Girl Games oder Game Grrrls? - Die Wiener Volkshochschulen
Transcrição
Girl Games oder Game Grrrls? - Die Wiener Volkshochschulen
Masterlehrgang Internationale Genderforschung und feministische Politik Lehrgang universitären Charakters Jänner 2009 bis Dezember 2010 MASTER – THESIS Girl Games oder Game Grrrls? Gestaltungsprinzipien von Computerspielen aus Sicht der feministischen Mädchenarbeit und am Beispiel von „Die Sims 2“ Mag.a (FH) Olivia Mair Erstbegutachtung: Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Christine Wächter Zweitbegutachtung: Prof.in Dr.in Ursula Kubes-Hofmann Abgabetermin: 29. Oktober 2010 Rosa - Mayreder - College Die Wiener Volkshochschulen GmbH Mit Respekt vor der, die ich einmal war, mit Stolz auf die, die ich heute bin, mit Vorfreude auf die, die ich einmal sein werde. 1 1 2 3 Code of Honour Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. ______________________________________ Ort, Datum und Unterschrift 2 4 5 6 Danke! Ich bedanke mich herzlich bei Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Christine Wächter für die Betreuung und Geduld bei der Verfassung meiner Masterthesis, die ich trotz geografischer Entfernung und gesundheitlicher Probleme beiderseits als unterstützend und immer wieder ermutigend empfand. Ich bedanke mich auch herzlich bei den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone, mich an eurem Wissen und an eurer Begeisterung für „Die Sims“ teilhaben zu lassen sowie bei meinen Kolleginnen, die immer ein offenes Ohr für mich hatten. Ich bedanke mich außerdem herzlich bei Monika Valentin für die Unterstützung meiner empirischen Forschungsarbeit und für die anspornenden und aufmunternden Gespräche. Mein Dank gebührt auch Hemma Geizenauer für die zahlreichen amüsanten und inspirierenden Videotelefonate und die verwöhnenden Beherbergungen. Ein herzliches Dankeschön außerdem an Doris Küng und Johanna Mair für die Korrekturen und den Feinschliff dieser Arbeit. Und last but not least bedanke ich mich bei meiner Familie, meinen Freundinnen und Freunden und allen, die mich unterstützt und an mich geglaubt haben in dieser schwierigen und doch wertvollen Zeit. 3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung und Forschungsmotivation ....................................................................6 2 Forschungsfragen..................................................................................................7 3 Aufbau und Ziel......................................................................................................9 4 Arbeits- und Forschungskontext ..........................................................................11 4.1 Soziale Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht ............................11 4.2 Feministische Mädchenarbeit im Mädchenzentrum Amazone ......................12 4.2.1 Entwicklung feministischer Mädchenarbeit .............................................12 4.2.2 Neue Herausforderungen feministischer Mädchenarbeit ........................13 4.2.2.1 Dekonstruktion .................................................................................14 4.2.2.2 Intersektionalität ...............................................................................16 4.2.3 Feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone............18 4.2.4 Feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums Amazone ......19 4.2.5 Computerspiele in der feministischen Mädchenarbeit.............................21 4.2.6 Zusammenfassung und Fazit..................................................................22 4.3 Feministische Medientheorie.........................................................................22 4.3.1 Sozialisations- und kultivierungstheoretische Ansätze............................23 4.3.2 Dekonstruktivistische Ansätze ................................................................24 4.3.3 Zusammenfassung und Fazit..................................................................26 4.4 Geschlecht und Technologie .........................................................................27 4.4.1 Drei Fragen zu Geschlecht und Technologie..........................................27 4.4.2 Cyberfeministische Dekonstruktionsansätze ..........................................32 5 Mädchen und Computerspiele .............................................................................34 5.1 Faszination Computerspiele..........................................................................34 5.2 Zahlen und Studien über Geschlechtsunterschiede in der Computernutzung und beim Computerspielen ....................................................................................36 5.3 Girl Game Bewegung ....................................................................................40 5.4 Game Grrrls...................................................................................................45 5.5 Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele ...........47 5.5.1 Definition von geschlechterstereotypen Rollenzuschreibungen..............47 5.5.2 Die häufigsten Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele...............................................................................48 4 6 7 Das Computerspiel „Die Sims 2“..........................................................................49 6.1 Begründung der Auswahl und des „Anwendungswertes“ als Einzelfall .........49 6.2 Spielbeschreibung.........................................................................................51 6.3 Zielgruppe .....................................................................................................56 Empirische Forschungsarbeit ..............................................................................56 7.1 Methoden und Vorgehensweise....................................................................56 7.1.1 Auswahl der teilnehmenden Mädchen....................................................57 7.1.2 Teilnehmende Beobachtung ...................................................................58 7.1.3 Fokussiertes Interview ............................................................................59 7.1.4 Expertinneninterview...............................................................................61 7.2 Auswertung der Interviews und Beobachtung ...............................................62 7.2.1 Mädchen bevorzugen Spiele, in denen eine fortlaufende Spielhandlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können.....................62 7.2.2 Mädchen bevorzugen Spiele, die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Macht, Entscheidungen selbst zu treffen............................................................66 7.2.3 Mädchen bevorzugen Spiele mit starken, weiblichen Charakteren, die Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen................................69 7.2.4 Mädchen bevorzugen Spiele, die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden...........................................................................................71 7.2.5 Mädchen bevorzugen Spiele, die Wettkampf nicht als Hauptinhalt haben......................................................................................................74 7.2.6 Mädchen bevorzugen Spiele, die actionreich aber gewaltfrei sind..........75 7.2.7 Mädchen bevorzugen Spiele, bei denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen..............................................................................77 7.2.8 Mädchen bevorzugen Computerspiele, die reale Schauplätze verwenden. .............................................................................................77 7.2.9 Mädchen bevorzugen Spiele mit einem gewissen pädagogischen Wert im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert.........................78 7.2.10 Mädchen bevorzugen Spiele, die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln. .......................................................................80 7.2.11 Bevorzugungen der Mädchen die Gestaltung von Computerspielen betreffend..............................................................................................81 5 7.2.12 Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfreiheit nicht einschränken. ................................................81 8 Beantwortung der Forschungsfragen und Handlungsempfehlungen ...................82 8.1 Forschungsfrage 1 ........................................................................................83 8.2 Forschungsfrage 2 ........................................................................................85 8.3 Forschungsfrage 3 ........................................................................................87 8.4 Handlungsempfehlungen ..............................................................................88 8.4.1 Für die feministisch Mädchenarbeit ........................................................88 8.4.2 Für die Computerspielindustrie ...............................................................89 8.4.3 Für die Forschung...................................................................................89 8.5 Abbildungsverzeichnis...................................................................................90 8.6 Abkürzungsverzeichnis .................................................................................90 8.7 Interviewleitfäden ..........................................................................................90 8.7.1 Interviewleitfaden Mädchen ....................................................................90 8.7.2 Interviewleitfaden Expertin......................................................................93 8.8 Bibliographie .................................................................................................95 8.8.1 Literaturverzeichnis.................................................................................95 8.8.2 Quellenverzeichnis ...............................................................................100 6 7 Einleitung und Forschungsmotivation Als Medienpädagogin ist es mir ein wichtiges Anliegen, Mädchen für Computerspiele zu begeistern – vor allem aus zwei Gründen: Erstens sind Computerspiele ein Kulturgut. D. h., Computerspiele sind Teil von Mädchenlebenswelten und prägen unsere westliche Kultur wesentlich mit. Ein eindrückliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Computerspielheldin Lara Croft. Zweitens: Menschen, die in ihrer Jugend Computerspiele gespielt haben, wählen eher ein Studium im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)1. Die IKT-Branche und als Teil davon auch die Computerspielindustrie sind nach wie vor männlich dominiert. Der starke Gender-Bias in diesem Bereich stammt daher, dass Computerspiele vorwiegend von männlichen Spielern gespielt werden, vorwiegend von Männern entwickelt werden und dass zum Main Feature (Hauptmerkmal) der Gestaltung und des Inhalts von Computerspielen Geschlechtsstereotypisierungen2 zählen. Begeistern sich mehr Mädchen für Computerspiele und entscheiden sich mehr Mädchen für eine Ausbildung im IKT-Bereich, dann gestalten früher oder später auch mehr Frauen die Computerspielindustrie und die IKT-Branche mit. Dies wäre aus feministischer Sicht wünschenswert, weil Berufe in diesem Sektor zukunftsträchtig sind, das Einkommen im Vergleich zu frauendominierten Berufen höher ist und die Wahrscheinlichkeit, den oben beschriebenen Gender-Bias des IKT-Sektors zu durchbrechen, steigt3. Als Medienpädagogin des feministischen Mädchenzentrums Amazone ist es mir daher auch ein Anliegen, die in der Mädchenarbeit Tätigen für Computerspiele zu begeistern. Ebenfalls aus den oben genannten Motiven: Lebenswelten von Mädchen werden durch Computerspiele geprägt. Um auf alle Bedürfnisse der Mädchen eingehen zu können und Mädchen dazu zu bemächtigen, dieses Kulturgut mitzugestalten, sollte die feministische Mädchenarbeit den Themenbereich Computerspiele miteinbeziehen. Der Einsatz von Computerspielen in Mädchenzentren ermöglicht beispielsweise sozial schwächeren Mädchen einen Zugang zu diesen und eine feministisch reflektierte Begleitung von Mädchen, die Computerspiele spielen, fördert ihren kritischen Umgang mit diesen. Computerspiele haben durch ihren spielerischen Zu1 Vgl. Hayes 2005, 2 Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150 3 Vgl. Fullerton/Fron/Pearce/Morie 2008, 161-176 2 7 gang ein hohes Potential feministische Inhalte der Mädchenarbeit den Mädchen zu vermitteln – und mehr noch diese für sie erlebbar zu machen. All diese aufgezählten Argumente tragen dazu bei, Geschlechtsstereotype in Bezug auf Mädchen im Allgemeinen und Mädchen und Computerspiele im Besonderen abzubauen. Dies ist für mich die Motivation und stellt zugleich auch den wichtigsten Grund dar, in dieser Masterthesis geschlechtsstereotype Annahmen über Mädchen und Computerspiele zu untersuchen. Denn erst, wenn die Grenzen in den Köpfen abgebaut werden, kann sich gesellschaftlich etwas ändern. Grenzen in den Köpfen abzubauen – genau dazu hat mich das Studium am RosaMayreder-College ermutigt und neue Wege aufgezeigt. Ich habe wertvolle neue Impulse für meine Thesis bekommen, die auch meine Arbeit im Mädchenzentrum Amazone inspirierten. Die Dinge kritisch zu prüfen und nichts als (natur)gegeben hinnehmen, habe ich während dieser Zeit gelernt. So hat mich die Frage von Dr.in Ursula Kubes-Hofmann, die wissenschaftliche Leiterin des Rosa-Mayreder-College und des Masterlehrgangs „Internationale Genderforschung und feministische Politk“ beständig begleitet und wird es auch in Zukunft tun: „Wer sagt was in welchem Kontext?“ 8 Forschungsfragen Computerspiele waren und sind immer wieder Gegenstand westlicher feministischer Diskussionen, nicht zuletzt weil viele Kinder durch sie erstmals mit dem Computer in Kontakt kommen. „Spiele sind der Zugang zur Welt der Computer“4, so Sandra Calvert, Professorin an der Georgetown Universität und Leiterin des Projektes „Children in Media“. Die Gestaltung des Zugangs habe erhebliche Auswirkungen auf die weitere Interessensentwicklung und den beruflichen Werdegang. So gesehen fällt Computerspielen, die von Mädchen positiv angenommen werden, eine wesentliche soziologische Rolle zu.5 Spiele sind also wichtiger Bestandteil im Sozialisierungsprozess von Kindern und Jugendlichen und spielen daher auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität.6 Nach der kulturanthropologischen Spieltheo4 Calvert zit. in Gongolsky 2003 Vgl. Calvert in Gongolsky 2003 6 Vgl. de Castell/Bryson 1998, 232-261 5 8 rie von Johan Huizinga sind Spiele sogar die Vorraussetzung für die Entwicklung von Kultur.7 Die entstehende Computerspielindustrie in den 80er Jahren hat sich klar an der Zielgruppe männlicher Jugendlicher orientiert. Seitdem hat sich im Hinblick auf die Einbeziehung von Mädchen vieles verändert und die Computerspielindustrie hat Mädchen als neue interessante Zielgruppe längst entdeckt. Jedoch beschäftigen sich Mädchen nach wie vor weniger mit dem Computer und spielen weniger mit Computerspielen als die Jungen.8 Daher wurden in den letzten Jahren beträchtliche Gelder in Untersuchungen über das spezifische Interesse von Mädchen an Computerspielen gesteckt und es wurden verstärkt sogenannte mädchenspezifische Computerspiele produziert, die speziell auf die Spielgewohnheiten von Mädchen eingehen sollen. Diesen Zugang kritisieren Justine Cassell und Henry Jenkins in ihrem Buch „From Barbie to Mortal Kombat Gender and Computer Games“, eines der ersten, das sich mit diesem Feld mit feministischem Blick auf die Geschlechterperspektive auseinander gesetzt hat: „Feminism, on the other hand, has been historically committed to transforming rather than simply responding to existing gender roles.“ 9 Sie bekräftigen ihren Standpunkt mit der Aussage von Sherry Turkle, Professorin für Wissenschaft, Technologie and Gesellschaft am Massachusetts Institute of Technology: „If you market to girls and boys according to just the old stereotypes and dont try to create a computer culture thats really more inclusive for everyone, youre going to just reinforce the old stereotypes.“10 Als Medienpädagogin im Mädchenzentrum Amazone habe ich Einblicke in die Spielund Nutzungsgewohnheiten von Computerspielen der Mädchen. Dabei ist auffällig, dass es sich tatsächlich um sogenannte mädchenspezifische Vorlieben handelt, wie sie in problemlösenden, kooperativen und vor allem sozial gefärbten Spielen vorkommen. Es scheint, als würden die geschlechtsstereotypen Annahmen der Forschung bzw. deren Umsetzung durch die Computerspielindustrie auf die Mädchen zutreffen. 7 Vgl. Huizinga 2004 Vgl. Köhler 2008, 62 9 Cassell/Jenkins 1998, 18 10 Turkle zit. in Cassell/Jenkins 1998, 18 8 9 Daher stellen sich für mich folgende drei Forschungsfragen: 1. Wie sollten Computerspiele gestaltet sein, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu (re-)produzieren?11 2. Treffen geschlechtsstereotype Annahmen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zu? 3. Wie sollten Computerspiele gestaltet werden, um das Interesse der Mädchen zu wecken und die feministische Mädchenarbeit dabei zu unterstützen, ihre Anliegen und Ziele an die Mädchen zu vermitteln? Diese Forschungsfragen werde ich anhand des Computersimulationsspiels „Die Sims 2“ untersuchen. Dieses Spiel wurde deshalb ausgewählt, weil es einen hohen Bekanntheitsgrad bei der Zielgruppe – den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone – hat, weil es diverser Studien zufolge beliebt bei beiden, Mädchen und Jungen, ist und es sich bei diesem Spiel um eine Simulation des Alltags handelt, die es Mädchen ermöglicht, verschiedene Verhaltensweisen auszuprobieren, genauso wie es ihnen die Mädchenarbeit ermöglicht. 9 Aufbau und Ziel Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wird zu Beginn in Kapitel 10 der Arbeits- und Forschungskontext dieser Arbeit dargelegt. Abschnitt 10.1 definiert zunächst die Schlüsselbegriffe dieser Arbeit „soziale Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht“. Abschnitt 10.2 behandelt den ersten theoretischen Hintergrund, die feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone. Hier werden die Entwicklung der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone, ihre neuen Herausforderungen, ihr neues Leitbild und ihre daraus resultierende feministische Medienpädagogik dargestellt. Das Leitbild des Mädchenzentrums Amazone bildet zugleich die feministische Sichtweise dieser Untersuchung und das leitende Ziel bezüglich der Gestaltung von Computerspielen. Die zweite theoretische Grund11 Das Dilemma dieser Fragen stellt eine besondere Herausforderung dieser Arbeit dar. Wie kann eine Ungleichheit, die anhand der (dualen) Geschlechterkategorien offensichtlich wird, thematisiert und problematisiert werden, ohne gleichzeitig zur (Re-)Produktion dieser Kategorien beizutragen? 10 lage basiert auf zwei Strömungen der feministischen Medientheorie, die in Abschnitt 10.3 erörtert werden. Die dritte theoretische Grundlage, die soziale Konstruktion von Technik, wird in Abschnitt 10.4 anhand von drei Fragestellungen diskutiert und durch die Darstellung zweier Vertreterinnen des Cyberfeminismus genauer betrachtet. Im nächsten Schritt wird in Kapitel 11 die Thematik „Mädchen und Computerspiele“ im Hinblick auf die Motivation Computerspiele zu spielen, statistische Zahlen und Daten sowie auf die Entwicklung geschlechtsstereotyper Rollenzuschreibungen genauer beleuchtet. Einleitend skizziert Abschnitt 11.1, was die Faszination von Computerspielen für Jugendliche ausmacht und wie diese Faszination genutzt werden kann, um dem Ziel, geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu dekonstruieren, näher zu kommen. Abschnitt 11.2 verdeutlicht anhand von statistischen Zahlen die Geschlechterunterschiede in der Nutzung von Computern und Computerspielen. Darauf folgt die Darstellung der Girl Game Bewegung in Unterkaptitel 11.3, die anhand des Einbezugs von geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen versuchte, Mädchen stärker in die Nutzung von Computerspielen einzubinden. Aus den in dieser Bewegung entstandenen, ersten mädchenspezifischen Computerspielen werden die wichtigsten kurz präsentiert. Demgegenüber werden in Abschnitt 11.4 die Game Grrrls kurz erläutert. Was nun tatsächlich geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen bezüglich Mädchen und Computerspiele sind, definiert und fasst Abschnitt 11.5 zusammen. Kapitel 12 gibt anhand der Auswahlbegründung, der Spiel- und der Zielgruppenbeschreibung genauere Einblicke in das Computerspiel „Die Sims 2“. Für die abschließende Annäherung, wie Computerspiele gestaltet sein sollten, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu (re-)produzieren, werden in Kapitel 13 die gewählten qualitativen Forschungsmethoden begründet, ausgewertet und interpretiert. Im Schlussteil werden in Kapitel 14 die drei Forschungsfragen beantwortet und die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit nochmals festgehalten sowie Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Diese Masterthesis soll einen Beitrag zur Computerspielforschung in Bezug auf geschlechtssensible Gestaltung aus der Sicht der bis dato sich kaum dazu äußernden feministischen Mädchenarbeit leisten, sowie die, in der feministischen Mädchenarbeit Tätigen dazu motivieren, sich mit dieser Thematik intensiver auseinanderzusetzen. 11 10 Arbeits- und Forschungskontext 10.1 Soziale Konstruktion und Dekonstruktion von Ge- schlecht Die Auseinandersetzung mit geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen im Hinblick auf Mädchen und Computerspiele bedarf einer genaueren Betrachtung, wie Geschlecht in unserer Gesellschaft konstruiert wird. Im Rahmen der frühkindlichen Entwicklung ist die Zuordnung zum eigenen Geschlecht ein wesentlicher Aspekt der Identitätsbildung. Dabei werden die Attribute, die sich mit einer Geschlechterrolle verknüpfen, anhand sozialer Erfahrungen gelernt. Im Umgang mit den Eltern, Geschwistern, Freundinnen, Freunden und vor dem Hintergrund individueller Unterschiede und Vielfältigkeiten entwickeln Mädchen und Jungen ihre Geschlechtsidentität und gestalten so das Verhältnis der Geschlechter mit.12 Diese Annahme impliziert bereits, Geschlecht nicht als etwas Naturgegebenes (sex) und Festgelegtes zu verstehen, sondern als ein soziales Konstrukt (gender). Mit der Konstruktion von Geschlecht geht auch die Konstruktion von bestimmten normativen Geschlechterrollen, Rollenbildern, Verhaltensweisen, etc. von Frauen und Männern einher. Theorien bezeichnen diese alltäglichen Prozesse als „Doing Gender“, d. h. Geschlecht wird in Interaktionen immer wieder neu hergestellt und validiert und bildet somit einen Prozess ständiger Anpassung und Veränderung.13 Geschlecht ist also nicht festgelegt sondern variabel und veränderbar und infolgedessen auch das Verhältnis der Geschlechter. Basierend auf diesen Ansätzen richtet sich die feministische Kritik folglich gegen die manifestierten Geschlechterdichotomien und für die Auflösung von Geschlechterstereotypen, die sich auf biologische und essentialistische Begründungen für weibliche und männliche Fähigkeiten, Einstellungen, Motivationen, etc. stützen.14 Erst wenn wir uns dieser Konstruktion(en) und Tradierungen bewusst sind, können wir dem „Doing Gender“ entgegenwirken. Dieses Entgegenwirken mit dem Ziel, Geschlecht als normative Kategorie zu dekonstruieren, beinhaltet geschlechtesstereotype Auffassungen zu verschieben, zu transformieren und an- 12 Vgl. Zimmermann 2006, 176-206 Vgl. West/Zimmerman 2008 14 Vgl. Meßmer/Schmitz 2007, 135 13 12 dere normative Kategorien sichtbar zu machen.15 Judith Butler nennt diesen Prozess „Undoing Gender“.16 Und genau in diesem Spannungsverhältnis von „Doing“ und „Undoing Gender“ befindet sich diese Masterthesis: Einerseits wird nach den geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen von Mädchen in Bezug auf Computerspiele geforscht und andererseits wird über dieses Bewusstwerden und Sichtbarmachen der Existenz geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen versucht, sie zu überwinden. 10.2 Feministische Mädchenarbeit im Mädchenzentrum Amazone Im folgenden Abschnitt erläutere ich die Entwicklung der Mädchenarbeit und ihre neuen Herausforderungen im Kontext neuer theoretischer Ansätze sowie das daraus resultierende Leitbild des Mädchenzentrums Amazone und ihr Verständnis einer feministischen Medienpädagogik. Dadurch werden die feministische Sichtweise dieser Arbeit und das leitende Ziel bezüglich der Gestaltung von Computerspielen definiert und wichtige Erfahrungen für die Analyse und die Gestaltung von Computerspielen in der feministischen Mädchenarbeit ausgehend von den Erfahrungen des Mädchenzentrums Amazone erläutert. 10.2.1 Entwicklung feministischer Mädchenarbeit Beeinflusst von Analysen der Frauenbewegung zur gesellschaftlichen Situation entwickelten deutsche Sozialarbeiterinnen in den frühen 70er Jahren das Konzept der feministischen Mädchenarbeit, das auf radikal feministischen17 Ansichten basiert. Ausgehend von der biologisch bedingten Geschlechterdifferenz sowie der Universalität und Unveränderbarkeit des Patriarchats fordert der „Radikal Feminismus“ die Schaffung autonomer weiblicher Lebensräume. Weibliche Erfahrungen bildeten (und bilden) die Basis für weibliche Perspektiven, Normen und Werte.18 Durch die Reflexi- 15 Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 22 Vgl. Butler 2004 17 Der „Radikal Feminismus“ ist wiederum eine Strömung des Differenzfeminismus. Die Differenztheorie hält an der Zweigeschlechtlichkeit fest. Weiblich zugewiesene Merkmale und Handlungsfelder werden von den Differenzfeministinnen als gesellschaftlich zweitrangig und unterbewertet analysiert. Die Differenztheorie sieht die Abschaffung dieser Diskriminierungen nicht in der Gleichberechtigung, sondern in der Gleichwertung der Geschlechter (vgl. Kerner 2007, 8f). 18 Vgl. Angerer/Dorer 1994, 17f 16 13 on ihrer eigenen Arbeitserfahrungen, vor allem in Institutionen der Offenen Jugendarbeit, erkannten die Sozialarbeiterinnen, dass die patriarchalen Gesellschaftsverhältnisse auch in den Strukturen der Sozialarbeit vorhanden sind und auch hier zu bekämpfen seien.19 Der Spruch „Jugendarbeit ist Jungenarbeit.“ fasst diese Erfahrungen prägnant zusammen und beschreibt die Kritik der Pädagoginnen an der Offenen Arbeit in Jugendzentren, -treffs, Freizeitheimen etc.20 Eigene Räume für Mädchen, geschlechtshomogene Angebote, ausschließlich weibliche Mitarbeiterinnen und die Abschaffung des Patriarchats waren und sind bis heute die Forderungen der feministischen Mädchenarbeit.21 Eine Initiative von mehreren Frauen und Mädchen setzte 1998 diese Forderungen mit der Gründung des Mädchenzentrums Amazone in Bregenz um. Die Voraussetzungen für die Mädchenarbeit haben sich seit damals verändert. Sowohl neue theoretische Ansätze als auch veränderte Einflüsse auf die Lebenswelten der Mädchen stellen die feministische Mädchenarbeit von heute vor neue Herausforderungen. Um eine zeitgemäße und bedürfnisorientierte Mädchenarbeit zu gewährleisten, muss sie sich mit diesen neuen Theorien auseinandersetzen, sich dazu positionieren und diese bei der Entwicklung neuer Konzepte und Angebote integrieren. Im nächsten Abschnitt werden die relevantesten neuen inhaltlichen22 Herausforderungen der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone festgehalten. Aus ihnen ergeben sich wichtige Prinzipien für eine zeitgemäße feministische Mädchenarbeit, die bedeutend für die Gestaltung von Computerspielen sind. 10.2.2 Neue Herausforderungen feministischer Mädchenarbeit Die wesentlichen neuen Herausforderungen der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone im Kontext von Mädchen und Computerspielen liegen in den zwei Theorieansätzen Dekonstruktion und Intersektionalität. Wichtig erscheint mir hier zu erwähnen, dass diese Theorieansätze zwar schon vor der Gründung des Mädchenzentrums Amazone entstanden sind, aber erst in den letzten Jahren im Rahmen der feministischen Mädchenarbeit diskutiert wurden und Einzug in ihre Konzepte fanden – daher die Bezeichnung „neue“ Herausforderungen. 19 Vgl. Wallner 2006, 80-82 Vgl. Wallner 2006, 70 21 Wallner 2006, 80-82 22 in Abgrenzung zu neuen strukturellen Herausforderungen, wie etwa das Gender Mainstreaming 20 14 10.2.2.1Dekonstruktion Dekonstruktion und Mädchenarbeit – auf den ersten Blick scheint es, als bestünde hier ein Widerspruch: Fokussiert doch Dekonstruktion einerseits die soziale Konstruktion von Geschlecht und kritisiert infolgedessen die Orientierung an eindeutigen geschlechtlichen Identitäten, während Mädchenarbeit andererseits ihre Zielgruppe über das Geschlecht definiert und Geschlecht somit zur maßgeblichen Kategorie der jeweils eigenen Identität wird. Die Frage der Verbindung von Dekonstruktion und Mädchenarbeit und ihren unterschiedlichen Zugängen zur Kategorie Geschlecht stellt sich auch Regina Rauw, Dozentin für geschlechtsbezogene Bildung, auf die sie in ihrem Fachartikel „Dekonstruktion in der Mädchenarbeit – eine Herausforderung von Pädagoginnen“ 23 Antworten gibt. Dekonstruktivistische Theorieansätze wurzeln in der französischen Philosophie24 und erforschen die Entstehung von gesellschaftlichen Phänomenen wie Macht, Identität, Hierarchie, Kultur etc. Basierend auf den Begriffen „dekonstruktiv“ und „konstruktiv“ nach Jaques Derrida konstatiert Rauw, dass gesellschaftliche Gegebenheiten unser Leben formen würden (= konstruktiv), diese aber nicht aus sich selbst heraus existieren bzw. wahr wären, sondern, dass sie veränderbar wären (= dekonstruktiv). Auf die Geschlechterfrage bezogen formuliert sie daraus die Kernaussage „Die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit gestaltet unser gesellschaftliches Leben, beruht aber nicht auf einer objektiven Wahrheit und existentiellen Wahrhaftigkeit von Geschlecht und ist folglich veränderbar bzw. grundsätzlich veränderbar.“25 Die Autorin hebt weiters hervor, „dass die dekonstruktiven Ansätze nicht die Existenz von Geschlecht als gesellschaftliches Phänomen bestreiten.“26 Diese philosophische Betrachtungsweise gilt es also in das Konzept der feministischen Mädchenarbeit zu integrieren. D. h., die eingangs gestellte Frage sollte folgendermaßen umformuliert werden: „Wie muss Mädchenarbeit geschaffen sein, um dekonstruktivistisch zu agieren?“ Anhand einiger zentraler Thesen der dekonstruktivistischen Theorie gibt Rauw Antworten und veranschaulicht, wie eine solche Mädchenarbeit in der Praxis ausschau- 23 Vgl. Rauw 2004, 1-10 Vgl. Bitzan/Daigler 2001, 209 25 Rauw 2004, 2 26 Rauw 2004, 2 24 15 en könnte.27 Die zwei für diese Arbeit relevantesten Thesen und die laut Rauw daraus resultierenden Herausforderungen für die Mädchenarbeit werden im Folgenden beschrieben: These 1: Geschlecht ist ein Konstrukt, d. h. der Begriff „Mädchen“ hat keine essentielle Bedeutung These 1 stellt die Mädchenarbeit bzw. ihre umsetzenden Fachfrauen vor die Herausforderung, sich der eigenen Konstruktionen von Geschlecht bewusst zu werden. Dies beinhalte, laut Rauw, sowohl die Konstruktion von „Mädchen-Sein“ als auch die Konstruktion von „Weiblichkeit“ zu erkennen. Dieses Bewusst-Werden mache es erst möglich, das gleichzeitig verbindende und ausschließende „Wir Frauen“ bzw. „Wir Mädchen“ überwinden zu können. Denn Mädchenarbeit im dekonstruktivistischen Sinne dürfe nicht von einem einzigen Mädchenbild und den damit einhergehenden Stereotypisierungen wie z. B. des braven, angepassten oder des aufmüpfig widerspenstigen Mädchens ausgehen, sondern müsse die Entfaltung der Vielfalt (diversity) der Mädchen bzw. des „Mädchen-Seins“ unterstützen. Die Partizipation von Mädchen bei der Gestaltung von Mädchenarbeit sei somit unabdingbar für eine Mädchenarbeit der Dekonstruktion, da anstatt der Konstruktion des „Mädchen-Seins“ (also der Annahme, was Mädchen mögen), die Interessen der Mädchen zum Ausgangspunkt werden würden. Die Vielfalt sowie die Partizipation werde gerade im geschlechtshomogenen Setting gefördert, da hier erstens weniger Automatismen funktionieren, die Mädchen und Jungen auf ein binäres Schema reduzieren und zweitens die Vorstellung von Homogenität hier eher zu enthüllen sei, da in homogenen Gruppen die Unterschiede und Differenzen zwischen Mädchen eher sichtbar werden würden.28 These 2: Geschlecht wird diskursiv hergestellt („Doing Gender“), d. h. Mädchen „tun“ Geschlecht Ihr eigenes Verhalten nicht als Ausdruck einer wesensmäßigen Prägung zu sehen, sondern als Inszenierung ihres eigenen Selbst im Verhältnis zu den jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Auffassungen von Weiblichkeit, bilde eine weitere 27 28 Vgl. Rauw 2004, 2-8 Vgl. Rauw 2004, 2-4 16 Herausforderung für eine dekonstruktivistische Mädchenarbeit bzw. für die umsetzenden Fachfrauen. Auch hier stehe wieder die Selbstreflexion im Vordergrund, die z. B. in Form von Rollenspielen oder Verkleidungsaktionen stattfinden könne. Darüber hinaus würde der Inszenierungscharakter von Geschlecht und die Vielfalt von Weiblichkeitskonzepten versteh- und erlebbar gemacht werden. Dabei dürfe kein Weiblichkeitskonzept besser bewertet werden als andere, sondern Ziel sei es, die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe den Mädchen aufzuzeigen und ihnen ihre Wahlmöglichkeiten näher zu bringen. Dadurch würden Mädchen erfahren, dass „Mädchen-Sein“ mit ihnen nicht einfach „passiere“, sondern sie dies als handelnde Akteurinnen selber mitbestimmen können. Selbstbestimmung als subjektive Bewertungsund Entscheidungskompetenz wiederum baue infolgedessen die Bedeutung von Konstruktion weiter ab.29 Wenn, wie in diesen zwei Thesen dargelegt, die Mädchenarbeit dekonstruktivistische Ansätze integriert und umsetzt, wird – trotz der konzeptionellen Berufung auf die Kategorie Geschlecht – Geschlecht weder stereotypisiert noch festgeschrieben und dazu beigetragen, Geschlecht als normative Kategorie zu dekonstruieren. Folgende zentrale Prinzipien können aus dieser Darlegung gezogen werden: die Anerkennung und Stärkung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten, Partizipation, Selbstreflexion und Selbstbestimmung. Um dekonstruktivistischen Ansprüchen gerecht werden zu können, sollten also diese Prinzipien bei der Gestaltung von Computerspielen integriert werden und den Mädchen beim Spielen die Möglichkeiten dazu gegeben werden. 10.2.2.2Intersektionalität Die Lebenslagen von Mädchen sind vielfältig, die gesellschaftlichen Stereotypisierungen, was ein Mädchen „ist“ bzw. ausmacht hingegen weniger. Theoretische Konzepte (wie z. B. die Dekonstruktion) zeigen jedoch analog zu den Erkenntnissen in der Mädchen- und Frauenforschung, dass nicht von einer homogenen Gruppe der Mädchen ausgegangen und Geschlecht als Analysekategorie nicht isoliert betrachtet werden kann. 29 Vgl. Rauw 2004, 4 17 In diesem Zusammenhang setzt sich zunehmend der Begriff Intersektionalität (intersectionality) durch. Er entstammt aus den politischen und wissenschaftlichen Kritiken des „Black Feminism“ der USA an den von weißen Mittelschichtsfrauen entwickelten Theorien zu Feminismus und Gender, in denen sie ihre eigenen Lebenslagen nicht berücksichtigt sahen.30 Die amerikanische Juristin Kimberle Crenshaw führte ihn in die wissenschaftlich-analytische Ebene ein und versteht unter Intersektionalität die Verwobenheit und das Zusammenwirken der zentralen Kategorien der Ungleichheit und Unterdrückung. Die aktuelle Diskussion bezieht sich hauptsächlich auf die Trias Hautfarbe (race), Klasse (class) und Geschlecht (gender).31 In der feministischen Mädchenarbeit reichen diese Kategorien nicht aus, um auf die Bedürfnisse der beschriebenen Mädchenlagen gerecht eingehen zu können, wie das eingangs beschriebene Beispiel von unterschiedlichen Mädchenlebenslagen zeigt. Außerdem stellt sich auch die Frage, ob diese Selektion gerechtfertigt ist. Um auf alle Bedürfnisse der Mädchen eingehen zu können, werden diese Kategorien in der Arbeit des Mädchenzentrums Amazone erweitert durch Kategorien wie Alter, Religion, Sprache, sexuelle Orientierung, kulturelle Herkunft, Behinderung/Nicht-Behinderung, etc. Für die Mädchenarbeit bzw. ihre umsetzenden Fachfrauen entsteht dadurch die Herausforderung, sich der eigenen Positionierung und Verstrickung in den Kategorien bewusst zu werden – sowohl aus ihrer Perspektive des Privilegiert-Seins (z. B. als Weiße, als österreichische Staatsbürgerin, etc.) als auch aus ihrer benachteiligten Position (z. B. als Frau, als Lesbe, etc.), um dann den Mädchen ihre subjektiven Lebenslagen – ob privilegiert oder benachteiligt – näher bringen zu können.32 D. h., die Mädchenarbeit sollte die unterschiedlichen Kategorien (Rassismen, Sexismen, etc.) gemeinsam mit den Mädchen thematisieren und diskutieren, damit die Interessen und subjektiven Lebenslagen der Mädchen in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden und sie ihre Eingebundenheit darin erkennen können. Die Intersektionalitätstheorie erwähnt diese Kategorien im negativen Kontext der Diskriminierung. Das Mädchenzentrum Amazone sieht diese Vielfältigkeit aber im positiven Sinne als eine Stärke und reflektiert die „multidimensionale Positionierung“33 der Mädchen darin anhand dieser Kategorien, sodass die Mädchen ihre Vielfältigkeit als 30 Vgl. Kerner 2007, 9f Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 54f 32 Vgl. Rauw 2004, 5 33 Holzleithner 2009 31 18 Stärke wahrnehmen. Diese Sensibilisierung trägt zur Entwicklung gegenseitigen Respekts und Toleranz bei mit dem Ziel, stereotype Ansichten gegenüber anderen abzubauen. Durch die gesellschaftlichen Veränderungen und technischen Innovationen ändern sich diese Kategorien bzw. kommen ständig neue dazu.34 So könnte beispielsweise der Zugang zu Computern, Medienkompetenz oder Kenntnisse über Computerspiele zukünftig neue Kategorien ausmachen. Demzufolge sind immer wieder neue Untersuchungen wichtig, um die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und Veränderungen als Reflexion im Sinne von Intersektionalität in die Mädchenarbeit zu integrieren und somit eine zeitgemäße feministische Mädchenarbeit zu gewährleisten.35 Auch aus der Darstellung der Intersektionalitätstheorie ergeben sich Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen. Vorrangig geht es hier ebenfalls um die Anerkennung und Stärkung der Vielfalt der Mädchenlebenswelten. Wie aufgezeigt, kann dies erreicht werden durch das Bewusst-Werden und die Reflexion der verschiedenen Kategorien und die Positionierung jedes Mädchens darin. 10.2.3 Feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone Dieser neuen theoretischen Ansätze und den veränderten und unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen ist sich das Mädchenzentrum Amazone bewusst. In ihrer Arbeit mit Mädchen flossen diese Veränderungen – mehr oder weniger bewusst – schon längst mit ein. Um hierzu eine gemeinsame Grundlage für alle Fachfrauen des Mädchenzentrums zu schaffen und diesen Einbezug aktueller Debatten der feministischen Mädchenarbeit sowie die Positionierung darin auch nach außen hin zu zeigen, erarbeitete das Mädchenzentrum Amazone in einem von Claudia Wallner moderierten Prozess von März bis Mai 2010 ein neues Leitbild. Dieses Leitbild definiert zugleich die feministische Sichtweise dieser Arbeit und das leitende Ziel bezüglich der Gestaltung von Computerspielen. Für die Gestaltung von Computerspielen im Setting der feministischen Mädchenarbeit definiert das Leitbild außerdem die Haupt- 34 35 Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 59f Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 60 19 ziele36 und zeigt ebenfalls Prinzipien auf, die die Erreichung dieser Ziele unterstützen. Deshalb wird es im Folgenden ausführlich zitiert: „Das Mädchenzentrum Amazone versteht sich als Angebot der Jugendarbeit mit feministischer Grundhaltung. Das bedeutet, alle Angebote und Projekte verfolgen das Ziel, Mädchen und jungen Frauen zu einem selbstbestimmten Leben in einer geschlechtergerechten Gesellschaft zu verhelfen. Mädchenarbeit, wie sie vom Mädchenzentrum Amazone angestrebt und umgesetzt wird, wirkt sowohl individuell fördernd als auch gesellschaftsverändernd. Der Ansatz des Mädchenzentrums ist pädagogisch und politisch wirksam und fordert und fördert Selbstbestimmung für Mädchen und junge Frauen jenseits geschlechtsspezifischer Einschränkungen und Zuschreibungen und einen gleichberechtigten Zugang zu allen gesellschaftlich und individuell relevanten Ressourcen. (...) Langjährige praktische und mühselige Erfahrungen zur Installierung mädcheneigener und mädchengerechter Räume in geschlechtergemischten Jugendzentren begründeten die Idee, ein eigenes Jugendzentrum für ‚girls only zu gestalten. Dem Mädchenzentrum Amazone ist es ein wichtiges Anliegen und Ziel, soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern oder zwischen den Geschlechtern auszutauschen, sondern sie zu dekonstruieren. Geschlechterdemokratie kann nur erreicht werden, wenn soziale Zuschreibungen an Mädchen und Jungen grundsätzlich aufgelöst werden zugunsten einer freien Entfaltung von Begabungen und Interessen jedes Menschen jen37 seits geschlechtsspezifischer Zuschreibungen.“ 10.2.4 Feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums Amazone Medienkompetenz ist mittlerweile eine Schlüsselqualifikation in unserer Gesellschaft. Studien zufolge sozialisieren sich Jugendliche gerade über Computerspiele zu kompetenten Computernutzerinnen und Computernutzern.38 Um eine Chancengleichheit, unabhängig von Bildung und Geschlecht, gewährleisten zu können, sollten alle Jugendlichen die Möglichkeit haben, medienkompetent gebildet zu werden.39 Medienkompetenz wird daher zu einem wichtigen Bestandteil der feministischen Mädchenarbeit, da, wie ich in Abschnitt 10.2.1 dargelegt habe, die Offene Jugendarbeit stark jungenorientiert ist und Einrichtungen der Mädchenarbeit auch Mädchen aus niedrigeren Bildungs- und Sozialschichten den Zugang zu Computerspielen ermöglichen. Durch die Verknüpfung des Leitbilds des Mädchenzentrums Amazone mit dem Modell der Medienkompetenz nach Dieter Baacke ergibt sich die feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums Amazone.40 Im Gegensatz zu bewährpädagogischen Verboten unterstützt eine feministische Medienpädagogik einen handlungs- 36 Nebenziele sind beispielsweise Mädchen für Computerspiele zu begeistern, dadurch das Interesse für die technischen Komponenten von Computern zu wecken, einen reflektierten Umgang mit Medien zu vermitteln etc. 37 Mädchenzentrum Amazone 2010, 1 38 Vgl. Köhler 2008, 200 39 Vgl. Köhler 2008, 204 40 Vgl. Mädchenzentrum Amazone 20 orientierten, aktiven und reflektierten Umgang mit Medien, also auch Computerspielen. Baacke unterteilt die Medienkompetenz in vier Dimensionen41, die ich im Folgenden erkläre und am Beispiel von Computerspielen erläutere: Medienkritik: Mit dem Medienkonsum, zu dem auch Computerspiele gehören, tauchen Mädchen in ein Spannungsfeld unterschiedlich dargestellter Erwartungen an ihre gesellschaftlich definierten Rolle(n). Ziel des medienpädagogischen Arbeitens ist es, im Sinne einer unterstützenden Lebensplanung gemeinsam mit Mädchen medienkritische Blicke auf mediale Inhalte zu werfen und diese zu reflektieren. Computerspiele können diese Prozesse unterstützen, indem sie beispielsweise Mädchen bei der Darstellung weiblicher Spielfiguren eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, was unterschiedliche Fähigkeiten und Verhaltensweisen genauso wie eine Vielfältigkeit der optischen Darstellung beinhaltet und sie dazu motivieren, diese auszuprobieren. So reflektieren sie spielerisch Rollenerwartungen und ihr Verständnis von „Weiblichkeit“ wird erweitert, was die vordefinierten Rollenbilder aufweicht und ihnen Alternativen aufzeigt. Medienkunde: Unter der informativen Dimension der Medienkompetenz versteht man die Vermittlung von Hintergrundwissen. D. h. einerseits den Mädchen das „Anwenden“ von Computerspielen beizubringen und Hemmschwellen bei der Benutzung abzubauen (Wie installiere ich ein Spiel? Welche Softwarevoraussetzungen braucht der Computer dafür? Wo bekomme ich Hilfe bei Problemen? etc.) und andererseits auch den Umgang mit virtuellen Welten und Identitäten zu lehren. Hier ist eine kompetente Begleitung einer Fachfrau gefragt, die den Mädchen auch gleichzeitig als „Role Model“ (Vorbild) dienen kann. Mediennutzung: Genauso vielfältig wie die Lebenswelten der Mädchen sind auch ihre mediale Präferenzen und Aneignungsweisen. Deshalb sollten Computerspiele eine möglichst breite Palette an Themen und Handlungsmöglichkeiten sowie verschiedene, einfache Aneignungsmöglichkeiten anbieten. Dies gewährleistet ein Computerspiel, das z. B. durch ein Tutorium sowie explorativ während des Spielens erlernt werden kann und verschiedene Spielwelten zur Verfügung stellt. Mediengestaltung: Mit Mediengestaltung ist die aktive Medienarbeit, also selbst kreativ tätig zu werden, gemeint. Die Mädchenarbeit sollte eine vielseitige Mediengestaltung fördern, um einen lustvollen Zugang zur Technik zu unterstützen und die 41 Vgl. Baacke 1997, 34 21 Mädchen ermächtigen, sich und ihre Interessen medial darstellen zu können. Eine Möglichkeit, dies in Computerspielen umzusetzen, wäre beispielsweise, indem Mädchen eigene Kleidungsstücke für ihre Spielfiguren oder andere Spielgegenstände in Bildbearbeitungs- oder 3D-Programmen entwerfen, die dann ins Spiel importiert werden können. 10.2.5 Computerspiele in der feministischen Mädchenarbeit Über Computerspiele in der Mädchenarbeit gibt es bislang wenig Untersuchungen und Literatur, da die Mädchenarbeit Computerspiele lange Zeit verschmähte, laut Susanne Kirk, Leiterin des Mädchenzentrums Café Donauwelle in Osnabrück. Sie führt dies darauf zurück, dass viele Vorurteile gegen das Spielen am Computer vorherrschten, was vor allem daran läge, dass die Pädagoginnen selbst keine Computerspiele ausprobiert hätten. Der Einsatz von Computern in der Mädchenarbeit wäre darauf ausgelegt gewesen, die Qualifikationen der Mädchen auszubauen, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.42 Daher wäre Mädchen ein lustvoller Zugang zum Medium Computer lange verwährt geblieben.43 Computerspiele sind also eine Möglichkeit, das Medium Computer mit Lust zu besetzten und das (Technik)Interesse der Mädchen zu wecken. Kirk sieht in der Begleitung der Pädagoginnen der Mädchen beim Computerspielen eine wichtige Rolle. Für die Beziehungsarbeit würden Computerspiele neue Möglichkeiten eröffnen, mit den Mädchen ins Gespräch zu kommen.44 Dies stimmt mit meinen Erfahrungen im Mädchenzentrum Amazone überein. Inhalte, Figuren und Aktivitäten in Computerspielen ergaben viele Anknüpfungspunkte für Unterhaltungen sowohl zwischen den Mädchen und mir als auch zwischen den Mädchen selbst. Sie helfen sich gegenseitig bei Problem mit dem Spiel und geben sich Tipps, wo sie sich beispielsweise im Internet über ein Spiel informieren bzw. Hilfestellungen bekommen können. (Dies veranschaulichen auch die Beobachtungsprotokolle im Anhang.) Gerade Computerspiele geben Mädchen die Möglichkeit, Verhaltensweisen auszutesten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt der feministischen Mädchenarbeit, die den Mädchen Experimentierräume, ihre Vielfältigkeit zu erproben, zur Verfügung stellt. Daher haben Computerspiele m. E. ein großes Potential, die Mädchenarbeit zu unterstützen und ich schließe mich dem fol42 Das ist auch einer der Gründe, der zur Entstehung der Girl Game Bewegung beitrug, die im Abschnitt 6.2. näher erläutert wird. 43 Vgl. Kirk 2008, 1 44 Vgl. Kirk 2008, 5 22 genden Zitat an: „Man muss Computerspiele nicht lieben, aber man muss sie auch nicht fürchten, man muss mit ihnen umgehen lernen, und dazu muss man sie und ihr Faszinationspotential kennen lernen.“45 10.2.6 Zusammenfassung und Fazit In diesem Abschnitt wurden am Beispiel des Mädchenzentrums Amazone die Entwicklung der feministischen Mädchenarbeit bis hin zum aktuellen Leitbild und der feministischen Medienpädagogik des Mädchenzentrums beschrieben. Die bisherigen Ziele der feministischen Mädchenarbeit wie eigene Räume für Mädchen, geschlechtshomogene Angebote, weibliche Erfahrungen als Basis für weibliche Perspektiven, Normen und Werte und die Abschaffung des Patriarchats versucht das Mädchenzentrum Amazone durch die Verfolgung des Hauptziels – „soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern ... sondern sie zu dekonstruieren“46 – zu erreichen. Die neuen Theorieansätze der Dekonstruktion und Intersektionalität wurden in das Leitbild integriert und die daraus resultierende feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums dargestellt. Durch diese Darlegungen ergeben sich grundlegende Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen im feministischen Sinne der feministischen Mädchenarbeit, die hier nochmals zusammenfassend festgehalten werden: Partizipation, Selbstreflexion, Selbstbestimmung, Anerkennung und Stärkung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten, sowie weitere mögliche Kategorien, die ihre Positionierung darin bestimmen, aufzeigen und Mädchen motivieren, sich damit auseinanderzusetzen. Computerspiele haben für die Mädchenarbeit ein großes Potential. Neben der Beziehungsarbeit unterstützen sie einen lustvollen Zugang zum Medium Computer, wobei eine fachliche medienpädagogische Begleitung wichtig zur Förderung dieser Prozesse ist. 10.3 Feministische Medientheorie Medientheorien habe vor allem ein Ziel: „Zum Nachdenken über die Lage der gegenwärtigen Gesellschaft anregen und durch das Aufstellen von Hypothesen Orien- 45 46 Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V. – Institut für Medienpädagogik und Medientechnik 2006, 3 Mädchenzentrum Amazone 2010, 1 23 tierung ermöglichen.“47 Da Computerspiele eine relativ junge kulturelle Erscheinung sind, ist der gesellschaftliche Orientierungsbedarf diesbezüglich sehr hoch. Dementsprechend existieren für die Auseinandersetzung mit Computerspielen als Medien zahlreiche theoretische Perspektiven. Da diese Untersuchung von einer feministischen Sichtweise aus getätigt wird, bezieht sie sich auf Ansätze der feministischen Medienwissenschaft. Auch die feministische Medienwissenschaft hat unterschiedliche wissenschaftliche Theorieansätze entwickelt. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, beschränkt sich diese Analyse auf diejenigen, die mit dem Ziel der Mädchenarbeit, soziale Geschlechtsrollenbilder und die daraus resultierenden Geschlechterverhältnisse zu dekonstruieren, einhergehen. Laut Marie-Luise Angerer und Brigitte Geiger standen zu Beginn der feministischen Medienforschung Ansätze der Stereotypenforschung sowie die Sozialisations- und Kultivierungstheorie im Fokus, so treten in den letzten Jahren zunehmend dekonstruktivistische Ansätze in den Vordergrund48 und es wird die Erweiterung der bisherigen geschlechterkritischen Analysekategorien wie Hautfarbe (race), Klasse (class) und Geschlecht (gender) angestrebt.49 Hier zeigen sich deutliche Analogien zu den in Abschnitt 10.2.2 bereits dargelegten theoretischen Entwicklungen der feministischen Mädchenarbeit und ihren neuen Herausforderungen. Die zwei für diese Arbeit bedeutendsten feministischen Ansätze der Medientheorie und ihre Bedeutung bezüglich der Analyse und Gestaltung von Computerspielen werden im Folgenden beschrieben und wichtige Fragestellungen, wie Computerspiele untersucht werden sollten, um Prinzipien für ihre Gestaltung im feministischen Sinne zu erhalten, gewonnen. 10.3.1 Sozialisations- und kultivierungstheoretische Ansätze Sozialisations- und Kultivierungstheorien gehen davon aus, dass Medien in ihrer Sozialisations- und Kultivierungsfunktion weibliches und männliches Rollenverhalten sowie hierarchische Geschlechterordnungen (re)produzieren und verfestigen.50 „Die Vermittlung stereotyper Geschlechtsidentität sowie die sozialisierende Wirkung, die 47 Zapf 2009, 12 Vgl. Angerer/Dorer 1994, 18 49 Vgl. Dorer/Geiger 2002, 12 50 Vgl. Angerer/Dorer 1994, 19 48 24 Massenmedien durch ihre Omnipräsenz in einer Gesellschaft ausüben, führen zu einer Verfestigung verinnerlichter Geschlechtsstereotypen, sodaß [sic] ein Entkommen aus dieser sozialen (patriarchalen) Ordnung nur durch Gegenentwürfe ... möglich ist.“51 Diese Theorien bezogen sich in den feministischen Medienwissenschaften vor allem auf die Forschung von Print- und Fernsehmedien und deren (Re)Produktion stereotyper Weiblichkeitsbilder.52 Sie können Holger Zapf zufolge heute auf Computerspiele deshalb angewendet werden, da Computerspiele aus medientheoretischer Perspektive als film- und fernsehverwandt angesehen werden.53 Die Stereotypenforschung sowie die Sozialisations- und Kultivierungstheorie kritisieren also die Stereotypisierung des geschlechtsspezifischen Rollenbildes durch die Medien sowohl wegen ihrer Wirkung auf das geschlechtsspezifische Verhalten als auch wegen der Vermittlung eines verzerrten Frauenbilds.54, 55 Daher widmet sich ein Teil dieser Untersuchung dem Frauenbild, das im Spiel wiedergegeben wird und prüft, ob es zu einer „Verzerrung“ beiträgt. Dadurch werden wichtige Erkenntnisse gewonnen, inwieweit das Computerspiel „Die Sims 2“ weibliche Figuren stereotypisiert, geschlechtsstereotype Auffassungen und Spielverhaltensweisen von Mädchen verfestigt oder ob das Spiel „Gegenentwürfe“ zu diesen bietet und Möglichkeiten aufzeigt, diese aufzuweichen. 10.3.2 Dekonstruktivistische Ansätze Eine weitere bedeutende Annäherung an Medien aus der feministischen medientheoretischen Perspektive geben dekonstruktivistische Ansätze. Dorer zufolge müssen Medien immer im Kontext mit Macht und Machtverhältnissen gesehen werden, denn sie würden dazu beisteuern, dass bestimmte Diskurse gesellschaftlich als „Wahrheiten“ gelten. Im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse sei dieser Blick deshalb wichtig, weil Medien stereotypes Wissen zu Ge- 51 Angerer/Dorer 1994, 20 Vgl. Angerer/Dorer 1994, 19 53 Zapf 2009, 16 54 Vgl. Angerer/Dorer 1994, 20 55 In Bezug auf die Darstellung von weiblichen Computerspielcharakteren beispielsweise beinhalten laut der Studie „Fair Play“ der kalifornischen Organisation „Children Now“ fast die Hälfte aller umsatzstarken Konsolenspiele negative weibliche Botschaften. „Children Now“ untersuchte mehrere beliebte Videospiele und stellte fest, dass darin hauptsächlich mit unrealistischen Körperdarstellungen und stereotypischer Weiblichkeit, wie provokativer Sexualität oder emotionaler Schwäche geworben wird (vgl. Children Now 2001). 52 25 schlecht und Geschlechterrollen verfestigen.56 Auch wenn sie teilweise unterschiedliche Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder transportieren, weichen sie die Normierung der Geschlechterdualität und die damit einhergehenden Geschlechtsstereotypisierungen nicht auf, sondern konstruieren sie ein Stück weit mit.57 Dadurch unterstützen Medien den Prozess des „Doing Gender“, denn medial dargestellte Personen werden nicht nur als Frauen oder Männer wahrgenommen. „Vielmehr wird, im Sinne des ‚doing gender, Geschlecht im Prozess der Rezeption (...) produziert.“58 Auch Medien (re)produzieren und verdichten Geschlecht und geschlechtsspezifische Verhaltensweisen durch dargestellte Interaktionen zwischen „Frauen“ und „Männern“. Wie kann also feministische Medienforschung zur Dekonstruktion von diesen Geschlechtsstereotypisierungen beitragen? Um dies herauszufinden, sollte laut Dorer die feministische Medienforschung der Frage nachgehen, „welche Normen die medialen Repräsentationen stützen und was in welcher Form als außerhalb der Norm präsentiert wird, zum anderen, welche Grenzen des Denkbaren gezogen werden, sodass andere mediale Repräsentationen als undenkbar und als unvorstellbar erscheinen.“59 Es müssen immer auch die Neuformulierungen von Geschlechternormen ermittelt werden, um im dekonstruktivistischen Sinne „Geschlechtergrenzen zu verschieben bzw. zu verwischen“60, so Dorer weiter. Sie schlägt vor, drei Formen von Repräsentationsstrategien zu untersuchen: Normierungsstrategien, Ausschließungsstrategien sowie Strategien der Neuartikulation.61 Dies bedeutet, um die geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen von Mädchen anhand des Computerspiels „Die Sims“ zu untersuchen und daraus relevante Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen zu gewinnen, muss eruiert werden, erstens inwiefern dieses Spiel die Repräsentation von Geschlecht normiert, zweitens inwiefern Geschlechter ausgeschlossen werden und drittens, ob das Spiel es ermöglicht, Geschlecht neu zu artikulieren, ob es also Alternativen zu weiblichen und männlichen Geschlechtervorstellungen bietet. Die Frage nach der Normierung von Geschlecht (Normierungsstrategien) deckt sich mit der Schlussfolgerung der Sozialisations- und Kultivierungstheorien des vorherigen Abschnitts, die weibliche Darstellung von Me- 56 Vgl. Dorer 2002, 61f Vgl. Dorer 2002, 54f 58 Knoll/Ratzer 2010, 132 59 Dorer 2002, 63 60 Dorer 2002, 63 61 Vgl. Dorer 2002. 63 57 26 dien im Hinblick auf geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen (=Normierungen) zu analysieren. Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, unterstützt das Spiel die Verfestigung oder die Aufweichung stereotyper Geschlechtervorstellungen und damit geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen. Einen anderen Ansatz dem dekonstruktivistischen Anspruch feministischer Medienforschung gerecht zu werden, liefert Waltraud Ernst, indem sie dazu auffordert, die vielfältigen Bedeutungen von Geschlecht oder die „Multidimensionalität der Kategorie Geschlecht“62 in feministische Medienanalysen miteinzubeziehen. Darin sieht Ernst für die feministische Medienforschung die Möglichkeit, die „geschlechtliche Vielfältigkeit“63 darzustellen, anstatt dichotome, heteronormative und stereotype Vorstellungen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten zu reproduzieren.64 Ihre Aufforderung stimmt mit der bereits im Abschnitt 10.2.2 über die feministische Mädchenarbeit dargelegten Auffassung überein, dass es keine homogene Gruppe von „Wir Frauen“ bzw. „Wir Mädchen“ gibt, sondern eine Vielfältigkeit von „MädchenSein“ existiert, mit der vielfältige und unterschiedliche Vorstellungen von „Weiblichkeit“ einhergehen. Wenngleich sie hier „nur“ die Kategorie Geschlecht in seine Vielfältigkeit aufsplittert, finden sich bei Ernst m. E. auch Parallelen zur Intersektionaliätstheorie. Verweist nicht zuletzt die Autorin selbst darauf, dass damit „Geschlecht, Ethnie und Klasse (...) als bedeutende und dennoch veränderliche Prozesse erforscht werden können...“65 Dies schließt m. E. an die Fragen im Rahmen der dritten Repräsentationsstrategie von Dorer, Geschlecht neu zu artikulieren, an: Wie wird Geschlecht dargstellt? Wird den Spielenden die Möglichkeit gegeben, ihre je eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel zu integrieren? 10.3.3 Zusammenfassung und Fazit Im ersten Teil dieses Abschnitts haben spezifische Ansätze der feministischen Medientheorie zum einen gezeigt, dass bei einer Analyse von Medien immer auch die Darstellung der Frau bzw. von Weiblichkeit kritisch hinterfragt werden sollte, um ge62 Ernst 2002, 34 Ernst 2002, 49 64 Vgl. Ernst 2002, 33 65 Ernst 2002, 43 63 27 schlechtsstereotype Darstellungen sichtbar zu machen und ihnen entgegen wirken zu können. Zum anderen weisen feministische Medientheoretikerinnen darauf hin, dass eine Sichtbarmachung und Anerkennung einer vielfältigen Darstellung von Geschlecht in Medien zur Dekonstruktion von homogenen Weiblichkeits- und Männlichkeitsvorstellungen beiträgt. Die Ergebnisse der Auseinandersetzungen mit feministischen Medientheorien lassen sich in den Fragestellungen des zweiten Teils zusammenfassen: • Inwieweit (re)produziert und verfestigt ein Computerspiel geschlechtsstereotype Darstellungen von weiblichen Figuren? • Inwiefern normiert dieses Spiel die Repräsentation von Geschlecht? • Ermöglicht das Spiel, Geschlecht neu zu artikulieren, indem z. B. Spielende ihre eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel integrieren oder indem Alternativen zu weiblichen und männlichen Geschlechtervorstellungen geboten werden (=Vielfältigkeit)? Diese Fragestellungen sind wichtig für eine geschlechtssensible Gestaltung von Computerspielen im dekonstruktivistischen Sinne. 10.4 Geschlecht und Technologie Inwiefern Geschlecht in Technologien eingeschrieben wird, behandelt dieser Abschnitt. Es wird aufgezeigt, dass auch die Technologie selbst ein soziales Konstrukt ist. Soziale Erscheinungen fließen in Technologien mit ein, nicht nur in ihren Produkten wie z. B. Computerspiele, sondern ebenfalls in ihren Techniken und ihr Fachwissen66, die ebenfalls in die Entwicklung von Computerspielen eingebunden sind. 10.4.1 Drei Fragen zu Geschlecht und Technologie Die Technologie, ihre spezifischen materiellen Formen und ihre Anwendungsbereiche sind immer in gesellschaftliche, kulturelle und die Macht betreffenden Geschlechterverhältnisse eingebunden und geben zugleich Auskunft über die Art und Weise dieser Verhältnisse.67 „Deshalb sind Entwicklung, Nutzung und Wirkung von Technologien ohne die Berücksichtigung des Geschlechts und der in einer Gesellschaft wir- 66 67 Vgl. Meßmer/Schmitz 2007, 136 Vgl. Klaus 2005, 68 28 kenden Macht- und Dominanzverhältnisse nicht wirklich zu begreifen.“68 so die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus. Sie wirft drei Fragen zum Thema Geschlecht und technologischer Entwicklungen auf69. Frage 1: Wie bildet sich die Stellung der Geschlechter in der Technologieentwicklung ab? Zu Frage 1 zeigt Klaus auf, dass technologische Innovationen hauptsächlich im militärischen Kontext entstünden, von dem Frauen zumindest in Entscheidungspositionen weitgehend ausgeschlossen wären.70 Hanappi-Egger verdeutlicht die Einbettung sozialer Dimensionen in Technologien am Beispiel von Computerwissenschaftlern. In ihrem Studium müssten diese sich zeitintensiv damit auseinandersetzen, wie soziale Prozesse modelliert werden können, welche Prozesse es bei der Softwareentwicklung gibt und Programmiersprachen lernen. Dieses Wissen bestimme weitgehend die Art der Annäherung, Beobachtung, Auswahl und Beschreibung sozialer Szenarien. Darüber hinaus wären sie selbst in soziale Kontexte von Geschlechterverhältnissen eingegliedert, wie beispielsweise eine geschlechtsspezifische Arbeitseinteilung und Rollenerwartung. Dies führe – bewusst oder unbewusst – zu Geschlechterimplikationen beim Modellieren von sozialen Realitäten bei Computerentwicklungen.71 Im Hinblick auf Computerspiele ist diese Frage deshalb relevant, weil Computerspiele hauptsächlich von Männern entwickelt, hauptsächlich von Männern und Jungen gespielt werden und Geschlechtsstereotype ein Hauptmerkmal von Computerspielen sind. Dies verfestigt vorherrschende Geschlechtsstereotypen und führt zu einem weiteren Ausschließungsmechanismus von weiblichen Spielenden bei der und durch die Entwicklung von Computerspielen. Denn Computerspielfirmen konzentrieren sich auf das ökonomisch lukrativste Genre von Spielen, den Action- und Adventure-Spielen, die vor allem bei männlichen Spielenden beliebt sind.72 Am Beispiel von Computerspielen zeigt sich deutlich, dass sie nicht einfach so anziehend auf Jugendliche wirken, sondern zu ihren jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen passen müssen. Da die Computerspielindustrie sehr viel weniger Spiele mit Themen, Inhalten, Didaktik, 68 Klaus 2005, 68 Vgl. Klaus 2005, 68 70 Vgl. Klaus 2005, 68 71 Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150 72 Vgl. Hanappie-Egger 2005, 150f 69 29 Genres etc. produziert, die Mädchen bevorzugen, tragen sie dazu bei, dass Mädchen infolgedessen weniger spielen und die Nachfrage nach Computerspielen bei ihnen geringer ist. Es existiert also ein komplexes Wechselverhältnis.73 Eine Möglichkeit diesem Trend entgegenzuwirken ist, mehr Mädchen und Frauen in die Entwicklung von Computerspielen mit einzubeziehen, d. h. sie für eine Karriere in der Computerspielindustrie zu begeistern. Denn dadurch werden ihre Sichtweisen, Spielverhaltensweisen und Spielpräferenzen in die Gestaltung integriert, die dann wiederum andere Mädchen für Computerspiele begeistern. Das Interesse und der kreative Leistungswille von Mädchen für Technik zu wecken, ist der erste und maßgeblichste Schritt für eine Karriere in der Computerspielindustrie.74 Den ersten Kontakt zum Computer haben Kinder meist über Computerspiele75 und sie stellen eine der Hauptbeschäftigungen von Jugendlichen mit dem Computer dar.76 Daher bilden sie einen idealen Ausgangspunkt, um Mädchen für eine Ausbildung in der Computerspielindustrie zu gewinnen. So zeigt sich auch hier ein komplexes Wechselverhältnis, dessen Aufweichung diese Untersuchung zu unterstützen versucht. Hierfür bietet die Mädchenarbeit mit ihrem geschlechtshomogenen Setting optimale Voraussetzungen für Mädchen, jenseits von Geschlechternormen Erfahrungen mit Computerspielen zu machen. Sie werden in ihrem Selbstbewusstsein unterstützt, und können sich unabhängig von Klischees und Anpassungsdruck damit beschäftigen. Dadurch kann ihr Interesse und ihre Begeisterung für Computerspiele geweckt werden. Frage 2: Wie unterscheiden sich die Geschlechter in ihrer Haltung gegenüber Technologien und ihrer Nutzung? Klaus konstatiert zu ihrer zweiten Frage, dass unsere Einstellungen gegenüber neuen technologischen Entwicklungen mit kulturellen Geschlechterkonstruktionen verbunden wären, die eine „weibliche“ und eine „männliche“ Auffassung bestimmen würden. Dies erfolge durch die kulturelle Gegenüberstellung von Männern und Technologien einerseits und Frauen und Natur andererseits und führe zur Diskriminierung 73 Vgl. Köhler 2008, 62 Vgl. Lippe 2007, 225 75 Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150; Cassell/Jenkins 1998, 11 76 MPFS 2008, 36 74 30 von Frauen.77 Die gesellschaftliche Auffassung „Technik ist männlich“ trifft ganz besonders auf die Computertechnologien zu, wie Frage 1 verdeutlicht. Technische Fragen zu diskutieren, wäre Bestandteil der männlichen Computerkultur, denn hier könne sich „Männlichkeit“ ohne Auseinandersetzung mit „Weiblichkeit“ erproben, ist auch Renate Schulz-Zander von der Universität Dortmund der Meinung. Es zeige sich beispielsweise, dass der Bedarf, sich über Thematiken wie Computerspiele, Internet und Computer allgemein zu unterhalten, bei Jungen sehr viel stärker ausgeprägt sei als bei Mädchen, so Schulz-Zander weiter. Eine Ausprägung der Geschlechteridentität erfolge also über die Computerkultur.78 Demnach sind Computerspiele für Jungen m. E. besonders attraktiv, weil sie dadurch dem „männlichen Doing Gender“ entsprechen und ihre Geschlechtsidentität einerseits dadurch bestätigen und diese andererseits von der Gesellschaft wiederum bestätigt wird. Umgekehrt verhält es sich mit der Reserviertheit der Mädchen gegenüber Computern und Computerspielen. Niemand ist überrascht, wenn sich ein Mädchen nicht dafür interessiert, denn dies entspricht ihren gesellschaftlichen Zuschreibungen im Sinne des „weiblichen Doing Gender“ und bekräftigt Mädchen in ihrer Haltung. Ein Interesse an Computern könnte Mädchen unterstützen, sich von weiblichen Geschlechtsstereotypen abzugrenzen, ist Klaus der Meinung.79 Demnach würden Mädchen, die Computerspiele spielen, geschlechtsspezifische Zuschreibungen im dekonstruktivistischen Sinne aufweichen. Somit bieten Computerspiele ein weiteres Argument, sie in der Mädchenarbeit einzusetzen, um zum Paradigmenwechsel der Auffassung „Technik ist männlich“ beizutragen und um dem Ziel der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone „soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern oder zwischen den Geschlechtern auszutauschen, sondern sie zu dekonstruieren“80, näher zu kommen. Frage 3: Wie üben Menschen in ihrer Aneignung von Technologien ihre geschlechtliche Identität aus? Technologien würden ihre Wirkung durch die Art und Weise entfalten, wie wir sie in unseren sozialen Alltag integrieren, resümiert Klaus. In den Auseinandersetzungen 77 Vgl. Klaus 2005, 70f Vgl. Schulz-Zander 2005, 15 79 Vgl. Klaus 2005, 72 80 Mädchenzentrum Amazone 2010, 1 78 31 mit der Technik würden daher bestehende Machtverhältnisse verfestigt, jedoch auch hinterfragt und neu gestaltet werden.81 Am Beispiel von unterschiedlichen Zugängen von Mädchen und Jungen von Frage 1 und 2 wurde veranschaulicht, dass unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen gegenüber Computern auf die Entwicklungsstrukturen von Techniken sowie auf die Geschlechtssozialisation zurückzuführen sind. Esther Köhler zeigt beispielsweise auf, dass, um ein Problem zu lösen, Mädchen es erst komplett analysieren und strukturieren wollen. Im Gegensatz zu den Jungen, die nach der Methode „Versuch und Irrtum“ vorgehen würden. Dies verschaffe ihnen einen Vorteil bei der Beschäftigung mit Computerspielen, da die Handlungsmöglichkeiten, der Ablauf und die Komplexität von Computerspielen meist nicht zu Beginn sondern erst im Verlauf des Spiels deutlich werden würden.82 In dieser Art der Aneignung von Technologien wird die geschlechtliche Identität ausgeübt. Wie dieses Beispiel zeigt, zum Nachteil von Mädchen. Aber nicht weil sie „technikfern“ sind, sondern weil, wie in Frage 1 dargelegt, Techniken von männlichen Entwicklern für männliche Nutzende produziert werden und so vergeschlechtlichte Technikstrukturen entstehen. Dies trägt zur Festschreibung geschlechtsstereotyper Einstellungen und Verhaltensweisen bei. Aber wie können diese anhand von neue Technologien bzw. Computerspielen nun hinterfragt und neu gestaltet werden? Geschlechtshomogene Angebote, wie sie in der feministischen Mädchenarbeit durchgeführt werden, setzen hier an. Sie ermöglichen es Mädchen, eine „Auszeit von der Gender-Ordnung“83 zu nehmen. In geschlechtshomogenen Gruppen zu arbeiten reduziert die als männlich wahrgenommenen Dimensionen der Technik und eröffnet den Mädchen neue Zugangsmöglichkeiten und Experimentierräume für die Nutzung der Computertechnik. Dadurch trägt die Mädchenarbeit dazu bei, die Diskrepanz zwischen dem „weiblichen“ Selbstkonzept und dem „männlichen“ Technikimage sichtbar zu machen, dies zu reflektieren und sie aufzuweichen.84 Die Frage nach der Neugestaltung von Geschlechterverhältnissen durch Technologien ist ein zentrales Thema des Cyberfeminismus, der sich mit der Dekonstruktion 81 Vgl. Klaus 2005, 74 Vgl. Köhler 2008, 62f 83 Collmer zit. in Eble/Schumacher 2005, 40 84 Vgl. Eble/Schumacher 2005, 40 82 32 der Geschlechterdualität anhand von Medientechnologien auseinandersetzt und wird im nächsten Abschnitt erläutert. 10.4.2 Cyberfeministische Dekonstruktionsansätze Da Computerspiele ein Produkt der Technologie sind, liegen auch ihrer Herstellung und Nutzung, wie im vorigen Abschnitt erläutert, vergeschlechtlichte Strukturen zugrunde. Deshalb versucht diese Arbeit Möglichkeiten zu finden, die vergeschlechtlichte Technikkonstruktion von Computerspielen in Annäherung an die Dekonstruktion von Geschlecht aufzudecken und zu dekonstruieren. „The notion of ‚coconstruction of gender and technology does not only imply that they are both fluid and negotiable, but also that they are constructed with reference and in relation to each other.“85 Fluidität (fluidity) von Geschlecht und Technologie, wie sie Ruth Meßmer und Sigrid Schmitz von der Universität Freiburg beschreiben, beinhaltet nicht nur die Aspekte des „Doing Gender“, sondern hat viel mehr das Potential, Geschlechtsstereotype zu durchbrechen und Geschlechterdichotomien aufzuweichen. Um zu veranschaulichen, wie dies funktionieren könnte, werden im Folgenden zwei vieldiskutierte cyberfeministische Annäherungen an die Thematik der Dekonstruktion von Geschlecht und Technologie beschrieben. Cyberfeminismus ist „der Versuch eine Verbindung von feministischer Kritik und virtuellem Geschlecht, der Affirmation der Potentiale der neuen Technologien und dem Entwurf einer gesamtgesellschaftlichen Vision eines herrschaftsfreien Zusammenlebens“86, so die Definition von Deuber-Mankowsky. Cyberfeministinnen sehen die neuen Informations- und Medientechnologien – vor allem die des Computers – als emanzipatorische Chance, die als natürlich erfahrenen Geschlechtsidentitäten zu dekonstruieren.87 Eine der ersten, aber dennoch aktuellen Annäherungen zur Fluidität von Geschlecht und Technologie in Bezug auf neue Medientechniken, liefert die Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway in ihrem „Manifest für Cyborgs“ aus dem Jah- 85 Meßmer/Schmitz 2007, 136 Deuber-Mankowsky 2007, 89 87 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 89-94 86 33 re 1983.88 Haraway versucht darin, das kritische Potential des Feminismus in die durch Technowissenschaften geformte postmoderne Welt zu übertragen. Darunter versteht sie sich für eine neue Politik der Teilung, Teilhabe und Mitteilung einzusetzen, die auf die Bedingungen der Technowissenschaft eingeht. Sie beschreibt dies anhand des symbiotischen Verhältnisses von Technologie und Mensch in Form einer Cyborg. Ihre feministische Vision fördert die Dekonstruktion von Dichotomien, also die Auflösung von Natur-Kultur-Binarität sowie der Geschlechterdichotomien innerhalb der Mensch-Technologie-Symbiose. Ihre Cyborg-Allegorie beschreibt die Beziehung dieser Begriffe sehr anschaulich.89 Haraways Cyborg stellt sozusagen eine Vorläuferin des Konzepts der „co-construction“ von Geschlecht und Technologie dar. Ihr Manifest wurde kontrovers diskutiert und die Metapher der (weiblichen) Cyborg zu einer weltweit zitierten Figur, die auch Einfluss auf die (alternative) Kultur der Computerspiele hatte.90 Eine weitere bekannte Annäherung zur Thematik Fluidität von Geschlecht und Technologie stammt von der Cyberfeministin Sadie Plant. Ausgehend von einer parallelen emanzipatorischen Entwicklung von Frau und Computer verbindet sie in ihrem Buch „Nullen + Einsen: Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien“ von 1998 die beiden Begriffe Informationstechnologie und Feminismus. Sie beschreibt Frauen als soziale Verkörperungen der Technologie. Aufgrund ihrer spezifischen geschichtlichen Entwicklung seien Frauen „kulturell und psychologisch besser vorbereitet“91 für die Bedingungen der neuen Technologien, da Frauen seit jeher durch ihre typischen Aufgaben zu Interaktion und Flexibilität angehalten worden wären, weswegen ihnen die neuen Technologien wie z. B. Computer entgegenkommen würden. Wird Technologie zur normierenden und bestimmenden Größe, sind Medien nicht mehr Werkzeug sondern Motor der Emanzipation, dann werden Frauen die idealen Akteurinnen des Cyberspace. Die herkömmlichen Hierarchien werden dadurch gestürzt, die Ausschließungslogik von Ja-Nein, Mensch-Maschine, Kultur-Natur wird in Frage gestellt und die Geschlechterverhältnisse dekonstruiert.92 Diese beiden cyberfeministischen Annäherungen zeigen erstens die Wichtigkeit auf, Geschlechtskonstruktionen durch eine kritische Analyse von Technologien transpa88 Die deutsche Übersetzung entstand erst Mitte der 90er Jahre. Vgl. Haraway 1995, 33-72; Deuber-Mankowsky 2007, 90 90 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 90 91 Plant 1998, 50; 92 Vgl. Plant 1998 89 34 rent zu machen – wie es diese Arbeit versucht, umzusetzen – und dadurch Geschlechtsstereotype zu dekonstruieren. Zweitens motivieren sie, neue Formen der Aneignung von Geschlecht zu entwickeln, die Diversität (diversity) anstatt Geschlechterdichotomien ermöglichen. Dies entspricht dem Ziel der feministischen Mädchenarbeit, Geschlechterrollen zu dekonstruieren und bestätigt die dazu bisher gewonnene Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen im feministischen Sinne. Diese beiden Ansätze zeigen außerdem, dass das Ziel des Cyberfeminismus auch die Aneignung von Technik miteinschließt – in Bezug auf ihre Entstehungsgeschichte und die Gründe für ihr Funktionieren genauso wie in Bezug auf den Erwerb der technischen Kompetenzen.93 „Das Ziel ist ‚spielen, um Spielraum zu gewinnen und Spielraum zu schaffen.“94 Das Medium Computerspiel bietet die idealen Voraussetzungen dafür. Eine weitere Auseinandersetzung zur Frage, wie Geschlechterverhältnisse anhand von Technologien – in diesem Kontext von Computerspielen – neu gestaltet werden können, findet im nächsten Kapitel in Abschnitt 11.3 aus differenzfeministischer Perspektive seitens der Girl Game Bewegung statt. 11 Mädchen und Computerspiele 11.1 Faszination Computerspiele Bevor spezifischer in die Thematik Mädchen und Computerspiele eingegangen werden kann, ist ein Grundverständnis für die Faszination und Nutzung wesentlich, um die Rezeption und Wirkung von Computerspielen gerade bei Jugendlichen verstehen zu können. Dieser Abschnitt skizziert daher, was Computerspiele ausmacht und warum sie Spaß machen. Nach der Definition von Kulturhistoriker Johan Huizinga ist Spiel an sich „nicht so gemeint“, beinhaltet Wettkampf und/oder Darstellung und läuft nach strengen Regeln ab.95 Computerspiele würden es niederschwellig und wiederholbar ermöglichen, unterschiedlichste Abläufe und Handlungen durchzuspielen bzw. auszuprobieren, so Herbert Rosenstingl, Leiter der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Com- 93 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 92 Deuber-Mankowsky 2007, 92 95 Vgl. Huizinga 2004, 22 94 35 puter- und Konsolenspielen (BuPP).96 „Indem Fiktion und Regeln mit den technischen Möglichkeiten des Mediums Computer zusammenwirken, werden Computerspiele zu weit mehr als interaktiven Erzählungen: Computerspiele sind Simulationen. Und da sie eben Spiele sind, bereiten sie Vergnügen.“97 Das Unterhaltungserleben ist jedoch sehr komplex und baut auf verschiedenen Aspekten auf. Köhler beschreibt, dass das Interesse an Computerspielen von den Rezipierenden mit ihren Inhalten verbunden sei. Dieser Zusammenhang wird als „strukturelle Koppelung“ bezeichnet. Bei der strukturellen Koppelung wird unterschieden zwischen der primären Motivation, die sich auf die Verbindung der virtuellen Spielwelt mit der individuellen Lebenswelt bezieht, und der sekundären Motivation, bei der der Erwerb von Kontrolle, Macht, Leistung, Kompetenz und Erfolg im Vordergrund steht. D.h. die Motivation Computerspiele zu spielen besteht primär darin, Anknüpfungspunkte zur je eigenen Lebenswelt wie Persönlichkeitsmerkmale, Lebenssituation, Hobbys, Interessen, Vorlieben, etc. im Spiel wieder zu finden. Die Spielfiguren und ihre erfolgreichen oder erfolglosen Handlungen werden mit der eigenen Person und den eigenen Lebenskontexten gekoppelt. Dabei kann es auch zum Auftauchen eigener Lebenssituationen im Spiel kommen, die hier gefahrlos erlebt und bewältigt werden können.98 Daneben hat sich eine sekundäre Spielmotivation abgezeichnet, die aus dem Gefühl, ein Spiel kontrollieren zu können, resultiert. Im Gegensatz zum Kontrollverlust der zu Frustration und zur Abwendung vom Spiel führt. 99 Die strukturelle Koppelung finde aber auch bei der Interaktion mit anderen Medien statt und sei daher nicht der einzige Grund für die faszinierende Wirkung von Computerspielen, so Köhler. Sie fasst die Gründe für die Nutzung von Computerspielen wie folgt zusammen: • Einsteigen in virtuelle Welten ermöglicht es, Probleme zu vergessen und führt zur Entspannung • Erfolg beim Spielen kann zu einer Stimmungsverbesserung führen • Fortschritte, das Spiel verstanden zu haben und es kontrollieren zu können, führen zur Befriedigung und zum Vergnügen 96 Vgl. Rosenstingl 2007, 92 Rosenstingl 2007, 92 98 Vgl. Köhler 2008, 67f 99 Vgl. Köhler 2008, 67-71 97 36 • Erprobung verschiedener Handlungsabläufe, auch jener, die im realen Leben unmöglich oder sanktioniert sind100 Auch wenn auf den ersten Blick das Spielen selbst eigentlich nur aus dem Bedienen einiger Tasten besteht, erklären die zusammengefassten Punkte die Komplexität um die Faszination von Computerspielen sehr anschaulich. Es gibt noch zahlreiche andere und detailliertere Erläuterungen zum Unterhaltungserleben und der Faszinationskraft von Computerspielen, deren Aufzählung den Rahmen dieser Thesis jedoch sprengen würde. Von welcher Perspektive Computerspiele aber auch immer analysiert werden, ist es für alle Formen der feministischen Auseinandersetzung bedeutsam, zumindest die Spielfaszination und -motivation anzuerkennen.101 Dies ist vor allem für die medienpädagogische Begleitung wichtig, um bereits spielende Mädchen zu verstehen und nicht spielende Mädchen motivieren zu können. Ein weiterer bedeutender Aspekt für die Mädchenarbeit lässt sich aus diesem Wirkungsmodell ableiten. Demnach besteht zwischen der Nutzung von Computerspielen und den Mädchenlebenswelten immer ein Zusammenhang. Für die Gestaltung von Computerspielen aus feministischer Sicht ist es daher wichtig, die Inhalte an ihre Lebenswelt anzupassen und ihnen möglichst viel Handlungsspielraum für verschiedene Verhaltensweisen zu bieten. In diesem Handlungsspielraum liegt das Potential von Computerspielen, dem Ziel, soziale Geschlechtsrollenbilder zu dekonstruieren, näher zu kommen. Denn Computerspiele können durch ihre faszinierende Wirkung, Mädchen dazu motivieren, andere Verhaltensweisen, die sie in der Realität nicht ausführen würden, auszuprobieren und sich damit auseinander zu setzen. Ein zusätzlicher Grund, die gewonnenen Prinzipien aus der Mädchenarbeit in die Gestaltung von Computerspielen miteinzubeziehen. 11.2 Zahlen und Studien über Geschlechtsunterschiede in der Computernutzung und beim Computerspielen Eine weitere hilfreiche Unterstützung, um ein besseres Verständnis von der Bedeutung der Computerspiele im Alltag von Mädchen und den unterschiedlichen Nut- 100 101 Vgl. Köhler 2008, 82 Vgl. Rosenstingl 2007, 95 37 zungsgewohnheiten von Mädchen und Jungen zu bekommen, liefert ein Blick auf aktuelle statistische Zahlen und Studien. Bereits im Kindergarten bewerten Mädchen und Jungen Computer als Spielzeug für Jungen („boys toy“), zeigt Cassell anhand von Statistiken aus den 80er und 90er Jahren auf. Auch in der Computernutzung von Kindern in diesem Alter kämen schon geschlechtsspezifische Unterschiede zum Vorschein, indem beispielsweise Jungen mehr Zeit als Mädchen am Computer verbringen würden. Mit zunehmendem Alter vertiefe sich dieser Unterschied, so Cassell.102 Aus heutiger Sicht trifft die seltenere Computernutzung von Mädchen nicht mehr zu. Ein Vergleich der deutschen JIM-Studien103 von 1998 und 2005 verdeutlicht, dass Mädchen bei der Nutzung stark aufgeholt haben: Mädchen 1998: 63%, 2005: 94%; Jungen 1998: 78%, 2005: 95%.104 Diese Angleichung der Geschlechter ist bemerkenswert in Anbetracht dessen, dass Mädchen weniger Zugang zu Computern hatten. So leben gemäß der Studie „Medien und Technologie“ des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) von 2009 zu Folge 74% der Mädchen in Österreich in einem Haushalt mit Computern – deutlich weniger im Vergleich zu 83% der Jungen. Auch beim Besitz dieser Geräte weisen Mädchen geringere Prozentsätze auf: 33% der Mädchen haben einen eigenen PC gegenüber 47% der Jungen. Mädchen hätten somit beschränkte Zugangsbedingungen und infolgedessen komplett andere Vorraussetzungen in der Technikaneignung, so die Schlussfolgerung der Studie.105 „Solange derart ungleiche Besitzverhältnisse und damit ungleiche Zugangsbedingungen bestehen, wird es zweifelsohne schwierig sein, das konstatierte „Gender-gap“ im Computer- und IT-Bereich auf breiter Ebene auszuräumen.“106 Die Auffassung von Mädchen und Jungen den Computer als „boys toy“ zu betrachten, besteht m. E. nach wie vor, ähnlich wie die in Abschnitt 10.4 dargestellte Meinung „Technik ist männlich“. Dies verdeutlichen die vorher genannten Zahlen über den Besitz, sowie eine genauere Betrachtung, welches Geschlecht sich wie lange am Computer aufhält und wer sein Interesse an Themen in Bezug auf den Computer nach außen kommuniziert. So zählen bei doppelt so vielen Jungen wie Mädchen Tä- 102 Vgl. Cassell, 2 Die JIM-Studie wird seit 1998 jährlich durchgeführt und befasst sich mit dem Umgang von 12- bis 19-Jährigen mit Medien und Information. 104 Vgl. MPFS 2005, 28 105 Vgl. BMWFJ 2009, 11 106 BMWFJ 2009, 12 103 38 tigkeiten am Computer zu den ersten drei Lieblingsbeschäftigungen und weitaus mehr Jungen befinden sich unter den intensiveren Nutzenden. Im Vergleich zu Mädchen erwähnen Jungen im Rahmen ihrer Interessen Computer öfter, wollen/können Jungen weniger auf ihn verzichten und die Nutzung des Computers sowie seiner Möglichkeiten sind bei Jungen stärker in den Alltag und im Umgang mit Gleichaltrigen eingebunden. Diese Tatsachen belegen eine stärkere Bindung von Jungen an den Computer.107 Dies bestätigt auch die österreichische Studie des BMWFJ, die in diesem Kontext auch auf einen weiteren Aspekt der Geschlechterunterschiede in der Mediennutzung von Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Lebenswelten eingeht: „Burschen und junge Männer nutzen den Computer darüber hinaus nach wie vor deutlich stärker als Mädchen und junge Frauen für jugendkulturelle Verwendungsbzw. Verwertungszwecke.“108 Zu diesen jugendkulturellen Verwendungszwecken des Computers zählen auch Computerspiele. Hierzu gibt die österreichische Studie „elf/18 – die Jugendstudie 2007“ Auskunft. Sie belegt deutlich, dass sich Computerspiele als fester Bestandteil der Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen in Österreich etabliert haben. Der Studie zufolge spielen knapp ein Drittel der befragten Mädchen und 10% der Jungen überhaupt nicht. Hingegen spielen zwei Drittel der Jungen sowie ein Drittel der Mädchen regelmäßig.109 „Computer- und Konsolenspiele sind eine klassisch männliche Domäne.“110 lautet auch das Fazit der Studie des BMWFJ. Die aktuelle JIM-Studie 2009 gibt einen detaillierten Einblick in Geschlechterdifferenzen. So haben Computerspiele im Alltag von Mädchen eine geringere Bedeutung. Es setzen sich wesentlich mehr Jungen als Mädchen zum Spielen im eigenen Zimmer (Jungen: 60%, Mädchen: 29%) oder bei Freundinnen und/oder Freunden (Jungen: 17%, Mädchen: 5%) an die Tastatur. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer mit Spielen – egal ob Computer-, Konsolen- oder Onlinespielen – wird von den Jugendlichen unter der Woche auf 79 Minuten pro Tag geschätzt, wobei Jungen mit 98 Minuten knapp eine dreiviertel Stunde länger spielen als Mädchen mit 53 Minuten.111 Diese Ungleichverteilung zwischen Mädchen und Jungen bestätigt die Intention dieser 107 Vgl. MPFS 2008, 9-11, 25-28 BMWFJ 2009, 12 109 Vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2007, 9 110 BMWFJ 2009, 14 111 Vgl. MPFS 2009, 40f 108 39 Untersuchung, Computerspiele bezüglich der Geschlechteraspekte Gegenstand einer vorurteilsbewussten medienpädagogischen Auseinandersetzung zu machen. Aufschlussreich sind auch die Ergebnisse bezüglich unterschiedlicher Spielpräferenzen. Jürgen Fritz vom Institut für Medienforschung und Medienpädagogik an der Fachhochschule Köln führt auf, dass bereits die ersten empirischen Untersuchungen Anfang der 90er Jahre die Existenz typischer Mädchen- und typischer Jungenspiele belegt haben. Mädchen gäben demnach eher lustigen Spielen, die von sozialen Beziehungen handeln, den Vorzug (darauf wird im nächsten Abschnitt 11.3 genauer eingegangen). Jungen favorisieren hingegen kampfbetonte Spiele wie Action- und Sportspiele sowie Strategiespiele. Nachfolgende Studien bestätigten diese ersten Ergebnisse bisher weitgehend,112 so auch die „elf/18 – die Jugendstudie“. Kaum überraschend, dass laut dieser Studie bei Mädchen Fun- oder Partyspiele, wie z. B. „Sing Star“ mit 52,5% an erster Stelle stehen, gefolgt von Simulationsspielen wie z. B. „Die Sims“ mit 38,6%. Bei den Jungen führen mit 62,1% Actionspiele wie z. B. „GTA“ die Liste der beliebtesten Computerspiele an, gefolgt von Rennspielen wie z. B. „Gran Turismo“.113 Die Ergebnisse der JIM-Studie 2008 und 2009 weisen das Computerspiel „Die Sims“, bei dem soziale Beziehungen und Interaktionen im Mittelpunkt stehen, ebenfalls als beliebtestes Computerspiel von Mädchen aus. Aber auch bei Jungen scheint es zu den Favoriten zu gehören. So zählt „Die Sims“ in den JIM-Studien seit 2004 kontinuierlich zu den beliebtesten Computerspielen, 2006 sogar als beliebtestes Spiel von Mädchen und Jungen. 2009 konstatiert die JIM-Studie: „Je nach Definition könnten viele Spiele mehreren Kategorien zugeordnet werden. Versucht man dennoch eine Systematisierung der zahlreichen Einzelnennungen, zeigt sich, dass Strategiespiele für 35% zum beliebtesten Genre zählen. Hierunter fallen Spiele wie ‚Die Sims, ‚Die Siedler oder ‚Herr der Ringe.“114 Durch die Beliebtheit bei Mädchen und Jungen scheint „Die Sims“ „geschlechtsneutraler“ im Vergleich zu anderen Computerspielen zu sein. „Möglicherweise hat sich mit diesem Spiel ein Spieltyp heraus gebildet, der die bislang als recht eng angesehenen Präferenzunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Spielern zum Teil aufhebt“115 , interpretiert Fritz das Ergebnis. Dieser 112 Vgl. Fritz 2008 Vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2007, 10 114 MPFS 2009, 42 115 Fritz 2008 113 40 interessante Aspekt bildet einen weiteren Grund, „Die Sims“ als Untersuchungsgegenstand zu wählen. Wie diese Zahlen und Studien verdeutlichen, hat sich die Computernutzung von Mädchen an die der Jungen weitgehend angepasst, doch herrschen gerade in Bezug auf Computerspiele noch deutliche Geschlechterdifferenzen vor. Die Computerspielindustrie hat versucht, dem durch verschiedenen Methoden und Strategien entgegen zu wirken, die im nächsten Abschnitt erläutert werden. 11.3 Girl Game Bewegung Die Girl Game Bewegung war einer der ersten Versuche, Mädchen und Frauen in die Spielwelt stärker einzubinden und lieferte wichtige Erkenntnisse in Bezug auf Mädchen und Computerspiele. Im Gegensatz zum im Abschnitt 10.4.2 bereits vorgestellten Cyberfeminismus affirmiert die Girl Game Bewegung die Geschlechterdualität. Im Folgenden werde ich daher ihre Geschichte und wichtige Vertreterinnen sowie ihre Forschungserkenntnisse behandeln. Außerdem stammen aus der Girl Game Bewegung die ersten mädchenspezifischen Computerspiele, von denen die bekanntesten kurz vorgestellt werden. Die Girl Game Bewegung entstand einerseits auf Grund der Befürchtung, dass Mädchen und Frauen ohne Computerkenntnisse keine Chancen auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt erhalten würden. Denn zu Beginn der 90er Jahre berechnete „The National Science Foundation“, dass 2010 ein Viertel aller amerikanischen Arbeitsplätze ein technisches Verständnis von Computern erfordern würde. Laut verschiedener Studien verbrachten Jungen zum Zeitpunkt dieser Studie mehr Zeit am Computer als Mädchen. Andererseits stellten Erziehende und Feministinnen zur gleichen Zeit fest, dass die aufkommende Computerspielindustrie sich an der Zielgruppe der männlichen Jugendlichen orientierte und auch die Spielindustrie selber männlich dominiert war. Computerspiele wurden als Möglichkeit erkannt, Mädchen an neue Technologien heranzuführen und diese Geschlechterungleichheit zu beseitigen.116 Basierend auf diesen Gegebenheiten forderte und entwickelte die Girl Game Bewegung Computerspiele für die Zielgruppe Mädchen. So wurden Mitte der 90er Jahre einige Firmen gegründet – hauptsächlich von Frauen und vor allem im amerikanischen Raum 116 Vgl. Galloway 2007 41 – mit dem Ziel, Computerspiele zu entwickeln, welche die Interessen der Mädchen ansprechen, um Mädchen als neue Zielgruppe zu erschließen.117 Um herauszufinden, was genau diese Interessen waren, betrieben viele dieser Firmen umfangreiche Marktforschungen, die sich auf Unterschiede zwischen dem Spielverhalten von Mädchen und Jungen konzentrierte. „The most visible part of the girl game movement included so-called pink games for girls with traditional values of femininity. Games in this genre were predicted on strongly gender-typed toy preferences, and spurred research on female and male difference in interests, activities, preferences, and uses of games and toys.“118 Die Firma Mattel brachte 1996 das Spiel auf den Markt, das das Design und die Architektur der „Pink Games“ maßgeblich prägte und die Computerspielindustrie erstmals dazu bewegte, Mädchen als Zielgruppe ernst zu nehmen: „Barbie Fashion Designer“. „Barbie Fashion Designer“ ist bis heute der unübertroffene Verkaufsschlager im Segment der „Pink Girl Games“. In den ersten beiden Monaten wurde es über 500.000 Mal verkauft. Dieses Spiel bedient sich stereotyper Interessen von Mädchen, indem es Spielenden ermöglicht, Kleidung für eine Barbiepuppe virtuell zu entwerfen, diese dann auf speziellem stoffartigen Papier auszudrucken, um dann als reale Kleidung für die Barbiepuppe zusammengenäht zu werden.119 Auch heute existiert der Markt für „highly feminine girl games“120 rund um Spiele wie z. B. „My Little Pony“. Eine zweite Richtung der Girl Game Bewegung, die ebenfalls auf die Interessen der Mädchen ausgerichtet war, bot eine Alternative zu den Pink Games. Yasmin B. Kafai et al. charakterisieren diese Spiele als „activities that built on girls real-life interests in sharing secrets and building friendships“121 und nennen sie „Purple Games“ in Anerkennung an die Firma „Purple Moon“.122 „Purple Moon“ wurde 1996 von einer der bekanntesten Vertreterinnen der Girl Games Bewegung, Brenda Laurel, gründet. In einem vierjährigen Projekt verknüpfte Laurel Forschung mit Marktforschung, indem sie die Vorlieben, Verhaltensweisen und Wünsche von Mädchen und Jungen im Umgang mit Computerspielen untersuchte. Laurels Annahme, dass Mädchen und Jun- 117 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 88-95; Cassell, 5f Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV 119 Vgl. Cassell, 6; Deuber-Mankowsky 2007, 96 120 Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV 121 Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV 122 Vgl. Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV 118 42 gen sich darin unterscheiden, wurde durch die Ergebnisse bestätigt: Mädchen hätten Interesse an Geschichten, sozialen Beziehungen und Integration anstatt am Gewinnen und würden konkrete Spielobjekte abstrakten bevorzugen.123 Basierend auf diesen Ergebnissen entwickelte Purple Moon die Spielserie „Rocketts World“, das Purple Moons Spielbeschreibung zufolge „guided by the complete and unique understanding of girls and girls play motivations“124 ist und sich um soziale Beziehungen im Schulalltag einer Jugendlichen dreht. Die spielende Person entscheidet, was Rockett macht. An ihrem ersten Schultag z. B. sieht Rockett ein anderes Mädchen, das genau die gleiche Kleidung trägt. Die spielende Person entscheidet: Freundet sich Rockett mit diesem Mädchen an, geht sie nach Hause und wechselt ihr Outfit oder schreitet sie an ihr vorbei in die Schule?125 Leider verkaufte sich dieses Spiel nicht sehr gut und nachdem Purple Moon nicht den notwendigen Gewinn erzielte, wurde es 1999 an die Firma Mattel verkauft.126 Unterstützung bekam die Girl Games Bewegung auch von in der Computerspielindustrie tätigen Frauen. Sie verbanden marktökonomische mit feministischen Zielen, indem sie durch das Aufwerfen der Thematik der geschlechterspezifischen Computernutzung eine neue Zielgruppe schufen und gleichzeitig ihre eigene Position sichtbar machen und stärken konnten. Eine bekannte Vertreterin dieser Gruppe ist die Computerspielentwicklerin und -designerin Sheri Graner Ray.127 Mitte der 90er Jahre arbeitete sie für die Firma HerInteractive, die ebenfalls Computerspiele ausschließlich für Mädchen kreierte, indem sie sich am geschlechtsstereotypen Spielverhalten orientierte. Sheri Graner Ray128 war an der Entwicklung der erfolgreichen Spielserie „McKenzie & Co“ von HerInteractive beteiligt. Bevor die erste Version des Spiels auf den Markt kam, führte auch HerInteractive eine intensive Marktanalyse durch und befragte potentielle Käuferinnen zwischen zehn und fünfzehn Jahren, was für sie die 123 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96 Cassell, 6 125 Vgl. Cassell, 7 126 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96 127 Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96 128 Später gründete Sheri Graner Ray ihre eigene Firma Sirenia Consultings und wurde außerdem Mitorganisatorin der jährlich stattfindenden „Womens Game Conference“, die aktuelle Entwicklungen auf dem weiblichen Spielemarkt und Strategien der Rekrutierung von Frauen für die Spielindustrie bzw. um die Stärkung derer, die bereits darin tätig sind, diskutiert. 2004 fasste sie die Ergebnisse ihrer Erfahrungen eines Geschlechter inkludierendes Spieledesigns im Buch „Gender Inclusive Game Design“ zusammen. Das Buch fand neben Anerkennung auch Kritik, da sie „populärwissenschaftliche soziobiologische und evolutionspsychologische Theorien zur Begründung des geschlechterdifferenten Spielverhaltens heranzieht.“ (Deuber-Mankowsky 2007, 99) 124 43 wichtigsten Komponenten in einem Computerspiel darstellen würden. Das Ergebnis dieser Analyse wurde 1995 veröffentlicht. Die erste Version von „McKenzie & Co“ handelt von einer amerikanischen Teenagerin, die anhand der Auswahl des richtigen Make-ups, Kleidung und Frisuren ihre männliche Begleitung für den Abschlussball finden soll.129 Wie diese drei Beispiele veranschaulichen sind „Girl Games” gewaltfrei, kooperativ und mit fröhlichen Farben gestaltet und handeln von sozialen Interaktionen und Beziehungen. Trotz oder gerade wegen der Forschung vertrat die Girl Games Bewegung in der Umsetzung ihrer Spiele umfassende Verallgemeinerungen über weibliche Bedürfnisse und verstärkte Geschlechterdichotomien. Forschungsergebnisse der unterschiedlichen Spielverhaltensweisen waren beispielsweise „women see technology as a tool” während „men see it as a weapon”, „women want to use it for communication” während „men want to use it for control”, „women talk about wanting to explore worlds” während „men talk about using it to exploit resources and possibilities”.130 Die Strategie der Girl Game Bewegung, den Direktiven der Forschung zu folgen, ging nicht auf. Viele Frauen fühlten sich durch die limitierte Darstellung von Weiblichkeit ausgeschlossen. Sie beanstandeten, dass dies genau so sexistisch sei wie männerorientierte Gewalt-Spiele. Die Verkaufszahlen brachen ein und nur wenige Jahre nach ihrer Gründung mussten die meisten auf Mädchenspiele spezialisierten Firmen ihre Produktion einstellen.131 Die Girl Game Bewegung und ihre Computerspiele wurden kontrovers diskutiert. Die Argumente für oder gegen Girl Games hat Kathryn Wright zusammengefasst. Wright zufolge bekennen sich ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu, dass diese Computerspiele auf geschlechtsstereotype Interessen von Mädchen abzielen und betonen, dass an traditionellen weiblichen Interessen grundsätzlich nichts falsch sei und diese schon zu lange schlecht gemacht worden seien. Sie sind der Ansicht, dass diese Computerspiele Mädchen motivieren würden, den Computer zu nutzen und dadurch ihre Computerkenntnisse gefördert, ihr Interesse an einer Karriere in der IKTBranche erhöht und die Rolle digitaler Medien in Mädchenlebenswelten erweitert 129 Vgl. Nezter 1996 Brunner/Bennett/Honey 1998, 72-88 131 Vgl. Galloway 2007 130 44 werden würden. Außerdem sei es nötig, ein normatives Konzept von Weiblichkeit zu vermarkten, um eine möglichst breite Masse weiblicher Spielerinnen zu erreichen. Erst, wenn sich der Markt von mädchenspezifischen Computerspielen etabliert habe, könne ein breiteres Spektrum des „Mädchen-Seins“ anvisiert werden. Kritikerinnen und Kritiker hingegen sind der Meinung, so Wright, dass durch die Fokussierung geschlechtsstereotyper weiblicher Interessen wie Einkaufen und die Beliebtheit in der Schule, die Girl Games schlussendlich wieder geschlechtsstereotype Rollenbilder und Spielverhalten reproduzieren und die Auffassung, dass Mädchen und Jungen sich grundsätzlich unterscheiden, verstärken würden. Eigene mädchenspezifische Computerspiele würden den Geschlechterunterschied vergrößern anstatt verkleinern. Daher sollte der bestehende Spielmarkt durch die Entwicklung geschlechtsneutraler Spiele erweitert werden, um weibliche und männliche Spielinteressen integrieren zu können. Es wäre effektiver, sich auf Gemeinsamkeiten anstatt auf Unterschiede weiblicher und männlicher Spielgewohnheiten zu konzentrieren. Zudem würden Girl Games jene Geschlechterstereotypen verstärken, die Mädchen davon abhalten, sich mit Thematiken rund um Technologie zu befassen und infolgedessen würden sich nicht mehr Mädchen für eine Ausbildung in diesem Bereich interessieren.132 Wie ich bereits in Kapitel 10 ausgeführt habe, besteht das Ziel dieser Thesis darin, Prinzipien herauszuarbeiten, wie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse anhand von Computerspielen dekonstruiert anstatt affirmiert werden können. Daher schließe ich mich der Meinung der Kritikerinnen und Kritiker an und befinde die von der Girl Game Bewegung aufgestellten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen, als nicht zielführend für diese Arbeit, da sie m. E. die Geschlechterdualität bestätigen. Wir leben in einer Kultur, in der das Männliche die (unsichtbare) Norm darstellt. Z. B. können Frauen Männerkleidung anziehen, aber nicht umgekehrt. Auch Computerspiele sind ein gutes Beispiel dafür. Lange Zeit blieb die Kategorie Geschlecht in der Computerspielgestaltung unberücksichtigt. Männer entwickelten Spiele basierend auf ihren Interessen, kulturellen und persönlichen Hintergründen, ohne zu bedenken, dass dieser Zugang alles andere als geschlechtsneutral war. Mädchen können mit diesen „boys toys“ spielen, aber wenn Jungen mit Girl Games spielen, werden sie stigmatisiert und wenden sich davon ab mit der Folge, dass „socially positive charac- 132 Vgl. Wright 1999, 2 45 teristics of non-violence and cooperation as belonging to “girls” rather than existing as human ideals“.133 So lange also die männliche Auswahl die Norm bildet, stellen mädchenspezifische Computerspiele etwas „Besonderes“ dar und weichen von dieser Norm ab. Dadurch tragen sie zur Aufrechterhaltung der männlichen Dominanz bei und affirmieren bestehende Geschlechterstereotype und -verhältnisse.134 Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die vermeintlich erforschten Vorlieben und Interessen von Mädchen, die in den Girl Games umgesetzt wurden, bereits von der Spielindustrie vorbestimmt werden und im „Doing Gender“ des Sozialisierungsprozesses immer wieder bestätigt wurden, bevor Forschende die Mädchen befragen konnten, was sie „wirklich“ interessiert. Diese (Markt)Forschungen würden Marsha Kinder zufolge als eine „self-fulfilling prophecy” funktionieren. „All you are testing is how effectively kids have absorbed these cultural binaries of gender.”135 Und noch einen zusätzlichen wichtigen Aspekt für die Gestaltung von Computerspielen lassen diese Spiele außer Acht: Girl Games zeichnen ein homogenes Mädchenbild. Wie die drei Beispiele demonstrieren, wurden Girl Games für „the universal girl“136 entwickelt und gestaltet. In den meisten Girl Games repräsentiert „the universal girl“ ein weißes, hetrosexuelles Mittelschichts-Mädchen aus dem westlichen Kulturkreis. Obwohl Purple Moon ihr Produkt als „complete and unique understanding of girls and girls play motivations”137 beschreiben, lassen sie andere soziale Differenzen und Kategorien in ihrem Spiel unberücksichtigt.138 Wie in Abschnitt 10.2.2 dargelegt, geht die feministische Mädchenarbeit aber nicht von einer homogenen Gruppe der Mädchen aus und betrachtet daher Geschlecht als Analysekategorie nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit anderen sozialen Differenzen oder Gemeinsamkeiten, um tatsächlich ein „complete understanding of girls“ zu erreichen. 11.4 Game Grrrls Kritik kommt sozusagen auch aus dem eigenen Lager. Im Sinne der Sichtbarmachung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten soll hier noch kurz eine andere 133 Galloway 2007 Vgl. Cassell, 8f 135 Kinder zit. in Galloway 2007 136 Galloway 2007 137 Cassell, 6 138 Vgl. Galloway 2007 134 46 Gruppe von weiblichen Spielenden vorgestellt werden. Obwohl, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben wurde, Computerspiele als Technologien in kapitalistischen und patriarchalen Strukturen eingebettet sind und diese widerspiegeln, gibt es Mädchen, die leidenschaftlich jene Computerspiele spielen, die sich traditionell an männliche Spielende richten. Diese Mädchen und jungen Frauen, bekannt unter dem Namen „Game Grrrls“, sehen Kampfspiele als Arena an, wo Frauen und Männer gegeneinander antreten können und physikalische Kräfte keine Rolle spielen.139 Sie zeigen die Vielfältigkeit von Mädchenlebenswelten auf und stellen zum einen einen Gegensatz zu den Game Girls dar, die sie als traditionell und altmodisch ansehen, und zum anderen auch zu dem stereotypen Bild des männlichen Computerspielers. Joe Bryce und Jason Rutter zufolge reklamieren Game Grrrls „that a significant amount of female gamers have similar game preferences, interests and aplitudes in regard to masculine game themes as male gamers. They also disagree with the production of computer games specifically target females.“140 Indem sie sogenannte „Männerspiele“ mit gewalttätigen Inhalten spielen, entsprechen „Game Grrrls“ nicht dem weiblichen „Doing Gender“ und durchbrechen somit geschlechtsstereotype Vorstellungen. Auch die Spielindustrie hat sie schon entdeckt und setzt sie als Role Modles ein. Ein Beispiel sind die „Fragdolls“ der Firma Ubisoft, die auf ihrer Website ihre Absichten wie folgt beschreiben: „Whilst our high-heels and lip-gloss might not be your expected image of a gamer, were part of the growing demographic of women who want to show that gaming is an all-inclusive form of entertainment. […] Because nobody was born with a joypad in their hands.”141 In der theoretischen Diskussion wurden die erforschten geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen der Girl Game Bewegung zur Gestaltung von Computerspielen aus Sicht der feministischen Mädchenarbeit als nicht förderlich betrachtet. Wie sieht dies nun aber bei der Zielgruppe – den Mädchen – aus? Können sie sich darin wieder finden oder nicht? Überprüft wurde dies in Abschnitt 13.2 anhand des Computerspiels „Die Sims 2“. Zunächst wird aber erklärt, was unter Geschlechtsstereotypen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele in dieser Arbeit verstanden wird. 139 Vgl. Cassell, 10 Bryce/Rutter 2002, 247 141 Vgl. Fragdolls 140 47 11.5 Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele Wie aus der Darlegung der Girl Game Bewegung ersichtlich wird, kam es durch die verschiedenen Untersuchungen, die sich auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern konzentrierten, zu einer Vielzahl an geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele. Im Folgenden werden anhand einer Definition, was geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen sind und einer Zusammenfassung dieser detailliertere Einblicke gegeben. Diese Kenntnisse scheinen erforderlich, um ein Grundverständnis zur weiteren Analyse in Bezug auf das Computerspiel „Die Sims“ zu erlangen. 11.5.1 Definition von geschlechterstereotypen Rollenzuschreibungen Eckes definiert Geschlechterstereotype wie folgt: „Geschlechterstereotype sind kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten.“142 Geschlechterstereotype sind dieser Definition zufolge also ein System von kulturellen Definitionen, die festlegen, welche spezifischen Wesens- und Verhaltenseigenschaften als männlich oder weiblich gelten. Medien wie Computerspiele erfinden zwar keine Geschlechterstereotype, aber ihr Potenzial zur Reproduktion und Vervielfältigung dieser ist groß. Eine sachliche Untersuchung, wie es diese Arbeit sein will, bildet die Vorraussetzung für eine Sensibilisierung dafür. Sie fördert einen verantwortungsbewussten Umgang mit medienspezifischen Inhalten. Im Zuge meiner Recherche habe ich eine Fülle solcher geschlechterstereotypen Annahmen und Überzeugungen, die im westlichen Kulturkreis in Bezug auf Mädchen und Computerspiele herrschen, gefunden. Dabei stellte ich immer wieder fest, dass, während einige Quellen von Geschlechterstereotypen sprechen, andere diese als Studienergebnisse darstellen. Diese auf den ersten Blick gegensätzlichen Positionen lassen sich aber im Begriff geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen vereinen. Denn Fakt ist, dass diese Studien über geschlechtsspezifische Verhaltensweisen bei Computerspielen von und mit Mädchen gemacht wurden und deren Ergebnisse Mädchen zugeschrieben werden. Somit stellen sie geschlechtsstereotype Verhal142 Eckes 2010, 178 48 tensweisen dar. Eine Zusammenfassung der am häufigsten vorkommenden Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele wird im nächsten Abschnitt ausgeführt. 11.5.2 Die häufigsten Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele Die Darstellung der Girl Game Bewegung hat gezeigt, dass das Thema Mädchen und Computerspiele in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem beliebten Untersuchungsgegenstand der wissenschaftlichen Forschung geworden ist. So liegen heute zahlreiche Studien zu geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen in Bezug auf Computerspiele vor. Denise Agosto hat diese Ergebnisse in zwei Listen von Rahmenempfehlungen, wie Computerspiele hinsichtlich Inhalt und Design gestaltet sein sollten, um Mädchen anzusprechen, zusammengefasst: Was den Inhalt von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele, … • die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden. • in denen eine fortlaufende Handlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können. • die Wettkampf nicht als Hauptinhalt haben. • die reale Schauplätze verwenden. • mit starken, weiblichen Charakteren, welche Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen. • die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Macht, Entscheidungen selbst zu treffen. • in denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. • die einen gewissen pädagogischen Wert haben, im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert. • die actionreich, aber gewaltfrei sind. • die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln. Was die Gestaltung von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele… • mit qualitativ hochwertiger Grafik und multimedialen Komponenten. 49 • die es ermöglichen, mit anderen zusammen zu spielen, entweder online oder gemeinsam an einem Computer. • die eine Online-Kommunikation mit anderen Spielenden auch während des Spiels ermöglichen.143 Gemäß diesen Rahmenempfehlungen gestaltete Computerspiele würden laut Agosto das Interesse von Mädchen an Computerspielen wesentlich erhöhen, was zu einer Angleichung der Geschlechterunterschiede im Umgang mit Computerspielen führen würde.144 Nun wurden aber diese Untersuchungsergebnisse und ihr Zustandekommen kontrovers diskutiert, wie anhand der Girl Game Bewegung in Abschnitt 11.3 ersichtlich wurde. Um eine Antwort auf meine Forschungsfragen zu finden, ob geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zutreffen und wie ein Computerspiel gestaltet sein sollte, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können, ohne geschlechts-stereotype Rollenzuschreibungen zu (re-)produzieren, stehen diese daher im Mittelpunkt meiner qualitativen Methoden. Zum besseren Verständnis der Auswertung und Interpretation dieser Methoden wird zunächst das Computerspiel „Die Sims 2“ beschrieben. 12 Das Computerspiel „Die Sims 2“ 12.1 Begründung der Auswahl und des „Anwendungswertes“ als Einzelfall Meine Forschungsfragen werde ich anhand des Computersimulationsspiels „Die Sims 2“ untersuchen.145 Dieses Spiel habe ich aus drei Gründen ausgewählt: • Sein hoher Bekanntheitsgrad und seine weite Verbreitung bei der Zielgruppe dieser Analyse, den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone. Eine informelle Umfrage im Mädchenzentrum Amazone zu Beginn dieser Untersuchung er- 143 Vgl. Agosto 2003 (Übersetzung der Autorin) Vgl. Agosto 2003 145 Die Überlegungen dieser Arbeit zum Computerspiel „Die Sims 2“ gelten auch für seine Versionen für alle Arten von Konsolen. Zwar bestehen Unterschiede z. B. bei den verschiedenen Auswahlmöglichkeiten bei der Erstellung der Figuren, aber die Spielhandlung, um die sich diese Untersuchung hauptsächlich dreht, ist letztendlich die gleiche. 144 50 gab, dass 90% der Mädchen das Spiel kannten und 85% es zumindest schon einmal gespielt hatten. • Seine große Beliebtheit sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen wie diverse Studien belegen.146 Dieses geschlechtsneutrale Verhältnis stellt einen wesentlicher Grund für die Auswahl dieses Spiels dar, denn es scheint wie kaum ein anderes das Interesse beider Geschlechter anzusprechen. Auch die Zahlen deuten darauf hin, dass es zu keiner Stigmatisierung weiblicher oder männlicher Spielenden kommt. Dies reduziert die Festschreibung geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen. • Das Spielgenre „Simulation“ und der Spielinhalt bzw. die Spielaufgabe trugen ebenfalls zur Auswahl von „Die Sims 2“ bei. Simulationsspiele bieten Spielenden die Möglichkeit, in einer realitätsnahen Umgebung Verhaltensweisen auszutesten. Aufgabe dieses Spiels ist es, das Leben virtueller Spielfiguren, den „Sims“, zu gestalten und zu beeinflussen, wobei soziale Interaktionen im Zentrum stehen. Daraus ergeben sich Parallelen zur feministischen Mädchenarbeit, die den Mädchen Experimentierräume, ihre Vielfältigkeit des „MädchenSeins“ zu erproben, zur Verfügung stellt. Da es sich hier um eine Einzelfallstudie bezüglich eines bestimmten Computerspiels eines spezifischen Spielgenres handelt, bestehen aus wissenschaftlicher Perspektive gewisse Schwierigkeiten, Rückschlüsse auf Computerspiele im Allgemeinen zu ziehen. Aber in dieser Untersuchung steht der „Anwendungswert“ im Vordergrund, aus dem ich die Legitimität meiner Forschungsausrichtung an nur einem Spiel beziehe. Wahl, Honig und Gravenhorst begründen dies wie folgt: „Für diese Forschung ist es nicht nur wichtig, über die Wirklichkeit objektiv, als Gegenstand an sich zu informieren, sondern auch über einen Gegenstand aufzuklären, mit einer Information etwas zu bewirken.“147 Ich bin überzeugt, dass die „Aufklärung“ über das Computerspiel „Die Sims 2“ und die zusätzlichen theoretischen und empirischen Informationen diesbezüglich bei den Leserinnen und Lesern etwas bewirken und den angestrebten „Anwendungswert“ dieser Untersuchung anhand des Computerspiels „Die Sims 2“ erreichen. 146 z. B. in der KIM- und JIM-Studie seit 2004 und in der „elf/18 Jugendstudie – 2007“, wie in Abschnitt 11.2 dargelegt 147 Wahl/Honig/ Gravenhorst 1982, 207 51 12.2 Spielbeschreibung Das Computerspiel „Die Sims 2“ wurde von der Firma Maxis entwickelt und von der Firma EA Games im September 2004 als Nachfolgeprodukt von „Die Sims“ veröffentlicht. Bei diesem Spiel handelt es sich um eine Simulation des „ganz normalen“ Alltagslebens in einer realitätsnahen 3D-Welt. In „Die Sims“ konstruieren Mädchen also eine neue Wirklichkeit. Geleitet von eigenen Erlebnissen, von aktuellen Stimmungen und von der Neugier auf Neues rekonstruieren sie somit Teile ihrer persönlichen Realität. Diese Verwobenheit zwischen Realem und Virtuellem und der Spielmittel bietet für die feministische Mädchenarbeit optimale Möglichkeiten für eine Untersuchung, da diese Verwobenheit zum Spannungsverhältnis wird und Kategorien herausgefiltert werden können. Die Spielbeschreibung wird in der weiblichen Form ausgeführt, da sich diese Untersuchung auf weibliche Spielerinnen konzentriert. Die Beschreibung orientiert sich an den verschiedenen Spielmodi und dient dazu einen Einblick in den Spielablauf zu geben ohne Anspruch auf Vollständigkeit. „Bau-Modus“: Zu Beginn des Spiels wählt die Spielerin aus drei verschiedenen Orten, wo das Sims-Leben stattfinden soll. In den Orten stehen leere sowie bereits bebaute Grundstücke zur Verfügung. Die Spielerin kann sich nun dafür entscheiden, selbst ein Haus zu bauen oder in ein vorhandenes, unbewohntes Haus einzuziehen. Entscheidet sie sich für Ersteres, wird in den „Bau-Modus“ gewechselt. Hier kann die Spielerin ihrer Kreativität freien Lauf lassen und durch die Auswahl von verschiedenen Wänden, Türen, Fenstern, Treppen, Bodenbelägen, Gärten und Dächern ihre architektonischen Ideen in 3D umsetzen, solange es das Startkapital zulässt. Das Startkapital beträgt stets 20.000 Sim-Dollar (Simoleons), dessen Grenzen spätestens im „Kauf-Modus“ leicht erreicht werden. „Kauf-Modus“: Hat die Spielerin den Hausbau abgeschlossen, wechselt sie in den „Kauf-Modus“. Hier wählt sie die Innenausstattung des Hauses aus. Es können alle Gegenstände von Möbeln bis Unterhaltungsutensilien, die für die Befriedigung der Bedürfnisse der Sims nötig sind, gekauft werden. Nach dem Hausbau hat die Spielerin die Wahl entweder mit bereits „vorgefertigten“ Sims zu spielen, dann kann das Spiel direkt beginnen, oder eigene Charaktere zu erstellen. 52 „Familienerstellungs-Modus“: Entscheidet sich die Spielerin dafür, ihre SimsFiguren selbst zu kreieren, wechselt das Spiel in den „Familienerstellungs-Modus“. Hier bestimmt sie für jede Figur zunächst das Geschlecht, Alter und die Körpergröße (dick oder dünn), wie in Abbildung 1 ersichtlich. Danach steht ihr eine große Auswahl an Gesichtscharakteren, Frisuren und Kleidung zur Verfügung. Das Gesicht (Augen, Augenbrauen, Nase, Mund, Kiefer, Kinn) kann die Spielende sehr detailliert modulieren und so den Charakter beispielsweise nach realen Vorbildern gestalten. Das Gesicht kann mit Make-up, Brillen, verschiedenen Gesichtsbehaarungen, etc. noch weiter bearbeitet werden. Auch Frisuren und Haarfarben können aus einer großen Palette gewählt werden. Bei der Kleidung besteht eine Auswahl für verschiedene Anlässe, wie z. B. Alltags-, Abend-, Sportkleidung etc. Für Frauen und Männer sowie deren unterschiedlichen Altersgruppen stehen jeweils andere Sortimente von Kleidungen und Frisuren zur Verfügung. Im nächsten Schritt wird das Lebensziel aus sechs vorgegebenen Laufbahnen ausgewählt. Für die Altersgruppen Kleinkinder und Kinder wird automatisch „Aufwachsen“ eingestellt. Bei dem Lebensziel „Romantik“ steht die Liebe, bei „Familie“ das Familienleben, bei „Wissen“ das Lernen, bei „Ruhm“ das Geld und bei „Karriere“ der Beruf im Mittelpunkt der jeweiligen Sims-Figur. Die Auswahl des Lebensziels hat großen Einfluss auf die weitere Entwicklung und die Wünsche und Ängste der erstellten Sims-Figur. Dann wird anhand zehn verschiedener Charaktereigenschaften, die in Gegensatzpaaren aufgelistet sind, wie z. B. schlampig/ordentlich, schüchtern/ kontaktfreudig, faul, aktiv, etc. die Persönlichkeit festgelegt. Diese Eigenschaften beeinflussen maßgeblich, was die Sims-Figur gerne und weniger gerne macht und wie sie sich gegenüber anderen benimmt. Die Spielerin kann bis zu acht Sims-Figuren erstellen. Zum Schluss wird festgelegt, wie die erstellten Sims-Figuren zueinander stehen, ob sie verheiratet, Geschwister oder einfach nur Mitbewohnerinnen und Mitbewohner sind. 53 Abbildung 1: Familienerstellungs-Modus Abbildung 2: Live-Modus 54 „Live-Modus“: Im „Live-Modus“, wie Abbildung 2 zeigt, findet der eigentliche Spielverlauf statt. Wählt die Spielerin eine Sims-Figur aus und klickt auf eine Person oder einen Gegenstand, eröffnet sich das Handlungsmenü mit möglichen Tätigkeiten wie z. B. „Geht sich duschen“, „Flirtet mit Nachbarin“ oder „Liest ein Buch“. Durch diese Tätigkeiten können Wünsche befriedigt werden, die zur Erfüllung des festgelegten Lebensziels beitragen. Wünsche sind positive Erfahrungen, nach denen sich die Sims sehnen, drehen sich um Aktivitäten, Interaktionen oder materielle Dinge und wirken sich positiv auf ihre Laufbahn und Stimmung aus. Im Gegensatz dazu gibt es die Ängste, bei deren Eintreten Laufbahn und Stimmung negativ beeinflusst werden. Eine weitere Aufgabe der Spielerin besteht in der Befriedigung der Bedürfnisse der Sims, womit körperliche und geistige Ansprüche gemeint sind. Hierzu zählen Hunger, Energie, Harndrang, Hygiene, Komfort, Spaß, soziales Leben, Raum und Beziehungen. Das Bedürfnis Hunger kann beispielsweise durch die Zuführung von Nahrung befriedigt werden. Für Energie wird durch ausreichenden Schlaf gesorgt. Beim Harndrang sollte die Sims-Figur auf die Toilette geschickt werden, sonst könnte ein Missgeschick passieren, das sich negativ auf die Hygiene und soziale Kontakte auswirkt. Dies gilt auch bei einer vernachlässigten Hygiene, die durch eine Dusche oder Händewaschen befriedigt werden kann. Dem Bedürfnis nach Komfort wird durch ein entsprechendes gemütliches Mobiliar nachgekommen. Das Bedürfnis Spaß findet seine Erfüllung durch Zeitvertreib mit verschiedenen Gegenständen und/oder Tätigkeiten. Wichtig ist auch der Aufbau von sozialen Kontakten. Sie führen zu Beziehungen und anderen Bekanntschaften, was sich auf Familie und Karriere auswirken kann. Ein Beziehungsaufbau ist sehr zeitintensiv. Wird zu schnell vorgegangen, kann die aufkommende Romanze zerstört werden. Verstehen sich zwei Sims-Figuren nicht, kann es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen. Ob sich eine Beziehung weiterentwickelt hat, ist an den veränderten Interaktionsmöglichkeiten zu erkennen. Wenn sich zwei Sims sehr nahe stehen, dann eröffnet sich im Handlungsmenü die Möglichkeit, einen neuen Sims in die Welt zu setzen. Es sind aber auch homosexuelle Beziehungen möglich. Wie in der realen Welt so spielt Geld auch in „Die Sims“ eine wichtige Rolle. Geld ist erforderlich, um Rechnungen für beispielsweise Lebensmittel oder Mobiliar bezahlen zu können. Kommt man in Verzug, beschlagnahmt der Gerichtsvollzieher Gegenstände, bis der Betrag bezahlt wurde. Die primäre Möglichkeit Geld zu beziehen, ist einem Job nachzugehen, der über die Zeitung oder den Computer zu finden ist. Für eine berufliche Karriere wiederum sind Pünktlichkeit, gute 55 Laune und Beziehungen förderlich. Schlechte Laune, unhygienisches Auftreten oder Unpünktlichkeit können schnell zu einer Kündigung führen. Die Sims unterhalten sich und kommentieren Begebenheiten in der Fantasie-Sprache „Simlish“. Das Gesagte ist zwar unverständlich, erschließt sich aber anhand des jeweiligen Tonfalls. Eingeblendete Sprechblasen geben außerdem Anhaltspunkte zum Gesprächsthema. Natürlich altern die Sims-Figuren auch, wobei sie von der Geburt bis zum Tod sechs Altersstufen durchleben: Baby, Kleinkind, Kind, Teenager, Erwachsener und Alter Knacker. Wenn eine Sims-Figur nicht durch einen Unfall, Trauer, Krankheit, Vernachlässigung ums Leben kommt, stirbt sie letztendlich an Altersschwäche. Die Erfüllung der Lebensziele kann sich auf die Lebensdauer verlängernd oder verkürzend auswirken. „Story-Modus“: Im „Story-Modus“ können Ereignisse und Momente der SimsFiguren anhand von Kamerafotos oder Videoaufnahmen festgehalten werden, die auf dem Computer gespeichert werden. Zwischen den verschiedenen Modi kann während des Spiels gewechselt werden, um sich beispielsweise mit dem verdienten Geld neue Gegenstände zu kaufen. Sobald man in einen anderen Modus wechselt, wird das Spiel angehalten und die Zeit gestoppt. Nur in den „Familienerstellungs-Modus“ kann nicht mehr gewechselt werden. Zur Spielversion „Die Sims 2“ gibt es zudem zahlreiche Erweiterungspacks, die die Spielinhalte, Einrichtungsgegenstände und die Möglichkeiten der Spielerin vergrößern, wie z. B. „Wilde Camus Jahre“, „Haustiere“ oder „Open for Business“. Die Beschreibung zeigt die offene Spielstruktur und dass kein klar definiertes Spielziel existiert. Das Spiel hat keinen Endpunkt und könnte quasi endlos gespielt werden. Zwar steht im Mittelpunkt des Spielverlaufs eindeutig das Wohlergehen der erstellten Sims-Figuren, aber ob dies auch tatsächlich umgesetzt wird, liegt ganz in der Spielabsicht der Spielenden. Durch diese Entscheidungsfreiheit bzw. Offenheit des Spiels können alternative Spielziele gesetzt werden, wie z. B. das Bauen eines Traumschlosses, die Kreation eines „bösen“ Sims oder das Nachspielen eines Familienlebens einer Fernsehserie. 56 Der Erfolg von „Die Sims“ ist unter anderem auch den zahlreichen spielbezogenen Internetforen zu verdanken. Hier tauschen sich die zahlreichen Sims-Fans über „Cheats“148 , Aktivitäten und eigenen Kreationen von Einrichtungsgegenständen, Kleidung und Häusern aus. Da die Zielgruppe überwiegend weiblich ist, besitzt das Spiel durch diese interaktiven Austauschplattformen ein emanzipatorisches Potential im cyberfeministischen Sinne, denn es motiviert Mädchen sich 3D-Technologien anzueignen und selbst kreativ tätig zu werden. 12.3 Zielgruppe Zur Angabe der Zielgruppen wurden unterschiedliche Ausführungen gefunden. In einem Interview erklärt Nancy Smith, Präsidentin des Sims Labels von EA Games, dass „Die Sims“ ursprünglich nicht für Frauen entwickelt wurde. Männliche Spieler brachten das Spiel mit nach Hause, wo es Frauen in ihrer Umgebung zu spielen begannen.149 Im Gegensatz dazu konstatiert Martin Lorber, Pressesprecher bei EA Games, dass als ursprüngliche Zielgruppe von „Die Sims“ Mädchen zwischen 12 und 15 anvisiert wurden.150 Aus heutiger Sicht kann jedenfalls gesagt werden, dass der Anteil der weiblichen Spielenden im Vergleich zu anderen Computerspielen sehr hoch ist und ein relativ neutrales Geschlechterverhältnis diesbezüglich besteht, wie Zahlen der JIM- und KIM-Studien (siehe hierzu Abschnitt 11.2) sowie die Angabe von Smith, das Spiel habe einen Frauenanteil von 55%,151 beweisen. 13 Empirische Forschungsarbeit 13.1 Methoden und Vorgehensweise Im Sinne der Partizipation der feministischen Mädchenarbeit ist es mir wichtig, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen: die Mädchen des Mädchenzentrums Amazone. Mittels der gewählten Methoden – die 148 „Cheats“ (englisch für Betrug, Schwindel) ermöglichen es den Spielenden, den Spielverlauf zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Beispielsweise verschafft der in dieser Untersuchung am häufigsten erwähnte „Cheat“ Geld. 149 Vgl. Freynan 2008 150 Vgl. Kellersohn 2004 151 Vgl. Freynan 2008 57 teilnehmende Beobachtung und das fokussierte Interview – werden sie als Expertinnen ihrer Lebenswelt wahrgenommen und findet die Verknüpfung von Theorie und Praxis statt. 13.1.1 Auswahl der teilnehmenden Mädchen Zentrale Auswahlkriterien für die Auswahl der Mädchen waren das Alter und die Spielerfahrung. Die Mädchen sollten zwischen 10 und 14 Jahre alt sein. Die untere Altersgrenze ergab sich durch die allgemeine Altersbeschränkung des Mädchenzentrums Amazone auf Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren. Die obere Altersgrenze wählte ich auf Grund der Erfahrungen der Fachfrauen des Mädchenzentrums Amazone, dass Mädchen dieses Alters im Vergleich zu älteren Mädchen des Mädchenzentrums Amazone noch weitgehend frei von eigenen Geschlechtszuschreibungen und dementsprechend „offener“ bezüglich ihrer Geschlechtsidentität sind. Ich beziehe mich diesbezüglich auch auf Peter Zimmermann, der Mädchen bis 15 Jahren in die Vorpubertätsphase einordnet. Ab 15 Jahren befänden sie sich in der Phase der Pubertät,152 in der, wie er formuliert „ein großer seelischer Umbau [beginnt], der sich oftmals in unvorhersehbaren und unkontrollierten Verhaltensweisen ausdrückt.“ 153 Das zweite Kriterium stellte die Spielerfahrung der Mädchen dar. Da mein Erkenntnisinteresse nicht in der Aneignung des Spiels sondern im Spielen des Spiels lag, mussten sie das Spiel also bereits beherrschen. Daher legte ich Wert auf eine längere Spielerfahrung, deren Dauer sich bei den ausgewählten Mädchen zwischen zwei und drei Jahren belief. Obwohl sie sich dabei in ihrer wöchentlichen Spielzeit unterschieden (zumindest spielte jede von ihnen ein paar Stunden pro Woche), wies aber jede der Befragten eine gewisse Regelmäßigkeit bei der Spielnutzung auf. Da nicht alle Mädchen an der teilnehmenden Beobachtung bzw. am Interview mitmachten, wird für eine bessere Übersicht im Folgenden eine Liste der jeweiligen Teilnehmerinnen der beiden Methoden aufgezählt: Teilnehmende Beobachtung: Moni, Sarah, Lisa und Nici Fokussiertes Interview: Moni, Sarah, Silvia, Nici Die Namen der Mädchen wurden geändert, um eine Anonymisierung zu gewährleisten. 152 153 Vgl. Zimmermann 2006, 156 Zimmermann 2006, 156 58 13.1.2 Teilnehmende Beobachtung Ziel der teilnehmenden Beobachtung ist es, Einsichten über das Handeln, das Verhalten oder die Folgen des Verhaltens von einzelnen Personen oder einer Gruppe von Personen zu erlangen. Durch die persönliche Teilnahme der Forschenden werden Aspekte des Handelns oder Verhaltens ersichtlich, die durch andere Methoden in dieser Situation unzugänglich bleiben würden.154 In Rahmen dieser Untersuchung wurde diese Methode vor allem deshalb gewählt, um erste Eindrücke im Forschungsfeld zu gewinnen und gezielte Fragestellungen für die Interviews zu finden. Außerdem wurde eruiert, wie die Mädchen auf das Medium Computerspiel als Methode der feministischen Mädchenarbeit im Mädchenzentrum Amazone reagierten. Das Spiel „Die Sims 2“ wurde von vier Mädchen während des Offenen Betriebs im Computerraum des Mädchenzentrums Amazone gespielt. Die Termine für die „Spielsitzungen“ wurden im Vorhinein mit den Mädchen vereinbart und fanden im März und April 2010 statt. Zwei der Mädchen hielten sich an die Vereinbarung. Sara kam zu spät, weswegen ich einem anderen Mädchen, Lisa, den Vortritt gab. Als Sara dann kam, spielte sie mit den Figuren von Lisa weiter. Da sie die Figuren und den Spielverlauf von Lisa übernahm, fand sie nicht wirklich ins Spiel. Daher wurde diese Beobachtung bald abgebrochen. Um den Mädchen soviel Spielfreiheit wie möglich zu gewähren, verwendete ich die unstrukturierte Beobachtung,155 als deren grobes Hauptkriterium ich das Durchspielen der Spielmodi „Bau“, „Kauf“, „Familienerstellung“ und „Live“ festlegte. Da ich den Mädchen erklärte, dass diese Beobachtung im Rahmen meiner Masterthesis stattfindet, handelte es sich um eine offene Beobachtung.156 Deshalb bat ich sie vorab, mir während des Spielens zu erklären, wie und warum sie ihre Spielhandlungen und -entscheidungen treffen. Denn, um das Risiko einer Auswirkung oder Wertung auf die Spielhandlungen zu vermindern, entschied ich mich für eine passive Teilnahme.157 Ich fragte nur nur bei Verständnisschwierigkeiten nach. Ansonsten lag es bei den Mädchen, ob ich ihre Beweggründe, warum sie so spielten, erfahren würde. Auch die Spielzeit wurde von ihnen bestimmt. Während der Beobachtung dokumentierte ich das Geschehen auf einem Schreibblock, wobei auch hierbei die Spielmodi als Struk- 154 Vgl. Lamnek Vgl. Lamnek 156 Vgl. Lamnek 157 Vgl. Lamenk 155 2005, 547-552 2005, 559f 2005, 560f 2005, 562 59 turschema herangezogen wurden. Durch das direkte Aufzeichnen wurde das Vergessen wichtiger Details verhindert. Der Inhalt dieser Protokolle bestand aus einer Verbindung von Spielhandlungen und ihren Erzählungen/Kommentaren dazu sowie den Ereignissen mit anderen Mädchen. Die handschriftlichen Aufzeichnungen transkribierte ich am darauf folgenden Tag und fügte meine Rückschlüsse und Gedanken für den weiteren Forschungsverlauf hinzu. Ihre Auswertung findet im Zusammenhang mit den Interviews statt. Abbildung 3: Teilnehmende Beobachtung 13.1.3 Fokussiertes Interview Da die teilnehmende Beobachtung, laut Lamnek, in ihrer Anwendung immer mit anderen Methoden verschränkt ist, wurde als zweite Methode das fokussierte Interview gewählt. Ausgangspunkt dieser Art des Interviews ist die Fokussierung auf einen im Vorfeld bestimmten Gesprächsgegenstand, der in dieser Untersuchung das Computerspiel „Die Sims 2“ darstellte, mit dem Ziel die subjektiven Erfahrungen mit diesem Gegenstand, in diesem Fall die Rezeption des Spiels, anhand offener Fragen zu erfassen.158 Lamnek definiert die Intention dieser Befragung wie folgt: „Dabei dienen die Befunde des fokussierten Interviews vor allem dazu, die auf Basis der Beobach158 Vgl. Hopf 2008, 353 60 tung entwickelten und formulierten Hypothesen über vermeintlich relevante Elemente der Situation unter dem Aspekt der Gültigkeit neu zu betrachten. Die formulierten Hypothesen sollen in Konfrontation mit der sozialen Realität getestet werden.“159 In dieser Untersuchung bilden die beiden von Agosto in Abschnitt 11.5.2 zusammengefassten Listen der geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen von Mädchen und Computerspielen die „formulierten Hypothesen“ bzw. leitenden Kategorien. Sie wurden anhand der Erfahrungen der befragten Mädchen mit dem Computerspiel „Die Sims 2“ „an der Realität“ geprüft. Um die Offenheit der Untersuchung zu gewährleisten, wurde nicht nur nach diesen Kategorien analysiert, sondern auch nach möglichen zusätzlichen Kategorien geforscht. Dadurch kam es auch zur Bildung einer neuen Kategorie. Für die Durchführung der Interviews erstellte ich einen Leitfaden, der auf den einzelnen Punkten von Agostos Liste basierte, deren Reihenfolge aber zugunsten eines zusammenhängenderen Ablaufs etwas abgeändert wurde. Die neue Reihenfolge wurde in der Auswertung beibehalten. Als Einstieg – um „das Eis zu brechen“ – formulierte ich allgemeine Fragen, die sich um den persönlichen Kontext der jeweiligen Spielerin und das Spiel drehten. Die weiteren Fragestellungen zu Agostos Kategorien ergaben sich hauptsächlich aus den zuvor gemachten Beobachtungen. Ich möchte hier festhalten, dass ich mir der Kritik der „sozial erwünschten Antworten“, wie sie in Abschnitt 11.3 anhand der Girl Game Bewegung angeführt wurde, sehr wohl bewusst war und versuchte dem durch entsprechende Fragestellungen und „genauerem Nachfragen“ entgegen zu wirken. Die Terminvereinbarung für das Interview geschah im Zuge der Beobachtung. Bis auf Lisa erklärten sich alle beobachteten Mädchen bereit, sich von mir zum Spiel befragen zu lassen. Als ihre „Stellvertreterin“ fragte ich Silvia, die mir während der Beobachtung von Lisa als „Sims-Expertin“ aufgefallen war. Die vier Interviews fanden in einem abgetrennten Raum des Mädchenzentrums Amazone während des Offenen Betriebs in den Monaten Mai und Juni 2010 statt und wurden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Die Transkription erfolgte in Schriftdeutsch, nach Standardorthographie, wobei nonverbale Äußerungen (bis auf „lacht“) nicht dokumentiert wurden. Auch Wiederholun- 159 Lamnek 2005, 369 61 gen, Füllworte und Abschweifungen wurden weggelassen, um die Beantwortungen zugunsten aussagekräftiger Antworten zu reduzieren. Nach der Transkription wurden die Antworten miteinander verglichen, beurteilt und interpretiert. Einzelne Aussagen konnten teilweise oder gänzlich auch zu anderen Kategorien eingeordnet werden. Hier wurde deutlich, dass im Computerspiel „Die Sims 2“ eine enge Verknüpfung zwischen Agostos aufgestellten Kategorien bestand und sie sich zum Teil überschnitten. Da zur zweiten Liste von Agostos Zusammenfassung bezüglich der Gestaltung von Computerspielen nur wenige aussagekräftige Antworten vorhanden waren, wurde diese Liste zu einer Kategorie – die Gestaltung von Computerspielen – zusammengefasst. 13.1.4 Expertinneninterview Um in diese Arbeit auch die Sichtweise einer Fachfrau der feministischen Mädchenarbeit in die Thematik Mädchen und Computerspiele einbinden zu können, wurde ein Expertinneninterview geführt. Denn „Expert[inn]eninterviews werden in Untersuchungen eingesetzt, in denen soziale Sachverhalte rekonstruiert werden sollen. (...) Um soziale Sachverhalte rekonstruieren zu können, befragt man Menschen, die aufgrund ihrer Beteiligung Expert[inn]enwissen über diese Sachverhalte erworben haben.“160 In der Recherche zu dieser Arbeit stieß ich auf den Artikel „Knobeln, Bauen, Ballern – Computerspiele in der Mädchenarbeit“ von Susanne Kirk. Da dies der einzige Fachartikel aus der Mädchenarbeit (siehe hierzu Abschnitt 10.2.5), der zu dieser Thematik ermittelt werden konnte, darstellte, und die Verfasserin zudem Leiterin eines Mädchencafés im deutschsprachigen Raum war, schien sie mir die perfekte „Beteiligung an den zu rekonstruierenden Sachverhalten“ zu haben und über wertvolles Expertinnenwissen für diese Untersuchung zu verfügen. Per E-Mail nahm ich mit Kirk Kontakt auf, erklärte ihr die Hintergründe meiner Arbeit und erkundigte mich, ob ich sie hierzu interviewen dürfe. Kirk erklärte sich gerne dazu bereit. Aufgrund der großen Distanz – Kirk arbeitet in Osnabrück – war ein persönliches Gespräch leider nicht möglich. Auf ihren Wunsch mailte ich ihr daher meine ausgearbeiteten Interviewfragen, die sie mir innerhalb von drei Wochen digital beantwortete. Die Auswertung des Expertinneninterviews wurde in die Beantwortung der Forschungsfragen miteingebunden. 160 Gläser/Laudel 2004, 11 62 13.2 Auswertung der Interviews und Beobachtung Im folgenden Abschnitt wird die Auswertung der Interviews der Mädchen zur Überprüfung von Agostos Kategorien in Abschnitt 11.5.2 bezüglich des Inhalts und der Gestaltung von Computerspielen anhand des Computerspiels „Die Sims 2“ dargestellt. 13.2.1 Mädchen bevorzugen Spiele, in denen eine fortlaufende Spielhandlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können. Die fortlaufende Spielhandlung ist in „Die Sims 2“ der eigentliche Spielmittelpunkt, denn in diesem Computerspiel handelt es sich nicht um ein vorgegebenes Spielgeschehen. Hier werden (fast) keine Handlungsanforderungen, wie es bei den meisten Computerspielen der Fall ist, an die Spielerin gestellt. So war die Feststellung, dass trotz des offenen Spielcharakters die Spielmotivation weitgehend von der Regelstruktur ausging, überraschend. Die jeweilige Spielgeschichte kann, muss aber nicht von den Entscheidungen und Handlungen der Spielerin bestimmt werden. Genau dies weckte das Interesse am Spielen der befragten Mädchen. So war die fortlaufende Spielhandlung allen Mädchen wichtig und stellte einen großen Spielanreiz dar. Diese Schlussfolgerung ergab sich vor allem aus der teilnehmenden Beobachtung. Hier wurde deutlich, dass alle Spielaktivitäten der Mädchen besonders zu Beginn des Spiels bei der Charakter- und Familienerstellung sowie im Hausbau- und Einrichtungsmodus auf das Fortlaufen der Spielhandlung ausgelegt waren. Vor allem die Erstellung der Charaktere und die Auswahl der Gegenstände, mit denen sie das Haus einrichteten, wurden sorgfältig gewählt. Moni meinte beispielsweise bei der Erstellung der „Oma“, dass es eigentlich nur Nachteile hätte, ältere Menschen zu erstellen, da es vom Spiel her vorgegeben ist, dass diese nicht arbeiten und so weniger Geld für die Sims-Familie zur Verfügung stehe. Lisa startete sogar das Spiel nochmals von vorne, da sie mit ihren erstellten Sims-Charakteren nicht so spielen konnte, wie sie gerne wollte. Aber auch, dass alle (bis auf Lisa, deren Spiel Sara übernahm) ihren Spielstand selbstverständlich beim Beenden der Spielsitzung speicherten, zeugte davon, dass sie sich die Möglichkeit offen lassen wollten, das Spiel fortsetzen zu können. 63 In den Interviews offenbarte sich die Wichtigkeit der fortlaufenden Spielhandlung für die Mädchen vor allem dann, wenn sie Ereignisse aus ihrem realen Leben nachspielten bzw. unterschiedliche Charaktere und Rollen ausprobierten. Ihr Interesse und ihre Neugierde galt dabei dem weiteren Spielgeschehen, das sich hauptsächlich aus der Entwicklung der Charaktere ergab. „Ich integriere (...) auch das, was ich erleben möchte oder schon erlebt habe. Auch Freundschaften. Wenn du das nachspielst, was du erlebt hast, kannst du schauen, wie war es, was hast du falsch gemacht? Und im Spiel weißt du, du kannst es auch anders machen und so spielen, wie du willst.“ (Silvia, Z 64-69) „Jugendliche müssen in die Schule gehen und Erwachsene nicht. Darum spiele ich manchmal eine Mama. Und weil ich dann schwanger sein kann. Du kannst dann das Baby in die Hand nehmen und füttern und so.“ (Nici, Z 79-81) „... jemanden nachmachen oder selber ausdenken. Um zu sehen, wie das dann aussieht, ob es mir gefällt, wie es mit den Spielfiguren ist. So kann ich Neues ausprobieren.“ (Silvia, Z 84-86) Daneben bot das Spiel auch Experimentierräume für Geschlecht und Hautfarbe. In diesem Kontext war eine fortlaufende Handlung genauso wichtig wie die Charakterweiterentwicklung. Die Mädchen wollten miterleben, ob und welche Auswirkungen ihre Entscheidungen für den weiteren Spielverlauf hatten, wie folgende Aussagen verdeutlichen: „Ja, ich probiere auch mal jemand anders zu sein, ich spiele ja verschiedene Leute. Mutter, Vater, Kinder, das bin ja dann alles ich. Ich habe gerne auch dunklere Haut. (...) Aber die Hautfarbe hatte keine Auswirkungen auf das Spiel. Nicht so, wie im echten Leben.“ (Sara, Z 97-101) „Ich habe auch schon ausprobiert, ein Mann zu sein. Es war komisch, weil man als Mädchen nicht weiß, was ein Mann unbedingt will. Da hatte ich Schwierigkeiten beim Spielen. Ich probiere auch ab und zu andere Hautfarben aus.“ (Silvia, Z 89-91) Die Interviews und Beobachtungen verdeutlichten die enge Verknüpfung der fortlaufenden Spielhandlung mit der Charakterentwicklung in „Die Sims 2“. So stellte auch die letztere einen wichtigen Bestandteil des Spiels für die Mädchen dar. Beim Thema Charakterentwicklung bildeten die Lebensziele sowie die familiären Beziehungen wichtige Inhalte. Wie in der Spielbeschreibung in Abschnitt 12.2 dargelegt, hat das Lebensziel großen Einfluss auf die weitere Entwicklung einer Sims-Figur. Am häufigsten entschieden sich die Mädchen bei den Beobachtungen für „Familie“ als Lebensziel. Moni begründete im Zuge des Spielverlaufs ihre Entscheidung, vorwiegend „Familie“ zu wählen damit, dass es ihr wichtig wäre, einen Partner zu haben. Es stehe aber nicht so sehr 64 der Kinderwunsch im Vordergrund, sondern die dadurch entstehenden gemeinsamen Interessen. Pragmatischere Gründe hatten hingegen Lisa und Nici. Beide wollten nur mit Teenager-Figuren spielen. Da diese aber in „Die Sims 2“ nicht ohne einen Erwachsenen „leben“ können, passten sie sich an die Spielvorgaben an und gestalteten jeweils noch eine „Sims-Mama“ mit dem Lebensziel „Familie“ dazu, obwohl das Lebensziel vom Spiel nicht vorgegeben wird. Auch bei den Interviews gaben alle vier Mädchen an, meist dieses Ziel zu wählen, dicht gefolgt vom Ziel „Karriere“, welches drei von ihnen nannten. „Familie“ als Lebensziel wurde vor allem den Mutter- und Vater-Figuren zugesprochen. Im Unterschied zu den Beobachtungen spielte hier bei der Wahl des Lebensziels das Geschlecht eine Rolle, obwohl für weibliche und männliche Sims-Figuren diesbezüglich keine Vorgaben bestanden und die Spielerinnen frei bestimmen konnten. „Meistens wähle ich bei beiden, also Frauen und Männer, ‚Familie. Das ist wichtig, damit das Zusammenleben passt. Oft auch bei der Frau ‚Karriere. Ich spiele nicht nur so, dass der Mann arbeiten geht und sie zuhause bleiben muss. Ich wechsle das ab.“ (Moni, Z 5456) Zwei Mädchen wählten die Lebensziele nach traditionellen Rollenbildern. „Bei den Frauen bestimme ich, dass sie Familienmenschen sind und sich gut um die Kinder kümmern und bei den Männern eher ‚Karriere, damit sie auch Geld verdienen. Bei Teenagern sollen Mädchen erfolgreich in der Schule sein, Familienmensch sein, die Jungs auch eher erfolgreich, aber eher beruflich.“ (Silvia, Z 42-45) „Ich wähle ‚Karriere und ‚Familie. Männer bekommen ‚Karriere als Ziel und die Frauen ‚Familie. Die sollen auf die Kinder aufpassen. Außer, wenn ich mit einer alleinerziehenden Mutter spiele. Die muss ja dann arbeiten gehen, dann bekommt sie auch ‚Karriere als Lebensziel. Das finde ich eigentlich das wichtigste Ziel. Aber ich finde es nicht gut, dass man nur eines aussuchen kann. Weil Arbeiten ist nicht alles.“ (Sara, Z 58-63) Ich vermute, eine nähere Untersuchung über die Rollenverteilungen in der eigenen Familie der Mädchen würde einen Zusammenhang zwischen diesen und ihrer Auswahl der Lebensziele und ihre damit einhergehende Aufgabenverteilung – vor allem für die erwachsenen Sims-Figuren – bestätigen. Die zweite zentrale Eigenschaft, die die Charakterweiterentwicklung mitprägte, bildeten die familiären Beziehungen der Sims-Figuren. In den Interviews war die klassische Vater-Mutter-Kind(er)-Familie Hauptvorlage für die Familienerstellung. „Beim Familienverhältnis schaue ich zuerst, dass Vater und Mutter beide Familienmenschen sind, dass der Vater nicht nur arbeitet und nach Hause schlafen kommt. Und dass beide gleiche Interessen haben. Wenn sie Kinder haben, dann soll das Mädchen eher ausschauen wie die Mutter und der Junge wie der Vater. (...) Ab und zu spiele ich auch 65 mit anderen. Z. B. dass die Frau alleine in ein Haus zieht, einen Mann kennen lernt, heiratet, eine Familie gründet...“ (Silvia, Z 31-39) „Ich achte auf das Zusammenleben [beim Erstellen der familiären Beziehungen]. Mir ist wichtig, dass sie oft zusammen essen, zusammen etwas unternehmen und gut miteinander auskommen. Im richtigen Leben willst du ja auch gut mit deiner Familie auskommen. Meistens spiele ich mit Mama, Papa und den Kindern.“ (Moni, Z 48-51) Oft diente dabei die eigene Familie als Vorlage. Diese Aussagen unterstützten meine vorher genannte Vermutung, dass die Auswahl der Lebensziele und die Rollenverteilungen im Spiel die persönlichen familiären Strukturen widerspiegelten. „Und wenn ich Familien erstelle, dann ca. so wie meine Familie. Außer meine Mutter, ich mache sie ein bisschen hübscher.“ (Nici, Z 29-30) Eine Anknüpfung beim Computerspiel an die eigenen Wunschvorstellungen und Erfahrungen wurde bei Sara deutlich. So setzte sie ihre Vorstellung von einer Familie, die offenbar in der Realität nicht (mehr) vorhanden war, in der virtuellen Welt um: „Das Familienverhältnis spiele ich nach meiner Familie. (..) obwohl ich mit meinem Vater jetzt keinen Kontakt mehr habe. Aber im Spiel erstelle ich immer einen Vater. Es ist mir wichtig, dass es zwei Erwachsene gibt, die sich unterstützen können.“ (Sara, Z 47-52) Neben der klassischen Familie erwähnten nur zwei Mädchen ab und zu auch mit einer alleinerziehenden Mutter zu spielen. „Manchmal spiele ich aber nur mit einer Mutter und einer Tochter. Die Tochter darf dann aber nicht zu jung sein. Sie muss in die Schule gehen können, damit die Mutter arbeiten gehen kann.“ (Sara, Z 53-55) Dieses Ergebnis war erstaunlich, da zuvor bei den Beobachtungen alle Mädchen die Familienform der alleinerziehenden Mutter wählten (ausgeschlossen Sara, da sie die Figuren von Lisa übernahm). Eine vertiefendere Untersuchung über die Ursachen dieser Diskrepanz wäre neben der vorher erwähnten möglichen Untersuchung bezüglich des Zusammenhangs zwischen reellen und virtuellen Familienstrukturen und Aufgabenverteilungen ebenfalls interessant: Inwieweit ist die Wahl der familiären Beziehungen auf wirtschaftliche/finanzielle Gründe und inwieweit auf die tatsächlichen Wünsche der Mädchen zurückzuführen? Wie bedeutend ist das „Doing Gender“ des Sozialisierungsprozesses für die Entscheidung der Familienform? In diesem Kontext vermute ich außerdem, dass sich die Kritik an der Girl Game Bewegung von Abschnitt 11.3 bewahrheitet, nämlich dass die Antworten der Mädchen sozial erwünscht waren, also von der Gesellschaft und den Medien bereits vorgeformt wurden. 66 13.2.2 Mädchen bevorzugen Spiele, die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Macht, Entscheidungen selbst zu treffen. Neben der fortlaufenden Spielhandlung und der Charakterweiterentwicklung erwies sich auch die Selbstidentifizierung als wesentliche Spielmotivation für die Mädchen. Die Frage, ob sie sich selbst bzw. ihr eigenes Leben ins Leben ihrer Sims-Figuren integrieren würden, bejahten alle vier in den Interviews. In der Art und Weise der Integration gab es jedoch wesentliche Unterschiede. Bei beiden Untersuchungsmethoden übertrugen drei Mädchen anhand der erstellten Sims-Figuren ihre eigene Identität ins Spiel. Bei den Beobachtungen fand der Selbstidentifizierungsprozess von Lisa und Nici neben den äußerlichen Kennzeichen zusätzlich durch Übertragung des eigenen Namens sowie der eigenen Charaktereigenschaften – durch die Auswahl des eigenen Sternzeichens – auf die Figur statt. Die Identifizierung zeigte sich außerdem in der Beschäftigung mit den Sims-Figuren. Da in „Die Sims 2“ mehrere Figuren gespielt werden können, existiert eigentlich keine Hauptfigur. Bei den Beobachtungen zeigte sich allerdings, dass sich die Mädchen mit der Sims-Figur, die ihnen nahe kommt bzw. gleicht, am meisten spielten. Auch in den Interviews war die Selbstidentifikation immer wieder Thema. Nici und Silvia belegten dies ebenfalls anhand der Übertragung eigener Merkmale und Charaktereigenschaften: „Du kannst dein eigenes Leben spielen, dich selber machen, kannst verrückt sein, ein Haus bauen, vieles erleben.“ (Nici, Z 19-20) „Beim Erstellen ist mir wichtig, dass sie wie ich ausschauen, zumindest mir ähnlich sind, einen Charakter haben wie ich.“ (Nici, Z 28-29) „Ich integriere mich nicht immer, aber ab und zu. Durch das Aussehen, Charakter usw.“ (Silvia, Z 64-65) Andererseits grenzten sich Sara und Moni von der Selbstidentifikation mit einer SimsFigur ab. „Mir ist es nicht so wichtig, dass die Figur ausschaut wie ich. Öfter erstelle ich Freunde. Aber meistens erstelle ich sie nach Lust und Laune.“ (Sara, Z 35-36) „Ich achte auch nicht darauf, dass sie mir oder anderen ähnlich schauen, sondern gestalte sie so, wie es mir gefällt.“ (Moni, Z 39-40) In den Beobachtungen und Interviews waren jedoch allen Mädchen zwei Dinge gemein: Erstens integrierten sie Personen aus ihrem realen Leben mit Hilfe von äußer- 67 lichen Merkmalen und Charaktereigenschaften einer Sims-Figur ins Spiel. Zweitens identifizierten sie sich auch mittels Ereignissen und Handlungen mit dem Spielgeschehen, wie aus den folgenden Antworten hervorging. Diese beiden Identifikationsprozesse beschreiben exakt die primäre Motivation der strukturellen Koppelung, wie sie in Abschnitt 11.1 bereits theoretisch erörtert wurde. „(...) ich mach z. B. im normalen Leben meine Hausaufgaben immer gleich nach der Schule, das lasse ich meine Sims im Spiel auch so machen. Aber ich mache im Spiel nicht alles so, wie ich es in Wirklichkeit mache, z. B. mit meiner Schwester streite ich mich nicht so oft wie im Spiel. Aber mein Vater geht beispielsweise genauso wie mein Sims-Vater arbeiten.“ (Moni, Z 74-78) „Als ich mal Geburtstag hatte, war ich mit Freundinnen in der Stadt. Das war echt toll. Das habe ich nachgespielt. Es ging aber nicht so gut.“ (Nici, Z 74-75) „Ja, ich spiele zum Beispiel Streit mit Geschwistern nach. Jugendliche Dinge wie nach draußen gehen und von zu Hause abhauen, Blödsinn anstellen. Oder etwas von den Geschwistern kaputt machen. Das spiele ich dann nach. Aber ich mach auch ganz normale Sachen des realen Lebens im Spiel, wie essen und spazieren gehen.“ (Sara, Z 83-86) Die enge Verknüpfung der Kategorien Charakterentwicklung und Selbstidentifikation wurde auch im Ausleben der eigenen Wunschvorstellungen im Computerspiel deutlich. Durch die Handlungs- und Gestaltungsmacht erfüllten sich die Mädchen ihre realen Wünsche in der virtuellen Welt und stellten dadurch einen weiteren Bezug zum Spiel her. „Ich spiele eher Sachen aus dem echten Leben nach, die ich nicht erreichen kann. Z. B. eine Einserschülerin sein. Das schaff ich nur im Spiel. Oder, dass ich hübscher bin. Manchmal mach ich mich auch dünner. Manchmal wähle ich auch eine dunklere Haut, ich bin so hell.“ (Nici, Z 70-73) „Ja, ich spiele grundsätzlich etwas anderes. Ich mache solche Sims, wie ich gerne ausschauen würde, nicht so, wie ich ausschaue. Ich probiere aus, wie ich gerne sein würde, z. B. dass ich mir ganz viel leisten kann.“ (Moni, Z 93-95) Die Transferprozesse von der realen in die virtuelle Welt fanden auch umgekehrt statt. Was die Mädchen im Spiel erlebten, integrierten sie in ihr wirkliches Leben. „Was ich spiele, merke ich mir. Wenns nicht so läuft, wie ich will, dann versuche ich es zu ändern. Dann merke ich mir, was ich falsch gemacht habe. Im echten Leben und im Spiel.“ (Silvia, Z 72-74) Wurden die Mädchen allerdings direkt auf die Möglichkeit angesprochen, Entscheidungen selbst zu treffen, waren ihre Meinungen sehr kontrovers. Während die einen es genossen sich als Handlungsermächtigte zu erleben, wünschten sich die anderen mehr Selbständigkeit seitens der Sims-Figuren. „Ja, ich habe alles in der Hand. Ich entscheide, ob sie in die Schule gehen, ob sie Freude am Leben haben, ob sie einen Partner oder eine Partnerin haben, ob sie heiraten, sie 68 sterben zu lassen. (lacht) Alles entscheide ich selber. Das ist auch der Nervenkitzel, der mich zum Computer lockt. Du erlebst jeden Tag etwas Neues. Manchmal wirst du befördert und hast Erfolg. Manchmal stirbt jemand aus der Verwandtschaft und dann geht es mit der Laune wieder bergab. Das ist ganz unterschiedlich und zeigt dir, wie vielfältig das Leben ist. Und ich entscheide mittendrin.“ (Moni, Z 100-107) „Ja, weil man das im echten Leben nicht kann. Das Spannende ist, du kannst dein eigenes Leben machen, Schule schwänzen, mit Cheats reicher werden. Es gefällt mir auch, weil man im Spiel auch über die anderen bestimmen kann und nicht nur über sich selber. Es ist ein bisschen wie Macht. Manchmal machen sie auch, was sie wollen. Aber wenn die Bedürfnisse gestillt werden müssen, greife ich wieder ein.“ (Nici, Z 85-89) „Du kannst ihnen einfach Befehle geben z. B., wenn sie etwas tun, was dir nicht gefällt, und sie machen es auch. Aber mir gefällt auch, dass sie selber Dinge machen. Dann muss ich nicht dauernd schauen, dass ich welche aufs WC schicke oder zum Essen, das machen sie selber auch.“ (Silvia, Z 94-98) „Das finde ich bei den Sims nicht so toll, dass man die ganze Zeit bestimmen muss, was die machen sollen. Wenn der eine Hunger hat, ich aber den anderen gerade auf die Toilette schicken muss, dann ist es stressig und ich vergesse womöglich noch auf den Dritten. Dass ich den Charakter bestimmen kann, gefällt mir schon. Aber essen gehen oder so zu bestimmen ist lästig.“ (Sara, Z 109-114) Wichtig ist mir hier zu betonen, dass die Kritik in den Interviews den Sims-Figuren Befehle erteilen zu müssen, sich auf alltägliche Tätigkeiten wie Essen oder auf die Toilette gehen bezog, welche das „Überleben“ der Charaktere gewährleisteten. Es handelte sich somit um Aktivitäten, die sie immer wieder bestimmen mussten und bei denen keine unvorhergesehenen oder außergewöhnlichen Reaktionen erwartet werden konnten im Unterschied zu den Reaktionsmöglichkeiten, die auf eine gesteuerte Interaktion zwischen zwei Sims-Figuren folgen konnten. Bei den Beobachtungen fiel auf, dass keines der Mädchen Schwierigkeiten damit hatte, Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil, sobald sie im Spiel-Modus waren, gaben sie ihre Befehle wie selbstverständlich an die Sims-Figuren weiter. Die Spielerinnen waren immer wieder neugierig, welche Befehle in verschiedenen Kontexten (z. B. Befehle in Bezug auf zwei Sims-Figuren oder in Bezug auf eine Sims-Figur und einen Gebrauchsgegenstand) grundsätzlich möglich waren bzw. ob sich die Befehlsoptionen während des Spielverlaufs verändert hatten. Das Spiel ermöglichte den Spielerinnen positive Machterfahrungen zu machen. Sie besaßen die Kontrolle über das Spielgeschehen und bekamen die Konsequenzen ihrer Handlungen unmittelbar mit. Durch die Selbstidentifikation und die Macht, Entscheidungen zu treffen, wurde das Probehandeln im Spiel realer. Für die Mädchen gewann das Spiel nicht zuletzt deswegen an Bedeutung, da es ein Stück weit zum Sinnbild ihres eigenen Lebens wurde. 69 13.2.3 Mädchen bevorzugen Spiele mit starken, weiblichen Charakteren, die Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen. Im vorherigen Abschnitt 13.2.3 wurde bereits deutlich, dass die Entscheidungs- und Handlungsgewalt eine wesentliche Spielmotivation für die Mädchen darstellte. Die Interviews und die Beobachtungen zeigten weiters, dass sie vorwiegend mit weiblichen Charakteren spielten bzw. sich der Identifikationsprozess auf weibliche Charaktere bezog. Folglich bestätigten die Mädchen auch diese Kategorie Agostos. Unklar blieb bisher jedoch, ob sie die weiblichen Sims-Figuren als „stark“ wahrnahmen. Daher, und auch um dem Forschungsansatzes der Sozialisations- und Kultivierungstheorie der feministischen Medientheorie in Abschnitt 10.3.1 gerecht zu werden, konzentriert sich dieser Abschnitt auf die Ansichten der Mädchen über die Darstellung der weiblichen Sims-Figuren. Denn im Unterschied zu anderen Computerspielen können die Spielerinnen in „Die Sims 2“ die Charaktere selbst gestalten und mit Eigenschaften ausstatten. Aus diesem Grund und indem die Spielerinnen Handlungsmacht über sie besitzen, scheint es also wesentlich von ihnen abzuhängen, ob ihnen die weiblichen Sims-Figuren gefallen und ob sie diese als „stark“ empfinden. In den Interviews waren die Mädchen jedoch anderer Meinung und kritisierten die Darstellung der weiblichen Sims-Figuren teilweise sehr drastisch. Sie fühlten sich in ihrer Gestaltungsfreiheit eingeschränkt und begriffen, dass es schlussendlich doch das Spiel war, welches die Darstellung bestimmt. Grund dafür war, dass sie nur einige Teile der Figuren detailliert einstellen konnten, andere nur grob und auf manche hatten sie gar keinen Einfluss. Dort hingegen, wo ihnen das Spiel keine Grenzen bei der Gestaltung setzte, äußerten sie sich positiv über das Spiel. Zudem ging aus allen Aussagen der Mädchen hervor, dass trotz der scheinbaren Vielfalt der Einstellungsmöglichkeiten das Spiel nur die Darstellung eines gewissen Frauenbildes zulässt. Die Mädchen äußerten somit eine Kritik, die in den theoretischen Erörterungen dieser Thesis schon mehrmals dargelegt wurde, nämlich in Abschnitt 10.3 über die feministische Medientheorie, vgl. Abschnitt 10.2.2.2 über die Intersektionalitätstheorie und Abschnitt 11.3 in der Kritik an der Girl Game Bewegung: eine einseitige, homogene und stereotype Frauendarstellung. „Die Darstellung gefällt mir gut. Man hat nicht zu große Brüste, aber auch nicht zu kleine, man ist nicht zu dünn oder zu fett. Bei den Frisuren ist es blöd, es gibt total wenige. Cool wäre, wenn man eigene Haare machen könnte. Die Darstellung der älteren Frauen finde ich besser als die der Jugendlichen. Die Frisuren passen besser.“ (Nici, Z 96-100) 70 „Mir gefällt es, dass man die Augen aussuchen, sie schminken kann, es verschiedene Kleider und Schuhe gibt. Was mir nicht gefällt, ist, dass man die Figur nicht wirklich einstellen kann. Es ist nur eine bestimmte Art von Frau, die dargestellt wird. Figur, Größe, Frisuren, Kleidung entspricht irgendwie nur einem Typ Frau.“ (Silvia, Z 106-109) „Mir gefällt nicht, dass Frauen immer ganz schlank dargestellt werden und dass ältere Frauen immer ein breites Becken haben. Wir können nichts dafür, dass wir ein breites Becken haben, das ist natürlich. Männer werden nicht so übertrieben dargestellt. Bei den Männern gibt es die Auswahl „muskulös“ und sie können nicht wirklich dick werden. Das stört mich. (...) Es stört mich auch, dass, wenn ich den Zufallsgenerator eine Figur erstellen lasse, alle Frauen immer geschminkt sind und Kleider tragen. Es gibt auch sehr wenig Auswahl an Hosen, viel mehr Kleider. Die weibliche Darstellung ist brutal [Anmerkung der Autorin: „brutal“ ist hier im Sinne von „krass“ zu verstehen] im Sims. (...) Es stimmt einfach nicht. Es gibt ganz verschiedene Frauen und Frauentypen. Ich kann nicht wirklich ganz was anderes machen. Ich kann auch nicht von den Männern Hosen nehmen. Du bist eine Frau, das heißt Kleid, Stöckelschuhe und Make-up.“ (Moni, Z 112-125) „Eine Frau sollte aber nicht so ausschauen wie im Sims-Spiel. Es gibt die Körpereinstellung dünn oder dick und dann ist alles so. Aber in Wirklichkeit haben Frauen manchmal längere Beine oder ein kleineres Becken. Im Spiel sind die Becken immer so groß. Bei den Kleinkindern ist alles einheitlich. Die Oma hat so ein breites Becken. Das ist im realen Leben nicht so. Ich hätte da gerne mehr Auswahl.“ (Sara, Z 119-124) Die Ergebnisse der Interviews korrelieren mit den Beobachtungen. Besonders freuten sich die Mädchen über die detaillierte Modellier- und Schminkmöglichkeit des Gesichtes. Bei den Frisuren und Kleidungen hingegen waren sie von den eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten enttäuscht. Den Interviews und Beobachtungen konnte außerdem entnommen werden, dass es Unterschiede bei den Darstellungen von männlichen und weiblichen Sims-Figuren gab. Diese zeigten sich beispielsweise in unterschiedlichen Garderoben in allen Altersklassen, unterschiedlichen Körperattribute wie Frisuren und unterschiedlichen Spieloptionen wie z.B. dass schwangere Sims-Frauen im Haus bleiben müssen. Demzufolge sind die Spielvorgaben nicht geschlechtsneutral, sondern bestimmen Aussehen, Eigenschaften sowie Handlungsoptionen von weiblichen und männlichen Sims-Figuren mit. Das Regelwerk des Spiels definiert also teilweise, was als männlich und als weiblich gilt. Schränkten diese Vorgaben die Mädchen in ihrer Spielweise ein, erkannten und beanstandeten dies die Mädchen. Die unterschiedlichen Spielvorgaben für männliche und weibliche Sims-Figuren führten zu der Frage, ob die Frauen in „Die Sims 2“ gleichberechtigt sind. Überraschenderweise bejahten drei der Mädchen dies, nur eines war anderer Meinung. „Ja, schon. Mein Eindruck ist, dass (...) sie alles machen können, was sie wollen. Z. B. beim Beruf: Eine Frau kann z. B. im Militär, ein Mann im Haarstudio arbeiten.“ (Nici, Z 114-116) 71 „Ja. Die Frau muss nicht nur zu Hause sein und der Mann geht arbeiten. Beim Putzen auch. Auch der Mann putzt mal das Klo oder macht das Bett. Das find ich gut. Für diese Aufgaben kann ich beide anklicken.“ (Sara, Z 140-142) „Ja, wenn sie es wollen, dann können sie es schon. Sie sind nur eingeschränkt, wenn sie schwanger werden. Dann gehen sie nicht mehr aus dem Haus.“ (Silvia, Z 113-114) „Ich finde, sie sind eingeschränkt. (...) Sie müssen auch immer daheim sein bei den Kindern. Wenn du ein Kindermädchen engagierst, sind es auch immer nur Frauen. Man denkt, dass Frauen mehr Bezug zu den Kindern haben, weil sie sie gezeugt haben, aber da war ja auch der Vater dabei. Im Spiel werden sie als Hausfrauen dargestellt und der Mann geht arbeiten.“ (Moni, Z 132-139) In ihren Aussagen zur Gleichberechtigung thematisierten die Mädchen vor allem berufliche Möglichkeiten sowie die Kinderbetreuung. Andere Bereiche, wie beispielsweise die zuvor beanstandeten unterschiedlichen Kleidungsvorgaben wurden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Interessant war auch, dass die Mädchen die gleichberechtigte bzw. ungleichberechtigte Darstellung der Figuren nur als vom Spiel bestimmbar wahrnahmen – was auch stimmte – und nicht auch auf ihre Spielweise zurückführten. Sind es doch die Spielerinnen, welche die Tätigkeiten der Sims-Figuren bestimmen, also wer putzen muss, wem welcher Beruf zugewiesen wird oder wer zuhause bei den Kindern bleibt. Eine vertiefende Untersuchung darüber, inwieweit die Spielvorgaben der SimsFiguren die Mädchen in ihren Vorstellungen über weibliche Rollenbilder beeinflussen, würde eventuell weitere Erkenntnisse liefern, die helfen könnten, diesen Rollenstereotypen entgegen zu steuern. Spannend wäre hierzu auch ein Vergleich mit der Spielweise von Jungen und deren Ansichten über die männlichen Sims-Figuren. 13.2.4 Mädchen bevorzugen Spiele, die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden. Da „Die Sims 2“ auf das klassische Sujet von Computerspielen, guter Held muss gegen gemeinen Bösewicht kämpfen, verzichtet, wurde bezüglich dieser Kategorie von Agostos Liste eruiert, ob es überhaupt gute und böse Sims-Figuren gibt und wie bestimmt wird, was gut und böse ist. Drei Mädchen gaben an, dass gute und böse Sims-Figuren existieren und dass sie diese als Spielerinnen selbst festlegen können, indem sie bei der Erstellung die entsprechenden Charaktereigenschaften einstellen. Außerdem berichtete ein Mädchen, dass die Sims-Figuren auch während des Spiels böse werden können, wenn sie von 72 anderen Sims-Figuren gemein behandelt werden. Demnach kann die Spielerin noch während des Spiels durch Befehle dazu beitragen, die Sims-Figuren gut oder böse werden zu lassen. Den Interviews und den Beobachtungen zufolge gestalteten alle Mädchen „gute“ Sims-Figuren. Sara und Moni erzählten jedoch, dass sie sich als Sims-Figuren auch schon mal „böse“ verhalten haben bzw. mit einem „bösen“ Charakter gespielt haben. So ermöglicht es das Spiel zu experimentieren und auch einmal gegen „moralische Regeln“ zu handeln. „Einmal habe ich „böse“ eingestellt. Diese Sims hat dann die ganze Zeit mit ihrer Schwester gerauft und sich schwarz angezogen. Böse zu sein, zeigt sich auch, indem sie niemand etwas gönnen, egoistisch sind und alles für sich wollen.“ (Moni, Z 156-159) „Aber manchmal provoziere ich es auch und schubse die anderen Sims oder sage etwas Böses. (lacht)“ (Sara, Z 167-68) Konflikte im Spiel hatte jedes Mädchen schon einmal erlebt. Dabei handelte es sich bei allen Auseinandersetzungen um einen Streit zwischen zwei Sims-Figuren, die meistens in einer familiären Beziehung zueinander standen. Die Konflikte spielten sich also nicht zwischen „Gut“ und „Böse“ ab, sondern betrafen soziale Konflikte bzw. Alltagskonflikte, die durch das Zusammenleben entstanden. Dies ist nicht weiters überraschend, denn soziale Kontakte gehören zu den Grundbedürfnissen und ohne sie vereinsamen die Sims-Figuren und werden unglücklich. Bedenkenswert ist allerdings die Tatsache, dass viele der beschriebenen Konflikte in gewalttätigen Handlungen der Sims-Figuren endeten, die Mädchen dies aber nicht störte bzw. sie nichts Unethisches daran fanden. „Ja, Geschwister-Konflikte, Mutter-Sohn-Konflikte, Vater-Mutter-Konflikte oder mit Gästen. Einmal habe ich eine Party gegeben, da haben zwei Frauen gestritten, weil eine mit dem Mann von der anderen geflirtet hat. Da haben sie sich geprügelt und geschrien. Ich fand das lustig.“ (Sara, Z 153-156) „Ja, z. B. Geschwister untereinander. Das kann ja auch gelenkt werden, indem man ihnen befiehlt ‚rauft euch jetzt. Aber es kann natürlich auch sein, dass sie es von selber machen. Das ist ja normal bei Jugendlichen. Wenn sie raufen, dann kommt eine Wolke mit lauter Sternen und Gewitterbalken. Es kommt auch bei Älteren vor, z. B. wenn jemand verliebt ist, aber der etwas mit einer anderen hat, dann kann es zu Watschen kommen. Das kann auch befohlen werden.“ (Moni, Z 163-169) „Sie waren verheiratet und haben sich scheiden lassen. (...) sie haben sich auf einmal gestritten und geschlagen, auf einmal stand dort, sie seien geschieden.“ (Silvia, Z 135139) 73 Zwei Mädchen beschrieben jedoch, schon mal mit dem Jugendamt bzw. der Polizei in Konflikt geraten zu sein. „Einmal hatte ich Probleme mit dem Jugendamt. In einem Haushalt kann man nur bis zu acht Kinder haben. Ich hatte zwei Familien drin und versuchte dann, ein neuntes Kind zu bekommen. Dann kam das Jugendamt und nahm die zwei Ältesten mit. Es kam einfach ein Auto, dann stieg eine Frau aus, holte die Kinder und ging. (...) Der Vater hat nur geschrieen und getobt, die Mutter war am Arbeiten.“ (Silvia, Z 140-143) „Ich habe einmal bei einem Ausflug ein Kind vergessen. Dann kam die Polizei und ich musste zahlen, weil das Kind nicht so lange draußen bleiben durfte.“ (Nici, Z 311-312) Die beschriebenen Vorgehensweisen der „Behörden“ passierten auf Grund eines Verstoßes gegen die Spielregeln und wirkten auf mich sehr überzogen bzw. realitätsfremd. Die beiden Mädchen kritisierten diese Vorfälle jedoch nicht und schienen „das Eingreifen des Spiels“ als selbstverständlich akzeptiert zu haben. Hier stellt sich für mich die Frage, wieso in „Die Sims 2“ diese Art – behördliche Vertreterinnen und Vertreter – zur Gewährleistung der Einhaltung der Spielregeln gewählt wurde. Das Spiel hätte es beispielsweise verhindern können, dass die SimsFamilie ein weiteres Kind bekommt. M. E. ist es außerdem absurd, dass Nici nicht, weil sie ein Kind vergaß, eine Strafe zahlen musste, sondern weil sie ein Zeitlimit überschritten hatte. Gewalttätige Handlungen einer Sims-Figur hingegen werden vom Spiel nicht reglementiert. Zur Konfliktlösung griffen bis auf ein Mädchen alle aktiv ins Spielgeschehen ein, indem sie den Sims-Figuren befohlen hatten, wieder „nett“ miteinander zu sein bzw. „gute“ Interaktionen durchzuführen. Sie erlebten, dass sich sozial verantwortliches Handeln positiv auf den weitern Spielverlauf auswirkte. So trug das Spiel in gewisser Weise zur Entwicklung ihrer Konfliktlösungskompetenzen bei. „Bei diesen streitenden Frauen habe ich eine Frau verschickt, aber das hat nicht geklappt. Die haben trotzdem weiter gestritten und meinen Befehlen nicht gehorcht. Schlussendlich habe ich sie dann doch versöhnt. Ich habe bestimmt, dass sie über nette Themen reden. Das hat dann geklappt.“ (Sara, Z 162-165) „Ich habe den Befehl zurückgenommen und dafür befohlen, dass sie miteinander reden sollen. So ändert sich die Stimmung zwischen den beiden, dass sie sich wieder mögen. Oder ich habe sie in ihre Zimmer geschickt damit sie sich aus dem Weg gehen. Du musst halt reagieren. Das ist blöd, wenn ich gerade mit einem Sims im oberen Stock beschäftigt bin und die anderen sich unten anfangen zu prügeln.“ (Moni, Z 175-179) Interessant war in diesem Kontext die Aussage eines Mädchens, dass gegen behördliches Vorgehen nichts zu machen sei. Wenn das Spiel also selbst in das Geschehen eingreift, sind diese Maßnahmen endgültig. 74 „Beim Jugendamt kann man nichts machen, die Kinder bleiben weg. Bei dem Scheidungsfall habe ich ihm befohlen, dass er ihr Sachen schenkt und sie wieder zusammenkommen.“ (Silvia, Z 149-151) Da zwar Konflikte im Spiel „Die Sims 2“ vorkommen können, diese aber nicht explizit zwischen „Gut“ und „Böse“ stattfinden, bestätigen die Ergebnisse dieser Untersuchung auch diese Kategorie von Agostos Liste. 13.2.5 Mädchen bevorzugen Spiele, die Wettkampf nicht als Hauptinhalt haben. Da das Spiel „Die Sims 2“ nicht als Wettkampfspiel konzipiert wurde, kommen auch keine klassischen Wettkampfsituationen wie z. B. eine Aufgabe gegen die Zeit zu lösen oder eine andere Spielfigur vor dem Bösewicht zu retten, vor. Das Zutreffen dieser Kategorie von Agosto wurde von allen Mädchen am deutlichsten belegt. Während der Beobachtungen kam es zu keiner Wettkampfsituation und auch in den Interviews sprachen sich die Mädchen deutlich für ein wettkampffreies Spielgeschehen aus. Dabei kritisierten sie vor allem die Auswirkungen der Hierarchisierung eines Wettkampfes: Jemand sei dann besser als die anderen. „Ich möchte meine Sims nicht puschen müssen, nur damit sie gewinnen. Du kannst Playstation spielen, dann können sie gegeneinander spielen. Dazu kann man aber nicht wirklich Wettkampf sagen. Aber ich finde das auch nicht wichtig.“ (Moni, Z 206-209) „Ich finde es gut, dass es keine Wettkämpfe gibt, weil man nicht immer der Beste sein muss und die andern sind dann die Schlechten. Alle sind gleich. Niemand ist besser als die anderen.“ (Sara, 207-209) „Wettkampf finde ich blöd, man braucht es eigentlich nicht, es ist egal, wer besser ist. Manchmal gibt es einen Wettkampf zwischen den Sims: Wenn jemand z. B. jonglieren kann, jemand anderer behauptet, er könne es auch, es aber tatsächlich nicht kann, dann ist das für mich auch ein Wettkampf.“ (Nici, Z 177-180) „Ich finde es gut, dass es keine Wettkämpfe gibt, weil es da mehr ums Leben geht, du weißt, wie es sein kann, aber nicht sein muss. Du weißt auch, wie es wäre, wenn man etwas anders gemacht hätte. Der Wettkampf geht mir nicht ab.“ (Silvia, Z 175-177) Stattdessen bedeutete für sie Erfolg im Spiel zu haben die Weiterentwicklung ihrer Sims-Figuren und Sims-Familien und die Erfüllung ihrer Lebensziele, wodurch ein weiteres Mal die sozialen Beziehungen in den Mittelpunkt traten. „Wenn die Kinder lernen, selber zur Schule zu gehen, ohne dass ich sie schicken muss. Wenn die Frauen und Männer arbeiten. Wenn sie einen Job haben, älter werden, erwachsen werden usw. Wenn alles schon gemacht wurde und mir langweilig wird. Also, wenn keine Herausforderung mehr da ist.“ (Silvia, Z 156-159) 75 „Erfolg im Spiel habe ich, wenn sie einen guten Job haben und befördert werden, wenn sie sich verloben und heiraten, wenn sie „Familie“ als Ziel haben und sie bekommen ein Kind oder wenn sie eine gute Stimmung haben und alles passt. Also vor allem, wenn sich ihre Lebensziele erfüllen. Dann habe ich das Gefühl, ich habe sie weitergebracht in ihrem Leben.“ (Moni, Z 183-187) „Erfolgreich bin ich, wenn ich z. B. mein Haus gebaut habe, dann freue ich mich, weil es so viel Arbeit ist. Oder wenn ich verheiratet bin, Kinder habe, eine Familie. Dann kann ich die Kinder ärgern (lacht) oder etwas mit ihnen unternehmen. Das macht Spaß.“ (Nici, Z 160-163) 13.2.6 Mädchen bevorzugen Spiele, die actionreich aber gewaltfrei sind. Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde, bedeutet in „Die Sims 2“ erfolgreich zu sein, sich intensiv um die Sims-Figuren und deren Bedürfnisse zu kümmern. Mit der Erfüllung dieser Aufgaben entstand den Aussagen der Mädchen zufolge ein actionreiches Spielgeschehen, bei dem sie auf viele verschiedene Dinge parallel zu achten hatten: So musste beispielsweise zugleich eine Sims-Figur aufs Klo geschickt, Besuchende an der Haustür empfangen sowie auf die Kinder aufgepasst werden. „Die Lebensziele zu erreichen, das ist nicht so einfach, weil man zuerst die Bedürfnisse stillen muss. Man hat wenig Zeit für die Lebensziele.“ (Nici, Z 166-167) „Du musst alles gleichzeitig lenken. Der eine muss duschen gehen, der andere essen und dann passiert auf einmal etwas dazwischen und du hast kaum Zeit zu reagieren.“ (Moni, Z 190-191) „Da ich oft große Familien habe, wird es dann stressig, auf alle Sims zu schauen. Wenn die einen Hunger haben, muss ich die anderen aufs Klo schicken.“ (Sara, Z 196-198) Genau diese herausfordernde „Action“ bildete eine wichtige Spielmotivation für die Mädchen, vgl. die Interviewpassagen am Ende von Abschnitt 13.2.5. Zum Thema Gewalt in Computerspielen spricht sich nur ein Mädchen klar dagegen aus und schlägt stattdessen andere Konfliktlösungen vor. Überraschenderweise handelte es sich dabei um jenes Mädchen, das zuvor angab, bei einer gewalttätigen Konfliktsituation nicht eingegriffen zu haben. „Ich finde Gewalt schlecht, weil man keine Gewalt braucht. Man kann ja auch schreien oder „stopp“ sagen und nicht gleich schlagen.“ (Nici, 202-203) Den Aussagen der anderen drei Mädchen war zu entnehmen, dass sie Gewaltdarstellungen zwar nicht gut fanden, aber die Tatsache, dass diese Teil des Spielinhaltes waren, für realitätsnah erachten. 76 „Ich finde es schlecht gegenüber Minderjährigen. 10-Jährige, die das noch nie erlebt haben und hier sehen. Ich finde, es wird gezeigt, dass Gewalt ok ist. Wenn du zwei Kinder hast, finde ich, kommt Gewalt sehr oft vor, also dass sie sich streiten und raufen. Daher finde ich die Abdeckung mit der Wolke gut. Man sieht nicht wirklich, wie sie es tun. Klar, gehört es zum Leben und sie wollen das Spiel so machen, dass es authentisch ist, aber ich würde es im echten Leben auch nicht machen.“ (Moni, Z 219-224) „Ich finde es eigentlich ganz normal. Das passiert im echten Leben ja auch. Ich finde es zwar nicht so toll, aber das Spiel ist ja so ähnlich wie möglich nach dem echten Leben gemacht worden. Im „San Andreas-Spiel“ muss man Menschen umbringen und im Sims geht das nicht. Das finde ich gut. Da ist nichts so Negatives.“ (Sara, 179-182) „Es kommt drauf an, wie körperliche Gewalt vorkommt, ob es z. B. nur eine Watsche ist oder so, aber wenn es schlimmer wird, dann nicht.“ (Silvia, Z 188-189) Insofern widerlegten die Mädchen diese Kategorie von Agostos Liste. So gefiel ihnen zwar ein actionreiches Spielgeschehen, wie auch Agosto feststellte, sie wünschten aber nicht, dass dies gewaltfrei sein sollte. M. E. würde sich die Auswertung dieser Kategorie ändern, würden Gewaltdarstellungen im Spiel direkt gezeigt und/oder deren „Härtegrad“ erhöht. In „Die Sims 2“ werden Schlägereien beispielsweise durch eine Staubwolke verdeckt, sodass die direkte Gewalthandlung nicht sichtbar ist. In diesem Sinne werden auch keine „blutrünstigen“ Verletzungen gezeigt. An dieser Stelle möchte ich meine Bedenken darüber äußern, welche Werte und Normen die Mädchen aus dem Spiel ziehen können. Insgesamt wurde nämlich nur eine gewalttätige Handlung kritisiert und, wie in Abschnitt 13.2.2 erläutert, identifizierten sich die Mädchen mit dem Spielgeschehen, was einen Transferprozess in ihr reales Leben förderte. Keines der Mädchen berichtete darüber, dass eine andere SimsFigur in eine „Schlägerei“ eingriff oder dass das Spiel selbst in Form von PolizeiFiguren dieser ein Ende setzte. Ebenso wenig gab es für die Schlägerin oder den Schläger eine Bestrafung. Außerdem möchte ich noch festhalten, dass die Mädchen den Begriff Gewalt auf physische Gewalthandlungen begrenzten. Auf strukturelle Gewalt beispielsweise, wie die zuvor kritisierte homogene Frauendarstellung, gingen sie in diesem Kontext nicht mehr ein. 77 13.2.7 Mädchen bevorzugen Spiele, bei denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Die Spielbeschreibung in Abschnitt 12.2 sowie alle bisherigen ausgewerteten Punkte von Agostos Liste bezüglich des Inhalts von Computerspielen haben gezeigt, dass einerseits die Beziehungen zwischen den Sims-Figuren im Mittelpunkt des Spielgeschehen stehen und andererseits dieser Themenkomplex von großer Bedeutung für die Spielmotivation der Mädchen war. Anders gesagt, der Fokus auf die sozialen Beziehungen beruht erstens darauf, dass „Beziehung“ ein Bedürfnis jeder Sims-Figur im Spiel darstellt und von der Spielerin befriedigt werden muss, und zweitens darauf, dass den Mädchen Beziehungen bzw. Freundschaften im realen Leben wichtig sind und sie diese in die virtuelle Welt transferierten. Die Spielfiguren waren für sie nicht nur Mittel zum (Spiel)Zweck, viel mehr wurden diese durch die in Abschnitt 13.2.2 beschriebenen Identifikationsprozesse zur Metapher für das eigene Leben. „Mir ist es wichtig und ich tue viel dafür. Ich rede mit anderen Sims, um Freundschaften zu schließen.“ (Sara, Z 235-237) „Mir ist es wichtig, dass sie gute Beziehungen und Freundschaften haben, dass sie nicht dauernd streiten und lange befreundet bleiben. Auch mit fremden Figuren, also solchen, die ich nicht erstellt habe. Es kommt vor, dass sie beim Haus vorbeilaufen, dann redet meine Familie mit ihnen, ladet sie ein, so entsteht eine Freundschaft.“ (Silvia, Z 214-218) „Im Spiel habe ich nicht so oft Beziehungen, nur Freundschaften. Freundschaft ist das Wichtigste im Leben. Freundinnen halten zu dir und helfen dir.“ (Nici, Z 148-149) „Mir sind Beziehungen und Freundschaften im Spiel sehr wichtig. Im wahren Leben habe ich auch Freunde, mit denen ich mich treffe. Fürs Spiel ist es auch sehr wichtig, da es einen Balken für Beziehungen gibt, der geladen werden muss. Neue Leute kennen zu lernen ist mir sehr wichtig für meine Sims. Es geht ihnen gut, wenn sie Freunde treffen.“ (Moni, Z 258-262) 13.2.8 Mädchen bevorzugen Computerspiele, die reale Schauplätze verwenden. Das Computerspiel „Die Sims 2“ erhebt den Anspruch eine Simulation des realen Lebens zu sein. Um der „Wirklichkeit“ gerecht zu werden, passen sich neben den Spielinhalten auch die optische Darstellung von Schauplätzen, Gegenständen und Sims-Figuren an reale Gegebenheiten an. So waren mit dieser Art der Darstellung alle Mädchen zufrieden. Die Verwendung von realen Schauplätzen wurde für den Identifizierungsprozess mit dem Spielgeschehen als wichtig und förderlich empfunden. „Ich würde an der Darstellung des Spiels nichts ändern. Es zeigt das richtige Leben.“ (Moni, Z 251-252) 78 „Ja, ich finde es gut, dass es realitätsnah ist und nicht nur Fantasie. Man weiß, wenn was passiert, kann es im richtigen Leben auch passieren. Ich nehme es ernster so. Die reale Darstellung ist mir wichtig.“ (Silvia, Z 206-208) „Mir würde es nicht gefallen, wenn es eine Fantasiewelt wäre, in der Einhörner oder so herumfliegen. Dann wäre es nicht mehr ‚Die Sims.“ (Sara, Z 229-230) „Ja, ich finde es schon gut, dass es real ist, weil es in Sims darum geht, den Alltag nachzuspielen.“ (Nici, Z 223-224) Daher bezog sich die Kritik der Mädchen auf unrealistische sowie comicartige Darstellungen. „Aber schlecht finde ich, dass sie unrealistische Augen haben und ähnlich wie Comicfiguren ausschauen.“ (Nici, Z 224-225) „Ich finde es auch blöd, dass die Sims nicht quer gehen können, sondern nach den Kästchen gehen müssen, wie Roboter. Sie können auch nicht einfach an einem Stuhl vorbei gehen oder ihn auf die Seite schieben, sondern regen sich auf, bis ich das mache. Das macht man doch im wahren Leben auch.“ (Moni, Z 273-276) Damit bestätigten die Mädchen eine weitere Kategorie von Agostos Liste hinsichtlich des Inhalts von Computerspielen. Außerdem zeigte sich erneut, dass die Mädchen das Spiel „Die Sims 2“ vor allem dann kritisierten, wenn sie in ihrer Spiel- und/oder Gestaltungsfreiheit eingegrenzt wurden. 13.2.9 Mädchen bevorzugen Spiele mit einem gewissen pädagogischen Wert im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert. In ihrer Zusammenfassung der häufigsten Geschlechtsstereotypen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele erklärt Agosto die Begrifflichkeit eines „gewissen pädagogischen Werts“ leider nicht genauer. So ist dieser Ausdruck schwer zu definieren, denn welche Kategorien bestimmen bei einem Computerspiel seinen „pädagogischen Wert“? Schon bei den einfachsten Ballerspielen kann Geschicklichkeit, die Feinmotorik oder die zeitgerechte Erfüllung einer Aufgabe geübt werden. In dieser Untersuchung wurde daher der „pädagogische Wert“ von „Die Sims 2“ über das Probehandeln definiert, welches den Mädchen durch den Simulationscharakter des Spiels ermöglicht wird. Das Probehandeln bezieht sich hier auf die sozialen Beziehungen und bietet den Mädchen in unterschiedlichen Settings wie Beruf, Familie, Freundschaft etc. Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit diesen. Die Spielerinnen 79 nutzten die Möglichkeit, verschiedene Rollen auszuprobieren und erlebten die Konsequenzen ihrer Entscheidungen und Befehle live am Bildschirm mit. Die Frage, ob sie etwas von „Die Sims 2“ lernen konnten, beantworteten alle Mädchen positiv. Auch wenn Silvias Antwort etwas widersprüchlich war, gab sie doch ebenfalls ein „Lernbeispiel“ an. Somit bestätigte sich auch diese Kategorie von Agosto. Überraschend war die große Bandbreite an Beispielen, die sie in diesem Zusammenhang aufzählten, wie Freundschaften, der Umgang mit Geld oder das Erlernen von Eigenverantwortung. „Ja, dass Freundschaften wichtig sind.“ (Nici, Z 265) „Ja, dass man arbeiten gehen soll und zur Schule gehen soll. Dass man sich um sich selber kümmern sollte.“ (Sara, Z 266-267) „Ich probiere aus, wie ich gerne sein würde, z. B. dass ich mir ganz viel leisten kann. Dadurch lernte ich, mit Geld umzugehen. Du musst auch mal auf etwas verzichten können. Dinge, die ich nicht wirklich brauche, verkaufe ich, wenn es nicht anders geht.“ (Moni, Z 94-97) „Außer dass das, was im Spiel passiert, auch im echten Leben passieren könnte, eigentlich nichts.“ (Silvia, Z 231-232) Neben dem „pädagogischen Wert“ interessierte mich weiters, ob und welche Gefahren oder Risiken die Mädchen in „Die Sims 2“ sahen. Auch hierzu nannten alle vier wieder völlig unterschiedliche Beispiele wie die Konfrontation mit Gewalt und Tod über Aliens bis hin zu Beziehungsproblemen. Zwei der Mädchen waren sogar der Meinung, dass das Spiel nicht für Kleinkinder bzw. Kinder unter 12 Jahren geeignet wäre, obwohl es offiziell keiner Altersbeschränkung unterliegt. Ihre Bedenken waren verständlich und bezeugte die bereits im theoretischen Teil gemachte Erkenntnis, wie wichtig eine Begleitung und Reflektion der erlebten Inhalte für die Spielerinnen ist – gerade wenn es sich dabei um soziale Beziehungen und Selbstidentifizierungsprozesse handelt. „Ich finde das Spiel nicht geeignet für Kleinkinder. Die können noch nicht verstehen, dass das ein Spiel ist und nicht real.“ (Sara, Z 256-257) „Kinder werden im Spiel auch mit dem Tod konfrontiert. Wenn ein Sims stirbt, kommt ein Grabstein und ein Geist schwirrt durch das Haus. Für mich war das brutal. Ich habe mit 10 Jahren angefangen zu spielen und meine Mutter hatte keine Bedenken, weil auch meine Schwester meinte, das wäre ok. Aber für mich war es voll der Horror, als mein Sims zum ersten Mal gestorben ist. Mit 10 Jahren war es für mich eine Überforderung, das Spiel zu lenken und alles im Auge zu behalten. Und dann ist jemand gestorben und auf einmal erschien der Geist. Da habe ich total Angst bekommen. Da würde ich die Altersfreigabe ändern. Die meisten beginnen ja schon früher zu spielen. Meinen Kindern würde ich es mit 12 Jahren erlauben.“ (Moni, Z 304-312) 80 13.2.10 Mädchen bevorzugen Spiele, die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln. Auch der Ausdruck des „mädchenspezifischen Spielverhaltens“ wird von Agosto nicht näher erklärt und war nicht einfach zu definieren. Dreht sich doch diese Arbeit genau um diese Thematik und die Frage, was mädchenspezifisches Spielverhalten ist und ob es das überhaupt gibt. Daher bezieht diese Untersuchung den Ausdruck „mädchenspezifisches Spielverhalten“ auf die primäre Motivation der strukturellen Koppelung161 nach Köhler, wie sie in Abschnitt 11.1 erläutert wurde: Die Motivation Computerspiele zu spielen besteht primär darin, Anknüpfungspunkte zur je eigenen Lebenswelt wie Persönlichkeitsmerkmale, Lebenssituation, Hobbys, Interessen, Vorlieben, etc. im Spiel wieder zu finden.162 Und genau diese Auslegung findet sich in den Antworten der Mädchen wieder und bestätigt in diesem Sinne auch diese Kategorie Agostos: „Ja, alles Alltägliche wie Fernseh schauen, Freunde anrufen, vor dem Computer sitzen, Party machen, Schule gehen.“ (Sara, Z 275-276) „Man kann sich selber machen, ein Haus bauen. In der Freizeit lasse ich die Kinder essen und spielen, wie ich es auch in meiner Freizeit mache.“ (Nici, Z 263-264) „Ja. Ich gehe in die Schule, möchte Freunde haben, mich mit meinen Eltern und Geschwistern gut verstehen. Dort finde ich mich wieder.“ (Moni, Z 321-322) In diesem Zusammenhang erfreute mich vor allem das Bedauern Nicis über ein großes Manko im Spiel: „Im echten Leben gehe ich in die Amazone. Bei Sims gibt es das leider nicht.“ (Nici, Z 256) Auch bei den Spielsitzungen im Mädchenzentrum Amazone ergaben sich interessante Gespräche zwischen den Spielerinnen und den anderen Mädchen, in denen sie sich anhand des Spiels über ihre Interessen austauschten. Ich bekam Einblicke in ihre Lebenswelt und gewann nützliche Erkenntnisse über die Verknüpfung dieser mit ihrer Spielweise. Außerdem erlebte ich live, wie genau durch diesen Kontext ihre Spielmotivation entstand. Aber am wertvollsten war für mich zu sehen, wie viel Spaß sie dabei hatten. 161 Die primäre Motivation der strukturellen Koppelung fand sich schon bei einigen der vorhergehenden Kategorien wieder. Da sich aber diese Kategorie voll und ganz darauf bezieht, wurde hier genauer auf die primäre Motivation eingegangen. 162 Vgl. Köhler 2008, 67f 81 13.2.11 Bevorzugungen der Mädchen die Gestaltung von Computerspielen betreffend Bezüglich der zweiten Liste von Agostos Kategorien konnten nur wenige Aussagen den Interviews entnommen werden, weswegen diese Punkte (siehe hierzu Abschnitt 11.5.2) zu einer Kategorie zusammengefasst wurden. In den Interviews stellte sich heraus, dass alle Mädchen gerne mit anderen zusammen spielen und auch online während des Spiels mit anderen kommunizieren würden. Dadurch erhofften sie sich, einen Austausch mit anderen, gemeinsame Interaktionen anhand der Sims-Figuren im Spiel, neue Bekanntschaften, Hilfestellungen und Stressvermeidung durch die gemeinsame Betreuung von Sims-Figuren. Ob dies einzeln online stattfinden sollte oder gemeinsam an einem Computer, konnte nicht genau eruiert werden. Nur Moni bevorzugte das gemeinsame Spielen explizit online, da man sich sonst eine Maus teilen müsste. Mit der Qualität der Grafik waren zwei Mädchen zufrieden. Die anderen beiden kritisierten, dass beim Heranzoomen des Spielgeschehens die Darstellung verschwimme, was eine Beeinträchtigung des Spiels bedeutet. Aus diesem Grund war allen Spielerinnen eine gute Grafik wichtig. Multimediale Komponenten wie Musik, Fotos oder Videoclips band keine ins Spiel ein, genauso wie keines der Mädchen selbst Gegenstände für das Spiel entwarf, da sich keine damit auskannte. Insgesamt bestätigten die Mädchen alle Kategorien der zweiten Liste von Agostos Zusammenfassung bis auf die Verwendung von multimedialen Komponenten. 13.2.12 Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfreiheit nicht einschränken. Eine neue Kategorie konnte im Rahmen der Untersuchung von Agostos Listen in Bezug auf das Computerspiel „Die Sims 2“ ermittelt werden: Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfreiheit nicht einschränken. Diese Kategorie bezieht sich auf die Kritik der Mädchen. In den Interviews und in den Beobachtungen beanstandeten sie immer dann etwas am Spiel, wenn sie in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfreiheit eingegrenzt wurden. Computerspiele sollten daher die Möglichkeit bieten, vorgegebene Spielgegebenheiten, wie Aussehen und Eigenschaften der Charaktere, die Schauplätze und Spielge- 82 genstände sowie das Spielgeschehen selbst gestalten oder verändern zu können – und zwar gänzlich und direkt im Spiel. Gänzlich daher, weil, wie schon erwähnt, sich die Mädchen beim Spielen eingeschränkt fühlen. Die Möglichkeit der direkten Umsetzung im Spiel ohne externe Programme (wie es jetzt teilweise schon möglich wäre), ist deshalb für die Spielmotivation bedeutend, da dadurch Hemmschwellen vor Neuem abgebaut werden können. Es muss kein neues und eventuell teures Programm angeschafft werden und die Mädchen wissen eher Bescheid, dass es die Möglichkeit dafür gibt. In dieser neuen Kategorie findet sich auch der Partizipationsansatz der Mädchenarbeit wieder, den die Mädchen in ihrer Kritik am Spiel bestätigten. 14 Beantwortung der Forschungsfragen und Handlungsempfehlungen In diesem Kapitel werden die drei Forschungsfragen beantwortet und die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit nochmals festgehalten. Frage 1 wurde mittels der Beleuchtung der drei theoretischen Grundlagen – die feministische Mädchenarbeit, die feministische Medientheorie und die soziale Konstruktion von Technik – sowie der Darstellung der kontrovers diskutierten Girl Game Bewegung erörtert. Frage 2 wurde durch die Überprüfung von Agostos Kategorien am Beispiel des Computerspiels „Die Sims 2“ im empirischen Teil diskutiert. Um Frage 3 beantworten zu können, werden die Erkenntnisse der Theorie und Empirie zusammengeführt und Handlungsempfehlungen sowie weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt. Um einer Kritik der Generalisierung vorzubeugen möchte ich hier festhalten, dass die Antworten dieser Untersuchung sich auf den Kontext der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone beziehen und die Ergebnisse auf diese spezielle Situiertheit zutreffen. Wie in Abschnitt 12.1 dargelegt, steht der „Anwendungswert“ im Vordergrund. Ist man sich dessen bewusst, können m. E. dennoch wertvolle Rückschlüsse auf Computerspiele im Allgemeinen gezogen werden. 83 14.1 Forschungsfrage 1 Wie sollten Computerspiele gestaltet sein, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu (re-) produzieren? Die Darlegung der theoretischen Grundlagen dieser Arbeit hat gezeigt, dass es aus feministischer Sicht (der Mädchenarbeit) wichtig ist, den Umgang von Mädchen mit Technologien und Medien im Allgemeinen und Computerspielen im Besonderen zu erforschen, um ihre Lebenswelten zu begreifen, weil diese sie maßgeblich mitgestalten und auch hier Geschlechterungleichheiten vorherrschen. Diese Unterschiede werden besonders am Medium Computerspiel sichtbar. Wie Kapitel 10 verdeutlicht hat, sind Computerspiele als Medium mitverantwortlich für die Konstruktion von sozialen Wirklichkeiten und sollten daher angemessene Geschlechterkonzepte präsentieren, insbesonders im Rahmen von Angeboten für Mädchen. Damit Computerspiele angemessene Geschlechterkonzepte transportieren und vermitteln können, wurden aus den drei theoretischen Ansätzen dieser Arbeit Prinzipien für ihre Gestaltung herausgearbeitet. Alle drei gehen von einer sozialen Konstruktion von Geschlecht aus und beschreiben „Dekonstruktion“ und „Vielfältigkeit“ (diversity) als zentrale Strategien, um Geschlechtsstereotype aufzubrechen. Abschnitt 10.2 befasste sich mit dem Arbeitskontext dieser Untersuchung der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone. Anhand ihres Leitbilds wurde das Hauptziel in Bezug auf die Gestaltung von Computerspielen definiert, nämlich soziale Geschlechtsrollenbilder zu dekonstruieren. Durch die Beschreibung der Entwicklung neuer Herausforderungen, des Leitbilds und der Medienpädagogik der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone wurden erste wichtige Prinzipien dafür herausgearbeitet. Dies sind: Partizipation, Selbstreflexion, Selbstbestimmung, Sichtbarmachung und Stärkung der Vielfalt von „Mädchen-Sein“, Sensibilisierung für andere normative Kategorien als Geschlecht wie z.B. soziale Schicht und kulturelle Hintergründe und Mädchen spielerisch zu motivieren, sich damit auseinanderzusetzen. Außerdem wurde verdeutlicht, dass Computerspiele ein großes Potential in der Mädchenarbeit haben, die Beziehungsarbeit zu unterstützen und einen lustvollen Zugang zum Medium Computer zu gewährleisten. Die Begleitung der Mädchen beim Computerspielen durch eine Fachfrau ist neben der Bezie- 84 hungsarbeit auch für die Umsetzung einer feministischen Medienpädagogik grundlegend. In Abschnitt 10.3 haben spezifische Ansätze der feministischen Medientheorie zum einen gezeigt, dass bei einer Analyse von Medien immer auch ihre weibliche Darstellung kritisch hinterfragt werden sollte, um einem homogenen Frauenbild entgegen zu wirken. Zum anderen sehen Medientheoretikerinnen in einer vielfältigen Darstellung von Geschlecht in den Medien die Chance, homogene und dichotome Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit zu dekonstruieren. Durch die Auseinandersetzung mit feministischen Medientheorien wurden für die Analyse von Computerspielen wichtige Fragestellungen zur Generierung weiterer Prinzipien für deren Gestaltung gewonnen. Diese lauten: • Inwieweit werden geschlechtsstereotype Darstellungen von weiblichen Figuren in Computerspielen (re)produziert und verfestigt? • Inwiefern normiert ein Computerspiel die Repräsentation von Geschlecht? • Ermöglicht es ein Computerspiel, Geschlecht neu zu artikulieren, indem z. B. Spielende ihre eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel integrieren oder indem Alternativen zu weiblichen und männlichen Geschlechtervorstellungen geboten werden? Abschnitt 10.4 beschäftigte sich mit der Thematik Geschlecht und Technologie. Mittels dreier Fragestellungen wurde aufgezeigt, dass Technologie selbst ein soziales Konstrukt ist, in das vergeschlechtlichte Strukturen eingeschrieben werden. Die Entgegnungen zu diesen Fragestellungen bekräftigten die bisherigen Erkenntnisse dieser Arbeit, die in Abschnitt 10.2 für den Einsatz und die Gestaltung von Computerspielen aus dekonstruktivistischer Sicht erarbeitet wurden. Das Prinzip der Partizipation der feministischen Mädchenarbeit wurde durch die Feststellung, Mädchen in die Entwicklung von Computerspielen zu integrieren, bestätigt. Ebenso wie die Absicht den Einsatz von Computerspielen in der Mädchenarbeit zu fördern, um zu einem Paradigmenwechsel der Auffassung „Technik ist männlich“ beizusteuern. Schlussendlich wurde die Frage aufgeworfen, wie Geschlechterverhältnisse anhand von Technologien – in diesem Kontext von Computerspielen – neu gestaltet werden können. Diese Frage ist ein zentrales Thema des Cyberfeminismus, der in Abschnitt 10.4.2 behandelt wurde. Die Darlegung zweier cyberfeministischen Vertreterinnen zeigt, dass eine kritische Analyse von Technologien zur Dekonstruktion der Geschlechter- 85 dualität beiträgt und affirmierte die gewonnenen Prinzipien zur Entwicklung und Gestaltung von Computerspielen. Eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Frage aus differenzfeministischer Perspektive fand anhand der Girl Game Bewegung statt. Die Girl Game Bewegung betrieb umfangreiche Marktforschung, die sich vor allem darauf konzentrierte, Unterschiede zwischen dem Spielverhalten von Mädchen und Jungen zu finden, um so mädchenspezifische Computerspiele entwickeln zu können. Sie ging also davon aus „that girls were essentially different from boys and therefore needed games that reflected this essential difference.“163 Aber genau dadurch wurden und werden Geschlechterdichotomien und die damit einhergehenden geschlechtsstereotypen Rollenbilder wieder verstärkt. Denn die Girl Game Bewegung stellt mädchenspezifische Computerspiele als etwas Besonderes, von der Norm, die sich am männlichen Spieler orientiert, Abweichendes dar. Ziel dieser Thesis ist es jedoch, Prinzipien zu gewinnen, wie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse anhand von Computerspielen dekonstruiert werden können. Daher wurden die von der Girl Game Bewegung erforschten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen in der theoretischen Diskussion in Abschnitt 11.3 als nicht zielführend für diese Arbeit angesehen. Als Antwort auf Forschungsfrage 1 können folglich die Ergebnisse der drei theoretischen Grundlagen herangezogen werden: die erarbeiteten Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen, um im Sinne der feministischen Mädchenarbeit geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können, die Fragestellungen, um die geschlechtlichen Darstellungen im Vorhinein zu überprüfen, um eine Reproduktion von Geschlechtsstereotypen zu verhindern, sowie generell bei allen Schritten bei der Erstellung und Gestaltung von Computerspielen die Frage zu stellen, wie Technologien Geschlechterverhältnisse neu gestalten können. 14.2 Forschungsfrage 2 Treffen geschlechtsstereotype Annahmen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zu? 163 Galloway 2007 86 Wie bereits erörtert, liegen heute vor allem aufgrund der Forschung der Girl Game Bewegung eine große Anzahl an geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele vor. Die dabei am häufigsten vorkommenden hat Agosto in zwei Listen von Kategorien hinsichtlich des Inhalts und Designs von Computerspielen zusammengefasst (siehe hierzu Abschnitt 11.5.2). Diese Untersuchungsergebnisse und ihr Zustandekommen wurden jedoch kontrovers diskutiert und in dieser Arbeit zumindest theoretisch als nicht sinnvoll erachtet. Wie sieht dies nun aber bei der Zielgruppe aus? Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wurden Agostos Kategorien anhand der Spielweisen und Erfahrungen mit dem Computerspiel „Die Sims 2“ von vier Mädchen des Mädchenzentrums Amazone in Abschnitt 13.2 mittels der qualitativen Methoden des Interviews und der Beobachtung überprüft. Wie die Auswertung dieser gezeigt hat, wurden bis auf eine – die des gewaltfreien Spielinhalts – alle Kategorien Agostos bzw. der Girl Game Bewegung von den Mädchen bestätigt. Demnach treffen die geschlechtsstereotypen Annahmen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele im Sample der vorliegenden Thesis tatsächlich zu. Auch Kirk machte in ihrer Arbeit als Pädagogin im Mädchenzentrum diese Erfahrungen und meinte in ihren Antworten, dass alle Kategorien den Spielverhaltensweisen der Mädchen entsprachen. „Diese Ergebnisse kann ich bestätigen. Allerdings stoßen auch Spiele mit fantasievollen Welten und nicht nur mit realitätsnahen Welten auf Interesse bei den Mädchen, wichtig ist der Faktor, dass sie sich mit den Spielfiguren identifizieren können.“164 Daneben beobachtet sie noch eine weitere Abweichung ebenfalls bezüglich des Themas gewaltfreier Inhalt: „Mädchen bevorzugen gewaltfreie Spiele, dies verändert sich jedoch etwas mit zunehmendem Alter.“165 Hier ist anzumerken, dass sie dabei auch von anderen Computerspielen ausgeht und nicht nur von „Die Sims 2“, wie diese Arbeit. So kann die zweite Forschungsfrage aus theoretischer Sicht mit „Nein“, aus empirischer Sicht jedoch mit „Ja“ beantwortet werden. 164 165 Kirk 2010, Z 100-102 Kirk 2010, Z 104-105 87 14.3 Forschungsfrage 3 Wie sollten Computerspiele gestaltet werden, um das Interesse der Mädchen zu wecken und die feministische Mädchenarbeit dabei zu unterstützen, ihre Anliegen und Ziele an die Mädchen zu vermitteln? Die Beantwortung der beiden vorhergehenden Fragen durch Theorie und Empirie stellte mich vor ein großes Dilemma und bereitete mir einige Kopfschmerzen. Wie konnten diese scheinbar so gegensätzlichen Erkenntnisse zusammengeführt werden? Die Lösung war die ganze Zeit vor meinen Augen und beinhaltet etwas, was die feministische Mädchenarbeit schon lange macht: die Mädchen dort abholen, wo sie stehen, um ihnen dann neue Perspektiven zu eröffnen. So beinhaltet die Antwort auf die dritte Frage eine Gratwanderung zwischen den mädchenspezifischen Zugangsweisen und der Erweiterung ihres Handlungsspektrums im Sinne der feministischen Mädchenarbeit. Es braucht also beides. Um das Ziel der feministischen Mädchenarbeit zu erreichen, braucht es einerseits die herausgearbeiteten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen, andererseits braucht es, um das Interesse der Mädchen zu gewinnen, auch die Spielgegebenheiten, in denen sich ihre Interessen und Vorlieben wider spiegeln. Die Auswertung der Interviews hat bewiesen, dass sie in ihrem Spielverhalten den geschlechtsstereotypen Kategorien entsprechen, aber sie hat auch gezeigt, dass die Mädchen sich darin an ihren bekannten, traditionellen Mustern orientieren und kaum Neues oder Alternativen gerade in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse ausprobierten. Folglich entsprachen sie wieder dem weiblichen „Doing Gender“ und geschlechtsstereotypen Rollenbilder wurden verstärkt anstatt aufgeweicht. Daher sollten die in der Theorie festgestellten Prinzipien von Computerspielen miteinbezogen werden, um dadurch dem Ziel der Geschlechterdekonstruktion näher zu kommen. Außerdem können Mädchen durch Computerspiele motiviert werden, sich selbst einzubringen, um sich als Handlungsermächtigte zu erleben, die Vielfalt der Mädchenlebenswelten kennen zu lernen und sich mit anderen normativen Kategorien neben Geschlecht und ihrer Position darin auseinander zu setzen. Den Ergebnissen dieser Arbeit zufolge geht es bei der Gestaltung von Computerspielen für Mädchen letztlich auch darum, überhaupt ein „gutes“ Computerspiel zu gestal- 88 ten. So sollte die Frage nicht, wie Graner Ray sie stellte: „But what if the player is female?“166 lauten, sondern: „How can a computer game be gender inclusive?“ 14.4 Handlungsempfehlungen 14.4.1 Für die feministisch Mädchenarbeit Es wurde sowohl in der Theorie als auch in der Empirie festgestellt, dass die Mädchen beim Computerspielen von einer Fachfrau begleitet werden sollten, die das Erlebte mit ihnen reflektiert und in Kontext zu ihren eigenen Lebenswelten setzt. Es wurde gezeigt, dass der geeignete Ort dafür ein „Girls-only-Raum“ ist, wie ihn die feministische Mädchenarbeit bzw. das Mädchenzentrum Amazone zur Verfügung stellt. Hier können sie sich frei von Geschlechternormen bewegen und ein aktives, an Handeln und Interaktionen orientiertes, techniknahes, weibliches Selbstkonzept erleben. Also sollte sich die feministischen Mädchenarbeit mit dieser Thematik auseinandersetzen und Konzepte dafür erarbeiten, um auch hierzu einen „social supportive context for gaming“167 zu kreieren, wie auch Hayes es fordert. Dies bedeutet einerseits, dass sich die Fachfrauen selbst bezüglich der Computerspiele informieren und bilden sollten, um die eigenen Hemmschwellen abzubauen, um die Mädchen begleiten und ihnen ein Vorbild sein zu können und um selber einen Beitrag zur Veränderung des männlichen Technikimages zu leisten. Da ich im Zuge der Recherche genau einen Beitrag aus der feministischen Mädchenarbeit zur Thematik Mädchen und Computerspiele fand, ist auch hier aktives Handeln seitens der Fachfrauen gefragt und ich hoffe, mit dieser Arbeit einen Anstoß dafür zu geben. Dies könnte in Form von Konzepten, Projekten, Workshops oder Fachtagungen erfolgen. So können Fachfrauen ihr Wissen an andere weitergeben und eher die Aufmerksamkeit der Computerspielindustrie gewinnen. 166 167 Graner Ray 2004, 183 Hayes 2005, 14 89 14.4.2 Für die Computerspielindustrie Wie diese Arbeit gezeigt hat, ist es an der Zeit, Spiele zu entwickeln, die Mädchen ansprechen, ohne dabei Geschlechtsstereotype zu reproduzieren. Computerspiele sollten nicht von einem homogenen, universellem Mädchenbild auszugehen sondern die Vielfalt von Mädchenlebenswelten anerkennen und dementsprechend in der Gestaltung Platz dafür schaffen. Das Computerspiel „Die Sims 2“ ist ein Anfang hierzu, ist aber auch noch verbesserungswürdig. Um dem Ziel der Dekonstruktion der feministischen Mädchenarbeit näher zu kommen, sollten Computerspiele nicht nur Möglichkeiten bieten, sich damit auseinanderzusetzen, sondern auch motivieren, andere Lebenskonzepte, jenseits traditioneller Normierungen, auszuprobieren. Die in dieser Arbeit gewonnenen Prinzipien und Fragestellungen zur Gestaltung von Computerspielen bieten eine Basis dafür. Und die Mädchenarbeit ist sicher offen, um diesbezüglich gemeinsam Lösungen zu finden. Letztendlich sollten auch mehr Frauen für die Tätigkeit in der Computerspielindustrie begeistert werden. Wie dargelegt, werden Computerspiele hauptsächlich von Männern für Männer entwickelt. Werden daran auch Frauen beteiligt, erhöht sich das Potential, dass deren Sichtweisen miteinfließen. Dies ermöglicht eher eine Auseinandersetzung zwischen Computerspielen und Geschlecht und einer Neugestaltung von Geschlechterverhältnissen durch Technologien. 14.4.3 Für die Forschung Anhand der Darstellung der Girl Game Bewegung wurde ersichtlich, dass die Forschung nicht nach Unterschieden sondern vielmehr nach Gemeinsamkeiten suchen und von Generalisierungen absehen sollte, um Computerspiele entwickeln zu können, die Mädchen begeistern. 90 Anhang 14.5 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Familienerstellungs-Modus...................................................................53 Abbildung 2: Live-Modus ...........................................................................................53 Abbildung 3: Teilnehmende Beobachtung.................................................................59 14.6 Abkürzungsverzeichnis BMWFJ Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend bzw. beziehungsweise ca. circa d. h. das heißt et al. et alii (Maskulinum), et aliae (Femininum) oder et alia (Neutrum) etc. et cetera IKT Informations- und Kommunikationstechnologien m. E. meines Erachtens vgl. vergleiche z. B. zum Beispiel 14.7 Interviewleitfäden 14.7.1 Interviewleitfaden Mädchen Einstieg: • Wie lange spielst du schon „Die Sims 2“? • Wie oft und wie lange spielst du „Die Sims 2“? • Wie bist du zum Spiel „Die Sims 2“ gekommen? • Warum gefällt dir das Spiel „Die Sims 2“? Was gefällt dir gut, was nicht so gut? Warum? Stereotypisierung Inhalt: 91 • Spielhandlung und Charakterentwicklung o Was ist dir beim Erstellen der Figuren wichtig? o Welche Lebensziele wählst du für deine Sims? Warum? o Findest du die Lebensziele im Spiel auch im wirklichen Leben als erstrebenswert? o Was würdest du dir für Lebensziele im Spiel wünschen? • Spielerin spielt Hauptcharakter, durch Selbstidentifikation oder durch die Macht Entscheidungen zu treffen o Integrierst du dich selber ins Leben deiner Sims? Wenn ja, wie? o Gibt es Dinge im Spiel, die du im realen Leben erlebt hast, die du in „Die Sims 2“ nachspielst? o Probierst du im Spiel auch mal aus jemand anderer zu sein? o Findest du, dass das Spiel dir genug Gestaltungsfreiheit lässt in Bezug auf die Figuren aber auch im Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten? o Gefällt es dir, das Leben der Sims zu bestimmen? Warum? • Starke weibliche Charaktere, die Entscheidungen treffen und handeln o Wie gefällt dir die Darstellung der weiblichen Sims im Spiel? Was gefällt dir, was nicht? Warum? o Glaubst du, dass es Frauen sind, die alles tun können, was sie wollen? o Glaubst du, dass die Frauen in „Die Sims 2“ gleichberechtigt sind? • Kein Konflikt Gut vs. Böse o Gibt es „böse“ und „gute“ Sims im Spiel? Wenn ja, welche? Was macht sie zu „bösen“ bzw. „guten“ Sims? o Hast du schon mal Konflikte im Spiel „”Die Sims 2”“ erlebt? Wenn ja, welche? o Wie löst du Konfliktsituationen mit anderen Sims? • Kein Wettkampf o Wann ist das Spiel erfolgreich für dich? Wann bist du mit dem Spielverlauf zufrieden? Warum? 92 o Welche Herausforderung gibt es im Spiel? o In vielen Computerspielen gibt es Wettkämpfe, z. B. gegen die Zeit, gegen andere Figuren,... In „Die Sims 2“ gibt es das nicht. Findest du das gut oder schlecht? Warum? Was würdest du dir wünschen? • Actionreiche aber gewaltfreie Handlung o Hast du bzw. deine Sims schon mal Gewalt erlebet? Wenn ja, beschreibe die Situation. o Findest du das gut oder schlecht? Warum? • Reale Schauplätze o Wie gefallen dir die Umgebung, die Häuser und Einrichtungsgegenstände im Spiel? Was ist gut, was schlecht? Warum? o Findest du es wichtig, dass die Häuser, ihre Einrichtungsgegenstände und die Umgebungswelt von „Die Sims 2“ real wirken, oder würdest du lieber in einer Fantasiewelt spielen? Warum? • Soziale Beziehungen o Wie wichtig sind dir die Beziehungen/Freundschaften zu anderen Simsfiguren? • Pädagogisch wertvoll, nicht bloße Unterhaltung o Wie findest du die Regeln des Spiels? o Würdest du sie ändern wollen? Wenn ja, warum? o Siehst du irgendwelche Gefahren oder Risiken in diesem Spiel? o Kannst du etwas von diesem Spiel lernen? Was? • Mädchenspezifisches Spielverhalten wird reflektiert o Bietet der Spielinhalt Anknüpfungspunkte an deine Freizeitinteressen, Hobbies, Tagträume, Wunschvorstellungen oder Fantasien? Wenn ja, welche? Wie? Stereotypisierung Design: • Mit anderen zusammenspielen, online oder an einem Computer 93 o Würdest du gerne mit anderen gleichzeitig spielen oder spielst du lieber alleine? Warum? • Online-Kommunikation mit anderen während des Spiels o Würdest du gerne während des Spiels mit anderen Spielenden, die ebenfalls gerade spielen, chatten? Warum? • Qualitativ hochwertige Grafik und multimediale Komponenten o Bist du mit der Grafik des Spiels zufrieden? Warum? o Ist eine gute Grafik wichtig für dich? Warum? o Bindest du auch andere „mulitmedialen Komponenten“ z.B. Musik, Videoclips ins Spiel ein? o Entwirfst du selber Dinge für das Spiel, z. B. Möbel, Kleidung, Frisuren, etc.? Warum? Abschluss: o Wenn du “Die Sims 2” nach deinen Wünschen programmieren könntest, was würdest du ändern oder besser machen? o Vermisst du etwas in diesem Spiel? o Gibt es noch etwas, dass du gerne noch über das Spiel sagen würdest? 14.7.2 Interviewleitfaden Expertin 1. Wie war Ihr erster Kontakt mit Computerspielen? Um welches Spiel hat es sich dabei gehandelt? 2. Was hat Sie dazu bewogen Computerspiele in der Mädchenarbeit einzusetzen? 3. Wie kann feministische Mädchenarbeit Computerspiele in ihre Arbeit einbauen? Auf was muss dabei geachtet werden? Wie sind Ihre Erfahrungen im Mädchenzentrum Osnabrück dazu? 4. Untersuchungsgegenstand meiner Arbeit „Mädchen und Computerspiele – das Spannungsverhältnis mädchenspezifischer Zugänge und die Festschrei- 94 bung geschlechtsstereotyper Festschreibungen“ ist das Computerspiel „Die Sims 2“. Welches Potential hat „Die Sims 2“ Ihrer Meinung nach in der Mädchenarbeit? 5. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Computerspiel „Die Sims 2“ in Ihrer Arbeit mit den Mädchen gemacht? Welche Empfehlungen würden Sie diesbezüglich dem Mädchenzentrum Amazone weitergeben? Das Thema „Mädchen und Computerspiele“ wurde in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem beliebten Untersuchungsgegenstand der wissenschaftlichen Forschung. So liegen heute zahlreiche Studien zu geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen in Bezug auf Computerspiele vor. Denise E. Agosto hat diese Ergebnisse in zwei Listen von Rahmenempfehlungen zusammengefasst, die sich auf allgemein weibliche Werte und Interessen stützen: Was den Inhalt von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele • die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden. • in denen eine fortlaufende Handlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können. • die keinen Wettkampf zum Hauptinhalt haben. • die reale Schauplätze verwenden. • in denen starke, weibliche Charaktere vorkommen, welche Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen. • die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Möglichkeit, Entscheidungen selbst zu treffen. • in denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. • die einen gewissen pädagogischen Wert haben, im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert. • die actionreich, aber gewaltfrei sind. • die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln. Was die Gestaltung von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele • mit qualitativ hochwertiger Grafik und multimedialen Komponenten. • die es ermöglichen, mit anderen zusammen zu spielen, entweder online oder gemeinsam an einem Computer. 95 • die eine Online-Kommunikation mit anderen Spielern auch während des Spiels ermöglichen. 6. Inwiefern bestätigen oder widerlegen ihre Erfahrungen mit Computerspielen in der Arbeit mit Mädchen die einzelnen Aussagen? 7. In meiner Arbeit untersuche ich, ob und wie inwiefern diese Aussagen auf das Computerspiel „Dies Sims 2“ zutreffen. Wie sehen Sie diese Aussagen auf Basis ihren Erfahrungen, die Sie mit diesem Spiel in der Mädchenarbeit machen konnten? 8. Was würden Sie am Computerspiel „Die Sims 2“ verbessern oder verändern? Bzw. was fehlt Ihnen in diesem Computerspiel? 9. Was sollte ihrer Meinung nach ein Computerspiel beinhalten (inhaltlich, didaktisch, gestalterisch), um Mädchen einerseits anzusprechen aber andererseits geschlechtsstereotype Festschreibungen aufzubrechen? 10. Wollen Sie sonst noch etwas zu diesem Forschungsfeld bemerken, das vielleicht in meinen Fragen noch nicht direkt berührt wurde? 14.8 Bibliographie 14.8.1 Literaturverzeichnis Angerer, Marie-Luise/Dorer, Johanna (1994): Auf dem Weg zu einer feministischen Kommunikations- und Medientheorie. In Angerer, Marie-Luise/Dorer, Johanna (Hg.innen): Gender und Medien: theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation. Ein Textbuch zur Einführung. Studienbücher zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Band 9, Braumüller, Wien, 8-23. Baacke, Dieter (1997): Medienpädagogik. Niemeyer-Verlag, Tübingen. Bitzan, Mari/Daigler, Claudia (2001): Eigensinn und Einmischung. Einführung in Grundlagen und Perspektiven parteilicher Mädchenarbeit. Geschlechterforschung, Juventa Verlag, Weinheim, München. 96 BMWFJ – Bundesministerium fur Wirtschaft, Familie und Jugend (Hg.) (2009): Medien und Technologien. Schriften zur Jugendpolitik. Broschüre, Wien. Brunner, Cornelia/Bennett, Dorothy/Honey, Margaret (1998): Girls GAmes and Technological Desire. In Cassell, Justine/Jenkins, Henry (Hg.): From Barbie to Mortal Kombat. Gender and Computer Games. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London, 72-88. Butler, Judith (2004): Undoing Gender. Routledge, New York. Cassell, Justine/Jenkins, Henry (Hg.) (1998): From Barbie to Mortal Kombat. Gender and Computer Games. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London. de Castell, Suzanne/Bryson, Mary (1998): Retooling Play: Dystopia, Dysphoria, and Difference. In Cassell, Justine/Jenkins, Henry (Hg.): From Barbie to Mortal Kombat. Gender and Computer Games. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London, 232-261. Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Weinbach, Heike (2009): Lehrbuch Gender und Queer. Grundlagen, Methoden und Praxisfelder. Studienmodule Soziale Arbeit. Juventa Verlag, Weinheim, München. Deuber-Mankowsky, Astrid (2007): Das virutelle Geschlecht. Gender und Computerspiele, eine diskursanalytische Annäherung. In Holtorf, Christian/Pias, Claus (Hg.): Escape! Computerspiele als Kulturtechnik. Schriften des Deutschen HygieneMuseums Dresden, Band 6, Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien, 85-104. Dorer, Johanna (2002): Diskurs, Medien und Identität. Neue Perspektiven in der feministischen Kommunikations- und Medienwissenschaft. In Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte (Hg.innen): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 53-78. 97 Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte (2002): Feminismus – Kommunikationswissenschaft – feministische Kommunikationswissenschaft. In Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte (Hg.innen): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 9-20. Eble, Karin/Schumacher, Irene (2005): media@girls. Medienprojekte für Mädchen. kopaed, München. Eckes, Thomas (2010): Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Becker, Ruth/ Kortendiek, Beate (Hg.innen): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. Erweiterte und durchgesehene Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 178-189. Ernst, Waltraud (2002): Zur Vielfältigkeit von Geschlecht. Überlegungen zum Geschlechterbegriff in der feministischen Medienforschung. In Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte (Hg.innen): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 33-78. Fullerton, Tracy/Fron, Janine/Pearce, Celia/Morie, Jacki (2008): Getting Girls into the Game: Toward a „Virtous Cycle“. In Kafai, Yasmin B./Heeter, Carrie/Denner, Jill/Sun, Jennifer Y. (Hg.innen): Beyond Barbie and Mortal Kombat. New Perspectives on Gender and Gaming. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London, England, 161-176. Gläser, Jochen/Laudel, Grit (2004): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Graner Ray, Sheri (2004): Gender Inclusive Game Design. Expanding the Market. Charles River Media, Inc. Hingham. 98 Hanappie-Egger, Edeltraud (2007): Computer Games: Playing Gender, Reflecting on Gender. In Zorn, Isabel/Maass, Susanne/Rommes, Els/Schirmer, Carola/Schelhowe, Heidi (Hg.innen): Gender Designs IT. Construction and Deconstruction of Information Society Technology. Studien Interdisziplinäre Geschlechterforschung Band 13, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 149-159. Haraway, Donna (1995): Ein Manifest für Cyborgs: Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In Donna Haraway (Hg.in): Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen. Campus Verlag, Frankfurt a. Main, New York, Erstausgabe 1984, 33-72. Hopf, Christel (2008): Qualitative Interviews – ein Überblick. In Flick, Uwe/von Kardorff, Ernst/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg. 349-360. Huizinga, Johan (2004): Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 19. Auflage, Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg, Erstausgabe 1938. Kafai, Yasmin B./Heeter, Carrie/Denner, Jill/Sun, Jennifer Y. (Hg.innen) (2008): Beyond Barbie and Mortal Kombat. New Perspectives on Gender and Gaming. The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London. Klaus, Elisabeth (2005): Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung: Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Medien- und Geschlechterforschung Band 7, aktualisierte und korrigierte Neuauflage, Lit Verlag, Wien. Knoll, Bente/Ratzer, Britgitte (2010): Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften. facultas.wuv Universitätsverlag, Wien. Köhler, Esther (2008): Computerspiele und Gewalt. Eine psychologische Entwarnung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. 99 Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Beltz Verlag, Weinheim, Basel, 4., vollständige überarbeitete Auflage, Erstausgabe 1998. Lippe, Barbara (2007): Japan: Games for, by and about Girls. In Zauchner, Sabine/Siebenhandl, Karin/Wagner, Michael (Hg.): Gender in E-Learning and Educational Games. A Reader. Studien Verlag, Innsbruck, 223-240. Mädchenzentrum Amazone (2010): Leitbild Mädchenzentrum Amazone. Mädchenzentrum Amazone: Multimedia-Girls. Projektbeschreibung. Meßmer, Ruth/Schmitz, Sigrid (2007): Gender Studies and Computer Science in an E-Learning Course. In Zorn, Isabel/Maass, Susanne/Rommes, Els/Schirmer, Carola/Schelhowe, Heidi (Hg.innen): Gender Designs IT. Construction and Deconstruction of Information Society Technology. Studien Interdisziplinäre Geschlechterforschung Band 13, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 135-147. Plant, Sadie (1998): Nullen + Einsen: Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien. Berlin Verlag, Berlin, Erstausgabe 1997. Rosenstingl, Herbert (2007): Lara Croft, Zigeuner und die SingStars. Über Stereotype in Computerspielen. In Sir Peter Ustinov Institut (Hrsg.): Vorurteile in der Kindheit. Ursachen und Gegenstrategien. Braumüller. Schulz-Zander, Renate (2005): Nutzung Neuer Medien, Interesse und computerbezogene Selbstkonzepte von Mädchen und Jungen. In Eble, Karin/Schumacher, Irene (Hg.innen): Mädchen mit Medien aktiv. Medienarbeit in der außerschulischen Bildung. kopaed, München, 13-23. Wahl, Klaus/Honig, Michael-Sebastian/Gravenhorst, Lerke (1982): Wissenschaftlichkeit und Interessen. Zur Herstellung subjektivitätsorientierte Sozialforschung. Suhrkamp, Frankfurt am Main. 100 Zapf, Holger (2009): Computerspiele als Massenmedien. Simulation, Interaktivität und Unterhaltung aus medientheoretischer Perspektive. In Bevc, Tobias/Zapf, Holger (Hg.): Wie wir spielen, was wir werden. Computerspiele in unserer Gesellschaft. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 11-25. Zimmermann, Peter (2006): Grundwissen Sozialisation. Einführung zur Sozialisation im Kindes- und Jugendalter. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Erstausgabe 2000. 14.8.2 Quellenverzeichnis Agosto, Denise E. (2003): Girls and Gaming: A Summary of the Research with Implications for Practice. http://girlstech.douglass.rutgers.edu/PDF/GirlsAndGaming.pdf, 31.01.2010. Bryce, Joe/Jason, Rutter (2002): Killing Like a Girl: Gendered Gaming and Girl Gamers Visibility. http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.97.9334&rep=rep1&type=p df, 10.01.2010. Cassell, Justine: Genderizing HCI. http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.7.6937&rep=rep1&type=pd f, 22.05.2010. Children Now (2001): Fair Play: Violence, Gender and Race in Video Games. 2001. http://www.childrennow.org/uploads/documents/fair_play_2001.pdf, 26.03.2010. Fragdolls: About us. http://www.fragdolls.co.uk/index.php/about/faq, 28.06.2010. Fritz, Jürgen (2008): Game-Gendering. Was Mädls mögen und Jungen schätzen. http://www.medienconcret.de/mc2008/gamegendering.htm, 02.03.2010. Freynan (2008): BBC Interview mit Sims “Chefin”. http://www.sims-3.net/bbc- 101 interview-mit-sims-chefin/, 12.07.2010. Galloway, Lindsey (2007): Lagging Behind: The Girls Games Movement and the Future of Gender in Games. http://cerise.theirisnetwork.org/archives/27, 01.07.2010. Gongolsky, Mario (2003): Spiegel Online: Spiele für Frauen – Shoppen und Chatten statt Schießen. http://www.spiegel.de/neztwelt/web/0,1518,247542,99.html, 06.01. 2009. Hayes, Elisabeth (2005): Women, Video Gaming, & Learning: Beyond Stereotypes. http://lkisselburgh.com/files/Library/COM590Rajan/week%207/Women,%20video%20 gaming%20and%20learning%20Beyond%20stereotypes.pdf, 31.01.2010. Holzleithner, Elisabeth (2009): Europäische Rechts- und Politiksysteme im Vergleich. Vorlesung im Rahmen des Lehrgangs, 24.9.2010. Institut für Jugendkulturforschung (2007): Tabellenband zur Jugendstudie 2007. http://bupp.at/uploads/media/Tabellen_elf_18_2007_Computerspiele.pdf, 26.02.2010. Kellersohn, Ralf (2004): Little Computerpeople. http://www.reticon.de/reporte/littlecomputerpeople_31--1.html, 12.07.2010. Kerner, Ina (2007): Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht. Perspektiven für einen neuen Feminismus. http://web.fu-berlin.de/gpo/ina_kerner.htm, 28.12.2009 Kirk, Susanne (2008): Knobeln, Bauen, Ballern – Computerspiele in der Mädchenarbeit. http://www.jugendschutz-niedersachsen.de/HauptsacheAction/media/Text_Kirk.pdf, 11.01.2010. Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V. – Institut für Medienpädagogik und Medientechnik (Hrsg.) (2006): Medienpädagogische Praxis. Computerspieleund Jugendarbeit. http://www.lokal-global.de/uploads/media/computerspiele_02.pdf, 02.05.2010. 102 MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2005): JIMStudie 2005 – Jugend, Information, (Multi-)Media. http://www.mpfs.de/index.php?id=44, 26.02.2010. MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2008): KIMStudie 2008 – Kinder + Medien, Computer + Internet. http://www.mpfs.de/index.php?id=133, 26.02.2010. MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2009): JIMStudie 2009 – Jugend, Information, (Multi-)Media. http://www.mpfs.de/index.php?id=161, 26.02.2010. Netzer, Baie (1996): Computerspiele für Mädchen: Barbie digital. http://www.zeit.de/1996/29/girls.txt.19960712.xml, 29.06.2010. Rauw, Regina (2004): Dekonstruktion in der Mädchenarbeit. Eine Herausforderung für Pädagoginnen. In Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg e.V., (Hrsg.): Forum für Kinder- und Jugendarbeit. http://www.reginarauw.eu/Dozentin/PDF/Dekonstruktion.pdf, 02.05.2010. Schmidt, Nici/Stottmeister, Christine/Siegmann, Viola (2009): Das Computerspiel Die Sims 2 – eine virtuelle Welt mit Chancen und Risiken für jugendliche Spieler. Projektarbeit, Hochschule Mannheim – Fakultät für Sozialwesen, 07.03.2010. Wallner, Claudia (2003): Mädchenarbeit im Wandel sozialer Arbeit. http://www.claudia-wallner.de/pdf/ma-e/maedchenarbeit_geschichte.pdf, 06.12.2009. West, Candace/Zimmerman, Don H. (2008): Doing Gender. http://www.soc.washington.edu/users/brines/doinggender.pdf, 27.10.2010. Wright, Kathryn (1999): Girl Games: Help or Hinderance? http://www.womengamers.com/articles/editorials/girl-games-help-or-hinderance/1/, 11.01.2010.