Der Traum vom Olympiagold
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Der Traum vom Olympiagold
Schweizer Nachwuchssportler des Jahres 2013: Nils Mani in Aktion P r o f i s p o r t l e r Der Traum vom Olympiagold Foto: zVg Die 17-jährige Laura von Gunten will professionelle Skifahrerin werden. Der Berner Oberländer Nils Mani befindet sich auf bestem Weg dahin. Zur Verwirklichung ihres Traums wählten sie zwei unterschiedliche Strategien. Text Mario Wittenwiler Fotos Simone Gloor M it vor Anstrengung verzerrtem Gesicht liegt Laura von Gunten auf der Trainingsbank des Kraftraums. Die 17-jährige Schülerin des Sportgymnasiums Davos ist im Skitraining gestürzt und hat sich das Kreuzband am Knie verletzt. Nun ist Trockentraining mit dem schuleigenen Physiotrainer angesagt. Szenenwechsel. Sotschi, 11. Februar 2014: Siegestrunken gibt der Schweizer Snowboarder Iouri Podladtchikov dem Tessiner Fernsehen ein denkwürdig bizarres Interview. Nur wenige Momente zuvor hat sich der 26-Jährige mit Olympiagold in der Halfpipe seinen Jugendtraum erfüllt. Der von Fans «IPod» genannte Sohn russischer Eltern machte 2009 die Matura am Davoser Sportgymnasium. Schaut man sich den olympischen Medaillenspiegel an, scheint die Schweiz momentan gut aufgestellt, was den professionellen Wintersport betrifft: Insgesamt elf Medaillen holte die eidgenössische Delegation in Sotschi. Neben dem Snowboarder Podladtchikov gewannen bei den alpinen Skirennfahrern Dominique Gisin die Goldmedaille in der Abfahrt und Sandro Viletta in der Super-Kombination. Dazu kamen zwei Mal Gold durch Dario Cologna im Langlauf und Patrizia Kummer im Snowboard-Parallel-Riesenslalom. Zusätzlich holte Lara Gut in der alpinen Abfahrt für die Schweiz die bronzene Auszeichnung. Für diese Medaillen kann die Schweiz nicht auf 800 von der Armee unterstützte Sportler setzen wie etwa der nördliche Nachbar Deutschland. Beim Bund sind lediglich 18 Athleten zu 50 Prozent als Armeesportler angestellt. Seit einigen Jahren leisten hingegen Sportgymnasien eine wichtige Arbeit im Nachwuchsbereich. «Der Weg zum Skiprofi ist brutal schwierig. Für Jugendliche, die das intellektuelle Rüstzeug mitbringen, ist das Sportgymnasium aber sicher ein sehr guter Weg», sagt Urs Winkler, Rektor des Sportgymnasiums in Davos. «Zehn Prozent unserer Absolventen schafSp o r t s c h u l e n fen den Sprung in den Spitzensport. Das ist eine sehr gute Quote», so Winkler. In der Tat weist das erfolgreiche österreichische Pendant, das Schigymnasium In der Schweiz gib es fünf offizielle Stams in Tirol, eine ähnliche Quote auf. Swiss Olympic Sport Schools. Gemäss dem Sportförderungsgesetz werden Laura von Gunten aus dem zürchesie mit finanziellen Mitteln vom Bund rischen Wädenswil am Zürichsee ist in unterstützt. Neben dem Sportgymna ihrem zweiten Jahr in Davos. Zuvor besium in Davos sind dies die Sport suchte sie während dreier Jahre die Sportmittelschule Engelberg, das Sportschule in Näfels. Ihre Skirennen bestreitet Kollegium Brig, das hochalpine Institut sie für den Skiclub Flums, da ihre Eltern Ftan und die nationale Elitesportschu dort ein Ferienhaus besitzen. «Nach Dale Kreuzlingen. Daneben gibt es eine vos kam ich, weil schon mein Bruder zwei Reihe von öffentlichen Gymnasien, Jahre hier war», sagt die junge Unterlänwelche von Swiss Olympic als Part derin. «Viele Zürcher gehen nach Engelnerschulen geführt werden. Von den berg ans Sportgymnasium, durch meine Swiss Olympic Sport Schools den wohl Mitgliedschaft im Skiclub Flums war ich höchsten Bekanntheitsgrad hat das aber schon verbandsmässig in Richtung 1997 gegründete Sportgymnasium in Weg zum Erfolg Davos. Prominente Absolventen bei den alpinen Skirennfahrern sind Marc Berthod, Marc Gini und Tamara Wolf. Arbeitswelt Ostschweiz orientiert», so Laura von Gunten. Sie besucht wie alle Schüler in Davos am Montag den ganzen Tag die Schule. Abends wird trainiert. Dienstags bis donnerstags stehen im Winter je halbtags Schule und Training auf dem Stundenplan. Die Schulwoche wird durch einen halben Tag Schule am Freitagmorgen und ein Konditionstraining am Nachmittag abgeschlossen. Abgeklärt wie ein Medienprofi Die erste Zeit im Gymnasium teilte sich Laura von Gunten mit ihrer Freundin Noemi Anesini das Zimmer. Die Tochter des ehemaligen «Skischätzchens der Nation» Maria Walliser ist wie sie als Skifahrerin am Sportgymnasium. Die beiden trainieren auch zusammen. «Das war dann fast schon zu viel Nähe», erzählt die 17-Jährige. Seit einiger Zeit haben die beiden nun ein Einzelzimmer. Sie habe durch den Wegzug ins Internat keine Freunde in Wädenswil vernachlässigt, sagt Laura von Gunten: «Die meisten meiner engen Freunde fahren selbst intensiv Ski, so sehe ich sie immer noch häufig an den Rennen.» Die Fragen beantwortet die junge Frau wie ein Medienprofi klar und überlegt, überhaupt wirkt sie wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen des Sportgymnasiums extrem fokussiert. Die Frage, ob Kiffen oder Alkohol wie bei Teenagern üblich auch unter den Davoser Schülern ein Thema sei, verneint Rektor Urs Winkler. Lediglich ein Poster macht im Schulgang auf die schädlichen Folgen von «Snus» aufmerksam. «Snus» ist die skandinavische Form des Tabakkonsums. Dabei wird ein fingernagelgrosses Klümpchen Tabak unter die Oberlippe gesteckt. Über die Schleimhaut gelangt das Nikotin in den Blutkreislauf. «Snus» ist bei vielen Skifahrern ehemaligen Schülern, wie es Schulen in den USA oft mit viel Aufwand unterhalten, befinde sich im Aufbau, so Winkler. Die Schüler haben die Wahl zwischen dem fünfjährigen Gymnasium (statt normalerweise vier Jahre) und der vierjährigen Ausbildung an der Handelsmittelschule. Zurzeit besuchen 134 Schülerinnen und Schüler das Sportgymnasium im Landwassertal. 45 von ihnen wollen Skiprofi werden. «Diese Zahl ist das Maximum, das wir abdecken können», sagt Urs Winkler. Die Schüler hätten die unterschiedlichsten familiären Hintergründe. Auch Kinder aus Bauernfamilien seien an der Schule. «Wir sind auch ein Gymi für die lokale Bevölkerung», erklärt Urs Winkler, «16 unserer Schüler sind aus der Region Davos.» Wenn ein Jugendlicher die sportlichen und intellektuel len Fähigkeiten mitbringe, finde sich finanziell immer eine Lösung, erklärt Winkler. Im alpinen Bereich erhalten Nachwuchsathleten kantonale Stipendien oder können sich bei privaten Stiftungen wie der Grüter-Stiftung oder der PaulAccola-Stiftung um eine Unterstützung bewerben. Letztere ist nach der immer noch in Davos lebenden lokalen ehemaligen Skigrösse Paul «Menzi» Accola benannt. 13 500 Franken pro Jahr Für einen externen Schüler betragen die Jahresschulkosten 3500 Franken. Interne bezahlen 13 500 Franken pro Jahr für Schule, Unterkunft und Verpflegung. «Das ist vergleichsweise wenig. Jeder Schüler an einer Kantonsschule kostet den Staat pro Jahr 20 000 Franken», sagt Urs Winkler. Sponsoren sind in der Regel die Eltern, professionelle Ausrüstungssponsoren kommen erst später dazu. Mit den Schulkosten alleine ist es jedoch nicht getan. Hinzu kommt ein «Wenn man weiss, wofür An der Arbeit als Landmaschinen-Mechaniker man trainiert, ist früh aufstehen kein Problem.» und Eishockeyspielern beliebt, weil es im Gegensatz zum Rauchen die Lungen nicht schädigt. Schule lebt von Mundpropaganda Das Sportgymnasium in Davos lebt von der Mundpropaganda. Rektor Urs Winkler: «Wir machen keine Inserate, keine Werbung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir damit die falschen Personen ansprechen.» Ein Netzwerk von 20 der arbeitsmarkt 6 I 2014 Foto: zVg Foto: zVg Nils Mani namhafter Betrag für die Ausrüstung. Dieser kann schnell fünfstellig werden. Skifahrer brauchen für die vier verschiedenen Disziplinen Slalom, Riesenslalom, Super-G und Abfahrt je mehrere Paar Ski für Training und Wettkampf. Auf welche dieser Disziplinen sie später ihrem persönlichen Talent entsprechend setzen wollen, kristallisiert sich im Lauf ihrer Ausbildung heraus, erklärt Linard Fasser, einer von drei fest angestellten Skitrainern am Davoser Sportgymnasium. Arbeitswelt «Die meisten meiner engen Freunde fahren selbst intensiv Ski.» Laura von Gunten Krafttraining mit Physiotherapeut Ruben Bemelmans «Ahnengalerie» der erfolgreichen Absolventen (unten) «Am Anfang trainieren alle universal», sagt Fasser. Genau wie seine beiden Trainerkollegen Urs Imboden – ein ehemaliger Schweizer Weltcup-Slalomfahrer – und der Österreicher Hannes Patigler wird er von den Schülern geduzt. Fasser findet daran nichts Spezielles: «Wir verbringen derart viel Zeit miteinander, da ist das normal.» «Bei uns wird nicht geschummelt» Um am Sportgymnasium Davos aufgenommen zu werden, müssen Schüler zwei Aufnahmeprüfungen bestehen – eine sportliche und eine schulische. Aus den USA kennt man die Praktik, dass intellektuell schwache Schüler, die aber gute Sportler sind, durch grosszügiges «Aufrunden» durch den Abschluss getragen werden: Für die imagebewussten Colleges in Übersee hat ein sportlicher Erfolg des schuleigenen Basketball- oder Football-Teams enormes Prestige. «Bei uns wird nicht geschummelt. Alle Schüler absolvieren eine Matur nach einheitlichem Bündner Standard», erklärt Urs Winkler. Er erlebe oft, dass intellektuell nur mittel begabte Schüler sich doppelt ins «Füdli» klemmen, um am Sportgymi bestehen zu können, sagt Linard Fasser, der neben dem Skitraining in Davos auch Sporttheorie unterrichtet. Trotz allen Fokussierens bleibt ein Faktor auf dem Weg zum Profisportler unberechenbar: das Glück. Auch Laura von Gunten hat einen Plan B im Hinterkopf, wenn es mit der Winter-Olympiade 2018 oder 2022 nichts wird: «Ich könnte mir vorstellen, als Innenarchitektin zu arbeiten.» Lehrmeister war kein Skifan Die jungen Sportler am Davoser Gymnasium wissen ein grosses Team von Ausbildnern und Trainern hinter sich. amit haben sie es einfacher als Kollegen, die eine Lehre D machen. Für Lehrlinge ist es zudem nicht einfach, einen Ausbildungsbetrieb zu finden, der den sportlichen Ambitionen und Zielen Interesse und Verständnis entgegenbringt. Einer, der trotzdem auf eine Berufslehre setzte, ist der Berner Oberländer Nils Mani. «Stolz, ein Diemtigtaler zu sein», steht auf seiner Website. Als grosses Vorbild nennt er den Österreicher Hermann Maier: «Auch er hat eine Lehre gemacht. Und er hat nach seinem schweren Töffunfall nicht aufgegeben und schaffte mit unbändigem Willen wieder den Sprung an die Weltspitze.» Sein Lehrmeister sei nicht unbedingt ein Skifan gewesen, erzählt Nils Mani. «Wir sprachen nur selten über meine Ergebnisse.» Trotzdem kam ihm die Burger AG in Reutigen sehr entgegen, er habe für Wettkämpfe jeweils grosszügig frei bekommen. Die Entscheidung gegen ein Sportgymnasium sei ihm relativ leichtgefallen, da er nicht gerne in die Schule gegangen sei. «Ich setze schon voll auf den Skisport, Landmaschinen-Mechaniker war aber mein Berufswunsch, seit ich klein war», stellt der 22-Jährige klar. Er habe es sicher strenger gehabt als ein Sportgymnasiast: «Ich trainierte nach der Arbeit oft noch bis um 22 Uhr alleine oder mit den Kollegen vom Skiclub. Am nächsten Morgen hiess es dann um 6 Uhr wieder aufstehen.» Das sei für ihn aber keine Qual gewesen: «Wenn man weiss, wofür man trainiert, ist das kein Problem.» Es seien strenge vier Jahre gewesen, aber er sei froh, diesen Weg gegangen zu sein: «Ich habe einen Lehrabschluss im Sack und nicht nur die Matur.» Wichtig für ihn sei auch der Support von externer Stelle wie der Sporthilfe gewesen. «Meine Eltern bauern und sind nicht reich.» Die Eltern hätten ihn auf seinem Weg aber sehr unterstützt: der Vater oft als Chauffeur, die Mutter als Servicefrau. Mit Erfolg: In der vergangenen Saison wurde Nils Mani Juniorenweltmeister in der Abfahrt. Bei den «Grossen» reichte es ihm zum Vize-Schweizer-Meister-Titel im Super-G. In der Königsdisziplin Abfahrt holte er die ersten Welt cuppunkte. Der Traum vom Olympiagold in vier Jahren an den Olympischen Spielen 2018 in Südkorea ist in greifbare Nähe gerückt. n 6 I 2014 der arbeitsmarkt 21