Traumatisierende Kindheitserfahrungen und deren Auswirkungen

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Abteilung für Psychosomatik
Traumatisierende
Kindheitserfahrungen und deren
Auswirkungen im Erwachsenenalter
Medizinische Klinik
Psychosomatik
www.psychosomatik-basel.ch
Dr. med. Andreas Linde
Mythos und Wirklichkeit
Die pauschale Behauptung „Kinder
vergessen das. Das wächst sich
raus.“ ist....
.... – mit Verlaub – grosser
Quatsch!!!
Zu keinem anderen Zeitpunkt kann grösserer
lebenslanger biologischer und psychologischer
Schaden angerichtet werden.
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07.05.2010
Andreas Linde, Psychosomatik Basel: Traumatisierende
Kindheitserfahrungen und deren Auswirkungen im Erwachsenenalter
Gliederung
• Mein persönlicher Zugang zum Thema?
• Public-Health-Zugang: Die ACE-Studie
• Biologische Befunde
• Konsequenzen für die Arzt-PatientenKommunikation
• Was kann man tun, damit es besser wird?
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07.05.2010
Warum ist mir das Thema wichtig (geworden)?
Von der Sozialpsychiatrie 1998 in die Psychosomatik:
•  Die Reise vom Hier und Jetzt in die Biografie
•  Belastete Kindheit war auffallend häufig das zentrale Thema
•  Kaum ein Pat. sprach die schlimmsten Erfahrungen sofort an,
aber es lag den meisten auf der Zunge
•  Harmlose Fragen zur biografischen Anamnese waren oft der
Auslöser darüber zu reden
•  Nicht abwenden oder beschwichtigen, sondern zeigen, dass
man bereit ist zuzuhören und zu verstehen
•  Grosser Nachteil: Es ist (emotional) sehr anstrengend
•  Grosser Vorteil: Vertrauen und besserer Zugang und grösster
therapeutischer Fortschritt
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07.05.2010
Wo sind mir diese Patienten am häufigsten
begegnet?
•  Nicht in der Allgemeinpsychiatrie: Dort als Arzt mehr mit der
Verwaltung der sozialpsychiatrischen Struktur und der
Pharmakotherapie befasst.
•  In der Psychosomatik eher die Regel als die Ausnahme: In der
psychotherapeutischen Medizin steht Beziehungsarbeit im
Vordergrund und es sind andere Patienten („Alltagsmenschen“).
•  In der Somatik: „Ich würde am liebsten Schluss machen. Meine
körperlichen Beschwerden fühlen sich an, wie die Schläge und
Vergewaltigungen, die ich als Kind erleiden musste.“
•  .....und in der Behandlung von Suchtkranken.
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07.05.2010
Warum dieses Thema bei einer suchtmedizinischen
Tagung?
•  Untersuchung von Zenker et al 2002 an 900 Patientinnen in stationärer
Suchtrehabilitation: 53% haben körperliche Gewalt und 34% haben
• 
• 
6
sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erlitten. Nimmt man die seelische
Gewalt hinzu haben 74% irgendeine Form von Gewalt erlitten.
Schäfer et al. 2000, Schmidt et al. 2000: unter Opiat- und Mehrfachabhängigen
haben 25 bis 40% der männlichen und 50 bis 60% der weiblichen
Personen sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlitten
Schäfer et al. 2007, Zenker et al. 2002, Kemner et al. 2004: In der Kindheit
traumatisierte Menschen waren jünger beim Einstieg in die
Abhängigkeit, sie wurden später Häufiger Opfer von Gewalt,
berichteten deutlich mehr Suizidversuche und eine deutlich höhere
psychische Komorbidität
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Der Public Health-Zugang
DIE ADVERSE CHILDHOOD
EXPERIENCE (ACE)-STUDIE
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07.05.2010
Adverse Childhood Experience (ACE) and their Relationship to
Adult Health, Well-being, and Disease : Turning gold into lead
(Pulications: 1998-2010; Übersicht: www.cdc.gov/nccdphp/ace/)
(n=17 337 Fälle; Versicherte, nicht Patienten. Retro- und prospektives Design)
A collaborative effort between Kaiser
Permanente and the US Centers for
Disease Control and Prevention (CDC)
Robert F. Anda, M.D.
Vincent J. Felitti, M.D.
Vincent J. Felitti, UCSD
10th annual meeting of german-language society
for psychotraumatology
Universitätsspital Basel, Schweiz
May 24, 2008
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Origins of the ACE Study
„Erfolgreiche“
Teilnehmerin eines
Abnehmkurses ihrer
Krankenkasse
9
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51 weeks later
+
Optifast®
408 lbs  132 lbs
• Noch schneller
wieder mehr
Gewicht als
vorher
• Depression
What was the core
• Hospitalisation
problem here?
• Suizidalität
Was obesity the solution • Flash-Backs
for her psychological
bzgl. sexuellem
Missbr. als Kind
problems?
Prevalence of Adverse Childhood Experiences
Abuse, by Category
1. Psychological (by parents)
2. Physical (by parents)
3. Sexual (anyone)
Prevalence (%)
Neglect, by Category
4. Emotional
5. Physical
11%
28%
22%
15%
10%
Household Dysfunction, by Category
6. Alcoholism or drug use in home
7. Loss of biological parent < age 18
8. Depression or mental illness in home
9. Mother treated violently
10. Imprisoned household member
10
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27%
23%
17%
13%
6%
Adverse Childhood Experiences Score
Number of categories (not events) is summed…
• 
• 
• 
11
ACE Score
Prevalence
0
33%
1
25%
2
15%
3
10%
4
6%
5 or more
11%*
Two out of three experienced at least one category of ACE.
If any one ACE is present, there is an 87% chance at least one
other category of ACE is present.
* Women are 50% more likely than men to have a Score >5.
07.05.2010
Well-Being: Adverse Childhood Experiences
Underlie Chronic Depression
0
12
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1
2
3
≥4
Prescription rate
(per 100 person-years)
Health Costs: ACE-Score and Rate of
Antidepressant Prescription (aprox. 50 years later)
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Well-Being: Adverse Childhood Experiences
Underlie Suicide Attempts
4+
3
0
14
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1
2
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Health Risks: Adverse Childhood Experiences vs.
Adult Alcoholism
4+
2
3
1
0
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Heath Risks: ACE-Score vs Injection Drug Use
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07.05.2010
Well Being: ACE-Score vs. Risk Later Being Raped
18
07.05.2010
Social Function: ACE Score and Teen Sexual
Behaviors
Intercourse by Age 15
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Teen Pregnancy
Teen Paternity
Social Function: ACE Score and Indicators of
Impaired Worker Performance
Prevalence of Impaired Performance (%)
25
20
0
1
2
3
4 or more
15
10
5
0
20
ACE Score
07.05.2010
Absenteeism
2 days/month
(>
Serious
Financial
Problems
Serious
Problems
Performing job
Biomedical Disease: ACE-Score und
Erkrankungsrisiko im Erwachsenenalter
© Ulrich Schnyder
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07.05.2010
Biomedical Disease: ACE and Risk of Liver
Disease (Hepatitis, Jaundice)
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Was haben Sie hier gesehen?
Die Häufigkeiten
•  gesundheitsschädigenden Verhaltens
•  von mangelndem Wohlbefinden
•  von Abhängigkeitserkrankungen
•  psychischer und körperlicher Krankheit
•  sozialer Dysfunktionalität
•  etc…
stehen (bei einer grossen Stichprobe einer durchschnittlichen
Bevölkerungspopulation) in einer
DOSIS-WIRKUNGS-BEZIEHUNG
zur Anzahl der verschiedenen Kategorien belastender
Kindheitserfahrungen
Folgen traumatisierender Kindheitserfahrungen
BIOLOGISCHE BEFUNDE
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Die zerstörerische Wirkung versagter Zuwendung
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07.05.2010
Childhood maltreatment predicts adult inflammation in a lifecourse study Danese A, Pariante CM, Caspi A, Taylor A, Poulton R; PNAS Jan 23, 2007; pp1319-1324
NYHA: hsCRP > 3mg/dl ist
ein kardiovaskulärer
Risikofaktor
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Gen-Umwelt-Interaktion
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07.05.2010
Influence of Child Abuse on Adult Depression:
Moderation by the Corticotropin-Releasing Hormone Receptor Gene
(Bradley, Binder, Heim, Nemeroff et al. Arch Gen. Psy. 2008)
different single nucleotide polymorphism
haplotypes
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Interaction of CRHR1 rs110402 genotype and subtype of
childhood abuse exposure on current depressive symptoms
(N=1058). (Heim et al. 2009)
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07.05.2010
Was haben Sie eben gesehen?
• Die Vulnerabilität genetischer Varianten des CRHRezeptors hinsichtlich eines erhöhten
Depressionsrisikos ist nur dann vorhanden, wenn
jemand eine belastete Kindheit hatte.
• In Bezug zum genetischen Depressionsrisiko wirkt
sich Kaltherzigkeit und Feindseligkeit in der
Kindheit besonders fatal aus.
• Ist dies nicht der Fall, dann ist das genetische
Risiko aller Varianten etwa gleich hoch.
• Überarbeitung des Vulnerabilität-Stress-Modells
nötig?
Folgen traumatisierender Kindheitserfahrungen
KONSEQUENZEN FÜR DIE ARZTPATIENTEN-KOMMUNIKATIOM
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07.05.2010
The role of child abuse and age in vulnerability to
emotional problems after surgery for breast cancer
(Salmon P et al. Eur J Cancer 2006)
•  355 Brustkrebspatientinnen, häufigste Altersgruppe 50-64 J.
•  10% erinnern sexuellen Missbrauch, 28% erinnern
Misshandlung, 25% erinnern emotionalen Missbrauch
•  59% waren in irgendeiner Form aktuell belastet
•  49% emotionale Belastung (GHQ), 8% PTBS (PCL)
•  22% glauben selber schuldig daran zu sein, Krebs zu haben
•  13% schämten sich zumindest moderat für ihren Körper
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07.05.2010
The role of child abuse and age in vulnerability to
emotional problems after surgery for breast cancer
(Salmon P et al. Eur J Cancer 2006)
•  Sexueller und emotionaler Missbrauch in der Kindheit waren
hoch signifikante Risikofaktoren für aktuelle emotionale
Belastung (OR um 2)
•  Misshandlung und emotionaler Missbrauch waren ein
Risikofaktor für aktuelle PTBS (OR um 2,6)
•  Alle Formen von Missbrauch sind hochsignifikante
Risikofaktoren für aktuelle Überzeugungen „selbst Schuld
am Krebs“ zu sein und für „schämen wegen des eigenen
Körpers“ (OR 1.53 – 2.64)
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07.05.2010
Relationships with clinical staff after a diagnosis of breast cancer are
associated with patients' experience of care and abuse in childhood.
(Salmon P et al. J Psysom Res. 2007)
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07.05.2010
Relationships with clinical staff after a diagnosis of breast cancer are
associated with patients' experience of care and abuse in childhood.
(Salmon P et al. J Psysom Res. 2007)
•  Patientinnen, die sich an Missbrauch oder Misshandlung in der Kindheit
erinnerten oder eine mangelnde elterliche Fürsorge berichteten, äusserten
weniger oft ihre volle Zufriedenheit mit der Unterstützung durch das
Klinikpersonal während der Zeit der Diagnose und der primären
Behandlung ihres Brustkrebses.
•  Die empfundenen Qualität der professionellen Unterstützung war abhängig
von den Kindheitserfahrungen der Patientinnen.
•  Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit beeinträchtigten speziell die
Beziehungen zum klinischen Personal, selbst dann wenn die Fähigkeit zur
allgemeinen Annahme soziale Unterstützung unbeeinträchtigt war.
•  Es hat den Anschein, dass Frauen, die in ihrer Kindheit die Erfahrung
gemacht haben, dass sie soziale Unterstützung in Anspruch nehmen
können, besser als andere darauf vorbereitet sind, in krisenhaften
Momenten der Diagnosestellung und der Krebsbehandlung, sich sowohl
Laienhelfern als auch Professionellen anzuvertrauen und Nähe
zuzulassen.
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07.05.2010
Was heisst das zusammengefasst?
Erwachsene Patientinnen mit Kindheitstrauma und
mangelnder elterlicher Fürsorge in der Kindheit sind
bei Gesundheitsproblemen
•  stärker belastet
•  haben ein negativeres Selbstbild
•  und können professionelle Beziehungsangebote und
Unterstützung weniger gut wahrnehmen und nutzen
•  Das klinische Personal verlangt nach spezieller Schulung
um besser mit diesen Pat. umgehen zu können
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07.05.2010
Was kann man tun, dass es besser wird
Öffentliche Diskussion:
•  Nicht schweigen oder wegsehen
•  Häufiges Alltagsphänomen
•  Keine Bagatelle
•  Aber: Keine Hexenjagden
Prävention für Familien:
•  Wissen über Anzeichen von Missbrauch / Misshandlung
•  Inanspruchnahme sozialer Unterstützung und Beratung
•  Umgang mit Nähe
•  Erziehungskompetenz muss erworben werden
•  Verstehen (lernen) wie Kinder funktionieren
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Psychosomatik am Universitätsspital Basel
DIENSTAGMITTAG-FORTBILDUNGEN
Dienstag 23. November, 12.30 Uhr, ZLF Kleiner Hörsaal
Manfred Cierpka (Universität Heidelberg, www.cierpka.de):
Möglichkeiten der frühen psychosozialen Prävention
Dienstag, 21. Dezember, 12.30 Uhr, ZLF kleiner Hörsaal
Christine Heim (Department of Psychiatry & Behavioral Sciences,
Emory University School of Medicine, Atlanta): Der Beitrag früher
Stresserfahrungen zur Neurobiologie der Depression
www.psychosomatik-basel.ch
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07.05.2010
Weitergehende Informationen zur ACEStudie
www.acestudy.org/
www.cdc.gov/nccdphp/ace/
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07.05.2010
Triregionetzwerk Psychotraumatologie
• Ca. 100 niedergelassene
TherapeutInnen und Institutionen in
Elsass, Nordwestschweiz und
Südbaden
• methodenintegrativ
www.triregionetz.eu
40
07.05.2010
• Ziele:
• Informationsaustausch
• Intervision
• Therapeutenverzeichnis
• Verbesserung der Behandlung
Informationen
Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie
(DeGPT)
Mitglied in der awmf (awmf online)
www.degpt.de
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Traumatisierende Kindheitserfahrungen und deren Auswirkungen

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