Girl Games oder Game Grrrls? - Die Wiener Volkshochschulen

Transcrição

Girl Games oder Game Grrrls? - Die Wiener Volkshochschulen
Masterlehrgang
Internationale Genderforschung und feministische Politik
Lehrgang universitären Charakters
Jänner 2009 bis Dezember 2010
MASTER – THESIS
Girl Games oder Game Grrrls?
Gestaltungsprinzipien von Computerspielen aus Sicht der
feministischen Mädchenarbeit und am Beispiel von „Die Sims 2“
Mag.a (FH) Olivia Mair
Erstbegutachtung: Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Christine Wächter
Zweitbegutachtung: Prof.in Dr.in Ursula Kubes-Hofmann
Abgabetermin: 29. Oktober 2010
Rosa - Mayreder - College
Die Wiener Volkshochschulen GmbH
Mit Respekt vor der, die ich einmal war,
mit Stolz auf die, die ich heute bin,
mit Vorfreude auf die, die ich einmal sein werde.
1
1
2
3 Code of Honour
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
______________________________________
Ort, Datum und Unterschrift
2
4
5
6 Danke!
Ich bedanke mich herzlich bei Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Christine Wächter für die Betreuung und Geduld bei der Verfassung meiner Masterthesis, die ich trotz geografischer
Entfernung und gesundheitlicher Probleme beiderseits als unterstützend und immer
wieder ermutigend empfand.
Ich bedanke mich auch herzlich bei den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone,
mich an eurem Wissen und an eurer Begeisterung für „Die Sims“ teilhaben zu lassen
sowie bei meinen Kolleginnen, die immer ein offenes Ohr für mich hatten.
Ich bedanke mich außerdem herzlich bei Monika Valentin für die Unterstützung meiner empirischen Forschungsarbeit und für die anspornenden und aufmunternden
Gespräche.
Mein Dank gebührt auch Hemma Geizenauer für die zahlreichen amüsanten und inspirierenden Videotelefonate und die verwöhnenden Beherbergungen.
Ein herzliches Dankeschön außerdem an Doris Küng und Johanna Mair für die Korrekturen und den Feinschliff dieser Arbeit.
Und last but not least bedanke ich mich bei meiner Familie, meinen Freundinnen und
Freunden und allen, die mich unterstützt und an mich geglaubt haben in dieser
schwierigen und doch wertvollen Zeit.
3
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung und Forschungsmotivation ....................................................................6
2
Forschungsfragen..................................................................................................7
3
Aufbau und Ziel......................................................................................................9
4
Arbeits- und Forschungskontext ..........................................................................11
4.1
Soziale Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht ............................11
4.2
Feministische Mädchenarbeit im Mädchenzentrum Amazone ......................12
4.2.1 Entwicklung feministischer Mädchenarbeit .............................................12
4.2.2 Neue Herausforderungen feministischer Mädchenarbeit ........................13
4.2.2.1 Dekonstruktion .................................................................................14
4.2.2.2 Intersektionalität ...............................................................................16
4.2.3 Feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone............18
4.2.4 Feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums Amazone ......19
4.2.5 Computerspiele in der feministischen Mädchenarbeit.............................21
4.2.6 Zusammenfassung und Fazit..................................................................22
4.3
Feministische Medientheorie.........................................................................22
4.3.1 Sozialisations- und kultivierungstheoretische Ansätze............................23
4.3.2 Dekonstruktivistische Ansätze ................................................................24
4.3.3 Zusammenfassung und Fazit..................................................................26
4.4
Geschlecht und Technologie .........................................................................27
4.4.1 Drei Fragen zu Geschlecht und Technologie..........................................27
4.4.2 Cyberfeministische Dekonstruktionsansätze ..........................................32
5
Mädchen und Computerspiele .............................................................................34
5.1
Faszination Computerspiele..........................................................................34
5.2
Zahlen und Studien über Geschlechtsunterschiede in der Computernutzung
und beim Computerspielen ....................................................................................36
5.3
Girl Game Bewegung ....................................................................................40
5.4
Game Grrrls...................................................................................................45
5.5
Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele ...........47
5.5.1 Definition von geschlechterstereotypen Rollenzuschreibungen..............47
5.5.2 Die häufigsten Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen
und Computerspiele...............................................................................48
4
6
7
Das Computerspiel „Die Sims 2“..........................................................................49
6.1
Begründung der Auswahl und des „Anwendungswertes“ als Einzelfall .........49
6.2
Spielbeschreibung.........................................................................................51
6.3
Zielgruppe .....................................................................................................56
Empirische Forschungsarbeit ..............................................................................56
7.1
Methoden und Vorgehensweise....................................................................56
7.1.1 Auswahl der teilnehmenden Mädchen....................................................57
7.1.2 Teilnehmende Beobachtung ...................................................................58
7.1.3 Fokussiertes Interview ............................................................................59
7.1.4 Expertinneninterview...............................................................................61
7.2
Auswertung der Interviews und Beobachtung ...............................................62
7.2.1 Mädchen bevorzugen Spiele, in denen eine fortlaufende Spielhandlung
passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können.....................62
7.2.2 Mädchen bevorzugen Spiele, die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur
zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Macht,
Entscheidungen selbst zu treffen............................................................66
7.2.3 Mädchen bevorzugen Spiele mit starken, weiblichen Charakteren,
die Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen................................69
7.2.4 Mädchen bevorzugen Spiele, die den Konflikt zwischen Gut und
Böse meiden...........................................................................................71
7.2.5 Mädchen bevorzugen Spiele, die Wettkampf nicht als Hauptinhalt
haben......................................................................................................74
7.2.6 Mädchen bevorzugen Spiele, die actionreich aber gewaltfrei sind..........75
7.2.7 Mädchen bevorzugen Spiele, bei denen menschliche Beziehungen
im Mittelpunkt stehen..............................................................................77
7.2.8 Mädchen bevorzugen Computerspiele, die reale Schauplätze
verwenden. .............................................................................................77
7.2.9 Mädchen bevorzugen Spiele mit einem gewissen pädagogischen Wert
im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert.........................78
7.2.10 Mädchen bevorzugen Spiele, die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln. .......................................................................80
7.2.11 Bevorzugungen der Mädchen die Gestaltung von Computerspielen
betreffend..............................................................................................81
5
7.2.12 Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und
Gestaltungsfreiheit nicht einschränken. ................................................81
8
Beantwortung der Forschungsfragen und Handlungsempfehlungen ...................82
8.1
Forschungsfrage 1 ........................................................................................83
8.2
Forschungsfrage 2 ........................................................................................85
8.3
Forschungsfrage 3 ........................................................................................87
8.4
Handlungsempfehlungen ..............................................................................88
8.4.1 Für die feministisch Mädchenarbeit ........................................................88
8.4.2 Für die Computerspielindustrie ...............................................................89
8.4.3 Für die Forschung...................................................................................89
8.5
Abbildungsverzeichnis...................................................................................90
8.6
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................90
8.7
Interviewleitfäden ..........................................................................................90
8.7.1 Interviewleitfaden Mädchen ....................................................................90
8.7.2 Interviewleitfaden Expertin......................................................................93
8.8
Bibliographie .................................................................................................95
8.8.1 Literaturverzeichnis.................................................................................95
8.8.2 Quellenverzeichnis ...............................................................................100
6
7 Einleitung und Forschungsmotivation
Als Medienpädagogin ist es mir ein wichtiges Anliegen, Mädchen für Computerspiele
zu begeistern – vor allem aus zwei Gründen: Erstens sind Computerspiele ein Kulturgut. D. h., Computerspiele sind Teil von Mädchenlebenswelten und prägen unsere
westliche Kultur wesentlich mit. Ein eindrückliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Computerspielheldin Lara Croft. Zweitens: Menschen, die in ihrer Jugend
Computerspiele gespielt haben, wählen eher ein Studium im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)1. Die IKT-Branche und als Teil davon
auch die Computerspielindustrie sind nach wie vor männlich dominiert. Der starke
Gender-Bias in diesem Bereich stammt daher, dass Computerspiele vorwiegend von
männlichen Spielern gespielt werden, vorwiegend von Männern entwickelt werden
und dass zum Main Feature (Hauptmerkmal) der Gestaltung und des Inhalts von
Computerspielen Geschlechtsstereotypisierungen2 zählen.
Begeistern sich mehr Mädchen für Computerspiele und entscheiden sich mehr Mädchen für eine Ausbildung im IKT-Bereich, dann gestalten früher oder später auch
mehr Frauen die Computerspielindustrie und die IKT-Branche mit. Dies wäre aus
feministischer Sicht wünschenswert, weil Berufe in diesem Sektor zukunftsträchtig
sind, das Einkommen im Vergleich zu frauendominierten Berufen höher ist und die
Wahrscheinlichkeit, den oben beschriebenen Gender-Bias des IKT-Sektors zu
durchbrechen, steigt3.
Als Medienpädagogin des feministischen Mädchenzentrums Amazone ist es mir daher auch ein Anliegen, die in der Mädchenarbeit Tätigen für Computerspiele zu begeistern. Ebenfalls aus den oben genannten Motiven: Lebenswelten von Mädchen
werden durch Computerspiele geprägt. Um auf alle Bedürfnisse der Mädchen eingehen zu können und Mädchen dazu zu bemächtigen, dieses Kulturgut mitzugestalten,
sollte die feministische Mädchenarbeit den Themenbereich Computerspiele miteinbeziehen. Der Einsatz von Computerspielen in Mädchenzentren ermöglicht beispielsweise sozial schwächeren Mädchen einen Zugang zu diesen und eine feministisch reflektierte Begleitung von Mädchen, die Computerspiele spielen, fördert ihren
kritischen Umgang mit diesen. Computerspiele haben durch ihren spielerischen Zu1
Vgl. Hayes 2005, 2
Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150
3
Vgl. Fullerton/Fron/Pearce/Morie 2008, 161-176
2
7
gang ein hohes Potential feministische Inhalte der Mädchenarbeit den Mädchen zu
vermitteln – und mehr noch diese für sie erlebbar zu machen.
All diese aufgezählten Argumente tragen dazu bei, Geschlechtsstereotype in Bezug
auf Mädchen im Allgemeinen und Mädchen und Computerspiele im Besonderen abzubauen. Dies ist für mich die Motivation und stellt zugleich auch den wichtigsten
Grund dar, in dieser Masterthesis geschlechtsstereotype Annahmen über Mädchen
und Computerspiele zu untersuchen. Denn erst, wenn die Grenzen in den Köpfen
abgebaut werden, kann sich gesellschaftlich etwas ändern.
Grenzen in den Köpfen abzubauen – genau dazu hat mich das Studium am RosaMayreder-College ermutigt und neue Wege aufgezeigt. Ich habe wertvolle neue Impulse für meine Thesis bekommen, die auch meine Arbeit im Mädchenzentrum Amazone inspirierten. Die Dinge kritisch zu prüfen und nichts als (natur)gegeben hinnehmen, habe ich während dieser Zeit gelernt. So hat mich die Frage von Dr.in Ursula
Kubes-Hofmann, die wissenschaftliche Leiterin des Rosa-Mayreder-College und des
Masterlehrgangs „Internationale Genderforschung und feministische Politk“ beständig
begleitet und wird es auch in Zukunft tun: „Wer sagt was in welchem Kontext?“
8 Forschungsfragen
Computerspiele waren und sind immer wieder Gegenstand westlicher feministischer
Diskussionen, nicht zuletzt weil viele Kinder durch sie erstmals mit dem Computer in
Kontakt kommen. „Spiele sind der Zugang zur Welt der Computer“4, so Sandra Calvert, Professorin an der Georgetown Universität und Leiterin des Projektes „Children
in Media“. Die Gestaltung des Zugangs habe erhebliche Auswirkungen auf die weitere Interessensentwicklung und den beruflichen Werdegang. So gesehen fällt Computerspielen, die von Mädchen positiv angenommen werden, eine wesentliche soziologische Rolle zu.5 Spiele sind also wichtiger Bestandteil im Sozialisierungsprozess
von Kindern und Jugendlichen und spielen daher auch eine wesentliche Rolle bei der
Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität.6 Nach der kulturanthropologischen Spieltheo4
Calvert zit. in Gongolsky 2003
Vgl. Calvert in Gongolsky 2003
6
Vgl. de Castell/Bryson 1998, 232-261
5
8
rie von Johan Huizinga sind Spiele sogar die Vorraussetzung für die Entwicklung von
Kultur.7
Die entstehende Computerspielindustrie in den 80er Jahren hat sich klar an der Zielgruppe männlicher Jugendlicher orientiert. Seitdem hat sich im Hinblick auf die Einbeziehung von Mädchen vieles verändert und die Computerspielindustrie hat Mädchen als neue interessante Zielgruppe längst entdeckt. Jedoch beschäftigen sich
Mädchen nach wie vor weniger mit dem Computer und spielen weniger mit Computerspielen als die Jungen.8 Daher wurden in den letzten Jahren beträchtliche Gelder
in Untersuchungen über das spezifische Interesse von Mädchen an Computerspielen
gesteckt und es wurden verstärkt sogenannte mädchenspezifische Computerspiele
produziert, die speziell auf die Spielgewohnheiten von Mädchen eingehen sollen.
Diesen Zugang kritisieren Justine Cassell und Henry Jenkins in ihrem Buch „From
Barbie to Mortal Kombat Gender and Computer Games“, eines der ersten, das sich
mit diesem Feld mit feministischem Blick auf die Geschlechterperspektive auseinander gesetzt hat: „Feminism, on the other hand, has been historically committed to
transforming rather than simply responding to existing gender roles.“ 9 Sie bekräftigen
ihren Standpunkt mit der Aussage von Sherry Turkle, Professorin für Wissenschaft,
Technologie and Gesellschaft am Massachusetts Institute of Technology: „If you
market to girls and boys according to just the old stereotypes and dont try to create a
computer culture thats really more inclusive for everyone, youre going to just reinforce the old stereotypes.“10
Als Medienpädagogin im Mädchenzentrum Amazone habe ich Einblicke in die Spielund Nutzungsgewohnheiten von Computerspielen der Mädchen. Dabei ist auffällig,
dass es sich tatsächlich um sogenannte mädchenspezifische Vorlieben handelt, wie
sie in problemlösenden, kooperativen und vor allem sozial gefärbten Spielen vorkommen. Es scheint, als würden die geschlechtsstereotypen Annahmen der Forschung bzw. deren Umsetzung durch die Computerspielindustrie auf die Mädchen
zutreffen.
7
Vgl. Huizinga 2004
Vgl. Köhler 2008, 62
9
Cassell/Jenkins 1998, 18
10
Turkle zit. in Cassell/Jenkins 1998, 18
8
9
Daher stellen sich für mich folgende drei Forschungsfragen:
1. Wie sollten Computerspiele gestaltet sein, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen
zu (re-)produzieren?11
2. Treffen geschlechtsstereotype Annahmen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zu?
3. Wie sollten Computerspiele gestaltet werden, um das Interesse der Mädchen
zu wecken und die feministische Mädchenarbeit dabei zu unterstützen, ihre
Anliegen und Ziele an die Mädchen zu vermitteln?
Diese Forschungsfragen werde ich anhand des Computersimulationsspiels „Die Sims
2“ untersuchen. Dieses Spiel wurde deshalb ausgewählt, weil es einen hohen Bekanntheitsgrad bei der Zielgruppe – den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone –
hat, weil es diverser Studien zufolge beliebt bei beiden, Mädchen und Jungen, ist und
es sich bei diesem Spiel um eine Simulation des Alltags handelt, die es Mädchen
ermöglicht, verschiedene Verhaltensweisen auszuprobieren, genauso wie es ihnen
die Mädchenarbeit ermöglicht.
9 Aufbau und Ziel
Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wird zu Beginn in Kapitel 10 der
Arbeits- und Forschungskontext dieser Arbeit dargelegt. Abschnitt 10.1 definiert zunächst die Schlüsselbegriffe dieser Arbeit „soziale Konstruktion und Dekonstruktion
von Geschlecht“. Abschnitt 10.2 behandelt den ersten theoretischen Hintergrund, die
feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone. Hier werden die Entwicklung der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone, ihre
neuen Herausforderungen, ihr neues Leitbild und ihre daraus resultierende feministische Medienpädagogik dargestellt. Das Leitbild des Mädchenzentrums Amazone
bildet zugleich die feministische Sichtweise dieser Untersuchung und das leitende
Ziel bezüglich der Gestaltung von Computerspielen. Die zweite theoretische Grund11
Das Dilemma dieser Fragen stellt eine besondere Herausforderung dieser Arbeit dar. Wie kann eine
Ungleichheit, die anhand der (dualen) Geschlechterkategorien offensichtlich wird, thematisiert und
problematisiert werden, ohne gleichzeitig zur (Re-)Produktion dieser Kategorien beizutragen?
10
lage basiert auf zwei Strömungen der feministischen Medientheorie, die in Abschnitt
10.3 erörtert werden. Die dritte theoretische Grundlage, die soziale Konstruktion von
Technik, wird in Abschnitt 10.4 anhand von drei Fragestellungen diskutiert und durch
die Darstellung zweier Vertreterinnen des Cyberfeminismus genauer betrachtet.
Im nächsten Schritt wird in Kapitel 11 die Thematik „Mädchen und Computerspiele“
im Hinblick auf die Motivation Computerspiele zu spielen, statistische Zahlen und
Daten sowie auf die Entwicklung geschlechtsstereotyper Rollenzuschreibungen genauer beleuchtet. Einleitend skizziert Abschnitt 11.1, was die Faszination von Computerspielen für Jugendliche ausmacht und wie diese Faszination genutzt werden
kann, um dem Ziel, geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu dekonstruieren,
näher zu kommen. Abschnitt 11.2 verdeutlicht anhand von statistischen Zahlen die
Geschlechterunterschiede in der Nutzung von Computern und Computerspielen.
Darauf folgt die Darstellung der Girl Game Bewegung in Unterkaptitel 11.3, die anhand des Einbezugs von geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen versuchte,
Mädchen stärker in die Nutzung von Computerspielen einzubinden. Aus den in dieser
Bewegung entstandenen, ersten mädchenspezifischen Computerspielen werden die
wichtigsten kurz präsentiert. Demgegenüber werden in Abschnitt 11.4 die Game
Grrrls kurz erläutert. Was nun tatsächlich geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen bezüglich Mädchen und Computerspiele sind, definiert und fasst Abschnitt 11.5
zusammen.
Kapitel 12 gibt anhand der Auswahlbegründung, der Spiel- und der Zielgruppenbeschreibung genauere Einblicke in das Computerspiel „Die Sims 2“.
Für die abschließende Annäherung, wie Computerspiele gestaltet sein sollten, um
geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype
Rollenzuschreibungen zu (re-)produzieren, werden in Kapitel 13 die gewählten
qualitativen Forschungsmethoden begründet, ausgewertet und interpretiert.
Im Schlussteil werden in Kapitel 14 die drei Forschungsfragen beantwortet und die
wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit nochmals festgehalten sowie Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Diese Masterthesis soll einen Beitrag zur Computerspielforschung in Bezug auf geschlechtssensible Gestaltung aus der Sicht der bis dato sich kaum dazu äußernden
feministischen Mädchenarbeit leisten, sowie die, in der feministischen Mädchenarbeit
Tätigen dazu motivieren, sich mit dieser Thematik intensiver auseinanderzusetzen.
11
10 Arbeits- und Forschungskontext
10.1
Soziale Konstruktion und Dekonstruktion von Ge-
schlecht
Die Auseinandersetzung mit geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen im Hinblick
auf Mädchen und Computerspiele bedarf einer genaueren Betrachtung, wie Geschlecht in unserer Gesellschaft konstruiert wird.
Im Rahmen der frühkindlichen Entwicklung ist die Zuordnung zum eigenen Geschlecht ein wesentlicher Aspekt der Identitätsbildung. Dabei werden die Attribute,
die sich mit einer Geschlechterrolle verknüpfen, anhand sozialer Erfahrungen gelernt.
Im Umgang mit den Eltern, Geschwistern, Freundinnen, Freunden und vor dem Hintergrund individueller Unterschiede und Vielfältigkeiten entwickeln Mädchen und
Jungen ihre Geschlechtsidentität und gestalten so das Verhältnis der Geschlechter
mit.12
Diese Annahme impliziert bereits, Geschlecht nicht als etwas Naturgegebenes (sex)
und Festgelegtes zu verstehen, sondern als ein soziales Konstrukt (gender). Mit der
Konstruktion von Geschlecht geht auch die Konstruktion von bestimmten normativen
Geschlechterrollen, Rollenbildern, Verhaltensweisen, etc. von Frauen und Männern
einher. Theorien bezeichnen diese alltäglichen Prozesse als „Doing Gender“, d. h.
Geschlecht wird in Interaktionen immer wieder neu hergestellt und validiert und bildet
somit einen Prozess ständiger Anpassung und Veränderung.13 Geschlecht ist also
nicht festgelegt sondern variabel und veränderbar und infolgedessen auch das Verhältnis der Geschlechter. Basierend auf diesen Ansätzen richtet sich die feministische Kritik folglich gegen die manifestierten Geschlechterdichotomien und für die
Auflösung von Geschlechterstereotypen, die sich auf biologische und essentialistische Begründungen für weibliche und männliche Fähigkeiten, Einstellungen, Motivationen, etc. stützen.14 Erst wenn wir uns dieser Konstruktion(en) und Tradierungen
bewusst sind, können wir dem „Doing Gender“ entgegenwirken. Dieses Entgegenwirken mit dem Ziel, Geschlecht als normative Kategorie zu dekonstruieren, beinhaltet geschlechtesstereotype Auffassungen zu verschieben, zu transformieren und an-
12
Vgl. Zimmermann 2006, 176-206
Vgl. West/Zimmerman 2008
14
Vgl. Meßmer/Schmitz 2007, 135
13
12
dere normative Kategorien sichtbar zu machen.15 Judith Butler nennt diesen Prozess
„Undoing Gender“.16 Und genau in diesem Spannungsverhältnis von „Doing“ und
„Undoing Gender“ befindet sich diese Masterthesis: Einerseits wird nach den geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen von Mädchen in Bezug auf Computerspiele
geforscht und andererseits wird über dieses Bewusstwerden und Sichtbarmachen
der Existenz geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen versucht, sie zu überwinden.
10.2
Feministische Mädchenarbeit im Mädchenzentrum
Amazone
Im folgenden Abschnitt erläutere ich die Entwicklung der Mädchenarbeit und ihre
neuen Herausforderungen im Kontext neuer theoretischer Ansätze sowie das daraus
resultierende Leitbild des Mädchenzentrums Amazone und ihr Verständnis einer feministischen Medienpädagogik. Dadurch werden die feministische Sichtweise dieser
Arbeit und das leitende Ziel bezüglich der Gestaltung von Computerspielen definiert
und wichtige Erfahrungen für die Analyse und die Gestaltung von Computerspielen in
der feministischen Mädchenarbeit ausgehend von den Erfahrungen des Mädchenzentrums Amazone erläutert.
10.2.1 Entwicklung feministischer Mädchenarbeit
Beeinflusst von Analysen der Frauenbewegung zur gesellschaftlichen Situation entwickelten deutsche Sozialarbeiterinnen in den frühen 70er Jahren das Konzept der
feministischen Mädchenarbeit, das auf radikal feministischen17 Ansichten basiert.
Ausgehend von der biologisch bedingten Geschlechterdifferenz sowie der Universalität und Unveränderbarkeit des Patriarchats fordert der „Radikal Feminismus“ die
Schaffung autonomer weiblicher Lebensräume. Weibliche Erfahrungen bildeten (und
bilden) die Basis für weibliche Perspektiven, Normen und Werte.18 Durch die Reflexi-
15
Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 22
Vgl. Butler 2004
17
Der „Radikal Feminismus“ ist wiederum eine Strömung des Differenzfeminismus. Die Differenztheorie hält an der Zweigeschlechtlichkeit fest. Weiblich zugewiesene Merkmale und Handlungsfelder werden von den Differenzfeministinnen als gesellschaftlich zweitrangig und unterbewertet analysiert. Die
Differenztheorie sieht die Abschaffung dieser Diskriminierungen nicht in der Gleichberechtigung, sondern in der Gleichwertung der Geschlechter (vgl. Kerner 2007, 8f).
18
Vgl. Angerer/Dorer 1994, 17f
16
13
on ihrer eigenen Arbeitserfahrungen, vor allem in Institutionen der Offenen Jugendarbeit, erkannten die Sozialarbeiterinnen, dass die patriarchalen Gesellschaftsverhältnisse auch in den Strukturen der Sozialarbeit vorhanden sind und auch hier zu
bekämpfen seien.19 Der Spruch „Jugendarbeit ist Jungenarbeit.“ fasst diese Erfahrungen prägnant zusammen und beschreibt die Kritik der Pädagoginnen an der Offenen Arbeit in Jugendzentren, -treffs, Freizeitheimen etc.20 Eigene Räume für Mädchen, geschlechtshomogene Angebote, ausschließlich weibliche Mitarbeiterinnen
und die Abschaffung des Patriarchats waren und sind bis heute die Forderungen der
feministischen Mädchenarbeit.21 Eine Initiative von mehreren Frauen und Mädchen
setzte 1998 diese Forderungen mit der Gründung des Mädchenzentrums Amazone
in Bregenz um.
Die Voraussetzungen für die Mädchenarbeit haben sich seit damals verändert. Sowohl neue theoretische Ansätze als auch veränderte Einflüsse auf die Lebenswelten
der Mädchen stellen die feministische Mädchenarbeit von heute vor neue Herausforderungen. Um eine zeitgemäße und bedürfnisorientierte Mädchenarbeit zu gewährleisten, muss sie sich mit diesen neuen Theorien auseinandersetzen, sich dazu positionieren und diese bei der Entwicklung neuer Konzepte und Angebote integrieren.
Im nächsten Abschnitt werden die relevantesten neuen inhaltlichen22 Herausforderungen der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone festgehalten. Aus ihnen ergeben sich wichtige Prinzipien für eine zeitgemäße feministische Mädchenarbeit, die bedeutend für die Gestaltung von Computerspielen sind.
10.2.2 Neue Herausforderungen feministischer Mädchenarbeit
Die wesentlichen neuen Herausforderungen der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone im Kontext von Mädchen und Computerspielen liegen in den zwei
Theorieansätzen Dekonstruktion und Intersektionalität. Wichtig erscheint mir hier zu
erwähnen, dass diese Theorieansätze zwar schon vor der Gründung des Mädchenzentrums Amazone entstanden sind, aber erst in den letzten Jahren im Rahmen der
feministischen Mädchenarbeit diskutiert wurden und Einzug in ihre Konzepte fanden
– daher die Bezeichnung „neue“ Herausforderungen.
19
Vgl. Wallner 2006, 80-82
Vgl. Wallner 2006, 70
21
Wallner 2006, 80-82
22
in Abgrenzung zu neuen strukturellen Herausforderungen, wie etwa das Gender Mainstreaming
20
14
10.2.2.1Dekonstruktion
Dekonstruktion und Mädchenarbeit – auf den ersten Blick scheint es, als bestünde
hier ein Widerspruch: Fokussiert doch Dekonstruktion einerseits die soziale Konstruktion von Geschlecht und kritisiert infolgedessen die Orientierung an eindeutigen
geschlechtlichen Identitäten, während Mädchenarbeit andererseits ihre Zielgruppe
über das Geschlecht definiert und Geschlecht somit zur maßgeblichen Kategorie der
jeweils eigenen Identität wird. Die Frage der Verbindung von Dekonstruktion und
Mädchenarbeit und ihren unterschiedlichen Zugängen zur Kategorie Geschlecht stellt
sich auch Regina Rauw, Dozentin für geschlechtsbezogene Bildung, auf die sie in
ihrem Fachartikel „Dekonstruktion in der Mädchenarbeit – eine Herausforderung von
Pädagoginnen“ 23 Antworten gibt.
Dekonstruktivistische Theorieansätze wurzeln in der französischen Philosophie24 und
erforschen die Entstehung von gesellschaftlichen Phänomenen wie Macht, Identität,
Hierarchie, Kultur etc. Basierend auf den Begriffen „dekonstruktiv“ und „konstruktiv“
nach Jaques Derrida konstatiert Rauw, dass gesellschaftliche Gegebenheiten unser
Leben formen würden (= konstruktiv), diese aber nicht aus sich selbst heraus existieren bzw. wahr wären, sondern, dass sie veränderbar wären (= dekonstruktiv). Auf die
Geschlechterfrage bezogen formuliert sie daraus die Kernaussage „Die Kultur der
Zweigeschlechtlichkeit gestaltet unser gesellschaftliches Leben, beruht aber nicht auf
einer objektiven Wahrheit und existentiellen Wahrhaftigkeit von Geschlecht und ist
folglich veränderbar bzw. grundsätzlich veränderbar.“25 Die Autorin hebt weiters hervor, „dass die dekonstruktiven Ansätze nicht die Existenz von Geschlecht als gesellschaftliches Phänomen bestreiten.“26 Diese philosophische Betrachtungsweise gilt es
also in das Konzept der feministischen Mädchenarbeit zu integrieren. D. h., die eingangs gestellte Frage sollte folgendermaßen umformuliert werden: „Wie muss Mädchenarbeit geschaffen sein, um dekonstruktivistisch zu agieren?“
Anhand einiger zentraler Thesen der dekonstruktivistischen Theorie gibt Rauw Antworten und veranschaulicht, wie eine solche Mädchenarbeit in der Praxis ausschau-
23
Vgl. Rauw 2004, 1-10
Vgl. Bitzan/Daigler 2001, 209
25
Rauw 2004, 2
26
Rauw 2004, 2
24
15
en könnte.27 Die zwei für diese Arbeit relevantesten Thesen und die laut Rauw daraus resultierenden Herausforderungen für die Mädchenarbeit werden im Folgenden
beschrieben:
These 1: Geschlecht ist ein Konstrukt, d. h. der Begriff „Mädchen“ hat keine
essentielle Bedeutung
These 1 stellt die Mädchenarbeit bzw. ihre umsetzenden Fachfrauen vor die Herausforderung, sich der eigenen Konstruktionen von Geschlecht bewusst zu werden. Dies
beinhalte, laut Rauw, sowohl die Konstruktion von „Mädchen-Sein“ als auch die Konstruktion von „Weiblichkeit“ zu erkennen. Dieses Bewusst-Werden mache es erst
möglich, das gleichzeitig verbindende und ausschließende „Wir Frauen“ bzw. „Wir
Mädchen“ überwinden zu können. Denn Mädchenarbeit im dekonstruktivistischen
Sinne dürfe nicht von einem einzigen Mädchenbild und den damit einhergehenden
Stereotypisierungen wie z. B. des braven, angepassten oder des aufmüpfig widerspenstigen Mädchens ausgehen, sondern müsse die Entfaltung der Vielfalt (diversity)
der Mädchen bzw. des „Mädchen-Seins“ unterstützen. Die Partizipation von Mädchen bei der Gestaltung von Mädchenarbeit sei somit unabdingbar für eine Mädchenarbeit der Dekonstruktion, da anstatt der Konstruktion des „Mädchen-Seins“
(also der Annahme, was Mädchen mögen), die Interessen der Mädchen zum Ausgangspunkt werden würden. Die Vielfalt sowie die Partizipation werde gerade im geschlechtshomogenen Setting gefördert, da hier erstens weniger Automatismen funktionieren, die Mädchen und Jungen auf ein binäres Schema reduzieren und zweitens
die Vorstellung von Homogenität hier eher zu enthüllen sei, da in homogenen Gruppen die Unterschiede und Differenzen zwischen Mädchen eher sichtbar werden würden.28
These 2: Geschlecht wird diskursiv hergestellt („Doing Gender“), d. h.
Mädchen „tun“ Geschlecht
Ihr eigenes Verhalten nicht als Ausdruck einer wesensmäßigen Prägung zu sehen,
sondern als Inszenierung ihres eigenen Selbst im Verhältnis zu den jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Auffassungen von Weiblichkeit, bilde eine weitere
27
28
Vgl. Rauw 2004, 2-8
Vgl. Rauw 2004, 2-4
16
Herausforderung für eine dekonstruktivistische Mädchenarbeit bzw. für die umsetzenden Fachfrauen. Auch hier stehe wieder die Selbstreflexion im Vordergrund, die
z. B. in Form von Rollenspielen oder Verkleidungsaktionen stattfinden könne. Darüber hinaus würde der Inszenierungscharakter von Geschlecht und die Vielfalt von
Weiblichkeitskonzepten versteh- und erlebbar gemacht werden. Dabei dürfe kein
Weiblichkeitskonzept besser bewertet werden als andere, sondern Ziel sei es, die
Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe den Mädchen aufzuzeigen und ihnen ihre Wahlmöglichkeiten näher zu bringen. Dadurch würden Mädchen erfahren, dass „Mädchen-Sein“ mit ihnen nicht einfach „passiere“, sondern sie dies als handelnde Akteurinnen selber mitbestimmen können. Selbstbestimmung als subjektive Bewertungsund Entscheidungskompetenz wiederum baue infolgedessen die Bedeutung von
Konstruktion weiter ab.29
Wenn, wie in diesen zwei Thesen dargelegt, die Mädchenarbeit dekonstruktivistische
Ansätze integriert und umsetzt, wird – trotz der konzeptionellen Berufung auf die Kategorie Geschlecht – Geschlecht weder stereotypisiert noch festgeschrieben und dazu beigetragen, Geschlecht als normative Kategorie zu dekonstruieren. Folgende
zentrale Prinzipien können aus dieser Darlegung gezogen werden: die Anerkennung
und Stärkung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten, Partizipation, Selbstreflexion
und Selbstbestimmung. Um dekonstruktivistischen Ansprüchen gerecht werden zu
können, sollten also diese Prinzipien bei der Gestaltung von Computerspielen integriert werden und den Mädchen beim Spielen die Möglichkeiten dazu gegeben werden.
10.2.2.2Intersektionalität
Die Lebenslagen von Mädchen sind vielfältig, die gesellschaftlichen Stereotypisierungen, was ein Mädchen „ist“ bzw. ausmacht hingegen weniger. Theoretische Konzepte (wie z. B. die Dekonstruktion) zeigen jedoch analog zu den Erkenntnissen in
der Mädchen- und Frauenforschung, dass nicht von einer homogenen Gruppe der
Mädchen ausgegangen und Geschlecht als Analysekategorie nicht isoliert betrachtet
werden kann.
29
Vgl. Rauw 2004, 4
17
In diesem Zusammenhang setzt sich zunehmend der Begriff Intersektionalität (intersectionality) durch. Er entstammt aus den politischen und wissenschaftlichen Kritiken
des „Black Feminism“ der USA an den von weißen Mittelschichtsfrauen entwickelten
Theorien zu Feminismus und Gender, in denen sie ihre eigenen Lebenslagen nicht
berücksichtigt sahen.30 Die amerikanische Juristin Kimberle Crenshaw führte ihn in
die wissenschaftlich-analytische Ebene ein und versteht unter Intersektionalität die
Verwobenheit und das Zusammenwirken der zentralen Kategorien der Ungleichheit
und Unterdrückung. Die aktuelle Diskussion bezieht sich hauptsächlich auf die Trias
Hautfarbe (race), Klasse (class) und Geschlecht (gender).31
In der feministischen Mädchenarbeit reichen diese Kategorien nicht aus, um auf die
Bedürfnisse der beschriebenen Mädchenlagen gerecht eingehen zu können, wie das
eingangs beschriebene Beispiel von unterschiedlichen Mädchenlebenslagen zeigt.
Außerdem stellt sich auch die Frage, ob diese Selektion gerechtfertigt ist. Um auf alle
Bedürfnisse der Mädchen eingehen zu können, werden diese Kategorien in der Arbeit des Mädchenzentrums Amazone erweitert durch Kategorien wie Alter, Religion,
Sprache, sexuelle Orientierung, kulturelle Herkunft, Behinderung/Nicht-Behinderung,
etc. Für die Mädchenarbeit bzw. ihre umsetzenden Fachfrauen entsteht dadurch die
Herausforderung, sich der eigenen Positionierung und Verstrickung in den Kategorien bewusst zu werden – sowohl aus ihrer Perspektive des Privilegiert-Seins (z. B.
als Weiße, als österreichische Staatsbürgerin, etc.) als auch aus ihrer benachteiligten
Position (z. B. als Frau, als Lesbe, etc.), um dann den Mädchen ihre subjektiven Lebenslagen – ob privilegiert oder benachteiligt – näher bringen zu können.32 D. h., die
Mädchenarbeit sollte die unterschiedlichen Kategorien (Rassismen, Sexismen, etc.)
gemeinsam mit den Mädchen thematisieren und diskutieren, damit die Interessen
und subjektiven Lebenslagen der Mädchen in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden und sie ihre Eingebundenheit darin erkennen können.
Die Intersektionalitätstheorie erwähnt diese Kategorien im negativen Kontext der Diskriminierung. Das Mädchenzentrum Amazone sieht diese Vielfältigkeit aber im positiven Sinne als eine Stärke und reflektiert die „multidimensionale Positionierung“33 der
Mädchen darin anhand dieser Kategorien, sodass die Mädchen ihre Vielfältigkeit als
30
Vgl. Kerner 2007, 9f
Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 54f
32
Vgl. Rauw 2004, 5
33
Holzleithner 2009
31
18
Stärke wahrnehmen. Diese Sensibilisierung trägt zur Entwicklung gegenseitigen Respekts und Toleranz bei mit dem Ziel, stereotype Ansichten gegenüber anderen abzubauen.
Durch die gesellschaftlichen Veränderungen und technischen Innovationen ändern
sich diese Kategorien bzw. kommen ständig neue dazu.34 So könnte beispielsweise
der Zugang zu Computern, Medienkompetenz oder Kenntnisse über Computerspiele
zukünftig neue Kategorien ausmachen. Demzufolge sind immer wieder neue Untersuchungen wichtig, um die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und Veränderungen als Reflexion im Sinne von Intersektionalität in die Mädchenarbeit zu
integrieren und somit eine zeitgemäße feministische Mädchenarbeit zu gewährleisten.35
Auch aus der Darstellung der Intersektionalitätstheorie ergeben sich Prinzipien für die
Gestaltung von Computerspielen. Vorrangig geht es hier ebenfalls um die Anerkennung und Stärkung der Vielfalt der Mädchenlebenswelten. Wie aufgezeigt, kann dies
erreicht werden durch das Bewusst-Werden und die Reflexion der verschiedenen
Kategorien und die Positionierung jedes Mädchens darin.
10.2.3 Feministische Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone
Dieser neuen theoretischen Ansätze und den veränderten und unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen ist sich das Mädchenzentrum Amazone bewusst. In ihrer
Arbeit mit Mädchen flossen diese Veränderungen – mehr oder weniger bewusst –
schon längst mit ein. Um hierzu eine gemeinsame Grundlage für alle Fachfrauen des
Mädchenzentrums zu schaffen und diesen Einbezug aktueller Debatten der feministischen Mädchenarbeit sowie die Positionierung darin auch nach außen hin zu zeigen,
erarbeitete das Mädchenzentrum Amazone in einem von Claudia Wallner moderierten Prozess von März bis Mai 2010 ein neues Leitbild. Dieses Leitbild definiert
zugleich die feministische Sichtweise dieser Arbeit und das leitende Ziel bezüglich
der Gestaltung von Computerspielen. Für die Gestaltung von Computerspielen im
Setting der feministischen Mädchenarbeit definiert das Leitbild außerdem die Haupt-
34
35
Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 59f
Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009, 60
19
ziele36 und zeigt ebenfalls Prinzipien auf, die die Erreichung dieser Ziele unterstützen. Deshalb wird es im Folgenden ausführlich zitiert:
„Das Mädchenzentrum Amazone versteht sich als Angebot der Jugendarbeit mit feministischer Grundhaltung. Das bedeutet, alle Angebote und Projekte verfolgen das Ziel, Mädchen und jungen Frauen zu einem selbstbestimmten Leben in einer geschlechtergerechten Gesellschaft zu verhelfen. Mädchenarbeit, wie sie vom Mädchenzentrum Amazone
angestrebt und umgesetzt wird, wirkt sowohl individuell fördernd als auch gesellschaftsverändernd. Der Ansatz des Mädchenzentrums ist pädagogisch und politisch wirksam
und fordert und fördert Selbstbestimmung für Mädchen und junge Frauen jenseits geschlechtsspezifischer Einschränkungen und Zuschreibungen und einen gleichberechtigten Zugang zu allen gesellschaftlich und individuell relevanten Ressourcen. (...) Langjährige praktische und mühselige Erfahrungen zur Installierung mädcheneigener und
mädchengerechter Räume in geschlechtergemischten Jugendzentren begründeten die
Idee, ein eigenes Jugendzentrum für ‚girls only zu gestalten.
Dem Mädchenzentrum Amazone ist es ein wichtiges Anliegen und Ziel, soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern oder zwischen den Geschlechtern auszutauschen, sondern sie zu dekonstruieren. Geschlechterdemokratie kann nur erreicht werden,
wenn soziale Zuschreibungen an Mädchen und Jungen grundsätzlich aufgelöst werden
zugunsten einer freien Entfaltung von Begabungen und Interessen jedes Menschen jen37
seits geschlechtsspezifischer Zuschreibungen.“
10.2.4 Feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums
Amazone
Medienkompetenz ist mittlerweile eine Schlüsselqualifikation in unserer Gesellschaft.
Studien zufolge sozialisieren sich Jugendliche gerade über Computerspiele zu kompetenten Computernutzerinnen und Computernutzern.38 Um eine Chancengleichheit,
unabhängig von Bildung und Geschlecht, gewährleisten zu können, sollten alle Jugendlichen die Möglichkeit haben, medienkompetent gebildet zu werden.39 Medienkompetenz wird daher zu einem wichtigen Bestandteil der feministischen Mädchenarbeit, da, wie ich in Abschnitt 10.2.1 dargelegt habe, die Offene Jugendarbeit stark
jungenorientiert ist und Einrichtungen der Mädchenarbeit auch Mädchen aus niedrigeren Bildungs- und Sozialschichten den Zugang zu Computerspielen ermöglichen.
Durch die Verknüpfung des Leitbilds des Mädchenzentrums Amazone mit dem Modell der Medienkompetenz nach Dieter Baacke ergibt sich die feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums Amazone.40 Im Gegensatz zu bewährpädagogischen Verboten unterstützt eine feministische Medienpädagogik einen handlungs-
36
Nebenziele sind beispielsweise Mädchen für Computerspiele zu begeistern, dadurch das Interesse
für die technischen Komponenten von Computern zu wecken, einen reflektierten Umgang mit Medien
zu vermitteln etc.
37
Mädchenzentrum Amazone 2010, 1
38
Vgl. Köhler 2008, 200
39
Vgl. Köhler 2008, 204
40
Vgl. Mädchenzentrum Amazone
20
orientierten, aktiven und reflektierten Umgang mit Medien, also auch Computerspielen. Baacke unterteilt die Medienkompetenz in vier Dimensionen41, die ich im Folgenden erkläre und am Beispiel von Computerspielen erläutere:
Medienkritik: Mit dem Medienkonsum, zu dem auch Computerspiele gehören, tauchen Mädchen in ein Spannungsfeld unterschiedlich dargestellter Erwartungen an
ihre gesellschaftlich definierten Rolle(n). Ziel des medienpädagogischen Arbeitens ist
es, im Sinne einer unterstützenden Lebensplanung gemeinsam mit Mädchen medienkritische Blicke auf mediale Inhalte zu werfen und diese zu reflektieren. Computerspiele können diese Prozesse unterstützen, indem sie beispielsweise Mädchen bei
der Darstellung weiblicher Spielfiguren eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, was unterschiedliche Fähigkeiten und Verhaltensweisen genauso wie eine
Vielfältigkeit der optischen Darstellung beinhaltet und sie dazu motivieren, diese auszuprobieren. So reflektieren sie spielerisch Rollenerwartungen und ihr Verständnis
von „Weiblichkeit“ wird erweitert, was die vordefinierten Rollenbilder aufweicht und
ihnen Alternativen aufzeigt.
Medienkunde: Unter der informativen Dimension der Medienkompetenz versteht
man die Vermittlung von Hintergrundwissen. D. h. einerseits den Mädchen das „Anwenden“ von Computerspielen beizubringen und Hemmschwellen bei der Benutzung
abzubauen (Wie installiere ich ein Spiel? Welche Softwarevoraussetzungen braucht
der Computer dafür? Wo bekomme ich Hilfe bei Problemen? etc.) und andererseits
auch den Umgang mit virtuellen Welten und Identitäten zu lehren. Hier ist eine kompetente Begleitung einer Fachfrau gefragt, die den Mädchen auch gleichzeitig als
„Role Model“ (Vorbild) dienen kann.
Mediennutzung: Genauso vielfältig wie die Lebenswelten der Mädchen sind auch
ihre mediale Präferenzen und Aneignungsweisen. Deshalb sollten Computerspiele
eine möglichst breite Palette an Themen und Handlungsmöglichkeiten sowie verschiedene, einfache Aneignungsmöglichkeiten anbieten. Dies gewährleistet ein
Computerspiel, das z. B. durch ein Tutorium sowie explorativ während des Spielens
erlernt werden kann und verschiedene Spielwelten zur Verfügung stellt.
Mediengestaltung: Mit Mediengestaltung ist die aktive Medienarbeit, also selbst
kreativ tätig zu werden, gemeint. Die Mädchenarbeit sollte eine vielseitige Mediengestaltung fördern, um einen lustvollen Zugang zur Technik zu unterstützen und die
41
Vgl. Baacke 1997, 34
21
Mädchen ermächtigen, sich und ihre Interessen medial darstellen zu können. Eine
Möglichkeit, dies in Computerspielen umzusetzen, wäre beispielsweise, indem Mädchen eigene Kleidungsstücke für ihre Spielfiguren oder andere Spielgegenstände in
Bildbearbeitungs- oder 3D-Programmen entwerfen, die dann ins Spiel importiert werden können.
10.2.5 Computerspiele in der feministischen Mädchenarbeit
Über Computerspiele in der Mädchenarbeit gibt es bislang wenig Untersuchungen
und Literatur, da die Mädchenarbeit Computerspiele lange Zeit verschmähte, laut
Susanne Kirk, Leiterin des Mädchenzentrums Café Donauwelle in Osnabrück. Sie
führt dies darauf zurück, dass viele Vorurteile gegen das Spielen am Computer vorherrschten, was vor allem daran läge, dass die Pädagoginnen selbst keine Computerspiele ausprobiert hätten. Der Einsatz von Computern in der Mädchenarbeit wäre
darauf ausgelegt gewesen, die Qualifikationen der Mädchen auszubauen, um den
Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.42 Daher wäre Mädchen ein
lustvoller Zugang zum Medium Computer lange verwährt geblieben.43 Computerspiele sind also eine Möglichkeit, das Medium Computer mit Lust zu besetzten und das
(Technik)Interesse der Mädchen zu wecken. Kirk sieht in der Begleitung der Pädagoginnen der Mädchen beim Computerspielen eine wichtige Rolle. Für die Beziehungsarbeit würden Computerspiele neue Möglichkeiten eröffnen, mit den Mädchen
ins Gespräch zu kommen.44 Dies stimmt mit meinen Erfahrungen im Mädchenzentrum Amazone überein. Inhalte, Figuren und Aktivitäten in Computerspielen ergaben
viele Anknüpfungspunkte für Unterhaltungen sowohl zwischen den Mädchen und mir
als auch zwischen den Mädchen selbst. Sie helfen sich gegenseitig bei Problem mit
dem Spiel und geben sich Tipps, wo sie sich beispielsweise im Internet über ein Spiel
informieren bzw. Hilfestellungen bekommen können. (Dies veranschaulichen auch
die Beobachtungsprotokolle im Anhang.) Gerade Computerspiele geben Mädchen
die Möglichkeit, Verhaltensweisen auszutesten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt
der feministischen Mädchenarbeit, die den Mädchen Experimentierräume, ihre Vielfältigkeit zu erproben, zur Verfügung stellt. Daher haben Computerspiele m. E. ein
großes Potential, die Mädchenarbeit zu unterstützen und ich schließe mich dem fol42
Das ist auch einer der Gründe, der zur Entstehung der Girl Game Bewegung beitrug, die im Abschnitt 6.2. näher erläutert wird.
43
Vgl. Kirk 2008, 1
44
Vgl. Kirk 2008, 5
22
genden Zitat an: „Man muss Computerspiele nicht lieben, aber man muss sie auch
nicht fürchten, man muss mit ihnen umgehen lernen, und dazu muss man sie und ihr
Faszinationspotential kennen lernen.“45
10.2.6 Zusammenfassung und Fazit
In diesem Abschnitt wurden am Beispiel des Mädchenzentrums Amazone die Entwicklung der feministischen Mädchenarbeit bis hin zum aktuellen Leitbild und der
feministischen Medienpädagogik des Mädchenzentrums beschrieben. Die bisherigen
Ziele der feministischen Mädchenarbeit wie eigene Räume für Mädchen, geschlechtshomogene Angebote, weibliche Erfahrungen als Basis für weibliche Perspektiven, Normen und Werte und die Abschaffung des Patriarchats versucht das
Mädchenzentrum Amazone durch die Verfolgung des Hauptziels – „soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern ... sondern sie zu dekonstruieren“46 – zu
erreichen. Die neuen Theorieansätze der Dekonstruktion und Intersektionalität wurden in das Leitbild integriert und die daraus resultierende feministische Medienpädagogik des Mädchenzentrums dargestellt. Durch diese Darlegungen ergeben sich
grundlegende Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen im feministischen
Sinne der feministischen Mädchenarbeit, die hier nochmals zusammenfassend festgehalten werden: Partizipation, Selbstreflexion, Selbstbestimmung, Anerkennung und
Stärkung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten, sowie weitere mögliche Kategorien,
die ihre Positionierung darin bestimmen, aufzeigen und Mädchen motivieren, sich
damit auseinanderzusetzen. Computerspiele haben für die Mädchenarbeit ein großes
Potential. Neben der Beziehungsarbeit unterstützen sie einen lustvollen Zugang zum
Medium Computer, wobei eine fachliche medienpädagogische Begleitung wichtig zur
Förderung dieser Prozesse ist.
10.3
Feministische Medientheorie
Medientheorien habe vor allem ein Ziel: „Zum Nachdenken über die Lage der gegenwärtigen Gesellschaft anregen und durch das Aufstellen von Hypothesen Orien-
45
46
Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz e.V. – Institut für Medienpädagogik und Medientechnik 2006, 3
Mädchenzentrum Amazone 2010, 1
23
tierung ermöglichen.“47 Da Computerspiele eine relativ junge kulturelle Erscheinung
sind, ist der gesellschaftliche Orientierungsbedarf diesbezüglich sehr hoch. Dementsprechend existieren für die Auseinandersetzung mit Computerspielen als Medien
zahlreiche theoretische Perspektiven. Da diese Untersuchung von einer feministischen Sichtweise aus getätigt wird, bezieht sie sich auf Ansätze der feministischen
Medienwissenschaft. Auch die feministische Medienwissenschaft hat unterschiedliche wissenschaftliche Theorieansätze entwickelt. Um den Rahmen dieser Arbeit
nicht zu sprengen, beschränkt sich diese Analyse auf diejenigen, die mit dem Ziel der
Mädchenarbeit, soziale Geschlechtsrollenbilder und die daraus resultierenden Geschlechterverhältnisse zu dekonstruieren, einhergehen.
Laut Marie-Luise Angerer und Brigitte Geiger standen zu Beginn der feministischen
Medienforschung Ansätze der Stereotypenforschung sowie die Sozialisations- und
Kultivierungstheorie im Fokus, so treten in den letzten Jahren zunehmend dekonstruktivistische Ansätze in den Vordergrund48 und es wird die Erweiterung der
bisherigen geschlechterkritischen Analysekategorien wie Hautfarbe (race), Klasse
(class) und Geschlecht (gender) angestrebt.49 Hier zeigen sich deutliche Analogien
zu den in Abschnitt 10.2.2 bereits dargelegten theoretischen Entwicklungen der feministischen Mädchenarbeit und ihren neuen Herausforderungen. Die zwei für diese
Arbeit bedeutendsten feministischen Ansätze der Medientheorie und ihre Bedeutung
bezüglich der Analyse und Gestaltung von Computerspielen werden im Folgenden
beschrieben und wichtige Fragestellungen, wie Computerspiele untersucht werden
sollten, um Prinzipien für ihre Gestaltung im feministischen Sinne zu erhalten, gewonnen.
10.3.1 Sozialisations- und kultivierungstheoretische Ansätze
Sozialisations- und Kultivierungstheorien gehen davon aus, dass Medien in ihrer Sozialisations- und Kultivierungsfunktion weibliches und männliches Rollenverhalten
sowie hierarchische Geschlechterordnungen (re)produzieren und verfestigen.50 „Die
Vermittlung stereotyper Geschlechtsidentität sowie die sozialisierende Wirkung, die
47
Zapf 2009, 12
Vgl. Angerer/Dorer 1994, 18
49
Vgl. Dorer/Geiger 2002, 12
50
Vgl. Angerer/Dorer 1994, 19
48
24
Massenmedien durch ihre Omnipräsenz in einer Gesellschaft ausüben, führen zu
einer Verfestigung verinnerlichter Geschlechtsstereotypen, sodaß [sic] ein Entkommen aus dieser sozialen (patriarchalen) Ordnung nur durch Gegenentwürfe ... möglich ist.“51 Diese Theorien bezogen sich in den feministischen Medienwissenschaften
vor allem auf die Forschung von Print- und Fernsehmedien und deren (Re)Produktion
stereotyper Weiblichkeitsbilder.52 Sie können Holger Zapf zufolge heute auf Computerspiele deshalb angewendet werden, da Computerspiele aus medientheoretischer
Perspektive als film- und fernsehverwandt angesehen werden.53 Die Stereotypenforschung sowie die Sozialisations- und Kultivierungstheorie kritisieren also die Stereotypisierung des geschlechtsspezifischen Rollenbildes durch die Medien sowohl wegen ihrer Wirkung auf das geschlechtsspezifische Verhalten als auch wegen der
Vermittlung eines verzerrten Frauenbilds.54, 55
Daher widmet sich ein Teil dieser Untersuchung dem Frauenbild, das im Spiel wiedergegeben wird und prüft, ob es zu einer „Verzerrung“ beiträgt. Dadurch werden
wichtige Erkenntnisse gewonnen, inwieweit das Computerspiel „Die Sims 2“ weibliche Figuren stereotypisiert, geschlechtsstereotype Auffassungen und Spielverhaltensweisen von Mädchen verfestigt oder ob das Spiel „Gegenentwürfe“ zu diesen
bietet und Möglichkeiten aufzeigt, diese aufzuweichen.
10.3.2 Dekonstruktivistische Ansätze
Eine weitere bedeutende Annäherung an Medien aus der feministischen medientheoretischen Perspektive geben dekonstruktivistische Ansätze.
Dorer zufolge müssen Medien immer im Kontext mit Macht und Machtverhältnissen
gesehen werden, denn sie würden dazu beisteuern, dass bestimmte Diskurse gesellschaftlich als „Wahrheiten“ gelten. Im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse sei dieser Blick deshalb wichtig, weil Medien stereotypes Wissen zu Ge-
51
Angerer/Dorer 1994, 20
Vgl. Angerer/Dorer 1994, 19
53
Zapf 2009, 16
54
Vgl. Angerer/Dorer 1994, 20
55
In Bezug auf die Darstellung von weiblichen Computerspielcharakteren beispielsweise beinhalten
laut der Studie „Fair Play“ der kalifornischen Organisation „Children Now“ fast die Hälfte aller umsatzstarken Konsolenspiele negative weibliche Botschaften. „Children Now“ untersuchte mehrere beliebte
Videospiele und stellte fest, dass darin hauptsächlich mit unrealistischen Körperdarstellungen und
stereotypischer Weiblichkeit, wie provokativer Sexualität oder emotionaler Schwäche geworben wird
(vgl. Children Now 2001).
52
25
schlecht und Geschlechterrollen verfestigen.56 Auch wenn sie teilweise unterschiedliche Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder transportieren, weichen sie die Normierung der Geschlechterdualität und die damit einhergehenden Geschlechtsstereotypisierungen nicht auf, sondern konstruieren sie ein Stück weit mit.57 Dadurch
unterstützen Medien den Prozess des „Doing Gender“, denn medial dargestellte Personen werden nicht nur als Frauen oder Männer wahrgenommen. „Vielmehr wird, im
Sinne des ‚doing gender, Geschlecht im Prozess der Rezeption (...) produziert.“58
Auch Medien (re)produzieren und verdichten Geschlecht und geschlechtsspezifische
Verhaltensweisen durch dargestellte Interaktionen zwischen „Frauen“ und „Männern“.
Wie kann also feministische Medienforschung zur Dekonstruktion von diesen Geschlechtsstereotypisierungen beitragen? Um dies herauszufinden, sollte laut Dorer
die feministische Medienforschung der Frage nachgehen, „welche Normen die medialen Repräsentationen stützen und was in welcher Form als außerhalb der Norm
präsentiert wird, zum anderen, welche Grenzen des Denkbaren gezogen werden,
sodass andere mediale Repräsentationen als undenkbar und als unvorstellbar erscheinen.“59 Es müssen immer auch die Neuformulierungen von Geschlechternormen ermittelt werden, um im dekonstruktivistischen Sinne „Geschlechtergrenzen zu
verschieben bzw. zu verwischen“60, so Dorer weiter. Sie schlägt vor, drei Formen von
Repräsentationsstrategien zu untersuchen: Normierungsstrategien, Ausschließungsstrategien sowie Strategien der Neuartikulation.61
Dies bedeutet, um die geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen von Mädchen anhand des Computerspiels „Die Sims“ zu untersuchen und daraus relevante Prinzipien
für die Gestaltung von Computerspielen zu gewinnen, muss eruiert werden, erstens
inwiefern dieses Spiel die Repräsentation von Geschlecht normiert, zweitens inwiefern Geschlechter ausgeschlossen werden und drittens, ob das Spiel es ermöglicht,
Geschlecht neu zu artikulieren, ob es also Alternativen zu weiblichen und männlichen
Geschlechtervorstellungen bietet. Die Frage nach der Normierung von Geschlecht
(Normierungsstrategien) deckt sich mit der Schlussfolgerung der Sozialisations- und
Kultivierungstheorien des vorherigen Abschnitts, die weibliche Darstellung von Me-
56
Vgl. Dorer 2002, 61f
Vgl. Dorer 2002, 54f
58
Knoll/Ratzer 2010, 132
59
Dorer 2002, 63
60
Dorer 2002, 63
61
Vgl. Dorer 2002. 63
57
26
dien im Hinblick auf geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen (=Normierungen)
zu analysieren. Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, unterstützt das Spiel die
Verfestigung oder die Aufweichung stereotyper Geschlechtervorstellungen und damit
geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen.
Einen anderen Ansatz dem dekonstruktivistischen Anspruch feministischer Medienforschung gerecht zu werden, liefert Waltraud Ernst, indem sie dazu auffordert, die
vielfältigen Bedeutungen von Geschlecht oder die „Multidimensionalität der Kategorie
Geschlecht“62 in feministische Medienanalysen miteinzubeziehen. Darin sieht Ernst
für die feministische Medienforschung die Möglichkeit, die „geschlechtliche Vielfältigkeit“63 darzustellen, anstatt dichotome, heteronormative und stereotype Vorstellungen
von Weiblichkeiten und Männlichkeiten zu reproduzieren.64
Ihre Aufforderung stimmt mit der bereits im Abschnitt 10.2.2 über die feministische
Mädchenarbeit dargelegten Auffassung überein, dass es keine homogene Gruppe
von „Wir Frauen“ bzw. „Wir Mädchen“ gibt, sondern eine Vielfältigkeit von „MädchenSein“ existiert, mit der vielfältige und unterschiedliche Vorstellungen von „Weiblichkeit“ einhergehen. Wenngleich sie hier „nur“ die Kategorie Geschlecht in seine Vielfältigkeit aufsplittert, finden sich bei Ernst m. E. auch Parallelen zur Intersektionaliätstheorie. Verweist nicht zuletzt die Autorin selbst darauf, dass damit „Geschlecht,
Ethnie und Klasse (...) als bedeutende und dennoch veränderliche Prozesse erforscht werden können...“65
Dies schließt m. E. an die Fragen im Rahmen der dritten Repräsentationsstrategie
von Dorer, Geschlecht neu zu artikulieren, an: Wie wird Geschlecht dargstellt? Wird
den Spielenden die Möglichkeit gegeben, ihre je eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel zu integrieren?
10.3.3 Zusammenfassung und Fazit
Im ersten Teil dieses Abschnitts haben spezifische Ansätze der feministischen Medientheorie zum einen gezeigt, dass bei einer Analyse von Medien immer auch die
Darstellung der Frau bzw. von Weiblichkeit kritisch hinterfragt werden sollte, um ge62
Ernst 2002, 34
Ernst 2002, 49
64
Vgl. Ernst 2002, 33
65
Ernst 2002, 43
63
27
schlechtsstereotype Darstellungen sichtbar zu machen und ihnen entgegen wirken
zu können. Zum anderen weisen feministische Medientheoretikerinnen darauf hin,
dass eine Sichtbarmachung und Anerkennung einer vielfältigen Darstellung von Geschlecht in Medien zur Dekonstruktion von homogenen Weiblichkeits- und Männlichkeitsvorstellungen beiträgt. Die Ergebnisse der Auseinandersetzungen mit feministischen Medientheorien lassen sich in den Fragestellungen des zweiten Teils
zusammenfassen:
•
Inwieweit (re)produziert und verfestigt ein Computerspiel geschlechtsstereotype Darstellungen von weiblichen Figuren?
•
Inwiefern normiert dieses Spiel die Repräsentation von Geschlecht?
•
Ermöglicht das Spiel, Geschlecht neu zu artikulieren, indem z. B. Spielende ihre eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel integrieren oder indem Alternativen zu weiblichen und männlichen Geschlechtervorstellungen geboten
werden (=Vielfältigkeit)?
Diese Fragestellungen sind wichtig für eine geschlechtssensible Gestaltung von
Computerspielen im dekonstruktivistischen Sinne.
10.4
Geschlecht und Technologie
Inwiefern Geschlecht in Technologien eingeschrieben wird, behandelt dieser Abschnitt. Es wird aufgezeigt, dass auch die Technologie selbst ein soziales Konstrukt
ist. Soziale Erscheinungen fließen in Technologien mit ein, nicht nur in ihren Produkten wie z. B. Computerspiele, sondern ebenfalls in ihren Techniken und ihr Fachwissen66, die ebenfalls in die Entwicklung von Computerspielen eingebunden sind.
10.4.1 Drei Fragen zu Geschlecht und Technologie
Die Technologie, ihre spezifischen materiellen Formen und ihre Anwendungsbereiche sind immer in gesellschaftliche, kulturelle und die Macht betreffenden Geschlechterverhältnisse eingebunden und geben zugleich Auskunft über die Art und Weise
dieser Verhältnisse.67 „Deshalb sind Entwicklung, Nutzung und Wirkung von Technologien ohne die Berücksichtigung des Geschlechts und der in einer Gesellschaft wir-
66
67
Vgl. Meßmer/Schmitz 2007, 136
Vgl. Klaus 2005, 68
28
kenden Macht- und Dominanzverhältnisse nicht wirklich zu begreifen.“68 so die
Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus. Sie wirft drei Fragen zum Thema
Geschlecht und technologischer Entwicklungen auf69.
Frage 1: Wie bildet sich die Stellung der Geschlechter in der Technologieentwicklung ab?
Zu Frage 1 zeigt Klaus auf, dass technologische Innovationen hauptsächlich im militärischen Kontext entstünden, von dem Frauen zumindest in Entscheidungspositionen weitgehend ausgeschlossen wären.70 Hanappi-Egger verdeutlicht die Einbettung
sozialer Dimensionen in Technologien am Beispiel von Computerwissenschaftlern. In
ihrem Studium müssten diese sich zeitintensiv damit auseinandersetzen, wie soziale
Prozesse modelliert werden können, welche Prozesse es bei der Softwareentwicklung gibt und Programmiersprachen lernen. Dieses Wissen bestimme weitgehend die Art der Annäherung, Beobachtung, Auswahl und Beschreibung sozialer
Szenarien. Darüber hinaus wären sie selbst in soziale Kontexte von Geschlechterverhältnissen
eingegliedert,
wie
beispielsweise
eine
geschlechtsspezifische
Arbeitseinteilung und Rollenerwartung. Dies führe – bewusst oder unbewusst – zu
Geschlechterimplikationen beim Modellieren von sozialen Realitäten bei Computerentwicklungen.71
Im Hinblick auf Computerspiele ist diese Frage deshalb relevant, weil Computerspiele hauptsächlich von Männern entwickelt, hauptsächlich von Männern und Jungen
gespielt werden und Geschlechtsstereotype ein Hauptmerkmal von Computerspielen
sind. Dies verfestigt vorherrschende Geschlechtsstereotypen und führt zu einem weiteren Ausschließungsmechanismus von weiblichen Spielenden bei der und durch die
Entwicklung von Computerspielen. Denn Computerspielfirmen konzentrieren sich auf
das ökonomisch lukrativste Genre von Spielen, den Action- und Adventure-Spielen,
die vor allem bei männlichen Spielenden beliebt sind.72 Am Beispiel von Computerspielen zeigt sich deutlich, dass sie nicht einfach so anziehend auf Jugendliche wirken, sondern zu ihren jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen passen müssen. Da
die Computerspielindustrie sehr viel weniger Spiele mit Themen, Inhalten, Didaktik,
68
Klaus 2005, 68
Vgl. Klaus 2005, 68
70
Vgl. Klaus 2005, 68
71
Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150
72
Vgl. Hanappie-Egger 2005, 150f
69
29
Genres etc. produziert, die Mädchen bevorzugen, tragen sie dazu bei, dass Mädchen
infolgedessen weniger spielen und die Nachfrage nach Computerspielen bei ihnen
geringer ist. Es existiert also ein komplexes Wechselverhältnis.73
Eine Möglichkeit diesem Trend entgegenzuwirken ist, mehr Mädchen und Frauen in
die Entwicklung von Computerspielen mit einzubeziehen, d. h. sie für eine Karriere in
der Computerspielindustrie zu begeistern. Denn dadurch werden ihre Sichtweisen,
Spielverhaltensweisen und Spielpräferenzen in die Gestaltung integriert, die dann
wiederum andere Mädchen für Computerspiele begeistern. Das Interesse und der
kreative Leistungswille von Mädchen für Technik zu wecken, ist der erste und maßgeblichste Schritt für eine Karriere in der Computerspielindustrie.74 Den ersten Kontakt zum Computer haben Kinder meist über Computerspiele75 und sie stellen eine
der Hauptbeschäftigungen von Jugendlichen mit dem Computer dar.76 Daher bilden
sie einen idealen Ausgangspunkt, um Mädchen für eine Ausbildung in der Computerspielindustrie zu gewinnen. So zeigt sich auch hier ein komplexes Wechselverhältnis,
dessen Aufweichung diese Untersuchung zu unterstützen versucht.
Hierfür bietet die Mädchenarbeit mit ihrem geschlechtshomogenen Setting optimale
Voraussetzungen für Mädchen, jenseits von Geschlechternormen Erfahrungen mit
Computerspielen zu machen. Sie werden in ihrem Selbstbewusstsein unterstützt, und
können sich unabhängig von Klischees und Anpassungsdruck damit beschäftigen.
Dadurch kann ihr Interesse und ihre Begeisterung für Computerspiele geweckt werden.
Frage 2: Wie unterscheiden sich die Geschlechter in ihrer Haltung gegenüber
Technologien und ihrer Nutzung?
Klaus konstatiert zu ihrer zweiten Frage, dass unsere Einstellungen gegenüber neuen technologischen Entwicklungen mit kulturellen Geschlechterkonstruktionen verbunden wären, die eine „weibliche“ und eine „männliche“ Auffassung bestimmen
würden. Dies erfolge durch die kulturelle Gegenüberstellung von Männern und Technologien einerseits und Frauen und Natur andererseits und führe zur Diskriminierung
73
Vgl. Köhler 2008, 62
Vgl. Lippe 2007, 225
75
Vgl. Hanappi-Egger 2007, 150; Cassell/Jenkins 1998, 11
76
MPFS 2008, 36
74
30
von Frauen.77 Die gesellschaftliche Auffassung „Technik ist männlich“ trifft ganz besonders auf die Computertechnologien zu, wie Frage 1 verdeutlicht. Technische Fragen zu diskutieren, wäre Bestandteil der männlichen Computerkultur, denn hier könne sich „Männlichkeit“ ohne Auseinandersetzung mit „Weiblichkeit“ erproben, ist auch
Renate Schulz-Zander von der Universität Dortmund der Meinung. Es zeige sich beispielsweise, dass der Bedarf, sich über Thematiken wie Computerspiele, Internet und
Computer allgemein zu unterhalten, bei Jungen sehr viel stärker ausgeprägt sei als
bei Mädchen, so Schulz-Zander weiter. Eine Ausprägung der Geschlechteridentität
erfolge also über die Computerkultur.78 Demnach sind Computerspiele für Jungen m.
E. besonders attraktiv, weil sie dadurch dem „männlichen Doing Gender“ entsprechen und ihre Geschlechtsidentität einerseits dadurch bestätigen und diese andererseits von der Gesellschaft wiederum bestätigt wird.
Umgekehrt verhält es sich mit der Reserviertheit der Mädchen gegenüber Computern
und Computerspielen. Niemand ist überrascht, wenn sich ein Mädchen nicht dafür
interessiert, denn dies entspricht ihren gesellschaftlichen Zuschreibungen im Sinne
des „weiblichen Doing Gender“ und bekräftigt Mädchen in ihrer Haltung. Ein Interesse an Computern könnte Mädchen unterstützen, sich von weiblichen Geschlechtsstereotypen abzugrenzen, ist Klaus der Meinung.79 Demnach würden Mädchen, die
Computerspiele spielen, geschlechtsspezifische Zuschreibungen im dekonstruktivistischen Sinne aufweichen. Somit bieten Computerspiele ein weiteres Argument,
sie in der Mädchenarbeit einzusetzen, um zum Paradigmenwechsel der Auffassung
„Technik ist männlich“ beizutragen und um dem Ziel der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone „soziale Geschlechtsrollenbilder nicht nur zu verändern oder
zwischen den Geschlechtern auszutauschen, sondern sie zu dekonstruieren“80, näher zu kommen.
Frage 3: Wie üben Menschen in ihrer Aneignung von Technologien ihre
geschlechtliche Identität aus?
Technologien würden ihre Wirkung durch die Art und Weise entfalten, wie wir sie in
unseren sozialen Alltag integrieren, resümiert Klaus. In den Auseinandersetzungen
77
Vgl. Klaus 2005, 70f
Vgl. Schulz-Zander 2005, 15
79
Vgl. Klaus 2005, 72
80
Mädchenzentrum Amazone 2010, 1
78
31
mit der Technik würden daher bestehende Machtverhältnisse verfestigt, jedoch auch
hinterfragt und neu gestaltet werden.81 Am Beispiel von unterschiedlichen Zugängen
von Mädchen und Jungen von Frage 1 und 2 wurde veranschaulicht, dass unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen gegenüber Computern auf die Entwicklungsstrukturen von Techniken sowie auf die Geschlechtssozialisation zurückzuführen sind. Esther Köhler zeigt beispielsweise auf,
dass, um ein Problem zu lösen, Mädchen es erst komplett analysieren und strukturieren wollen. Im Gegensatz zu den Jungen, die nach der Methode „Versuch und Irrtum“ vorgehen würden. Dies verschaffe ihnen einen Vorteil bei der Beschäftigung mit
Computerspielen, da die Handlungsmöglichkeiten, der Ablauf und die Komplexität
von Computerspielen meist nicht zu Beginn sondern erst im Verlauf des Spiels deutlich werden würden.82 In dieser Art der Aneignung von Technologien wird die geschlechtliche Identität ausgeübt. Wie dieses Beispiel zeigt, zum Nachteil von Mädchen. Aber nicht weil sie „technikfern“ sind, sondern weil, wie in Frage 1 dargelegt,
Techniken von männlichen Entwicklern für männliche Nutzende produziert werden
und so vergeschlechtlichte Technikstrukturen entstehen. Dies trägt zur Festschreibung geschlechtsstereotyper Einstellungen und Verhaltensweisen bei. Aber wie können diese anhand von neue Technologien bzw. Computerspielen nun hinterfragt und
neu gestaltet werden?
Geschlechtshomogene Angebote, wie sie in der feministischen Mädchenarbeit
durchgeführt werden, setzen hier an. Sie ermöglichen es Mädchen, eine „Auszeit von
der Gender-Ordnung“83 zu nehmen. In geschlechtshomogenen Gruppen zu arbeiten
reduziert die als männlich wahrgenommenen Dimensionen der Technik und eröffnet
den Mädchen neue Zugangsmöglichkeiten und Experimentierräume für die Nutzung
der Computertechnik. Dadurch trägt die Mädchenarbeit dazu bei, die Diskrepanz
zwischen dem „weiblichen“ Selbstkonzept und dem „männlichen“ Technikimage
sichtbar zu machen, dies zu reflektieren und sie aufzuweichen.84
Die Frage nach der Neugestaltung von Geschlechterverhältnissen durch Technologien ist ein zentrales Thema des Cyberfeminismus, der sich mit der Dekonstruktion
81
Vgl. Klaus 2005, 74
Vgl. Köhler 2008, 62f
83
Collmer zit. in Eble/Schumacher 2005, 40
84
Vgl. Eble/Schumacher 2005, 40
82
32
der Geschlechterdualität anhand von Medientechnologien auseinandersetzt und wird
im nächsten Abschnitt erläutert.
10.4.2 Cyberfeministische Dekonstruktionsansätze
Da Computerspiele ein Produkt der Technologie sind, liegen auch ihrer Herstellung
und Nutzung, wie im vorigen Abschnitt erläutert, vergeschlechtlichte Strukturen
zugrunde. Deshalb versucht diese Arbeit Möglichkeiten zu finden, die vergeschlechtlichte Technikkonstruktion von Computerspielen in Annäherung an die Dekonstruktion von Geschlecht aufzudecken und zu dekonstruieren. „The notion of ‚coconstruction of gender and technology does not only imply that they are both fluid
and negotiable, but also that they are constructed with reference and in relation to
each other.“85 Fluidität (fluidity) von Geschlecht und Technologie, wie sie Ruth Meßmer und Sigrid Schmitz von der Universität Freiburg beschreiben, beinhaltet nicht nur
die Aspekte des „Doing Gender“, sondern hat viel mehr das Potential, Geschlechtsstereotype zu durchbrechen und Geschlechterdichotomien aufzuweichen. Um zu veranschaulichen, wie dies funktionieren könnte, werden im Folgenden zwei vieldiskutierte cyberfeministische Annäherungen an die Thematik der Dekonstruktion von Geschlecht und Technologie beschrieben.
Cyberfeminismus ist „der Versuch eine Verbindung von feministischer Kritik und virtuellem Geschlecht, der Affirmation der Potentiale der neuen Technologien und dem
Entwurf einer gesamtgesellschaftlichen Vision eines herrschaftsfreien Zusammenlebens“86, so die Definition von Deuber-Mankowsky. Cyberfeministinnen sehen die
neuen Informations- und Medientechnologien – vor allem die des Computers – als
emanzipatorische Chance, die als natürlich erfahrenen Geschlechtsidentitäten zu
dekonstruieren.87
Eine der ersten, aber dennoch aktuellen Annäherungen zur Fluidität von Geschlecht
und Technologie in Bezug auf neue Medientechniken, liefert die Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway in ihrem „Manifest für Cyborgs“ aus dem Jah-
85
Meßmer/Schmitz 2007, 136
Deuber-Mankowsky 2007, 89
87
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 89-94
86
33
re 1983.88 Haraway versucht darin, das kritische Potential des Feminismus in die
durch Technowissenschaften geformte postmoderne Welt zu übertragen. Darunter
versteht sie sich für eine neue Politik der Teilung, Teilhabe und Mitteilung einzusetzen, die auf die Bedingungen der Technowissenschaft eingeht. Sie beschreibt dies
anhand des symbiotischen Verhältnisses von Technologie und Mensch in Form einer
Cyborg. Ihre feministische Vision fördert die Dekonstruktion von Dichotomien, also
die Auflösung von Natur-Kultur-Binarität sowie der Geschlechterdichotomien innerhalb der Mensch-Technologie-Symbiose. Ihre Cyborg-Allegorie beschreibt die Beziehung dieser Begriffe sehr anschaulich.89 Haraways Cyborg stellt sozusagen eine Vorläuferin des Konzepts der „co-construction“ von Geschlecht und Technologie dar. Ihr
Manifest wurde kontrovers diskutiert und die Metapher der (weiblichen) Cyborg zu
einer weltweit zitierten Figur, die auch Einfluss auf die (alternative) Kultur der Computerspiele hatte.90
Eine weitere bekannte Annäherung zur Thematik Fluidität von Geschlecht und Technologie stammt von der Cyberfeministin Sadie Plant. Ausgehend von einer parallelen
emanzipatorischen Entwicklung von Frau und Computer verbindet sie in ihrem Buch
„Nullen + Einsen: Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien“ von 1998
die beiden Begriffe Informationstechnologie und Feminismus. Sie beschreibt Frauen
als soziale Verkörperungen der Technologie. Aufgrund ihrer spezifischen geschichtlichen Entwicklung seien Frauen „kulturell und psychologisch besser vorbereitet“91 für
die Bedingungen der neuen Technologien, da Frauen seit jeher durch ihre typischen
Aufgaben zu Interaktion und Flexibilität angehalten worden wären, weswegen ihnen
die neuen Technologien wie z. B. Computer entgegenkommen würden. Wird Technologie zur normierenden und bestimmenden Größe, sind Medien nicht mehr Werkzeug
sondern Motor der Emanzipation, dann werden Frauen die idealen Akteurinnen des
Cyberspace. Die herkömmlichen Hierarchien werden dadurch gestürzt, die Ausschließungslogik von Ja-Nein, Mensch-Maschine, Kultur-Natur wird in Frage gestellt
und die Geschlechterverhältnisse dekonstruiert.92
Diese beiden cyberfeministischen Annäherungen zeigen erstens die Wichtigkeit auf,
Geschlechtskonstruktionen durch eine kritische Analyse von Technologien transpa88
Die deutsche Übersetzung entstand erst Mitte der 90er Jahre.
Vgl. Haraway 1995, 33-72; Deuber-Mankowsky 2007, 90
90
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 90
91
Plant 1998, 50;
92
Vgl. Plant 1998
89
34
rent zu machen – wie es diese Arbeit versucht, umzusetzen – und dadurch Geschlechtsstereotype zu dekonstruieren. Zweitens motivieren sie, neue Formen der
Aneignung von Geschlecht zu entwickeln, die Diversität (diversity) anstatt Geschlechterdichotomien ermöglichen. Dies entspricht dem Ziel der feministischen Mädchenarbeit, Geschlechterrollen zu dekonstruieren und bestätigt die dazu bisher gewonnene
Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen im feministischen Sinne. Diese beiden Ansätze zeigen außerdem, dass das Ziel des Cyberfeminismus auch die Aneignung von Technik miteinschließt – in Bezug auf ihre Entstehungsgeschichte und die
Gründe für ihr Funktionieren genauso wie in Bezug auf den Erwerb der technischen
Kompetenzen.93 „Das Ziel ist ‚spielen, um Spielraum zu gewinnen und Spielraum zu
schaffen.“94 Das Medium Computerspiel bietet die idealen Voraussetzungen dafür.
Eine weitere Auseinandersetzung zur Frage, wie Geschlechterverhältnisse anhand
von Technologien – in diesem Kontext von Computerspielen – neu gestaltet werden
können, findet im nächsten Kapitel in Abschnitt 11.3 aus differenzfeministischer Perspektive seitens der Girl Game Bewegung statt.
11 Mädchen und Computerspiele
11.1
Faszination Computerspiele
Bevor spezifischer in die Thematik Mädchen und Computerspiele eingegangen werden kann, ist ein Grundverständnis für die Faszination und Nutzung wesentlich, um
die Rezeption und Wirkung von Computerspielen gerade bei Jugendlichen verstehen
zu können. Dieser Abschnitt skizziert daher, was Computerspiele ausmacht und warum sie Spaß machen.
Nach der Definition von Kulturhistoriker Johan Huizinga ist Spiel an sich „nicht so
gemeint“, beinhaltet Wettkampf und/oder Darstellung und läuft nach strengen Regeln
ab.95 Computerspiele würden es niederschwellig und wiederholbar ermöglichen, unterschiedlichste Abläufe und Handlungen durchzuspielen bzw. auszuprobieren, so
Herbert Rosenstingl, Leiter der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Com-
93
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 92
Deuber-Mankowsky 2007, 92
95
Vgl. Huizinga 2004, 22
94
35
puter- und Konsolenspielen (BuPP).96 „Indem Fiktion und Regeln mit den technischen Möglichkeiten des Mediums Computer zusammenwirken, werden Computerspiele zu weit mehr als interaktiven Erzählungen: Computerspiele sind Simulationen.
Und da sie eben Spiele sind, bereiten sie Vergnügen.“97
Das Unterhaltungserleben ist jedoch sehr komplex und baut auf verschiedenen Aspekten auf. Köhler beschreibt, dass das Interesse an Computerspielen von den Rezipierenden mit ihren Inhalten verbunden sei. Dieser Zusammenhang wird als „strukturelle Koppelung“ bezeichnet. Bei der strukturellen Koppelung wird unterschieden
zwischen der primären Motivation, die sich auf die Verbindung der virtuellen Spielwelt
mit der individuellen Lebenswelt bezieht, und der sekundären Motivation, bei der der
Erwerb von Kontrolle, Macht, Leistung, Kompetenz und Erfolg im Vordergrund steht.
D.h. die Motivation Computerspiele zu spielen besteht primär darin, Anknüpfungspunkte zur je eigenen Lebenswelt wie Persönlichkeitsmerkmale, Lebenssituation,
Hobbys, Interessen, Vorlieben, etc. im Spiel wieder zu finden. Die Spielfiguren und
ihre erfolgreichen oder erfolglosen Handlungen werden mit der eigenen Person und
den eigenen Lebenskontexten gekoppelt. Dabei kann es auch zum Auftauchen eigener Lebenssituationen im Spiel kommen, die hier gefahrlos erlebt und bewältigt werden können.98 Daneben hat sich eine sekundäre Spielmotivation abgezeichnet, die
aus dem Gefühl, ein Spiel kontrollieren zu können, resultiert. Im Gegensatz zum Kontrollverlust der zu Frustration und zur Abwendung vom Spiel führt. 99
Die strukturelle Koppelung finde aber auch bei der Interaktion mit anderen Medien
statt und sei daher nicht der einzige Grund für die faszinierende Wirkung von Computerspielen, so Köhler. Sie fasst die Gründe für die Nutzung von Computerspielen wie
folgt zusammen:
•
Einsteigen in virtuelle Welten ermöglicht es, Probleme zu vergessen und führt
zur Entspannung
•
Erfolg beim Spielen kann zu einer Stimmungsverbesserung führen
•
Fortschritte, das Spiel verstanden zu haben und es kontrollieren zu können,
führen zur Befriedigung und zum Vergnügen
96
Vgl. Rosenstingl 2007, 92
Rosenstingl 2007, 92
98
Vgl. Köhler 2008, 67f
99
Vgl. Köhler 2008, 67-71
97
36
•
Erprobung verschiedener Handlungsabläufe, auch jener, die im realen Leben
unmöglich oder sanktioniert sind100
Auch wenn auf den ersten Blick das Spielen selbst eigentlich nur aus dem Bedienen
einiger Tasten besteht, erklären die zusammengefassten Punkte die Komplexität um
die Faszination von Computerspielen sehr anschaulich. Es gibt noch zahlreiche andere und detailliertere Erläuterungen zum Unterhaltungserleben und der Faszinationskraft von Computerspielen, deren Aufzählung den Rahmen dieser Thesis jedoch
sprengen würde. Von welcher Perspektive Computerspiele aber auch immer analysiert werden, ist es für alle Formen der feministischen Auseinandersetzung bedeutsam, zumindest die Spielfaszination und -motivation anzuerkennen.101 Dies ist vor
allem für die medienpädagogische Begleitung wichtig, um bereits spielende Mädchen
zu verstehen und nicht spielende Mädchen motivieren zu können.
Ein weiterer bedeutender Aspekt für die Mädchenarbeit lässt sich aus diesem Wirkungsmodell ableiten. Demnach besteht zwischen der Nutzung von Computerspielen
und den Mädchenlebenswelten immer ein Zusammenhang. Für die Gestaltung von
Computerspielen aus feministischer Sicht ist es daher wichtig, die Inhalte an ihre Lebenswelt anzupassen und ihnen möglichst viel Handlungsspielraum für verschiedene
Verhaltensweisen zu bieten. In diesem Handlungsspielraum liegt das Potential von
Computerspielen, dem Ziel, soziale Geschlechtsrollenbilder zu dekonstruieren, näher
zu kommen. Denn Computerspiele können durch ihre faszinierende Wirkung, Mädchen dazu motivieren, andere Verhaltensweisen, die sie in der Realität nicht ausführen würden, auszuprobieren und sich damit auseinander zu setzen. Ein zusätzlicher
Grund, die gewonnenen Prinzipien aus der Mädchenarbeit in die Gestaltung von
Computerspielen miteinzubeziehen.
11.2
Zahlen und Studien über Geschlechtsunterschiede in
der Computernutzung und beim Computerspielen
Eine weitere hilfreiche Unterstützung, um ein besseres Verständnis von der Bedeutung der Computerspiele im Alltag von Mädchen und den unterschiedlichen Nut-
100
101
Vgl. Köhler 2008, 82
Vgl. Rosenstingl 2007, 95
37
zungsgewohnheiten von Mädchen und Jungen zu bekommen, liefert ein Blick auf
aktuelle statistische Zahlen und Studien.
Bereits im Kindergarten bewerten Mädchen und Jungen Computer als Spielzeug für
Jungen („boys toy“), zeigt Cassell anhand von Statistiken aus den 80er und 90er
Jahren auf. Auch in der Computernutzung von Kindern in diesem Alter kämen schon
geschlechtsspezifische Unterschiede zum Vorschein, indem beispielsweise Jungen
mehr Zeit als Mädchen am Computer verbringen würden. Mit zunehmendem Alter
vertiefe sich dieser Unterschied, so Cassell.102
Aus heutiger Sicht trifft die seltenere Computernutzung von Mädchen nicht mehr zu.
Ein Vergleich der deutschen JIM-Studien103 von 1998 und 2005 verdeutlicht, dass
Mädchen bei der Nutzung stark aufgeholt haben: Mädchen 1998: 63%, 2005: 94%;
Jungen 1998: 78%, 2005: 95%.104 Diese Angleichung der Geschlechter ist bemerkenswert in Anbetracht dessen, dass Mädchen weniger Zugang zu Computern hatten. So leben gemäß der Studie „Medien und Technologie“ des Bundesministeriums
für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) von 2009 zu Folge 74% der Mädchen in
Österreich in einem Haushalt mit Computern – deutlich weniger im Vergleich zu 83%
der Jungen. Auch beim Besitz dieser Geräte weisen Mädchen geringere Prozentsätze auf: 33% der Mädchen haben einen eigenen PC gegenüber 47% der Jungen.
Mädchen hätten somit beschränkte Zugangsbedingungen und infolgedessen komplett andere Vorraussetzungen in der Technikaneignung, so die Schlussfolgerung der
Studie.105 „Solange derart ungleiche Besitzverhältnisse und damit ungleiche Zugangsbedingungen bestehen, wird es zweifelsohne schwierig sein, das konstatierte
„Gender-gap“ im Computer- und IT-Bereich auf breiter Ebene auszuräumen.“106
Die Auffassung von Mädchen und Jungen den Computer als „boys toy“ zu betrachten, besteht m. E. nach wie vor, ähnlich wie die in Abschnitt 10.4 dargestellte Meinung „Technik ist männlich“. Dies verdeutlichen die vorher genannten Zahlen über
den Besitz, sowie eine genauere Betrachtung, welches Geschlecht sich wie lange am
Computer aufhält und wer sein Interesse an Themen in Bezug auf den Computer
nach außen kommuniziert. So zählen bei doppelt so vielen Jungen wie Mädchen Tä-
102
Vgl. Cassell, 2
Die JIM-Studie wird seit 1998 jährlich durchgeführt und befasst sich mit dem Umgang von 12- bis
19-Jährigen mit Medien und Information.
104
Vgl. MPFS 2005, 28
105
Vgl. BMWFJ 2009, 11
106
BMWFJ 2009, 12
103
38
tigkeiten am Computer zu den ersten drei Lieblingsbeschäftigungen und weitaus
mehr Jungen befinden sich unter den intensiveren Nutzenden. Im Vergleich zu Mädchen erwähnen Jungen im Rahmen ihrer Interessen Computer öfter, wollen/können
Jungen weniger auf ihn verzichten und die Nutzung des Computers sowie seiner
Möglichkeiten sind bei Jungen stärker in den Alltag und im Umgang mit Gleichaltrigen eingebunden. Diese Tatsachen belegen eine stärkere Bindung von Jungen an
den Computer.107 Dies bestätigt auch die österreichische Studie des BMWFJ, die in
diesem Kontext auch auf einen weiteren Aspekt der Geschlechterunterschiede in der
Mediennutzung von Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Lebenswelten eingeht:
„Burschen und junge Männer nutzen den Computer darüber hinaus nach wie vor
deutlich stärker als Mädchen und junge Frauen für jugendkulturelle Verwendungsbzw. Verwertungszwecke.“108
Zu diesen jugendkulturellen Verwendungszwecken des Computers zählen auch
Computerspiele. Hierzu gibt die österreichische Studie „elf/18 – die Jugendstudie
2007“ Auskunft. Sie belegt deutlich, dass sich Computerspiele als fester Bestandteil
der Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen in Österreich etabliert haben. Der Studie
zufolge spielen knapp ein Drittel der befragten Mädchen und 10% der Jungen überhaupt nicht. Hingegen spielen zwei Drittel der Jungen sowie ein Drittel der Mädchen
regelmäßig.109 „Computer- und Konsolenspiele sind eine klassisch männliche Domäne.“110 lautet auch das Fazit der Studie des BMWFJ.
Die aktuelle JIM-Studie 2009 gibt einen detaillierten Einblick in Geschlechterdifferenzen. So haben Computerspiele im Alltag von Mädchen eine geringere Bedeutung. Es
setzen sich wesentlich mehr Jungen als Mädchen zum Spielen im eigenen Zimmer
(Jungen: 60%, Mädchen: 29%) oder bei Freundinnen und/oder Freunden (Jungen:
17%, Mädchen: 5%) an die Tastatur. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer mit
Spielen – egal ob Computer-, Konsolen- oder Onlinespielen – wird von den Jugendlichen unter der Woche auf 79 Minuten pro Tag geschätzt, wobei Jungen mit 98 Minuten knapp eine dreiviertel Stunde länger spielen als Mädchen mit 53 Minuten.111 Diese Ungleichverteilung zwischen Mädchen und Jungen bestätigt die Intention dieser
107
Vgl. MPFS 2008, 9-11, 25-28
BMWFJ 2009, 12
109
Vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2007, 9
110
BMWFJ 2009, 14
111
Vgl. MPFS 2009, 40f
108
39
Untersuchung, Computerspiele bezüglich der Geschlechteraspekte Gegenstand einer vorurteilsbewussten medienpädagogischen Auseinandersetzung zu machen.
Aufschlussreich sind auch die Ergebnisse bezüglich unterschiedlicher Spielpräferenzen. Jürgen Fritz vom Institut für Medienforschung und Medienpädagogik an der
Fachhochschule Köln führt auf, dass bereits die ersten empirischen Untersuchungen
Anfang der 90er Jahre die Existenz typischer Mädchen- und typischer Jungenspiele
belegt haben. Mädchen gäben demnach eher lustigen Spielen, die von sozialen Beziehungen handeln, den Vorzug (darauf wird im nächsten Abschnitt 11.3 genauer
eingegangen). Jungen favorisieren hingegen kampfbetonte Spiele wie Action- und
Sportspiele sowie Strategiespiele. Nachfolgende Studien bestätigten diese ersten
Ergebnisse bisher weitgehend,112 so auch die „elf/18 – die Jugendstudie“. Kaum überraschend, dass laut dieser Studie bei Mädchen Fun- oder Partyspiele, wie z. B.
„Sing Star“ mit 52,5% an erster Stelle stehen, gefolgt von Simulationsspielen wie z.
B. „Die Sims“ mit 38,6%. Bei den Jungen führen mit 62,1% Actionspiele wie z. B.
„GTA“ die Liste der beliebtesten Computerspiele an, gefolgt von Rennspielen wie z.
B. „Gran Turismo“.113
Die Ergebnisse der JIM-Studie 2008 und 2009 weisen das Computerspiel „Die Sims“,
bei dem soziale Beziehungen und Interaktionen im Mittelpunkt stehen, ebenfalls als
beliebtestes Computerspiel von Mädchen aus. Aber auch bei Jungen scheint es zu
den Favoriten zu gehören. So zählt „Die Sims“ in den JIM-Studien seit 2004 kontinuierlich zu den beliebtesten Computerspielen, 2006 sogar als beliebtestes Spiel von
Mädchen und Jungen. 2009 konstatiert die JIM-Studie: „Je nach Definition könnten
viele Spiele mehreren Kategorien zugeordnet werden. Versucht man dennoch eine
Systematisierung der zahlreichen Einzelnennungen, zeigt sich, dass Strategiespiele
für 35% zum beliebtesten Genre zählen. Hierunter fallen Spiele wie ‚Die Sims, ‚Die
Siedler oder ‚Herr der Ringe.“114 Durch die Beliebtheit bei Mädchen und Jungen
scheint „Die Sims“ „geschlechtsneutraler“ im Vergleich zu anderen Computerspielen
zu sein. „Möglicherweise hat sich mit diesem Spiel ein Spieltyp heraus gebildet, der
die bislang als recht eng angesehenen Präferenzunterschiede zwischen männlichen
und weiblichen Spielern zum Teil aufhebt“115 , interpretiert Fritz das Ergebnis. Dieser
112
Vgl. Fritz 2008
Vgl. Institut für Jugendkulturforschung 2007, 10
114
MPFS 2009, 42
115
Fritz 2008
113
40
interessante Aspekt bildet einen weiteren Grund, „Die Sims“ als Untersuchungsgegenstand zu wählen.
Wie diese Zahlen und Studien verdeutlichen, hat sich die Computernutzung von
Mädchen an die der Jungen weitgehend angepasst, doch herrschen gerade in Bezug
auf Computerspiele noch deutliche Geschlechterdifferenzen vor. Die Computerspielindustrie hat versucht, dem durch verschiedenen Methoden und Strategien entgegen
zu wirken, die im nächsten Abschnitt erläutert werden.
11.3
Girl Game Bewegung
Die Girl Game Bewegung war einer der ersten Versuche, Mädchen und Frauen in die
Spielwelt stärker einzubinden und lieferte wichtige Erkenntnisse in Bezug auf Mädchen und Computerspiele. Im Gegensatz zum im Abschnitt 10.4.2 bereits vorgestellten Cyberfeminismus affirmiert die Girl Game Bewegung die Geschlechterdualität. Im
Folgenden werde ich daher ihre Geschichte und wichtige Vertreterinnen sowie ihre
Forschungserkenntnisse behandeln. Außerdem stammen aus der Girl Game Bewegung die ersten mädchenspezifischen Computerspiele, von denen die bekanntesten
kurz vorgestellt werden.
Die Girl Game Bewegung entstand einerseits auf Grund der Befürchtung, dass Mädchen und Frauen ohne Computerkenntnisse keine Chancen auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt erhalten würden. Denn zu Beginn der 90er Jahre berechnete „The National Science Foundation“, dass 2010 ein Viertel aller amerikanischen Arbeitsplätze ein
technisches Verständnis von Computern erfordern würde. Laut verschiedener Studien verbrachten Jungen zum Zeitpunkt dieser Studie mehr Zeit am Computer als
Mädchen. Andererseits stellten Erziehende und Feministinnen zur gleichen Zeit fest,
dass die aufkommende Computerspielindustrie sich an der Zielgruppe der männlichen Jugendlichen orientierte und auch die Spielindustrie selber männlich dominiert
war. Computerspiele wurden als Möglichkeit erkannt, Mädchen an neue Technologien heranzuführen und diese Geschlechterungleichheit zu beseitigen.116 Basierend
auf diesen Gegebenheiten forderte und entwickelte die Girl Game Bewegung Computerspiele für die Zielgruppe Mädchen. So wurden Mitte der 90er Jahre einige Firmen gegründet – hauptsächlich von Frauen und vor allem im amerikanischen Raum
116
Vgl. Galloway 2007
41
– mit dem Ziel, Computerspiele zu entwickeln, welche die Interessen der Mädchen
ansprechen, um Mädchen als neue Zielgruppe zu erschließen.117 Um herauszufinden, was genau diese Interessen waren, betrieben viele dieser Firmen umfangreiche
Marktforschungen, die sich auf Unterschiede zwischen dem Spielverhalten von Mädchen und Jungen konzentrierte. „The most visible part of the girl game movement
included so-called pink games for girls with traditional values of femininity. Games in
this genre were predicted on strongly gender-typed toy preferences, and spurred research on female and male difference in interests, activities, preferences, and uses
of games and toys.“118
Die Firma Mattel brachte 1996 das Spiel auf den Markt, das das Design und die Architektur der „Pink Games“ maßgeblich prägte und die Computerspielindustrie erstmals dazu bewegte, Mädchen als Zielgruppe ernst zu nehmen: „Barbie Fashion Designer“. „Barbie Fashion Designer“ ist bis heute der unübertroffene Verkaufsschlager
im Segment der „Pink Girl Games“. In den ersten beiden Monaten wurde es über
500.000 Mal verkauft. Dieses Spiel bedient sich stereotyper Interessen von Mädchen, indem es Spielenden ermöglicht, Kleidung für eine Barbiepuppe virtuell zu
entwerfen, diese dann auf speziellem stoffartigen Papier auszudrucken, um dann als
reale Kleidung für die Barbiepuppe zusammengenäht zu werden.119 Auch heute existiert der Markt für „highly feminine girl games“120 rund um Spiele wie z. B. „My Little
Pony“.
Eine zweite Richtung der Girl Game Bewegung, die ebenfalls auf die Interessen der
Mädchen ausgerichtet war, bot eine Alternative zu den Pink Games. Yasmin B. Kafai
et al. charakterisieren diese Spiele als „activities that built on girls real-life interests in
sharing secrets and building friendships“121 und nennen sie „Purple Games“ in Anerkennung an die Firma „Purple Moon“.122 „Purple Moon“ wurde 1996 von einer der
bekanntesten Vertreterinnen der Girl Games Bewegung, Brenda Laurel, gründet. In
einem vierjährigen Projekt verknüpfte Laurel Forschung mit Marktforschung, indem
sie die Vorlieben, Verhaltensweisen und Wünsche von Mädchen und Jungen im Umgang mit Computerspielen untersuchte. Laurels Annahme, dass Mädchen und Jun-
117
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 88-95; Cassell, 5f
Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV
119
Vgl. Cassell, 6; Deuber-Mankowsky 2007, 96
120
Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV
121
Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV
122
Vgl. Kafai/Heeter/Denner/Sun 2008, XV
118
42
gen sich darin unterscheiden, wurde durch die Ergebnisse bestätigt: Mädchen hätten
Interesse an Geschichten, sozialen Beziehungen und Integration anstatt am Gewinnen und würden konkrete Spielobjekte abstrakten bevorzugen.123 Basierend auf diesen Ergebnissen entwickelte Purple Moon die Spielserie „Rocketts World“, das
Purple Moons Spielbeschreibung zufolge „guided by the complete and unique understanding of girls and girls play motivations“124 ist und sich um soziale Beziehungen im Schulalltag einer Jugendlichen dreht. Die spielende Person entscheidet, was
Rockett macht. An ihrem ersten Schultag z. B. sieht Rockett ein anderes Mädchen,
das genau die gleiche Kleidung trägt. Die spielende Person entscheidet: Freundet
sich Rockett mit diesem Mädchen an, geht sie nach Hause und wechselt ihr Outfit
oder schreitet sie an ihr vorbei in die Schule?125 Leider verkaufte sich dieses Spiel
nicht sehr gut und nachdem Purple Moon nicht den notwendigen Gewinn erzielte,
wurde es 1999 an die Firma Mattel verkauft.126
Unterstützung bekam die Girl Games Bewegung auch von in der Computerspielindustrie tätigen Frauen. Sie verbanden marktökonomische mit feministischen Zielen,
indem sie durch das Aufwerfen der Thematik der geschlechterspezifischen Computernutzung eine neue Zielgruppe schufen und gleichzeitig ihre eigene Position sichtbar machen und stärken konnten. Eine bekannte Vertreterin dieser Gruppe ist die
Computerspielentwicklerin und -designerin Sheri Graner Ray.127 Mitte der 90er Jahre
arbeitete sie für die Firma HerInteractive, die ebenfalls Computerspiele ausschließlich für Mädchen kreierte, indem sie sich am geschlechtsstereotypen Spielverhalten
orientierte. Sheri Graner Ray128 war an der Entwicklung der erfolgreichen Spielserie
„McKenzie & Co“ von HerInteractive beteiligt. Bevor die erste Version des Spiels auf
den Markt kam, führte auch HerInteractive eine intensive Marktanalyse durch und
befragte potentielle Käuferinnen zwischen zehn und fünfzehn Jahren, was für sie die
123
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96
Cassell, 6
125
Vgl. Cassell, 7
126
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96
127
Vgl. Deuber-Mankowsky 2007, 96
128
Später gründete Sheri Graner Ray ihre eigene Firma Sirenia Consultings und wurde außerdem
Mitorganisatorin der jährlich stattfindenden „Womens Game Conference“, die aktuelle Entwicklungen
auf dem weiblichen Spielemarkt und Strategien der Rekrutierung von Frauen für die Spielindustrie
bzw. um die Stärkung derer, die bereits darin tätig sind, diskutiert. 2004 fasste sie die Ergebnisse ihrer
Erfahrungen eines Geschlechter inkludierendes Spieledesigns im Buch „Gender Inclusive Game Design“ zusammen. Das Buch fand neben Anerkennung auch Kritik, da sie „populärwissenschaftliche
soziobiologische und evolutionspsychologische Theorien zur Begründung des geschlechterdifferenten
Spielverhaltens heranzieht.“ (Deuber-Mankowsky 2007, 99)
124
43
wichtigsten Komponenten in einem Computerspiel darstellen würden. Das Ergebnis
dieser Analyse wurde 1995 veröffentlicht. Die erste Version von „McKenzie & Co“
handelt von einer amerikanischen Teenagerin, die anhand der Auswahl des richtigen
Make-ups, Kleidung und Frisuren ihre männliche Begleitung für den Abschlussball
finden soll.129
Wie diese drei Beispiele veranschaulichen sind „Girl Games” gewaltfrei, kooperativ
und mit fröhlichen Farben gestaltet und handeln von sozialen Interaktionen und Beziehungen. Trotz oder gerade wegen der Forschung vertrat die Girl Games Bewegung in der Umsetzung ihrer Spiele umfassende Verallgemeinerungen über weibliche Bedürfnisse und verstärkte Geschlechterdichotomien. Forschungsergebnisse der
unterschiedlichen Spielverhaltensweisen waren beispielsweise „women see technology as a tool” während „men see it as a weapon”, „women want to use it for communication” während „men want to use it for control”, „women talk about wanting to
explore worlds” während „men talk about using it to exploit resources and possibilities”.130
Die Strategie der Girl Game Bewegung, den Direktiven der Forschung zu folgen, ging
nicht auf. Viele Frauen fühlten sich durch die limitierte Darstellung von Weiblichkeit
ausgeschlossen. Sie beanstandeten, dass dies genau so sexistisch sei wie männerorientierte Gewalt-Spiele. Die Verkaufszahlen brachen ein und nur wenige Jahre nach
ihrer Gründung mussten die meisten auf Mädchenspiele spezialisierten Firmen ihre
Produktion einstellen.131
Die Girl Game Bewegung und ihre Computerspiele wurden kontrovers diskutiert. Die
Argumente für oder gegen Girl Games hat Kathryn Wright zusammengefasst. Wright
zufolge bekennen sich ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu, dass diese Computerspiele auf geschlechtsstereotype Interessen von Mädchen abzielen und betonen,
dass an traditionellen weiblichen Interessen grundsätzlich nichts falsch sei und diese
schon zu lange schlecht gemacht worden seien. Sie sind der Ansicht, dass diese
Computerspiele Mädchen motivieren würden, den Computer zu nutzen und dadurch
ihre Computerkenntnisse gefördert, ihr Interesse an einer Karriere in der IKTBranche erhöht und die Rolle digitaler Medien in Mädchenlebenswelten erweitert
129
Vgl. Nezter 1996
Brunner/Bennett/Honey 1998, 72-88
131
Vgl. Galloway 2007
130
44
werden würden. Außerdem sei es nötig, ein normatives Konzept von Weiblichkeit zu
vermarkten, um eine möglichst breite Masse weiblicher Spielerinnen zu erreichen.
Erst, wenn sich der Markt von mädchenspezifischen Computerspielen etabliert habe,
könne ein breiteres Spektrum des „Mädchen-Seins“ anvisiert werden.
Kritikerinnen und Kritiker hingegen sind der Meinung, so Wright, dass durch die Fokussierung geschlechtsstereotyper weiblicher Interessen wie Einkaufen und die Beliebtheit in der Schule, die Girl Games schlussendlich wieder geschlechtsstereotype
Rollenbilder und Spielverhalten reproduzieren und die Auffassung, dass Mädchen
und Jungen sich grundsätzlich unterscheiden, verstärken würden. Eigene mädchenspezifische Computerspiele würden den Geschlechterunterschied vergrößern anstatt
verkleinern. Daher sollte der bestehende Spielmarkt durch die Entwicklung geschlechtsneutraler Spiele erweitert werden, um weibliche und männliche Spielinteressen integrieren zu können. Es wäre effektiver, sich auf Gemeinsamkeiten anstatt
auf Unterschiede weiblicher und männlicher Spielgewohnheiten zu konzentrieren.
Zudem würden Girl Games jene Geschlechterstereotypen verstärken, die Mädchen
davon abhalten, sich mit Thematiken rund um Technologie zu befassen und infolgedessen würden sich nicht mehr Mädchen für eine Ausbildung in diesem Bereich interessieren.132
Wie ich bereits in Kapitel 10 ausgeführt habe, besteht das Ziel dieser Thesis darin,
Prinzipien herauszuarbeiten, wie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse anhand
von Computerspielen dekonstruiert anstatt affirmiert werden können. Daher schließe
ich mich der Meinung der Kritikerinnen und Kritiker an und befinde die von der Girl
Game Bewegung aufgestellten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen, als
nicht zielführend für diese Arbeit, da sie m. E. die Geschlechterdualität bestätigen.
Wir leben in einer Kultur, in der das Männliche die (unsichtbare) Norm darstellt. Z. B.
können Frauen Männerkleidung anziehen, aber nicht umgekehrt. Auch Computerspiele sind ein gutes Beispiel dafür. Lange Zeit blieb die Kategorie Geschlecht in der
Computerspielgestaltung unberücksichtigt. Männer entwickelten Spiele basierend auf
ihren Interessen, kulturellen und persönlichen Hintergründen, ohne zu bedenken,
dass dieser Zugang alles andere als geschlechtsneutral war. Mädchen können mit
diesen „boys toys“ spielen, aber wenn Jungen mit Girl Games spielen, werden sie
stigmatisiert und wenden sich davon ab mit der Folge, dass „socially positive charac-
132
Vgl. Wright 1999, 2
45
teristics of non-violence and cooperation as belonging to “girls” rather than existing
as human ideals“.133 So lange also die männliche Auswahl die Norm bildet, stellen
mädchenspezifische Computerspiele etwas „Besonderes“ dar und weichen von dieser Norm ab. Dadurch tragen sie zur Aufrechterhaltung der männlichen Dominanz
bei und affirmieren bestehende Geschlechterstereotype und -verhältnisse.134
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die vermeintlich erforschten Vorlieben und Interessen von Mädchen, die in den Girl Games umgesetzt wurden, bereits von der Spielindustrie vorbestimmt werden und im „Doing Gender“ des Sozialisierungsprozesses
immer wieder bestätigt wurden, bevor Forschende die Mädchen befragen konnten,
was sie „wirklich“ interessiert. Diese (Markt)Forschungen würden Marsha Kinder zufolge als eine „self-fulfilling prophecy” funktionieren. „All you are testing is how effectively kids have absorbed these cultural binaries of gender.”135
Und noch einen zusätzlichen wichtigen Aspekt für die Gestaltung von Computerspielen lassen diese Spiele außer Acht: Girl Games zeichnen ein homogenes Mädchenbild. Wie die drei Beispiele demonstrieren, wurden Girl Games für „the universal
girl“136 entwickelt und gestaltet. In den meisten Girl Games repräsentiert „the universal girl“ ein weißes, hetrosexuelles Mittelschichts-Mädchen aus dem westlichen Kulturkreis. Obwohl Purple Moon ihr Produkt als „complete and unique understanding of
girls and girls play motivations”137 beschreiben, lassen sie andere soziale Differenzen und Kategorien in ihrem Spiel unberücksichtigt.138 Wie in Abschnitt 10.2.2 dargelegt, geht die feministische Mädchenarbeit aber nicht von einer homogenen Gruppe
der Mädchen aus und betrachtet daher Geschlecht als Analysekategorie nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang mit anderen sozialen Differenzen oder Gemeinsamkeiten, um tatsächlich ein „complete understanding of girls“ zu erreichen.
11.4
Game Grrrls
Kritik kommt sozusagen auch aus dem eigenen Lager. Im Sinne der Sichtbarmachung der Vielfalt von Mädchenlebenswelten soll hier noch kurz eine andere
133
Galloway 2007
Vgl. Cassell, 8f
135
Kinder zit. in Galloway 2007
136
Galloway 2007
137
Cassell, 6
138
Vgl. Galloway 2007
134
46
Gruppe von weiblichen Spielenden vorgestellt werden. Obwohl, wie im vorherigen
Abschnitt beschrieben wurde, Computerspiele als Technologien in kapitalistischen
und patriarchalen Strukturen eingebettet sind und diese widerspiegeln, gibt es Mädchen, die leidenschaftlich jene Computerspiele spielen, die sich traditionell an männliche Spielende richten. Diese Mädchen und jungen Frauen, bekannt unter dem Namen „Game Grrrls“, sehen Kampfspiele als Arena an, wo Frauen und Männer
gegeneinander antreten können und physikalische Kräfte keine Rolle spielen.139 Sie
zeigen die Vielfältigkeit von Mädchenlebenswelten auf und stellen zum einen einen
Gegensatz zu den Game Girls dar, die sie als traditionell und altmodisch ansehen,
und zum anderen auch zu dem stereotypen Bild des männlichen Computerspielers.
Joe Bryce und Jason Rutter zufolge reklamieren Game Grrrls „that a significant amount of female gamers have similar game preferences, interests and aplitudes in
regard to masculine game themes as male gamers. They also disagree with the production of computer games specifically target females.“140 Indem sie sogenannte
„Männerspiele“ mit gewalttätigen Inhalten spielen, entsprechen „Game Grrrls“ nicht
dem weiblichen „Doing Gender“ und durchbrechen somit geschlechtsstereotype Vorstellungen. Auch die Spielindustrie hat sie schon entdeckt und setzt sie als Role
Modles ein. Ein Beispiel sind die „Fragdolls“ der Firma Ubisoft, die auf ihrer Website
ihre Absichten wie folgt beschreiben: „Whilst our high-heels and lip-gloss might not
be your expected image of a gamer, were part of the growing demographic of women who want to show that gaming is an all-inclusive form of entertainment. […] Because nobody was born with a joypad in their hands.”141
In der theoretischen Diskussion wurden die erforschten geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen der Girl Game Bewegung zur Gestaltung von Computerspielen aus
Sicht der feministischen Mädchenarbeit als nicht förderlich betrachtet. Wie sieht dies
nun aber bei der Zielgruppe – den Mädchen – aus? Können sie sich darin wieder
finden oder nicht? Überprüft wurde dies in Abschnitt 13.2 anhand des Computerspiels „Die Sims 2“. Zunächst wird aber erklärt, was unter Geschlechtsstereotypen in
Bezug auf Mädchen und Computerspiele in dieser Arbeit verstanden wird.
139
Vgl. Cassell, 10
Bryce/Rutter 2002, 247
141
Vgl. Fragdolls
140
47
11.5
Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und
Computerspiele
Wie aus der Darlegung der Girl Game Bewegung ersichtlich wird, kam es durch die
verschiedenen Untersuchungen, die sich auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern konzentrierten, zu einer Vielzahl an geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele. Im Folgenden werden anhand einer Definition, was geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen sind und
einer Zusammenfassung dieser detailliertere Einblicke gegeben. Diese Kenntnisse
scheinen erforderlich, um ein Grundverständnis zur weiteren Analyse in Bezug auf
das Computerspiel „Die Sims“ zu erlangen.
11.5.1 Definition von geschlechterstereotypen Rollenzuschreibungen
Eckes definiert Geschlechterstereotype wie folgt: „Geschlechterstereotype sind kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale
von Frauen und Männern enthalten.“142 Geschlechterstereotype sind dieser Definition
zufolge also ein System von kulturellen Definitionen, die festlegen, welche spezifischen Wesens- und Verhaltenseigenschaften als männlich oder weiblich gelten.
Medien wie Computerspiele erfinden zwar keine Geschlechterstereotype, aber ihr
Potenzial zur Reproduktion und Vervielfältigung dieser ist groß. Eine sachliche Untersuchung, wie es diese Arbeit sein will, bildet die Vorraussetzung für eine Sensibilisierung dafür. Sie fördert einen verantwortungsbewussten Umgang mit medienspezifischen Inhalten.
Im Zuge meiner Recherche habe ich eine Fülle solcher geschlechterstereotypen
Annahmen und Überzeugungen, die im westlichen Kulturkreis in Bezug auf Mädchen
und Computerspiele herrschen, gefunden. Dabei stellte ich immer wieder fest, dass,
während einige Quellen von Geschlechterstereotypen sprechen, andere diese als
Studienergebnisse darstellen. Diese auf den ersten Blick gegensätzlichen Positionen
lassen sich aber im Begriff geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen vereinen.
Denn Fakt ist, dass diese Studien über geschlechtsspezifische Verhaltensweisen bei
Computerspielen von und mit Mädchen gemacht wurden und deren Ergebnisse
Mädchen zugeschrieben werden. Somit stellen sie geschlechtsstereotype Verhal142
Eckes 2010, 178
48
tensweisen dar. Eine Zusammenfassung der am häufigsten vorkommenden Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen und Computerspiele wird im nächsten
Abschnitt ausgeführt.
11.5.2 Die häufigsten Geschlechterstereotype in Bezug auf Mädchen
und Computerspiele
Die Darstellung der Girl Game Bewegung hat gezeigt, dass das Thema Mädchen
und Computerspiele in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem beliebten Untersuchungsgegenstand der wissenschaftlichen Forschung geworden ist. So liegen heute
zahlreiche Studien zu geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen in Bezug auf Computerspiele vor. Denise Agosto hat diese Ergebnisse in zwei Listen von Rahmenempfehlungen, wie Computerspiele hinsichtlich Inhalt und Design gestaltet sein sollten,
um Mädchen anzusprechen, zusammengefasst:
Was den Inhalt von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele, …
•
die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden.
•
in denen eine fortlaufende Handlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln können.
•
die Wettkampf nicht als Hauptinhalt haben.
•
die reale Schauplätze verwenden.
•
mit starken, weiblichen Charakteren, welche Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen.
•
die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder durch die Macht, Entscheidungen selbst zu treffen.
•
in denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen.
•
die einen gewissen pädagogischen Wert haben, im Gegensatz zu Spielen mit
reinem Unterhaltungswert.
•
die actionreich, aber gewaltfrei sind.
•
die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln.
Was die Gestaltung von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele…
•
mit qualitativ hochwertiger Grafik und multimedialen Komponenten.
49
•
die es ermöglichen, mit anderen zusammen zu spielen, entweder online oder
gemeinsam an einem Computer.
•
die eine Online-Kommunikation mit anderen Spielenden auch während des
Spiels ermöglichen.143
Gemäß diesen Rahmenempfehlungen gestaltete Computerspiele würden laut Agosto das Interesse von Mädchen an Computerspielen wesentlich erhöhen, was zu
einer Angleichung der Geschlechterunterschiede im Umgang mit Computerspielen
führen würde.144 Nun wurden aber diese Untersuchungsergebnisse und ihr Zustandekommen kontrovers diskutiert, wie anhand der Girl Game Bewegung in Abschnitt
11.3 ersichtlich wurde. Um eine Antwort auf meine Forschungsfragen zu finden, ob
geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zutreffen und wie ein Computerspiel gestaltet sein sollte, um geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können, ohne geschlechts-stereotype
Rollenzuschreibungen zu (re-)produzieren, stehen diese daher im Mittelpunkt meiner
qualitativen Methoden. Zum besseren Verständnis der Auswertung und Interpretation
dieser Methoden wird zunächst das Computerspiel „Die Sims 2“ beschrieben.
12 Das Computerspiel „Die Sims 2“
12.1
Begründung der Auswahl und des „Anwendungswertes“
als Einzelfall
Meine Forschungsfragen werde ich anhand des Computersimulationsspiels „Die
Sims 2“ untersuchen.145 Dieses Spiel habe ich aus drei Gründen ausgewählt:
•
Sein hoher Bekanntheitsgrad und seine weite Verbreitung bei der Zielgruppe
dieser Analyse, den Mädchen des Mädchenzentrums Amazone. Eine informelle Umfrage im Mädchenzentrum Amazone zu Beginn dieser Untersuchung er-
143
Vgl. Agosto 2003 (Übersetzung der Autorin)
Vgl. Agosto 2003
145
Die Überlegungen dieser Arbeit zum Computerspiel „Die Sims 2“ gelten auch für seine Versionen
für alle Arten von Konsolen. Zwar bestehen Unterschiede z. B. bei den verschiedenen Auswahlmöglichkeiten bei der Erstellung der Figuren, aber die Spielhandlung, um die sich diese Untersuchung
hauptsächlich dreht, ist letztendlich die gleiche.
144
50
gab, dass 90% der Mädchen das Spiel kannten und 85% es zumindest schon
einmal gespielt hatten.
•
Seine große Beliebtheit sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen wie diverse
Studien belegen.146 Dieses geschlechtsneutrale Verhältnis stellt einen wesentlicher Grund für die Auswahl dieses Spiels dar, denn es scheint wie kaum ein
anderes das Interesse beider Geschlechter anzusprechen. Auch die Zahlen
deuten darauf hin, dass es zu keiner Stigmatisierung weiblicher oder männlicher Spielenden kommt. Dies reduziert die Festschreibung geschlechtsstereotyper Verhaltensweisen.
•
Das Spielgenre „Simulation“ und der Spielinhalt bzw. die Spielaufgabe trugen
ebenfalls zur Auswahl von „Die Sims 2“ bei. Simulationsspiele bieten Spielenden die Möglichkeit, in einer realitätsnahen Umgebung Verhaltensweisen auszutesten. Aufgabe dieses Spiels ist es, das Leben virtueller Spielfiguren, den
„Sims“, zu gestalten und zu beeinflussen, wobei soziale Interaktionen im Zentrum stehen. Daraus ergeben sich Parallelen zur feministischen Mädchenarbeit, die den Mädchen Experimentierräume, ihre Vielfältigkeit des „MädchenSeins“ zu erproben, zur Verfügung stellt.
Da es sich hier um eine Einzelfallstudie bezüglich eines bestimmten Computerspiels
eines spezifischen Spielgenres handelt, bestehen aus wissenschaftlicher Perspektive
gewisse Schwierigkeiten, Rückschlüsse auf Computerspiele im Allgemeinen zu ziehen. Aber in dieser Untersuchung steht der „Anwendungswert“ im Vordergrund, aus
dem ich die Legitimität meiner Forschungsausrichtung an nur einem Spiel beziehe.
Wahl, Honig und Gravenhorst begründen dies wie folgt: „Für diese Forschung ist es
nicht nur wichtig, über die Wirklichkeit objektiv, als Gegenstand an sich zu informieren, sondern auch über einen Gegenstand aufzuklären, mit einer Information etwas
zu bewirken.“147 Ich bin überzeugt, dass die „Aufklärung“ über das Computerspiel
„Die Sims 2“ und die zusätzlichen theoretischen und empirischen Informationen diesbezüglich bei den Leserinnen und Lesern etwas bewirken und den angestrebten
„Anwendungswert“ dieser Untersuchung anhand des Computerspiels „Die Sims 2“
erreichen.
146
z. B. in der KIM- und JIM-Studie seit 2004 und in der „elf/18 Jugendstudie – 2007“, wie in Abschnitt
11.2 dargelegt
147
Wahl/Honig/ Gravenhorst 1982, 207
51
12.2
Spielbeschreibung
Das Computerspiel „Die Sims 2“ wurde von der Firma Maxis entwickelt und von der
Firma EA Games im September 2004 als Nachfolgeprodukt von „Die Sims“ veröffentlicht. Bei diesem Spiel handelt es sich um eine Simulation des „ganz normalen“ Alltagslebens in einer realitätsnahen 3D-Welt.
In „Die Sims“ konstruieren Mädchen also eine neue Wirklichkeit. Geleitet von eigenen
Erlebnissen, von aktuellen Stimmungen und von der Neugier auf Neues rekonstruieren sie somit Teile ihrer persönlichen Realität. Diese Verwobenheit zwischen Realem
und Virtuellem und der Spielmittel bietet für die feministische Mädchenarbeit optimale
Möglichkeiten für eine Untersuchung, da diese Verwobenheit zum Spannungsverhältnis wird und Kategorien herausgefiltert werden können.
Die Spielbeschreibung wird in der weiblichen Form ausgeführt, da sich diese Untersuchung auf weibliche Spielerinnen konzentriert. Die Beschreibung orientiert sich an
den verschiedenen Spielmodi und dient dazu einen Einblick in den Spielablauf zu
geben ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
„Bau-Modus“: Zu Beginn des Spiels wählt die Spielerin aus drei verschiedenen Orten, wo das Sims-Leben stattfinden soll. In den Orten stehen leere sowie bereits bebaute Grundstücke zur Verfügung. Die Spielerin kann sich nun dafür entscheiden,
selbst ein Haus zu bauen oder in ein vorhandenes, unbewohntes Haus einzuziehen.
Entscheidet sie sich für Ersteres, wird in den „Bau-Modus“ gewechselt. Hier kann die
Spielerin ihrer Kreativität freien Lauf lassen und durch die Auswahl von verschiedenen Wänden, Türen, Fenstern, Treppen, Bodenbelägen, Gärten und Dächern ihre
architektonischen Ideen in 3D umsetzen, solange es das Startkapital zulässt. Das
Startkapital beträgt stets 20.000 Sim-Dollar (Simoleons), dessen Grenzen spätestens
im „Kauf-Modus“ leicht erreicht werden.
„Kauf-Modus“: Hat die Spielerin den Hausbau abgeschlossen, wechselt sie in den
„Kauf-Modus“. Hier wählt sie die Innenausstattung des Hauses aus. Es können alle
Gegenstände von Möbeln bis Unterhaltungsutensilien, die für die Befriedigung der
Bedürfnisse der Sims nötig sind, gekauft werden. Nach dem Hausbau hat die Spielerin die Wahl entweder mit bereits „vorgefertigten“ Sims zu spielen, dann kann das
Spiel direkt beginnen, oder eigene Charaktere zu erstellen.
52
„Familienerstellungs-Modus“: Entscheidet sich die Spielerin dafür, ihre SimsFiguren selbst zu kreieren, wechselt das Spiel in den „Familienerstellungs-Modus“.
Hier bestimmt sie für jede Figur zunächst das Geschlecht, Alter und die Körpergröße
(dick oder dünn), wie in Abbildung 1 ersichtlich. Danach steht ihr eine große Auswahl
an Gesichtscharakteren, Frisuren und Kleidung zur Verfügung. Das Gesicht (Augen,
Augenbrauen, Nase, Mund, Kiefer, Kinn) kann die Spielende sehr detailliert modulieren und so den Charakter beispielsweise nach realen Vorbildern gestalten. Das Gesicht kann mit Make-up, Brillen, verschiedenen Gesichtsbehaarungen, etc. noch weiter bearbeitet werden. Auch Frisuren und Haarfarben können aus einer großen
Palette gewählt werden. Bei der Kleidung besteht eine Auswahl für verschiedene Anlässe, wie z. B. Alltags-, Abend-, Sportkleidung etc. Für Frauen und Männer sowie
deren unterschiedlichen Altersgruppen stehen jeweils andere Sortimente von Kleidungen und Frisuren zur Verfügung.
Im nächsten Schritt wird das Lebensziel aus sechs vorgegebenen Laufbahnen ausgewählt. Für die Altersgruppen Kleinkinder und Kinder wird automatisch „Aufwachsen“ eingestellt. Bei dem Lebensziel „Romantik“ steht die Liebe, bei „Familie“ das
Familienleben, bei „Wissen“ das Lernen, bei „Ruhm“ das Geld und bei „Karriere“ der
Beruf im Mittelpunkt der jeweiligen Sims-Figur. Die Auswahl des Lebensziels hat
großen Einfluss auf die weitere Entwicklung und die Wünsche und Ängste der erstellten Sims-Figur. Dann wird anhand zehn verschiedener Charaktereigenschaften, die
in Gegensatzpaaren aufgelistet sind, wie z. B. schlampig/ordentlich, schüchtern/
kontaktfreudig, faul, aktiv, etc. die Persönlichkeit festgelegt. Diese Eigenschaften beeinflussen maßgeblich, was die Sims-Figur gerne und weniger gerne macht und wie
sie sich gegenüber anderen benimmt. Die Spielerin kann bis zu acht Sims-Figuren
erstellen. Zum Schluss wird festgelegt, wie die erstellten Sims-Figuren zueinander
stehen, ob sie verheiratet, Geschwister oder einfach nur Mitbewohnerinnen und Mitbewohner sind.
53
Abbildung 1: Familienerstellungs-Modus
Abbildung 2: Live-Modus
54
„Live-Modus“: Im „Live-Modus“, wie Abbildung 2 zeigt, findet der eigentliche Spielverlauf statt. Wählt die Spielerin eine Sims-Figur aus und klickt auf eine Person oder
einen Gegenstand, eröffnet sich das Handlungsmenü mit möglichen Tätigkeiten wie
z. B. „Geht sich duschen“, „Flirtet mit Nachbarin“ oder „Liest ein Buch“. Durch diese
Tätigkeiten können Wünsche befriedigt werden, die zur Erfüllung des festgelegten
Lebensziels beitragen. Wünsche sind positive Erfahrungen, nach denen sich die
Sims sehnen, drehen sich um Aktivitäten, Interaktionen oder materielle Dinge und
wirken sich positiv auf ihre Laufbahn und Stimmung aus. Im Gegensatz dazu gibt es
die Ängste, bei deren Eintreten Laufbahn und Stimmung negativ beeinflusst werden.
Eine weitere Aufgabe der Spielerin besteht in der Befriedigung der Bedürfnisse der
Sims, womit körperliche und geistige Ansprüche gemeint sind. Hierzu zählen Hunger,
Energie, Harndrang, Hygiene, Komfort, Spaß, soziales Leben, Raum und Beziehungen. Das Bedürfnis Hunger kann beispielsweise durch die Zuführung von Nahrung
befriedigt werden. Für Energie wird durch ausreichenden Schlaf gesorgt. Beim Harndrang sollte die Sims-Figur auf die Toilette geschickt werden, sonst könnte ein Missgeschick passieren, das sich negativ auf die Hygiene und soziale Kontakte auswirkt.
Dies gilt auch bei einer vernachlässigten Hygiene, die durch eine Dusche oder Händewaschen befriedigt werden kann. Dem Bedürfnis nach Komfort wird durch ein entsprechendes gemütliches Mobiliar nachgekommen. Das Bedürfnis Spaß findet seine
Erfüllung durch Zeitvertreib mit verschiedenen Gegenständen und/oder Tätigkeiten.
Wichtig ist auch der Aufbau von sozialen Kontakten. Sie führen zu Beziehungen und
anderen Bekanntschaften, was sich auf Familie und Karriere auswirken kann. Ein
Beziehungsaufbau ist sehr zeitintensiv. Wird zu schnell vorgegangen, kann die aufkommende Romanze zerstört werden. Verstehen sich zwei Sims-Figuren nicht, kann
es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen. Ob sich eine Beziehung
weiterentwickelt hat, ist an den veränderten Interaktionsmöglichkeiten zu erkennen.
Wenn sich zwei Sims sehr nahe stehen, dann eröffnet sich im Handlungsmenü die
Möglichkeit, einen neuen Sims in die Welt zu setzen. Es sind aber auch homosexuelle Beziehungen möglich. Wie in der realen Welt so spielt Geld auch in „Die Sims“ eine wichtige Rolle. Geld ist erforderlich, um Rechnungen für beispielsweise Lebensmittel oder Mobiliar bezahlen zu können. Kommt man in Verzug, beschlagnahmt der
Gerichtsvollzieher Gegenstände, bis der Betrag bezahlt wurde. Die primäre Möglichkeit Geld zu beziehen, ist einem Job nachzugehen, der über die Zeitung oder den
Computer zu finden ist. Für eine berufliche Karriere wiederum sind Pünktlichkeit, gute
55
Laune und Beziehungen förderlich. Schlechte Laune, unhygienisches Auftreten oder
Unpünktlichkeit können schnell zu einer Kündigung führen. Die Sims unterhalten sich
und kommentieren Begebenheiten in der Fantasie-Sprache „Simlish“. Das Gesagte
ist zwar unverständlich, erschließt sich aber anhand des jeweiligen Tonfalls. Eingeblendete Sprechblasen geben außerdem Anhaltspunkte zum Gesprächsthema. Natürlich altern die Sims-Figuren auch, wobei sie von der Geburt bis zum Tod sechs
Altersstufen durchleben: Baby, Kleinkind, Kind, Teenager, Erwachsener und Alter
Knacker. Wenn eine Sims-Figur nicht durch einen Unfall, Trauer, Krankheit, Vernachlässigung ums Leben kommt, stirbt sie letztendlich an Altersschwäche. Die Erfüllung
der Lebensziele kann sich auf die Lebensdauer verlängernd oder verkürzend auswirken.
„Story-Modus“: Im „Story-Modus“ können Ereignisse und Momente der SimsFiguren anhand von Kamerafotos oder Videoaufnahmen festgehalten werden, die auf
dem Computer gespeichert werden.
Zwischen den verschiedenen Modi kann während des Spiels gewechselt werden, um
sich beispielsweise mit dem verdienten Geld neue Gegenstände zu kaufen. Sobald
man in einen anderen Modus wechselt, wird das Spiel angehalten und die Zeit gestoppt. Nur in den „Familienerstellungs-Modus“ kann nicht mehr gewechselt werden.
Zur Spielversion „Die Sims 2“ gibt es zudem zahlreiche Erweiterungspacks, die die
Spielinhalte, Einrichtungsgegenstände und die Möglichkeiten der Spielerin vergrößern, wie z. B. „Wilde Camus Jahre“, „Haustiere“ oder „Open for Business“.
Die Beschreibung zeigt die offene Spielstruktur und dass kein klar definiertes Spielziel existiert. Das Spiel hat keinen Endpunkt und könnte quasi endlos gespielt werden. Zwar steht im Mittelpunkt des Spielverlaufs eindeutig das Wohlergehen der erstellten Sims-Figuren, aber ob dies auch tatsächlich umgesetzt wird, liegt ganz in der
Spielabsicht der Spielenden. Durch diese Entscheidungsfreiheit bzw. Offenheit des
Spiels können alternative Spielziele gesetzt werden, wie z. B. das Bauen eines
Traumschlosses, die Kreation eines „bösen“ Sims oder das Nachspielen eines Familienlebens einer Fernsehserie.
56
Der Erfolg von „Die Sims“ ist unter anderem auch den zahlreichen spielbezogenen
Internetforen zu verdanken. Hier tauschen sich die zahlreichen Sims-Fans über
„Cheats“148 , Aktivitäten und eigenen Kreationen von Einrichtungsgegenständen, Kleidung und Häusern aus. Da die Zielgruppe überwiegend weiblich ist, besitzt das Spiel
durch diese interaktiven Austauschplattformen ein emanzipatorisches Potential im
cyberfeministischen Sinne, denn es motiviert Mädchen sich 3D-Technologien anzueignen und selbst kreativ tätig zu werden.
12.3
Zielgruppe
Zur Angabe der Zielgruppen wurden unterschiedliche Ausführungen gefunden. In
einem Interview erklärt Nancy Smith, Präsidentin des Sims Labels von EA Games,
dass „Die Sims“ ursprünglich nicht für Frauen entwickelt wurde. Männliche Spieler
brachten das Spiel mit nach Hause, wo es Frauen in ihrer Umgebung zu spielen begannen.149 Im Gegensatz dazu konstatiert Martin Lorber, Pressesprecher bei EA
Games, dass als ursprüngliche Zielgruppe von „Die Sims“ Mädchen zwischen 12 und
15 anvisiert wurden.150 Aus heutiger Sicht kann jedenfalls gesagt werden, dass der
Anteil der weiblichen Spielenden im Vergleich zu anderen Computerspielen sehr
hoch ist und ein relativ neutrales Geschlechterverhältnis diesbezüglich besteht, wie
Zahlen der JIM- und KIM-Studien (siehe hierzu Abschnitt 11.2) sowie die Angabe von
Smith, das Spiel habe einen Frauenanteil von 55%,151 beweisen.
13 Empirische Forschungsarbeit
13.1
Methoden und Vorgehensweise
Im Sinne der Partizipation der feministischen Mädchenarbeit ist es mir wichtig, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen: die
Mädchen des Mädchenzentrums Amazone. Mittels der gewählten Methoden – die
148
„Cheats“ (englisch für Betrug, Schwindel) ermöglichen es den Spielenden, den Spielverlauf zu ihren
Gunsten zu beeinflussen. Beispielsweise verschafft der in dieser Untersuchung am häufigsten erwähnte „Cheat“ Geld.
149
Vgl. Freynan 2008
150
Vgl. Kellersohn 2004
151
Vgl. Freynan 2008
57
teilnehmende Beobachtung und das fokussierte Interview – werden sie als Expertinnen ihrer Lebenswelt wahrgenommen und findet die Verknüpfung von Theorie und
Praxis statt.
13.1.1 Auswahl der teilnehmenden Mädchen
Zentrale Auswahlkriterien für die Auswahl der Mädchen waren das Alter und die
Spielerfahrung. Die Mädchen sollten zwischen 10 und 14 Jahre alt sein. Die untere
Altersgrenze ergab sich durch die allgemeine Altersbeschränkung des Mädchenzentrums Amazone auf Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren. Die obere Altersgrenze
wählte ich auf Grund der Erfahrungen der Fachfrauen des Mädchenzentrums Amazone, dass Mädchen dieses Alters im Vergleich zu älteren Mädchen des Mädchenzentrums Amazone noch weitgehend frei von eigenen Geschlechtszuschreibungen
und dementsprechend „offener“ bezüglich ihrer Geschlechtsidentität sind. Ich beziehe mich diesbezüglich auch auf Peter Zimmermann, der Mädchen bis 15 Jahren in
die Vorpubertätsphase einordnet. Ab 15 Jahren befänden sie sich in der Phase der
Pubertät,152 in der, wie er formuliert „ein großer seelischer Umbau [beginnt], der sich
oftmals in unvorhersehbaren und unkontrollierten Verhaltensweisen ausdrückt.“ 153
Das zweite Kriterium stellte die Spielerfahrung der Mädchen dar. Da mein Erkenntnisinteresse nicht in der Aneignung des Spiels sondern im Spielen des Spiels lag,
mussten sie das Spiel also bereits beherrschen. Daher legte ich Wert auf eine längere Spielerfahrung, deren Dauer sich bei den ausgewählten Mädchen zwischen zwei
und drei Jahren belief. Obwohl sie sich dabei in ihrer wöchentlichen Spielzeit unterschieden (zumindest spielte jede von ihnen ein paar Stunden pro Woche), wies aber
jede der Befragten eine gewisse Regelmäßigkeit bei der Spielnutzung auf.
Da nicht alle Mädchen an der teilnehmenden Beobachtung bzw. am Interview mitmachten, wird für eine bessere Übersicht im Folgenden eine Liste der jeweiligen
Teilnehmerinnen der beiden Methoden aufgezählt:
Teilnehmende Beobachtung: Moni, Sarah, Lisa und Nici
Fokussiertes Interview: Moni, Sarah, Silvia, Nici
Die Namen der Mädchen wurden geändert, um eine Anonymisierung zu gewährleisten.
152
153
Vgl. Zimmermann 2006, 156
Zimmermann 2006, 156
58
13.1.2 Teilnehmende Beobachtung
Ziel der teilnehmenden Beobachtung ist es, Einsichten über das Handeln, das Verhalten oder die Folgen des Verhaltens von einzelnen Personen oder einer Gruppe
von Personen zu erlangen. Durch die persönliche Teilnahme der Forschenden werden Aspekte des Handelns oder Verhaltens ersichtlich, die durch andere Methoden
in dieser Situation unzugänglich bleiben würden.154
In Rahmen dieser Untersuchung wurde diese Methode vor allem deshalb gewählt,
um erste Eindrücke im Forschungsfeld zu gewinnen und gezielte Fragestellungen für
die Interviews zu finden. Außerdem wurde eruiert, wie die Mädchen auf das Medium
Computerspiel als Methode der feministischen Mädchenarbeit im Mädchenzentrum
Amazone reagierten. Das Spiel „Die Sims 2“ wurde von vier Mädchen während des
Offenen Betriebs im Computerraum des Mädchenzentrums Amazone gespielt. Die
Termine für die „Spielsitzungen“ wurden im Vorhinein mit den Mädchen vereinbart
und fanden im März und April 2010 statt. Zwei der Mädchen hielten sich an die Vereinbarung. Sara kam zu spät, weswegen ich einem anderen Mädchen, Lisa, den Vortritt gab. Als Sara dann kam, spielte sie mit den Figuren von Lisa weiter. Da sie die
Figuren und den Spielverlauf von Lisa übernahm, fand sie nicht wirklich ins Spiel.
Daher wurde diese Beobachtung bald abgebrochen.
Um den Mädchen soviel Spielfreiheit wie möglich zu gewähren, verwendete ich die
unstrukturierte Beobachtung,155 als deren grobes Hauptkriterium ich das Durchspielen der Spielmodi „Bau“, „Kauf“, „Familienerstellung“ und „Live“ festlegte. Da ich den
Mädchen erklärte, dass diese Beobachtung im Rahmen meiner Masterthesis stattfindet, handelte es sich um eine offene Beobachtung.156 Deshalb bat ich sie vorab, mir
während des Spielens zu erklären, wie und warum sie ihre Spielhandlungen und
-entscheidungen treffen. Denn, um das Risiko einer Auswirkung oder Wertung auf die
Spielhandlungen zu vermindern, entschied ich mich für eine passive Teilnahme.157
Ich fragte nur nur bei Verständnisschwierigkeiten nach. Ansonsten lag es bei den
Mädchen, ob ich ihre Beweggründe, warum sie so spielten, erfahren würde. Auch die
Spielzeit wurde von ihnen bestimmt. Während der Beobachtung dokumentierte ich
das Geschehen auf einem Schreibblock, wobei auch hierbei die Spielmodi als Struk-
154
Vgl. Lamnek
Vgl. Lamnek
156
Vgl. Lamnek
157
Vgl. Lamenk
155
2005, 547-552
2005, 559f
2005, 560f
2005, 562
59
turschema herangezogen wurden. Durch das direkte Aufzeichnen wurde das Vergessen wichtiger Details verhindert. Der Inhalt dieser Protokolle bestand aus einer
Verbindung von Spielhandlungen und ihren Erzählungen/Kommentaren dazu sowie
den Ereignissen mit anderen Mädchen. Die handschriftlichen Aufzeichnungen transkribierte ich am darauf folgenden Tag und fügte meine Rückschlüsse und Gedanken
für den weiteren Forschungsverlauf hinzu. Ihre Auswertung findet im Zusammenhang
mit den Interviews statt.
Abbildung 3: Teilnehmende Beobachtung
13.1.3 Fokussiertes Interview
Da die teilnehmende Beobachtung, laut Lamnek, in ihrer Anwendung immer mit anderen Methoden verschränkt ist, wurde als zweite Methode das fokussierte Interview
gewählt. Ausgangspunkt dieser Art des Interviews ist die Fokussierung auf einen im
Vorfeld bestimmten Gesprächsgegenstand, der in dieser Untersuchung das Computerspiel „Die Sims 2“ darstellte, mit dem Ziel die subjektiven Erfahrungen mit diesem
Gegenstand, in diesem Fall die Rezeption des Spiels, anhand offener Fragen zu erfassen.158 Lamnek definiert die Intention dieser Befragung wie folgt: „Dabei dienen
die Befunde des fokussierten Interviews vor allem dazu, die auf Basis der Beobach158
Vgl. Hopf 2008, 353
60
tung entwickelten und formulierten Hypothesen über vermeintlich relevante Elemente
der Situation unter dem Aspekt der Gültigkeit neu zu betrachten. Die formulierten
Hypothesen sollen in Konfrontation mit der sozialen Realität getestet werden.“159
In dieser Untersuchung bilden die beiden von Agosto in Abschnitt 11.5.2 zusammengefassten Listen der geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen von Mädchen
und Computerspielen die „formulierten Hypothesen“ bzw. leitenden Kategorien. Sie
wurden anhand der Erfahrungen der befragten Mädchen mit dem Computerspiel „Die
Sims 2“ „an der Realität“ geprüft. Um die Offenheit der Untersuchung zu gewährleisten, wurde nicht nur nach diesen Kategorien analysiert, sondern auch nach möglichen zusätzlichen Kategorien geforscht. Dadurch kam es auch zur Bildung einer
neuen Kategorie.
Für die Durchführung der Interviews erstellte ich einen Leitfaden, der auf den einzelnen Punkten von Agostos Liste basierte, deren Reihenfolge aber zugunsten eines
zusammenhängenderen Ablaufs etwas abgeändert wurde. Die neue Reihenfolge
wurde in der Auswertung beibehalten. Als Einstieg – um „das Eis zu brechen“ –
formulierte ich allgemeine Fragen, die sich um den persönlichen Kontext der jeweiligen Spielerin und das Spiel drehten. Die weiteren Fragestellungen zu Agostos Kategorien ergaben sich hauptsächlich aus den zuvor gemachten Beobachtungen.
Ich möchte hier festhalten, dass ich mir der Kritik der „sozial erwünschten Antworten“, wie sie in Abschnitt 11.3 anhand der Girl Game Bewegung angeführt wurde,
sehr wohl bewusst war und versuchte dem durch entsprechende Fragestellungen
und „genauerem Nachfragen“ entgegen zu wirken.
Die Terminvereinbarung für das Interview geschah im Zuge der Beobachtung. Bis auf
Lisa erklärten sich alle beobachteten Mädchen bereit, sich von mir zum Spiel befragen zu lassen. Als ihre „Stellvertreterin“ fragte ich Silvia, die mir während der Beobachtung von Lisa als „Sims-Expertin“ aufgefallen war. Die vier Interviews fanden in
einem abgetrennten Raum des Mädchenzentrums Amazone während des Offenen
Betriebs in den Monaten Mai und Juni 2010 statt und wurden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet.
Die Transkription erfolgte in Schriftdeutsch, nach Standardorthographie, wobei nonverbale Äußerungen (bis auf „lacht“) nicht dokumentiert wurden. Auch Wiederholun-
159
Lamnek 2005, 369
61
gen, Füllworte und Abschweifungen wurden weggelassen, um die Beantwortungen
zugunsten aussagekräftiger Antworten zu reduzieren.
Nach der Transkription wurden die Antworten miteinander verglichen, beurteilt und
interpretiert. Einzelne Aussagen konnten teilweise oder gänzlich auch zu anderen
Kategorien eingeordnet werden. Hier wurde deutlich, dass im Computerspiel „Die
Sims 2“ eine enge Verknüpfung zwischen Agostos aufgestellten Kategorien bestand
und sie sich zum Teil überschnitten. Da zur zweiten Liste von Agostos Zusammenfassung bezüglich der Gestaltung von Computerspielen nur wenige aussagekräftige
Antworten vorhanden waren, wurde diese Liste zu einer Kategorie – die Gestaltung
von Computerspielen – zusammengefasst.
13.1.4 Expertinneninterview
Um in diese Arbeit auch die Sichtweise einer Fachfrau der feministischen Mädchenarbeit in die Thematik Mädchen und Computerspiele einbinden zu können, wurde ein
Expertinneninterview geführt. Denn „Expert[inn]eninterviews werden in Untersuchungen eingesetzt, in denen soziale Sachverhalte rekonstruiert werden sollen. (...) Um
soziale Sachverhalte rekonstruieren zu können, befragt man Menschen, die aufgrund
ihrer Beteiligung Expert[inn]enwissen über diese Sachverhalte erworben haben.“160
In der Recherche zu dieser Arbeit stieß ich auf den Artikel „Knobeln, Bauen, Ballern –
Computerspiele in der Mädchenarbeit“ von Susanne Kirk. Da dies der einzige Fachartikel aus der Mädchenarbeit (siehe hierzu Abschnitt 10.2.5), der zu dieser Thematik
ermittelt werden konnte, darstellte, und die Verfasserin zudem Leiterin eines Mädchencafés im deutschsprachigen Raum war, schien sie mir die perfekte „Beteiligung
an den zu rekonstruierenden Sachverhalten“ zu haben und über wertvolles Expertinnenwissen für diese Untersuchung zu verfügen. Per E-Mail nahm ich mit Kirk Kontakt
auf, erklärte ihr die Hintergründe meiner Arbeit und erkundigte mich, ob ich sie hierzu
interviewen dürfe. Kirk erklärte sich gerne dazu bereit. Aufgrund der großen Distanz
– Kirk arbeitet in Osnabrück – war ein persönliches Gespräch leider nicht möglich.
Auf ihren Wunsch mailte ich ihr daher meine ausgearbeiteten Interviewfragen, die sie
mir innerhalb von drei Wochen digital beantwortete. Die Auswertung des Expertinneninterviews wurde in die Beantwortung der Forschungsfragen miteingebunden.
160
Gläser/Laudel 2004, 11
62
13.2
Auswertung der Interviews und Beobachtung
Im folgenden Abschnitt wird die Auswertung der Interviews der Mädchen zur Überprüfung von Agostos Kategorien in Abschnitt 11.5.2 bezüglich des Inhalts und der
Gestaltung von Computerspielen anhand des Computerspiels „Die Sims 2“ dargestellt.
13.2.1 Mädchen bevorzugen Spiele, in denen eine fortlaufende Spielhandlung passiert und die Charaktere sich weiterentwickeln
können.
Die fortlaufende Spielhandlung ist in „Die Sims 2“ der eigentliche Spielmittelpunkt,
denn in diesem Computerspiel handelt es sich nicht um ein vorgegebenes Spielgeschehen. Hier werden (fast) keine Handlungsanforderungen, wie es bei den meisten
Computerspielen der Fall ist, an die Spielerin gestellt. So war die Feststellung, dass
trotz des offenen Spielcharakters die Spielmotivation weitgehend von der Regelstruktur ausging, überraschend. Die jeweilige Spielgeschichte kann, muss aber nicht von
den Entscheidungen und Handlungen der Spielerin bestimmt werden. Genau dies
weckte das Interesse am Spielen der befragten Mädchen.
So war die fortlaufende Spielhandlung allen Mädchen wichtig und stellte einen großen Spielanreiz dar. Diese Schlussfolgerung ergab sich vor allem aus der teilnehmenden Beobachtung. Hier wurde deutlich, dass alle Spielaktivitäten der Mädchen
besonders zu Beginn des Spiels bei der Charakter- und Familienerstellung sowie im
Hausbau- und Einrichtungsmodus auf das Fortlaufen der Spielhandlung ausgelegt
waren. Vor allem die Erstellung der Charaktere und die Auswahl der Gegenstände,
mit denen sie das Haus einrichteten, wurden sorgfältig gewählt. Moni meinte beispielsweise bei der Erstellung der „Oma“, dass es eigentlich nur Nachteile hätte, ältere Menschen zu erstellen, da es vom Spiel her vorgegeben ist, dass diese nicht arbeiten und so weniger Geld für die Sims-Familie zur Verfügung stehe. Lisa startete
sogar das Spiel nochmals von vorne, da sie mit ihren erstellten Sims-Charakteren
nicht so spielen konnte, wie sie gerne wollte. Aber auch, dass alle (bis auf Lisa, deren Spiel Sara übernahm) ihren Spielstand selbstverständlich beim Beenden der
Spielsitzung speicherten, zeugte davon, dass sie sich die Möglichkeit offen lassen
wollten, das Spiel fortsetzen zu können.
63
In den Interviews offenbarte sich die Wichtigkeit der fortlaufenden Spielhandlung für
die Mädchen vor allem dann, wenn sie Ereignisse aus ihrem realen Leben nachspielten bzw. unterschiedliche Charaktere und Rollen ausprobierten. Ihr Interesse und
ihre Neugierde galt dabei dem weiteren Spielgeschehen, das sich hauptsächlich aus
der Entwicklung der Charaktere ergab.
„Ich integriere (...) auch das, was ich erleben möchte oder schon erlebt habe. Auch
Freundschaften. Wenn du das nachspielst, was du erlebt hast, kannst du schauen, wie
war es, was hast du falsch gemacht? Und im Spiel weißt du, du kannst es auch anders
machen und so spielen, wie du willst.“ (Silvia, Z 64-69)
„Jugendliche müssen in die Schule gehen und Erwachsene nicht. Darum spiele ich
manchmal eine Mama. Und weil ich dann schwanger sein kann. Du kannst dann das Baby in die Hand nehmen und füttern und so.“ (Nici, Z 79-81)
„... jemanden nachmachen oder selber ausdenken. Um zu sehen, wie das dann aussieht,
ob es mir gefällt, wie es mit den Spielfiguren ist. So kann ich Neues ausprobieren.“ (Silvia, Z 84-86)
Daneben bot das Spiel auch Experimentierräume für Geschlecht und Hautfarbe. In
diesem Kontext war eine fortlaufende Handlung genauso wichtig wie die Charakterweiterentwicklung. Die Mädchen wollten miterleben, ob und welche Auswirkungen
ihre Entscheidungen für den weiteren Spielverlauf hatten, wie folgende Aussagen
verdeutlichen:
„Ja, ich probiere auch mal jemand anders zu sein, ich spiele ja verschiedene Leute. Mutter, Vater, Kinder, das bin ja dann alles ich. Ich habe gerne auch dunklere Haut. (...) Aber
die Hautfarbe hatte keine Auswirkungen auf das Spiel. Nicht so, wie im echten Leben.“
(Sara, Z 97-101)
„Ich habe auch schon ausprobiert, ein Mann zu sein. Es war komisch, weil man als Mädchen nicht weiß, was ein Mann unbedingt will. Da hatte ich Schwierigkeiten beim Spielen.
Ich probiere auch ab und zu andere Hautfarben aus.“ (Silvia, Z 89-91)
Die Interviews und Beobachtungen verdeutlichten die enge Verknüpfung der fortlaufenden Spielhandlung mit der Charakterentwicklung in „Die Sims 2“. So stellte auch
die letztere einen wichtigen Bestandteil des Spiels für die Mädchen dar. Beim Thema
Charakterentwicklung bildeten die Lebensziele sowie die familiären Beziehungen
wichtige Inhalte.
Wie in der Spielbeschreibung in Abschnitt 12.2 dargelegt, hat das Lebensziel großen
Einfluss auf die weitere Entwicklung einer Sims-Figur. Am häufigsten entschieden
sich die Mädchen bei den Beobachtungen für „Familie“ als Lebensziel. Moni begründete im Zuge des Spielverlaufs ihre Entscheidung, vorwiegend „Familie“ zu wählen
damit, dass es ihr wichtig wäre, einen Partner zu haben. Es stehe aber nicht so sehr
64
der Kinderwunsch im Vordergrund, sondern die dadurch entstehenden gemeinsamen
Interessen. Pragmatischere Gründe hatten hingegen Lisa und Nici. Beide wollten nur
mit Teenager-Figuren spielen. Da diese aber in „Die Sims 2“ nicht ohne einen Erwachsenen „leben“ können, passten sie sich an die Spielvorgaben an und gestalteten jeweils noch eine „Sims-Mama“ mit dem Lebensziel „Familie“ dazu, obwohl das
Lebensziel vom Spiel nicht vorgegeben wird.
Auch bei den Interviews gaben alle vier Mädchen an, meist dieses Ziel zu wählen,
dicht gefolgt vom Ziel „Karriere“, welches drei von ihnen nannten. „Familie“ als Lebensziel wurde vor allem den Mutter- und Vater-Figuren zugesprochen. Im Unterschied zu den Beobachtungen spielte hier bei der Wahl des Lebensziels das Geschlecht eine Rolle, obwohl für weibliche und männliche Sims-Figuren diesbezüglich
keine Vorgaben bestanden und die Spielerinnen frei bestimmen konnten.
„Meistens wähle ich bei beiden, also Frauen und Männer, ‚Familie. Das ist wichtig, damit
das Zusammenleben passt. Oft auch bei der Frau ‚Karriere. Ich spiele nicht nur so, dass
der Mann arbeiten geht und sie zuhause bleiben muss. Ich wechsle das ab.“ (Moni, Z 5456)
Zwei Mädchen wählten die Lebensziele nach traditionellen Rollenbildern.
„Bei den Frauen bestimme ich, dass sie Familienmenschen sind und sich gut um die Kinder kümmern und bei den Männern eher ‚Karriere, damit sie auch Geld verdienen. Bei
Teenagern sollen Mädchen erfolgreich in der Schule sein, Familienmensch sein, die
Jungs auch eher erfolgreich, aber eher beruflich.“ (Silvia, Z 42-45)
„Ich wähle ‚Karriere und ‚Familie. Männer bekommen ‚Karriere als Ziel und die Frauen
‚Familie. Die sollen auf die Kinder aufpassen. Außer, wenn ich mit einer alleinerziehenden Mutter spiele. Die muss ja dann arbeiten gehen, dann bekommt sie auch ‚Karriere
als Lebensziel. Das finde ich eigentlich das wichtigste Ziel. Aber ich finde es nicht gut,
dass man nur eines aussuchen kann. Weil Arbeiten ist nicht alles.“ (Sara, Z 58-63)
Ich vermute, eine nähere Untersuchung über die Rollenverteilungen in der eigenen
Familie der Mädchen würde einen Zusammenhang zwischen diesen und ihrer Auswahl der Lebensziele und ihre damit einhergehende Aufgabenverteilung – vor allem
für die erwachsenen Sims-Figuren – bestätigen.
Die zweite zentrale Eigenschaft, die die Charakterweiterentwicklung mitprägte, bildeten die familiären Beziehungen der Sims-Figuren. In den Interviews war die klassische Vater-Mutter-Kind(er)-Familie Hauptvorlage für die Familienerstellung.
„Beim Familienverhältnis schaue ich zuerst, dass Vater und Mutter beide Familienmenschen sind, dass der Vater nicht nur arbeitet und nach Hause schlafen kommt. Und dass
beide gleiche Interessen haben. Wenn sie Kinder haben, dann soll das Mädchen eher
ausschauen wie die Mutter und der Junge wie der Vater. (...) Ab und zu spiele ich auch
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mit anderen. Z. B. dass die Frau alleine in ein Haus zieht, einen Mann kennen lernt, heiratet, eine Familie gründet...“ (Silvia, Z 31-39)
„Ich achte auf das Zusammenleben [beim Erstellen der familiären Beziehungen]. Mir ist
wichtig, dass sie oft zusammen essen, zusammen etwas unternehmen und gut miteinander auskommen. Im richtigen Leben willst du ja auch gut mit deiner Familie auskommen.
Meistens spiele ich mit Mama, Papa und den Kindern.“ (Moni, Z 48-51)
Oft diente dabei die eigene Familie als Vorlage. Diese Aussagen unterstützten meine
vorher genannte Vermutung, dass die Auswahl der Lebensziele und die Rollenverteilungen im Spiel die persönlichen familiären Strukturen widerspiegelten.
„Und wenn ich Familien erstelle, dann ca. so wie meine Familie. Außer meine Mutter, ich
mache sie ein bisschen hübscher.“ (Nici, Z 29-30)
Eine Anknüpfung beim Computerspiel an die eigenen Wunschvorstellungen und Erfahrungen wurde bei Sara deutlich. So setzte sie ihre Vorstellung von einer Familie,
die offenbar in der Realität nicht (mehr) vorhanden war, in der virtuellen Welt um:
„Das Familienverhältnis spiele ich nach meiner Familie. (..) obwohl ich mit meinem Vater
jetzt keinen Kontakt mehr habe. Aber im Spiel erstelle ich immer einen Vater. Es ist mir
wichtig, dass es zwei Erwachsene gibt, die sich unterstützen können.“ (Sara, Z 47-52)
Neben der klassischen Familie erwähnten nur zwei Mädchen ab und zu auch mit einer alleinerziehenden Mutter zu spielen.
„Manchmal spiele ich aber nur mit einer Mutter und einer Tochter. Die Tochter darf dann
aber nicht zu jung sein. Sie muss in die Schule gehen können, damit die Mutter arbeiten
gehen kann.“ (Sara, Z 53-55)
Dieses Ergebnis war erstaunlich, da zuvor bei den Beobachtungen alle Mädchen die
Familienform der alleinerziehenden Mutter wählten (ausgeschlossen Sara, da sie die
Figuren von Lisa übernahm).
Eine vertiefendere Untersuchung über die Ursachen dieser Diskrepanz wäre neben
der vorher erwähnten möglichen Untersuchung bezüglich des Zusammenhangs zwischen reellen und virtuellen Familienstrukturen und Aufgabenverteilungen ebenfalls
interessant: Inwieweit ist die Wahl der familiären Beziehungen auf wirtschaftliche/finanzielle Gründe und inwieweit auf die tatsächlichen Wünsche der Mädchen
zurückzuführen? Wie bedeutend ist das „Doing Gender“ des Sozialisierungsprozesses für die Entscheidung der Familienform? In diesem Kontext vermute ich außerdem, dass sich die Kritik an der Girl Game Bewegung von Abschnitt 11.3 bewahrheitet, nämlich dass die Antworten der Mädchen sozial erwünscht waren, also von der
Gesellschaft und den Medien bereits vorgeformt wurden.
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13.2.2 Mädchen bevorzugen Spiele, die es ihnen ermöglichen, die
Hauptfigur zu spielen, entweder durch Selbstidentifizierung oder
durch die Macht, Entscheidungen selbst zu treffen.
Neben der fortlaufenden Spielhandlung und der Charakterweiterentwicklung erwies
sich auch die Selbstidentifizierung als wesentliche Spielmotivation für die Mädchen.
Die Frage, ob sie sich selbst bzw. ihr eigenes Leben ins Leben ihrer Sims-Figuren
integrieren würden, bejahten alle vier in den Interviews. In der Art und Weise der Integration gab es jedoch wesentliche Unterschiede.
Bei beiden Untersuchungsmethoden übertrugen drei Mädchen anhand der erstellten
Sims-Figuren ihre eigene Identität ins Spiel. Bei den Beobachtungen fand der Selbstidentifizierungsprozess von Lisa und Nici neben den äußerlichen Kennzeichen zusätzlich durch Übertragung des eigenen Namens sowie der eigenen Charaktereigenschaften – durch die Auswahl des eigenen Sternzeichens – auf die Figur statt.
Die Identifizierung zeigte sich außerdem in der Beschäftigung mit den Sims-Figuren.
Da in „Die Sims 2“ mehrere Figuren gespielt werden können, existiert eigentlich keine
Hauptfigur. Bei den Beobachtungen zeigte sich allerdings, dass sich die Mädchen mit
der Sims-Figur, die ihnen nahe kommt bzw. gleicht, am meisten spielten.
Auch in den Interviews war die Selbstidentifikation immer wieder Thema. Nici und
Silvia belegten dies ebenfalls anhand der Übertragung eigener Merkmale und Charaktereigenschaften:
„Du kannst dein eigenes Leben spielen, dich selber machen, kannst verrückt sein, ein
Haus bauen, vieles erleben.“ (Nici, Z 19-20)
„Beim Erstellen ist mir wichtig, dass sie wie ich ausschauen, zumindest mir ähnlich sind,
einen Charakter haben wie ich.“ (Nici, Z 28-29)
„Ich integriere mich nicht immer, aber ab und zu. Durch das Aussehen, Charakter usw.“
(Silvia, Z 64-65)
Andererseits grenzten sich Sara und Moni von der Selbstidentifikation mit einer SimsFigur ab.
„Mir ist es nicht so wichtig, dass die Figur ausschaut wie ich. Öfter erstelle ich Freunde.
Aber meistens erstelle ich sie nach Lust und Laune.“ (Sara, Z 35-36)
„Ich achte auch nicht darauf, dass sie mir oder anderen ähnlich schauen, sondern gestalte sie so, wie es mir gefällt.“ (Moni, Z 39-40)
In den Beobachtungen und Interviews waren jedoch allen Mädchen zwei Dinge gemein: Erstens integrierten sie Personen aus ihrem realen Leben mit Hilfe von äußer-
67
lichen Merkmalen und Charaktereigenschaften einer Sims-Figur ins Spiel. Zweitens
identifizierten sie sich auch mittels Ereignissen und Handlungen mit dem Spielgeschehen, wie aus den folgenden Antworten hervorging. Diese beiden Identifikationsprozesse beschreiben exakt die primäre Motivation der strukturellen Koppelung, wie
sie in Abschnitt 11.1 bereits theoretisch erörtert wurde.
„(...) ich mach z. B. im normalen Leben meine Hausaufgaben immer gleich nach der
Schule, das lasse ich meine Sims im Spiel auch so machen. Aber ich mache im Spiel
nicht alles so, wie ich es in Wirklichkeit mache, z. B. mit meiner Schwester streite ich
mich nicht so oft wie im Spiel. Aber mein Vater geht beispielsweise genauso wie mein
Sims-Vater arbeiten.“ (Moni, Z 74-78)
„Als ich mal Geburtstag hatte, war ich mit Freundinnen in der Stadt. Das war echt toll.
Das habe ich nachgespielt. Es ging aber nicht so gut.“ (Nici, Z 74-75)
„Ja, ich spiele zum Beispiel Streit mit Geschwistern nach. Jugendliche Dinge wie nach
draußen gehen und von zu Hause abhauen, Blödsinn anstellen. Oder etwas von den Geschwistern kaputt machen. Das spiele ich dann nach. Aber ich mach auch ganz normale
Sachen des realen Lebens im Spiel, wie essen und spazieren gehen.“ (Sara, Z 83-86)
Die enge Verknüpfung der Kategorien Charakterentwicklung und Selbstidentifikation
wurde auch im Ausleben der eigenen Wunschvorstellungen im Computerspiel deutlich. Durch die Handlungs- und Gestaltungsmacht erfüllten sich die Mädchen ihre
realen Wünsche in der virtuellen Welt und stellten dadurch einen weiteren Bezug
zum Spiel her.
„Ich spiele eher Sachen aus dem echten Leben nach, die ich nicht erreichen kann. Z. B.
eine Einserschülerin sein. Das schaff ich nur im Spiel. Oder, dass ich hübscher bin.
Manchmal mach ich mich auch dünner. Manchmal wähle ich auch eine dunklere Haut,
ich bin so hell.“ (Nici, Z 70-73)
„Ja, ich spiele grundsätzlich etwas anderes. Ich mache solche Sims, wie ich gerne ausschauen würde, nicht so, wie ich ausschaue. Ich probiere aus, wie ich gerne sein würde,
z. B. dass ich mir ganz viel leisten kann.“ (Moni, Z 93-95)
Die Transferprozesse von der realen in die virtuelle Welt fanden auch umgekehrt
statt. Was die Mädchen im Spiel erlebten, integrierten sie in ihr wirkliches Leben.
„Was ich spiele, merke ich mir. Wenns nicht so läuft, wie ich will, dann versuche ich es zu
ändern. Dann merke ich mir, was ich falsch gemacht habe. Im echten Leben und im
Spiel.“ (Silvia, Z 72-74)
Wurden die Mädchen allerdings direkt auf die Möglichkeit angesprochen,
Entscheidungen selbst zu treffen, waren ihre Meinungen sehr kontrovers. Während
die einen es genossen sich als Handlungsermächtigte zu erleben, wünschten sich
die anderen mehr Selbständigkeit seitens der Sims-Figuren.
„Ja, ich habe alles in der Hand. Ich entscheide, ob sie in die Schule gehen, ob sie Freude
am Leben haben, ob sie einen Partner oder eine Partnerin haben, ob sie heiraten, sie
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sterben zu lassen. (lacht) Alles entscheide ich selber. Das ist auch der Nervenkitzel, der
mich zum Computer lockt. Du erlebst jeden Tag etwas Neues. Manchmal wirst du befördert und hast Erfolg. Manchmal stirbt jemand aus der Verwandtschaft und dann geht es
mit der Laune wieder bergab. Das ist ganz unterschiedlich und zeigt dir, wie vielfältig das
Leben ist. Und ich entscheide mittendrin.“ (Moni, Z 100-107)
„Ja, weil man das im echten Leben nicht kann. Das Spannende ist, du kannst dein eigenes Leben machen, Schule schwänzen, mit Cheats reicher werden. Es gefällt mir auch,
weil man im Spiel auch über die anderen bestimmen kann und nicht nur über sich selber.
Es ist ein bisschen wie Macht. Manchmal machen sie auch, was sie wollen. Aber wenn
die Bedürfnisse gestillt werden müssen, greife ich wieder ein.“ (Nici, Z 85-89)
„Du kannst ihnen einfach Befehle geben z. B., wenn sie etwas tun, was dir nicht gefällt,
und sie machen es auch. Aber mir gefällt auch, dass sie selber Dinge machen. Dann
muss ich nicht dauernd schauen, dass ich welche aufs WC schicke oder zum Essen, das
machen sie selber auch.“ (Silvia, Z 94-98)
„Das finde ich bei den Sims nicht so toll, dass man die ganze Zeit bestimmen muss, was
die machen sollen. Wenn der eine Hunger hat, ich aber den anderen gerade auf die Toilette schicken muss, dann ist es stressig und ich vergesse womöglich noch auf den Dritten. Dass ich den Charakter bestimmen kann, gefällt mir schon. Aber essen gehen oder
so zu bestimmen ist lästig.“ (Sara, Z 109-114)
Wichtig ist mir hier zu betonen, dass die Kritik in den Interviews den Sims-Figuren
Befehle erteilen zu müssen, sich auf alltägliche Tätigkeiten wie Essen oder auf die
Toilette gehen bezog, welche das „Überleben“ der Charaktere gewährleisteten. Es
handelte sich somit um Aktivitäten, die sie immer wieder bestimmen mussten und bei
denen keine unvorhergesehenen oder außergewöhnlichen Reaktionen erwartet werden konnten im Unterschied zu den Reaktionsmöglichkeiten, die auf eine gesteuerte
Interaktion zwischen zwei Sims-Figuren folgen konnten.
Bei den Beobachtungen fiel auf, dass keines der Mädchen Schwierigkeiten damit
hatte, Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil, sobald sie im Spiel-Modus waren,
gaben sie ihre Befehle wie selbstverständlich an die Sims-Figuren weiter. Die Spielerinnen waren immer wieder neugierig, welche Befehle in verschiedenen Kontexten (z.
B. Befehle in Bezug auf zwei Sims-Figuren oder in Bezug auf eine Sims-Figur und
einen Gebrauchsgegenstand) grundsätzlich möglich waren bzw. ob sich die Befehlsoptionen während des Spielverlaufs verändert hatten.
Das Spiel ermöglichte den Spielerinnen positive Machterfahrungen zu machen. Sie
besaßen die Kontrolle über das Spielgeschehen und bekamen die Konsequenzen
ihrer Handlungen unmittelbar mit. Durch die Selbstidentifikation und die Macht, Entscheidungen zu treffen, wurde das Probehandeln im Spiel realer. Für die Mädchen
gewann das Spiel nicht zuletzt deswegen an Bedeutung, da es ein Stück weit zum
Sinnbild ihres eigenen Lebens wurde.
69
13.2.3 Mädchen bevorzugen Spiele mit starken, weiblichen Charakteren,
die Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen.
Im vorherigen Abschnitt 13.2.3 wurde bereits deutlich, dass die Entscheidungs- und
Handlungsgewalt eine wesentliche Spielmotivation für die Mädchen darstellte. Die
Interviews und die Beobachtungen zeigten weiters, dass sie vorwiegend mit weiblichen Charakteren spielten bzw. sich der Identifikationsprozess auf weibliche Charaktere bezog. Folglich bestätigten die Mädchen auch diese Kategorie Agostos. Unklar blieb bisher jedoch, ob sie die weiblichen Sims-Figuren als „stark“ wahrnahmen.
Daher, und auch um dem Forschungsansatzes der Sozialisations- und Kultivierungstheorie der feministischen Medientheorie in Abschnitt 10.3.1 gerecht zu werden, konzentriert sich dieser Abschnitt auf die Ansichten der Mädchen über die Darstellung
der weiblichen Sims-Figuren. Denn im Unterschied zu anderen Computerspielen
können die Spielerinnen in „Die Sims 2“ die Charaktere selbst gestalten und mit
Eigenschaften ausstatten. Aus diesem Grund und indem die Spielerinnen Handlungsmacht über sie besitzen, scheint es also wesentlich von ihnen abzuhängen, ob
ihnen die weiblichen Sims-Figuren gefallen und ob sie diese als „stark“ empfinden.
In den Interviews waren die Mädchen jedoch anderer Meinung und kritisierten die
Darstellung der weiblichen Sims-Figuren teilweise sehr drastisch. Sie fühlten sich in
ihrer Gestaltungsfreiheit eingeschränkt und begriffen, dass es schlussendlich doch
das Spiel war, welches die Darstellung bestimmt. Grund dafür war, dass sie nur einige Teile der Figuren detailliert einstellen konnten, andere nur grob und auf manche
hatten sie gar keinen Einfluss. Dort hingegen, wo ihnen das Spiel keine Grenzen bei
der Gestaltung setzte, äußerten sie sich positiv über das Spiel.
Zudem ging aus allen Aussagen der Mädchen hervor, dass trotz der scheinbaren
Vielfalt der Einstellungsmöglichkeiten das Spiel nur die Darstellung eines gewissen
Frauenbildes zulässt. Die Mädchen äußerten somit eine Kritik, die in den theoretischen Erörterungen dieser Thesis schon mehrmals dargelegt wurde, nämlich in Abschnitt 10.3 über die feministische Medientheorie, vgl. Abschnitt 10.2.2.2 über die
Intersektionalitätstheorie und Abschnitt 11.3 in der Kritik an der Girl Game Bewegung: eine einseitige, homogene und stereotype Frauendarstellung.
„Die Darstellung gefällt mir gut. Man hat nicht zu große Brüste, aber auch nicht zu kleine,
man ist nicht zu dünn oder zu fett. Bei den Frisuren ist es blöd, es gibt total wenige. Cool
wäre, wenn man eigene Haare machen könnte. Die Darstellung der älteren Frauen finde
ich besser als die der Jugendlichen. Die Frisuren passen besser.“ (Nici, Z 96-100)
70
„Mir gefällt es, dass man die Augen aussuchen, sie schminken kann, es verschiedene
Kleider und Schuhe gibt. Was mir nicht gefällt, ist, dass man die Figur nicht wirklich einstellen kann. Es ist nur eine bestimmte Art von Frau, die dargestellt wird. Figur, Größe,
Frisuren, Kleidung entspricht irgendwie nur einem Typ Frau.“ (Silvia, Z 106-109)
„Mir gefällt nicht, dass Frauen immer ganz schlank dargestellt werden und dass ältere
Frauen immer ein breites Becken haben. Wir können nichts dafür, dass wir ein breites
Becken haben, das ist natürlich. Männer werden nicht so übertrieben dargestellt. Bei den
Männern gibt es die Auswahl „muskulös“ und sie können nicht wirklich dick werden. Das
stört mich. (...) Es stört mich auch, dass, wenn ich den Zufallsgenerator eine Figur erstellen lasse, alle Frauen immer geschminkt sind und Kleider tragen. Es gibt auch sehr wenig
Auswahl an Hosen, viel mehr Kleider. Die weibliche Darstellung ist brutal [Anmerkung der
Autorin: „brutal“ ist hier im Sinne von „krass“ zu verstehen] im Sims. (...) Es stimmt einfach nicht. Es gibt ganz verschiedene Frauen und Frauentypen. Ich kann nicht wirklich
ganz was anderes machen. Ich kann auch nicht von den Männern Hosen nehmen. Du
bist eine Frau, das heißt Kleid, Stöckelschuhe und Make-up.“ (Moni, Z 112-125)
„Eine Frau sollte aber nicht so ausschauen wie im Sims-Spiel. Es gibt die Körpereinstellung dünn oder dick und dann ist alles so. Aber in Wirklichkeit haben Frauen manchmal
längere Beine oder ein kleineres Becken. Im Spiel sind die Becken immer so groß. Bei
den Kleinkindern ist alles einheitlich. Die Oma hat so ein breites Becken. Das ist im realen Leben nicht so. Ich hätte da gerne mehr Auswahl.“ (Sara, Z 119-124)
Die Ergebnisse der Interviews korrelieren mit den Beobachtungen. Besonders freuten sich die Mädchen über die detaillierte Modellier- und Schminkmöglichkeit des
Gesichtes. Bei den Frisuren und Kleidungen hingegen waren sie von den eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten enttäuscht.
Den Interviews und Beobachtungen konnte außerdem entnommen werden, dass es
Unterschiede bei den Darstellungen von männlichen und weiblichen Sims-Figuren
gab. Diese zeigten sich beispielsweise in unterschiedlichen Garderoben in allen Altersklassen, unterschiedlichen Körperattribute wie Frisuren und unterschiedlichen
Spieloptionen wie z.B. dass schwangere Sims-Frauen im Haus bleiben müssen.
Demzufolge sind die Spielvorgaben nicht geschlechtsneutral, sondern bestimmen
Aussehen, Eigenschaften sowie Handlungsoptionen von weiblichen und männlichen
Sims-Figuren mit. Das Regelwerk des Spiels definiert also teilweise, was als männlich und als weiblich gilt. Schränkten diese Vorgaben die Mädchen in ihrer Spielweise
ein, erkannten und beanstandeten dies die Mädchen.
Die unterschiedlichen Spielvorgaben für männliche und weibliche Sims-Figuren führten zu der Frage, ob die Frauen in „Die Sims 2“ gleichberechtigt sind. Überraschenderweise bejahten drei der Mädchen dies, nur eines war anderer Meinung.
„Ja, schon. Mein Eindruck ist, dass (...) sie alles machen können, was sie wollen. Z. B.
beim Beruf: Eine Frau kann z. B. im Militär, ein Mann im Haarstudio arbeiten.“ (Nici, Z
114-116)
71
„Ja. Die Frau muss nicht nur zu Hause sein und der Mann geht arbeiten. Beim Putzen
auch. Auch der Mann putzt mal das Klo oder macht das Bett. Das find ich gut. Für diese
Aufgaben kann ich beide anklicken.“ (Sara, Z 140-142)
„Ja, wenn sie es wollen, dann können sie es schon. Sie sind nur eingeschränkt, wenn sie
schwanger werden. Dann gehen sie nicht mehr aus dem Haus.“ (Silvia, Z 113-114)
„Ich finde, sie sind eingeschränkt. (...) Sie müssen auch immer daheim sein bei den Kindern. Wenn du ein Kindermädchen engagierst, sind es auch immer nur Frauen. Man
denkt, dass Frauen mehr Bezug zu den Kindern haben, weil sie sie gezeugt haben, aber
da war ja auch der Vater dabei. Im Spiel werden sie als Hausfrauen dargestellt und der
Mann geht arbeiten.“ (Moni, Z 132-139)
In ihren Aussagen zur Gleichberechtigung thematisierten die Mädchen vor allem berufliche Möglichkeiten sowie die Kinderbetreuung. Andere Bereiche, wie beispielsweise die zuvor beanstandeten unterschiedlichen Kleidungsvorgaben wurden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.
Interessant war auch, dass die Mädchen die gleichberechtigte bzw. ungleichberechtigte Darstellung der Figuren nur als vom Spiel bestimmbar wahrnahmen – was auch
stimmte – und nicht auch auf ihre Spielweise zurückführten. Sind es doch die Spielerinnen, welche die Tätigkeiten der Sims-Figuren bestimmen, also wer putzen muss,
wem welcher Beruf zugewiesen wird oder wer zuhause bei den Kindern bleibt.
Eine vertiefende Untersuchung darüber, inwieweit die Spielvorgaben der SimsFiguren die Mädchen in ihren Vorstellungen über weibliche Rollenbilder beeinflussen,
würde eventuell weitere Erkenntnisse liefern, die helfen könnten, diesen Rollenstereotypen entgegen zu steuern. Spannend wäre hierzu auch ein Vergleich mit der
Spielweise von Jungen und deren Ansichten über die männlichen Sims-Figuren.
13.2.4 Mädchen bevorzugen Spiele, die den Konflikt zwischen Gut und
Böse meiden.
Da „Die Sims 2“ auf das klassische Sujet von Computerspielen, guter Held muss gegen gemeinen Bösewicht kämpfen, verzichtet, wurde bezüglich dieser Kategorie von
Agostos Liste eruiert, ob es überhaupt gute und böse Sims-Figuren gibt und wie bestimmt wird, was gut und böse ist.
Drei Mädchen gaben an, dass gute und böse Sims-Figuren existieren und dass sie
diese als Spielerinnen selbst festlegen können, indem sie bei der Erstellung die entsprechenden Charaktereigenschaften einstellen. Außerdem berichtete ein Mädchen,
dass die Sims-Figuren auch während des Spiels böse werden können, wenn sie von
72
anderen Sims-Figuren gemein behandelt werden. Demnach kann die Spielerin noch
während des Spiels durch Befehle dazu beitragen, die Sims-Figuren gut oder böse
werden zu lassen.
Den Interviews und den Beobachtungen zufolge gestalteten alle Mädchen „gute“
Sims-Figuren. Sara und Moni erzählten jedoch, dass sie sich als Sims-Figuren auch
schon mal „böse“ verhalten haben bzw. mit einem „bösen“ Charakter gespielt haben.
So ermöglicht es das Spiel zu experimentieren und auch einmal gegen „moralische
Regeln“ zu handeln.
„Einmal habe ich „böse“ eingestellt. Diese Sims hat dann die ganze Zeit mit ihrer
Schwester gerauft und sich schwarz angezogen. Böse zu sein, zeigt sich auch, indem sie
niemand etwas gönnen, egoistisch sind und alles für sich wollen.“ (Moni, Z 156-159)
„Aber manchmal provoziere ich es auch und schubse die anderen Sims oder sage etwas
Böses. (lacht)“ (Sara, Z 167-68)
Konflikte im Spiel hatte jedes Mädchen schon einmal erlebt. Dabei handelte es sich
bei allen Auseinandersetzungen um einen Streit zwischen zwei Sims-Figuren, die
meistens in einer familiären Beziehung zueinander standen. Die Konflikte spielten
sich also nicht zwischen „Gut“ und „Böse“ ab, sondern betrafen soziale Konflikte bzw.
Alltagskonflikte, die durch das Zusammenleben entstanden. Dies ist nicht weiters
überraschend, denn soziale Kontakte gehören zu den Grundbedürfnissen und ohne
sie vereinsamen die Sims-Figuren und werden unglücklich. Bedenkenswert ist allerdings die Tatsache, dass viele der beschriebenen Konflikte in gewalttätigen Handlungen der Sims-Figuren endeten, die Mädchen dies aber nicht störte bzw. sie nichts
Unethisches daran fanden.
„Ja, Geschwister-Konflikte, Mutter-Sohn-Konflikte, Vater-Mutter-Konflikte oder mit Gästen. Einmal habe ich eine Party gegeben, da haben zwei Frauen gestritten, weil eine mit
dem Mann von der anderen geflirtet hat. Da haben sie sich geprügelt und geschrien. Ich
fand das lustig.“ (Sara, Z 153-156)
„Ja, z. B. Geschwister untereinander. Das kann ja auch gelenkt werden, indem man ihnen befiehlt ‚rauft euch jetzt. Aber es kann natürlich auch sein, dass sie es von selber
machen. Das ist ja normal bei Jugendlichen. Wenn sie raufen, dann kommt eine Wolke
mit lauter Sternen und Gewitterbalken. Es kommt auch bei Älteren vor, z. B. wenn jemand verliebt ist, aber der etwas mit einer anderen hat, dann kann es zu Watschen
kommen. Das kann auch befohlen werden.“ (Moni, Z 163-169)
„Sie waren verheiratet und haben sich scheiden lassen. (...) sie haben sich auf einmal
gestritten und geschlagen, auf einmal stand dort, sie seien geschieden.“ (Silvia, Z 135139)
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Zwei Mädchen beschrieben jedoch, schon mal mit dem Jugendamt bzw. der Polizei
in Konflikt geraten zu sein.
„Einmal hatte ich Probleme mit dem Jugendamt. In einem Haushalt kann man nur bis zu
acht Kinder haben. Ich hatte zwei Familien drin und versuchte dann, ein neuntes Kind zu
bekommen. Dann kam das Jugendamt und nahm die zwei Ältesten mit. Es kam einfach
ein Auto, dann stieg eine Frau aus, holte die Kinder und ging. (...) Der Vater hat nur geschrieen und getobt, die Mutter war am Arbeiten.“ (Silvia, Z 140-143)
„Ich habe einmal bei einem Ausflug ein Kind vergessen. Dann kam die Polizei und ich
musste zahlen, weil das Kind nicht so lange draußen bleiben durfte.“ (Nici, Z 311-312)
Die beschriebenen Vorgehensweisen der „Behörden“ passierten auf Grund eines
Verstoßes gegen die Spielregeln und wirkten auf mich sehr überzogen bzw. realitätsfremd. Die beiden Mädchen kritisierten diese Vorfälle jedoch nicht und schienen „das
Eingreifen des Spiels“ als selbstverständlich akzeptiert zu haben.
Hier stellt sich für mich die Frage, wieso in „Die Sims 2“ diese Art – behördliche Vertreterinnen und Vertreter – zur Gewährleistung der Einhaltung der Spielregeln gewählt wurde. Das Spiel hätte es beispielsweise verhindern können, dass die SimsFamilie ein weiteres Kind bekommt. M. E. ist es außerdem absurd, dass Nici nicht,
weil sie ein Kind vergaß, eine Strafe zahlen musste, sondern weil sie ein Zeitlimit
überschritten hatte. Gewalttätige Handlungen einer Sims-Figur hingegen werden vom
Spiel nicht reglementiert.
Zur Konfliktlösung griffen bis auf ein Mädchen alle aktiv ins Spielgeschehen ein, indem sie den Sims-Figuren befohlen hatten, wieder „nett“ miteinander zu sein bzw.
„gute“ Interaktionen durchzuführen. Sie erlebten, dass sich sozial verantwortliches
Handeln positiv auf den weitern Spielverlauf auswirkte. So trug das Spiel in gewisser
Weise zur Entwicklung ihrer Konfliktlösungskompetenzen bei.
„Bei diesen streitenden Frauen habe ich eine Frau verschickt, aber das hat nicht geklappt. Die haben trotzdem weiter gestritten und meinen Befehlen nicht gehorcht.
Schlussendlich habe ich sie dann doch versöhnt. Ich habe bestimmt, dass sie über nette
Themen reden. Das hat dann geklappt.“ (Sara, Z 162-165)
„Ich habe den Befehl zurückgenommen und dafür befohlen, dass sie miteinander reden
sollen. So ändert sich die Stimmung zwischen den beiden, dass sie sich wieder mögen.
Oder ich habe sie in ihre Zimmer geschickt damit sie sich aus dem Weg gehen. Du musst
halt reagieren. Das ist blöd, wenn ich gerade mit einem Sims im oberen Stock beschäftigt
bin und die anderen sich unten anfangen zu prügeln.“ (Moni, Z 175-179)
Interessant war in diesem Kontext die Aussage eines Mädchens, dass gegen behördliches Vorgehen nichts zu machen sei. Wenn das Spiel also selbst in das Geschehen eingreift, sind diese Maßnahmen endgültig.
74
„Beim Jugendamt kann man nichts machen, die Kinder bleiben weg. Bei dem Scheidungsfall habe ich ihm befohlen, dass er ihr Sachen schenkt und sie wieder zusammenkommen.“ (Silvia, Z 149-151)
Da zwar Konflikte im Spiel „Die Sims 2“ vorkommen können, diese aber nicht explizit
zwischen „Gut“ und „Böse“ stattfinden, bestätigen die Ergebnisse dieser Untersuchung auch diese Kategorie von Agostos Liste.
13.2.5 Mädchen bevorzugen Spiele, die Wettkampf nicht als Hauptinhalt
haben.
Da das Spiel „Die Sims 2“ nicht als Wettkampfspiel konzipiert wurde, kommen auch
keine klassischen Wettkampfsituationen wie z. B. eine Aufgabe gegen die Zeit zu
lösen oder eine andere Spielfigur vor dem Bösewicht zu retten, vor. Das Zutreffen
dieser Kategorie von Agosto wurde von allen Mädchen am deutlichsten belegt. Während der Beobachtungen kam es zu keiner Wettkampfsituation und auch in den Interviews sprachen sich die Mädchen deutlich für ein wettkampffreies Spielgeschehen
aus. Dabei kritisierten sie vor allem die Auswirkungen der Hierarchisierung eines
Wettkampfes: Jemand sei dann besser als die anderen.
„Ich möchte meine Sims nicht puschen müssen, nur damit sie gewinnen. Du kannst
Playstation spielen, dann können sie gegeneinander spielen. Dazu kann man aber nicht
wirklich Wettkampf sagen. Aber ich finde das auch nicht wichtig.“ (Moni, Z 206-209)
„Ich finde es gut, dass es keine Wettkämpfe gibt, weil man nicht immer der Beste sein
muss und die andern sind dann die Schlechten. Alle sind gleich. Niemand ist besser als
die anderen.“ (Sara, 207-209)
„Wettkampf finde ich blöd, man braucht es eigentlich nicht, es ist egal, wer besser ist.
Manchmal gibt es einen Wettkampf zwischen den Sims: Wenn jemand z. B. jonglieren
kann, jemand anderer behauptet, er könne es auch, es aber tatsächlich nicht kann, dann
ist das für mich auch ein Wettkampf.“ (Nici, Z 177-180)
„Ich finde es gut, dass es keine Wettkämpfe gibt, weil es da mehr ums Leben geht, du
weißt, wie es sein kann, aber nicht sein muss. Du weißt auch, wie es wäre, wenn man
etwas anders gemacht hätte. Der Wettkampf geht mir nicht ab.“ (Silvia, Z 175-177)
Stattdessen bedeutete für sie Erfolg im Spiel zu haben die Weiterentwicklung ihrer
Sims-Figuren und Sims-Familien und die Erfüllung ihrer Lebensziele, wodurch ein
weiteres Mal die sozialen Beziehungen in den Mittelpunkt traten.
„Wenn die Kinder lernen, selber zur Schule zu gehen, ohne dass ich sie schicken muss.
Wenn die Frauen und Männer arbeiten. Wenn sie einen Job haben, älter werden, erwachsen werden usw. Wenn alles schon gemacht wurde und mir langweilig wird. Also,
wenn keine Herausforderung mehr da ist.“ (Silvia, Z 156-159)
75
„Erfolg im Spiel habe ich, wenn sie einen guten Job haben und befördert werden, wenn
sie sich verloben und heiraten, wenn sie „Familie“ als Ziel haben und sie bekommen ein
Kind oder wenn sie eine gute Stimmung haben und alles passt. Also vor allem, wenn sich
ihre Lebensziele erfüllen. Dann habe ich das Gefühl, ich habe sie weitergebracht in ihrem
Leben.“ (Moni, Z 183-187)
„Erfolgreich bin ich, wenn ich z. B. mein Haus gebaut habe, dann freue ich mich, weil es
so viel Arbeit ist. Oder wenn ich verheiratet bin, Kinder habe, eine Familie. Dann kann ich
die Kinder ärgern (lacht) oder etwas mit ihnen unternehmen. Das macht Spaß.“ (Nici, Z
160-163)
13.2.6 Mädchen bevorzugen Spiele, die actionreich aber gewaltfrei sind.
Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde, bedeutet in „Die Sims 2“ erfolgreich
zu sein, sich intensiv um die Sims-Figuren und deren Bedürfnisse zu kümmern. Mit
der Erfüllung dieser Aufgaben entstand den Aussagen der Mädchen zufolge ein actionreiches Spielgeschehen, bei dem sie auf viele verschiedene Dinge parallel zu
achten hatten: So musste beispielsweise zugleich eine Sims-Figur aufs Klo geschickt, Besuchende an der Haustür empfangen sowie auf die Kinder aufgepasst
werden.
„Die Lebensziele zu erreichen, das ist nicht so einfach, weil man zuerst die Bedürfnisse
stillen muss. Man hat wenig Zeit für die Lebensziele.“ (Nici, Z 166-167)
„Du musst alles gleichzeitig lenken. Der eine muss duschen gehen, der andere essen
und dann passiert auf einmal etwas dazwischen und du hast kaum Zeit zu reagieren.“
(Moni, Z 190-191)
„Da ich oft große Familien habe, wird es dann stressig, auf alle Sims zu schauen. Wenn
die einen Hunger haben, muss ich die anderen aufs Klo schicken.“ (Sara, Z 196-198)
Genau diese herausfordernde „Action“ bildete eine wichtige Spielmotivation für die
Mädchen, vgl. die Interviewpassagen am Ende von Abschnitt 13.2.5.
Zum Thema Gewalt in Computerspielen spricht sich nur ein Mädchen klar dagegen
aus und schlägt stattdessen andere Konfliktlösungen vor. Überraschenderweise
handelte es sich dabei um jenes Mädchen, das zuvor angab, bei einer gewalttätigen
Konfliktsituation nicht eingegriffen zu haben.
„Ich finde Gewalt schlecht, weil man keine Gewalt braucht. Man kann ja auch schreien
oder „stopp“ sagen und nicht gleich schlagen.“ (Nici, 202-203)
Den Aussagen der anderen drei Mädchen war zu entnehmen, dass sie Gewaltdarstellungen zwar nicht gut fanden, aber die Tatsache, dass diese Teil des Spielinhaltes waren, für realitätsnah erachten.
76
„Ich finde es schlecht gegenüber Minderjährigen. 10-Jährige, die das noch nie erlebt haben und hier sehen. Ich finde, es wird gezeigt, dass Gewalt ok ist. Wenn du zwei Kinder
hast, finde ich, kommt Gewalt sehr oft vor, also dass sie sich streiten und raufen. Daher
finde ich die Abdeckung mit der Wolke gut. Man sieht nicht wirklich, wie sie es tun. Klar,
gehört es zum Leben und sie wollen das Spiel so machen, dass es authentisch ist, aber
ich würde es im echten Leben auch nicht machen.“ (Moni, Z 219-224)
„Ich finde es eigentlich ganz normal. Das passiert im echten Leben ja auch. Ich finde es
zwar nicht so toll, aber das Spiel ist ja so ähnlich wie möglich nach dem echten Leben
gemacht worden. Im „San Andreas-Spiel“ muss man Menschen umbringen und im Sims
geht das nicht. Das finde ich gut. Da ist nichts so Negatives.“ (Sara, 179-182)
„Es kommt drauf an, wie körperliche Gewalt vorkommt, ob es z. B. nur eine Watsche ist
oder so, aber wenn es schlimmer wird, dann nicht.“ (Silvia, Z 188-189)
Insofern widerlegten die Mädchen diese Kategorie von Agostos Liste. So gefiel ihnen
zwar ein actionreiches Spielgeschehen, wie auch Agosto feststellte, sie wünschten
aber nicht, dass dies gewaltfrei sein sollte. M. E. würde sich die Auswertung dieser
Kategorie ändern, würden Gewaltdarstellungen im Spiel direkt gezeigt und/oder deren „Härtegrad“ erhöht. In „Die Sims 2“ werden Schlägereien beispielsweise durch
eine Staubwolke verdeckt, sodass die direkte Gewalthandlung nicht sichtbar ist. In
diesem Sinne werden auch keine „blutrünstigen“ Verletzungen gezeigt.
An dieser Stelle möchte ich meine Bedenken darüber äußern, welche Werte und
Normen die Mädchen aus dem Spiel ziehen können. Insgesamt wurde nämlich nur
eine gewalttätige Handlung kritisiert und, wie in Abschnitt 13.2.2 erläutert, identifizierten sich die Mädchen mit dem Spielgeschehen, was einen Transferprozess in ihr reales Leben förderte. Keines der Mädchen berichtete darüber, dass eine andere SimsFigur in eine „Schlägerei“ eingriff oder dass das Spiel selbst in Form von PolizeiFiguren dieser ein Ende setzte. Ebenso wenig gab es für die Schlägerin oder den
Schläger eine Bestrafung.
Außerdem möchte ich noch festhalten, dass die Mädchen den Begriff Gewalt auf
physische Gewalthandlungen begrenzten. Auf strukturelle Gewalt beispielsweise, wie
die zuvor kritisierte homogene Frauendarstellung, gingen sie in diesem Kontext nicht
mehr ein.
77
13.2.7 Mädchen bevorzugen Spiele, bei denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen.
Die Spielbeschreibung in Abschnitt 12.2 sowie alle bisherigen ausgewerteten Punkte
von Agostos Liste bezüglich des Inhalts von Computerspielen haben gezeigt, dass
einerseits die Beziehungen zwischen den Sims-Figuren im Mittelpunkt des Spielgeschehen stehen und andererseits dieser Themenkomplex von großer Bedeutung für
die Spielmotivation der Mädchen war. Anders gesagt, der Fokus auf die sozialen Beziehungen beruht erstens darauf, dass „Beziehung“ ein Bedürfnis jeder Sims-Figur im
Spiel darstellt und von der Spielerin befriedigt werden muss, und zweitens darauf,
dass den Mädchen Beziehungen bzw. Freundschaften im realen Leben wichtig sind
und sie diese in die virtuelle Welt transferierten. Die Spielfiguren waren für sie nicht
nur Mittel zum (Spiel)Zweck, viel mehr wurden diese durch die in Abschnitt 13.2.2
beschriebenen Identifikationsprozesse zur Metapher für das eigene Leben.
„Mir ist es wichtig und ich tue viel dafür. Ich rede mit anderen Sims, um Freundschaften
zu schließen.“ (Sara, Z 235-237)
„Mir ist es wichtig, dass sie gute Beziehungen und Freundschaften haben, dass sie nicht
dauernd streiten und lange befreundet bleiben. Auch mit fremden Figuren, also solchen,
die ich nicht erstellt habe. Es kommt vor, dass sie beim Haus vorbeilaufen, dann redet
meine Familie mit ihnen, ladet sie ein, so entsteht eine Freundschaft.“ (Silvia, Z 214-218)
„Im Spiel habe ich nicht so oft Beziehungen, nur Freundschaften. Freundschaft ist das
Wichtigste im Leben. Freundinnen halten zu dir und helfen dir.“ (Nici, Z 148-149)
„Mir sind Beziehungen und Freundschaften im Spiel sehr wichtig. Im wahren Leben habe
ich auch Freunde, mit denen ich mich treffe. Fürs Spiel ist es auch sehr wichtig, da es einen Balken für Beziehungen gibt, der geladen werden muss. Neue Leute kennen zu lernen ist mir sehr wichtig für meine Sims. Es geht ihnen gut, wenn sie Freunde treffen.“
(Moni, Z 258-262)
13.2.8 Mädchen bevorzugen Computerspiele, die reale Schauplätze
verwenden.
Das Computerspiel „Die Sims 2“ erhebt den Anspruch eine Simulation des realen
Lebens zu sein. Um der „Wirklichkeit“ gerecht zu werden, passen sich neben den
Spielinhalten auch die optische Darstellung von Schauplätzen, Gegenständen und
Sims-Figuren an reale Gegebenheiten an. So waren mit dieser Art der Darstellung
alle Mädchen zufrieden. Die Verwendung von realen Schauplätzen wurde für den
Identifizierungsprozess mit dem Spielgeschehen als wichtig und förderlich empfunden.
„Ich würde an der Darstellung des Spiels nichts ändern. Es zeigt das richtige Leben.“
(Moni, Z 251-252)
78
„Ja, ich finde es gut, dass es realitätsnah ist und nicht nur Fantasie. Man weiß, wenn was
passiert, kann es im richtigen Leben auch passieren. Ich nehme es ernster so. Die reale
Darstellung ist mir wichtig.“ (Silvia, Z 206-208)
„Mir würde es nicht gefallen, wenn es eine Fantasiewelt wäre, in der Einhörner oder so
herumfliegen. Dann wäre es nicht mehr ‚Die Sims.“ (Sara, Z 229-230)
„Ja, ich finde es schon gut, dass es real ist, weil es in Sims darum geht, den Alltag
nachzuspielen.“ (Nici, Z 223-224)
Daher bezog sich die Kritik der Mädchen auf unrealistische sowie comicartige Darstellungen.
„Aber schlecht finde ich, dass sie unrealistische Augen haben und ähnlich wie Comicfiguren ausschauen.“ (Nici, Z 224-225)
„Ich finde es auch blöd, dass die Sims nicht quer gehen können, sondern nach den Kästchen gehen müssen, wie Roboter. Sie können auch nicht einfach an einem Stuhl vorbei
gehen oder ihn auf die Seite schieben, sondern regen sich auf, bis ich das mache. Das
macht man doch im wahren Leben auch.“ (Moni, Z 273-276)
Damit bestätigten die Mädchen eine weitere Kategorie von Agostos Liste hinsichtlich
des Inhalts von Computerspielen. Außerdem zeigte sich erneut, dass die Mädchen
das Spiel „Die Sims 2“ vor allem dann kritisierten, wenn sie in ihrer Spiel- und/oder
Gestaltungsfreiheit eingegrenzt wurden.
13.2.9 Mädchen bevorzugen Spiele mit einem gewissen pädagogischen
Wert im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert.
In ihrer Zusammenfassung der häufigsten Geschlechtsstereotypen in Bezug auf
Mädchen und Computerspiele erklärt Agosto die Begrifflichkeit eines „gewissen pädagogischen Werts“ leider nicht genauer. So ist dieser Ausdruck schwer zu definieren, denn welche Kategorien bestimmen bei einem Computerspiel seinen „pädagogischen Wert“? Schon bei den einfachsten Ballerspielen kann Geschicklichkeit, die
Feinmotorik oder die zeitgerechte Erfüllung einer Aufgabe geübt werden.
In dieser Untersuchung wurde daher der „pädagogische Wert“ von „Die Sims 2“ über
das Probehandeln definiert, welches den Mädchen durch den Simulationscharakter
des Spiels ermöglicht wird. Das Probehandeln bezieht sich hier auf die sozialen Beziehungen und bietet den Mädchen in unterschiedlichen Settings wie Beruf, Familie,
Freundschaft etc. Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit diesen. Die Spielerinnen
79
nutzten die Möglichkeit, verschiedene Rollen auszuprobieren und erlebten die Konsequenzen ihrer Entscheidungen und Befehle live am Bildschirm mit.
Die Frage, ob sie etwas von „Die Sims 2“ lernen konnten, beantworteten alle Mädchen positiv. Auch wenn Silvias Antwort etwas widersprüchlich war, gab sie doch
ebenfalls ein „Lernbeispiel“ an. Somit bestätigte sich auch diese Kategorie von
Agosto. Überraschend war die große Bandbreite an Beispielen, die sie in diesem
Zusammenhang aufzählten, wie Freundschaften, der Umgang mit Geld oder das Erlernen von Eigenverantwortung.
„Ja, dass Freundschaften wichtig sind.“ (Nici, Z 265)
„Ja, dass man arbeiten gehen soll und zur Schule gehen soll. Dass man sich um sich
selber kümmern sollte.“ (Sara, Z 266-267)
„Ich probiere aus, wie ich gerne sein würde, z. B. dass ich mir ganz viel leisten kann. Dadurch lernte ich, mit Geld umzugehen. Du musst auch mal auf etwas verzichten können.
Dinge, die ich nicht wirklich brauche, verkaufe ich, wenn es nicht anders geht.“ (Moni, Z
94-97)
„Außer dass das, was im Spiel passiert, auch im echten Leben passieren könnte, eigentlich nichts.“ (Silvia, Z 231-232)
Neben dem „pädagogischen Wert“ interessierte mich weiters, ob und welche Gefahren oder Risiken die Mädchen in „Die Sims 2“ sahen. Auch hierzu nannten alle vier
wieder völlig unterschiedliche Beispiele wie die Konfrontation mit Gewalt und Tod
über Aliens bis hin zu Beziehungsproblemen. Zwei der Mädchen waren sogar der
Meinung, dass das Spiel nicht für Kleinkinder bzw. Kinder unter 12 Jahren geeignet
wäre, obwohl es offiziell keiner Altersbeschränkung unterliegt. Ihre Bedenken waren
verständlich und bezeugte die bereits im theoretischen Teil gemachte Erkenntnis, wie
wichtig eine Begleitung und Reflektion der erlebten Inhalte für die Spielerinnen ist –
gerade wenn es sich dabei um soziale Beziehungen und Selbstidentifizierungsprozesse handelt.
„Ich finde das Spiel nicht geeignet für Kleinkinder. Die können noch nicht verstehen, dass
das ein Spiel ist und nicht real.“ (Sara, Z 256-257)
„Kinder werden im Spiel auch mit dem Tod konfrontiert. Wenn ein Sims stirbt, kommt ein
Grabstein und ein Geist schwirrt durch das Haus. Für mich war das brutal. Ich habe mit
10 Jahren angefangen zu spielen und meine Mutter hatte keine Bedenken, weil auch
meine Schwester meinte, das wäre ok. Aber für mich war es voll der Horror, als mein
Sims zum ersten Mal gestorben ist. Mit 10 Jahren war es für mich eine Überforderung,
das Spiel zu lenken und alles im Auge zu behalten. Und dann ist jemand gestorben und
auf einmal erschien der Geist. Da habe ich total Angst bekommen. Da würde ich die Altersfreigabe ändern. Die meisten beginnen ja schon früher zu spielen. Meinen Kindern
würde ich es mit 12 Jahren erlauben.“ (Moni, Z 304-312)
80
13.2.10
Mädchen bevorzugen Spiele, die mädchenspezifisches
Spielverhalten widerspiegeln.
Auch der Ausdruck des „mädchenspezifischen Spielverhaltens“ wird von Agosto nicht
näher erklärt und war nicht einfach zu definieren. Dreht sich doch diese Arbeit genau
um diese Thematik und die Frage, was mädchenspezifisches Spielverhalten ist und
ob es das überhaupt gibt.
Daher bezieht diese Untersuchung den Ausdruck „mädchenspezifisches Spielverhalten“ auf die primäre Motivation der strukturellen Koppelung161 nach Köhler, wie sie in
Abschnitt 11.1 erläutert wurde: Die Motivation Computerspiele zu spielen besteht
primär darin, Anknüpfungspunkte zur je eigenen Lebenswelt wie Persönlichkeitsmerkmale, Lebenssituation, Hobbys, Interessen, Vorlieben, etc. im Spiel wieder zu
finden.162 Und genau diese Auslegung findet sich in den Antworten der Mädchen wieder und bestätigt in diesem Sinne auch diese Kategorie Agostos:
„Ja, alles Alltägliche wie Fernseh schauen, Freunde anrufen, vor dem Computer sitzen,
Party machen, Schule gehen.“ (Sara, Z 275-276)
„Man kann sich selber machen, ein Haus bauen. In der Freizeit lasse ich die Kinder essen und spielen, wie ich es auch in meiner Freizeit mache.“ (Nici, Z 263-264)
„Ja. Ich gehe in die Schule, möchte Freunde haben, mich mit meinen Eltern und Geschwistern gut verstehen. Dort finde ich mich wieder.“ (Moni, Z 321-322)
In diesem Zusammenhang erfreute mich vor allem das Bedauern Nicis über ein großes Manko im Spiel:
„Im echten Leben gehe ich in die Amazone. Bei Sims gibt es das leider nicht.“ (Nici, Z
256)
Auch bei den Spielsitzungen im Mädchenzentrum Amazone ergaben sich interessante Gespräche zwischen den Spielerinnen und den anderen Mädchen, in denen sie
sich anhand des Spiels über ihre Interessen austauschten. Ich bekam Einblicke in
ihre Lebenswelt und gewann nützliche Erkenntnisse über die Verknüpfung dieser mit
ihrer Spielweise. Außerdem erlebte ich live, wie genau durch diesen Kontext ihre
Spielmotivation entstand. Aber am wertvollsten war für mich zu sehen, wie viel Spaß
sie dabei hatten.
161
Die primäre Motivation der strukturellen Koppelung fand sich schon bei einigen der vorhergehenden Kategorien wieder. Da sich aber diese Kategorie voll und ganz darauf bezieht, wurde hier genauer
auf die primäre Motivation eingegangen.
162
Vgl. Köhler 2008, 67f
81
13.2.11
Bevorzugungen der Mädchen die Gestaltung von
Computerspielen betreffend
Bezüglich der zweiten Liste von Agostos Kategorien konnten nur wenige Aussagen
den Interviews entnommen werden, weswegen diese Punkte (siehe hierzu Abschnitt
11.5.2) zu einer Kategorie zusammengefasst wurden.
In den Interviews stellte sich heraus, dass alle Mädchen gerne mit anderen zusammen spielen und auch online während des Spiels mit anderen kommunizieren würden. Dadurch erhofften sie sich, einen Austausch mit anderen, gemeinsame Interaktionen anhand der Sims-Figuren im Spiel, neue Bekanntschaften, Hilfestellungen und
Stressvermeidung durch die gemeinsame Betreuung von Sims-Figuren. Ob dies einzeln online stattfinden sollte oder gemeinsam an einem Computer, konnte nicht genau eruiert werden. Nur Moni bevorzugte das gemeinsame Spielen explizit online, da
man sich sonst eine Maus teilen müsste.
Mit der Qualität der Grafik waren zwei Mädchen zufrieden. Die anderen beiden kritisierten, dass beim Heranzoomen des Spielgeschehens die Darstellung verschwimme, was eine Beeinträchtigung des Spiels bedeutet. Aus diesem Grund war allen
Spielerinnen eine gute Grafik wichtig.
Multimediale Komponenten wie Musik, Fotos oder Videoclips band keine ins Spiel
ein, genauso wie keines der Mädchen selbst Gegenstände für das Spiel entwarf, da
sich keine damit auskannte.
Insgesamt bestätigten die Mädchen alle Kategorien der zweiten Liste von Agostos
Zusammenfassung bis auf die Verwendung von multimedialen Komponenten.
13.2.12
Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und
Gestaltungsfreiheit nicht einschränken.
Eine neue Kategorie konnte im Rahmen der Untersuchung von Agostos Listen in Bezug auf das Computerspiel „Die Sims 2“ ermittelt werden: Mädchen bevorzugen Spiele, die sie in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfreiheit nicht einschränken.
Diese Kategorie bezieht sich auf die Kritik der Mädchen. In den Interviews und in den
Beobachtungen beanstandeten sie immer dann etwas am Spiel, wenn sie in ihrer
Handlungs- und Gestaltungsfreiheit eingegrenzt wurden.
Computerspiele sollten daher die Möglichkeit bieten, vorgegebene Spielgegebenheiten, wie Aussehen und Eigenschaften der Charaktere, die Schauplätze und Spielge-
82
genstände sowie das Spielgeschehen selbst gestalten oder verändern zu können –
und zwar gänzlich und direkt im Spiel. Gänzlich daher, weil, wie schon erwähnt, sich
die Mädchen beim Spielen eingeschränkt fühlen. Die Möglichkeit der direkten Umsetzung im Spiel ohne externe Programme (wie es jetzt teilweise schon möglich
wäre), ist deshalb für die Spielmotivation bedeutend, da dadurch Hemmschwellen vor
Neuem abgebaut werden können. Es muss kein neues und eventuell teures Programm angeschafft werden und die Mädchen wissen eher Bescheid, dass es die
Möglichkeit dafür gibt.
In dieser neuen Kategorie findet sich auch der Partizipationsansatz der Mädchenarbeit wieder, den die Mädchen in ihrer Kritik am Spiel bestätigten.
14 Beantwortung der Forschungsfragen und Handlungsempfehlungen
In diesem Kapitel werden die drei Forschungsfragen beantwortet und die wichtigsten
Ergebnisse dieser Arbeit nochmals festgehalten. Frage 1 wurde mittels der Beleuchtung der drei theoretischen Grundlagen – die feministische Mädchenarbeit, die feministische Medientheorie und die soziale Konstruktion von Technik – sowie der Darstellung der kontrovers diskutierten Girl Game Bewegung erörtert. Frage 2 wurde
durch die Überprüfung von Agostos Kategorien am Beispiel des Computerspiels „Die
Sims 2“ im empirischen Teil diskutiert. Um Frage 3 beantworten zu können, werden
die Erkenntnisse der Theorie und Empirie zusammengeführt und Handlungsempfehlungen sowie weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt.
Um einer Kritik der Generalisierung vorzubeugen möchte ich hier festhalten, dass die
Antworten dieser Untersuchung sich auf den Kontext der Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone beziehen und die Ergebnisse auf diese spezielle Situiertheit
zutreffen. Wie in Abschnitt 12.1 dargelegt, steht der „Anwendungswert“ im Vordergrund. Ist man sich dessen bewusst, können m. E. dennoch wertvolle Rückschlüsse
auf Computerspiele im Allgemeinen gezogen werden.
83
14.1
Forschungsfrage 1
Wie sollten Computerspiele gestaltet sein, um geschlechtssensibel auf Mädchen
eingehen zu können ohne geschlechtsstereotype Rollenzuschreibungen zu (re-)
produzieren?
Die Darlegung der theoretischen Grundlagen dieser Arbeit hat gezeigt, dass es aus
feministischer Sicht (der Mädchenarbeit) wichtig ist, den Umgang von Mädchen mit
Technologien und Medien im Allgemeinen und Computerspielen im Besonderen zu
erforschen, um ihre Lebenswelten zu begreifen, weil diese sie maßgeblich mitgestalten und auch hier Geschlechterungleichheiten vorherrschen. Diese Unterschiede
werden besonders am Medium Computerspiel sichtbar. Wie Kapitel 10 verdeutlicht
hat, sind Computerspiele als Medium mitverantwortlich für die Konstruktion von
sozialen Wirklichkeiten und sollten daher angemessene Geschlechterkonzepte präsentieren, insbesonders im Rahmen von Angeboten für Mädchen. Damit Computerspiele angemessene Geschlechterkonzepte transportieren und vermitteln können,
wurden aus den drei theoretischen Ansätzen dieser Arbeit Prinzipien für ihre Gestaltung herausgearbeitet. Alle drei gehen von einer sozialen Konstruktion von Geschlecht aus und beschreiben „Dekonstruktion“ und „Vielfältigkeit“ (diversity) als zentrale Strategien, um Geschlechtsstereotype aufzubrechen.
Abschnitt 10.2 befasste sich mit dem Arbeitskontext dieser Untersuchung der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone. Anhand ihres Leitbilds
wurde das Hauptziel in Bezug auf die Gestaltung von Computerspielen definiert,
nämlich soziale Geschlechtsrollenbilder zu dekonstruieren. Durch die Beschreibung
der Entwicklung neuer Herausforderungen, des Leitbilds und der Medienpädagogik
der feministischen Mädchenarbeit des Mädchenzentrums Amazone wurden erste
wichtige Prinzipien dafür herausgearbeitet. Dies sind: Partizipation, Selbstreflexion,
Selbstbestimmung, Sichtbarmachung und Stärkung der Vielfalt von „Mädchen-Sein“,
Sensibilisierung für andere normative Kategorien als Geschlecht wie z.B. soziale
Schicht und kulturelle Hintergründe und Mädchen spielerisch zu motivieren, sich damit auseinanderzusetzen. Außerdem wurde verdeutlicht, dass Computerspiele ein
großes Potential in der Mädchenarbeit haben, die Beziehungsarbeit zu unterstützen
und einen lustvollen Zugang zum Medium Computer zu gewährleisten. Die Begleitung der Mädchen beim Computerspielen durch eine Fachfrau ist neben der Bezie-
84
hungsarbeit auch für die Umsetzung einer feministischen Medienpädagogik grundlegend.
In Abschnitt 10.3 haben spezifische Ansätze der feministischen Medientheorie zum
einen gezeigt, dass bei einer Analyse von Medien immer auch ihre weibliche Darstellung kritisch hinterfragt werden sollte, um einem homogenen Frauenbild entgegen zu
wirken. Zum anderen sehen Medientheoretikerinnen in einer vielfältigen Darstellung
von Geschlecht in den Medien die Chance, homogene und dichotome Vorstellungen
von Weiblichkeit und Männlichkeit zu dekonstruieren. Durch die Auseinandersetzung
mit feministischen Medientheorien wurden für die Analyse von Computerspielen
wichtige Fragestellungen zur Generierung weiterer Prinzipien für deren Gestaltung
gewonnen. Diese lauten:
•
Inwieweit werden geschlechtsstereotype Darstellungen von weiblichen Figuren in Computerspielen (re)produziert und verfestigt?
•
Inwiefern normiert ein Computerspiel die Repräsentation von Geschlecht?
•
Ermöglicht es ein Computerspiel, Geschlecht neu zu artikulieren, indem z. B.
Spielende ihre eigenen Vorstellungen von Geschlecht ins Spiel integrieren
oder indem Alternativen zu weiblichen und männlichen Geschlechtervorstellungen geboten werden?
Abschnitt 10.4 beschäftigte sich mit der Thematik Geschlecht und Technologie. Mittels dreier Fragestellungen wurde aufgezeigt, dass Technologie selbst ein soziales
Konstrukt ist, in das vergeschlechtlichte Strukturen eingeschrieben werden. Die Entgegnungen zu diesen Fragestellungen bekräftigten die bisherigen Erkenntnisse dieser Arbeit, die in Abschnitt 10.2 für den Einsatz und die Gestaltung von
Computerspielen aus dekonstruktivistischer Sicht erarbeitet wurden. Das Prinzip der
Partizipation der feministischen Mädchenarbeit wurde durch die Feststellung, Mädchen in die Entwicklung von Computerspielen zu integrieren, bestätigt. Ebenso wie
die Absicht den Einsatz von Computerspielen in der Mädchenarbeit zu fördern, um
zu einem Paradigmenwechsel der Auffassung „Technik ist männlich“ beizusteuern.
Schlussendlich wurde die Frage aufgeworfen, wie Geschlechterverhältnisse anhand
von Technologien – in diesem Kontext von Computerspielen – neu gestaltet werden
können.
Diese Frage ist ein zentrales Thema des Cyberfeminismus, der in Abschnitt 10.4.2
behandelt wurde. Die Darlegung zweier cyberfeministischen Vertreterinnen zeigt,
dass eine kritische Analyse von Technologien zur Dekonstruktion der Geschlechter-
85
dualität beiträgt und affirmierte die gewonnenen Prinzipien zur Entwicklung und Gestaltung von Computerspielen. Eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Frage aus
differenzfeministischer Perspektive fand anhand der Girl Game Bewegung statt.
Die Girl Game Bewegung betrieb umfangreiche Marktforschung, die sich vor allem
darauf konzentrierte, Unterschiede zwischen dem Spielverhalten von Mädchen und
Jungen zu finden, um so mädchenspezifische Computerspiele entwickeln zu können.
Sie ging also davon aus „that girls were essentially different from boys and therefore
needed games that reflected this essential difference.“163 Aber genau dadurch wurden und werden Geschlechterdichotomien und die damit einhergehenden geschlechtsstereotypen Rollenbilder wieder verstärkt. Denn die Girl Game Bewegung
stellt mädchenspezifische Computerspiele als etwas Besonderes, von der Norm, die
sich am männlichen Spieler orientiert, Abweichendes dar. Ziel dieser Thesis ist es
jedoch, Prinzipien zu gewinnen, wie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse anhand von Computerspielen dekonstruiert werden können. Daher wurden die von der
Girl Game Bewegung erforschten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen in
der theoretischen Diskussion in Abschnitt 11.3 als nicht zielführend für diese Arbeit
angesehen.
Als Antwort auf Forschungsfrage 1 können folglich die Ergebnisse der drei theoretischen Grundlagen herangezogen werden: die erarbeiteten Prinzipien für die Gestaltung von Computerspielen, um im Sinne der feministischen Mädchenarbeit geschlechtssensibel auf Mädchen eingehen zu können, die Fragestellungen, um die
geschlechtlichen Darstellungen im Vorhinein zu überprüfen, um eine Reproduktion
von Geschlechtsstereotypen zu verhindern, sowie generell bei allen Schritten bei der
Erstellung und Gestaltung von Computerspielen die Frage zu stellen, wie Technologien Geschlechterverhältnisse neu gestalten können.
14.2
Forschungsfrage 2
Treffen geschlechtsstereotype Annahmen in Bezug auf Mädchen und Computerspiele tatsächlich zu?
163
Galloway 2007
86
Wie bereits erörtert, liegen heute vor allem aufgrund der Forschung der Girl Game
Bewegung eine große Anzahl an geschlechtsstereotypen Verhaltensweisen in Bezug
auf Mädchen und Computerspiele vor. Die dabei am häufigsten vorkommenden hat
Agosto in zwei Listen von Kategorien hinsichtlich des Inhalts und Designs von Computerspielen zusammengefasst (siehe hierzu Abschnitt 11.5.2). Diese Untersuchungsergebnisse und ihr Zustandekommen wurden jedoch kontrovers diskutiert und
in dieser Arbeit zumindest theoretisch als nicht sinnvoll erachtet. Wie sieht dies nun
aber bei der Zielgruppe aus? Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wurden Agostos Kategorien anhand der Spielweisen und Erfahrungen mit dem
Computerspiel „Die Sims 2“ von vier Mädchen des Mädchenzentrums Amazone in
Abschnitt 13.2 mittels der qualitativen Methoden des Interviews und der Beobachtung
überprüft.
Wie die Auswertung dieser gezeigt hat, wurden bis auf eine – die des gewaltfreien
Spielinhalts – alle Kategorien Agostos bzw. der Girl Game Bewegung von den Mädchen bestätigt. Demnach treffen die geschlechtsstereotypen Annahmen in Bezug auf
Mädchen und Computerspiele im Sample der vorliegenden Thesis tatsächlich zu.
Auch Kirk machte in ihrer Arbeit als Pädagogin im Mädchenzentrum diese Erfahrungen und meinte in ihren Antworten, dass alle Kategorien den Spielverhaltensweisen
der Mädchen entsprachen. „Diese Ergebnisse kann ich bestätigen. Allerdings stoßen
auch Spiele mit fantasievollen Welten und nicht nur mit realitätsnahen Welten auf
Interesse bei den Mädchen, wichtig ist der Faktor, dass sie sich mit den Spielfiguren
identifizieren können.“164 Daneben beobachtet sie noch eine weitere Abweichung
ebenfalls bezüglich des Themas gewaltfreier Inhalt: „Mädchen bevorzugen gewaltfreie Spiele, dies verändert sich jedoch etwas mit zunehmendem Alter.“165 Hier ist
anzumerken, dass sie dabei auch von anderen Computerspielen ausgeht und nicht
nur von „Die Sims 2“, wie diese Arbeit.
So kann die zweite Forschungsfrage aus theoretischer Sicht mit „Nein“, aus empirischer Sicht jedoch mit „Ja“ beantwortet werden.
164
165
Kirk 2010, Z 100-102
Kirk 2010, Z 104-105
87
14.3
Forschungsfrage 3
Wie sollten Computerspiele gestaltet werden, um das Interesse der Mädchen zu wecken und die feministische Mädchenarbeit dabei zu unterstützen, ihre Anliegen und
Ziele an die Mädchen zu vermitteln?
Die Beantwortung der beiden vorhergehenden Fragen durch Theorie und Empirie
stellte mich vor ein großes Dilemma und bereitete mir einige Kopfschmerzen. Wie
konnten diese scheinbar so gegensätzlichen Erkenntnisse zusammengeführt werden?
Die Lösung war die ganze Zeit vor meinen Augen und beinhaltet etwas, was die feministische Mädchenarbeit schon lange macht: die Mädchen dort abholen, wo sie
stehen, um ihnen dann neue Perspektiven zu eröffnen. So beinhaltet die Antwort auf
die dritte Frage eine Gratwanderung zwischen den mädchenspezifischen Zugangsweisen und der Erweiterung ihres Handlungsspektrums im Sinne der feministischen
Mädchenarbeit.
Es braucht also beides. Um das Ziel der feministischen Mädchenarbeit zu erreichen,
braucht es einerseits die herausgearbeiteten Prinzipien zur Gestaltung von Computerspielen, andererseits braucht es, um das Interesse der Mädchen zu gewinnen,
auch die Spielgegebenheiten, in denen sich ihre Interessen und Vorlieben wider
spiegeln. Die Auswertung der Interviews hat bewiesen, dass sie in ihrem Spielverhalten den geschlechtsstereotypen Kategorien entsprechen, aber sie hat auch gezeigt,
dass die Mädchen sich darin an ihren bekannten, traditionellen Mustern orientieren
und kaum Neues oder Alternativen gerade in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse
ausprobierten. Folglich entsprachen sie wieder dem weiblichen „Doing Gender“ und
geschlechtsstereotypen Rollenbilder wurden verstärkt anstatt aufgeweicht. Daher
sollten die in der Theorie festgestellten Prinzipien von Computerspielen miteinbezogen werden, um dadurch dem Ziel der Geschlechterdekonstruktion näher zu kommen. Außerdem können Mädchen durch Computerspiele motiviert werden, sich
selbst einzubringen, um sich als Handlungsermächtigte zu erleben, die Vielfalt der
Mädchenlebenswelten kennen zu lernen und sich mit anderen normativen Kategorien
neben Geschlecht und ihrer Position darin auseinander zu setzen.
Den Ergebnissen dieser Arbeit zufolge geht es bei der Gestaltung von Computerspielen für Mädchen letztlich auch darum, überhaupt ein „gutes“ Computerspiel zu gestal-
88
ten. So sollte die Frage nicht, wie Graner Ray sie stellte: „But what if the player is
female?“166 lauten, sondern: „How can a computer game be gender inclusive?“
14.4
Handlungsempfehlungen
14.4.1 Für die feministisch Mädchenarbeit
Es wurde sowohl in der Theorie als auch in der Empirie festgestellt, dass die Mädchen beim Computerspielen von einer Fachfrau begleitet werden sollten, die das Erlebte mit ihnen reflektiert und in Kontext zu ihren eigenen Lebenswelten setzt. Es
wurde gezeigt, dass der geeignete Ort dafür ein „Girls-only-Raum“ ist, wie ihn die
feministische Mädchenarbeit bzw. das Mädchenzentrum Amazone zur Verfügung
stellt. Hier können sie sich frei von Geschlechternormen bewegen und ein aktives, an
Handeln und Interaktionen orientiertes, techniknahes, weibliches Selbstkonzept erleben.
Also sollte sich die feministischen Mädchenarbeit mit dieser Thematik auseinandersetzen und Konzepte dafür erarbeiten, um auch hierzu einen „social supportive context for gaming“167 zu kreieren, wie auch Hayes es fordert. Dies bedeutet einerseits,
dass sich die Fachfrauen selbst bezüglich der Computerspiele informieren und bilden
sollten, um die eigenen Hemmschwellen abzubauen, um die Mädchen begleiten und
ihnen ein Vorbild sein zu können und um selber einen Beitrag zur Veränderung des
männlichen Technikimages zu leisten.
Da ich im Zuge der Recherche genau einen Beitrag aus der feministischen Mädchenarbeit zur Thematik Mädchen und Computerspiele fand, ist auch hier aktives
Handeln seitens der Fachfrauen gefragt und ich hoffe, mit dieser Arbeit einen Anstoß
dafür zu geben. Dies könnte in Form von Konzepten, Projekten, Workshops oder
Fachtagungen erfolgen. So können Fachfrauen ihr Wissen an andere weitergeben
und eher die Aufmerksamkeit der Computerspielindustrie gewinnen.
166
167
Graner Ray 2004, 183
Hayes 2005, 14
89
14.4.2 Für die Computerspielindustrie
Wie diese Arbeit gezeigt hat, ist es an der Zeit, Spiele zu entwickeln, die Mädchen
ansprechen, ohne dabei Geschlechtsstereotype zu reproduzieren. Computerspiele
sollten nicht von einem homogenen, universellem Mädchenbild auszugehen sondern
die Vielfalt von Mädchenlebenswelten anerkennen und dementsprechend in der Gestaltung Platz dafür schaffen.
Das Computerspiel „Die Sims 2“ ist ein Anfang hierzu, ist aber auch noch verbesserungswürdig. Um dem Ziel der Dekonstruktion der feministischen Mädchenarbeit näher zu kommen, sollten Computerspiele nicht nur Möglichkeiten bieten, sich damit
auseinanderzusetzen, sondern auch motivieren, andere Lebenskonzepte, jenseits
traditioneller Normierungen, auszuprobieren. Die in dieser Arbeit gewonnenen Prinzipien und Fragestellungen zur Gestaltung von Computerspielen bieten eine Basis
dafür. Und die Mädchenarbeit ist sicher offen, um diesbezüglich gemeinsam Lösungen zu finden.
Letztendlich sollten auch mehr Frauen für die Tätigkeit in der Computerspielindustrie
begeistert werden. Wie dargelegt, werden Computerspiele hauptsächlich von Männern für Männer entwickelt. Werden daran auch Frauen beteiligt, erhöht sich das Potential, dass deren Sichtweisen miteinfließen. Dies ermöglicht eher eine Auseinandersetzung zwischen Computerspielen und Geschlecht und einer Neugestaltung von
Geschlechterverhältnissen durch Technologien.
14.4.3 Für die Forschung
Anhand der Darstellung der Girl Game Bewegung wurde ersichtlich, dass die Forschung nicht nach Unterschieden sondern vielmehr nach Gemeinsamkeiten suchen
und von Generalisierungen absehen sollte, um Computerspiele entwickeln zu können, die Mädchen begeistern.
90
Anhang
14.5
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Familienerstellungs-Modus...................................................................53
Abbildung 2: Live-Modus ...........................................................................................53
Abbildung 3: Teilnehmende Beobachtung.................................................................59
14.6
Abkürzungsverzeichnis
BMWFJ
Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
d. h.
das heißt
et al.
et alii (Maskulinum), et aliae (Femininum) oder et alia (Neutrum)
etc.
et cetera
IKT
Informations- und Kommunikationstechnologien
m. E.
meines Erachtens
vgl.
vergleiche
z. B.
zum Beispiel
14.7
Interviewleitfäden
14.7.1 Interviewleitfaden Mädchen
Einstieg:
•
Wie lange spielst du schon „Die Sims 2“?
•
Wie oft und wie lange spielst du „Die Sims 2“?
•
Wie bist du zum Spiel „Die Sims 2“ gekommen?
•
Warum gefällt dir das Spiel „Die Sims 2“? Was gefällt dir gut, was nicht so
gut? Warum?
Stereotypisierung Inhalt:
91
•
Spielhandlung und Charakterentwicklung
o Was ist dir beim Erstellen der Figuren wichtig?
o Welche Lebensziele wählst du für deine Sims? Warum?
o Findest du die Lebensziele im Spiel auch im wirklichen Leben als erstrebenswert?
o Was würdest du dir für Lebensziele im Spiel wünschen?
•
Spielerin spielt Hauptcharakter, durch Selbstidentifikation oder durch
die Macht Entscheidungen zu treffen
o Integrierst du dich selber ins Leben deiner Sims? Wenn ja, wie?
o Gibt es Dinge im Spiel, die du im realen Leben erlebt hast, die du in
„Die Sims 2“ nachspielst?
o Probierst du im Spiel auch mal aus jemand anderer zu sein?
o Findest du, dass das Spiel dir genug Gestaltungsfreiheit lässt
in Bezug auf die Figuren aber auch im Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten?
o Gefällt es dir, das Leben der Sims zu bestimmen? Warum?
•
Starke weibliche Charaktere, die Entscheidungen treffen und handeln
o Wie gefällt dir die Darstellung der weiblichen Sims im Spiel? Was gefällt
dir, was nicht? Warum?
o Glaubst du, dass es Frauen sind, die alles tun können, was sie wollen?
o Glaubst du, dass die Frauen in „Die Sims 2“ gleichberechtigt sind?
•
Kein Konflikt Gut vs. Böse
o Gibt es „böse“ und „gute“ Sims im Spiel? Wenn ja, welche? Was macht
sie zu „bösen“ bzw. „guten“ Sims?
o Hast du schon mal Konflikte im Spiel „”Die Sims 2”“ erlebt? Wenn ja,
welche?
o Wie löst du Konfliktsituationen mit anderen Sims?
•
Kein Wettkampf
o Wann ist das Spiel erfolgreich für dich? Wann bist du mit dem Spielverlauf zufrieden? Warum?
92
o Welche Herausforderung gibt es im Spiel?
o In vielen Computerspielen gibt es Wettkämpfe, z. B. gegen die Zeit, gegen andere Figuren,... In „Die Sims 2“ gibt es das nicht. Findest du das
gut oder schlecht? Warum? Was würdest du dir wünschen?
•
Actionreiche aber gewaltfreie Handlung
o Hast du bzw. deine Sims schon mal Gewalt erlebet? Wenn ja, beschreibe die Situation.
o Findest du das gut oder schlecht? Warum?
•
Reale Schauplätze
o Wie gefallen dir die Umgebung, die Häuser und Einrichtungsgegenstände im Spiel? Was ist gut, was schlecht? Warum?
o Findest du es wichtig, dass die Häuser, ihre Einrichtungsgegenstände
und die Umgebungswelt von „Die Sims 2“ real wirken, oder würdest du
lieber in einer Fantasiewelt spielen? Warum?
•
Soziale Beziehungen
o Wie wichtig sind dir die Beziehungen/Freundschaften zu anderen Simsfiguren?
•
Pädagogisch wertvoll, nicht bloße Unterhaltung
o Wie findest du die Regeln des Spiels?
o Würdest du sie ändern wollen? Wenn ja, warum?
o Siehst du irgendwelche Gefahren oder Risiken in diesem Spiel?
o Kannst du etwas von diesem Spiel lernen? Was?
•
Mädchenspezifisches Spielverhalten wird reflektiert
o Bietet der Spielinhalt Anknüpfungspunkte an deine Freizeitinteressen,
Hobbies, Tagträume, Wunschvorstellungen oder Fantasien? Wenn ja,
welche? Wie?
Stereotypisierung Design:
•
Mit anderen zusammenspielen, online oder an einem Computer
93
o Würdest du gerne mit anderen gleichzeitig spielen oder spielst du lieber
alleine? Warum?
•
Online-Kommunikation mit anderen während des Spiels
o Würdest du gerne während des Spiels mit anderen Spielenden, die ebenfalls gerade spielen, chatten? Warum?
•
Qualitativ hochwertige Grafik und multimediale Komponenten
o Bist du mit der Grafik des Spiels zufrieden? Warum?
o Ist eine gute Grafik wichtig für dich? Warum?
o Bindest du auch andere „mulitmedialen Komponenten“ z.B. Musik, Videoclips ins Spiel ein?
o Entwirfst du selber Dinge für das Spiel, z. B. Möbel, Kleidung, Frisuren,
etc.? Warum?
Abschluss:
o Wenn du “Die Sims 2” nach deinen Wünschen programmieren könntest, was würdest du ändern oder besser machen?
o Vermisst du etwas in diesem Spiel?
o Gibt es noch etwas, dass du gerne noch über das Spiel sagen würdest?
14.7.2 Interviewleitfaden Expertin
1. Wie war Ihr erster Kontakt mit Computerspielen? Um welches Spiel hat es
sich dabei gehandelt?
2. Was hat Sie dazu bewogen Computerspiele in der Mädchenarbeit einzusetzen?
3. Wie kann feministische Mädchenarbeit Computerspiele in ihre Arbeit einbauen? Auf was muss dabei geachtet werden? Wie sind Ihre Erfahrungen im
Mädchenzentrum Osnabrück dazu?
4. Untersuchungsgegenstand meiner Arbeit „Mädchen und Computerspiele –
das Spannungsverhältnis mädchenspezifischer Zugänge und die Festschrei-
94
bung geschlechtsstereotyper Festschreibungen“ ist das Computerspiel „Die
Sims 2“. Welches Potential hat „Die Sims 2“ Ihrer Meinung nach in der Mädchenarbeit?
5. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Computerspiel „Die Sims 2“ in Ihrer
Arbeit mit den Mädchen gemacht? Welche Empfehlungen würden Sie diesbezüglich dem Mädchenzentrum Amazone weitergeben?
Das Thema „Mädchen und Computerspiele“ wurde in den letzten zwei Jahrzehnten
zu einem beliebten Untersuchungsgegenstand der wissenschaftlichen Forschung. So
liegen heute zahlreiche Studien zu geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen in Bezug auf Computerspiele vor. Denise E. Agosto hat diese Ergebnisse in zwei Listen
von Rahmenempfehlungen zusammengefasst, die sich auf allgemein weibliche Werte und Interessen stützen:
Was den Inhalt von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele
•
die den Konflikt zwischen Gut und Böse meiden.
•
in denen eine fortlaufende Handlung passiert und die Charaktere sich
weiterentwickeln können.
•
die keinen Wettkampf zum Hauptinhalt haben.
•
die reale Schauplätze verwenden.
•
in denen starke, weibliche Charaktere vorkommen, welche Entscheidungs- und Handlungsgewalt besitzen.
•
die es ihnen ermöglichen, die Hauptfigur zu spielen, entweder durch
Selbstidentifizierung oder durch die Möglichkeit, Entscheidungen selbst
zu treffen.
•
in denen menschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen.
•
die einen gewissen pädagogischen Wert haben, im Gegensatz zu Spielen mit reinem Unterhaltungswert.
•
die actionreich, aber gewaltfrei sind.
•
die mädchenspezifisches Spielverhalten widerspiegeln.
Was die Gestaltung von Computerspielen betrifft, bevorzugen Mädchen Spiele
•
mit qualitativ hochwertiger Grafik und multimedialen Komponenten.
•
die es ermöglichen, mit anderen zusammen zu spielen, entweder online
oder gemeinsam an einem Computer.
95
•
die eine Online-Kommunikation mit anderen Spielern auch während des
Spiels ermöglichen.
6. Inwiefern bestätigen oder widerlegen ihre Erfahrungen mit Computerspielen in
der Arbeit mit Mädchen die einzelnen Aussagen?
7. In meiner Arbeit untersuche ich, ob und wie inwiefern diese Aussagen auf das
Computerspiel „Dies Sims 2“ zutreffen. Wie sehen Sie diese Aussagen auf
Basis ihren Erfahrungen, die Sie mit diesem Spiel in der Mädchenarbeit machen konnten?
8. Was würden Sie am Computerspiel „Die Sims 2“ verbessern oder verändern?
Bzw. was fehlt Ihnen in diesem Computerspiel?
9. Was sollte ihrer Meinung nach ein Computerspiel beinhalten (inhaltlich, didaktisch, gestalterisch), um Mädchen einerseits anzusprechen aber andererseits
geschlechtsstereotype Festschreibungen aufzubrechen?
10. Wollen Sie sonst noch etwas zu diesem Forschungsfeld bemerken, das vielleicht in meinen Fragen noch nicht direkt berührt wurde?
14.8
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