das wildpferd unterm kachelofen

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das wildpferd unterm kachelofen
Christoph Hein
DAS WILDPFERD UNTERM KACHELOFEN
für die Bühne bearbeitet von Odette Bereska und Eberhard Köhler
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
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© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2005
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unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
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FIGUREN
Nach Beschreibungen, die Christoph Hein in seinem Buch gemacht hat
Innenhandlung
Jakob
ein Junge, Schlüsselkind, Brillenträger, kompensiert seine Einsamkeit mit einer Anzahl von Phantasiefreunden
Katinka
ein Mädchen, macht sich gerne fein, trägt ein rosarotes Tüllkleid und weiße Sandalen; in ihrem Haar steckt eine blaßblaue
Schmetterlingsschleife, sogar ihre Fingernägel sind lackiert
Schnauz
ein Esel, hat immer Hunger und daher ein Kochgeschirr umgehängt, falls es etwas Eßbares als Wintervorrat zu sammeln gibt;
kann sich nicht daran erinnern, jemals richtig satt gewesen zu
sein
Panadel, der Clochard ein zerlumpter Bursche mit einem Mantel voller Flicken und vollgestopften Taschen; auf seinem Kopf sitzt ein verbeulter Hut,
der mit einer Mohnblume geschmückt ist; trägt einen Lackschuh
und eine weiße Sportsandale; liebt es, Geschichten zu erzählen
Falscher Prinz
ein dunkelhäutiger Afrikaner, trägt stets einen grünen Turban
und weiße Seidenhosen mit einer roten Weste; besitzt eine
sanfte angenehme Stimme und spielt vorzüglich Klavier; hat
immer eine Schnupfnase und träumt davon, einmal Entdecker
zu werden
Rahmenhandlung
Jakob Borg
sollte Jakob aus der Innenhandlung möglichst ähnlich sein.
Opa Borg
Vor seinem Daueraufenthalt im Spital lebte er in einer Altbauwohnung mit Kachelofen; er kennt – bis auf Panadel – die
Charaktere aus Jakobs Phantasiewelt
BÜHNE
Einerseits das Krankenhauszimmer. Gleichzeitig eine Simultanbühne, die Jakobs Zimmer
und ein Außen (den Garten) zeigen kann; günstig wäre eine Bühnenlösung, die es den
zwei Figuren der Rahmenhandlung erlaubt, das Geschehen der Innenhandlung von allen
Seiten zu verfolgen und gegebenenfalls einzugreifen.
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1. Szene
Krankenhaus.
Jakob sitzt an Opas Bett.
Opa Borg
Und, hast du dran gedacht?
Jakob Borg
Ich war gar nicht zu Hause. War noch in dieser dämlichen Schule.
Beim Sport haben sie wieder alle gelacht, weil ich den Kopfstand
noch immer nicht kann.
Opa Borg
Können den denn alle außer dir?
Jakob Borg
Die dicke Thea kann ihn auch nicht.
Opa Borg
Wozu braucht man denn den im Leben? Vielleicht wenn man mal
unterm Schrank was suchen muß und sich nicht bücken will. Oder
wenn man einen steifen Hals hat und wissen will, ob Wolken am
Himmel sind, oder …
Jakob Borg
(Fast mit Tränen.) Du hast ja keine Ahnung. Gestern beim Schulfest …
(Bricht ab.)
Opa Borg
Was war denn da?
Jakob Borg
Nix!!! Du hast keine Ahnung. Liegst nur im Bett!
(Schweigen.)
Opa, kannst du Bruchrechnung?
Opa Borg
Einen Bruch hab ich mir gehoben an dir, als ich dich noch mit
6 Jahren auf deinen Lieblingsplatz heben mußte. Meinen guten
alten Kachelofen!
Jakob Borg
Opa!
Opa Borg
Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Und noch ehrlicher gesagt: Ich finds
auch nicht wichtig.
Jakob Borg
Aber Frau Schleinstein findets wichtig!
Schade, ich dachte, du kannst es mir erklären.
Opa Borg
Junge, das solltest du inzwischen wissen: Für so was ist dein Opa
ungeeignet.
Jakob Borg
Schnauz kann nicht mal zwei plus eins.
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Opa Borg
Ist ja auch ein Esel. Reicht doch aus, wenn er Disteln von Karamelpudding unterscheiden kann.
Jakob Borg
Opa, Schnauz hat Panadel getroffen. (Wichtig.) Einen Clochard!
Opa Borg
Oho, einen Clochard. Das ist aber äußerst selten, daß man denen
begegnet.
Jakob Borg
Wenn du wieder zu Hause bist, stell ich ihn dir vor.
Opa Borg
(Vorsichtig.) Ich glaube, Jakob, es ist besser, wenn du ihn mir hier im
Krankenhaus vorstellst.
Jakob Borg
Aber zu Hause könnt ihr zu dritt mit Schnauz ‚Dicker Schneiderkarpfen’ spielen.
Opa Borg
Jakob, ich bin nicht sicher, ob ich noch mal nach Hause …
Jakob Borg
(Schnell.) Schnauz hat ihn im Garten getroffen. Aber Panadel be-
hauptet, er hätte Schnauz „entdeckt“.
Opa Borg
Und, haben die anderen Panadel freundlich aufgenommen?
Jakob Borg
Ja, alle. Außer Katinka. Aber das war ja klar. Ein Clochard ist ihr zu
schmuddlig.
2. Szene
Im Garten.
Schnauz
(Zu sich.) Also wieviel ist zwei und eins? Hm. Ach ja. Hab ich einen
Hunger.
(Er übt einen Purzelbaum und noch einen.)
Ich hab einen Traum gehabt, da reicht der Menschenverstand
einfach nicht aus, zu sagen, was das für ein Traum war: Karamelpudding! Ach ja.
Zwei und eins? Es ist bestimmt nicht viel mehr als vier oder fünf.
Ich weiß genau, wieviel es ist, es fällt mir nur im Augenblick nicht
ein. Vielleicht zwei?
(Gerade will er seinen rechten Vorderhuf ins Maul stecken und ein wenig daran
nuckeln, als plötzlich …)
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Panadel
(Off.) Eine Frage von außerordentlicher Nebensächlichkeit, mein
Bester.
(Nachdem Schnauz den ersten Schrecken über diese geheimnisvolle Stimme überwunden hat, sucht er Panadel, der es sich im Gras gemütlich gemacht hat.)
(Singt.) Ein Segel, ein Tau, ein Wind hinterdrein,
hej, hej, und ne Buddel voll Rum,
das braucht ein Seemann, um glücklich zu sein,
hej, hej und ne Buddel voll Rum.
Schnauz
Hallo!
Panadel
Wo kommst du denn her?
Schnauz
(Zaghaft.) Von zu Hause.
Panadel
(Erfreut.) Ah, und ich fürchtete schon, auf einer unbewohnten Insel
gestrandet zu sein.
Schnauz
Auf einer Insel?
Panadel
Ja, ich hasse es, auf unbewohnten Inseln zu stranden. Sie sind so
einsam. Es fehlt einfach an Gesellschaft. Die Schar der lustigen
Freunde, wenn du verstehst, was ich meine.
Schnauz
Ich glaube nicht, daß wir auf einer Insel leben. Jedenfalls habe
ich noch nie davon gehört.
Panadel
Doch, doch, es ist eine Insel. Und ich habe sie entdeckt. Ich
werde ihr einen Namen geben müssen. Was hältst du von „Insel
des Clochards“?
Schnauz
Was ist das: „Clochards“?
Panadel
Gestatten, Verehrtester: Panadel, Clochard. Wir Clochards sind die
Könige der Welt, wir sind überall zu Hause und haben immerzu
Urlaub. Besitzen wollen wir nichts, wir wollen nur leben und frei
sein, wenn du verstehst, was ich meine.
Einen Namen werde ich dir natürlich auch geben müssen. Laß mich
überlegen …
Schnauz
Warum denn? Ich habe doch schon einen Namen. Ich bin Schnauz.
Panadel
(Erstaunt.) Wieso? Ich habe dich doch eben erst entdeckt.
Sehr merkwürdig. Es scheint, diese Insel steckt voller Geheimnisse.
Was hältst du von einem kleinen Imbiß?
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Schnauz
(Erfreut.) Oh ja. Daran habe ich auch schon gedacht. Ach ja.
Panadel
Ich dachte an ein Schinkenbrot und eine Käseplatte.
Schnauz
Und vielleicht noch etwas Pudding!
Panadel
Aber ein gut zubereiteter Kartoffelsalat ist auch etwas Feines!
Schnauz
Besonders, wenn es hinterher Karamelpudding gibt!
Panadel
Ich sehe, wir verstehen uns. (Pause.) Was ist nun mit dem Essen?
(Schnauz schaut betrübt in sein Kochgeschirr.)
Schnauz
Leer. Kein Pudding und kein nichts.
Panadel
Dumm, sehr dumm. Meine Vorräte sind mit dem Schiff untergegangen.
Schnauz
Wir sollten zu Jakob und Katinka gehen. Sie werden auch dir sicher
etwas zu essen geben.
Panadel
Wer ist Jakob? Und wer ist Katinka?
Schnauz
Meine Freunde.
Panadel
Eingeborene also. Na dann, gehen wir!
3. Szene
Zu Hause.
Falscher Prinz übt Klavier. Katinka schreibt Tagebuch. Schnauz und Panadel treten vorsichtig ein.
Katinka
(Bemerkt die beiden nicht und schreibt mit Blick auf Falscher Prinz.)
Liebe Julia, heute nachmittag habe ich mit Falscher Prinz Klavier
geübt. Er ist ein richtiger Künstler. Wenn er am Klavier sitzt, sieht
er verträumt aus. Ich wüßte gern, an wen er dann denkt. Glaube
aber bloß nicht, daß ich in ihn verliebt bin. Davon halte ich nämlich
überhaupt nichts …
Schnauz
Das ist unser neuer Freund, Panadel, ein Clochard.
Falscher Prinz
Angenehm. Falscher Prinz.
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Panadel
„Falscher Prinz“? Wie seltsam. Wieso „Falscher Prinz“?
Falscher Prinz
Das ist sehr einfach. Ich bin eben kein richtiger Prinz, sondern ein
falscher. Deshalb heiße ich auch so.
Panadel
Einleuchtend, durchaus einleuchtend.
Schnauz
(Stolz.) Er hat mich entdeckt, Falscher Prinz. Panadel hat mich ent-
deckt. Wenn ich nur wüßte, was das bedeutet! Ach ja.
Falscher Prinz
Meinst du, ich werde auch einmal jemanden entdecken, Schnauz?
Schnauz
Das wirst du sicher. Es ist nicht schwer. Ach ja.
Falscher Prinz
Angenommen, ich treffe jemanden. Wie bekomme ich heraus, ob
ich ihn entdeckt oder einfach nur getroffen habe?
(Schnauz schweigt ratlos.)
Es muß da irgendein Geheimnis geben, wenn man Entdecker
werden will.
(Katinka erwartet die beiden bereits. Mißtrauisch besieht sie den zerlumpten
Panadel.)
Schnauz
Ich habe einen neuen Freund getroffen, Katinka. Das ist Panadel,
ein …
Katinka
… Clochard.
Schnauz
Ja, die besitzen nichts und sind doch die Könige der Welt!
Katinka
Und offenbar besitzen sie nicht einmal Seife und genügend
Knöpfe für ihre Jacken … Ich hoffe, er kann dir wenigstens beim
Rechnen helfen, Schnauz! (Sie wendet sich wieder ihrem Tagebuch zu.)
Liebe Julia, …
Opa Borg
Wer ist Julia?
Jakob Borg
Das habe ich dir doch erzählt, Opa. Ihr Tagebuch. Ich habe es ihr
geschenkt, und sie schreibt alles hinein, was passiert. Keiner darf
es lesen.
Opa Borg
Sie kennt gar keine Julia, und trotzdem schreibt sie immer Briefe
an sie?! Aber warum „Julia“? Warum nicht Kitty oder Ernestine?
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