmitteln in Seattle und Los Angeles
15
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
pilotiert. Durch die digitale Transformation des Lebensmittelhandels in Verbindung mit Trends wie „convenience food“ entsteht ein ­weiteres neues Geschäftspotenzial, für das sich Amazon
positioniert.
Führend bei Geschäftskunden:
Branchenübergreifende Digitalisierung
Die Deutsche Telekom hat dies bereits erkannt und positioniert sich in Bereichen wie Mobilität, Energie, Versicherungen
oder Smart Home. Die branchenübergreifende Digitalisierung
bietet dem Unternehmen Wachstumschancen auf Basis seiner
eigentlichen Kernkompetenz, der Konnektivität – allerdings
­
im übertragenen Sinne, das heißt auf Basis der Verbindung von
Marktteilnehmern, von Unternehmen mit Unternehmen und
von Unternehmen mit Kunden. Die Deutsche Telekom formiert
sich als Orchestrator, der Prozesse unterschiedlicher Wertschöpfungspartner miteinander vernetzt und Unternehmen eine Plattform bietet, auf der sie erfolgreich Geschäfte abwickeln und mit­
einander konkurrieren. Dabei ist das Potenzial des „Internet der
­Dinge“ für M2M- und Big-Data-Dienstleistungen, insbesondere
für und aus dem industriellen Deutschland, sehr vielversprechend. Die deutsche Industrie setzt mit Konzepten wie „Industrie 4.0“ Standards.
Zwei wesentliche Aufgaben kommen auf die Deutsche Telekom
zu: Zum einen kann sie den Unternehmen eine große Hilfe bei
der eigenen Transformation in das digitale Zeitalter sein. Dazu
hat sie mit T-Systems einen nicht zu vernachlässigenden Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren heutigen Hauptkonkurrenten.
Zum anderen kann sie Plattformen schaffen, auf denen sie d­ iese
Industriekunden mit ihren derzeitigen Kunden – zum Beispiel
144 Millionen Mobilfunkkunden! – sowie neuen Kunden verbindet: Das Unternehmen stellt sein Kommunikationsnetz ­quasi
als Distributionsnetz für digitale Güter zur Verfügung. Die
­Voraussetzungen dazu sind allerdings herausfordernd. Um beim
„Mall-Beispiel“ zu bleiben: Die coolsten Brands und Produkte
können nicht aus eigener Kraft entwickelt werden und sie kommen oft nicht von etablierten Unternehmen, sondern von innovationsstarken Startups. Es muss ihnen so einfach wie möglich
gemacht werden, die Plattformen und Marktplätze zu nutzen
und gegebenenfalls ihre Dienste noch mit Telekom-Diensten zu
veredeln. Dazu müssen die Programmierungsstellen für Anwendungen und Geschäftsprozesse geöffnet und die Diensteelemente
so modular angeboten werden, dass sie den beiden neuen Paradigmen „Pick, Plug and Play“ sowie „Quick Connect and Disconnect“ gerecht werden.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Eine weitere Herausforderung besteht darin, diese offenen Plattformen über den gesamten Footprint des Konzerns sicher zu
stellen, damit die Distribution schnell skalieren kann. Sobald es
möglich ist, allen 144 Millionen Kunden beispielsweise innerhalb von fünf Tagen eine Security-Software anzubieten, nutzbar zu machen und abzurechnen, ist die Deutsche Telekom der
„Mall-Partner“ der ersten Wahl. Dabei gilt es, die im Laufe der
Zeit entstandenen Insellösungen einzelner Ländergesellschaften
zu einer gemeinsamen, skalierbaren Plattform zu entwickeln.
Mit dieser Herausforderung steht die Deutsche Telekom nicht
alleine da. Insbesondere Systemkunden tun sich schwer. Ein Vorstandsmitglied einer global agierenden Versicherung sagte mir vor
kurzem: „Derzeit werden 80 Prozent unserer Geschäftsvorfälle in
nationalen Systemen und 20 Prozent global betrieben. Wenn es
uns gelingt, diesen Anteil umzudrehen und generische Prozesse
wie die Schadensregulierung global zu prozessieren, dann hätten
wir einen immensen Wettbewerbsvorteil.“
Es ist selbstredend, dass diese Kunden der T-Systems in der
Transformation der IT und Geschäftsprozesse der Deutschen
­Telekom selbst einen Benchmark sehen müssen, um sich auf eine
gemeinsame Reise einzulassen. Dazu sind innovative BusinessProcess-Management-Systeme sowie neue Governance-Ansätze
weg­
weisend. Wie wichtig dabei die Vernetzung über Industriegrenzen hinweg ist, wird unter anderem durch die rasanten
Innovationen in der Komplexitätsbewältigung von Big Data
deutlich. So ging einer der Detecon ICT Awards aus 2012 an
den Dresdner Enterprise-Semantic-Search-Anbieter „Trans­
insight“. Mit dem unbeirrbaren unternehmerischen Weitblick
der Gründer, dass sich Erkenntnisse der biologischen Bildanalyse
und Wissensnetzwerke im Life-Science-Bereich auch in anderen
Industrien nutzen lassen, liefern Bioinformatik und Geophysik
neue Bausteine für die digitale Transformation.
Mit Partnern gewinnen
Die konsequente Öffnung geht mit einem neuen Partnerverständnis einher. Der Grundsatz „Innovation durch Kooperation“
wurde durch René Obermann geprägt und gewinnt jeden Tag an
Bedeutung. Obermann hat die Deutsche Telekom darauf ausgerichtet, die Innovationskraft des Silicon Valley zu nutzen. Diese
Innovationskultur eröffnet neue Horizonte, wenn es um Fragen
des partnerschaftlichen Entwickelns geht: Das Valley stellt s­ elbst
ein ausgeprägtes „Smart Innovation Network“ dar. Startups,
­Inkubatoren, Acceleratoren, Venture Capitalisten, Großunternehmen und Universitäten sind hochgradig vernetzt und teilen
ihr Wissen miteinander. Die Ergebnisse sind unübertroffen erfolgreich.
Diese Kultur der Offenheit und Leistungsbereitschaft in das
eigene Unternehmen zu absorbieren, ist nicht trivial. Ein
­
­Lösungsszenario wurde im Mai diesen Jahres von Masayoshi Son,
charismatischer CEO des japanischen ICT-Unternehmens Softbank, angekündigt: Er wird im Zuge der Übernahme von Sprint
in den USA ein Innovationszentrum mit 1100 Mitarbeitern in
der Bay gründen. Es könnte eine zweifelhafte Investition werden,
da es fragwürdig ist, ob so viele der außerordentlichen Talente im
Valley von einer „traditionellen Telco“ rekrutiert werden wollen.
Um sich erfolgreich im Zentrum der digitalen Transformation
zu positionieren, sollten vier Kernkompetenzen im Fokus stehen:
Swisscom hat einen anderen Weg eingeschlagen. Christina
­Taylor, Leiterin der Abteilung Best Experience, war lange Jahre
deren Outpost im Silicon Valley. Sie stellte fest, dass sich dort die
Unternehmenskultur stark glich: Geprägt durch Offenheit teilt
man Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen, stellt den Kunden in den Mittelpunkt jeder Entscheidung, fördert Talente und vor allem: Man lässt Fehler zu. Taylor
bezeichnet diese Art des Arbeitens und Denkens als „Human
Centered Design“ (HCD). Um diesen kulturellen Wandel in die
eidgenössische Zentrale zu importieren, hat sie in einer ehemaligen Postschalterhalle in Bern ein „Treibhaus der Inspiration“,
das „BrainGym“, aufgebaut. Wie prägend HCD für Swisscom
ist, wurde jüngst wieder in Form des erfolgreichen Relaunch der
Shops deutlich.
3. Industriellen Mittelstands- und Systemkunden dabei helfen,
die digitale Transformation und Positionierung in Smart Business
Networks zu meistern.
Sicherlich sieht das jeweils optimale Gesamtszenario für jede
­Unternehmung anders aus. Es sollte derweil unterstrichen werden, dass der „kalifornische Spirit“ auch von deutschen Firmen
mitgestaltet wird. So betreibt die Hasso-Plattner-Förderstiftung
ein Forschungsprogramm an der Stanford University, bei dem
„Design Thinking“ im Vordergrund steht. Der Transfer ins SAPnahe Institut nach Potsdam scheint gut zu funktionieren. Gleichzeitig wurde das „Globale SAP M2M-Kompetenzzentrum“ nach
Palo Alto verlegt, um näher an den globalen Entwicklungen zu
sein. Ein gelungenes Beispiel transatlantischer Innovation!
1. Markttrends und passende Partner frühzeitig erkennen, nahtlose Kundenerlebnisse anbieten, Kunden begeistern!
2. „Easy to partner“ aus Sicht der Anbieterkunden auf Basis
eines offenen und sehr kostengünstigen Prozess- und API-Layers:
One-click-zero-touch!
4.B2B2C-Geschäftsmodelle durch integrierte IP-Netze als
Qualitäts- und Kostenführer schnell zu skalieren, auch über den
eigenen Footprint hinaus.
Die Chancen der digitalen Transformation für die Deutsche
­Telekom sind immens. Dabei hilft ein guter Draht zur Innova­
tion im Valley. Nun geht es um die Umsetzung. Timotheus Höttges‘ Erkenntnisse seiner Stanford-Studienreise aus dem vergangenen Sommer werden sicherlich ein Ansporn sein. Während seines
­Besuchs in unserem Büro in San Francisco sagte er: „Strategy is a
mentality – Strategie ist die Einstellung der ganzen Organisation,
zu wissen, wie man gewinnt.“
Erfolgreiche Positionierung im Zentrum
der digitalen Transformation
Auch für die Deutsche Telekom sind die Transformation der
Unternehmenskultur sowie neue Formen der Zusammenar­
beit ein essenzieller Treiber für den Unternehmenserfolg. Das
Unternehmen will die Service- und Innovationsorientierung
­
der Beschäftigten systematisch steigern und mehr Wettbewerbs­
fähigkeit, Agilität und Unternehmertum erzielen. Es gibt bereits
eine Reihe von sehr guten Initiativen, unter anderem in der Internationalisierung des Managements. Darüber hinaus verfügt die
Deutsche Telekom über eine starke Scouting-, Beratungs- und
Partnering-Präsenz in der Bay Area.
Lars Theobaldt verantwortet als Managing Partner den Bereich
Innovations- und Geschäftsentwicklungsstrategie und berät die
Deutsche Telekom in Deutschland und den USA. Er ist durch
seine Beiträge über die Zukunft des ICT-Marktes bekannt.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Interview
Timotheus Höttges
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG
Von 2009 bis zu seiner Berufung zum Vorstandsvorsitzenden
verantwortete er als Mitglied des Konzernvorstands das Ressort
Finanzen und Controlling. Von Dezember 2006 bis 2009 leitete Höttges im Konzernvorstand den Bereich T-Home. In dieser
Funktion war er für das Festnetz- und Breitbandgeschäft sowie
den integrierten Vertrieb und Service in Deutschland zuständig.
Unter seiner Leitung gewann T-Home die DSL-Marktführerschaft im Neukundengeschäft und entwickelte das InternetFernsehen Entertain zum Massenmarktprodukt bei gleichzeitiger Stabilisierung der Ertragskraft.
Höttges verantwortet das konzernweite Effizienzprogramm
"Save for Service", nachdem er solche Programme bei T-Home
und in den europäischen Mobilfunktöchtern erfolgreich durchgeführt hatte. Von 2005 bis zu seiner Berufung in den Konzernvorstand war Höttges im Vorstand der T-Mobile International
für das Europageschäft zuständig. Von 2000 bis Ende 2004 war
er Geschäftsführer Finanzen und Controlling und später Vorsitzender der Geschäftsführung T-Mobile Deutschland.
Höttges arbeitete nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln drei Jahre in einer Unternehmensberatung, zuletzt als Projektleiter. Ende 1992 wechselte
er zum VIAG Konzern in München, wo er seit 1997 als Bereichsleiter, später als Generalbevollmächtigter für Controlling,
Unternehmensplanung sowie Merger und Acquisitions verantwortlich war. Als Projektleiter war er maßgeblich an der Fusion
von VIAG AG und VEBA AG zur E.on AG beteiligt, die am 27.
September 2000 wirksam wurde.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Die Deutsche Industrie ist das Rückgrat der Wirtschaft und ein
wichtiger Taktgeber Europas. Industrie 4.0 ist eines der Top-­Themen
des nächsten IT-Gipfels in Hamburg. DMR BLUE fragte ­Timotheus
Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Telekom AG:
„
Welche Rolle spielt die Deutsche ­Telekom
im Feld von Industrie 4.0?
Unternehmen der klassischen Produktionsindustrie digitalisieren und vernetzen ihre Geschäftsprozesse zunehmend in Echtzeit, um künftig besser, günstiger und auch flexibler zu produzieren.
Wir als Deutsche Telekom wollen der Industrie als verlässlicher Partner den Weg in diese vierte
industrielle Revolution, die so genannte „Industrie 4.0“, ebnen. Die Produkte und Dienste aus
dem Kerngeschäft des Konzerns wie sicheres Cloud Computing, Breitband- und Mobilfunknetze, komplexe IT-Sicherheitslösungen und das IKT-Know-how aller Kolleginnen und Kollegen
im Telekom-Konzern bilden dabei die Basis. Ziel sind optimierte Kernprozesse der Industrie –
und das weltweit.
Allerdings die Messlatte liegt hoch: Zum einen erwartet die Industrie von unserer Branche, dass
wir solide Lösungen zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten und uns auch kulturell annähern –
denken Sie zum Beispiel an Entwicklungszyklen von Apps im Vergleich zu einem industriellen
Weltpatent. Zum anderen hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hightech-Strategie den
Startschuss für die Industrie 4.0 gegeben und erwartet beim Umgang mit sensiblen Produktions- und Kundendaten bestmögliche Sorgfalt. Datensicherheit und Datenschutz haben für
die Deutsche Telekom auch bei Industrie 4.0 allergrößte Bedeutung. Und auch intern müssen
wir langfristig angelegte, gut durchdachte Partnerschaftslösungen mit Industriekunden angehen. Denn unser Anspruch ist und muss sein, dass sich die Industrie zu 100 Prozent auf unser
Unternehmen verlassen kann.
Einen ersten Erfolg bei der realen Umsetzung von Industrie 4.0 konnten wir schon erzielen.
Wir haben mit CLAAS, dem weltweit führenden Landmaschinenhersteller, eine Partnerschaft
geschlossen. Und hierauf bin ich stolz! Denn in der Weizen- und Rapsernte 2013 haben wir im
Rahmen eines Pilotprojekts gemeinsam mit CLAAS unter Beweis gestellt: Der Einsatz von IKTTechnologien wie LTE, M2M und Cloud Services hat die Produktionseffizienz in der Landwirtschaft messbar gesteigert und auch Arbeiternehmer von unnötigem Stress entlastet.
Zusätzlichen Schub erwarte ich mir aus den aktuellen Koalitionsverhandlungen. Danach soll
Industrie 4.0 ein zentrales Zukunftsprojekt der nächsten Bundesregierung werden. Das sind
gute Signale für Deutschland – denn wir Deutschen werden als der Ausrüster der Welt, als die
“Herzkammer“ der klassischen Industrie im Maschinen- und Anlagenbau, in der Chemie und
im Automobilbau wahrgenommen. Ich wünsche mir, dass Deutschland hier seine gute Position
auf dem Weltmarkt noch weiter ausbaut – lassen Sie uns gemeinsam die Chance wahrnehmen,
die klassische Industrie erfolgreich mit der IKT zu verschmelzen. Hieraus werden sich gute Impulse für unser Land entwickeln. Wir jedenfalls werden unseren Beitrag dazu leisten.“
19
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Enterprise Architecture Management als
Top-down-Ansatz für Umsetzungsstrategien
Industrie 4.0
erfolgreich gestalten
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Direkt aus den Fabrikhallen gewachsene Bottom-up-Ansätze zur Realisierung durchgängiger
Engineering-Prozesse schaffen oftmals nur mehr Systeme, Schnittstellen und Aufwand.
Vielversprechend erscheinen dagegen Vorgehensweisen, bei denen ein Unternehmen vorab festlegt,
welche Fähigkeiten künftig besonders wertvoll sein sollen.
4.0“ ist ein schillernder Begriff, der aktuell sowohl in
„ Industrie
der Praxis als auch in der Wissenschaft intensiv diskutiert wird.
Aufgrund vieler Erfahrungen mit der geringen Trag­fähigkeit
neuer Buzzwords stehen viele Fachleute neuen „Mega-Begriffen“
deutlich abgeklärter und eher skeptisch gegenüber. Und in der
Tat kann es so manchem Manager schwindelig von der sich immer schneller drehenden Spirale der industriellen Revolu­tionen
werden, mit denen er mutmaßlich Schritt halten muss, um erfolgreich zu sein. Wir wollen das begriffliche Schwungrad für
einen Moment anhalten, um zu betrachten, was sich wirklich
hinter „Industrie 4.0“-Ansätzen verbirgt, und erste H
­ inweise
geben, wie diese neuen Produktionsansätze erfolgreich implementiert werden könnten.
Teile steuern ihre Fertigung selbst
Vielfach assoziiert Industrie 4.0 die Vorstellung, dass nach
der modellierten „Digitalen Fabrik“ und der selbststeuernden
„Smart Factory“ nun durch massiven Einsatz von Sensorik und
Aktuatorik sogenannte cyber-physische Systeme (CPS) entstehen, durch die Digitale Modelle und „Smarte Objekte“ ihr
Potenzial voll entfalten können und zu autonomen Einheiten
heranwachsen. Dieser Entwicklung, die vor allem Bottom-up in
den Fabrikhallen voranschreitet, wird das Potenzial einer neuen
industriellen Revolution zugeschrieben – wie schon zuvor der
Mechanisierung (1. industrielle Revolution), der intensiven
Nutzung elektrischer Energie (2. industrielle Revolution) und
der umfassende Digitalisierung (3. industrielle Revolution).
Hier zur Illustration ein Beispiel der Abgrenzung traditioneller
und „Industrie 4.0“-orientierter Produktion:
Wir befinden uns in einer Fabrikhalle, in der in einem mehrstufigen Prozess aus gegossenen Aluminiumblöcken mittels unterschiedlicher spanender Verfahren (Bohren, Fräsen, Gewinde
schneiden) Motorblöcke gefertigt werden.
In klassischen Fertigungslinien erfolgt die Bearbeitung sequentiell anhand des in einem Arbeitsplan vorgegebenen Prozesses.
Hierbei durchläuft der Aluminiumblock eine Arbeitsstation
(Fertigungseinheit) nach der anderen, bis am Ende der Produktionslinie alle Bearbeitungsvorgänge ausgeführt sind.
Im Industrie 4.0-Kontext werden Produkte während ihrer Konstruktion zu cyber-physischen Systemen, indem sie mittels Sensortechnik Daten zu ihren technischen Merkmalen erhalten. So
könnte im vorliegenden Fall ein Aluminiumrohteil beispielsweise auf einem RFID-Chip die Information zur Verfügung stellen,
welche technischen Merkmale zu realisieren sind, um aus dem
Rohteil einen Motorblock zu fertigen, beispielsweise Anzahl
und Ausprägungen von Bohrungen. Die Motorblockfertigung
besteht in diesen Fällen dann aus mehreren Fertigungszellen,
die mittels eines vollautomatisierten flexiblen Logistiksystems
verbunden sind. Somit startet im Rahmen der Fertigungskette ein interaktiver Prozess, bei dem sich zunächst das Rohteil
„anmeldet“ und mitteilt, welche Bearbeitungsschritte es benötigt. Hierbei kommunizieren die Maschinen mit dem Bauteil
und legen anhand des aktuellen Maschinen- und Werkzeugzustandes situativ den nächsten Fertigungsprozess fest. Ist dieser
abgeschlossen, so beginnt erneut die Kommunikation zur Festlegung des nächsten Schritts. Sind alle technischen Merkmale
realisiert, meldet das Produkt den Status ‚fertig‘ und schleust
sich aus der Logistik aus.
Ohne Frage tragen innovative Technologien und neue Konzepte für Fertigungsprozesse damit als Treiber für grundlegende
Veränderungen im Produktionskontext das Potenzial eines
­Paradigmenwechsels in sich. So bewirken autonome ­Navigation
und Fertigungssteuerung des Werkstücks, dass Arbeitspläne
und vorgegebene Prozessstrukturen durch situativ bedingte und
durch das Produkt initiierte Ad-hoc-Prozesse ersetzt werden.
Die konsequente Umsetzung von Industrie 4.0 wird auf diese
Weise bewirken, dass zentrale Funktionen und Organisationsstrukturen der Produktions- und Prozessplanung sowie der Produktionssteuerung deutlich umgestaltet werden.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Bottom-up versus Top-down
Allerdings bleiben Fragen: Wie sind so grundsätzliche Strukturveränderungen in industriellen Unternehmen erfolgreich zu
implementieren? Kann der Anstoß zur erfolgreichen Implementierung von Industrie 4.0 überhaupt aus den Fabrikhallen erfolgen oder sind nicht eher „revolutionäre“ Unternehmens­visionen
und -strategien hinsichtlich des möglichen Paradigmenwechsels
auf denjenigen Managementebenen zu erarbeiten, aus denen
neue Geschäftsmodelle und -prozesse abgeleitet werden ­können?
Wie neuere Untersuchungen verdeutlichen, ist in der Praxis bislang meist das Bottom-up-Verfahren für die Implementierung
durchgängiger Engineering-Prozesse vorzufinden. So betreiben
Unternehmen unter dem Schlagwort der „integrierten Fabrik“
häufig einen hohen Aufwand, um heterogene IT-Systemlandschaften mittels Schnittstellen zu verbinden und fehlende Funktionalitäten auf der Basis neuer Systeme zu ergänzen. Hierbei
werden nicht selten zusätzlich innovative Techniken eingeführt,
um den Grad der Automatisierung zu erhöhen. Dieser Ansatz,
der zunächst unter technischen und wirtschaftlichen Aspekten
vielversprechend zu sein scheint, führt nach unseren Erkenntnissen jedoch häufig zu unbefriedigenden Lösungen. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielschichtig. Ein wesentlicher Faktor
ist, dass technologisch getriebene Veränderungen vielfach Geschäftsfähigkeiten bedingen, die bei einem Bottom-up-Ansatz
in der benötigten Ausprägung noch gar nicht vorhanden sind.
Industrie 4.0: EAM identifiziert zentrale Fähigkeiten
Außerhalb des „Industrie 4.0“-Kontexts haben in den vergangenen Jahren zunehmend Top-down-Ansätze unter dem Begriff
des Enterprise Architecture Management (EAM) Aufmerksamkeit erfahren. Unternehmen versprechen sich hierdurch, neue
Geschäftsmodelle und -prozesse identifizieren zu können sowie
ein besseres Alignment der IT mit den Geschäftszielen zu erreichen. Erste Erfahrungen legen nahe, dass eine Portierung von
EAM-Ansätzen wie beispielsweise TOGAF in den industriellen
Kontext sehr vielversprechend ist. Daher wird im Folgenden der
Einsatz von EAM im Kontext von Industrie 4.0 verdeutlicht.
Abbildung: Industrie 4.0
Geschäftsstrategie
Prozesse
Evolution
Revolution
INDUSTRIE 4.0
Fähigkeiten/Capabilities
Organisation
Informationstechnologie
Digitale Fabrik
Anwendungen
Smart Facrory
Daten
Sensoren
Embedded
Systems
Aktuatoren
...
IT-Architektur
Schnittstellen
Quelle: Universität Stuttgart
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Modelle
Ein wichtiger Bestandteil von EAM ist es, sogenannte Geschäftsfähigkeiten (Business Capabilities) zu identifizieren. Im Kontext
von Industrie 4.0 würde ein Unternehmen beispielsweise festlegen, welchen „Fähigkeiten“ zur erfolgreichen Umsetzung der
Geschäftsstrategie eine besondere Bedeutung zukommt. Eine
solche Geschäftsfähigkeit kann beispielsweise die unter Berücksichtigung des Produktlebenszyklus betrachtete, wirtschaftliche
Erstellung einer neuen Produktvariante sein. In einem nächsten
Schritt können dann Anforderungen an Prozesse, MitarbeiterSkills und die IT-Unterstützung formuliert werden. Im Beispiel
wäre eine Anforderung an die IT-Unterstützung, dass sämtliche an der Konstruktion und Arbeitsvorbereitung beteiligten
Mitarbeiter Informationen über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf den gesamten Produktlebenszyklus erhalten.
In einem weiteren Schritt werden die identifizierten Anforderungen in eine Anwendungs- und schließlich eine Datenarchitektur überführt. Dort kann spezifiziert werden, welche Daten
in welcher Form zur Unterstützung der autonomen Fertigungsprozesse zur Verfügung zu stellen sind. Diese Ziel-Architekturen
lassen sich anschließend mit den Ist-Architekturen abgleichen.
Aus den Unterschieden zwischen Soll und Ist ergeben sich dann
Ansätze für IT-Projekte.
Prof. Dr. Hans-Georg Kemper ist Inhaber des Lehrstuhls ABWL und Wirtschaftsinformatik I an der Universität Stuttgart. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Entwicklung und Implementierung von
Informations- und Kommunikations­systemen für Führungskräfte. In den letzten Jahren wurden von ihm neben empirischen Arbeiten verschiedene Projekte
zu technischen sowie organisatorischen Gestaltungsbereichen der integrierten
­Managementunterstützung.
Dr. Heiner Lasi ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für ABWL und Wirtschaftsinformatik I an der Universität Stuttgart. Er leitet dort den Forschungsbereich
Industrial Intelligence, der unter anderem Forschungsaktivitäten zum Einsatz
von Enterprise Architecture Management in Industriebetrieben adressiert.
Der beschriebene Top-down-Ansatz führt dazu, dass im
­Unterschied zu Bottom-up-Vorgehensweisen die Gesamtkonzepte ausgehend von der Unternehmensstrategie erstellt werden. Davon lassen sich Maßnahmen ableiten, die schrittweise
umgesetzt werden können. Hierdurch wird sichergestellt, dass
der Einsatz neuer Technologien zielgerichtet und wirtschaftlich
erfolgt. Beispielsweise lässt sich ausgehend von den Geschäfts­
fähigkeiten prüfen, inwieweit Cyber Physical Systems im Kontext der industriellen Produktion einen Wertbeitrag liefern können und wie diese in die Anwendungs- und Datenarchitektur
implementiert werden sollten.
Aktuelle Studie zum Thema:
Die Teilnahme an einer aktuellen Studie
zum Thema Industrie 4.0 ist unter
www.uni-stuttgart.de/industrie40
möglich. Teilnehmer der ­Studie erhalten
eine kostenlose Auswertung!
Resümee
Die „4. industrielle Revolution“ wird nicht allein Bottom-up
in den Fabrikhallen umsetzbar sein. Unternehmen, die einen
­Paradigmenwechsel erfolgreich herbeiführen möchten, benötigen Managementkonzepte, die ausgehend von der Geschäftsstrategie Geschäftsfähigkeiten identifizieren und diese mittels
einer gezielten IT-Unterstützung aufbauen.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Innovationsmanagement 1
Der steinige Weg von der Idee
zu ihrer Implementierung
Wenn es um Innovationen geht, messen Unternehmen der Ideenfindungsphase sehr viel Bedeutung bei.
Die echten Herausforderungen tauchen jedoch während der Umsetzung auf.
N
ach wie vor glauben viele Unternehmen, dass der Weg zu
Wachstum und Prosperität im Entdecken „der einzigartigen
Idee“ liegt – und vernachlässigen die Umsetzung der ­Innovation.
Die Erfolgsquote der Produkteinführungen sinkt häufig dann,
wenn Unternehmen verstärkt auf Innovationen setzen, um ihre
Wachstumsziele zu erreichen.1 Auf den ersten Blick scheint
dies ein innerer Widerspruch zu sein. Untersuchungen belegen
1 The Perfect Product Launch“ (2006), IBM
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
j­edoch, dass 46 Prozent der Budgets für innovative Produkte
als Misserfolg enden. Grund dafür ist, dass viele Unternehmen
die Umsetzung der Innovation als „sekundär“ und nicht unbedingt als notwendiges Schlüssel­element des gesamten Inno­
vationsprozesses betrachten. Tatsächlich verbrauchen Unternehmen 84 Prozent der Ressourcen, die Innovationsprojekten
zugeteilt werden, bereits vor der Kommerzialisierung eines Produktes.2
2 3,000 Raw Ideas = 1 Commercial Success!“; Stevens, G.A. und Burley, J.,(2005)
Invent Vermont
Herausforderungen bei der Umsetzung von Innovationen
Die Fähigkeit, immer wieder neue Produkte erfolgreich auf
den Markt zu bringen, gehört zweifelsohne zu den Wichtigsten
überhaupt. Eine schnelle und effiziente Go-to-Market-Strategie
ist unerlässlich. Die Phase der Innovationsumsetzung ­beginnt,
wenn alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten abgeschlossen sind, der Produkt- oder Service-Prototyp getestet und die
Zustimmung zur Kommerzialisierung der Innovation erteilt
wurde. Zu diesem Zeitpunkt ist das Handeln von F&E-Team,
Innovationsteam und den operativen G
­ eschäftsbereichen für
die Innovationsinitiative entscheidend.
Gemeinsam mit der WHU Otto Beisheim School of B
­ usiness
haben wir die gravierendsten Hindernisse, die die Produkteinführung beeinträchtigen können, in vier Dimensionen
gegliedert: menschliche Faktoren, prozessuale und organisa­
torische Herausforderungen, inhaltsrelevante und technische
­Herausforderungen sowie externe Herausforderungen.3
Menschliche Faktoren spielen aufgrund der hohen Dichte der
Interaktionen während der Umsetzung einer Innova­tion bei
der Definition der Erfolgs- oder Misserfolgs­quote eine zentrale R
­ olle. Eine wenig treibende Innovationskultur oder ­der
­Motivationsmangel, das Thema Innovation in den täglichen
Geschäftsablauf zu integrieren, sowie Risikofeindlichkeit sind
die typischen Gründe, die die Umsetzung von Innova­tionen
gefährden.
3 Erfolgsfaktoren von Innovationen während der Launch-Phase“, Detecon (2012)
Traditionell versuchen Organisationen, Innovationsinitiativen
in die bestehende Organisation einzupassen. Doch wenn es
um die Organisationsstruktur geht, erfordert die Umsetzung
von Innovationen schlanke Strukturen und flexible Prozesse,
­Meilensteine und Budgets müssen individuell auf die Innovation zugeschnitten sein. Während der finalen Pre-Launch-Phasen
eines neuen Produktes ist ein effektiver Kommunikationsaustausch zwischen den Abteilungen erfolgskritisch. Eine derart innovationsunterstützende Organisationsstruktur mit angepasster
Governance und schlanken Prozessen für rasche Entscheidungsfindungen ist jedoch selten vorhanden. Versuchen Unternehmen, die Umsetzung der Innovation lediglich als einen weiteren
üblichen Prozess oder eine Standardtätigkeit in ihre bestehende
Organisation einzupassen, ist das Scheitern vorprogrammiert.
Mangelnde Kenntnisse der operativen Bereiche über Innovationen sind die Hauptquelle des Scheiterns in der Dimension
der inhaltsrelevanten und technischen Herausforderungen.
Traditionell sind es die F&E-Teams, die sehr viel Zeit für die
Entwicklung innovativer Produkte aufwenden und sich im
Hinblick auf diese speziellen Produkte oder Services zu wahren
Experten entwickelt haben. Das gilt nicht notwendigerweise für
die Geschäftsbereiche, die die Markteinführung verantworten.
Um es ganz deutlich zu formulieren: Hier wird etwas von einem
Experten an einen Anfänger übertragen. Das führt natürlich
zu Problemen, wenn es um die Optimierung des Rollouts, der
Use Cases und des Werbematerials geht. Das fehlende Wissen
und die ungleiche Verteilung der Innovationsfähigkeiten innerhalb der Organisation führen in der Endphase – nämlich beim
Markteintritt – zu einer erheblichen Senkung der Erfolgsquote.
Abbildung 1: Durchfallquote neuer Produkte
3000 Ideen
100 Projekte
2
Launches
1
Erfolg
45 % aller Ressourcen,
die US-Unternehmen neuen
Produkten zuweisen, werden für
erfolglose Produkte aufgewendet
84 % der vergeudeten Ressourcen
sind bereits vor der
Kommerzialisierung verbraucht
Quelle: 3,000 Raw Ideas = 1 Commercial Success!“; Stevens, G.A. und Burley, J.,(2005) Invent Vermont
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Die Liste der externen Faktoren ist äußerst umfangreich.
­Allerdings liegen diese meistens außerhalb des Ermessensbereichs und sollen hier vernächlässigt werden.
Wie Innovationen zum Erfolg führen können
Ausgangspunkt für die Bewältigung der Innovationshindernisse
ist das Bewusstsein über die grundlegende Inkompatibilität von
Innovationsinitiativen und dem operativen Geschäft des Unternehmens: Unternehmen sind bestrebt, den bestehenden Betrieb gewinnbringend zu managen, um so die Investitionen der
­Stakeholder zu maximieren. Dazu muss der Schwerpunkt darauf liegen, alle Aufgaben, Prozesse und Aktivitäten so effizient,
berechenbar und reproduzierbar wie möglich zu gestalten. Das
Ziel innovationsorientierter Projekte hingegen besteht zunächst
darin, etwas völlig Neues zu entwickeln, das es im Unternehmen bislang nicht gibt. Damit einher gehen Risiko, Ungewissheit und Außerplanmäßigkeit.
Dieser grundlegende Unterschied verursacht Reibungspunkte
zwischen Innovation und Betrieb, aus denen sich die zuvor beschriebenen Herausforderungen ergeben. Visionen, Abläufe,
Rekrutierungs- und Entwicklungsprogramme operativ gesteuerter Unternehmen befassen sich schwerpunktmäßig mit
Aufgaben, die die aktuelle Nachfrage abdecken, aber nicht die
zukünftige. Unternehmen verfangen sich in operativen Zyklen,
die Innovation bleibt auf der Strecke.
Vijay Govindarajan, einer der weltweit führenden Experten und
Pioniere zum Thema Strategie und Innovation, hat erkannt, dass
der Schlüssel zur Steigerung der Erfolgsquote bei Produkteinführungen darin liegt, sich genau mit dieser Inkompatibilität
auseinanderzusetzen.4 Zwei grundlegende Elemente sind für
jedes Innovationsprojekt erforderlich: eine maßgeschneiderte
Organisationsstruktur und ein Plan für Innovationen, der auf
„diszipliniertem Experimentieren“ basiert.
Die Entwicklung einer maßgeschneiderten
Organisationsstruktur
tigen Innovationsinitiativen zumindest ausreichend flexibel und
unabhängig vom Standardprozess des Unternehmens ist.
Bei der Gestaltung der Struktur empfehlen wir eine Grundform
aus zwei Gruppen: ein Teilzeit- und ein Vollzeitteam. Bei der
ersten Gruppe handelt es sich um Mitarbeiter aus dem bestehenden Unternehmen, die für die Umsetzung der Projekte herangezogen werden. Sie übernehmen Aufgaben, für die sie die
erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen, und die
Führung bei solchen Aufgaben, die innerhalb der Organisation
leicht abzubilden sind. Die Aufgabe des zweiten Teams besteht
darin, die Fertigkeiten, die innerhalb der Organisation nicht bereit gestellt werden können, zu ergänzen – möglicherweise auch
durch Externe, und solche Aufgaben zu übernehmen, die außerplanmäßig und ungewiss sind und über den Umfang der bestehenden Struktur hinausgehen. Dennoch obliegt beiden Teams
gemeinsam die Verantwortung über die Zusammenarbeit bei
der Markteinführung des innovativen Produkts.
Um die Aktivitäten angemessen zu steuern, sollten die Teams
gemeinsam einen Einzelprojektplan nutzen und anhand derselben KPIs gemessen werden. Herkömmliche Methoden der
Leistungsmessung sind in diesem Umfeld allerdings ungeeignet. Unterstützen kann dagegen ein künstlicher Rahmen zur
­Messung der Innovationsleistung, wie er in Zusammenarbeit
mit der Universität Berlin entwickelt wurde: ein ganzheitliches
sechsdimensionales Modell zur Messung des Innovations­
managements, das über den traditionellen Fokus auf leicht
messbare Ergebnisse hinausgeht und stattdessen auf Schlüsselaktivitäten und Erfolgsfaktoren der Innovationsaufgabe ausgerichtet ist. Die sechs Dimensionen setzen sich zusammen aus
Inputs, Ideen- und Wissensmanagement, Innovationsstrategie,
Organisationskultur und -struktur, dem Innovationsprozess
einschließlich Projekt, Portfolio und Management sowie Outputs und Ergebnisse.5 Das Messen der Leistung der Teamstruktur unter Verwendung innovationsangepasster Frameworks ist
absolut notwendig, um den Prozess verfolgen und das Team
während des gesamten Umsetzungsprozesses der Innovation
lenken zu können.
Im Grunde genommen erfordert jede Innovationsidee ihre eigene maßgeschneiderte Organisationsstruktur. Vergleichbar
ist dies mit dem Eingehen einer neuen Partnerschaft: Da jeder
Partner individuell ist und seinerseits Beziehungen mit Dritten
mitbringt, ist dessen Struktur normalerweise nicht perfekt an
die bestehende eigene Organisation angepasst. Umsetzbar ist
beispielsweise eine Struktur, die zur Anpassung an die vielfäl-
Ein Innovationsplan, der auf „diszipliniertem Experimentieren“ basiert
4 The other side of innovation, Vijay Govindarajan & Chris Trimble (2010)
5 Innovation Performance Measurement: Assessing and driving the Innovation
Performance of Companies”, Steven Schepurek & Eric Dulkeith (2013)
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Innovationen durchführen bedeutet für ein Unternehmen, sich
in hohem Maße der Ungewissheit auszusetzen. Darum erfordern Pläne zur Umsetzung von Innovationen einen anderen Ansatz als solche, die für den täglichen Betrieb anzuwenden sind.
Alle Innovationsinitiativen sind – unabhängig von Größenordnung, Dauer oder Zweck – Projekte mit ungewissem Ausgang.
Deshalb sollte der Plan dem Projektteam zu jedem Zeitpunkt
notwendige Änderungen erlauben. Noch wichtiger ist, dass der
Plan es dem Team ermöglicht, Ungewissheit in Wissen umzuwandeln. Aus diesem Grund sollte ein innovationsorientiertes
Projekt so geplant und umgesetzt werden, als ob es sich um eine
aus mehreren Teilen bestehende Reihe von Experimenten handeln würde.
Auch wenn man viele Überlegungen darüber anstellen kann,
wie die Experimente durchzuführen und Hypothesen aufzustellen sind, gibt es einen formalen Prozess, der als wissenschaftliche
Methode bezeichnet wird. Er hat sich in solchen Situationen
als erfolgreich erwiesen, in denen während der Erforschung von
Themen mit hoher Ungewissheit fortlaufend Wissen erlangt
wird (Abbildung). Vor Durchführung des Experiments ent­
wickelt das Team einen Anfangsplan. Dann prognostiziert es
die Hypothesen und dokumentiert die sich darauf stützenden
Annahmen.
Schwerpunkt bei der Umsetzung einer Innovation liegt darin,
die Hypothese so schnell wie möglich zu prüfen und zu verbessern, so dass dieser Ansatz letztendlich zu konkreteren und
zuverlässigeren Ergebnissen führt.
Aus unternehmerischer Sicht besteht die Hauptstrategie darin,
den Aufwand und die Ressourcen bei jeder Iteration zu verringern, um so ständig mehr Erkenntnisse zu erhalten. Das Management sollte stets daran denken, dass das Ziel darin besteht,
einen Lernprozess zu etablieren, der dem Team hilft, Ungewissheit in Wissen umzuwandeln. Dies führt zu mehr verlässlichen
Vorhersagen und letztendlich zu einer erfolgreichen Umsetzung.
Jede Innovation ein eigener Prozess
Die Jagd nach einer innovativen Idee ist herausfordernd, aber
lediglich der Anfang einer innovationsorientierten ProjektOdyssee. Viele Unternehmen konzentrieren sich stark darauf,
Ideen zu generieren, zu kultivieren und auszuwählen, betrachten aber die eigentliche Umsetzung als sekundär. Die Idee in
einen echten Erfolg umzuwandeln, erweist sich jedoch meist als
wesentlich schwieriger.
Abbildung 2: Die wissenschaftliche Methode
Das Experiment planen
(oder den Plan überarbeiten)
Prognosen und Ergebnisse
vergleichen, „Lessons
Learned“ bewerten
Ergebnisse prognostizieren und die sich darauf
stützenden Annahmen
dokumentieren
Experiment durchführen,
Messungen aufzeichnen,
Beobachtungen
dokumentieren
Quelle: Detecon
Anschließend beginnt das Team mit der Durchführung des Experiments. Das Ergebnis des Experiments ist eine gründliche
Analyse, die die Kausalität bestimmt. Sobald die Möglichkeit
besteht, die Ergebnisse zu validieren, können der Plan überarbeitet und die Hypothesen und Annahmen aktualisiert werden.
Worin liegt der Unterschied zu Standardplänen? Das Ziel eines
Standardplans besteht in der Umsetzung. Bei einer Innova­
tionsinitiative ist der Plan jedoch eine Hypothese. Der primäre
Von externen Schwierigkeiten, die häufig außerhalb des Ermessensbereichs liegen, einmal abgesehen können die Probleme
gelöst werden, wenn das Management sich der Inkompatibilität zwischen dem laufenden Geschäftsbetrieb und den innovationsorientierten Projekten bewusst ist. Diese Inkompatibilität
besteht aufgrund der Tatsache, dass der tägliche Betrieb darauf
abgestellt ist, Situationen mit einem hohen Grad an Gewissheit und Routine zu bewältigen, innovationsorientierte Projekte
aber exakt auf das Gegenteil ausgerichtet sind.
Bei Innovationen geht es nicht nur um die Ideen. Die richtigen
Ideen zu haben, ist nur der erste Schritt, denn ohne einen geeigneten Motor zur Umsetzung bleibt Innovation mehr oder
weniger eine Totgeburt. Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt: „Das echte, wahrhaft große Talent aber findet sein
höchstes Glück in der Ausführung“. Für jede Initiative ein spezielles Team aufzubauen und einen Plan zu entwickeln, ist keine
leichte Aufgabe. Es ist jedoch eine unerlässliche Notwendigkeit,
wenn Innovation gelingen soll.
Dr. Eric Dulkeith ist Mitglied der Strategy Group, Detecon Inc.,
in Kalifornien, USA. Er berät Unternehmen zu Innovations­
management und Geschäftsentwicklung konvergenter Technologien,
Produkte, Services und Märkte.
Ricardo Grinberg ist Mitglied der Strategy Group, Detecon Inc.,
in Kalifornien, USA. Er berät Unternehmen bei der Identifizierung
und Entwicklung von Wachstumspotenzialen.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Innovationsmanagement 2
Unternehmenseigene Innovationszentren
und Inkubatoren auf dem Prüfstand
Die Idee, unternehmenseigene Innovationszentren oder Inkubatoren zu nutzen, ist hervorragend. Konzeption und Umsetzung sind leider oft mangelhaft. Fünf Ansatzpunkte entscheiden
über den Erfolg.
as Thema Innovation steht auf der Agenda der UnternehD
men ganz weit vorne. Unternehmen sind bestrebt, Prozesse und
Strukturen so zu entwickeln, dass sie von den Wettbewerbsvorteilen einer Innovation profitieren können. Die Realität zeigt jedoch, dass die existierenden Ansätze, eigene Innovationszentren
oder Inkubatoren zu nutzen, hinsichtlich der Entwicklung innovativer Produkte und Services mehr Hindernis als Beschleuniger sind. Fünf Ansatzpunkte können die Situation verbessern.
Eine klar definierte Strategie durch die Muttergesellschaft
Die Muttergesellschaft kann unterschiedliche Strategien für das
Innovationszentrum oder den Inkubator implementieren: Es
kann als Corporate-Research-Hub agieren, denn ein Vermächtnis vieler alteingesessener Unternehmen ist, dass sie über bedeutende F&E-Labs verfügen, die hervorragende Primärforschung
betreiben. Es kann die Innovationskultur fördern und den
Grundstein für einen internen kulturellen Wandel legen: Der
„Kontrollstil“ soll durch einen Arbeitsstil ersetzen werden, der
von einem kollaborativen Ideenaustausch geprägt ist. ­Schließlich
kann es auch die Strategie erfüllen, neue P
­ rodukte und S­ ervices
zu lancieren: Das Interagieren mit der Start-up Community erlaubt eine Vorausschau auf potenziell neue Trends, bevor diese
die kritische Masse im Markt erreichen.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Leider besteht bei Unternehmen die Tendenz, Ansätze zu kombinieren, was zwangsläufig zu Ineffizienz und einem Mangel an
strategischer und operativer Effektivität führt. Eine klar definierte Strategie ist aber unverzichtbar, um sicherzustellen, dass
die operativen Prozesse auf einer starken und stabilen Grundlage basieren. Denn weder erforderliche Prozesse noch persönliche Eigenschaften sind austauschbar: Ein wissenschaftlich
orientiertes Innovationszentrum, in dessen Mittelpunkt die
Primärforschung steht, erfordert gänzliche andere Prozesse und
Mitarbeitereigenschaften im Vergleich zu einem Inkubator, der
sich mit der Entwicklung neuer marktfähiger Produkte und
­Services befasst.
Der „Mix-and-Match-Ansatz“ hat sich wiederholt als nicht praktikabel und Verschwendung von Ressourcen ­erwiesen. Ohne klare strategische Ausrichtung entwickeln sich I­ nno­vationszentrum
oder Inkubator lediglich zu einer weiteren K
­ ostenstelle anstatt
zu einem Zentrum für Innovations­exzellenz.
Klare Definition von kurz-, mittel- und langfristigen Zielen
Das unternehmerische Denken von Start-ups ist auf das aktuell
Notwendige ausgerichtet, man reißt sich um jeden Erfolg, der
kurzfristig zu erlangen ist. Innovationszentren und Inkubatoren
sollen ihnen Kontinuität vermitteln. Damit sie Start-ups unter
dieser Prämisse die geforderte Unterstützung zukommen lassen
können, müssen ihre eigenen Ziele intern angepasst sein. Oft
genug können sie ihre Ziele nicht mit punktgenauer Präzision
definieren und verlieren deshalb an Effektivität. Dieser Umstand ist auf diverse Entscheidungsträger und organisatorisches
Chaos zurückzuführen: Wenn es einer großen Personenzahl
gelingen muss, einen Konsens zu erlangen, sind Interessenskonflikte und langsame Entscheidungsprozesse vorprogrammiert. ­Insbesondere während der kritischen Frühphasen eines
Start-ups ist ein Innovationszentrum oder Inkubator dann
nicht mehr in der Lage, dieses mit geeignetem Fachwissen und
Richtungsvorgaben zu versorgen. Unklare Zielvorgaben führen
im Unternehmen zu Verwirrung, bewirken organisatorisches
Chaos, verschwenden kostbare Ressourcen und bringen wichtige Zeitpläne durcheinander. Erfolgsfaktoren sind deshalb die
Übereinstimmung von Zielen und Strategie und die Gewähr­
leistung der Durchgängigkeit aus zeitlicher Sicht.
C-Level-Support und konstante Richtungsvorgaben
Ständige Änderungen der Richtungsvorgaben und im Support
machen es für Innovationszentren oder Inkubatoren nahezu unmöglich, in spezifischen Bereichen Fachwissen zu entwickeln,
von dem die Muttergesellschaft potenziell profitieren kann.
C-Level-Support und konstante Richtungsvorgaben müssen
deshalb gewähr­leisten, dass Programme und Projekte effektiv
laufen und Ziele erreicht werden können. Ein äußerst wichtiger Bestandteil für erfolgreiche Innovationszentren oder Inkubatoren sind starke persönliche Beziehungen und Bindungen,
die zwischen ihnen und den Führungskräften auf der C-Ebene
bestehen. Erfolgreiche Start-ups werden von Unternehmern
geleitet, die mit ­ihrer Arbeit leidenschaftlich verbunden sind.
Innovationszentren und Inkubatoren benötigen deshalb Führungskräfte, die ihre Vorhaben mit demselben Enthusiasmus
verfolgen – obwohl der Weg zum Erfolg im Vergleich zu herkömmlichen Unternehmensprojekten noch unkalkulierbarer
ist.
Manager mit den richtigen Eigenschaften
Ob es einem gefällt oder nicht: Innovationen unterliegen keinem Prozess. Sie basieren auf individuellem Talent und dem gesamten Start-up-Ökosystem. Das macht es schwierig, geeignete
Personen zu finden, die den Innovationstrieb in Gang setzen
und aufrecht erhalten, der für den Aufbau eines innovativen
Start-ups erforderlich ist. Die Eigenschaften, die das Aufsteigen
in der Unternehmenshierarchie ermöglichen, unterscheiden
sich dramatisch von denen, die für den erfolgreichen Aufbau
eines Start-ups erforderlich sind. Um in einem klassischen Un-
ternehmensumfeld Hochleistungen zu erbringen, müssen sich
Mitarbeiter durch diverse Prozessstufen navigieren und zeitaufwendig „hochdienen“. Verhandlung heißt, Kompromisse zu
erzielen. Start-ups brauchen aber Fähigkeiten wie unkonven­
tionelles Denken, schnelles Umdenken, Arbeiten und Entscheiden in Ad-hoc-Abläufen. Fehlende Bürokratie und das Erfordernis, dass jeder Mitarbeiter jederzeit mit anpacken müssen,
schaffen Transparenz: Start-up-Mitarbeiter wissen, dass sich ihr
Handeln unmittelbar auf das Unternehmensergebnis auswirkt.
Diese ­Eigenschaften müssen sich im Management der Innovationszentren und Inkubatoren spiegeln.
Passende Infrastruktur
Viele Innovationszentren oder Inkubatoren verfügen nicht über
die richtige Infrastruktur. Wichtiger Bestandteil von Inkubatoren oder Innovationszentren sind Mentoren, die über weit­
reichende Erfahrungen beim Aufbau und Voranbringen von
Start-ups verfügen. Greifen Innovationszentren oder Inkubatoren nur auf Mentoren aus ihren eigenen Unternehmensreihen
zurück, liefern sie Start-ups nicht die Infrastruktur, die diese zur
Entwicklung benötigen. Ein unabhängiges Beratergremium,
dessen Mitglieder Beratungsleistungen erbringen, die nicht von
unternehmenspolitischen Interessen geleitet sind, ist ebenfalls
unabdingbar. Ohne dieses Gremium fehlt sowohl aus strategischer als auch aus operativer Sicht die gegenseitige Kontrolle, die gewährleistet, dass Innovationsbereiche ihre strategische
Vision so effektiv wie möglich verfolgen. Letzter Punkt ist die
Branchenerfahrung: Start-ups benötigen branchen­
spezifische
Beratung. Denn was in der einen Branche funktioniert, muss
das nicht notwendiger Weise in einer anderen tun – was insbesondere dann zutrifft, wenn ein Start-up auf einen ganz
­speziellen Markt ausgerichtet ist.
Traurige Realität bei vielen Innovationszentren und Inkubatoren: Sie weisen oft mehr als eine der genannten Schwachstellen
auf. Konkret lässt sich das an den anhaltend flauen Ergebnissen
nachweisen, die existierende Innovationszentren und Inkubatoren aktuell erzielen. Beheben Unternehmen nicht schnell
die grundlegenden Probleme in ihren Innovationszentren oder
Inkubatoren, verschenden sie nicht nur wertvolle Ressourcen.
Auch die Begeisterung für Innovation generell wird schwinden.
Das wäre dramatisch, denn Innovationsfähigkeit wird in der digitalen Welt zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor.
Eric Quon-Lee berät als Managing Consultant Unternehmen
zu Innovationsthemen. Er ist Mitglied der Strategy Group,
Detecon Inc., in Kalifornien, USA.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Future Telco
Überlebenskampf im Telko-Markt:
Nur integrierte Carrier überleben
Der Datenverkehr steigt, die Umsätze pro Kunde sinken. Carrier müssen ihre Netzinfrastrukturen modernisieren und neue Kapazitäten schaffen. Möglich ist das nur, wenn die Politik einen
­geeigneten regulatorischen Rahmen schafft und Telekommunikationsunter­nehmen neue Erlösquellen ­erschließen. Im Wettbewerb um den Endkunden behaupten sich ausschließlich integrierte
Carrier, die ihren Kunden attraktive eigene und partnerschaftlich organisierte Angebote bieten.
nsbesondere drei Faktoren setzen die Telekommunikations­
Iindustrie
unter Druck und sorgen dafür, dass sich die Land-
schaft der Netzbetreiber in den nächsten fünf Jahren maßgeblich verändert: Der stetig wachsende Datenverkehr in den
Netzen, der Erfolg von Over-The-Top-Playern (OTT) und der
intensive Preiswettbewerb unter den Carriern. Carrier konkurrieren auf der Diensteebene immer stärker mit OTT-Playern.
Dazu z­ählen einerseits Anbieter wie Google und Apple, die
komplette Öko­systeme aus Endgerät, Betriebssystem, Diensten
und Apps ­bieten, und anderseits eine unüberschaubare Masse
­spezialisierter Diensteanbieter wie Dropbox, Spotify, WhatsApp und v­ ielen mehr. Im Unterschied zu klassischen Telekom­
munikationsunternehmen bieten OTT-Player weltweit skalierende Dienste an, die sowohl Skalen- als auch Verbundeffekte
­(Economies of Scale and Scope) realisieren. Dies gilt für den
longtail- genauso wie für den shorttail-Bereich an Diensten.
Ihre Innovationsgeschwindigkeit ist für Carrier unerreichbar.
Die Erfahrung zeigt, dass deren mit OTT-Angeboten konkurrierende Produkte in der Regel zu spät kommen und nur eingeschränkt erfolgreich sind.
Das Verhältnis von Telekommunikationsunternehmen zu
OTT-Anbietern ist ­ambivalent: Attraktive Endgeräte und Dienste haben das Kerngeschäft der Carrier befördert, indem sie die
Nachfrage nach breitbandiger Konnektivität maßgeblich erhöht
haben. Gleichzeitig ­tragen die OTT-Player dazu bei, dass die
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Netze schneller an ihre K
­ apazitätsgrenzen gelangen. Das macht
Investitionen in den Netzausbau erforderlich, die ausschließlich
von den Carriern zu schultern sind. Ihre Investitionen für den
Ausbau der Kapazitäten können sie jedoch nicht durch höhere
Anschlusspreise finanzieren, da der Wettbewerb zwischen den
Netzbetreibern zu intensiv ist und im Wesentlichen über den
Preis geführt wird. Hinzu kommt, dass die OTT-Player mit
Sprach-, Messaging- und Video-Diensten zunehmend in originäre Telekomunika­tionsdomänen dringen und dort weitere
Umsatzrückgänge verursachen.
Die Lage scheint ausweglos: Carrier stehen vor der Aufgabe,
immense finanzielle Mittel für leistungsfähigere Netzinfrastrukturen aufzuwenden, während ihre Umsätze sinken oder bestenfalls stagnieren.
Regulatorische Rahmenbedingungen müssen her
Die Politik muss einen regulatorischen Rahmen schaffen, der
Carriern Investitionssicherheit oder zumindest genügend
Anreize für Investitionsentscheidungen unter Risiko bietet.
­
In den letzten Jahren hat die europäische Politik Forderungen
an Telekommunikationsunternehmen gestellt, um den Ausbau einer breitbandigen Infrastruktur sicherzustellen. Finanzielle Unterstützung oder regulatorische Rahmenbedingungen
zur Förderung der Telekommunikationsunternehmen blieben
hingegen aus oder waren zu zaghaft konzipiert. Das muss sich
ändern. Ein Sinneswandel scheint langsam einzusetzen, da die
Politik erkennt, wie wichtig eine leistungsfähige Telekommunikationsinfrastruktur als Wettbewerbsfaktor für die Industrie ist.
Im Wettbewerb der Weltregionen ist Europa beim Breitbandausbau sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunk bereits zurückgefallen. Um diesen Trend umzukehren, sind entschiedene
Maßnahmen erforderlich. C
­ arrier müssen dazu in der Lage sein,
Investitionen in ihre Netze zu monetarisieren.
Nur integrierte Carrier sind überlebensfähig
Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern und erfolgreiche Geschäftsmodelle zu entwickeln, stehen Telekommunikationsunternehmen verschiedene Möglichkeiten zur
Verfügung. Grundsätzlich bestimmen drei Faktoren, welches
Geschäftsmodell einem Carrier Erfolg verspricht: Entscheidend
sind die infrastrukturelle Basis im Fest- und Mobilfunknetz, die
Wettbewerbsposition im Endkundenmarkt sowie die Fähigkeit,
Partnerschaften erfolgreich zu managen.
Carrier, die sowohl über ein flächendeckendes und granulares
Festnetz als auch über eine Mobilfunkinfrastruktur verfügen (Heavy Asset), sind reinen Mobilfunkanbietern (Mobile
­Network Operator, MNO) gegenüber im Vorteil. Langfristig
werden nur solche integrierten Carrier im Markt überleben.
Um das Verkehrswachstum zu bewältigen und nahtlose Konnektivität (Seamless Connectivity) über alle Infrastrukturen und
die unterschiedlichsten Zugangstechnologien sicherzustellen,
müssen Netzbetreiber ihre Infrastruktur integriert und immer
feinmaschiger aufbauen. Mobilfunker werden in absehbarer
Zeit dazu gezwungen sein, ihre Funkzellen immer kleiner zu
machen. Entsprechend steigt die Zahl der Zellen, die sie ausbauen, warten, an das Kernnetz anschließen müssen (Backhaul)
und in ihr Netzmanagement integrieren müssen. Hinzu kommen Indoor-Zellen (WiFi-Offloading, Femtozellen), die beim
Endkunden Anwendung finden und ebenfalls an das Kernnetz
angeschlossen werden müssen. Den damit verbundenen Investitions- und Kostenaufwand wird nicht jeder MNO bewältigen
können.
erwerben, um zu einem integrierten Anbieter zu werden. In
reifen Märkten ist das jedoch kaum möglich. Wenn beide Optionen nicht oder nur schwer zu realisieren sind, verbleibt lediglich die Exit-Option: Vodafone bietet ein prominentes Beispiel
für eine solche Strategie. Das Unternehmen hat sich in den USA
von seiner Mobilfunkbeteiligung getrennt und übernimmt in
Deutschland den Kabelfernsehbetreiber KDG.
Unternehmen mit einem Light-Asset-Ansatz verfolgen ein
Opex-dominiertes Geschäftsmodell. Dabei steht weniger die
Refinanzierung der Netze im Vordergrund als ein möglichst
großer Spread zwischen den Kosten für die Vorleistungen des
Netzwerkkapazitäten zur Verfügung stellenden Wholesale
Carriers und den am Markt zu realisierenden Retail-Preisen
in Kombination mit OTT-Partnerschaften. Carrier mit einem
Heavy-Asset-Ansatz betreiben hingegen ein Capex-dominiertes
Geschäftsmodell, das entsprechend langfristige Geschäfts­
logiken erfordert. Die Netze sind dabei Dreh- und Angelpunkt
der unternehmerischen Entscheidungen. Integrierte Carrier
müssen alle mit den Netzen verbundenen Investitionen durch
entsprechende Erlöse rechtfertigen und schnell refinanzieren.
Die Effizienzsteigerung bei der Allokation von ­Capex und Opex
für die Netze sowie die Auslastung der Netze und die Steigerung
der Erlöse stehen im Vordergrund.
Lust auf mehr?
Lesen Sie „Future Telco“!
Im März 2014 veröffentlicht Detecon
International das Fachbuch „Future Telco“.
Telekommunikationsexperten der Detecon
identifizieren sieben Hebel für mehr Profitabilität von Telekommunikationsunternehmen
und leuchten diese mit Branchenspezialisten aus
Industrie und Wissenschaft aus: moderne Netzkonzepte, integrierter Ausbau der Netzkapazitäten, Agilität in Prozessen und IT, Innovation,
Partnering, Wholesale und eine differenzierte
Marktbearbeitung.
Es bleiben nur drei Optionen
Reine Mobilfunkunternehmen befinden sich in einer Sackgasse.
Ihnen stehen in Abhängigkeit von den oben genannten ­Faktoren
drei Optionen zur Verfügung: Sie sollten sich von einem eigenen Mobilfunknetz trennen und es als Managed Service von
einem Dritten in Anspruch nehmen, um als Reseller, Service
Provider oder virtueller Netzbetreiber (MVNO) am Markt zu
agieren (Light Asset). Alternativ sollten sie die gegensätzliche
Richtung einschlagen und ein eigenes Festnetz aufbauen oder
Registrieren Sie sich jetzt
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Buchbestellung!
Dr. Peter Krüssel ist Managing Partner und berät seit vielen Jahren
Telekommunikationsunternehmen zu strategischen Fragestellungen im
Retail- und Wholesale-Bereich. Zuvor war er als Principal bei der EDS
Business ­Solutions und als Partner der Eutelis Consult tätig.
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Interview mit simpleshow-Gründer und Geschäftsführer Jens Schmelzle
Legetrick-Videos
gegen Komplexität
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Wie erklärt man schwierige Sachverhalte so, dass sie
­jeder versteht? Jens Schmelzle und seine ­Mitarbeiter
von simpleshow wissen das. Mit DMR BLUE sprach
der Experte für Storytelling über den Umgang mit
­komplexen Themen im digitalen Zeitalter.
DMR: Herr Schmelzle, Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Reduk­
tion von Komplexität. Wie erklären Sie überhaupt Komplexität?
J. Schmelzle: Unser beschleunigter Berufsalltag in Verbindung
mit einer immer besseren technischen Vernetzung führt ­heute
zu einer hohen Arbeits- und Kommunikationsverdichtung. Die
Themen, die wir vereinfachen, sind oftmals so dicht, dass es eine
Weile dauern kann, bis man sie durch Fachliteratur verstanden
hat. Unsere Erklärexperten nehmen sich den komplizierten
Prozess oder Sachverhalt vor und entfernen alles, was für den
Gesamtzusammenhang unwichtig ist. Und diese Zeitersparnis
ist für uns reduzierte Komplexität. In nur drei Minuten können
wir Verständnis für ein Thema schaffen, bevor es um die Details
geht.
DMR: Sie können alles in drei Minuten erklären. Warum tun sich
aber viele andere Menschen schwer damit, einen Sachverhalt einfach und prägnant auf den Punkt zu bringen?
J. Schmelzle: Das hat unterschiedliche Gründe. Die meisten
Menschen, die tief in einem Thema stecken, tun sich schwer
damit, eine neutrale Außenperspektive einzunehmen. Es ist gar
nicht so einfach, dieselbe objektive Sichtweise auf das eigene
Produkt zu haben, wie beispielsweise der Kunde. Manch anderen fehlen vielleicht auch nur die treffenden Worte, um einen
leicht verständlichen Überblick über ein Thema zu geben. Unser
Erklärexperten-Team hat einen unvoreingenommenen Blick auf
die Materie. Das verschafft uns einen entscheidenden Vorteil.
Aber auch das Handwerkszeug ist enorm wichtig: Eine Erklärung folgt grundsätzlich immer derselben Methodik. Unser
Konzeptionsteam muss täglich Themen analysieren, Muster erkennen und Dinge mit der Hilfe von Storytelling und einfacher
Visualisierung erklären. Unsere Mitarbeiter werden dafür in der
simpleshow academy ausgebildet und zertifiziert.
DMR: Manager müssen sich heute weniger durch Fachwissen auszeichnen als vielmehr durch die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu moderieren und zu einem Ergebnis zusammenzuführen.
Können Sie hier unterstützen?
J. Schmelzle: Diese Beobachtung ist richtig und wird in v­ ielen
Unternehmen unterschätzt. Die meisten Menschen nehmen gar
nicht wahr, wie oft sie täglich erklären und wie sie durch mehr
Erklärkompetenz ihre Kommunikation verbessern würden. Für
Führungskräfte bieten wir deswegen Workshops zum ­Thema
„Besseres Erklären“ an. Hier geben wir ­Basics an die Hand,
die im Alltag helfen. Das Feedback unserer Teilnehmer ist sehr
­positiv.
DMR: Was raten Sie der Unternehmenskommunikation, die vor
dem Hintergrund einer Vielzahl von Kanälen und Tools, die heute
zur Verfügung stehen, effektiv bleiben will?
J. Schmelzle: Um die interne Kommunikation zu verbessern,
muss man zunächst die Vernetzung innerhalb des Unternehmens erhöhen. Dies ist Vor- und Nachteil zugleich, da sich
­dadurch logischerweise auch die Komplexität erhöht. Es ist aber
unerlässlich, um einer hohen externen Informationsverdichtung entgegenzutreten. Mit einfachen Worten: Kommunikation einzuschränken erscheint zwar einfacher, wird aber nicht
funk­tionieren. Man sollte damit anfangen, sich neuen Kommunikationskanälen zu öffnen. Firmeninterne soziale Netzwerke
sind zum Beispiel viel besser für eine kollaborative Umgebung
geeignet als das lineare Medium E-Mail. Außerdem sollte man
Regeln definieren, wie in den verschiedenen Kanälen kommuniziert wird und welcher Kanal wann der Richtige ist. Vielleicht
ist es manchmal besser, kurz zum Telefonhörer zu greifen, bevor
das E-Mail-Pingpong mit zwei Kollegen losgeht – im schlimmsten Fall noch mit vier anderen in Kopie.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Nach außen ist das Wichtigste wohl eine konsistente Kommunikation. Die Botschaft kann allerdings nur erfolgreich wahrgenommen werden, wenn die Zielgruppe versteht, wovon man
spricht. Unternehmensgrundsätze müssen von allen Mitarbeitern, die in der Außenkommunikation tätig sind, gleicher­
maßen getragen werden. Für uns bedeutet das beispielsweise
eine einfach verständliche und einwandfreie Kommunikation
mit unseren Kunden.
DMR: Die digitale Welt ist voller Daten. Sorgt dies für mehr Komplexität oder vereinfacht das unser Leben? Und stellt dies neue Anforderungen an Manager und Mitarbeiter?
J. Schmelzle: Die Herausforderung der jüngsten Vergangenheit
lag vor allem darin, Daten zu erheben, zu sammeln und verfügbar zu machen. In Zukunft wird es darum gehen, d
­ iese Masse an
Daten sinnvoll zu filtern und zu kuratieren. Zeit und Aufmerksamkeit sind heute knappe Güter. Wir sagen: „30 Minuten hat
niemand, drei Minuten hingegen jeder.“ Daher hat natürlich
jeder einzelne heute die Aufgabe, sich präzise und verständlich
auszudrücken. Erfolgreich kommunizieren wird derjenige, der
in der Lage ist, seiner Zielgruppe in kurzer Zeit etwas einfach zu
erklären. Das klingt einfach, ist aber nicht leicht.
DMR: Analysten von Gardner haben eine Diskussion um den
CIO als digitalen Storyteller angeregt. Wer ist für Sie der wichtigste
­Storyteller in einem Unternehmen?
J. Schmelzle: Storyteller im Unternehmen sind für uns alle,
die etwas Wichtiges zu sagen haben. Das kann jemand aus
dem Marketing, dem Vertrieb, der IT, der Geschäftsführung
oder der internen Weiterbildung sein. Die Funktion der vereinfachten Kommunikation bündelt sich nicht in einer Person,
sondern wird vom gesamten Unternehmen gelebt. Was nützt
es mir, wenn ich den Geschäftsführer oder Vertriebsleiter zum
Sprachrohr ernenne, während meine Projektmanager im täglichen Kundenkontakt die besten Fallstudien erleben und diese
niemand mitbekommt?
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
DMR: Erlauben Sie einen Blick hinter die Kulissen: Wie nähern
Sie sich den unterschiedlichen Themen, die an Sie herangetragen
werden, und wie entsteht daraus ein informativer und unterhaltsamer Film?
J. Schmelzle: Nachdem wir die zu erklärende Materie in einem
Briefing übermittelt bekommen haben, gehen Projektmanager
und Konzepter den gesammelten Input gemeinsam durch und
analysieren ihn. Dann beginnt die Arbeit des Konzepters. Der
Stoff wird regelrecht „auseinandergenommen“ und auf den
Prüfstand gestellt. Wir fragen uns: Ist diese oder jene Informa­
tion für den Gesamtzusammenhang wirklich relevant? Für
uns ist ein Drehbuch erst dann gut, wenn man kein weiteres
Wort weglassen kann, ohne dass das Konzept seinen Sinn verliert. Auch die spätere Visualisierung wird hier schon entworfen, da sie sehr eng mit dem Text zusammenhängt. Nach der
Storyboard-Phase entsteht in unserer Produktionsabteilung am
Ende ein Video. Es übernimmt nun die Aufgabe,
die Botschaft überall und ohne Moderation verständlich zu übermitteln. Sie können sich das am
Beispiel „Wie erklärt man die digitale Transformation?“ ansehen.
DMR: Auch Ihre Geschäftsplattform ist das Internet. Sehen Sie sich
als Teil der digitalen Transformation?
J. Schmelzle: Wir sind ursprünglich als Digitalagentur gestartet. Aus einem einzigen Kundenauftrag ein sympathisches Erklärvideo mit begrenztem Budget zu erstellen, wurde innerhalb
kürzester Zeit die simpleshow. Wir haben in unserer Firmengeschichte also eher die Position des „Digital Native“. Heute
helfen wir großen Unternehmen wie Mercedes-Benz, E.ON,
Roche, Postbank, Bosch und anderen auf dem Weg, ihre Botschaften in digitalen Videos an ihre Zielgruppen heranzutragen.
Vielen Firmen ist noch gar nicht bewusst, wie leicht wir ihre
Kommunikationsprobleme mit unseren Videos lösen können.
DMR: Welche Branchen gehören aus Ihrer Sicht zu den Trendsettern der digitalen Welt und wo sehen Sie Potenzial, das aber bei
weitem noch nicht ausgeschöpft ist?
J. Schmelzle: Ich glaube, das Thema „Bildung“ im Allgemeinen
wird die digitale Zukunft entscheidend prägen. Die technischen
Errungenschaften der letzten 15 Jahre haben unser Sozialverhalten verändert, unsere Seh- und Hörgewohnheiten. Sie werden
auch unseren Begriff des Lernens neu definieren. Früher stand
ein Professor im Hörsaal und gab sein Wissen an eine kleine
Gruppe von Studenten weiter. Heute gibt es im Netz so genannte MOOCs (Massive Open Online Courses), bei denen sich
Lernende vernetzen, gegenseitig austauschen und im Selbstlernprozess voneinander profitieren. Und das ist nur ein Beispiel
von vielen. Die digitale Welt ist kein digitales Abbild der alten
Welt, sie wird anders sein.
simpleshow ist Marktführer für E
­ rklärvideos.
Seit der Gründung im Jahr 2008 hat das
Unternehmen mehrere tausend Videos für
­
­Kunden in mehr als 50 Sprachen produziert –
darunter globale ­Akteure wie Microsoft, eBay,
Audi, Deutsche Bank und Novartis. Bekannt
geworden ist simpleshow mit der von ihr maßgeblich
DMR: Haben Sie ein Lieblingsthema?
J. Schmelzle: Wir haben schon mehrere tausend Erklärvideos
für verschiedenste Branchen produziert. Es ist kaum möglich,
einzelne Clips miteinander zu vergleichen. Am Ende ist jede
simpleshow ein Einzelstück und ich freue mich immer, wenn
der Kunde begeistert ist. Mir fällt dazu ein Kekshersteller ein,
dessen Clip wir spontan mit dem Krümelmonster als Handmodel gedreht haben. Bei der Abnahme ist er vor Lachen vom
Stuhl gefallen! Auch das beweist wieder: Oft sind es eben die
einfachen Dinge im Leben...
geprägten
Papier-Legetrick-Technik.
Heute bietet das Unternehmen Erklärvideos in
verschiedenen Formaten, die komplexe Sachverhalte innerhalb weniger Minuten vermitteln.
Eine eigene ­Academy garantiert die fundierte
Ausbildung aller Teammitglieder. Die über 100
Mitarbeiter sind in Berlin, Stuttgart, Luxemburg,
New York, Singapur, Hongkong und London
­tätig.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Customer Self-Services
Empirische Studie belegt hohes Potenzial aus
Unternehmens- und Kundensicht
Self-Services sind automatisierte Prozesse in Customer Care und Verkauf, die Kunden vollständig oder teilweise ohne
jegliche Hilfe seitens des Unternehmens durchführen. Technologie ist der Enabler. Im Zuge der digitalen Transformation erzielen Customer Self-Services als strategisches Instrument eine große Wirkung. Unternehmen können
dem steigenden Druck auf die Servicekosten erfolgreich begegnen und gleichzeitig hohe Kunden­erwartungen an
einfache und zu jederzeit verfügbare Services bedienen.
Die aktuelle empirische Studie von Detecon untersucht das Potenzial von Customer Self-Services aus Unternehmens- und Kundensicht in den fünf Branchen Telekommunikation, Energie, Banking, E-Commerce und
­öffentliches Verkehrswesen. Interviewt wurden 88 Unternehmen und 442 Verbraucher. Bestandteile der ­Studie
waren eine Reifegradanalyse des strategischen Entwicklungs- und Umsetzungsstandes auf Unternehmens­seite, die
Bewertung der Kundenwahrnehmung und -erwartung in Bezug auf Self-Services sowie ein Benchmarking und die
Exploration der Best Practices über alle ins Visier genommenen Branchen hinweg.
36
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
>>
Self-Services werden bereits von 78% der Konsumenten branchenübergreifend positiv wahrgenommen. Nach Produkt und Preis sind
Self-Services für 60% ein wichtiger Entscheidungsfaktor für oder
gegen einen Anbieter.
>> Unternehmen der befragten Kernbranchen bestätigen mit
96% die hohe strategische B
­ edeutung von Customer SelfService. 81% nennen ­Kundenzufriedenheit als oberstes Ziel
gleich auf mit Kosteneinsparung.
>>
In der Realität bewertet über die Hälfte der Kunden die angesprochene Einfach-
heit und Sicherheit von Self-Services derzeit mit der Schulnote 3 oder schlechter,
obwohl die Unternehmen die Bedeutung bekannt ist.
>> 85% der Kunden sind bei Self-Services die Aspekte Einfachheit und Übersichtlichkeit der Nutzung wichtig, 69% nennen die
S
­ icherheit der persönlichen Daten.
Interesse an weiteren Ergebnissen?
Bestellen Sie die vollständige Studie
unter [email protected] !
Die Autoren der Studie Andreas Penkert, Managing Consultant, und Patrick Eberwein, Senior Consultant, beraten
Unternehmen zu den Themen Organisation und Prozesse,
Service Management und Customer Experience sowie
innovativen Vertriebsansätzen im digitalen Zeitalter.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Customer Self-Service in der Versicherungsbranche
“Do it digital!”
Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft heißt vor allem
Digitalisierung der Kundenschnittstelle. Hier spielt Customer
Self-Service eine wichtige Rolle. Haben Versicherer alles bedacht?
ür die Versicherungswirtschaft spielte Customer Self-Service
F
bis Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts keine
­ olle. Erst mit dem Aufkommen digitaler Technologien und der
R
Notwendigkeit, Prozesse in der Versicherungswirtschaft ­effizienter
zu gestalten, gewann das Thema an Bedeutung. In den Anfängen
ging es beim Customer Self-Service aus Sicht der Versicherungsunternehmen darum, Kunden am Prozess der ­Leistungserstellung
zu beteiligen und dadurch vor allem Kosten zu sparen. Heute
rücken die Ubiquität von Internet-Technologien und die Digitalisierung der Kundenschnittstelle diejenigen Prozesse in den
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Fokus, mit denen sich eine Stärkung der Kundenbeziehung und
eine kundenorientierte Ausrichtung des Produkt- und Serviceportfolios der Unternehmen erreichen lassen.
Self-Service: Mehr als Einzelmaßnahmen
Die Diskussion um Online-Self-Service in der Versicherungsbranche dreht sich derzeit um den Nutzen einzelner Maß­nahmen
und Funktionalitäten, zum Beispiel um Online-Bedarfsanalysen,
Beratungsvideos, Chat-Funktionen, Online-Kundenakten oder
– mit einem Blick in die Zukunft – um Virtual Reality. Die
Unter­nehmen sind im Rahmen ihres Multikanalmanagements
weiterhin bestrebt, den Online-Kanal möglichst effizient in die bestehenden Vertriebs- und Servicekanäle zu integrieren und Spannungen, insbesondere mit ihren A
­ usschließlichkeitsvertrieben, zu
vermeiden.
Zwei Aspekte kommen jedoch in der gegenwärtigen Diskussion
deutlich zu kurz:
• Was motiviert Kunden zur Nutzung von Online-Self-­Services
und was lässt sich für die Gestaltung dieser Services daraus l­ ernen?
• Kann man über Online-Self-Service eine strategische Differenzierung vom Wettbewerb erreichen oder sind im Wettlauf um
die Einführung von Funktionalitäten bestenfalls kurzfristige Aufmerksamkeitserfolge zu erzielen?
Kundenmotivation entscheidet über Nutzung von Self-Services
Nicht nur Versicherungsunternehmen gehen fast selbstverständlich davon aus, dass neue Self-Service-Funktionalitäten von ihren
Kunden auch angenommen werden, sofern die „Usability“, also
die gute „Bedienbarkeit“ der Services, stimmt und die Kunden
einen wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen können. Wirtschaftliche Vorteile können vor allem Kosten- und Zeitersparnis sowie
Qualitätsgewinne, beispielsweise durch die eigene Online-Pflege
von Stammdaten, sein.
Zu kurz kommt dagegen der Blick darauf, dass Kunden mit der
Ausübung von Self-Services eine eigenständige Leistung erbringen, und wie diese Leistung im Wechselspiel der oben genannten
wirtschaftlichen Vorteile mit psychologischen Beteiligungsmotiven am besten gefördert werden kann. Zu den psychologischen
Beteiligungsmotiven gehört der Wunsch nach Kontrolle über die
Prozesse, die Vermeidung von Unsicherheit und Risiken hinsichtlich der zu erwartenden Ergebnisse, also zum Beispiel hinsichtlich
der Eignung eines „selbst gewählten“ Versicherungsproduktes für
die Lebenssituation des Kunden. Weiterhin ist wichtig, wie der
Wunsch nach persönlichem Kontakt, bei einer nicht geringen
Zahl von Kunden auch der Wunsch nach Kontaktvermeidung,
am besten bedient werden kann.1
1 Vgl. Marion Büttgen, 2009:
Beteiligung von Konsumenten an der Dienstleistungserstellung: Last oder Lust?
2 Richard Sennett, 2008: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens.
Die Tyrannei der Intimität.
3 Byung Chul-Han, 2012: Transparenzgesellschaft.
Auch Aspekte, die die Beteiligungsmotivation herabsetzen,
sollten bei der Gestaltung der Self-Services stärker berücksichtigt
werden. Motivationshemmend wirkt sich in erster Linie der Aufwand aus, der mit dem Erbringen der Services für den Kunden
verbunden ist. In letzter Zeit kommt die Frage hinzu, wie die
Versicherungsunternehmen mit den digitalen Spuren, die ihre
Kunden auch im Rahmen von Self-Service-Aktivitäten hinter­
lassen, umgehen.
Strategische Differenzierung über Multikanalmanagement und
Kundenerfahrung
Die meisten Versicherungsunternehmen schöpfen bei w
­ eitem
nicht alle Möglichkeiten aus, die sich ihnen durch Online
­Customer Self-Service entlang der Wertschöpfungskette in Beratung und Vertrieb sowie Kundenservice (After Sales) bieten.
Dem mag die Einsicht zugrunde liegen, dass sich über neue Self-­
Service-Funktionalitäten allein keine nachhaltige Differenzierung vom Wettbewerb erreichen lässt.
Dabei ist unbestritten, dass Versicherungsunternehmen in diesen
Kanal investieren müssen. Die bislang häufig noch weitgehend
getrennten Online- und Offline-Angebote müssen verzahnt werden, denn neue Generationen von Kunden differenzieren nicht
mehr zwischen Online- und Offline-Angeboten. Somit wird eine
Vereinheitlichung bestehender Kundeninteraktionspunkte über
alle Vertriebskanäle sowie die Bereitstellung und Weiterentwicklung innovativer Online-Self-Service-Lösungen unausweichlich.
Die Schlagworte „Multikanalmanagement“ und „Kundenerlebnismanagement“ (Customer Experience Management) prägen
diese Diskussion.
Wir möchten dennoch anregen, das ­Differenzierungspotenzial,
das in einem Satz von Richard Sennetts liegt, zu bedenken.
­Sennett schreibt: „Der Narziss ist nicht auf Erfahrungen aus,
er will erleben – in allem, was ihm gegenübertritt, sich selbst
­erleben.“2 Im Online Self-Service begegnet man nur sich selbst,
erlebt sich selbst. Bei Erfahrungen hingegen, schreibt ByungChul Han, begegnet man dem Anderen.3 Ist nicht die Zeit reif
für Kundenerfahrungen – auch in der Versicherungswirtschaft?
Christof Strohkark, Mitglied im Partnerteam Financial ­Services,
ist seit mehr als 15 Jahren im Finanzsektor tätig und berät Banken
und Versicherungen zu ­strategischen Themen, Kundenservice und
zur digitalen Transformation.
Sandra Minervini ist Senior Consultant und berät Unternehmen
der Finanzindustrie zu Fragestellungen des IT-Managements,
Servicemanagements und an der Schnittstelle von Innovation und
Technologie.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Leading Digital!
VMS, Fabasoft und Next Kraftwerke
gewinnen Detecon ICT Award
Big Data, Cloud und virtuelles Kraftwerk: Das sind die Themen, mit
denen die diesjährigen Gewinner die Jury des Detecon ICT Award
überzeugen konnten. Zum zweiten Mal vergab die Management­
beratung Detecon International in Kooperation mit dem Bundes­
ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) in drei
­Kategorien Preise für außergewöhnliche Leistungen und Produkte im
Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT).
Unter dem Motto „Leading digital!“ fand die Feier zur Preisverleihung dieses Jahr im Kunst- und Ausstellungshaus der Langen Foundation in Neuss statt.
Die Jury-Mitglieder: Hansjörg Baur (T-Venture), Dr. Andreas ­
Bereczky (ZDF), Prof. Dr. Peter ­
Buxmann (TU Darmstadt),
Dr. ­
Bettina Horster (VIVAI Software AG), Thomas Lünendonk
­(Lünendonk GmbH), Dr. Pero Micic (FutureManage­mentGroup),
Prof. Dr. Arnold Picot (LMU München), Prof. Dr. Radu Popescu-­
Zeletin (Fraunhofer-Institut F
­ OKUS), D
­ aniel Schleidt (F.A.Z.-Institut), Dr. ­Christian S
­ chmidt (DLR), Andreas G. Scholz (Deutsches
Anleger Fernsehen), Rudolf Schulze (VDI-Nachrichten), Harald
­
­Stöber (Vodafone D2 GmbH), Dr. ­Alexander Tettenborn (BMWi),
Heinrich ­
Vaske (Computerwoche), Prof. Dr.-Ing. habil. Anette
­Weisbecker (Fraunhofer-Institut IAO).
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
In Kooperation mit
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Innovationspreis: Der diesjährige Innovationspreis ging an die
VMS AG aus Heidelberg, die den großen IT-Trend Big Data für Unternehmen
praktisch nutzbar macht. Die Big-Data-Applikation SCOOP erleichtert vor
allem Finanzchefs das Leben: Sie nutzt die Datenbanktechnologie SAP HANA
und durchsucht in Sekundenschnelle Millionen von Daten in den Unternehmensanwendungen nach Möglichkeiten zur Kapitalfreisetzung. Dabei greift sie
auf vorhandene SAP-Systeme zu und simuliert auf dem iPad, wie sich die Änderungen operativer Prozesse auf die Liquiditätslage auswirken können. SCOOP
veranschaulicht sowohl die zeitliche als auch die finanzielle Dimension von Veränderungen und macht große Datenmengen leicht handhabbar. Rund um die
prämierte Anwendung SCOOP wurde inzwischen ein neues Unternehmen ausgegründet: die deutsche Trufa GmbH und die US-amerikanische Trufa Inc.
Leistungspreis: Das europäische Softwarehaus Fabasoft AG mit
Hauptsitz in Linz, Österreich, hat den Leistungspreis für eine Cloud-Lösung
mit besonders hohen Sicherheitsstandards gewonnen. Mit der „Fabasoft Cloud“
erhalten Unternehmen eine Plattform für die sichere Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und Kunden im Internet. Fabasoft speichert die Daten eines
Kunden ausschließlich im von ihm gewünschten Land und gewährleistet damit
Rechts- und Datensicherheit. Als einziger Cloud-Betreiber bietet Fabasoft mit
der Authentifizierung mittels neuem deutschen Personalausweis oder der österreichischen Bürgerkarte mit Handy-Signatur die derzeit höchstmögliche Sicherheit für internationale Zusammenarbeit im Internet. Mit der Lösung erfassen,
ordnen und speichern Nutzer alle digitalen Dokumente, Geschäftsunterlagen
und Geschäftsakten in der Cloud. Die Software unterstützt zudem die informelle
Zusammen­arbeit und dient der Digitalisierung von firmenübergreifenden Geschäftsprozessen.
Förderpreis: Das junge Kölner Unternehmen Next Kraftwerke
GmbH, entstanden aus einem Spin-Off des Energiewissenschaftlichen Instituts
der Universität zu Köln, hat den Förderpreis gewonnen. Ihre Lösung verbindet
mehr als tausend dezentrale Kleinanlagen von privaten Ökostromherstellern zu
einem virtuellen Verbund, das wie ein Großkraftwerk arbeitet. Eine automatische
Steuerung regelt, wie viel speicherbare Energie etwa aus Biomasse und wie viel
Strom aus wetterabhängiger Solar- und Windenergieerzeugung produziert wird.
So kann der Verbund flexibel auf Verbrauchsschwankungen im Stromnetz reagieren und Versorgungssicherheit gewährleisten. Als virtuelles Kraftwerk agiert Next
Kraftwerke als Stromhändler am Spotmarkt der Strombörse (EPEX) und kann
die gebündelten Strommengen ihrer Kunden direkt vermarkten. Die Kunden
profitieren dadurch von Zusatzerlösen gegenüber der fixen gesetzlich garantierten
EEG-Einspeisevergütung. Gemäß eigenen Angaben hat Next Kraftwerke bereits
über sechs Millionen Euro an Mehrerlösen für seine Kunden erzielt.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
„In diesem Jahr haben wir wieder ganz besondere Unternehmen ausgezeichnet.“, sagt Francis Deprez, CEO
der Detecon. „Sie zeigen, wie wir Informations- und Kommunikationstechnologien einsetzen können, um effizienter, ­sicherer und nachhaltiger zu wirtschaften. Es freut mich sehr, dass die diesjährigen Preisträger einen
­Beitrag dazu leisten, Big Data praktisch anwendbar zu m
­ achen, das sichere Arbeiten in der Cloud unterstützen
und zur Energiewende beitragen, indem sie die Vermarktung nachhaltig produzierten Stroms ermöglichen.“
Wir fragten
unsere Gewinner,
worin sie persönlich den
größten
Nutzen sehen, den
digitale
Technologien in
der Zukunft leisten können?
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Andreas Dangl
Geschäftsführer der
Fabasoft Cloud GmbH
Ralph Treitz
CEO Trufa Inc.
Hendrik Sämisch
Co-Gründer und Co-Geschäftsführer
von Next Kraftwerke
„Digitale Technologien stehen für Automatisierung, Mobilisierung, Optimierung und
Effizienzsteigerung. Unternehmen profitieren naturgemäß am meisten davon. Verschweigen darf man aber nicht die Nachteile und Gefahren dieser Neuerungen. So
öffnet etwa die steigende mobile Arbeitsweise noch unbekannte Sicherheitslücken,
auf die Unternehmen umgehend reagieren
müssen. Zudem bringen nur besonders anwenderfreundliche Techniken wirklichen
Nutzen für den User. Unternehmen müssen auch für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen, damit das sichere Arbeiten mit moderner Hard- und Software
gewährleistet ist. Darunter fällt auch die
Wahl der richtigen Partner, die digitale
Technologien bereitstellen. Nur hochwertige Businessanwendungen „Made in Europe“ sorgen für sichere Zusammenarbeit mit
Geschäftspartnern. Zertifizierungen sind
eine weitere Bestätigung für höchstmögliche Sicherheit. Unter Berücksichtigung
der sicherheitsrelevanten Aspekte sehe ich
digitale Technologien wie Cloud Computing als Unternehmensvorteil. Der größte
Nutzen, den Firmen daraus ziehen können,
ist die steigende Mobilität der Mitarbeiter,
die daraus resultierende schnellere Bearbeitung von Anfragen und das Zugreifen auf
Firmendaten von unterwegs. Mit zusätzlichen automatisierten Geschäftsprozessen
und optimierten Workflows können Wettbewerbsvorteile gewinnbringend realisiert
werden.“
„Digitalisierung von Informationen ist eine
wesentliche Grundlage für deren automatische Verarbeitung. Das Tempo der Digitalisierung einerseits und deren Verarbeitung andererseits haben sich enorm erhöht.
Kaum jemand nutzt heute noch analoge
Landkarten zur Routenfindung im Auto.
Der Mensch bestimmt, wohin die Reise
geht, das Navigationssystem findet schnell
und unproblematisch den richtigen Weg
– einschließlich Stauplanung und anderen
spontan auftretenden Hindernissen. Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen. Das
klassische Reporting gleicht der analogen
Straßenkarte. Sie zeigt das „Ist“. Die Lösung
der Frage „Wie komme ich von München
nach Hamburg?“ muss der Leser selbst beisteuern. Und so ist ein CFO beim Studium
des Reports über das gebundene Kapital im
Unternehmen ein Analog-Karten-Leser: Er
sieht das „Ist“ – aber wäre er bei geringerer
Investition in Lagerware noch lieferfähig?
Wie könnte er das Zahlungsverhalten von
Kunden verbessern? Das sind betriebswirtschaftliche Fragen der Art „Wie komme ich
von hier nach da“. Unsere Möglichkeit, diese Aufgaben mit SCOOP als Navigationssystem im Unternehmensprozess zu lösen,
basiert auf der Digitalisierung der betriebswirtschaftlichen Vorgänge in ERP-Systemen, wie sie seit 20 Jahren eingeführt werden. Hinzu kommt nun die enorm schnelle
Auswertung durch in-memory Technologie.
Fertig ist das Navi für die Finanzabteilung!“
„Wie kann im Zuge der Energiewende das
Gleichgewicht zwischen Stromerzeugern
und Stromabnehmern hergestellt werden,
auch wenn der Wind einmal nicht weht
und die Sonne nicht scheint? Unsere Lösung, die ohne ICT nicht denkbar wäre:
Mit einem virtuellen Kraftwerk, das viele
hundert dezentrale Anlagen der Erneuerbaren Energien vernetzt und den Erfordernissen der Netze entsprechend hoch- und
herunterschaltet. Seit 2009 haben wir über
1.000 dieser Anlagen – hauptsächlich gut
regelbare Biogasanlagen mit einer Leistung
von 250kW bis über 1MW – in unser virtuelles Kraftwerk Next Pool integriert. Dazu
haben wir Fernsteuereinheiten an den Anlagen verbaut. Über diese „Next Boxen“
wird eine gesicherte Verbindung zwischen
der Steuerung der Anlage und unserem
Leit­system hergestellt. Dazu wird eine getunnelte Verbindung per Mobilfunk oder
DSL aufgebaut. Sobald diese M2M-Kommunikation steht, kann unser Leitsystem
auf Daten der Anlage zugreifen. Im Fall
eines Abrufs unseres virtuellen Kraftwerks
zur Bereitstellung von Regelenergie verteilt
das Leitsystem die Leistungsanforderungen
vollautomatisch auf die einzelnen Anlagen.
Durch die Vernetzung mittels ICT wird ein
Potenzial gehoben, das sehr wertvoll ist: die
Flexibilität der Anlagen, die oft über eigene,
bauseits gegebene Speichermöglichkeiten
verfügen. Erst durch die Vernetzung ist diese Flexibilität für den Strommarkt und die
Stabilität der Stromnetze verfügbar.“
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Interview mit Bernd Gebert, Gründer und Leiter der Initiative:
IT- und Medienbildung an deutschen
Schulen ist Basis für digitalen Wandel
Unser Nachwuchs braucht mehr IT- und Medienkompetenz. Um das
bereits in der Schule zu fördern, vermittelt eine gemeinnützige Initiative PC-Spenden von Unternehmen an Schulen und wirkt damit einem
fatalen Trend entgegen: der digitalen Spaltung der Gesellschaft.
Initiative Das macht Schule. Die Idee: Schüler übernehmen Verantwortung – für sich und ihre
Schule. Sie erleben, was Initiative und Erfolg miteinander zu tun haben. Das bringt Werte wie
Eigeninitiative, Verantwortung und Gemeinsinn in die Gesellschaft. Und zwar genau dort, wo der
Hebel am wirkungsvollsten ist: in der Schule. Das macht Schule initiiert, fördert und betreut Projekte, in denen Schüler beispielsweise ihre Klasse renovieren, sich um Mensa, Klimaschutz und die
Computerausstattung der Schule kümmern oder ihre Projekte selbst finanzieren. Dafür bekommen sie Projektpläne, Beratung, Impulse und Ermutigung – also Hilfe zur Selbsthilfe, kostenlos.
­Jedes Projekt wird zum Vorbild und kann „Schule machen“. Deutschlandweit konnten bereits über
120.000 Schüler an 1.200 Schulen in allen Schulformen und Klassenstufen davon profitieren. Lehrer bestätigen die Wirkung: 79 Prozent sagen, dass sich die Schüler nach so einem Projekt in ihrer
Schule wohler fühlen. Und wer sich wohl fühlt, lernt auch besser, schwänzt weniger, Gewalt und
Vandalismus nehmen ab. In den Projekten werden wichtige Handlungs- und Sozialkompetenzen
wie Teamfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Eigeninitiative verbessert. Die Plattform ist
seit 2007 online, gemeinnützig und unabhängig. Die Initiative arbeitet mit einem kleinen schlagkräftigen Team, erhält keine öffentliche Förderung und finanziert sich vor allem durch Unternehmensförderer, Stiftungen, Fördermitglieder und Spenden. Ashoka und die Bertelsmann Stiftung
bestätigen: Der Ansatz ist geeignet, effizient und langfristig gesellschaftlichen Wandel zu bewirken.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Bernd Gebert ist Physik­
ingenieur. Über 20 Jahre
lang hat er als ­
Unternehmer
im Bereich Produkt­
didaktik,
Öffentlichkeitsarbeit und Mar­
ketingkommunikation gearbeitet
und Erfahrung im Aufbau einer
Pionierdienst­leistung gesammelt.
Seine Talente: Einfühlungsvermögen, Sinn für Abläufe und –
mit wenig Aufwand viel zu erreichen. Genau das setzt er jetzt für
den gesellschaftlichen Wandel ein
und begeistert Menschen, Dinge
selbst anzupacken und zum Besseren zu verändern. 2006 hat er
seinen Job an den Nagel gehängt
und ist als Social Entrepreneur
durchgestartet – schnell ausgezeichnet von Ashoka, der weltweit
größten Organisation führender
Social Entrepreneurs.
DMR: Herr Gebert, was ist das Besondere an der Initiative „Das
macht Schule“?
B. Gebert: Wir initiieren, fördern und betreuen Projekte, in
­denen Schüler Verantwortung für sich und ihre Schule übernehmen und als glaubwürdige Vorbilder aus den eigenen ­Milieus
„Schule machen“. Als Impulsgeber, Ermutiger und Begleiter
bringen wir Lehrer dazu, mit ihren Schülern Projekte zu starten.
Das alles verbinden wir mit dem gesellschaftlichen Engagement
von Unternehmen und schaffen dadurch zusätzliche Anreize für
Schulen mit Vorteilen, von denen alle Beteiligten profitieren.
Als Deutschlands größte Plattform für die Vermittlung gebrauchter IT aus Unternehmen an Schulen schaffen wir bessere
Voraussetzungen für Medien- und IT-Bildung und fördern auch
hier die Beteiligung der Schüler.
DMR: Wie beurteilen Sie den Stand der IT- und Medienbildung
an deutschen Schulen?
B. Gebert: Der ist oft Mau. Vielen Schulen fehlt einfach die
IT-Ausstattung gänzlich oder sie ist mangelhaft oder defekt.
Zwei von drei deutschen Schulen haben keinen PC im Klassenzimmer, jede fünfte nicht einmal einen Computer-Raum.
Dabei ­erwarten 98 Prozent der Schüler, dass ihnen die S­ chule
die Computerkenntnisse vermittelt, die sie später brauchen.
90 Prozent der Eltern sehen das genauso. Firmen erwarten,
dass Schulabgänger sicher mit dem PC umgehen können. Die
­Realität: Für 61 Prozent der Schüler ist die Nutzung elektronischer ­
Medien im Unterricht immer noch die Ausnahme.
­Insbesondere für sozial Benachteiligte bedeutet das dramatisch
schlechtere Chancen beim Berufseinstieg. Und erklärt auch, warum Lehrer schon mal ein paar hundert Kilometer fahren, wenn
sie umsonst PCs für ihre Schule bekommen können.
DMR: Unternehmen, die besonders engagiert spenden, erhalten
von Ihnen das Siegel „Ausgezeichneter PC-Spender“. Wie profitieren Unternehmen darüber hinaus von Ihrer Initiative?
B. Gebert: Kurz zum Siegel: Vorbildliches Engagement sollte
sichtbar sein und Schule machen, damit sich die Idee weiter
verbreitet, zum Beispiel bei Geschäftspartnern, Kunden und
auch den Mitarbeitern. Schließlich vermittelt das auch Werte,
für die das Unternehmen steht. Und zu Ihrer Frage: Jugend ist
Zukunft. Sie muss die Chance haben, Schlüsselkompetenzen
zu erwerben. Wir brauchen Menschen mit den sogenannten
„21st century skills“, wie es Hannes Schwaderer von Intel sagt.
Schulabgänger müssen teamfähig, kreativ, innovativ und in der
Lage sein, Probleme zu lösen. Und selbstverständlich müssen
sie IT- und Medienkompetenz mitbringen. Berit Heintz vom
DIHK bestätigt, dass wir genau die Kompetenzen fördern, die
Unternehmen von künftigen Auszubildenden erwarten.
DMR: Welche Möglichkeiten sehen Sie außerdem, diese Schlüsselkompetenz bereits in Schulen zu vermitteln? Wo können wir noch
ansetzen?
B. Gebert: Kinder wollen dazugehören, ernst genommen
­werden und Verantwortung übernehmen. Selbst Hand anlegen
und die eigene Wirksamkeit erfahren ist ein prägendes Erlebnis.
Wir begeistern die Jugend dafür, dass Eigeninitiative und Verantwortung der Schlüssel zum Erfolg sind. Hier können Unternehmen ansetzen und uns helfen, diese wichtige Arbeit zu
tun. Denn das alles muss auch finanziert werden: die Entwicklung von Projektvorlagen, die systematische Betreuung durch
unseren Schulkontakt, die Vermittlung von Hardware oder der
Betrieb der Website. Wer das unterstützen will, einmalig mit
einer Spende oder als Fördermitglied auf lange Sicht, findet auf
unserer Website unser Spendenkonto oder kann dort direkt
­online spenden. Die Hebelwirkung ist enorm. Im Bereich PCSpende hebeln wir mit einem Euro Geldspende bis zu 50 Euro
Gegenwert an Hardware. Ein super Mehrwert für den Unternehmensförderer und die Gesellschaft, oder?
DMR: Und wie funktioniert das Spenden ganz konkret?
B. Gebert: Ganz einfach: Unternehmen tragen auf www.pcspende.de ein, was sie an gebrauchten PCs, Monitoren und
Druckern spenden wollen. Schulen können sich dann auf unserer Internet-Plattform unter www.das-macht-schule.net das
Angebot ansehen und sich melden. Schulen können auswählen,
was sie brauchen, und profitieren durch die meist große Zahl
baugleicher Geräte. Das vereinfacht die Installation und Netzwerkeinbindung. Wir sorgen für eine professionelle, einfache
und zuverlässige Abwicklung. U
­ nsere intelligente Drehscheibe
spart Aufwand – bei Schulen und ­Unternehmen.
Detecon wurde 2012 und 2013 mit dem Siegel
„Ausgezeichneter PC-Spender“ prämiert.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
M2M-Geschäftsmodelle
Sprungbrett zu mehr
Wachstum auf der
Basis von Partnering
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Neue Geschäftsmodelle mit Maschine-to-Maschine-Prägung bieten Wachstumspotenziale.
Ein kollaboratives Vorgehensmodell führt „Smart M2M Business Networks“ zum Erfolg.
er Erfolgsfaktor von Machine-to-Maschine (M2M)-­
D
Geschäftsmodellen liegt im unmittelbaren, automatisierten
Datenaustausch zwischen Maschinen, die hierdurch im Prozess
Mehrwert generieren. M2M findet sowohl im Consumer-Bereich
als auch in der industriellen Produktion, dem B2B-Bereich, Anwendung. Das weltweite Marktvolumen liegt bei konservativer Abgrenzung laut Analysis Mason bei rund zehn Milliarden
US-Dollar und ist damit noch übersichtlich. Der M2M-Markt
wächst allerdings stark. Im westeuropäischen Markt liegt nach
Schätzungen des IDC das Wachstum im Zeitraum 2012-2017
mengenmäßig bei 25 Prozent jährlich, wertmäßig immerhin bei
19 Prozent. Hier wird bereits ein Preisverfall pro Verbindung
deutlich. Informa Telecoms & Media sagen sogar einen Anstieg
der Verbindungen von 150 auf 220 Millionen Verbindungen bis
Ende 2013 voraus.
Mindestens vier Treiber sind für den Ausbau der M2M-Kommunikation verantwortlich. Das Feld bereitet eine wachsende
Infrastruktur, denn drahtlose Kommunikation ist durch die
Ausweitung von mobilem Breitband, Hot Spots, LTE und WiFi
großzügig verfügbar, was den Nutzen und die Verbreitung von
mobilen Anwendungen beschleunigt. Auch die Software für Big
Data ist ein begünstigender Faktor – die Möglichkeiten, große
Mengen an Daten zu verarbeiten, haben sich deutlich verbessert.
Die erforderlichen Endgeräte und Komponenten werden immer
günstiger und kleiner, wenn man an die Miniaturisierung von
Computern, Sensoren, den Preisverfall von SIM oder kostengünstige RFID Chips denkt. Und schließlich treibt der Kosten- und
Wettbewerbsdruck neue Lösungen voran – Unternehmen suchen
nach neuen Möglichkeiten zur Einsparung, Sicherheit oder auch
zur Differenzierung.
Änderungen in vielen Lebensbereichen durch M2M
M2M-Lösungen besitzen das Potenzial, unsere zentralen Lebensbereiche zu verändern. Derzeit konzentrieren sich die Anwendungen auf die Bereiche Automotive, Gesundheitswesen, Industrie, Energiemessung, Consumer-Elektronik, Payment & Billing
sowie Sicherheit. Konkrete Beispiele zeigen, wo schon heute der
Einsatz selbstverständlich ist:
Stolpersteine
Folgende Marktfaktoren behindern derzeit den Rollout von M2M:
1. Wechselkosten (CAPEX und OPEX) zum Aufbau von M2M
sind vielfach noch höher als die Einsparungen, die p
­ rimär im
OPEX wirksam werden.
2. Schleppende Standardisierung: Viele Medienbrüche durch
nicht abgestimmte Schnittstellen reduzieren die Prozessgeschwindigkeit, insbesondere wenn es um branchenübergreifende Lösungen geht.
3. Nachfrage nimmt verhalten zu: Der B2B-Bereich hat eine
Vorreiterstellung, da er seit Jahren repetitive Beschaffungsvorgänge von Verbrauchsmaterialien bearbeiten muss.
4. Fragmentierte Marktteilnehmer: Die Akteure für neue Wertschöpfungsketten stammen aus unterschiedlichen Branchen.
5. Migrationen und Prozessumstellungen sind häufig komplex:
Die erforderliche Migrationsnachhaltigkeit wird gescheut
oder Umstellungserfordernisse unterschätzt.
6. Kundenorientierung in der Lösung nicht ausgereift: Technikwunder oder tatsächliche Verbesserung der Wertschöpfung?
7. Konnektivität: Verfügbarkeit und Qualität von Bandbreite
steht nicht immer ausreichend zur Verfügung.
8. Sicherheit: Die Datenverbindung zwischen den Geräten muss
verschlüsselt oder anderweitig gesichert sein.
Beispiel Energieverteilung: Smart Grids passen die Last im
­Energienetz dem Bedarf an und führen die Energie dorthin, wo
sie wirklich gebraucht wird. Das System steuert sich automatisch
und aktiviert nach festgelegten Regeln die einzelnen Energie­
träger. Beispielsweise kann es Präferenzen für Energien aus nachhaltigen Rohstoffen oder Sonnen- und Windenergie aussteuern.
Im privaten oder industriellen Verbrauch unterstützen Smart
Meter den Nutzer darin, die Stromnutzung einfacher zu monitoren und den Stromverbrauch aktiv zu managen. Doch auch für
Energieversorger ergeben sich Einsparpotenziale: Sie können die
Flotte der Ableser durch das „Ablesen remote“ der Smart Meter
deutlich reduzieren.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Beispiel Smart Home: Mehr Komfort durch mehr Kontrolle –
im Haus der Zukunft lassen sich alle Lebensbereiche wie Küche,
Entertainment, Bad und Heizung von unterwegs wie auch innerhalb des Hauses durch ein ICT-gesteuertes Kontroll-Panel
steuern. Ein intelligenter Spiegel verrät neben News, Wetter und
Temperatur, in welcher Stimmung Sie selbst sind – und dimmt
das Licht entsprechend.
Dienstleistungsgewerbe: In der Esso-Tankstelle im britischen
Thetford gibt es immer heißen Kaffee! Bevor der K
­ affeemaschine
das Pulver ausgeht oder eine Wartung ansteht, setzt sie auf B
­ asis
einer Software für M2M-Kommunikation automatisch einen Ruf
an den Aufsteller Simply Coffee ab. Dessen Außendienst kann
rechtzeitig Abhilfe schaffen. Die Software wird in einer Cloud
betrieben, Simply Coffee mietet sie und spart Investi­tionskosten
von rund 70 000 Euro.
Im Gesundheitswesen wird medizinisches Gerät vernetzt und die
Archivierung digitalisiert, so dass der Zugriff auf Patienten- sowie Therapiedaten einfach und jederzeit möglich ist. M2M im
Gesundheitswesen basiert auf der Idee, Herzfrequenz, Blutdruck
und andere Parameter per Sensoren kontinuierlich aufzunehmen
und in ein Gesundheitssystem mit Kontrollservern einzuspeisen.
Dort werden die Daten analysiert und Empfehlungen an den
Patienten oder das betreuende Ärzte- und Pflegeteam gesendet.
Dies steigert die Effizienz der Behandlung und senkt die Gesundheitskosten.
Beispiel Verkehr: In smarten Städten erfolgt der Transport reibungsloser! Echtzeitverkehrssysteme steuern den Verkehr in der
Stadt. Vernetzte Verkehrsträger und multimediale Autos tragen
zu mehr Sicherheit, mehr Effizienz und zu mehr Entertainment
beim Fahrerlebnis bei.
Beispiel industrielle Produktion: In der industriellen Produktion
und Dienstleistung schaffen durchgängige Workflows Produktivitätsvorteile. M2M deckt hier den kompletten Lebenszyklus
einer Maschine ab, von der Initialkonfiguration und Aktivierung
von Investitionsgütern und der unterstützenden Bereitstellung
der Installationsdokumentation bis hin zur Unterstützung bei
Bedienung, optimierten Konfiguration oder Überwachung, von
der Wartung in Form von automatisierter Störungsmeldung und
Wartung remote bis hin zum Austausch – Ersatzgerät finden und
bestellen sowie Transfer der Konfiguration von Alt- auf Neugerät.
Insgesamt sorgt der Austausch von Daten für eine reibungslose
Fertigung.
Selbst in der Landwirtschaft wird die Produktivität durch automatische Erntemaschinen unterstützt. Sensoren in und an Tieren
geben beispielsweise Auskunft über Melkzeiten oder Niederkunft
von Kälbern: Auf dem Hof Josef Schreiber sind 80 Kühe mit
hochsensorigen Halsbändern ausgestattet, die jede Bewegung
registrieren. Die Daten gelangen anschließend automatisch
zum Stallcomputer. Ziel des Datensammelns ist es, den optimalen Zeitpunkt für die Befruchtung der Tiere zu finden. Das
Abbildung: Partnermanagement in M2M-Projekten
Value Chain Analyse
Partnerselektion
• SWOT-Analyse zur Identifikation von
Verbesserungspotenzialen im Prozess
• Long list / Short list der Partner
• Exit nicht-performanter Partner
M-O-P-S Entscheid
• Entscheidung über Make, Outsource,
Partner oder Buy
Monitor
Run
• Angang/Bindung von Partnern in
LOI/Kooperationsverträgen
Connect/Disconnet
• Integration neuer Partner
• Ausphasen schwacher Partner
Abweichungsmanagement
Transformation
• Proaktive Frühwarn-Signale
• Korrekturmaßnahmen
• Anpassung von Schnittstellen,
Applikationen und Datenverbindungen sowie Standorte
Quelle: Detecon
50
Build
Partner/
schaftliches
Vorgehen im
M2M
Leistungsmessung
• Einsatz von KPIs, die die Leistung des
Partnernetzwerks messen
• Definition Ziele, Screening Trends
Partnerinitiierung & Vertragsgestaltung
Plan
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
gelingt mit Hilfe einer Analysesoftware, die ihre Ergebnisse per
SMS an Schreibers Handy schickt. Trotz der Investitionskosten
amortisiert sich diese M2M-Lösung für den Familienbetrieb,
sagt Schreiber im Handelsblatt vom 23.10.2013: „Ob die Kuh
befruchtet wird oder nicht, beeinflusst ihre Wirtschaftlichkeit
enorm.“ Wird der richtige Zeitpunkt verpasst, muss Schreiber
wieder wochenlang warten.
formiert, muss das Partnernetzwerk zum Laufen gebracht – und
anschließend am Laufen gehalten werden. Traditionelle Regelungsmechanismen wie Organisation und Prozesse sorgen zwar
für die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung. An den
Schnittstellen der Zusammenarbeit entscheidet sich aber, ob sich
diese Arbeitsteilung effizient entfaltet – das Alignment der Beteiligten entscheidet über den Erfolg.
Neben die Technologie tritt überlegene Partnering-Kompetenz
In vielen Beratungsprojekten hat sich ein 4-Stufen-Vorgehensmodell bewährt, das den ganzen Lebenszyklus des Wertschöpfungsnetzes abdeckt (siehe Abbildung).
In M2M-Applikationen werden verschiedenartige Technologien
kombiniert. Dies initiiert eine horizontale, branchenübergreifende Integration – Branchen wachsen zusammen. Neben die
technologische Kompetenz tritt das Management der Marktteilnehmer: Unternehmen müssen die kombinierten Stärken
der globalen Player ins Spiel bringen. Professor Böcker von
der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Präsidiumsmitglied der
M2M-Allianz e.V., stellt als Schlüsselfaktoren fest: „Sicher ist
die technologische Lösungskompetenz die erste Wettbewerbs­
visitenkarte solcher Netzwerke. Partnering ist aber der wichtigste
­Hygienefaktor. Sowohl die Partnerauswahl als auch das Management der Partner im laufenden Betrieb ist erfolgsentscheidend,
genauso wie die Fähigkeit, sich von schwachen Partnern zu trennen und diese schnell durch leistungsfähigere Kooperationspartner zu ersetzen.“ Überzeugende M2M-Lösungen sind deshalb
unweigerlich mit dem Aufbau und Betrieb eines professionellen
Partnermanagements verbunden.
Heute konkurrieren häufig nicht mehr einzelne Unternehmen
miteinander, sondern firmenübergreifende Unternehmensallianzen und virtuelle Unternehmensnetzwerke. Diese als Smart
Business Networks bezeichneten Netzwerke sind stark verzahnte
Geschäftsmodelle zwischen den Akteuren. Die Ausgestaltung der
Wertkette mit konkreten Partnern, die individuelle Konfiguration des Wertschöpfungsangebots und die Betonung einzelner
Stufen und Funktionalitäten bestimmen über die Besonderheiten
des Angebots und das Renditepotenzial. Merkmale sind Flexibilität und Agilität, um neue Geschäftsverbindungen eingehen
zu können und auch wenig erfolgreiche Kooperationen wieder
schnell aufzulösen (Quick Connect & Disconnect). Sie können
automatisch an einzelne Geschäftsprozesse andocken (Plug &
Play) und folgen smarten und einfachen Geschäftslogiken für Informationsfluss und Entscheidungsfindung.
Um im netzzentrierten Wettbewerb mit einem partnerzentrierten
Ansatz zu bestehen, sind zwei große Schritte notwendig: Die strategische Business Transformation erfordert die Neuausrichtung
der Wertschöpfungsaktivtäten auf die angestrebte Wettbewerbsposition des jeweiligen Unternehmens. Ist die Partnerallianz
Das Prozessdesign in der Transformationsphase ist erfolgsentscheidend. Für jede Art von Zusammenarbeit gilt, dass Aufgaben
anders aufgeteilt und somit Prozesse, Prozessschritte und Verantwortlichkeiten durchleuchtet, angepasst und umgestaltet werden
müssen. Die organisatorische Optimierung beginnt bereits bei
der Einigung auf einen neuen Zuschnitt und die Optimierung
der fortan gemeinsam zu durchlaufenden Prozessketten. Ziel ist
es, zu einem gemeinsamen, sinnvollen und durchgängigen Prozess zu gelangen. Basis des Managementmodells ist das Entrepreneurship der Mitglieder. Die Kontrollmöglichkeiten nehmen
an anderer Stelle zu: IT-Standards und die Existenz von M2MKontroll-Systemen machen die Überwachung der Warenströme
der Wertschöpfungsketten sowie der Kunden-Response immer
einfacher. Das Erfolgs-Tracking der Partnerschaft und der gemessene Wertbeitrag jedes Partners wird in der Zukunft noch mehr
in den Steuerungssystemen der Unternehmen Einzug halten.
Und: Partnerschaften sind auf Zeit angelegt. Geeignete Exit-Mechanismen sind vorzusehen, um ein faires und reibungsloses Disconnect zu ermöglichen, falls die Kooperation nicht funktioniert.
Virtuelle Wertschöpfungsnetzwerke werden zukünftig den
M2M-Markt beherrschen. Eine Komponente der Kontrolle fällt
allerdings weg: Die Kontrolle durch Eigentum. Zusammenarbeit
ist der Rohstoff, ein gemeinsames Verständnis das Ideal.
Dr. Christian Krämer ist als Managing Consultant in der Organisations- und Strategieberatung aktiv und forscht auf dem Gebiet „Business
Collaboration“. M2M-Anwendungen verfolgt er im ­Branchenumfeld der
Consumer-, High Tech- und Telekommunikationsindustrie. Als EFQMAssessor engagiert er sich in der Verbesserung von Unternehmen unter
Höchstleistergesichtspunkten.
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Next Generation Digital Health Services
Diabetes Präventionsportal gibt die
Richtung vor
Die Anforderungen an Next Generation Digital Health Services haben ­Parallelen zur Telekommunikation.
Wie hervorragend sich erprobtes K
­ now-how übertragen lässt, zeigt das Diabetes Präventionsportal.
iabetes mellitus ist eine Volkskrankheit, die besonders in
D
den industrialisierten Ländern zunimmt. Für die Betroffenen
können sich aus dem Diabetes schwerwiegende Folgeerkrankungen ergeben, von einer Schädigung der Blutgefäße, Nerven
und Augen bis hin zu Krebs. Für das Gesundheitssystem hat
dies enorme Behandlungskosten zur Folge.
Studien belegen klar, dass eine Steigerung von Adhärenz die Gesundheitsergebnisse signifikant verbessern. Die Anzahl der Neueinweisungen nach Operationen kann reduziert werden, wenn
der Patient umfassend zuhause überwacht und versorgt wird.
Selbstbestimmtheit und Informiertheit der Patienten sind klare
Ziele der Next Generation Health.
Aktuelle Produktentwicklungen konzentrieren sich auf die Realisierung dieser Ziele. In diesem Kontext entstand das Diabetes Präventionsportal. Das gemeinsam von Detecon, T-Systems
und Central Krankenversicherung entwickelte Präventionsportal Diabetes bietet die Möglichkeit, Bewegungs- und Blutzuckerwerte kontinuierlich selbst zu kontrollieren. Mit Unterstützung eines persönlichen Coaches lernt der Teilnehmer,
wie er seinen Gesundheitszustand aktiv selbst verbessern kann.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Ein entscheidender Erfolgsfaktor war die Übertragung von
Know-how aus der Telekommunikation auf die Gestaltung des
­Präventionsportals.
Interaktives Webportal bietet Komplettlösung für Diabetiker
Die Diabetiker können mittels Schrittzähler, Blutzuckermessgerät und Smart Phone kontinuierlich ihre korrelierten
Bewegungs- und Blutzuckerdaten kontrollieren. Berater des
Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums und auf
Wunsch auch eigene Angehörige begleiten die Teilnehmer
des Präventionsprogramms. T-Systems bietet ihren Kunden
­somit eine Komplettlösung. Sie umfasst die Einbindung seiner
­Patienten in ein Coaching-Programm, sichere Übertragung und
Korrelation der Daten, eine anwenderfreundliche Nutzeroberfläche sowie den laufenden technischen Support. Das System
ist modular aufgebaut, Kunden können die Leistung auf weitere
Serviceangebote für ihre Versicherten ausbauen.
Um das interaktive Webportal nutzen zu können und die eigenen Protokolle im Tagebuch abzurufen, melden sich die Teilnehmer in wenigen Schritten selbstständig an. Bei Problemen
mit der Anmeldung oder während des weiteren Betriebs bietet
die Central über Telefon- und E-Mail-Hotline den First Level
Support. Den Second Level Support leistet T-Systems.
Über das Präventionsportal erhalten Versicherte und deren Betreuer bei der Central ein tägliches Protokoll über Bewegung
und Blutzuckerwerte beziehungsweise können diese jederzeit
online einsehen. Anhand der korrelierten Werte lassen sich
Verbesserungen des persönlichen Lebensstils ableiten. Alle Teilnehmer können auch ihren Angehörigen einen Datenzugang
gewähren und sich somit eine noch breitere Unterstützung
sichern. Begleitend dazu wird das Präventionsportal in seiner
nächsten Ausbaustufe auch eine informative Community-Plattform anbieten.
Telekommunikations-Know-how sichert Qualität und
reduziert Risiko und Zeiteinsatz
Die umfassende Betreuung der Programmteilnehmer erfordert
einen ganzheitlichen Lösungsansatz. Es muss sichergestellt werden, dass die Einschreibung neuer Teilnehmer, die Aktivierung
der Geräte und des Coaching Service als auch der laufende Betrieb bis hin zum Billing reibungslos und effizient funktioniert.
Lösungen wie das Diabetes Präventionsportal müssen hoch skalierbar sein, die Kosten müssen dabei im Rahmen gehalten werden. Der Betrieb eines solchen Portals erfordert Prozesse für die
Kernbereiche Management von Kundenanfragen zum Produkt,
Management verschiedener Produktvarianten, Bereitstellung
(Provisionierung) von Diensten (Coaching & mobile Geräte),
Management von Problemen im Betrieb, Abrechnung der bereitgestellten Dienste.
Für die Modellierung der Managementprozesse bietet sich das
Prozessmodell eTOM an. Bereits 2012 hat Detecon begonnen,
dieses auf den Bereich Healthcare zu übertragen und erhielt
hierfür im Juni 2013 eine Auszeichnung vom TMForum®.
Das Wiederverwenden bestehender Best-Practice-Lösungen aus
dem Telekommunikationsbereich sichert nicht nur eine hohe
Qualität, sondern reduziert Risiko und Zeit bei der Modellierung und Umsetzung. Beispielsweise verhält sich der Prozess
„Einschreiben eines neuen Teilnehmers“ wie ein „Order-Prozess“ für ein Mobilfunkprodukt. Bei der Bestellung eines Mobilfunkservice wird in der Regel eine Kreditprüfung durchgeführt, gegebenenfalls die Verfügbarkeit der Endgeräte geprüft
und die einzelnen Produktanteile aktiviert. Analog hierzu
durchläuft der Patient erst eine „Eignungsbewertung“ mittels
eines Anamnesebogens. Nach erfolgreicher Freigabe werden
die einzelnen Servicebestandteile beauftragt: Starterpaket mit
Messgeräten versenden, Online-Konto für Messgeräte aktivieren, Coach zuweisen.
Wanted: Next Generation Digital Health Services
Klassisch gesehen gibt es getrennte Bereiche im Healthcare, deren Märkte in ihren eigenen Silos betrachtet werden. So kann
man zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention,
akuter medizinischer sowie chronischer Versorgung unterscheiden. Durch neue Technologien, eine ständig wachsende Zahl
neuer Marktteilnehmer, zum Teil aus nicht medizinischen Bereichen, wird diese strikte Trennung immer weiter verschwimmen. Mit dem Diabetes Präventionsportal wurde bereits eine
technische Basis für moderne Präventionsprogramme geschaffen.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für Next Generation Digital
Health Services ist die Fähigkeit, schnell auf neue Marktanfor­
derungen zu reagieren und entsprechende Produktbündel anbieten zu können. Beispielhaft genannt seien Lösungen, die aufgrund von Pandemien schnell entsprechend geschnürte Pakete
für Informationsbereitstellung, Sammeln von Vitalparametern
und ärztliche Betreuung anbieten können.
Viele dieser Anforderungen zeigen hohe Parallelen zur Telekommunikation. Zentrale Erfolgskriterien für neue Geschäftsmodelle sind
• Skalierbarkeit,
• Wiederholbarkeit,
• Erweiterbarkeit für andere Dienstleistungen oder
Krankheitsbilder,
• Business Interoperabilität entlang der neuen
Wertschöpfungsketten.
Detecon leitet seit Ende 2012 ein Catalyst Programm des TM
Forum. Hier wird die Adaption der Telco Best Practice Suite
für Prozesse, Informationsmodelle und Applikationsarchitektur
Framworx® auf den Gesundheitsbereich vorangetrieben.
Die Central ist ein Unternehmen der Generali Deutschland ­Gruppe. Sie bietet passgenaue
Krankenversicherungen – als ­Vollversicherung sowie als Zusatzversicherung für gesetzlich Ver­sicherte. Mit Beitragseinnahmen
von rund 2,2 Milliarden Euro und knapp 1,8 Millionen Kunden
zählt die Central zu den ­führenden privaten Krankenversicherungen in Deutschland. Mit speziellen Gesundheitsprogrammen
kümmert sich die Central um die Belange von chronisch kranken
Versicherungsnehmern. B
­ ereits seit zehn Jahren bietet die Central
eine besondere Betreuung für Diabetiker an.
Sven Schuchardt, Managing Consultant, berät Unternehmen der
Pharma- und Health-Industrie zu innovativen Themen.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Ambient Assisted Living
Hohes Marktpotenzial,
aber der Anstoß fehlt
AAL-Produkte erhöhen die Lebensqualität von älteren und hilfsbedürftigen M
­ enschen. Rechtliche, finanzielle und technische Hürden
erschweren den Durchbruch. Politik und Wirtschaft sind gefordert.
2060 wird in Europa jeder Dritte älter als 65 Jahre
Ialt msein.JahrDieser
demografische Wandel führt dazu, dass immer
mehr Personen im Renten- und Pflegealter von immer weniger
Erwerbstätigen finanziert werden müssen. Die Mobilitätsanforderungen unserer Gesellschaft trennen Familien, die über drei
Generationen gehen, räumlich immer stärker, so dass Senioren
weitestgehend auf sich selbst angewiesen sind, gepaart mit dem
Wunsch, so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben in ihren eigenen vier Wänden zu führen. Diese Entwicklung lässt die
Nachfrage nach Assistenzlösungen im Alten- und Pflegebereich
stetig steigen, die aufgrund suboptimaler Arbeitsverhältnisse
hinsichtlich Entlohnung und Arbeitszeiten auf ein bestenfalls
stagnierendes Angebot in der personalintensiven Altenpflege
trifft.
AAL steht für mehr Lebensqualität
Einen Ausweg aus diesem Alten- und Pflegedilemma verspricht
die stärkere Konzentration und Förderung von „Ambient
Assisted Living“ („umgebungsunterstütztes L
­
­ eben“), vielfach
nur unter der Abkürzung AAL bekannt. AAL fasst Konzepte,
technische Lösungen, Produkte und Dienstleistungen zusammen, die neue Technologien und soziales Umfeld mit­einander
verbinden, um die Lebensqualität von älteren und hilfe­
bedürftigen Menschen zu erhöhen, in dem sie in ihren eigenen
vier Wänden ein weitgehend autonomes Leben führen können.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Das Anwendungsgebiet technischer Assistenzsysteme ist sehr
umfangreich. Diese reichen vom mobilen Hausnotruf, Sensoren
in Wänden, Teppichen oder Kleidern über PC- oder TV-basierten visuellen Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten
mit Freunden, Verwandten, Arzt, Pflegedienst oder Dienstleistern für den täglichen, häuslichen Bedarf bis hin zu kompletten Smart-Home-Lösungen, die alle Aspekte der Sicherheit,
Betreuung, Familie, Freizeit, Notruf und Medizin zum Wohle
der Nutzer einbeziehen.
Die Politik ist sich der Herausforderungen des demographischen Wandels bewusst, so dass das Thema AAL Bestandteil der
High-Tech-Strategie der Bundesregierung wurde. Im November
2011 verabschiedete das Bundeskabinett die „Forschungsagenda für den demographischen Wandel: Das Alter hat Zukunft“.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
unterstützt seit 2008 die Durchführung des jährlichen AALKongresses, zudem wurden eine Vielzahl von Förderprojekten
– allein im Jahr 2012 starteten über 20 neue, vom BMBF geförderte Forschungsprojekte für altersgerechte Assistenzsysteme
– und die Einrichtung von Masterstudiengängen zum Thema
AAL initiiert.
Neben der sozialen und gesellschaftspolitischen Komponente
hat AAL jedoch auch einen signifikanten ökonomischen Aspekt. Die EU-Kommission geht davon aus, dass der AAL-Markt
in Europa in den nächsten zwei Jahren um jährlich 14 Prozent
auf einen Umsatz von 38 Milliarden Euro anwachsen wird.
Herausforderungen erschweren Markteintritt
von AAL-Lösungen
Während viele technische AAL-Entwicklungen vorangetrieben,
Förderprojekte anlaufen beziehungsweise abgeschlossen werden
und bereits eine Reihe von Prototypen existieren, ist ein breiter
Markteintritt von AAL-Produkten immer noch nicht von Erfolg gekrönt. Abgesehen von einigen bescheidenen Anfangserfolgen bei Aktivitätsmessgeräten oder Notruf-Armbändern hat
bisher kaum eine AAL-Lösung den Durchbruch geschafft. Dies
kann mehrere Gründe haben.
Datenschutz: In der Bevölkerung existieren gewisse Vorbehalte
gegen eine ständige Überwachung in den eigenen vier Wänden. Der Vorteil eines Mehr an Lebensqualität darf nicht durch
mögliche Probleme beim Datenschutz und der Verletzung der
Privatsphäre kompensiert werden. Hier sollte angestrebt und
dem Nutzer auch entsprechend kommuniziert werden, dass die
Intelligenz, die die erhobenen Daten auswertet, sich bei ihm vor
Ort befindet und nur dann eine Datenkommunikation nach
außen erfolgt, wenn ein vorab definierter Grund dafür vorliegt.
Finanzierung: Da die potenzielle AAL-Käuferschicht überwiegend über Einkommen aus Rente oder Pensionen verfügt, sind
die Budgets für Investitionen in AAL-Lösungen, Produkte oder
Services in den meisten Fällen eher limitiert. Hier sind diejenigen gesellschaftlichen Institutionen als Financier gefragt, bei
denen Ausgaben im Bereich AAL durch entsprechende Einsparungen kompensiert werden können. Dies ist insbesondere
im Bereich der Telemedizin der Fall. Dort wurde mittlerweile
nachgewiesen, dass durch die Ausstattung von Patienten mit
Geräten zur häuslichen Messung von Vitaldaten wie Gewicht,
Blutdruck und Herzfrequenz und deren automatischer Weiterleitung an das Pflegepersonal oder den Arzt die hohen Kosten
für stationäre Krankenhausaufenthalte deutlich reduziert werden können. Nach jahrelangem vergeblichen Ringen und dem
Verstreichen von Fristen der Bundesregierung, dass Ärzte ihre
telemedizinischen Leistungen über den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abrechnen können, haben der Spitzenverband des GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) und die
KBV (Kassenärztlichen Bundesvereinigung) nun Mitte 2013
eine gemeinsame Rahmenvereinbarung aufgesetzt, in der der
EBM auf die mögliche Finanzierung der Telemedizin hin zu
prüfen sein soll.
Konsortien und Standards: Da die verschiedenen Bereiche ineinander greifen, müssen sie entsprechend verzahnt sein. Das
erhöht die Komplexität deutlich. Diese Tatsache und die häufig
noch fehlenden Standards, insbesondere bei den Schnittstellen
zwischen den verschiedenen Systemen, erhöhen die Anforderungen an die intelligenten Assistenzsysteme. Da bei komplexeren
AAL-Lösungen eine ganze Reihe von Unternehmen zusammenarbeiten muss, stellt sich die Frage, wer hier die Verantwortung
trägt. Bisher sind dies in den Förderprojekten entweder Unternehmen aus dem Bau- oder aus dem ICT-Sektor, die eine Vielzahl von Unternehmen zusammenbringen und Lösungen für
die unterschiedlichen Schnittstellen definieren müssen.
Steigender Druck zur Einführung von AAL-förderlichen
Rahmenbedingungen
Da Länder aus Skandinavien und Großbritannien rechtliche
Fragen, Fragen der Finanzierung und der technischen Standards schon weitgehend gelöst haben, entwickelt sich dort zunehmend der Markt für AAL Lösungen. Dadurch wächst in
Deutschland der Druck auf Gesetzgeber, Sozialversicherungen
und technische Standardisierungsinstitutionen, auch hierzulande AAL-förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen, so dass in
den kommenden Jahren mit einem signifikanten Marktdurchbruch zu rechnen ist.
Deutsche Telekom und Detecon als kompetente Partner
im AAL-Markt
Die Deutsche Telekom hat sich schon früh dem Thema AAL
zugewandt und eine Vielzahl von Applikationen in der T-City
Friedrichshafen implementiert. Das über drei Jahre laufende
Pilotprojekt Smart Senior wurde im Jahr 2012 erfolgreich abgeschlossen. Der Forschungsverbund von 28 Partnern unter
Leitung der Deutschen Telekom brachte eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten zu Tage, um die Herausforderungen aufgrund der Überalterung unserer Gesellschaft anzugehen. Unter
dem Namen Qivicon bietet die Deutsche Telekom jetzt ein umfassendes AAL-Konzept mit einer Reihe von Industriepartnern
an. Detecon ist seit Jahren als kompetenter Ansprechpartner
in den verschiedensten AAL-Bereichen bei der Erstellung und
Implementierung von ICT-Lösungen tätig, die von der Umsetzung von Videokommunikationskonzepten, der Erstellung
von Service Portal Lösungen bis hin zur Implementierung von
Telemonitioring-Applikationen reichen.
Jürgen Richter ist Managing Consultant und berät Unternehmen
aus der Pharma- und Health-Industrie zu den Themen AAL,
Telemedizin, Medikationsadhärenz und Behaviour Intervention.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
eGovernment-Gesetz
Drei Thesen
zur Zukunft
der digitalen
Behörde
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Im Jahre 2022 hat die deutsche
Verwaltung ein digitales Wissensmanagement in ihren horizontalen und
vertikalen Verwaltungsebenen
eingeführt.
2022 wird durch die Institutionalisierung des digitalen
Wissensmanagements der verwaltungsinterne Austausch von
­
Dokumenten, Informationen und Erfahrungen etabliert. Blaupausen dienen allen Verwaltungsebenen als Wissensgrund­
lage für zukünftige Vorhaben und werden für alle Mitarbeiter
jederzeit zugänglich abgelegt. Institutionalisiertes digitales
­
Wissensmanagement ermöglicht der Verwaltung, Synergie­
­
effekte zu realisieren, um bei schwindender Personaldichte
­dieselben Aufgaben effizienter und effektiver zu bewerkstelligen. >> Die digitale Erfassung von Erfahrungswerten einzelner
Mitarbeiter führt dazu, Prozessoptimierungen auf Basis der
Nutzung von bereichsübergreifendem Wissen aus den horizontalen und vertikalen Verwaltungsebenen zu ermöglichen. >>
Die kollaborative Kultur des digitalen Wissensmanagements im
Jahre 2022 fördert dezentrales Arbeiten durch Austausch von
Dokumenten, Informationen und Erfahrungen. Dokumente,
zum Beispiel Blaupausen, sind aus einem Netzwerk oder von
einem bestimmten Computer aus zugänglich und werden über
behördliche Grenzen hinweg geteilt. >> Trotz ausscheidender
Mitarbeiter steht das Wissen der Verwaltung auch in Zukunft
allen zur Verfügung.
Verbesserte Kommunikationskanäle und Datentransfers über alle
föderalen Ebenen werden bis 2020
etabliert, schaffen Synergieeffekte und
ermöglichen eine signifikante
Effizienzsteigerung.
Durch das eGovernment-Gesetz
werden Schnittstellen zwischen Staat
und Wirtschaft geschaffen, die ein
medienbruchfreies Melde-, Berichtund Dokumentationswesen
ermöglichen.
Die gesetzlich verankerte Digitalisierung der Bundesbehörden,
wie sie im eGovernment-Gesetz festgeschrieben ist, ermöglicht
eine bessere und vor allem schnellere Vernetzung der unterschiedlichsten Behörden. Somit wird es 2020 möglich sein, dass
Verwaltungen, soweit es die Datenschutzrichtlinien erlauben,
gemeinsam auf ein Datennetzwerk zugreifen können. >> Verwaltungsanfragen werden im Jahr 2020 über alle Verwaltungsebenen hinaus über den medienbruchfreien digitalen Kommunikationsweg gestellt und beantwortet. Dies schließt sowohl
den Austausch von Aktenbeständen als auch rechtsverbindliche
Unterschriften via qualifizierte elektronische Signatur mit ein.
>> Verfügbare Datenbestände können ohne gesonderte Anfragen von verschiedenen Behörden gleichzeitig genutzt und der
bestehende Amtsweg dadurch massiv verkürzt werden. Beispiel:
Die Immatrikulationsbescheinigung eines Studenten kann nach
dessen Einverständnis den zuständigen Behörden direkt digital
im Datennetzwerk zur Verfügung gestellt werden. >> Digital
unterstützte innerbehördliche Kommunikation und Datentransfers senken die heute sehr hohen Bürokratiekosten in den
kommenden sieben Jahren erheblich. >> Computerunterstützte
Kommunikations- und Datenkanäle helfen der Verwaltung,
­bekannte Fehler und Verfahrensänderungen schneller in die
­Regelprozesse zu implementieren.
Eine fortlaufende Digitalisierung der Bundesbehörden wird
nicht nur interne Prozesse, sondern auch die Kommunikation
mit externen Beteiligten verändern. In Zukunft wird das aufwendige Melde-, Bericht- und Dokumentationswesen, dass
heute noch weitestgehend papierbasiert an die zuständigen
Behörden übermittelt werden muss, digital an die Verwaltung
übertragen. >> Unternehmen mit einer h
­ ohen Meldepflicht
gegenüber Behörden bilden bereits heute den Großteil ihrer
Prozesse digital ab. Neue Möglichkeiten der Kommunikation
zwischen Verwaltung und Wirtschaft ­(Government-to-Business
– G2B) machen auf beiden Seiten ein erhebliches finanzielles
Einsparpotenzial möglich. >> Die digitale Übermittlung von
geforderten Unterlagen befähigt die ­Behörden, nahezu ohne
zeitlichen Verlust auf Erkenntnisse aus diesen Dokumenten
zu reagieren und notwendige Maßnahmen einzuleiten. Damit
können Anträge schneller bearbeitet und Forderungen schneller übermittelt werden. Dies verbessert die Handlungsfähigkeit
und allgemeine Aufgabenerfüllung von Behörden. >> Positive
wirtschaftliche Impulse treten in Kraft, da Firmengründungen,
Bauanträge und ähnliche Verwaltungsvorgänge ortsunabhängig eingereicht werden. Allein der dadurch entfallende zeitliche
Aufwand hat große Implikationen für den Wirtschaftsstandort.
>> Auf europäischer Ebene werden der gemeinsame europäische
Markt und die Freiheit der Bürger weiter gestärkt, da Ummeldungen und Anträge im EU-Ausland ohne persönlichen Gang
zur Behörde zu realisieren sind.
Michael von Uechtritz und Steinkirch ist Partner und Head of
Public Sector. Er berät den öffentlichen Bereich zur digitalen Transformation, zu nachhaltigen Lösungen und Effizienzsteigerungen.
Philipp Pytel ist als Business Analyst im Public Sektor tätig.
Schwerpunkt sind die Themen Digitalisierung von Prozessen und
Verfahren sowie Innovationen im ICT-Umfeld.
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Wenn einer eine Reise tut …
Ein Bericht über die
eGovernment-Städtelandschaft
Deutschlands
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„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Das bekannte Zitat eines
Gedichts von Matthias Claudius aus dem Jahr 1786 ist so aktuell wie eh und je. Mehr als
200 Jahre später im digitalen Hier und Jetzt berichten wir von unserer Reise in die Welt des
Electronic Government – kurz „eGovernment“ – 39 deutscher Städte.
ommunen sind derzeit die aktivsten Treiber für eGovernK
ment-Anwendungen und die Digitalisierung des kommunalen
Verwaltungshandelns. Viele Städte sehen sich in ihren Initiativen jedoch mit vielfältigen Randbedingungen konfrontiert:
Schuldenbremse und demographischer Wandel auf der e­inen
Seite, Anforderungen der diversen Interessengruppen wie
­Bürger, Unternehmen, Vereine und Verbände, Politik und die
eigene Verwaltung auf der anderen Seite. Hinzu kommt das
am 1. August 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Förderung
der elektronischen Verwaltung (eGovernment-Gesetz), das die
elektronische Kommunikation mit der Verwaltung sowie von
Behörden untereinander vereinfachen soll. Es wird die Digitalisierung auch in den Kommunen weiter vorantreiben.
eGovernment-Innovationshaus und Kompass
Anlass genug, uns auf den Weg in das digitale Zeitalter der deutschen Städte zu machen und den eGovernment-Puls zu fühlen.
Unsere Reisen führten uns quer durch fast alle Bundesländer in
39 Städte – darunter die Bundesstadt Bonn, ­Landeshauptstädte
und Städte unterschiedlichster Größe von 25.000 bis hin zu
600.000 Einwohnern. Detecon-Berater aus dem Public Sector
führten intensive Dialoge mit unseren Gastgebern – Leitern für
eGovernment, Beigeordnete, Kämmerer und Abteilungsleitern
für Organisation beziehungsweise IT – zu ihren eGovernment-
Zielen und aktuellen Maßnahmen, Best Practices und daraus
ableitbaren Erfolgsfaktoren für die Modernisierung ihrer Verwaltung.
Entlang des Detecon-Vorgehensmodells „eGovernment-Innovationshaus“ (siehe Abbildung) beleuchteten wir zusammen mit
unseren Gesprächspartnern deren eGovernment-Strategie, Status und Erfolge in den Domänen eAssistenz, eAdministration,
ePartizipation, Mobile Government, Open Government Data,
eSignatur, Sicherheit, ePayment und ICT-Infrastruktur. Den
Dialog stützte in der Regel die kostenlose Detecon-­Applikation
(App) „eGovernment Kompass“. Sie zeigte unseren Gesprächspartnern mittels des am eGovernment-Gesetz orientierten
­Detecon-Reifegradmodells, wie ausgereift ihre Maßnahmen im
Bereich elektronischer Verwaltung bereits sind und in welchen
Bereichen noch Handlungsbedarf besteht.
Treten Sie ein!
Das Stadtportal ist für Zugezogene, Bürgerinnen und Bürger
ebenso wie Touristen in der Regel der erste und primäre virtuelle
Kontakt zu einer Stadt und ihren Leistungen. So unterschiedlich die von uns besuchten Städte sind, so unterschiedlich ist
auch unsere Bewertung, was Klarheit, Struktur, Übersichtlichkeit, Inhalt und Nutzerfreundlichkeit ihres Internet-­Auftrittes
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
betrifft. Bemerkenswert: Die eine oder andere ­kleinere Stadt
stellt mit einem durchgängigen, nach dem Lebenslagenprinzip
aufgebauten übersichtlichen Internet-Angebot, das einen mit
zwei Klicks dort hinbringt, wo man hin möchte, so ­manche
Großstadt in den Schatten. Darauf angesprochen, stellen
die ­Vorreiter als Erfolgsfaktor die enge Zusammenarbeit von
­eGovernment-Verantwortlichen, den Referaten für Öffentlichkeitsarbeit und IT und – wenn zutreffend – der StadtmarketingGesellschaft heraus. Kommunen als Verwaltungseinheiten mit
der häufigsten Kontaktfrequenz zu Bürgern müssen immer auch
eine Reihe von Herausforderungen in der Optimierung ihres
Stadtportals bewältigen: zum einen die laufende Weiterentwicklung bei Aufbau und Inhalt und damit verbunden die politische
Einflussnahme sowie Interessenskonflikte zwischen den für die
Inhalte stehenden Fachbereichen, zum anderen die Technik und
zunehmend auch der in personeller Hinsicht wachsende Aufwand zur Betreuung des Portals. Immerhin: Viele Städte mit
Nachholbedarf sind sich dessen nicht nur bewusst, sondern
befinden sich mitten im Relaunch ihres Internet-Auftritts oder
planen diesen zumindest.
Im Dickicht der Städte
In der Wahrnehmung als Bürger untrennbar mit dem Stadt­
portal verbunden sind die verfügbaren Services, also elektronische Verwaltungsdienste. Verwöhnt durch im Internet
durchgängig online buchbare Leistungen für so gut wie alles
Denkbare, stößt der digitale Weltenbürger oder das interna­
tional tätige Unternehmen hier an einige digitale Grenzen.
Wer beispielsweise erwartet, seinen Antrag auf einen Bewohnerparkausweis oder eine Sonderflächennutzungsgenehmigung
komplett online abzuwickeln, findet sich meist noch in der
teil-digitalisierten Realität wieder. Nur sehr wenige Städte wie
die Landeshauptstadt Stuttgart bieten die Online-Beantragung
Abbildung: eGovernment-Innovationshaus
eGovernment-Strategie
Mobile Government
eAssistenz
eAdministration
ePartizipation
Open Government Data
eSignatur
Sicherheit
IKT-Infrastrukur
Quelle: Detecon
60
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
ePayment
eines Bewohnerparkausweises und Bezahlung durch Lastschrift
oder gar Kreditkarte an. Was ist der Grund für den heterogenen und in Summe deutlich verbesserungswürdigen Digitalisierungsgrad bei der Abwicklung von Verwaltungsverfahren?
­Warum endet der Online-Service noch so oft an der Schnittstelle zum Drucker zu Hause, wo das online ausgefüllte Formular
eine händische Unterschrift erfordert und man in das analoge
Zeitalter zurückfällt?
Eine Vielzahl von kommunalen Verwaltungsleistungen hat
­keine besonderen Anforderungen an Formvorschriften. Hier
fragen sich Verwaltungen, wann welche Identitätsnachweise wie
die eID des neuen Personalausweises oder De-Mail einzusetzen
sind. Viele eGovernment-Verantwortliche sprachen mit uns
über die Akzeptanz des neuen Personalausweises sowie Verbreitung von De-Mail und das Ringen um die „beste“ Lösung für
ihre eServices. Kommunen bewegen sich bei der Planung von
elektronischen Services und der kompletten Digitalisierung im
Zielkonflikt von Haushaltsknappheit, Ausräumen von Schnittstellenproblemen, Unsicherheiten bei der Klärung der Rechtslage wie der Schriftformerfordernis und notwendiger Schaffung
von interner Akzeptanz und Veränderungswillen. Viele folgen
daher dem „second mover“-Prinzip und übernehmen das, was
andere bereits etabliert haben.
Zukunft gestalten – die eGovernment Strategie
eGovernment-Masterplan sei aus Ressourcengründen nicht
fortgeschrieben worden und daher nicht mehr als richtungs­
weisendes Element brauchbar.
Wille, konsequentes Handeln und ein langer Atem
In Zeiten, wo sich auch hierzulande eine Open-GovernmentData-Bewegung entwickelt, befassen sich einige Kommunen,
beispielsweise die Stadt Bonn, sehr intensiv mit diesem grundlegenden Paradigmenwechsel. Open Government Data – offene
Verwaltungsdaten – ermöglicht neue digitale Geschäftsmodelle
zwischen Verwaltung, Bürgern und Unternehmen und wird die
bisherige Verwaltungsarbeit und -kultur langfristig stark verändern.
Städte, die sehr früh und dauerhaft den politischen Willen zur
Digitalisierung gefasst und umgesetzt, auf Prinzipien wie eine
durchgängige Architektur gesetzt, Open Data und OnlineBürgerbeteiligung als Chance begriffen und ihre externen und
internen eGovernment-Leistungen über die Jahre konsequent
erweitert haben, werden heute dafür regelmäßig mit Preisen belohnt. Langfristige Ziele, ein klarer Plan, die Verankerung im
Haushalt, das „Wollen“ aller Beteiligten und ein langer Atem
zahlen sich durch deutliche Senkung von Verwaltungskosten
und hohe Akzeptanz bei Bürgern und Unternehmen aus.
Zeitreise ins Jahr 2034
Wo die eine Stadt ihren Fokus vorrangig auf digitale interne
Verwaltungsprozesse mit dem Ziel der Kosteneinsparung setzt,
fokussiert eine andere auf den Ausbau ihrer externen Services,
der Digitalisierung von Leistungen gegenüber Unternehmen,
Bürgern, Verbänden und Vereinen. Eher wenige planen jedoch
aus einer ganzheitlichen Perspektive und mit konsequenter
­Betrachtung, wie und welche Verfahren unter Berücksichtigung
der größten Nutzerdurchdringung als mobile Version angeboten werden können. Viele Kommunen sind sich bewusst, dass
eine übergeordnete Agenda für die durchgängige externe wie
­interne Digitalisierung von Services und Prozessen notwendig
ist, die Themen wie Mobile Government, elektronische Bezahlung, elektronische Akte, Dokumenten Management System
und ­Archivierung mit einbezieht.
Stellen wir uns vor, wir würden uns 20 Jahre in die Zukunft
beamen können. Was würden wir von dieser Zeitreise in die
eGovernment-Welt berichten? Wir glauben an die bis dahin
durchgängig elektronische und papierlose Digitalisierung aller
gängigen Verwaltungsverfahren. mWallet als sicheres, kontaktloses Bezahlen wird auch in der Verwaltung physische Äquivalente abgelöst haben. Services werden uns den Alltag erleichtern, deren Anbieter auf Basis von Open Government Data die
Vorteile der digitalen Welt neu definiert haben. Über einfache
Nutzung eines digitalen Assistenten werden wir das abwickeln,
was wir heute noch als „Behördengang“ bezeichnen. Und der
Duden wird dieses Wort mangels Gebräuchlichkeit bereits gar
nicht mehr aufführen.
Auf die Frage, ob und welche „eGovernment-Agenda“ sie sich
gegeben haben, antwortete die überwiegende Anzahl unserer
Gesprächspartner: Eine tatsächliche Strategie, ein Masterplan
oder eine übergeordnete und umfassende Planung für ihre
­eGovernment-Ziele und Aktivitäten sei dringend notwendig,
fehle heute jedoch. Oder ein in der Vergangenheit erstellter
Claudia Skrobol berät als Managing Consultant Unternehmen
und den öffentlichen Bereich zu den Themen Transformation und
Restrukturierung, eGovernment und Verwaltungsmodernisierung.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Interview mit Sven Hense, Leiter eGovernment und Open Government Data
„Behördliche Onlinedienstleistungen
müssen zu erledigen sein wie eine
Bestellung im Onlineshop“
Detecon führt seit einiger Zeit mit
der Bundesstadt Bonn einen intensiven Dialog zu eGovernment und
unterstützt die Verantwortlichen
in der Weiterentwicklung ihrer
­eService Strategie. Wir sprachen mit
Sven Hense, Leiter des Bereiches
­eGovernment und ­Koordinator
für Open ­Government Data, über
die ­
Herausforderungen, Erfolgs­
faktoren und ­
Potenziale für die
­Digitalisierung der Verwaltung.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
DMR: Welche – auch politischen - Faktoren haben eGovernment
in der Stadt Bonn erfolgreich gemacht? Welche Maßnahmen haben
­besonders dazu beigetragen?
ben und mit den eingesandten Fotos wertvolle Zusatzinformationen. Möglich ist eine medienbruchfreie digitale Bearbeitung,
welche hilft, Bearbeitungszeiten zu verkürzen.
Hense: Vielen Dank für Ihre positive Einschätzung. Sicherlich
ist ein Schlüssel hierfür die Unterstützung durch die Führungs­
ebene, welche bereit ist, neue Projekte zu fördern und Frei­räume
in der Projektarbeit gibt. Gerade bei eGovernment-Themen
sind technische, organisatorische und rechtliche Anforderungen
neu zu entwickeln. Hier muss die Bereitschaft bestehen, neue
Wege zu beschreiten und die Projekte erproben zu können.
DMR: eGovernment verändert Arbeitsalltag, -prozesse und -strukturen der Beschäftigten einer Stadtverwaltung. Was sind Ihrer
­Erfahrung nach die Do´s und Don´ts für solch eine digitale Transformation?
DMR: Welche Verwaltungsverfahren einer Kommune sind aus Ihrer
Sicht für eine durchgängige Digitalisierung prädestiniert?
Hense: Für eine durchgängige oder vielmehr eine w
­ eitgehende
Digitalisierung von Verwaltungsverfahren müssen zunächst
noch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Das
­eGovernment-Gesetz ist ein erster Schritt, bedarf aber noch der
Umsetzung auf Länderebene. Gute Chancen bestehen für eine
Digitalisierung daher vorerst in freiwilligen Leistungs­bereichen
und überall dort, wo bereits technische Komponenten mit offener API zur Verfügung stehen. Steht diese nicht zur Verfügung, so sollte dies von Softwareanbietern spätestens bei der
nächsten Ausschreibung unbedingt gefordert werden.
DMR: Was fordern Bürger und Unternehmen der Stadt Bonn im
Rahmen der Digitalisierung?
Hense: Zunächst natürlich Informationen schnell im städtischen Angebot aufzufinden und direkte Interaktionsmöglichkeiten angeboten zu bekommen. Im Grunde müssten alle behördlichen Onlinedienstleistungen so einfach zu erledigen sein,
wie man es von einer Bestellung im Onlineshop gewohnt ist. Es
ist beispielsweise heute kaum mehr vermittelbar, warum man
eine Leistung nicht auch direkt online bezahlen kann.
DMR: Bei welchen digitalisierten Verfahren ist der Win-Win-Faktor für Bürger, Unternehmen und die Verwaltung am größten? Und
­woran machen Sie den Erfolg fest?
Hense: Allgemein betrachtet sind dies aufgrund der großen Anwendungsbandbreite in erster Linie Geodienste. Lohnenswert
ist aber auch ein Blick auf neue Kommunikationsformen. Wir
konnten gute Erfahrungen mit unserem Anliegenmanagement
(http://anliegen.bonn.de) sammeln, welches dem FixMyStreetPrinzip aus Großbritannien angelehnt ist. Die Bürger können
online schnell und mobil ganz einfach Meldungen an die Stadtverwaltung schicken. Die Verwaltung erhält genauere Ortsanga-
Hense: eGovernment ist vielleicht zu 30 Prozent Technik und
zu 70 Prozent Organisation. Die organisatorische Komponente
muss bei den Arbeitsabläufen und den personellen Strukturen
intensiv gemeinsam mit den betroffenen Fachbereichen beleuchtet werden. Dies erfordert unter Umständen einen längeren Vorlauf. Ich bin aber überzeugt: Neue Technik ohne Beteiligung und Zustimmung der Fachbereiche einzuführen wird
immer scheitern.
DMR: Ein Blick ins Jahr 2025: Wie sieht Ihre Vision für eine öffentliche Verwaltung aus?
Hense: Der gesellschaftliche Kulturwandel wird zu einer
­Weiterentwicklung hin zu Open Government führen. Offenes
und transparentes Verwaltungshandeln wird sich auf die Informationsdarstellung auswirken und neue Interaktionsmöglichkeiten erfordern. Die allgemeinen und öffentlichen Informationen sind als Vision vernetzt abrufbar und frei zugänglich.
Zudem ist Mobile Government als konsequente Weiterentwicklung des Internetangebotes bis dahin etablierter Standard.
DMR: Vom Jahr 2025 zurück ins Hier und Jetzt: Stellen Sie sich
vor, Sie könnten ohne Rücksicht auf jegliche Restriktionen wie beispielsweise das Budget drei eGovernment-Initiativen starten. Welche
wären das?
Hense: Die letzten zehn Jahre hätten aus eGovernment-Sicht
besser laufen können. Wir haben in Deutschland durch die
Einzelentwicklungen auf den jeweiligen föderalen Ebenen zu
viele Reibungsverluste und zu lange Umsetzungsprozesse bei
der Entwicklung von innovativen Ideen. Meine drei Initiativen
wären daher eine gemeinsame Entwicklung mit allen föderalen
Ebenen zu:
1. Entwicklung eGovernment Basisleistungen,
2. Open Data mit offenen Schnittstellenstandards und
3. Metadatenstandard unter Berücksichtigung 115.
Das Gespäch führte Claudia Skobol, Detecon International.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Pro-Bono-Projekt mit Desertec Foundation
Wenn die Crowd den
Klimaschutz in die Hand nimmt
Ein Team von jungen, talentierten Beratern der Detecon unterstützte drei Monate lang die
DESERTEC Foundation, um eine Finanzierungsstrategie auf Basis der „Crowd“ zu planen.
ie Wüstenregionen unserer Erde empfangen in sechs ­Stunden
D
mehr Sonnenenergie, als die gesamte Menschheit in einem Jahr
verbraucht. Beispielsweise können 125 km² der Wüstenregion
genug Energie produzieren, um 25 e­uropäische L
­ änder mit
­sauberem Strom zu versorgen. „Ungenutztes ­Potenzial, das sich
die Menschheit erschließen muss!“, so Dr. Ignacio Campino,
Direktor der DESERTEC Founda­tion. Zudem ergänzt Campino: „Mittels verlustarmer Hochspannungs-Gleichstromübertragung könnten 90 Prozent der Menschheit mit Wüstenstrom
versorgt und gleichzeitig der weltweite CO2-Ausstoß um ein
Vielfaches reduziert werden.“
Eine potenzielle Lösung in Richtung Klimaschutz bietet die
Vision der DESERTEC Foundation – eine Non-Profit-Orga-
64
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
nisation, welche sich für Klimaschutz, Energiesicherheit und
globale Entwicklung durch erneuerbare Energien einsetzt. Im
Jahre 2009 wurde die DESERTEC Foundation unter anderem
durch den Club of Rome und das National Energy ­Research
Centre Jordan – zu dessen Mitgliedern zum Beispiel Prinz Hassan bin Talal of Jordan zählt – gegründet. Seitdem verfolgt die
DESERTEC Foundation das Konzept, die CO2-Emission zu
senken und die Energieversorgung der Weltbevölkerung nachhaltig aus den Wüstenregionen der Welt zu ermöglichen, zu etablieren und zu realisieren.
Bis Mitte des Jahres 2013 kooperierte die DESERTEC Foundation noch mit einem Netzwerk verschiedenster Unternehmen –
der Dii. Die Zusammenarbeit scheiterte. Unterschiedliche Inte-
ressenlagen von Industrie und Stiftung bezüglich Konsistenz der
Umsetzung und der zukünftigen Strategie ­sowie abweichende
Vorstellungen hinsichtlich des Erfolgskonzeptes zählten zu den
wesentlichen Gründen.
Die Vision DESERTEC ist davon unberührt – dafür kämpft
die DESERTEC Foundation. Möglich wird dies allerdings
nur, wenn sie es schafft sich als eigenständige Stiftung zu
positionieren und zu etablieren. Innovative Finanzierungs­
­
konzepte sind gefragt, um eine entsprechend unabhängige Positionierung zu erlangen.
Gesellschaftliches Interesse am Klimaschutz ermöglicht
Finanzierungsalternative Spenden
Detecon hat in einem Pro-Bono-Projekt verschiedene Alternativen für eine neue finanzielle Basis der Stiftung erarbeitet. Eine
dieser Finanzierungsmöglichkeiten stellen Spenden dar. Die
voranschreitende Digitalisierung und der zunehmende Einsatz
von ICT in der Gesellschaft eröffnen im Bereich Spenden neue
Chancen. Die erhöhte Akzeptanz von und das erhöhte Vertrauen in digitale Spendenkanäle verdeutlichen dies. In Deutschland wurden 2012 1,3 Prozent des Gesamtspendenvolumens
von zirka 4,2 Milliarden Euro über digitale Kanäle generiert –
mit steigender Tendenz. Denn für Digital Natives gewinnt das
„online“ Spenden zunehmend an Attraktivität.
Hierbei spielt die „Crowd“ beziehungsweise die Überzeugung
der „Masse der Menschen“ – der sogenannte „Social Proof“
– eine zentrale Rolle. Sie fungiert als Spiegel der Gesellschaft
für den Grad der Überzeugung von einer Idee, einer Vision
oder einem Produkt. Eine Überzeugung zu erzielen, beinhaltet, Fakten und Wichtigkeit einer Zielgruppe nahezubringen,
die durch mediale Präsenz sowie wirtschaftliche und politische
Entscheidungen beeinflusst werden. Speziell bei den Themen Klimaschutz und erneuerbare Energie ist eine besonders
starke Eigendynamik erkennbar. Seit Jahrzehnten sind Klimaschutz, CO2-Emission und Erneuerbare Energien stets präsente
65
Detecon Management Report blue • 1 / 2014
­ emen in den Medien. Ihren Gipfel erreichen die Diskus­sionen
Th
in kritischen, zum Nachdenken anregenden Ereignissen, zum
Beispiel der Katastrophe in Fukushima im Jahr 2011. Einige der
großen Industrienationen, unter anderem Deutschland, haben
bereits den langfristigen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Das Kyoto-Protokoll, welches die weltweite Reduktion von
Treibhausgasen beinhaltet, wurde bis 2020 verlängert. Verschiedene nachhaltige Lösungen, wie Windanlagen, die Nutzung der
Gezeiten der Ozeane oder die Förderung von Solarkraftwerken,
werden intensiver angegangen.
Es wird deutlich, dass sich die Gesellschaft intensiv mit dem
Thema Versorgung mit bezahlbarer, sicherer Energie, die auch
das Klima nicht gefährdet, auseinandersetzt. Die Gesellschaft
hat erkannt, dass die Energiewende möglicherweise mit einem
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
„Top-Down“-Ansatz nur bedingt erfolgreich sein wird und nur
ein ganzheitlicher Ansatz den Klimawandel stoppen kann. Um
von der Eigendynamik der Gesellschaft zu profitieren, will die
DESERTEC Foundation die „Crowd“ einladen, ein Teil der
Lösung zu sein: „Be part of the solution“.
Digitalisierung öffnet neue Wege der Spendenfinanzierung
ICT bietet hierbei ein enormes Potenzial, diese gesellschaftliche
„Crowd“ mit einem geringen Einsatz von Ressourcen zu erreichen und für die Vision zu gewinnen. In diesem Zusammenhang kann ICT verschiedenste Rollen einnehmen: Sie eröffnet
beispielsweise Firmen und Institutionen neue Möglichkeiten,
mit einem geringen Ressourceneinsatz einen großen Bekanntheitsgrad zu erzielen. Auch Initiativen können profitieren, wenn
es darum geht, eine große Bewegung in kürzester Zeit zu starten. Für die DESERTEC Foundation kann sie als Alternative
verstanden werden, um sich aus der Abhängigkeit von Industrieunternehmen zu lösen und eigenständig ihre ­Vision zum
Wohle der Gesellschaft voranzutreiben. Der Einsatz eines zielgerichteten Portfolios innovativer Möglichkeiten zur Sammlung
von Spenden über digitale Kanäle sowie die selektive Informationsverbreitung sind dabei maßgeblich, um den größtmöglichen
Nutzen aus dem Phänomen „Crowd“ zu ziehen und deren Bestreben nachzukommen: Die Crowd nimmt den Klimaschutz
selber in die Hand.
„Crowdfunding“ nimmt hierbei eine bedeutende Rolle ein. Bei
dieser Art der Finanzierung werden kleine Summen, die von
einer Vielzahl an Geldgebern stammen, aggregiert, um Projekte
und Geschäftsideen zu finanzieren. Realisiert wird dies durch
die Nutzung von Plattformen, auf denen die Projekte sowie das
zur Umsetzung benötigte Mindestkapital vorgestellt werden. Je
nach Crowdfunding-Modell sind d
­ iese Klein­beträge entweder
Fremdkapital, welches die „­Investoren“ im Erfolgsfall verzinst
zurückerhalten, oder aber Spenden, für die eine Rückzahlung nicht erwartet wird. Oft wird hierbei auch von „Crowd
­Donations“ gesprochen. So nutzte beispielsweise „Pebble Smart
Watch“ die Online-Spendenplattform Kickstarter zur Finanzierung der Entwicklung einer Multifunk­tionsuhr. Innerhalb eines
Monats kamen durch knapp 70.000 Spender über zehn Millionen Euro zusammen. Des Weiteren gab es im Bereich Umweltschutz das Projekt „AoTerra“, welches das Abfallprodukt
Wärme, zum Beispiel in Server­räumen, nutzen möchte, um Gebäude zu beheizen. Insgesamt konnte bei diesem Projekt durch
Crowdfunding über verschiedene Plattformen ein Volumen von
zehn Millionen Euro erreicht werden. Diese Beispiele zeigen,
dass sich durch die zunehmende globale Digitalisierung neue
Möglichkeiten zur Finanzierung für Unternehmen, Start-ups
und Stiftungen eröffnen. Kapitalbeträge können für die Umsetzung von Projekten generiert werden, ohne beispielsweise
von großen Investoren abhängig zu sein. Diese Art der Finanzierung wird durch die Vernetzung der Social Crowd über soziale M
­ edien als zentrales Element unterstützt. Wichtig ist, ein
„digitales Ökosystem“ um die Crowdfunding-Plattform h
­ erum
zu ­bauen.
Die Bereitschaft zur Nutzung digitaler Spendenkanäle ist dabei stark von der Technologieaffinität des Einzelnen abhängig
und variiert folglich in verschiedenen Generationen. Die digitale Generation – Personen im Alter bis 30 Jahre – wird durch
die Digitalisierung stärker berührt als die „Digital Immigrants“,
Personen zwischen 30 und 60 Jahren. Bei letzteren ist es wichtig, den richtigen Mix aus analogen und digitalen Spendenmöglichkeiten zu finden: Einerseits möchte sie Teil der digitalen Generation sein, andererseits benötigt sie aber auch traditionelle
analoge Wege. Die analoge ­Generation, Personen über ungefähr
60 Jahren, vertraut hierbei fast ausschließlich auf traditionelle
Spendenmöglichkeiten. Folglich ist es wichtig, Spender nicht
nur online zu erreichen, sondern einen ausbalancierten Mix aus
online und analogen Kanälen anzubieten. Multikanalmanagement muss die effektive Kombination aus offline, online, mobil
und Videokanälen sicherstellen. Der Aufbau einer nachhaltigen
Beziehung zu Spendern sollte immer im Vordergrund stehen,
beispielsweise durch die regelmäßige Kommunikation von Projekterfolgen oder individualisierten Informationen. Eine nachhaltig aufgebaute Beziehung kann mittelfristig zu einer Wiederholungsspende und langfristig zu einem gemeinsamen Projekt
zwischen Spendern und Empfängern führen.
Auch für die Zukunft gilt das Motto:
„Viele kleine Quadrate ergeben ein Großes“
Die Idee des Pilotprojektes „Community-Kraftwerk“ soll die
Vorteile der Digitalisierung und der daraus entstehenden, ­neuen
Finanzierungsquellen durch die Gesellschaft selbst nutzen. Unter dem Motto „viele kleine Quadrate ergeben ein Großes“ plant
die DESERTEC Foundation, innovative Methoden und neue
Ansätze wie Crowdfunding einzusetzen, um ihre Finanzierung
sicherzustellen. Verschiedene Szenarien sind dabei denkbar: digitale, kanalübergreifende, interne und externe Verknüpfungen
können zu Spenden führen. Bei Vorträgen kann beispiels­weise
mit QR-Code Marketing gearbeitet werden. Social-MediaPlattformen und Apps unterstützen beim Aufbau einer intensiven und nachhaltigen Spenderbeziehung.
Erste Erfolge der neuen Strategie zeichnen sich bereits ab und
zeigen, dass die DESERTEC Foundation den richtigen Weg
eingeschlagen hat. Wir wünschen Dr. Ignacio Campino und
Dr. Thiemo Gropp mit ihrem Team weiterhin viel Erfolg und
Durchhaltevermögen bei ihrer Mission. Auch für Detecon war
es eine ganz besondere Erfahrung, mit unserem Beitrag einen
Partner zu unterstützen, der unsere Gesellschaft einen weiteren wichtigen Schritt näher in Richtung Energiewende bringt.
Denn eine nachhaltige Umwelt für nachfolgende Generationen
zu erhalten, ist Sache der „Crowd“.
Dr. Volker Rieger, Managing Partner, berät Klienten aus
den Energie- und Telekommunikationssektoren zu neuen
Geschäftsmodellen im Rahmen der digitalen Transformation.
Florian Rummel berät Klienten verschiedener Branchen bei der
Erstellung eines Finanzierungs- und Kommunikationskonzepts
sowie zum Thema Reporting.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Luzia Simons/VG Bild-Kunst Bonn • Stockage 76 (2009)
Digitale Sinnlichkeit
Tulpenschönheiten
aus dem Scanner
Computer statt Pinsel: Mit Scanogrammen von Tulpen
verzaubert Luzia Simons ein internationales Publikum.
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Z
weifellos gehört der Scanner zu den digitalen Errungenschaften, die das Arbeitsleben schneller und einfacher gestalten. Als Mittel der Kunst hat ihn Luzia Simons für sich entdeckt. Sie setzt Tulpen auf dem Scanner in Szene – einzeln oder
in Sträußen arrangiert, die auf den Betrachter wie ein barockes
Gemälde wirken. Scans, die sonst dazu dienen, unsere Arbeit zu
beschleunigen, lassen uns innehalten.
Scanogramme entstehen, indem man dreidimensionale
Gegenstände auf die Scanner-Glasscheibe legt. Einmalig ist
­
­allen ­Scanogrammen die phantastische Auflösung, mit der eine
äußerst feine Detailwiedergabe und Tiefenschärfe erzielt werden kann. Der Scanner, auf den Luzia Simons die Blumen legt,
zeichnet streng linear das Ertastete auf. Nähe bewirkt Detailgenauigkeit, während Entferntes in ein undurchdringlich wirkendes Dunkel entschwindet. Objektiv und ungeschönt baut
der Scanner Pixel für Pixel ein Abbild der Blumen auf, wobei
auch Beschädigungen der zarten Blüten oder erste Anzeichen
des hinter all der Pracht schon lauernden, unabwendbaren
Verfalls sichtbar gemacht werden. Bis zu einer Stunde kann
ein einzelner Scanvorgang im abgedunkelten Atelier dauern.
­Anschließend werden die Scandaten mit Hilfe eines Computers gelesen, visualisiert und wie eine analoge oder digitale Foto­
graphie als Lightjet belichtet.
In Literatur und Kunst steht die Tulpe für Vergänglichkeit. In
der Blumensprache dagegen ist sie ein Symbol für die Liebe.
Bei Luzia Simons wird die Tulpe aufgrund ihrer “nomadischen”
Geschichte zur Metapher für Mobilität, Globalisierung und
­interkulturelle Identität: „Sie ist für mich eine Metapher für die
Existenz in der globalisierten Welt, in der die Menschen mobil
sind, sich zwischen den Kulturen hin und her bewegen, ihre
Wurzeln verlieren, aber auch neue schlagen.“ Die Tulpe wird
zum Platzhalter für das Thema Migration – eine der ­zentralen
Fragestellungen der Künstlerin. Matthias Hader, Hauptkurator
der Helmut Newton Stiftung in Berlin, schreibt dazu: „Die ­Tulpe
als Motiv einer ehemals urwüchsigen asiatischen Wildpflanze
und inzwischen neuzeitlichen westeuropäischen Überzüchtung
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
mit den abenteuerlichsten Zeichnungen der Blütenblätter – als
­Motiv zwischen Natur und Kultur – wird zum bloßen Material
auf dem Weg zu einer ätherischen Schönheitsutopie. In ihrem
­Nomadentum, auf der Wanderschaft von Asien nach Europa,
wird sie gewissermaßen auch zum Alter Ego der Künstlerin auf
deren Lebensweg von Brasilien über Frankreich nach Deutschland: Wo stecken die (eigenen) Wurzeln, wo sind sie abgeschnitten oder haben vielleicht bereits neu ausgeschlagen?“
Ihre Werke stellt Luzia Simons großformatig hinter Plexiglas
aus. Bis zu drei mal fünf Meter intensive farbliche Brillianz,
Schönheit und Sinnlichkeit sind das Ergebnis, wenn sie Natur
und digitale Technik zusammenbringt.
Luzia Simons/VG Bild-Kunst Bonn • Stockage 101, 104, 109 (2010)
© Luzia Simons, Darius Ramazani
Luzia Simons wurde 1953 in Quixadá, C
­ eará, Brasilien
­geboren. Nach dem Studium der Geschichte und der
­Bildenden Künste führte ihr Weg 1986 nach D
­ eutschland.
In Stuttgart arbeitete sie bis 2010 als Dozentin an der
Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst,
Studiengang Figuren­theater. Heute lebt und arbeitet Luzia
Simons in Berlin. Sie wird von den Galerien Nara Roesler
(São Paulo), Fabian & Claude Walter (Zürich), A
­ lexander
Ochs Galleries Berlin|Beijin (Berlin) repräsentiert. Ihre
Werke werden in Europa und in Brasilien ausgestellt.
www.luziasimons.de
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Detecon Management Report blue • 1 / 2014
Knowledge@Detecon
Mission Zukunft:
ICT 2032
45 Thesen für den Weg ins Morgen
In 20 Jahren wird es die IT in klassischer Form nicht
mehr geben. Doch welche Konsequenzen leiten sich
daraus ab? Wie wirken sich die ICT-Entwick­lungen
auf die Gesellschaft, Individuen und ­Unternehmen
aus? Wie beeinflussen nichttechnologische F­ aktoren
die ICT-Landschaft 2032? Welche Nutzen bieten
diese technologischen und nichttechnologischen
­
Veränderungen? Und wo l­iegen die Chancen und
Risiken?
45 Thesen umreißen – mal provokant, mal
über­­­­­­raschend – wie die Informations- und
­Kom­­­mu­­ni­­ka­tions­technologie Leben, ­Gesellschaft
und Wirtschaft im Jahre 2032 beeinflussen
wird. ­
Anwendungsbereiche wie Automotive,
­Energie­wirtschaft, Finanzdienstleistungen, ­Leben
und ­
Wohnen sowie Gesundheit ­
werden sich
­unter dem Einfluss von ICT radikal verändern und
­weiterentwickeln. ICT für jeden und überall, in ­nahezu
jedem Gegenstand, das ist das c­harakteris­
tische
Merkmal der Welt von Morgen.
Online-Bestellung:
Sie können ein Buch-Exemplar kostenfrei
unter folgender Adresse bestellen:
www.ict2032.de
www.detecon-dmr.com
Detecon
Management Report
leading digital!
DMR
blue
Ausgabe 1 / 2014
Wir begleiten Unternehmen
in die digitale Zukunft.
www.leading-digital.com
We make
ICT strategies work•
Detecon Management Report
blue
1 / 2013
www.detecon.com
Detecon Management Report
blue
• 1 / 2014
Alive!
Zwischen Sicherheit und Fortschritt :
Digitalisiert ist besser
„Strategy is a Mentality“ :
Innovation im Zentrum der digitalen Transformation
Pro-Bono-Projekt mit DESERTEC-Foundation :
Wenn die Crowd den Klimaschutz in die Hand nimmt

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