Schrauberspaß an alten Schätzchen

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Schrauberspaß an alten Schätzchen
Bericht | Text: Sabine Sitte | Fotos: Andreas Löchte und Sabine Sitte
Schrauberspaß an alten Schätzchen
Treckerfreunde Münster
„Mein erster war ein Porsche“, erinnert
sich Klementine Bruland. Doch der war
ihr zu langsam: „Nach jeder roten Ampel
hatte ich zu tun, die anderen Fahrer
wieder einzuholen.“ Heute lenkt sie
einen feuerroten FAHR und tuckert stolz
mit schnelleren 34 PS über die schmalen
Feldwege rund um Münster und das
Umland. Sie fährt nicht allein: Bedächtig rollt eine Karawane von bis zu 20
betagten Traktoren ihrem Ausflugsziel
entgegen. Die Treckerfreunde Mecklenbeck sind dann „per Achse“ auf Tour.
Gelernt hat Klementine Bruland das
Treckerfahren für ihren Mann. „Er war
vernarrt in sein Hobby und ständig
unterwegs. Um mit ihm zusammen zu
sein, musste ich halt mitfahren.“ August
Bruland starb 2008 und hinterließ seiner
Frau nicht nur Haus und Hof, sondern
auch seine geliebten Schlepper: Oldtimertraktoren, aufwändig restauriert und
fahrbereit. Das älteste Modell, ein Lanz
Bulldog, stammt aus dem Jahr 1941 und
ist ein ganz besonderes Stück. Bereits das
Anlassen bedarf viel Geschicks, Geduld
und Kraft. Mit einem Brenner wird der so
genannte Glühkopf über der Vorderachse
so lange erhitzt, bis die Zündtemperatur
erreicht ist. Es sieht brandgefährlich aus:
Links und rechts schlagen hohe Flammen empor. „Durch das Vorglühen wird
das Anlassen des Motors erleichtert“,
erklärt Thomas Höppener. Vorher hat
er das Lenkrad im Führerstand aus der
Halterung gezogen und seitlich auf den
Anlasser gesteckt. An diesem Schwungrad
wird nun so lange geruckt und gedreht,
bis der Motor zu spucken beginnt und
endlich das vertraute „tuck, tuck, tuck“
des Treckers zu hören ist.
In der kalten Jahreszeit stehen die
Schlepper gut geschützt in Scheunen, Garagen oder unter Remisen: Hochsaison für
ihre Besitzer, sich um ihre „Schätzchen“
besonders zu kümmern. „Im Winter wird
geschraubt und restauriert, im Sommer
gefahren“, sagen die Treckerfreunde.
Seit über 20 Jahren teilen sie ihre Leidenschaft für die imposanten Vehikel
miteinander. August Bruland war einer
der ersten, der einen alten Trecker besaß
und begeisterte Stück für Stück Nachbarn,
Freunde und Kollegen mit diesem Hobby.
Inzwischen sind sie etwa 20 Schrauber
und besitzen zusammen ungefähr 30
Oldtimer-Schlepper.
„Einen Trecker zu fahren kann jeder
lernen“, behaupten die Männer. „Unser
15er Deutz ist prima für Anfänger.“ Sie
grinsen verschwörerisch: Mit 18 Stundenkilometern könne doch erstmal nicht
viel passieren. Auch Klementine Bruland
schmunzelt. Ist der Deutz doch eben der,
mit dem sie früher immer als Letzte ins Ziel
tuckerte. Und das technische Geschick?
Ein wenig Verständnis für Technik müsse
schon sein, „aber man lernt viel voneinander und fragt nach oder beliest sich.“
Die Begeisterung für Traktoren oder einen
bestimmten Typ entstammt oft der Kindheit. Die meisten der Treckerfreunde sind
in der Landwirtschaft groß geworden und
haben von je her eine engere Beziehung
zu diesen Maschinen. „Andere Menschen
basteln lieber an Modelleisenbahnen
oder restaurieren alte Feuerwehrautos“,
sagt Bernhard Böhr. „Wir lieben alte
Trecker.“ Landwirt ist keiner von ihnen.
Sie arbeiten als Elektriker, Schlosser,
Automechaniker und in anderen Berufen
oder genießen bereits ihren Ruhestand.
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Jeden Montagabend treffen sie sich auf
Klementine Brulands Hof, um zu klönen.
„Dieselgespräche“ nennen sie das. Heute
erzählt Fritz Gellenbeck stolz von seinem
Glück. Über zwei Jahre hat er nach einem
passenden Führerhaus für seinen betagten Unimog, Baujahr ´62, recherchiert.
Nun ist er in Belgien fündig geworden.
Gellenbeck weiß: „Geduld, ja, Geduld ist
eine der wichtigsten Eigenschaften, die
man hier mitbringen muss.“ Je älter die
Schlepper sind, umso schwieriger wird
die Ersatzteilsuche. Nicht jedes Stück
kann nachgebaut werden. Das Internet
erleichtert einiges, aber wichtiger sind
noch immer Beziehungen. „Einer erzählt,
was er braucht, das tratscht man dann
weiter und irgendwann, vielleicht in
einem Jahr, kommt einer und hat was“,
erzählt Thomas Höppener, und Guido
Nagel setzt noch einen drauf: „Mit viel
Geld ginge es auch schneller.“ Es gäbe
Sammler, die restaurierte Trecker nur
als Wertanlage betrachteten, sich die
schönsten historischen Schlepper kauften und irgendwo unterstellten. „Das
macht dann die Hobbypreise kaputt“,
wissen die Männer. Der Schrauberspaß
ist sowieso schon teuer. „Die kleinste
Währung ist ein grüner Schein.“ 100 Euro.
Auch ein Grund, weshalb es dauert, bis
aus einem ramponierten, manchmal in
einer Scheune fast vergessenen, oft vom
Rost zerfressenen, bejahrten Trecker ein
stolzes „neues“ Schmuckstück wird.
Bernhard Böhr nennt sieben OldtimerSchlepper sein eigen. Ein Hanomag
von 1946 ist dabei, zwei Fahr-Modelle
(Baujahr 1954) und ein IHC (1971). Sie
stehen auf seinem Hof in Nienberge.
Dort schraubt und werkelt er auch. Wer
keinen Platz daheim findet, darf die
Werkstatt Klementine Brulands nutzen.
Vor kurzem haben die Treckerfreunde einen ehemaligen Pferdestall in einen zusätzlichen Arbeitsraum verwandelt. Den
hat derzeit Reinhold Wenk in Beschlag
genommen: Quer durch den Raum zieht
sich ein Spannseil, auf dem nicht Wäsche,
sondern kleine Metallteile trocknen.
Frisch sandgestrahlt und mit hellgelber
Grundierung vorgestrichen, hängen Kurbeln, Blechteile, Rohre in langer Reihe
nebeneinander. Blickt Wenk durch die
geöffnete Werkstatttür in die große Halle,
fällt ihm sofort sein Schätzchen ins Auge.
Fast fertig steht es da; der komplette Unterbau mit Motor und Getriebe liegt fest
verschraubt auf den Achsen und glänzt
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silbrig neu. „Schlüter“ steht in fetten Metalllettern auf dem Antrieb. Das ist Msein
Traum: Seit mehr als zwei Jahren bastelt
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er in jeder freien Minute an dem Oldtimer
herum und hat sich fest vorgenommen,
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spätestens im kommenden Mai fertig zu
sein. Dann soll der Schlepper aussehen
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wie auf dem Kalenderblatt, das Reinhold
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Wenk zur Motivation an die Wand gepinnt
hat. Rot lackiert und fahrbereit.
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Wenn die Tage wieder länger undK die
Temperaturen milder werden, ist die Zeit
der Ausfahrten gekommen. Aus dem Winterschlaf erwacht, generalüberholt und
frisch geputzt, rollen die Schlepper vom
Hof, formieren sich zu einer langen Reihe
und tuckern mit gemächlichen 25 Kilometern pro Stunde durch die Landschaft.
Einmal im Jahr planen die Treckerfreunde
eine Zwei-Tage-Tour und bleiben dabei
unter sich. „Nur die Männer“, sagen sie
mit Augenzwinkern, und auch Klementine Bruland bleibt daheim. Mit Planwagen
und umgestalteten Bauwägelchen im
Schlepp ziehen die Trecker von dannen. #
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