folterbilder und -narrationen - Heinrich-Heine

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folterbilder und -narrationen - Heinrich-Heine
FOLTERBILDER UND
-NARRATIONEN
Verhältnisse zwischen Fiktion und Wirklichkeit
11.-12. NOVEMBER 2010
Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
Eine Tagung des Instituts für Medien- und Kulturwissenschaft der
Heinrich-Heine-Universität gemeinsam mit der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Justus-Liebig-Universität Giessen.
Folterbilder- und Narrationen
Verhältnisse zwischen Fiktion und
Wirklichkeit
Bilder von Folterungen und von gemarterten
Körpern kennen wir seit der Antike, doch in
den vergangenen Jahren häufen sich Bilder und
Narrationen in Literatur und Film. Diese zunehmende mediale Präsenz steht in einem widersprüchlichen Verhältnis zu den Ergebnissen
aus der medizinischen und psychologischen
Forschung über die körperlichen, psychischen,
sozialen und insbesondere kognitiven Auswirkungen der Folter auf die Opfer. Denn Gedächtnisleistungen und Erinnerungsfähigkeit werden
durch die Extremtraumatisierung nachhaltig
gestört. Traumatisierte können erst allmählich
eine verbale Erzählung aus ihren sensorischaffektiven Erinnerungen konstruieren. Woher
genau kommen also die „Darstellungen“ des
„nicht Darstellbaren“, welche Übersetzungen
finden wir vor und wie verhalten wir uns
Konzeption / Organisation
gegenüber diesen Narrationen? Kulturelle
Narrationen suchen nicht selten in extremen
traumatischen Ereignissen eine Art Verankerung. Wie ist diese Spannung zu verstehen?
In welcher Beziehung stehen psychische und
mediale Repräsentationen der Folter? Welches
Verhältnis besteht zwischen Bild, Szene und
Narration der Folterrealität und der medialen
fiktiven Verarbeitung?
Reinhold Görling, Prof. Dr. phil., Professur für
Medienwissenschaft in kulturwissenschaftlicher Orientierung an der HHU Düsseldorf, Leiter
des medienwissenschaftlichen Projektteils im
Forschungsprojekt „Wiederkehr der Folter?“.
Johannes Kruse, Prof. Dr. med., Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der
Justus-Liebig-Universität Giessen, Leiter des
medizinisch-psychologischen Projektteils im
Forschungsprojekt „Wiederkehr der Folter?“.
Julia Bee, M.A. Medien- und Kulturwissenschaftlerin, Mitarbeiterin im Forschungsprojekt
„Wiederkehr der Folter?“an der HHU Düsseldorf.
Elke Mühlleitner, Dr. phil., Mag. phil., Psychologin und Sozialwissenschaftlerin, Mitarbeiterin
im Forschungsprojekt „Wiederkehr der Folter?“
an der JLU Giessen.
Erinnerung und Traumabearbeitung
Rosmarie Barwinski
Spezifisch für die Verarbeitung traumatischer
Erfahrungen scheint die Schwierigkeit zu sein,
die erlebten traumatischen Geschehnisse
kognitiv und emotional wahrzunehmen und
in ihrer subjektiven Bedeutung zu verstehen.
Diese besondere Problematik kann aus psychoanalytischer Sicht auf Abwehrvorgänge zurückgeführt werden, die sich gegen die Wahrnehmung der bedrohlichen Realität und gegen
die damit einhergehenden überwältigenden
Affekte richtet. Folge dieser Wahrnehmungsabwehr ist eine eingeschränkte Erinnerungsfähigkeit. Im Vortrag werden unterschiedliche
Formen der Erinnerung wie Flashbacks oder
Inszenierungen traumatischer Geschehnisse
bei Extremtraumatisierung aus psychotraumatologischer Sicht diskutiert. Anhand von
Fallbeispielen wird aufgezeigt, wie mit diesen
präsymbolischen Formen der Erinnerung in
Traumatherapien umgegangen werden kann.
Rosmarie Barwinski, PD, Dr., Psychoanalytikerin, Psychotherapeutin (SPV/FSP), Leiterin des
Schweizer Instituts für Psychotraumatologie,
Winterthur.
Über das Verhältnis von psychischen
und medialen Repräsentationen in
der filmischen Folterszene
Julia Bee
Folter erlebt in den letzten Jahren eine
beispiellose Konjunktur in audiovisuellen
Produktionen. Es gibt jedoch, so kann man
filmhistorisch argumentieren, eine grundlegende Tradition von Szenarien der Folter.
Die Attraktivität der Inszenierung von Folter
besteht heute nicht lediglich in einer legitimierenden Funktion im Rahmen des nach
9/11 einsetzenden Terrorismus Diskurses um
Sicherheit und Ausnahmezustand. Vielmehr
resultiert ihre legitimierende Wirkung aus
dem Einsatz vielfältiger Phantasmen, die mit
Bedeutung aufgeladen, eine subjektive und
mediale Grenze inszenieren, aber auch einen
affektiv-symbolischen Mehrwert erzeugen.
Folter im Film ist eine Artikulationsform
verschiedenster Ängste und Unsicherheiten
und komplexer Macht- und Ohnmachtsszenarien. In diesem Zusammenhang sollen
besonders Inszenierungen des Verhältnisses
von Innen und Außen des Subjekts diskutiert
werden, welches durch Bilder als gewalttätige
Bildakte (Horst Bredekamp) und damit eine
neue Gewalterfahrung, instabil wird. Dabei
wird die Folterszene im Film vorgestellt als
Agentur des Vergegenwärtigung, Verhandlung
und Verleugnung der Angst und Auseinandersetzung mit der eigenen Verletzbarkeit und
grundlegenden Relationalität. Diese Verletzbarkeit ist filmisch auf die fließenden Grenzen
zwischen mentalen und medialen Bildern und
ihren Gewaltcharakter bezogen.
Maskierungen.
Zur Folter-Form des Blackface.
Lisa Gotto
Bilder der Folter operieren mit Maskierungen.
Häufig geht es dabei um die Ent-Individualisierung des Opfers, um eine gewaltförmige
Anonymisierung, die dazu dient, den Unterworfenen nicht länger als Person wahrzunehmen. Der Prozess der Maskierung wird so als
eine eigene Form der Disziplinierung erkennnbar, die die Gewalt weniger repräsentiert als
überhaupt erst produziert. Die Unterhaltungsform des Blackface kann vor diesem Hintergrund als eine Tradition betrachtet werden,
deren visuelle Struktur eine besondere Nähe
zu einer anderen Art des rassenstrukturierten
Massenspektakels aufweist, nämlich der
Praxis des Lynching. Beide Darbietungsweisen
erlebten zum Ende des 19. Jahrhunderts konjunkturelle Aufschwünge – und beide bedienten sich dabei bestimmter Technologien, die
zur Verbreitung und Verankerung von visueller
Gewalt im öffentlichen Bewusstsein beitrugen.
Der Vortrag fokussiert diesen Konnex, um
nach den medialen Mechanismen von Folterbildern als Massenunterhaltung zu fragen.
transgenerationell und/oder in der Kindheit
traumatisierten Patienten vorgestellt. Es geht
um das Verstehen und Verstanden werden.
Klinische Beispiele veranschaulichen die
Vorgehensweise.
Lisa Gotto, Prof. Dr. phil., Film-, Fernseh- und
Medienwissenschaftlerin, Professorin für
Filmgeschichte und Filmanalyse an der ifs
Internationale Filmschule Köln.
Franziska Henningsen, Dr. phil., Dipl. Psych.,
Psychoanalytikerin und Lehranalytikerin in
Berlin (DPV/IPV).
Psychisches Trauma – Narrativ; Psychoanalytische Wege zum Verstehen
Franziska Henningsen
Extrem traumatisierte Menschen benötigen
professionelle Hilfe, um eine Sprache für ihre
Erfahrungen zu finden. Es werden Grundlagen
der Beziehungsgestaltung bei Patienten, die
unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden geschildert und in Relation zu
Judith Butler und die Raster der
Verletzbarkeit
Linda Hentschel
Verletzbarkeit ist das, was alle Menschen teilen, aber nicht gleich macht. In ihrem aktuellen Buch „Raster des Krieges“ (Frames of War,
2009) führt Judith Butler ihre Überlegungen
zu einer Ethik der Gefährdetheit (Precarious
Life, 2004) fort. Sie analysiert politische,
rassistische, sexistische oder religiöse Hierar-
chisierungen, die unsere Wahrnehmung und
Bewertung von Verwundbarkeit strukturieren.
Butlers Ziel ist eine Kritik an Gewaltverhältnissen. Aber ist diese Kritik dann immer frei
von Gewalt? Diese komplexe Frage nach
der „Kunst“ der Kritik diskutiert der Vortrag
anhand von Beispielen aus der aktuellen
visuellen Kultur.
Linda Hentschel, Dr. phil., Gast/Professorin
für Kulturwissenschaften und Gender an der
Universität der Künste Berlin. Studium der
Kunstgeschichte, Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft und Romanistik in Marburg,
Montpellier und Bremen.
Genealogie der sexuellen Gewalt –
Überlegungen zum Film Grbavica/
Esmas Geheimnis
Angela Koch
Nach Schätzungen von Menschenrechtsorga-
nisationen waren und sind ca. 20.000 Frauen
und Mädchen im jugoslawischen Bürgerkrieg
Anfang der 1990er Jahre von sexueller Gewalt
betroffen. Die Angriffe erfolgten meist von serbischen Soldaten und paramilitärisch organisierten Einheiten gegen nicht-serbische Frauen,
es gab allerdings auch Vergewaltigungen durch
Kroaten und Muslime. Viele der Frauen wurden
in Internierungslager gebracht, aber auch in
private Unterkünfte verschleppt und teils über
Monate sexuell misshandelt und vergewaltigt.
Oft wurden die Frauen dazu gezwungen, entstandene Schwangerschaften auszutragen. Der
Film Grbavica (dt. Esmas Geheimnis von Jasmila übanic, Österreich, Bosnien-Herzegowina,
Deutschland, Kroatien 2005) greift das Thema
des Überlebens mit dem Trauma der sexuellen
Gewalt auf.
In meinem Vortrag möchte ich anhand von
Grbavica der Frage nachgehen, wie der Film die
nachhaltige Verletzung und Depersonalisierung
durch sexuelle Gewalt visualisiert und erzählt.
Dabei gehe ich – trotz der gegenwärtigen Ten-
denz der expliziten Darstellung von sexueller
Gewalt im Film (Irréversible, Baise-moi, The
Accused etc.) – von der These aus, dass sich
sexuelle Gewalt der Visualisierung entzieht,
da sie v.a. als psychische Erfahrung und Erinnerung existiert und im Bild und der Erzählung
immer einer Übersetzungsleistung bedarf (vgl.
auch Bal 1990). Die Erniedrigung, der Schmerz,
die Destruktion sind visuell kaum objektivierbar; insofern ist die Vergewaltigungserfahrung
mit der Foltererfahrung vergleichbar. In dem
Film Grbavica werden die sexuelle Gewalt als
Folter, die Traumatisierung und das Leben mit
der Tochter, die bei den Vergewaltigungen
gezeugt wurde, zusammengeführt. Dabei
durchdringt die sexualisierte Form der erlebten
Gewalt sowohl den Alltag der Mutter und der
Tochter als auch die Beziehung der beiden
untereinander. Im Gegensatz zu den vielen
Spielfilmen, die sexuelle Gewalt zeigen und
dabei Geschlechterdifferenzen herstellen,
festschreiben, aber auch überschreiten, spart
Grbavica die explizite Darstellung der sexuel-
Folterbilder und -narrationen:
Verhältnisse zwischen Fiktion und
Wirklichkeit
Donnerstag, 11. November 2010
Vortragssaal der Universitäts- und Landesbibliothek, Gebäude 24.41
14:00 Begrüßung
Grußworte
Eröffnung: Reinhold Görling/Johannes Kruse
Einleitung: Reinhold Görling/Elke Mühlleitner
15:00 Panel: Darstellbarkeit, Serialität
Franziska Lamott: Bilderkrieg: Foltern vor der Kamera
Michaela Wünsch: Trauma und Wiederholung in filmischen
Medien
Petra Löffler: Sensory Deprivation und der Terror des Films
16:30 Pause
17:00 Panel: Szenen der Folter
Rosmarie Barwinski: Erinnerung und Traumabearbeitung
Linda Hentschel: Judith Butler und die Raster der Verletzbarkeit
18:30 Pause
19:00-20:30 Keynote
Dori Laub: The Narrativization of Traumatic Experience
Through Testimony: Strategies of Coping with „Crises of
Witnessing“
Freitag, 12.11.
Großer Sitzungssaal der Philosopischen Fakultät
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Gebäude 23.21
9:00 Diskussion mit Dori Laub
TeilnehmerInnen ua.: Christian Schneider, Mirjam Schaub
Moderation: Reinhold Görling
10:30 Pause
11:00 Panel: Körper, Trauma, Bild
Dima Zito: Arbeit mit dem Unaussprechlichen - Therapie mit
Überlebenden von Folter
Lisa Gotto: Maskierungen. Zur Folter-Form des Blackface
Julia Bee: Über das Verhältnis von psychischen und medialen
Repräsentationen in der filmischen Folterszene
13:00 Mittagspause
14:30 Panel: Geschlecht/Sexualität
Mechthild Wenk-Ansohn: Sexualisierte Folter und ihre Folgen
Angela Koch: Genealogie der sexuellen Gewalt – Überlegungen
zum Film Grbavica/Esmas Geheimnis
16:00 Pause
16:30 Panel: Folterphantasien
Franziska Henningsen: Psychisches Trauma – Narrativ;
Psychoanalytische Wege zum Verstehen
Volker Woltersdorf: Folter als erotisches Faszinosum – Über
sadomasochistische Inszenierungen von Folterfantasien
18:00-18.30 Abschlussdiskussion
Wegbeschreibung und Infos unter:
www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/folter
Die Veranstaltungen sind öffentlich. Der Eintritt ist frei.
Die Tagung wird von der VolkswagenStiftung im Rahmen des
Programms „Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften“
gefördert.
len Gewalt aus. Hier stellt sich die Frage, welchen
Einfluss die andere Narration und Visualisierung
des Erlebnisses der sexuellen Gewalt, die Jasmila
übanic mittels Beziehungsgeflechten und Metaphern in Grbavica versucht, auf die Inszenierung
der Geschlechter hat.
Angela Koch, Dr. phil., Kulturwissenschaftlerin,
Universitätsassistentin am Institut für Medien
an der Kunstuniversität Linz, 2007-2009 Leiterin
des Forschungsprojektes „Ir/reversible Bilder,
Visualisierung und Medialisierung von sexueller
Gewalt“.
The Narrativization of Traumatic Experience Through Testimony: Strategies
of Coping with „Crises of Witnessing“
Dori Laub
Testimony of extreme traumatization is driven
by an internal force in order to give narrative
form and expression to a psychological event;
an event which, because of its otherness
and its sheer magnitude, exceeds the mind‘s
capacity to give it mental representation. The
traumatic event is, therefore, consciously not
registered as it is happening. What is registered instead, are fragments, composites of
sensory perceptions, that come to be stored in
a separate part of the brain, like the amygdala. These „fragments“ do not undergo the
interpretive processes that take place in the
hippocampus and in the prefrontal cortex. In
the testimonial process, psychic integration
begins to take place. An addressee, however,
needs to be present who can provide a safe
holding space for it to happen. Once in intimate
dialogue with her, the movement from discrete,
fragmented, sensory perceptions into cohesive
narratives begins to occur. Such movement,
however, though powerfully propelled, inevitably reaches impasses and blockages, during
which failed attempts at narrativization can be
observed. These narrative eclipses occur when
the narrator comes too close to affect-laden
moments in the traumatic experience he or
she is recounting. Various phenomenological
manifestations of such „crises in witnessing“
will be explored. Testimonies of chronically
hospitalized Holocaust survivors in psychiatric
institutions in Israel show the greatest impairment in narrative capacity. Such patients
are not able to find words for what they would
like to say. They are muted witnesses, as far
verbal expression is concerned. Alternatively,
the survivors who led regular lives, employed
various strategies to cope with the traumatic
failure in narrativization, such as: by experiencing themselves as the „bearer of the news,“
one who must inform and alert the world, or by
depositing their traumatic experiences in a separate, split-off, part of the self - a self whose
story they can tell without having to experience the associated feelings of terror and loss
themselves. In some circumstances, a creative,
even artistic, self emerges who continues the
fight for physical and emotional survival.
Yet another approach to observe the process of
narrativization is to trace the evolution of testirnony by comparing testimonies of the same
survivors, taken almost twenty-five years apart.
Through on-going internal testimonial work in
a changing, much more receptive societal context, a better integrated and nuanced narrative
emerges, bringing fragments together into a
personalized whole. Video excerpts taken from
testimonies will illustrate this process.
Dori Laub, MD, Associate Clinical Professor of
Psychiatry der Yale University Medical School,
Psychoanalytiker in New Haven, ist Mitbegründer des Fortunoff Video Archive for Holocaust
Testimonies an der Yale University.
Bilderkrieg: Foltern vor der Kamera
Franziska Lamott
Ausgangpunkt sind die im Netz veröffentlichten Fotos von Folterungen in einem irakischen
Gefängnis, die, performativ in Szene gesetzt,
zu erschreckenden „Ikonen“ des Irakkrieges
wurden. Die spezifische Inszenierung, die an
Sex und Gewalt im Pornofilm denken lässt, war
dabei ein wichtiges Element. Wie kommt es,
dass die Akteure in Abu Ghraib die Demütigung
und Beschämung irakischer Gefangener in
pornografischen Schnappschüssen festgehalten
und sich selbst in überlegenen Posen schamlos
lachend, ja stolz präsentierten? Was mag sie
bewogen haben, ihre eigene Lust so ungeniert
auf die Fotos zu bannen? Und welche Anleihen
machen sie aus dem Vorrat kollektiver Phantasien? Was zeigen diese Bilder jenseits des
manifesten Inhalts? Welche Rolle spielen sie für
die agierenden Subjekte und welche Funktion
kommt ihnen als mediale Botschaft im Krieg
gegen den Terrorismus zu?
Franziska Lamott, Prof. Dr. rer. soc., Gruppenanalytikerin, Seit 1999 tätig an der Sektion Forensische Psychotherapie der Universität Ulm.
Petra Löffler
Sensory Deprivation und der Terror
des Films
Dr. phil, Kulturwissenschaftlerin, Medienwissenschaftlerin, Universitätsassistentin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
der Universität Wien.
Mirjam Schaub
PD Dr. phil., Gastprofessorin am Institut für
Philosophie der Freien Universität Berlin,
davor Visiting Research Fellow am Institute for
Advanced Studies in the Humanities (IASH) der
University of Edinburgh.
Christian Schneider
PD, Dr. phil., Soziologe und Forschungsanalytiker in Frankfurt, lehrt an der Universität Kassel.
Sexualisierte Folter und ihre Folge – Scham begünstigt chronische
posttraumatische Beschwerden und
behindert die Kommunikation
Mechthild Wenk-Ansohn
Sexualisierte Gewalt ist häufig Bestandteil von
Folter oder Gewalt in Kriegen und Bürgerkriegen. Sie hinterlässt besonders schwere und
anhaltende psychische Spuren. Scham bewirkt
Schweigen und behindert die Überlebenden,
sich durch Mitteilen zu entlasten und therapeutische Hilfe zu suchen. In traditionellen Gesellschaften bedeutet Vergewaltigung Ehrverlust
nicht nur der betroffenen Person sondern der
gesamten (Groß-)Familie. Betroffenen Frauen
droht auch heute noch Ausschluss aus der
Gemeinschaft oder gar der Tod. Das Schweigen
bedeutet dann Überlebensschutz – und schützt
zugleich die Täter vor Anklage. Anhand von
Fallbeispielen werden die psychischen Folgen
beschrieben und aufgezeigt, dass das zunächst
Unsagbare im therapeutischen Raum ausgedrückt werden kann und wie eine sensible
öffentliche Diskussion die Betroffenen stärken
kann.
Mechthild Wenk-Ansohn, Dr. med., Fachärztin
für Allgemeinmedizin (Psychotherapie), Spezielle Psychotraumatherapie (DeGPT), ist Leiterin
der ambulanten Abteilung im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin (bzfo).
Folter als erotisches Faszinosum –
Über sadomasochistische Inszenierungen von Folterfantasien
Volker Woltersdorff
Die einvernehmlich praktizierte Sexualität
von SadomasochistInnen ist keine Folter,
und dennoch spielen in vielen, wenn auch bei
Weitem nicht in allen SM-Inszenierungen und
-Fiktionen Vorstellungen von Folter eine wich-
tige Rolle - sowohl als erotisches Stimulans als
auch als Abgrenzungsfolie. Worin besteht der
Unterschied zwischen Folter und „Folter“? Was
verändert sich, wenn Folter gespielt wird, und
woher rührt der erotische Reiz daran?
Umgekehrt hat die Sexualisierung einiger der
Folterungen von Abu Ghraib und ihre Anähnelung an Praktiken der sadomasochistischen
Szene der Frage nach dem Zusammenhang realer Kriegsfolterungen und sadomasochistischer
Folterfantasien eine aktuelle Dringlichkeit
verliehen. Inwiefern und warum sind gegenwärtige Folterpraktiken von sadomasochistischen
Praktiken beeinflusst und wie beeinflusst die
Folter durch VertreterInnen westlicher Staaten
das kollektive Imaginäre dieser Gesellschaften?
Ein Blick auf sadomasochistisches Ausagieren
und Bearbeiten von Folterfantasien kann nicht
nur darüber Aufschluss geben, welche kollektiven Ängste und Wünsche in Bezug auf Folter im
gesellschaftlichen Imaginären verankert sind,
sondern auch Perspektiven eröffnen, welche
Umgangsweisen möglich sind, diese Fantasien
kritisch durchzuarbeiten. Diese Fragen sollen
mithilfe eines ethnografischen Blicks auf die
SM-Szenen und unter Hinzunahme literarischen
und empirischen Materials erörtert werden.
Volker Woltersdorff, Dr. phil., Kulturwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und
Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien
Universität Berlin und Mitglied des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“, dort im Teilprojekt „Grenzen von
Geschlecht? Räume, Praktiken, symbolische
Formen“ mit dem Unterprojekt „Sadomasochistische Aufführungen gesellschaftlicher Widersprüche in Kunst, Subkultur und Internet“.
Trauma und Wiederholung in filmischen Medien
Michaela Wünsch
Der Beitrag wird sich mit dem Zusammenhang
von Trauma, dem Wiederholungszwang und
Serialität im Film beschäftigen. Dabei steht
die Frage im Vordergrund, wie sich nichtrepräsentierbare traumatische Eindrücke im
Film ab“bild“en oder übersetzen, wenn das
Trauma nicht unmittelbar gezeigt werden kann.
Eine Form wäre die Wiederholung oder die
Serialität, die sich in Figuren wie dem Serienkiller oder Zombie niederschlägt. Obwohl das
ursächliche Trauma in der filmischen Narration
nicht genannt wird, lassen sich Spuren der
Ersetzung oder Entstellung finden oder die
‚reine’ Wiederholung als solche weist auf ein
zurückliegendes Trauma.
Michaela Wünsch, Dr. phil., KulturwissenschaftlerIn, MedienwissenschaftlerIn, Gastprofessorin am Institut für Theater, Film und
Medienwissenschaft an der Universität Wien.
Arbeit mit dem Unaussprechlichen –
Therapie mit Überlebenden von Folter
Dima Zito
Bei der Folter werden dem Opfer neben körperlichen auch gezielt seelische Schäden zugefügt.
Viele Menschen reagieren auf die Erfahrung
absoluter Ohnmacht und Ausweglosigkeit,
Schmerz und Todesangst mit „traumatypischen
Symptomen“, die weit über die sogenannte „Posttraumatische Belastungsstörung“ hinausgehen
können. TherapeutInnen können Überlebende
von Folter dabei unterstützen, wieder Kontrolle
über ihr Leben zu erlangen, Vertrauen aufzubauen. Anhand von Beispielen aus der Forschung
und der praktischen Arbeit mit politischen
Flüchtlingen und ehemaligen Kindersoldaten
wird dargestellt, welchen Herausforderungen
sie dabei begegnen und welche Herangehensweisen sich als hilfreich erwiesen haben.
Dima Zito, Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Traumatherapeutin, Mitarbeiterin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf.
www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/folter
Die Tagung ist Teil des Forschungsprojektes „Wiederkehr der Folter?
Eine interdisziplinäre Studie über eine extreme Form von Gewalt,
ihre mediale Darstellung und iher Ächtung“, gefördert von der
Volkswagen Stiftung im Rahmen des Förderprogramms „Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften“
Bilder: Gregor Schneider: Weisse Folter, K20/K21 Düsseldorf,
17.03-15.07.2007, wir danken dem Künstler für die Genehmigung