2. Traum von der Ferne „Ein heimlich Sehnen zieht, wo

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2. Traum von der Ferne „Ein heimlich Sehnen zieht, wo
2. Traum von der Ferne
„Ein heimlich Sehnen
zieht, wo ich bin,
zu allen Schönen
mich traulich hin.“
(Cherubino)
Theater und Philharmonisches Orchester
der Stadt Heidelberg
Wolfgang Amadeus Mozart
Le nozze di Figaro
Uraufführung im Wiener Hoftheater am 1. Mai 1786
Wolfgang Amadeus Mozart
Le nozze di Figaro
* 31.03.07
Opera buffa in vier Akten
Libretto von Lorenzo da Ponte
In italienischer Sprache mit
deutschen Übertiteln
Wir bedanken uns bei allen, die ihre Schuhe für
den Schuhschrank der Gräfin gespendet haben.
Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle, Kassel
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Besetzung
Cherubino
Jana Kurucová
Graf
Sebastian Geyer
Bartolo
Wilfried Staber
Gräfin
Larissa Krokhina / Maraile Lichdi
Marcellina
Carolyn Frank
Figaro
Gabriel Urrutia Benet
Basilio
Winfrid Mikus
Susanna
Silke Schwarz
Barbarina
Ulrike Machill
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Antonio
Bühnenbild
Philipp Stelz
Jürgen Franz Kirner
Zwei Frauen
Kostüme
Claudia Schumacher
Viola Schütze
Elena Trobisch
Choreographie
Inszenierungsteam
Francisco Sanchez
Musikalische Leitung
Lichtdesign
Cornelius Meister
Andreas Rinkes
Regie
Chor
Aron Stiehl
Tarmo Vaask
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Dramaturgie & Übertitel
Regieassistenz, Abendspielleitung
Bernd Feuchtner
Solvejg Franke
Musikalische Assistenz
Ausstattungsassistenz
und Studienleitung
Bettina Ernst
Michael Klubertanz
Kostümhospitanz
Musikalische Einstudierung
Julia Schuffenhauer
und Cembalo
Sebastian Kennerknecht
Souffleuse
Michael Klubertanz
Delia Tedeschi
Joana Mallwitz
Inspizienz & Leitung Statisterie
Timothy Schwarz
Uwe Stöckler
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Sprachcoach
Technische Einrichtung
Filippo Deledda
Martin Fuchs
Opernchor und Philharmonisches
Ton
Orchester der Stadt Heidelberg
Magali Deschamps
Wolfgang Freymüller
Andreas Legnar
Die Kostüme und Kulissen wurden
in den theatereigenen Werkstätten
Leiterin der Kostümabteilung
angefertigt
Viola Schütze
Technik & Werkstätten
Leiterin der Maske
Kerstin Geiger
Technische Leitung
Ivica Fulir
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Leiterin der Requisite
Esther Hilkert
Leiter des Malsaals
Dietmar Lechner
Dekorationswerkstatt
Markus Rothmund
Leiter der Schlosserei
Karl-Heinz Weis
Leiter der Schreinerei
Klaus Volpp
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Lorenzo da Ponte
Inhalt
H
Handlung
1. Akt
Seit Graf Almaviva seine angebetete Rosina geheiratet hat, ist einige Zeit vergangen. Inzwischen hat er Appetit auf andere Mädchen bekommen, zum Beispiel auf die Dienerin
seiner Gattin, Susanna, die Braut seines Dieners Figaro. Dafür will er sogar jenes feudale „Recht der ersten Nacht“ wiederbeleben, auf das er großzügig verzichtet hatte. Der
einzige, der das nicht mitbekommt, ist Figaro selbst. Er freut sich, dass der Graf dem
Brautpaar ein Zimmer zwischen seinem Zimmer und dem der Gräfin zugewiesen hat,
ohne zu ahnen, dass der Graf nur Susanna näher bei sich haben will. Nun denkt Figaro
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sich zahlreiche Intrigen aus, um den Grafen davon abzubringen. Doch er steckt auch
selbst in der Klemme: Als Sicherheit für ein Darlehen hat er Marzelline die Heirat versprochen, der alten Hausdame des Doktors Bartolo. Seit Figaro und der Graf Rosina aus
Bartolos Vormundschaft entführt haben, ist der Zorn des Doktors gegen Figaro nicht
kleiner geworden, und so tut er alles, um Marzelline bei ihrem Heiratsplan zu unterstützen. Der Page Cherubino soll entlassen werden, weil der Graf ihn mit Barbarina erwischt hat – Cherubino ist eigentlich in alle Frauen verliebt und kleidet seine Sehnsucht
in hübsche Lieder. Als der Graf kommt, versteckt er sich im Sessel und hört mit an, wie
dieser Susanna zum Rendez-vous in den Garten locken will. Als Basilio auftaucht, muss
auch der Graf sich verstecken, bis er von dem Intriganten hören muss, dass Cherubino
in die Gräfin verliebt ist. Nun kommt Figaro mit den Dorfbewohnern dazwischen, um
dem Grafen für seinen Verzicht auf das feudale Recht zu danken. Danach schickt der
Graf Cherubino nach Sevilla zum Militär.
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2. Akt
Die Gräfin leidet unter der Entfremdung zwischen ihr und ihrem Mann und erfährt von
Susanna, dass der Graf ihr Geld für eine Liebesnacht geboten habe. Figaro entwirft
eine Doppelintrige: Der Graf soll aus einem fingierten Brief auf einen Liebhaber der
Gräfin schließen, während zum Rendezvous im Garten statt Susanna Cherubino gehen
soll, den sie dafür in Frauenkleider stecken. Doch der Graf kommt dazwischen, was
zur größten Verwirrung führt: Cherubino versteckt sich, der Graf schöpft Verdacht. Er
holt Werkzeug, um das verschlossene Kabinett zu öffnen, während Susanna Cherubino
herauslässt, der in den Garten springt; Susanna schließt sich an Cherubinos Stelle ein.
Der Graf sieht sich gezwungen, um Verzeihung zu bitten. Da platzt der Gärtner Antonio
herein und beschwert sich, dass jemand aus dem Fenster gesprungen sei und die Blumentöpfe zerschlagen habe. Figaro erklärt, er sei das gewesen, und das Offizierspatent,
das Cherubino beim Sprung verloren hatte, habe er dabei gehabt, weil das Siegel fehlt.
Als Bartolo, Marzelline und Basilio kommen, um das Eheversprechen einzufordern,
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sieht der Graf wieder Hoffnung und kündigt erst einmal eine genaue Prüfung an. Alle
sind verwirrt und wissen nicht, wie dieser tolle Tag enden soll.
3. Akt
Um den Grafen zu überführen, verabredet Susanna mit der Gräfin, ihm ein Rendez-vous
vorzuschlagen, unter der Bedingung, dass er ihr eine Mitgift zahlt, mit der sie Marzelline
auszahlen kann. Bei der Verhandlung über Marzellines Vertrag stellt sich heraus, dass Figaro ihr einst entführter Sohn ist – und Bartolo sein Vater, der nun seine Zustimmung nicht
nur zur Hochzeit von Susanna und Figaro, sondern auch seiner eigenen mit Marzelline
gibt. Die Gräfin sinnt den vergangenen Zeiten nach und schreibt mit Susanna einen Brief,
in dem der Graf in den Pinienhain eingeladen wird. Die Gräfin will dort in den Kleidern
Susannas erscheinen. Unter den Mädchen, die der Gräfin Blumen bringen, entdeckt man
den verkleideten Cherubino, doch als der Graf wütend wird, bittet Barbarina ihn, er möge
ihr einen Wunsch erfüllen, wie er es versprochen hatte, wenn er sie küsste: Sie möchte
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Cherubino zum Mann. Graf und Gräfin müssen nun die beiden Brautpaare schmücken.
Währenddessen bekommt der Graf den Brief Susannas und sticht sich an der Nadel, mit
der er versiegelt ist. Die Nadel soll er als Zeichen des Einverständnisses zurücksenden.
4. Akt
Barbarina hat die Nadel verloren, die der Graf ihr für Susanna gegeben hat. So trifft
sie ausgerechnet auf Figaro und verplappert sich. Nun glaubt Figaro, dass Susanna ihn
betrügen will, und prangert die Dummheit der Männer und vor allem die Grausamkeit
der Frauen an. Susanna will Figaro für seine Eifersucht bestrafen und singt in Erwartung
des Grafen ein Liebeslied. Die Gräfin und Susanna erscheinen in den Kleidern der jeweils
anderen – und nun beginnt im Dunkel ein brillantes Verwechslungsspiel aller mit allen, in
dem Cherubino kräftig mitmischt. Am Ende glaubt der Graf seine Gattin mit Figaro in flagranti erwischt zu haben und droht mit Bestrafung – bis die echte Gräfin hervortritt. Nun
ist es an dem Grafen, seine Gattin um Vergebung zu bitten. Alles eilt zum Fest.
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Zur Inszenierung
v
Authentische Menschen
Von Aron Stiehl
Der Mensch schwankt ständig zwischen seiner Existenz als autonomes Individuum, das
Gefahr läuft, frei aber einsam zu sein, und der Bindung an die Gesellschaft mit ihren Regeln,
wo er dann vielleicht Geborgenheit und Halt findet, aber sein eigenes Selbst verliert. Um diese
Freiheit, vor allem aber um die Liebe, geht es in „Le nozze di Figaro“. Hochzeit ist mit einem
Vertrag verbunden, der zwei Menschen aneinander bindet, manchmal aber auch fesselt. Der
Mensch versucht die Liebe zu kultivieren und den Trieb in geregelte Bahnen zu lenken. Als
sei dies möglich. Der Graf hat Rosina geheiratet, will aber gleichzeitig seine Freiheit behalten,
ohne seiner Gattin das Gleiche zuzugestehen. Er fühlt sich gleicher als die anderen, ist ein
Egomane – was zu Problemen und Enttäuschungen in seiner Ehe führt, auch zu Irritationen in
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seiner Umwelt. Figaro, Susanna und die Gräfin haben sich gleichfalls für die Ehe entschieden
– spüren aber, dass das Herz seine Gründe hat, die die Vernunft nicht kennt. Sie übernehmen
die gesellschaftlichen Normen unhinterfragt, merken aber, dass die Liebe nicht so einfach zu
kanalisieren ist. Cherubino entscheidet sich für die Freiheit. Oder besser: Es entscheidet in
ihm. Er ist vielleicht die authentischste Figur des Stückes, weil er das auslebt, was der unfreie
Bürger nicht darf: Den Eros, der sich nicht steuern lässt. Auch er soll am Ende verheiratet
und damit ruhiggestellt werden: mit Barbarina. Aber er wird sich nicht fügen, ein Libertin
bleiben. Diese Geschichte hätte Mozart auch zu einer ordentlichen Tragödie führen können. Er
aber schafft es, das Ganze in eine Komödie zu kleiden: Lachen als Waffe gegen die Tragik des
Lebens. Dabei wechselt er zwischen höchst realen Szenen, übernommen von den Buffo-Opern,
durchbricht diese Form aber immer wieder auf einmalige Weise und zeigt dabei die Psyche des
Menschen mit ihren Abgründen, blättert die Seele des Menschen auf. Er lässt die Szenen transzendieren und hebt diese Figuren – und damit auch uns – in andere Dimensionen. Das macht
ihn so unglaublich aktuell. Auch nach 200 Jahren: mit gerade so viel Noten als nötig.
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Szene aus dem ersten
17 Akt
(Stich von Jean-Baptiste Liénard, 1785)
Zum Libretto
v
Das Komödienpersonal auf dem Weg
in die Weltgeschichte
Die Figaro-Stücke von Beaumarchais
Von Bernd Feuchtner
„Figaro hier, Figaro da, Figaro, Figaro, Figaro, Figaro!“ – wohl jedem ist der
Name des Barbiers von Sevilla zuerst in dieser grandiosen Selbstdarstellungsarie mit der Musik von Rossini begegnet. Und noch mit einer zweiten berühmten Oper ist sein Name verbunden: mit Mozarts Le nozze di Figaro, der
Fortsetzungsgeschichte des spanischen Schlaukopfs. Darüber ist der Autor,
auf den beide Stücke zurückgehen, beinahe in Vergessenheit geraten. Als
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hätte er das geahnt, reagierte er gar nicht entzückt, als er von der Idee erfuhr,
dass er veropert werden sollte. Mit allen Mitteln versuchte er das Operntextbuch zu verhindern, das Lorenzo da Ponte für Mozart schrieb; da es damals
noch kein Urheberrecht gab, war er allerdings machtlos. Mit Der Barbier von
Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht (Le barbier de Séville ou La précaution
inutile) und Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro (La folle journée ou
Le mariage de Figaro) hatte der Abenteurer Pierre Augustin Caron de Beaumarchais in den Jahren 1775 und 1784 in Paris die beiden größten Erfolge seines Lebens gelandet, die er 1792 mit Die Schuld der Mutter oder Ein zweiter
Tartuffe vergeblich auf eine Trilogie auszudehnen versuchte.
Seine beiden Figaro-Komödien machten ihn in ganz Europa berühmt. Das lag
nur zur Hälfte daran, dass Beaumarchais damit die französische Komödie, die
am Ende war, neu belebt hatte. Der kühle, analytische Witz, der die aufklärerischen Komödien des eine Generation älteren Marivaux ausgezeichnet hatte,
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war längst verloren gegangen. Wichtiger war, dass Beaumarchais den Nerv
der Zeit getroffen hatte. Die Bosheit, mit der Cloderlos de Laclos' Briefroman
Gefährliche Liebschaften im Jahr 1782 den dekadenten Adel zeichnete, erreichte er zwar nicht, doch war auch seine Komödie brisant, denn sie gab die
Herrschenden dem Gelächter preis.
Die erste Barbier-Oper kam 1782 in St. Petersburg heraus: Der auch von Mozart hoch geschätzte Giovanni Paisiello war Hofkomponist bei Katharina der
Großen, und sein Barbiere di Siviglia trat von Russland aus sogleich seinen
Siegeszug über sämtliche europäischen Opernbühnen an. An der Wiener Hofoper amüsierte man sich seit 1783 über Paisiellos Oper, das Personal war dem
Wiener Publikum also schon vertraut, als das Gerücht aufkam, Mozart plane
die Komposition der Fortsetzung. Doch bei diesem Werk führte kein Weg
am Kaiser vorbei: Joseph II. war immerhin der Bruder von Marie-Antoinette,
der französischen Königin, deren Gatte Ludwig XVI. den Tollen Tag verboten
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hatte: Da könne man ja gleich die Bastille einreißen, hatte er in selten prophetischer Klarheit ausgerufen. Die leichtsinnige Marie-Antoinette fand jedoch
Spaß an diesen Komödien, die mit dem Feuer spielten, und setzte 1784 auch
die Uraufführung des Tollen Tags durch. Nun konnte der österreichische
Reformkaiser dem geschätzten Mozart das Stück schwer abschlagen. Der
machte sich mit Lorenzo da Ponte im Herbst 1785 an die Arbeit, die beiden
schafften im Frühjahr den Marsch durch die Zensur und am 1. Mai 1786 konnte in einer Atmosphäre der größten Spannung die Uraufführung von Le nozze
di Figaro in Wien stattfinden.
Im Tollen Tag ging Beaumarchais einen entscheidenden Schritt weiter. Nun ist
der Graf mit Rosina verheiratet, und zwar schon so lange, dass sie nur noch
Gräfin heißt. Figaro ist sein Kammerdiener geworden – mit dem Leben als
freier Unternehmer hat es also nicht wirklich geklappt – und will Suzanne,
die Kammerzofe der Gräfin, heiraten. Natürlich langweilt sich der Graf in der
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Ehe und hat so ein Auge auf Suzanne geworfen. Wie sehr auch Suzanne einem
Abenteuer nicht abgeneigt ist, bleibt dem jeweiligen Regisseur überlassen.
Nachdem ihn seine Verlobte aufgeklärt hat, droht Figaro, er werde dem Grafen schon das Tanzen beibringen – wie sehr er dabei zum Rebellen wird, bleibt
wiederum dem jeweiligen Regisseur überlassen. Tatsache ist, dass der Graf
in dieser Komödie mit seinen Vorstößen immer ins Leere läuft. Dieser Aristokrat wird gründlich demontiert. Am Ende der Komödie haben nur die Frauen
Recht, selbst Figaro bekommt einen Denkzettel, und die Herren müssen sich
allesamt bei den Damen entschuldigen. Dies wiederum führt das Stück über
das Rebellentum hinaus auf eine höhere humanistische Ebene.
Wolfgang Amadeus Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte haben
diesen humanen Weg und damit die Frauen insgesamt erheblich gestärkt.
Sie interessieren sich nur für wirkliche Menschen, deren Stand ist ihnen
herzlich gleichgültig. Ihre Oper Le nozze di Figaro ist vielleicht die vollkom-
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menste musikalische Komödie. Sie gibt allen Figuren menschliche Tiefe und
Mehrschichtigkeit, sie denunziert niemanden, nicht einmal den alten Säufer
Antonio, Gärtner und Vater der jungen Barbarina. Die geniale Struktur der
Komödie des Beaumarchais hat auch Mozart zu ganz neuartigen musikalischen Strukturen inspiriert. Das Nummernschema der Buffa-Oper wird
aufgebrochen und neu vernäht. In diesen Übergängen liegen die spannendsten
Neuerungen. Große Ensembles beschließen den zweiten wie den vierten Akt
und beschleunigen die Ver- und Entwicklungen enorm. Die konservativen
Kreise Wiens haben das alles misstrauisch beäugt und ihrerseits intrigant
bekämpft. Nach der 3. Vorstellung verbot der Kaiser, Arien zu wiederholen,
um die Aufführungsdauer herabzudrücken, und schließlich verschwand das
Stück ganz aus dem Spielplan der Hofoper, um Martín y Solers Cosa rara
Platz zu machen. Erst die Prager Aufführung von 1786/87 setzte die Oper im
Repertoire durch.
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Dirigent
Cornelius Meister
Cornelius Meister studierte Klavier und Dirigieren in seiner Geburtsstadt
Hannover bei Konrad Meister, Zvi Meniker, Martin Brauß und Eiji Oue sowie
in Salzburg bei Dennis Russell Davies und Karl Kamper. 1996 gewann er den 1.
Preis beim Südwestdeutschen Kammermusikwettbewerb, 1998 den Radeberger
Förderpreis und den Publikumspreis des Schleswig-Holstein Musik Festival und
2000 den Preis der Deutschen Stiftung Musikleben beim Deutschen Musikwett-
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bewerb. 2006 wurde er als einziger Dirigent unter Deutschlands „100 Köpfe
von morgen“ gewählt. 2001 wurde Cornelius Meister Assistent des GMD am
Theater Erfurt, im darauf folgenden Jahr debütierte er an der Hamburgischen
Staatsoper. 2003 gab er sein Debüt an der Staatsoper Hannover, der er als
Kapellmeister bis zum Jahre 2005 verbunden blieb. Als Gast dirigiert Cornelius
Meister u. a. an der Hamburgischen, Bayerischen und Stuttgarter Staatsoper,
den Opernhäusern Leipzig, Köln und Tokio, an der Komischen Oper Berlin, im
Wiener Musikverein sowie demnächst an der Opéra National in Paris. Darüber
hinaus tritt er regelmäßig als Pianist auf und ist Duopartner von Clemens Trautmann (Klarinette). Seit September 2005 ist der jetzt 27-jährige Cornelius Meister
jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands am Theater und Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg. Sein Konzertprogramm für die Saison
2006_07 wurde vom Verband der Musikverleger als „bestes Konzertprogramm“
ausgezeichnet.
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Regie
Aron Stiehl
Aron Stiehl wurde in Wiesbaden geboren. Er studierte an der Hochschule für
Musik und Theater in Hamburg unter der Leitung von Götz Friedrich das Fach
Musiktheater-Regie, das er mit Auszeichnung abschloß.
Von 1996 bis 2001 war er als Spielleiter an der Bayerischen Staatsoper engagiert, wo er 2001 Dido und Aeneas von Henry Purcell und 2005 Medusa von
Arnaldo di Felice ein Auftragswerk der Staatsoper, inszenierte.
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Seit 2001 wohnt Aron Stiehl in Berlin und ist freiberuflich tätig. Er inszenierte
beim Tollwood-Festival in München (Die Zauberflöte), im Münchner Gasteig
(Cosi fan tutte) und an den Stadttheatern Passau (Die lustige Witwe, Der
Vetter aus Dingsda), Halberstadt (Orpheus in der Unterwelt), Coburg (Im
Weißen Rößl, Der Vogelhändler), Görlitz (UA Bahnwärter Thiel, UA Fürst
Pückler), Bielefeld (Jenufa), St. Gallen (Zar und Zimmermann, Lady Macbeth von Mzensk), Staatstheater Oldenburg (Hello, Dolly!), Kammeroper
Hamburg (Undine von E.T.A. Hoffmann) und am Theater Erfurt (UA Wut von
Andrea Scartazzini).
In den nächsten Spielzeiten wird er in Meiningen (Il Trovatore) und Flensburg
(Der Zigeunerbaron) arbeiten. Geplant ist ebenso eine szenische Aufführung
der Entführung aus dem Serail in Tel Aviv mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta.
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Bühne
Jürgen Franz Kirner
Musiktheater und Tanz u. a. in Berlin,
Hamburg, Amsterdam, Salzburg und Wien
tätig. Er stattete u. a. Massenets Werther
am Theater Krefeld und die Uraufführungen mehrerer zeitgenössischer Ballette von
Kevin O´Day am Nationaltheater Mannheim aus.
Lebt und arbeitet in Berlin als freier
Mit Aron Stiehl verbindet ihn eine langjäh-
Bühnen und Kostümbildner. Er studierte
rige Zusammenarbeit, u. a. mit Schosta-
Visuelle Kommunikation und Bühnen-
kowitschs Lady Macbeth von Mzensk am
bild in Kassel, Hamburg und Berlin und
Theater St.Gallen sowie der Uraufführung
assistierte u. a. Florian Etti und Robert
Medusa an der Bayerischen Staatsoper
Wilson. Seit 1999 ist er für Schauspiel
München.
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Kostüme
Viola Schütze
FHTW in Berlin war sie Kostümassistentin an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, am Nationaltheater
Weimar und bei diversen Filmen. Sie entwarf das Kostümbild für den Kinofilm Gomez - Kopf oder Zahl von Edward Berger
und war Leiterin der Kostümabteilung
Viola Schütze stammt aus Potsdam-Ba-
an den Theatern von Stendal, Detmold,
belsberg und machte eine Maßschneider-
Rostock und Krefeld/Mönchengladbach.
ausbildung im DEFA-Studio für Spielfime.
Sie entwarf u. a. Kostüme für Tosca und
Nach einem Studium der Kostüm- und
Jesus Christ Superstar. Seit der Spiezeit
Modegestaltung an der Hochschule für
06_07 leitet sie die Kostümabteilung des
Bildende Künste in Dresden und an der
Heidelberger Theaters.
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Choreographie
Francisco Sanchez
dung zu vollenden. Bei Engagements in
Karlsruhe, Nürnberg, Kapstadt, Düsseldorf und Krefeld arbeitete er mit Choreographen wie Hans van Manen, Erich
Walter, Uwe Scholz, Heinz Spoerli und
Marvin Smith. Von 1995 bis 2004 war er am
Berliner Friedrichstadtpalast engagiert,
Francisco Sanchez stammt aus Zürich, wo
nebenbei studierte er Choreographie bei
er zuerst Eiskunstlauf und dann Ballett
Dietmar Seyffert. Neben eigenen Cho-
lernte, das er dann professionell bei der
reographien schuf er choreographische
Bosl-Stiftung in München studierte. Ein
Bewegungen in Opern- und Operetten-
Stipendium der Stadt Zürich und eines der
inszenierungen verschiedener Regisseure,
Migros-Stiftung halfen ihm, seine Ausbil-
darunter Aron Stiehl.
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Marcellina
Carolyn Frank
fort. Von 1979 bis 1983 war Carolyn Frank
als Mezzosopranistin am Staatstheater
Saarbrücken engagiert. Seit 1986 ist sie
Solistin in Heidelberg. Außerdem tritt sie
als Konzert- und Oratoriensängerin auf.
Am Heidelberger Theater ist sie in dieser
Spielzeit als Suzuki in Giacomo Puccinis
Carolyn Frank wurde in Georgia / USA
Oper Madama Butterfly und Venus in
geboren. Nachdem sie am Converse
Paul Linckes Operette Frau Luna zu
College in South Carolina ihr Bachelor of
erleben.
Music-Diplom mit Auszeichnung erworben hatte, setzte sie ihre Studien am
Curtis Institute of Music in Philadelphia
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Graf
Sebastian Geyer
Robert-Saar-Gesangswettbewerbs 1998 in
Bad Kissingen, des Mozart-Fest-Gesangswettbewerbs 2002 in Würzburg und des
Internationalen Gesangswettbewerbs der
Kammeroper Schloss Rheinsberg 2002
und 2003. Engagements führten ihn nach
Baden-Baden, an die Staatsoper Stuttgart
Geboren in Ulm, erhielt Sebastian Geyer
und das Stadttheater Gießen. In Heidel-
seine Gesangsausbildung an der Hoch-
berg singt er die Titelrolle in der gefei-
schule für Musik in Würzburg, anschlie-
erten Don Giovanni-Inszenierung von
ßend an der Opernschule in Mannheim
Sandra Leupold. Seit 2006_07 ist er festes
und der Universität Mainz. Er ist Preis-
Ensemblemitglied.
träger mehrerer Wettbewerbe, u. a. des
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Gräfin
Larissa Krokhina
in Karlsruhe. Anschließende Engagements führten die junge Sopranistin nach
Colmar, Bruchsal, Dortmund, Bremen,
Hamburg, Karlsruhe und nach Japan. Seit
der Spielzeit 05_06 ist sie Ensemblemitglied am Theater und Philharmonischen
Orchester der Stadt Heidelberg, wo sie
Geboren 1974 in Kurgan in Russland,
zur Zeit auch als Donna Elvira in Mozarts
studierte sie von 1994 bis 2000 Gesang an
Don Giovanni, Cio Cio San in Puccinis
der Chorkunstakademie in Moskau. Ein
Madama Butterfly und als Frau Luna in
DAAD Stipendium ermöglichte ihr weitere
Paul Linckes gleichnamiger Operette zu
Studien an der Staatlichen Hochschule für
erleben ist.
Musik und am Institut für Musiktheater
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Cherubino
Jana Kurucová
beta Bukoveczka auf den Operngesang zu
spezialisieren. Im Jahr 2003 wechselte sie
an die Universität für Musik und Darstellenden Kunst Graz zu Prof. Agathe Kania
und Prof. Gottfried Hornik. In der Saison
2005_06 war sie als Mitglied des Jungen
Ensembles an der Bayerischen Staats-
Jana Kurucová wurde 1982 in Kezmarok
oper Münschen engagiert. Seit dieser
in der Slowakei geboren und studierte
Saison ist sie Ensemblemitglied in Hei-
zunächst am Konservatorium von Banska
delberg. Bei den Schlossfestspielen wird
Bystrica Orgelspiel, Chorleitung und
sie die Rosina in Gioacchino Rossinis Der
Operngesang, um sich ab 2001 am Kon-
Barbier von Sevilla verkörpern.
servatorium von Bratislava bei Prof. Alz-
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Gräfin
Maraile Lichdi
Würzburg. Ihr Operndebüt gab sie 1998
am Staatstheater Stuttgart als Solistin in
Al gran sole carico d’amore von Luigi
Nono unter Lothar Zagrosek. Des Weiteren sang sie unter Kwamé Ryan, Roland
Kluttig, Alexander Rumpf, Roland Böer
und Paolo Carignani. Seit 2000 ist Maraile
Aus Schwaigern bei Heilbronn stammend,
Lichdi als Ensemblemitglied am Heidel-
studierte Maraile Lichdi Gesang bei Maria
berger Theater engagiert, wo sie zur Zeit
Venuti, Charlotte Lehmann, Hilde Zadek
auch als Donna Anna im Don Giovanni
und Carmen Duran sowie Musik-Kinäs-
und als Frau Luna in Paul Linckes gleich-
thesie bei Dr. Ernst Huber-Contwig. 1999
namiger Operette zu sehen ist.
machte sie ihren Diplomabschluss in
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Basilio
Winfrid Mikus
Heidelberg. Ab 1991 ist er am Theater der
Stadt Heidelberg als Spieltenor, ab 2002 als
Charaktertenor und jugendlicher Heldentenor engagiert. Gastspiele führten ihn an
Opernhäuser u. a. in Hamburg, Berlin (Komische Oper), Stuttgart, Frankfurt,
Köln, Zürich. Er wirkte mit bei Festspie-
Geboren in Paderborn, bekam er seine
len, Konzertreisen ins europäische Aus-
erste musikalische Ausbildung im
land sowie nach Israel, USA und Japan. In
Knabenchor Hannover bei Prof. Heinz
dieser Saison ist er u. a. als Goro in Puc-
Hennig. Ersten Gesangsunterricht erhielt
cinis Madama Butterfly und Versucher in
er von Peter Sefcik und von Prof. Naan
Brittens Der verlorene Sohn zu erleben.
Pöld. Seit 2002 lernt er bei Ute Hornung in
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Susanna
Silke Schwarz
Paula-Salomon-Lindberg-Wettbewerb und
beim Würzburger Mozartfestwettbewerb
2002 erhielt sie den 1. Platz. Gastspiele
führten sie nach Halle, Baden-Baden,
Freiburg, Bern, das Mozartfest Würzburg,
das Schleswig-Holstein-Festival sowie in
die Türkei, Polen, Russland, Frankreich
Ab 1999 studierte sie Gesang an der
und Spanien. Seit 2005_06 ist sie Ensem-
Hochschule für Musik in Freiburg. Die
blemitglied am Heidelberger Theater. In
Sopranistin ist u. a. Preisträgerin des
dieser Spielzeit ist sie u. a. als Marie in
Bruno-Frey-Preises, des Förderpreises
Linckes Frau Luna, Zerlina in Mozarts
beim 53. ARD-Wettbewerb und des
Don Giovanni und Rosina in Rossinis Il
Europäischen Kulturförderpreises. Beim
barbiere di Siviglia zu erleben.
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Bartolo
Wilfried Staber
burg. Daneben ist er als Oratorien- und
Liedsänger tätig. Er war 2003 Finalist
beim 4. Internationalen Wagnerstimmenwettbewerb in Bayreuth und im Januar
2004 Preisträger beim Francisco-VinasGesangs-wettbewerb in Barcelona. Seit
der Spielzeit 04_05 ist Wilfried Staber
Nach dem Gesangsstudium an der
Mitglied des Opernensembles am Heidel-
Universität für Musik und Darstellende
berger Theater, wo er auch als Masetto
Kunst in Graz und an der Hochschule für
in Mozarts Don Giovanni und bei den
Musik und Theater in München folgten
Schlossfestspielen 07 als Basilio in Rossi-
Verpflichtungen zu Opernproduktionen
nis Der Barbier von Sevilla zu sehen ist.
in Graz, München, Andechs und Regens-
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Figaro
Gabriel Urrutia Benet
Universität der Künste abschloss. Erste
Engagements führten ihn zur Kammeroper Schloss Rheinsberg und nach Berlin.
In Heidelberg ist er als Ensemblemitglied
zur Zeit u. a. als Leporello inMozarts
Don Giovanni, als Sharpless in Puccinis
Madama Butterfly und bei den Schloss-
Geboren 1976 in Valencia (Spanien).
festspielen 07 als Bartolo in Rossinis Il
Nach einem Gitarren-, Klavier- und
barbiere di Siviglia zu sehen.
Kompositionsstudium am Conservatorio
Elemental de Musica de Valencia begann
er sein Gesangsstudium, das er nach
Anfängen in Valencia 2004 an der Berliner
39
Antonio
Philipp Stelz stammt aus Osnabrück. Er besuchte Meisterkurse
bei Peter Anton Ling und Kurt Widmer. Von 1996 bis 2002 war er
Mitglied des Jungen Vokalensembles Hannover. Er wirkte in mehreren Aufführungen der Festwochen Herrenhausen mit. Seit 04_05
singt er im Heidelberger Opernchor.
Barbarina
Ulrike Machill führten Konzertreisen nach Hamburg und Lübeck und sie wirkte bei verschiedenen Musiksendungen des ZDF
mit, so auch bei den populären Sonntagskonzerten. Seit 1989 ist
sie im Heidelberger Opernchor, wo sie auch immer wieder Solopartien übernimmt - zuletzt die Stella in Paul Linckes Frau Luna.
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Eine Frau
Elena Trobisch sang bereits als Kind in den Kinderchören der
Dresdner Semperoper und der Komischen Oper Berlin. Nach
ihrer Gesangsausbildung an der Musikhochschule Hanns Eisler in
Berlin sang sie in den Chören der Theater in Eisenach, Leipzig und
Franfurt/Oder. Seit 1998 singt sie im Heidelberger Opernchor.
Eine Frau
Claudia Schumacher absolvierte ihre Gesangsausbildung an
der Musikhochschule Maastricht. Sie nahm an Meisterkursen
von Inge Borkh, Ingeborg Hallstein, Hans Hotter, Sena Jurinac,
Robert Holl, Nelly Miricioiu und Francisco Araiza teil. Zur Zeit
singt sie im Opernchor des Heidelberger Theaters.
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Hintergrund
v
Das Lebensdrama des wahren Menschen
Von Georgi W. Tschitscherin
Der jähe Umbruch zu auswegloser Finsternis und Dominanz des Schmerzes
geschah zwischen Figaro und Don Giovanni. Wenn Idomeneo und der Entführung aus dem Serail noch gewisse Spuren französischer und italienischer
Einflüsse anhaften, so hat sich im Figaro der Genius Mozart endgültig von
ihnen frei gemacht und steht nun im vollen Glanz seiner unverwechselbaren
Persönlichkeit vor uns. Figaro wird von einigen Kommentatoren noch über den
Don Giovanni gestellt, weil dort Menschen aus dem Leben agieren, während
der Don Giovanni geprägt ist von übermenschlichen Dimensionen, alles ins
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Kolossale gesteigert wird und wilde, wahnsinnsgepeitschte Leidenschaften
toben. Doch Mozarts psychologischer Realismus wirkt überall, bei ihm finden
sich stets die an Shakespeare erinnernde Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Charaktere, immer auch die wahrheitsgetreue Abbildung des lebendigen Menschen,
die lebendige Psychologie echter Menschen, und was er auch komponierte: «Er
konnte nur Menschen schildern, menschlich bis in die Urtriebe hinein», selbst
wenn es sich um die Königin der Nacht oder um Papageno handelt. Etliche erblicken im «Figaro» das reinste Musterbeispiel für die Darstellung lebensvoller
Gestalten. Leopold Schmidt schreibt dazu in seinem Mozart-Büchlein: «Je mehr
daher eine Zeit in der Gattung der Oper hauptsächlich ein dramatisches Kunstwerk sieht, um so höher wird sie den Figaro über den Don Giovanni stellen
müssen.» Und er fährt fort, niemals wieder, weder vor noch nach Figaro, habe
es eine so unendlich reiche und gründliche Individualisierung der Charaktere
unter steter Wahrung der stilistischen Einheitlichkeit gegeben. «Mit Recht ist
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oft darauf hingewiesen worden, dass Mozart durch die psychologische Vertiefung
und Verinnerlichung des dramatischen Vorwurfes, durch lebensvollen, künstlerischen Realismus wie durch eine stupende Beherrschung des Ensembles in
seinem Figaro die heitere Spieloper auf einen nie wieder erreichten Höhepunkt
gehoben hat», schreibt Paumgartner * und fügt hinzu: «...Don Giovanni und die
Zauberflöte lassen den Blick von derselben strahlenden Bergeshöhe dramatischer
Kunst in die Ferne schweifen. Nur nach anderen Regionen, nach dunklen Felszacken tragischer Dämonie und über die seligen Gefilde mystischer Verklärung.»
Das aber ist psychologischer Realismus im Sinne Shakespeares und geht weit
über ein Alltagsdrama hinaus. Wie Abert ** betont, galten Mozarts «künstlerische
Absichten ganz anderen Zielen als einem zeitgenössischen Sittenspiegel als
* Bernhard Paumgartner: Leiter des Salzburger Mozarteums und Mozart-Biograph (1927)
** Hermann Abert: Mozart-Biograph (1919)
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solchem». Abert stellt in seiner Studie fest, dass es dem Komponisten weit
mehr um psychologische Wahrhaftigkeit, Vertiefung der Charaktere und der
geschaffenen Situationen als um die Fabel selbst ging und dass Mozart unter
eben diesem Gesichtspunkt auch seine Libretti gewählt und behandelt hat. Der
Romantiker E. T. A. Hoffmann sieht in Figaro eine Art Schauspiel mit Gesang
und stellt damit die Bedeutung seines Textbuches heraus. Für Lert ist die Oper
ein musikalisches Lustspiel und gerät so in die Nähe zu den psychologischen
Komödien. Figaro lieferte Mozart die gewünschte Galerie von Charakteren
und gab ihm Gelegenheit, die Individualitäten und Situationen zu vertiefen.
Die Wahl des Stoffes geschah durch Mozart selbst und war ein echtes Wagnis
sowohl in politischer Sicht (Beaumarchais stand in Österreich auf dem Index)
als auch unter künstlerischem Aspekt, denn es galt als völliges Novum, statt
der üblichen Libretti als Textvorlage ein bedeutendes Werk der Weltliteratur
zu nehmen. Napoleon sah in Beaumarchais‘ Komödie ein Stück Revolution:
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«Die Revolution ist schon im Gange.» Abert kommentiert: «Dadurch ist sein
Werk für uns Moderne tatsächlich zum wichtigsten literarischen Sturmvogel der
Revolution geworden.» Wir haben es hier mit einem unsterblichen, menschheitsgeschichtlich bedeutsamen Werk der Weltliteratur zu tun. Von den drei Teilen der
Bühnentrilogie besitzt gerade Le nozze di Figaro unmittelbare politische und
gesellschaftliche Brisanz, während diese Bezüge in den anderen beiden Teilen
nur indirekt zum Ausdruck kommen. Jene revolutionäre Bedeutung unterstreicht
auch W. Fritsche in seinem «Abriss der Entwicklung der westeuropäischen Literaturen». Mozart war gezwungen, die politischen Tiraden des Figaro auszulassen,
weil Joseph II. die Oper sonst natürlich nicht hätte aufführen lassen, es kostete
auch so schon Mühe genug, die Lizenz von ihm zu erhalten, aber insgesamt war
der Inhalt eines solchen Kunstwerkes schwerlich zu entstellen, ebenso wie auch
noch etliches von dem ursprünglichen Intrigenspiel erhalten blieb. Immerhin
nennt Storoshenko («Abriss der Geschichte der westeuropäischen Literatur»)
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den französischen Dramatiker einen «genialen Vertreter der Intrigenkomödie».
Allerdings finden wir weder im Sujet noch in der Musik irgendwelche Italienismen. Die Titelgestalt ist ein Kind des Sturm und Drang. So lesen wir bei Paumgartner: «Dieser Figaro ist keine gefällige Type der Buffa mehr, sondern eine
echte Figur des Sturmes und Dranges. Trotz Vermeidung jeder politischen Anspielung kommt er dem revolutionären Urbilde des Beaumarchais sehr nahe.»
Und Abert meint zum ersten Finale der Oper: «Das ist so unitalienisch wie nur
möglich.» Er weist aber auch darauf hin, dass die von der Liebe zum Leben und
zu den Menschen merkwürdig durchwärmte Ironie des Figaro den «Italienern
bis auf den heutigen Tag unverständlich geblieben ist». In seinem geschichtlichen Abriss der Buffo-Oper führt Abert im Hinblick auf Paisiello aus, dass
Mozart dessen Kunstfertigkeit auf dem Gebiet der Buffa nicht erreichen konnte,
weil das nicht seine Domäne war, und erst Rossini habe diese Kunst dann weiterentwickelt (apropos Rossini: In seinem Barbier hat er Beaumarchais eindeu-
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tig italienisiert; Mozarts Figaro und Rossinis Barbier sind der vollkommenste
Gegensatz, der größte Kontrast, den man sich denken kann). Die Aufgabe
Mozarts lautete ganz anders, lag auf einem anderen Gebiet, nicht in der Opera
buffa. In seine universale Stilsynthese fanden auch italienische Elemente
Eingang, aber sie kamen völlig verändert und umgeschmolzen wieder zurück.
Hören wir dazu Hermann Abert selbst: «Erreicht oder gar überboten hat
dagegen Mozart diese echte Buffokunst seines Vorgängers auf diesem Gebiete nicht, das war erst Rossini beschieden. Es geht nicht an, Mozart einen
Lorbeer aufzudrängen, der ihm nicht gebührt und nach dem er in seinen reifen Werken auch nicht gestrebt hat. Sein dramatisches Kunstwerk ruhte auf
anderen Grundlagen; die zahlreichen Bausteine, die ihm die Italiener, dazu
liefern konnten, nahm er willig, doch nicht ohne Kritik hin, aber das Gebäude,
das er damit errichtete, sah ganz anders aus als der kecke und luftige Bau der
italienischen opera buffa.
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Die Kluft, welche Mozarts Musikdrama von der italienischen Buffa trennt, wird
offenkundig, wenn wir Figaro mit der Vielgestaltigkeit und inneren Mannigfaltigkeit seiner realen Figuren neben Rossinis Barbier und dessen Karikaturen
von Menschen stellen. Im Figaro bewährt sich Mozart als großartiger Meister
der musikalischen Charakterzeichnung. Noch zur Partie des Osmin aus der
Entführung hatte Abert geschrieben: «Mozart kennt überhaupt keine Komik im
älteren Sinne mehr. Es war wohl seine größte geistige Tat, dass er die Oper von
dem künstlerischen Gegensatz verstiegener Heroendarstellung und nicht minder unwahrer komischer Verzerrung befreite und für Tragik und Komik auf die
letzte Quelle, das menschliche Leben selbst, zurückging. Er ist der größte Realist des musikalischen Dramas, seine Gestalten stehen ausschließlich auf dem
Boden der Wirklichkeit und sind allein auf sie bezogen. Er hat damit die Kenntnis vom Menschen, soweit es das musikalische Drama betrifft, ganz ungeheuer
erweitert, indem er Tragik und Komik in ganz eigentümlicher Weise verschmolz
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und das Niederste dem Höchsten zugesellte». Darum nennt man Mozart einen
«Zersprenger der Gattungen»: Er hat die Formen von Seria und Buffa aufgesprengt, weil er an ihre Stelle das Lebensdrama des wahren Menschen gesetzt
hatte. Mozarts Weltbild, sein Weltempfinden sind äußerst problematisch und
erfassen alle denkbaren Widersprüche, und als ein ebensolches Knäuel von
Widersprüchen sieht er jetzt jeden lebendigen Charakter: Jeder ist für sich problematisch. Darin liegt Mozarts Lebensweisheit, und gerade diese Erkenntnis
bringt ihn in die Nähe zum Roman des 19.Jahrhunderts, besonders zu Balzac
oder gar Dostojewski. Der Wesenskern der Mozart-Oper liegt in ihrem psychologischen Wahrheitsgehalt, nicht in der äußeren Illusion, und die gleiche
Parole haben sich die jüngsten Gruppierungen unter den Komponisten auf ihre
Fahnen geschrieben: nicht länger die Illusionsoper vom Typ Wagner, welche
die schöpferische Bewegungsfreiheit beschneidet, sondern die Spieloper (freilich im Sinne nicht eines heiteren Treibens, sondern echten Schauspiels), wo
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keine äußerlichen Illusionen angestrebt werden und das Schaffen grenzenlose
Freizügigkeit genießt. «Es gilt, formelhaft gesprochen, in der Oper Mozarts
nicht nur die geniale Musiker-, sondern gerade die geniale Künstlernatur zu
erkennen», fordert Paul Bekker auf. Nicht nur Mozart als Musiker, sondern
was das Wichtigste ist, Mozart als Konzeption, als Typ des Bühnenschaffens;
so lautet hier und heute die wesentlichste Aufgabenstellung. Otto Jahn gebührt
das Verdienst, mit ungewöhnlicher Sorgfalt und bewundernswertem Einfühlungsvermögen die Charaktere des Figaro analysiert zu haben mit all ihren inneren Widersprüchen in jeder Situation, auf jeder Handlungsstufe. Die gesamte
spätere Mozart-Literatur fußt auf dieser kapitalen Analyse. Abert fügt ihr eine
ausführliche Untersuchung darüber bei, wie sich diese komplexe, tieflotende
Psychologie in der Orchesterpartitur niederschlägt. Mersmann verweilt speziell
bei der psychologischen Auffächerung in den instrumentalen Vorspielen zu
den einzelnen Arien, beispielsweise zur Arie der Gräfin: «Wie reich ist das Bild
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der Gräfin, welches die sechzehn Einleitungstakte der Cavatine am Anfang des
zweiten Aktes des Figaro enthüllen: Aus der gebundenen, feierlichen Hoheit der
ersten beiden Takte wächst die schwellende, warme Melodik der folgenden. Die
Elemente sammeln sich, gleiten aber sofort wieder ab, binden sich von neuem
und sinken diesmal noch tiefer zurück, bis in die verstörten, fragenden Synkopen mit dem Schluss in c-Moll. Da drängen noch einmal alle Kräfte in schärfster
rhythmischer Bindung aufwärts; in ihr letztes Entgleiten setzt die Singstimme
ein. Das ist das Bild des ringenden Menschen, wie er am Anfang des Dramas
vor uns steht, von hohem Wesen und heißem Herzen, schwankend zwischen
Resignation und leidenschaftlichem Begehren. Bis zu welchem Grad Mozart in
dieser Oper die Psyche der dargestellten Personen gleichsam bloßlegt, weist
Abert am Beispiel der ersten Arie des Cherubino nach: «Dieses unbestimmte
heiße Sehnen nimmt wohl immer wieder Anläufe zu voller Entladung der
Leidenschaft und träumt sich auch gelegentlich in Glück und Seligkeit hinein,
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aber dann reißt den Knaben der Strom der Gefühle wieder unaufhaltsam fort,
neuen Zielen zu, die ihm freilich ebenso wenig festen Boden gewähren. Mozart
ist gerade einem solchen Seelenzustand gegenüber, wo alles flutende Bewegung
ist, besonders in seinem Element. Das ist, wie etwa die berühmte Arie Don Giovannis oder Taminos Bildnisarie, keine musikalische Schilderung oder Nachahmung, eines bestimmten natürlichen Zustandes mehr, sondern selbst ein Stück
elementarster Natur, das sich mit all seiner schillernden Bewegung unmittelbar
in Töne umsingt.» Auch hier brechen aus der menschlichen Persönlichkeit,
ausgelöst durch ihre tiefschürfende Darstellung, wahre Urgewalten hervor und
jenes Kosmosgefühl - in der spontanen Leidenschaft der verwirrten Gefühle des
Cherubino verbirgt sich eine abgründige, amorphe Naturmacht, und wir denken an die Worte Fjodor Tjutschews: «Nicht singe mir dies grause Lied, in dem
uraltes Chaos brodelt.» Ich sage noch einmal: Figaro ist alles andere als italienische Musik, und darum konnte diese Oper in Italien auch nie Erfolg haben.
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Impressum
Nachweise
Herausgeber: Theater und Philharmonisches
Die Texte von Aron Stiehl und Bernd Feuchtner
Orchester der Stadt Heidelberg
sind Originalbeiträge für dieses Heft. Der Text Das
Intendant: Peter Spuhler
Lebensdrama des wahren Menschen von Georgi
Verwaltungsleiterin: Andrea Bopp
W. Tschitscherin ist seinem Buch Mozart: Eine
Redaktion: Bernd Feuchtner
Studie (Rowohlt Reinbek 1987) entnommen.
Gestaltung: Danica Schlosser
Herstellung: abc druck GmbH, Heidelberg
Wenn wir trotz unserer Bemühungen Rechte-
Anzeigen: Greilich / Neutard
inhaber übersehen haben sollten, bitten wir um
Nachricht.
Internet: www.theaterheidelberg.de
Theater und Philharmonisches Orchester der Stadt
Heidelberg
2006_07, Programmheft Nr. 16
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