Broschuere Frauen am See 2002

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Broschuere Frauen am See 2002
Frauen am See 2002
Vorwort
Oder: Warum es diese Broschüre für Frauen gibt…
In ihren Händen halten sie den 5. Band der Frauen-Broschüre „Frauen am See“.
Den Erscheinungstermin haben wir bewusst auf den 9. Juli 2002 gelegt. Die
Gründung der Arbeitsgemeinschaft Frauen im Bodenseekreis e.V. jährt sich zum 12.
Male.
Mit „Frauen am See“ wollen wir in einer speziellen Form weibliche Verdienste
würdigen und anerkennen. Die fünfte Ausgabe haben wird den Unternehmerinnen
und Existenzgründerinnen gewidmet. Die Porträt-Vorschläge wurden von den
Mitgliedsverbänden
unserer
Arbeitsgemeinschaft,
aber
auch
einzelnen
Mitgliedsfrauen eingereicht.
Alle in dieser Ausgabe von „Frauen am See“ porträtierten Frauen haben
herausragende Eigenschaften und sind doch „ganz normale“ Frauen. Ihre
Lebensgeschichten sind sehr unterschiedlich, ebenso ihr Alter und ihre Herkunft. Es
gibt aber Dinge, die haben sie alle gemeinsam.
Not oder freier Wille? Die Zahl der Frauen, die sich selbstständig machen und auf
eigenen Füßen stehen wollen, nimmt ständig zu. Ihre Motive: Freiheit,
Unternehmergeist, aber auch Alternative zur Arbeitslosigkeit. Sie sind überwiegend in
Kleinbetrieben und im Dienstleistungsbereich tätig, und haben gute Chancen auf
dem Arbeitsmarkt. (Dr. Eva Wonneberger, vom Verein VIA, 1996). Sie haben
natürlich mit ihrer selbstgewählten Doppelrolle von Berufs- und Familienarbeit mit
besonderen Widerständen in unserer Gesellschaft zu kämpfen. Die Fähigkeiten und
Qualifikationen, die für ihre männlichen Kollegen selbstverständlich sind, werden
noch intensiver von ihren abverlangt: Durchsetzungsvermögen, Risikobereitschaft,
Ausdauer und Erfolg sollten selbstverständlich sein.
In diesen verschiedenen Lebensläufen und Lebensabschnitten wollen wir deutlich
machen, wie belastbar, kreativ, vielfältig, widerstandfähig und praktisch Frauen sein
können.
Die Zeitgeschichte am Bodensee wird auch durch die biografische Dokumentation
dieser Frauenleben festgehalten, durchlebt von Frauen, geschrieben von Frauen. Die
aktuelle Geschichtsschreibung wird auch durch Frauen geprägt.
Ganz egal, zu welchem Schluss sie kommen. Nach diesen Lebensgeschichten
könnten sie Ihrem Leben vielleicht eine Wende geben oder einen „Kick“ bekommen.
Das ist jedenfalls der Wunsch der Porträtierten, der Autorinnen und all der Frauen,
die auf der Suche nach mutmachenden Beispielen waren.
Diese Frauen-Broschüre erscheint im Eigenverlag der „Arbeitsgemeinschaft Frauen
im Bodenseekreis e.V..“ Durch die unentgeltliche Mitarbeit der fünf Autorinnen ist es
uns möglich, diese Broschüre zum Selbstkostenpreis zu verkaufen.
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Hiermit möchten wir uns bei den Autorinnen bedanken:
Rotraut Binder, Kati Cuko, Angrit Döhmann, Sarah Fesca und Susann Ganzert.
Viel Spaß beim Lesen wünschen die Sprecherinnen der Arbeitsgemeinschaft Frauen
im Bodensee e.V..
Anita Vooren und Martha Happ
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Hülya Eres
Geboren am 26. September 1954 in Cumra /Türkei
Verheiratet, 2 Kinder
Erlernter Beruf: Apotheken-PTA
Leitet ihr eigenes Reisebüro
wohnt in Friedrichshafen seit 1971
„Dört dörtlük – vier Viertel“
Nicht nur einmal ist Tamel Eres gefragt worden, ob er eine deutsche Frau geheiratet
hat, die ihm zuliebe so gut Türkisch gelernt hat. Wer vermutet denn schon bei einer
Frau mit blauen Augen, blonden Haaren, elegant-sportlicher Kleidung und dazu noch
akzentfreiem gewähltem Deutsch die gebürtige Türkin? Nichts an Hülya Eres
entspricht dem gängigen Klischee von „der“ türkischen Frau. Und wer Schlüsse aus
der Art ziehen möchte, in der sie ihr Leben bewältigt und gestaltet, wird ebenso kaum
zu diesem Resultat kommen.
Geboren in Cumra / Provinz Konya in der Türkei, erlebte sie in ihrer Kindheit und
Jugend an mehreren Orten die unterschiedlichen Kulturen von Stadt und Land. Die
Eltern erzogen sie liberal und legten großen Wert auf eine gute Schulbildung. Gegen
den Rat des Vaters, der gerne wollte, dass sie ihre Ausbildung in der Türkei
beendete, folgte sie als 16jährige ihren Eltern nach Friedrichshafen. Im Kopf hatte sie
die Vorstellung, sich hier trotz fehlender Deutschkenntnisse ohne größere
Schwierigkeiten den Berufswunsch Apothekerin oder Archäologin erfüllen zu können.
Entgegen ihrer Erwartung konnten jedoch die guten Englischkenntnisse längst nicht
alles ausgleichen: Der Schulabschluss aus der Türkei wurde nicht anerkannt. Und so
begann ihr Leben in Deutschland mit einer riesigen Enttäuschung.
Die Bewerbung zum Sprachunterricht beim Goethe-Institut wurde prompt abgelehnt –
die Anwärterin war zu jung! Letztendlich blieb zum qualifizierten Deutschlernen und
als finanzieller Kraftakt für die Eltern nur ein dreimonatiger Aufenthalt in einem
privaten College in Marburg mit Unterbringung bei einer deutschen Familie. Und
dann ging es erst einmal wieder in die Schule: Hülya Eres absolvierte die 9. und 10.
Klasse in der privaten Mädchen-Realschule St. Elisabeth in Friedrichshafen. „Als
erstes fremdes Kind aus der Türkei“, so erinnert sie sich, war sie natürlich die Exotin
in der Mädchenschule, in der während der siebziger Jahre noch ausschließlich
Nonnen unterrichteten. So fremd ihr selber diese Welt war – die Aufnahme durch die
Schule und die Schwestern selbst hat sie in bester Erinnerung. Ihre muslimische
Glaubenszugehörigkeit bereitete keine Probleme und wurde respektiert. Mit den
Mitschülerinnen war es allerdings nicht immer ganz so einfach; da hatte die Fremde
doch einiges auszuhalten. Wichtig aber war ihr: Mit der Mittleren Reife war der
„richtige“ Anschluss an die Ausbildung endlich geschafft!
Zwei Jahre dauerte die Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin für
Apotheken in Aulendorf, mit der sie dann nacheinander in verschiedenen Häfler
Apotheken ihre Anstellung fand.
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1974 lernte sie den gleichaltrigen Tamel Eres kennen, der wie sie erst 1971 aus der
Türkei nach Deutschland gekommen war - als angeworbener Gastarbeiter. 1975
bereits heirateten sie. Ihrem Mann, wie auch den Schwiegereltern, ist Hülya Eres
sehr dankbar für die große Unterstützung, die sie stets von ihnen erfahren hat. Der
Ehemann sei sehr oft „die treibende Kraft“ bei dem gewesen, was sie in Angriff
genommen habe. Seine liberale Erziehung hat es zugelassen, dass sie bis zur
Geburt des ersten Sohnes 1980 im Beruf bleiben konnte und im selben Jahr in der
Türkei über die Dauer von 6 Monaten das Abitur nachholte.
Ein Studium war danach für Hülya Eres in den Bereich des Möglichen gerückt! Aber
die zweite riesige Enttäuschung ihres Lebens ging unmittelbar damit einher: Die
gesetzlichen Vorgaben waren mittlerweile geändert worden – das türkische Abitur
wurde in Deutschland nicht mehr anerkannt. Nach dreijähriger Berufspause blieb
wieder nur die Rückkehr in die Apotheke, wo sie auch nach der Geburt des zweiten
Sohnes noch weitere 6 Jahre arbeitete. Dann war es genug damit: Den Schritt aus
dem erlernten Beruf machte Hülya Eres, weil es ihr in den Apotheken nach der
Durchführung des Gesundheitsstrukturgesetzes „einfach keinen Spaß mehr machte“.
Ende der achtziger Jahre wurden dann auch aus der ganzen Familie Eres deutsche
Staatsbürger.
Ohne Erwerbstätigkeit wurden die beachtlichen Kräfte der zarten Frau frei für ein
gezieltes gesellschaftliches Engagement. 1994 – das war „ihr Jahr“, konstatiert sie
rückblickend. So vieles habe sie da bewegen können: Im Kindergarten, den ihre
Kinder einmal besucht hatten, hat sie Geschichten aus und über die Türkei in
Türkisch und Deutsch erzählt. Sie hat eine Frauengruppe in der 1993 zusammen mit
dem Ehemann gegründeten Deutsch-türkischen Gesellschaft aufgebaut,
Nachhilfeunterricht und Sprachkurse für türkische Frauen in der Schule und an der
Volkshochschule gegeben, zum Internationalen Frauentag ein Referat über „Das
Kopftuch der türkischen Frauen“ gehalten und sich auch bei den
Monatsversammlungen der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Bodenseekreis“
einbringen können. Es muss besondere Freude gemacht haben, unmittelbar mit
Menschen umzugehen, das merkt man ihren Erzählungen deutlich an. Und sie
konnte sich sogar vorstellen, einmal Lehrerin zu werden.
Bis eines Tages der Ehemann, der selbst in einem der Friedrichshafener
Großbetriebe beschäftigt ist, sie mit einer neuen Idee überraschte: „Wir machen ein
Reisebüro auf!“ Er war von Bekannten darauf angesprochen worden, dass es eine
Marktlücke in Friedrichshafen gäbe - Reisen für die Landsleute zu organisieren.
Beherzt gingen die beiden die Sache an, und schon 1995 wurde ein Ladenlokal in
der Kleinebergstraße als Reisebüro eingerichtet. Nein, einschlägig ausgebildet sind
sie beide nicht gewesen. Vieles haben sich die Eheleute alleine angeeignet, von
Bekannten aus der Branche gelernt und Schulungen der verschiedenen
Reisegesellschaften wahrgenommen. Kein Zweifel, es war ein gewaltiger Kraftakt!
Aber viele Freunde, deutsche wie türkische, halfen dabei und waren zur Stelle –
auch, als Krankheit und der Tod der Großmutter, die bei der Kinderbetreuung helfen
sollte, die Familie extrem belastete.
Zuweilen bedeute es fast eine 24-Stunden-Tätigkeit, meint Hülya Eres, das
Reisebüro in der Art zu betreiben, wie sie und ihr Mann es verstehen. Ihr Service für
die Kunden endet nicht bei deren Abreise, sondern erst dann, wenn die Heimkehr
gesichert ist. Das heißt dann schon auch einmal, mitten in der Nacht ein Stockwerk
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tiefer ans Fax gehen zu müssen. Natürlich haben erst einmal ihre türkischen
Sprachkenntnisse der Familie Eres viele treue Kunden eingebracht. Durch Mund-zuMund-Propaganda hat sich dann der Kundenstamm erweitert. Mittlerweile sind es
durchaus viele nichttürkische Interessenten, die sich im neuen Büro an der
Ailingerstraße einfinden – es hat sich herumgesprochen, dass nicht nur Reisen in die
Türkei dort gut organisiert werden. Aber unter den Folgen des 11. Septembers 2001
hatte natürlich auch das Reisebüro Eres zu leiden. Es sei ein Glück, betont Hülya
Eres, dass ihr Mann seine Arbeit in dem Häfler Industrieunternehmen habe. So war
doch das große „Loch“ durch die Reisestornierungen und sonstigen Einbrüche in der
Branche leichter zu überbrücken gewesen. Allerdings machten der Familie nicht nur
die finanziellen Einbußen zu schaffen. Hülya Eres spricht auch von einer großen
psychischen Belastung und meint damit die unsachliche Gleichsetzung von Islam
und Terrorismus, die auch ihre Familie traf.
Das Reisebüro läuft auf den Namen der Frau, die sich scheut, als „Chefin“
bezeichnet zu werden. Was sie mit diesem Begriff gedanklich verbindet, das trifft
nicht auf sie zu. Sie spricht gerne vom Team, mit dem sie arbeitet – dem Ehemann,
der in seiner freien Zeit kompetent und zuverlässig mithilft, den Angestellten und den
gelegentlichen Praktikanten. Eines aber gilt immer: „Dört dörtlük - zu vier Vierteln“,
erledigt Hülya Eres ihre Arbeit. Diesen Anspruch stellt sie an sich selbst, auch wenn
sie weiß, dass daneben vieles auf der Strecke bleibt, was ihr wichtig ist. So bedauert
sie, dass sie sich in der Deutsch-türkischen Gesellschaft nicht stärker engagieren
kann und beklagt die knappe Zeit für den jüngeren Sohn, der noch zur Realschule
geht. Den Ältesten dagegen weiß sie gut versorgt: Er studiert mittlerweile im zweiten
Jahr an einer renommierten Universität in Izmir und ist auf dem Wege, Deutschlehrer
mit international anerkanntem Diplom zu werden.
Die wenige freie Zeit, die Hülya Eres noch findet, bringt sie gerne in den eigenen
Wänden mit der Familie, mit Freunden und mit ihren Büchern zu. Es sind Bücher, die
sich mit dem Islam beschäftigen. Denn seit dem Tode der Mutter hat sich die
Muslima vertieft mit den Grundlagen ihres Glaubens auseinandergesetzt und dazu
nicht nur den gesamten Koran gelesen. Die Religion hilft ihr, so versichert sie, den
täglichen Stress auszuhalten, und sie bemüht sich, die „fünf Säulen des Islam“ – wie
das Gebet, das Almosengeben und das Ramadanfasten - einzuhalten. Tatsächlich
liegen der Gebetsteppich, das Kopftuch und die Gebetskette im Reisebüro griffbereit,
um fünfmal am Tag das vorgeschriebene Gebet sprechen zu können. Nicht immer
gelingt es natürlich, bei laufendem Geschäftsbetrieb die Gebetszeiten exakt
wahrzunehmen. Aber das Gebet ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil des
Tages geworden.
Noch vor dem Einstieg in das Unternehmen Reisebüro hat Hülya Eres ein
Fernstudium „Volkswirtschaft“ begonnen, das verständlicherweise schwer mit den
Anforderungen des Geschäftes vereinbar war. Jetzt denkt sie wieder daran, es zu
Ende zu bringen. Und auch der Traum, Archäologin oder Apothekerin zu werden, ist
noch nicht vergessen!
Rotraut Binder, im März 2002
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Edith Dickreiter
geboren am 3. Februar 1961
Berufsfischerin, Fleischkontrolleurin
Jenseits von Film- Kitsch und Gemütlichkeit
Edith Dickreiter ist nicht die, sondern eine „Fischerin vom Bodensee“ - und was für
eine!
Müde und geschafft sitzt Edith Dickreiter im Sessel. Eben ist sie pitschnass vom See
herein gekommen, was man der sturmzerzausten Frisur noch ansieht. Aber darauf
legt die kleine, kräftige Frau nach diesem langen Tag, der hinter ihr liegt, keinen
Wert. „In diesem Beruf kann man mit 40 eben nicht mehr wie Mitte Zwanzig
aussehen“, meint die Fischerin aus Immenstaad verschmitzt. Wind und Wetter haben
sich in Haut, Gesicht und Hände, die kräftig zupacken können, eingegraben.
Weit vor dem ersten Hahnenschrei klingelte wie jeden Morgen der Wecker. Bevor es
mit dem voll beladenen Auto zum zweiten Bootliegeplatz nach Langenargen ging,
blieb Zeit für eine Katzenwäsche und eine Tasse Kaffee. Um 4 Uhr fuhr sie los,
gemeineinsam mit ihrem Lebensgefährten, der wie sie Meister des
Fischereihandwerks ist und ihr bei der ersten Tagestour auf dem See wie immer zur
Hand geht. Zwei bis drei Stunden lang holten beide ihre Netze ein in der Hoffnung
auf einen reichen Fang. Wenn andere Menschen sich noch im Bett rekeln, ist das
Boot der Fischerin bereits wieder im Hafen.
Gegen 8 Uhr sind die beiden zurück auf dem Immenstaader Hof. Während ihr
Lebensgefährte zu seinem „ Hauptberuf“ als Radio- und Fernsehtechniker aufbricht,
beginnt sie in der „Fischküche“ mit dem Verarbeiten des frischen Fangs: ausnehmen,
sortieren, schuppen, filetieren, zum Räuchern einsalzen.
Um 9 Uhr öffnet sie ihren Hofladen und managt den Verkauf. Zwischendurch klingelt
immer mal wieder das Telefon und Kunden geben ihre Bestellungen auf. Edith
Dickreiter ist froh um jeden, den sie beliefert, egal ob privat oder aus der
Gastronomie. „Viele Bürger sind dankbar, dass sie frischen Fisch direkt ab Hof
kaufen können. Dabei sind die Alteingesessenen keine Fisch-Fans, viel mehr die
Zugezogenen.“ Zum Sitzen kommt Edith Dickreiter bis zum Mittag nicht.
„Aber am Nachmittag springt manchmal eine Stunde Auszeit raus“, bevor es zur
zweiten Tagestour hinaus auf den See geht. Manchmal allerdings kommt eine
Schulklasse vorbei oder eine Touristengruppe, die sich bei der „ Fischerin vom
Bodensee“ umschauen dürfen. Immer häufiger, sagt Edith Dickreiter, schaue sie
amüsiert vor allem auf Kinder, die im Verkaufsraum stehen und sich die Nase
zuhalten. „Heutzutage ist es nicht mehr jedem klar, dass es bei einer Fischerin nach
Fisch oder auf dem Bauernhof nach Mist riechen darf. Manchmal denke ich dann:
Mein Gott, wie weit bin ich eigentlich schon weg?“
Am frühen Abend müssen die Netze wieder ausgelegt werden. Wenn sie gegen halb
acht wieder auf dem Hof ist, hat sie noch immer keinen Feierabend. Meistens warten
noch Lieferungen für die „Flotte Flosse“, ihren Imbißstand am Immenstaader
Seeufer, die bearbeitet und für den nächsten Tag verkaufsfertig gemacht werden
müssen. „Wenn mich die Füße nicht mehr tragen“, geht Edith Dickreiter ins Bett,
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spätestens halb elf. Für den Haushalt und die Büroarbeit bleibt in der Saison ja noch
der Sonntag. Zeit für´s Privatleben? „Kaum bis arg wenig.“ Zeit für Hobbys? „Das ist
gelaufen. Früher habe ich Akkordeon im Orchester gespielt. Aber das bringt nichts,
wenn man nicht regelmäßig dabei sein kann.“ Dieses Leben hat sich „die Fischerin
vom Bodensee“ nicht unbedingt ausgesucht, aber sie bewältigt es. Den Titel
allerdings lehnt Edith Dickreiter ab. „Ich bin nicht die, sondern eine Fischerin vom
Bodensee. Dieses Film-Klischee mag ich nicht, weil es nichts mit dem gemein hat,
was da draußen los ist“, sagt sie. Sicher, dieser Job ist ein Männerberuf. Aber sie
habe einige Kolleginnen- auch wenn da „immer ein Mann davor steht“.
Im Familienbetrieb Dickreiter muss die 41- Jährige selbst ihren Mann stehen. Sie ist
in diesen Beruf förmlich hinein gewachsen, obwohl sie als junge Frau andere
Ambitionen hatte. „Ich wollte eigentlich mal Krankengymnastin werden oder mich im
sozialpädagogischen Bereich egagieren, aber da ging damals wenig.“ Viel Zeit zum
Nachgrübeln blieb ich ohnehin nicht, denn recht schnell wurde sie als Helferin auf
dem elterlichen Hof gebraucht. Als Edith Dickreiter 16 Jahre alt war, erkrankte ihre
Mutter an Krebs. Der Vater nahm die mittlere der drei Töchter mit hinaus auf den
See. „Es gab keine männlichen Nachfolger auf den Hof, meine ältere Schwester war
bereits außer Haus und meine jüngere noch ein Kind. Also konzentrierte sich mein
Vater auf mich, und ich hab´ die Arbeit parallel zur Schule gern gemacht.“ Schon
damals sei ihr der Gedanke gekommen: Was passiert mit dem Hof, wenn keiner
dazu steht? „So bin ich relativ früh in ein gewisses Verantwortungsbewusstsein
hinein gewachsen“, sagt Edith Dickreiter. Folgerichtig begann sie 1979 als 17Jährige im elterlichen Betrieb mit der Ausbildung zur Fischwirtin.
Als die Mutter starb, hatte die 20- Jährige bereits die Gesellenprüfung erfolgreich
abgeschlossen. Drei Jahre später schob sie die Meisterprüfung nach und übernahm
noch im selben Jahr, 1984, den Betrieb ihres Vaters. „Ich habe kräftig investiert, um
die gesamte Fischverarbeitung moderner zu gestalten.“ Kühl- und Frostraum,
Verarbeitungsstrecke und Verkaufsladen haben einen sechsstelligen Betrag
verschlungen, finanziert über Fördermittel des Landes und einen mächtigen Kredit.
„In den folgenden zehn Jahren war Arbeiten und Zahlen angesagt“, meint sie ein
bisschen lakonisch. Aber der Bodensee gab ordentlich Fisch her, das Geschäft
florierte. In dieser Zeit, sagt sie, wurde ihr langsam bewusst, welchen Lebensweg sie
eingeschlagen hat. „Am Anfang weiß man nicht so richtig, was alles daran hängt,
sich als Selbstständige zu behaupten.“ Als Mittdreißigerin habe sie noch einmal
daran gedacht, dass es da noch etwas anderes geben muss. Dann war die
Entscheidung endgültig. „Ich habe meinem Beruf und dem Hof zuliebe auf Familie
und Kinder verzichtet. Es ist ein typischer Männerberuf, der sich einfach nicht
vereinbaren lässt mit Schwangerschaft, Stillen und einer ordentlichen Erziehung des
Nachwuchses“, glaubt Edith Dickreiter.
Obendrein war sie stets finanziell gebunden. Als der erste große Kredit abgezahlt
war, musste eine neue Motoranlage samt Getriebe für eines der beiden Schiffe
finanziert werden, mußten neue, FCKW- freie Aggregate für das Kühlhaus her.
„Investitionen fallen in einem Betrieb immer an.“ Mitte der 90er entschloß sie sich
außerdem, auf ihrem Grund und Boden direkt neben dem elterlichen Haus, in dem
sie nach wie vor wohnte, ein eigenes Haus zu bauen, sich damit mehr privaten
Freiraum und endlich ein eigenes Büro zu schaffen. Das kostete nicht nur Geld,
sondern auch viel zusätzliche Kraft.
Die Fischerei ist Edith Dickreiters Standbein, allerdings nicht das alleinige. Neben der
Ausbildung zur Fischwirtin qualifizierte sie sich 1981 zur Fleischkontrolleurin, weil die
Gemeinde Immenstaad damals eine solche Fachkraft brauchte. Diesen Nebenjob übt
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sie bis heute aus, seit Jahren allerdings als Angestellte des Veterinäramtes beim
Landratsamt des Bodenseekreises „auf Abruf“, also wenn sie gebraucht wird. „Es ist
ein geregelter, wenn auch kleiner Zuverdienst, mit dem ich meine
Rentenversicherung und solche Dinge bezahlt.“
Zusätzlich gehört zum Hof eine kleine Landwirtschaft mit Obstbau und
Walsbewirtschaftung, die sie „leidlich mitmacht“, wie Edith Dickreiter formuliert. Denn
viel Zeit dafür bleibt nicht. Nicht zuletzt gehört ihr ein kleiner Fischimbiß am
Immenstaader Seeufer, den sie 1999 eröffnet hat. „Da waren die Boote randvoll mit
Fisch, so dass ich nach neuen Absatzmöglichkeiten gesucht habe. Der derben
Preispolitik der Fischhändler in jenem Jahr wollte ich mich nicht beugen.“ Heute
allerdings fragt sie sich, ob sie es richtig gemacht hat. Denn durch die rückläufigen
Fangerträge muss die Fischerin mittlerweile zukaufen, um den Kundenwünschen zu
entsprechen. „Allein mit dem Fisch aus dem See könnte ich diesen Stand nicht mehr
betreiben.“ Für den Verkauf in der „Flotten Flosse“, wie der Imbiß phantasievoll
getauft wurde, hat Edith Dickreiter ihre jüngere Schwester eingestellt. Heute ist die
arbeitswütige Frau froh, dass sie mit ihrem Lebensgefährten einen Mann an ihrer
Seite hat, der das Zupacken ebenfalls nicht scheut. Mitte der 90iger Jahre hat sie ihn
zum Fischwirt ausgebildet, seit 2001 hat er ebenfalls den Meisterbrief in der Tasche.
In den vergangenen Jahren sind beide gemeinsam hauptberuflich der Fischerei
nachgegangen. Aber seitdem die Fangerträge Jahr für Jahr weniger werden, verdient
ihr Lebensgefährte sein Geld wieder mit seinem ersten Lehrberuf. „Er wird sich als
Radio- und Fernsehtechniker nun auch selbstständig machen. Anders würden wir
finanziell sonst kaum noch über die Runden kommen.“
In den letzten zwei, drei Jahren, erzählt Edith Dickreiter, sind die Fischerträge
dramatisch eingebrochen. Im Vergleich zu 1998/99 holt sie heute fast 60 Prozent
weniger Fische aus dem Bodensee. „Kretzer gibt es fast keine mehr, Felchen nur
noch die Hälfte, Aal und andere Arten ebenfalls deutlich weniger.“ Dabei gibt es nicht
etwa weniger Fische als früher, sonder die Tiere sind einfach wesentlich kleiner und
damit nicht fangreif. Die Gründe dafür sind klar: Da der Bodensee primär ein
Trinkwasserspeicher ist, muss das Wasser zu allererst sauber sein. Also werden
Nitrate und Phosphate durch moderne Kläranlagen massiv heraus gefiltert. „Damit
sind zu wenig Nährstoffe da, die für reichliches Pflanzenwachstum sorgen. Dadurch
wird die Nahrungskette unterbrochen, den Fischen fehlt es an Freßbarem und sie
wachsen langsamer“, erklärt Edith Dickreiter. Diese Situation wird sich in den
nächsten Jahren nicht ändern, aus Sicht der Fischer eher verschlechtern. „Das geht
ja nicht nur mir so, sondern allen Berufskollegen. Aber wir, die etwa 150 Fischer am
Obersee, haben keine Lobby“, sagt sie, mehr feststellend als bitter. Obwohl sie weiß,
dass damit die Zukunftsaussichten düster sind. „Es geht schon jetzt fast ans
Existenzminimum, zumal die Unkosten wie Abfallbeseitigung oder Spritkosten
obendrein gestiegen sind. Darum kümmern sich viele um ein zweites oder drittes
Standbein im Berufsleben. Wir richten und auf schlechtere Zeiten ein.“
Trotzdem sagt Edith Dickreiter von sich selbst, sie sei ein relativ zufriedener Mensch.
„Ich habe gewisse Dinge erreicht, die mir wichtig waren. Ich verlange viel von mir und
der See verlangt alles von einem ab und jünger wird man auch nicht.“ Sie hat es
geschafft, den ehemals elterlichen Betrieb, in dem viele Hände der Großfamilie mit
zupackten, nahezu allein zu managen. Unter ihren männlichen Berufskollegen ist sie
ein akzeptiertes Mitglied der Fischer- Zunft. Auch wenn manchmal die Frage an ihr
nagt, wie ihr Leben wohl mit Familie wäre.
„Ich gehe nun diesen Weg, und das ist okay.“
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Sicher: die Gemütlichkeit der Berufsfischerei von früher ist vorbei, sagt sie.
Geblieben ist dieses Leben mit der Natur, der Blick für wunderschöne
Sonnenaufgänge genauso wie das raue Unwetter, das einen manchmal draußen auf
dem See erwischt. Edith Dickreiter mag nicht darüber nachdenken, wie lange sie
diesem Beruf noch nachgehen kann. Aber sie hat den Ehrgeiz, wie ihre Vorbilder, die
Fischerinnen Deegans und Gathier aus Fischbach und Hagnau, bis ins hohe Alter
hinaus auf den See zu fahren und die Netze einzuholen.
Katy Cuko
Im Mai 2002
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Birgit Junker-Brömel
Geboren am 28. September 1940
Hebamme, Daisendorf
geschieden
2 Kinder, 33 und 37 Jahre alt
eine Enkeltochter, 2 Jahre alt
Ein ganz besonderes Existenzgründer-Zentrum
Ihr Eintritt in den beruflichen Ruhestand ist Anlass für die Begegnung mit der
Hebamme Birgit Junker-Brömel.
Aber wieso Ruhestand? Die Frau kann unmöglich schon so alt sein, dass sie in
Rente geht.
„Irgendwann muss man sich entscheiden: Will ich Falten im Gesicht, oder am
Bauch? Ich hab´ mich für den Bauch entschieden, da kann ich was drüberziehen“,
lacht Birgit Junker-Brömel und da das Lachen von ganz innen kommt, bebt ihr ganzer
runder Körper.
Schnell kommen wir in ihrem gemütlichen und etwas verspielten Wohnzimmer hoch
oben über Daisendorf ins Gespräch- diese Frau ist eine, zu der frau sofort Vertrauen
fasst. Sie strahlt Zuversicht, Zuverlässigkeit, Stärke, Humor und Liebe aus. Und doch
ist sie gewisse eine, die ganz genau weiß was sie will und eine, die bestimmend in
der Sache sein kann.
Vor mir haben das sicher schon zig Frauen gedacht. Frauen, denen Birgit JunkerBrömel dabei half ihre Kinder auf die Welt zu bringen. In diesem Sinne ist die
freiberufliche Hebamme, die 24 Jahre beim Überlinger Krankenhaus angestellt war,
eine Existenzgründerin der besonderen Art.
Aufgewachsen ist sie in Bruckfelden, wo ihr Vater Arzt war und ihr Bruder heute als
Arzt praktiziert. Sie ging in Lippertsreute in die Volksschule, zwei Klassen gab es für
die vielen Dorfkinder. Anschließend war die Arzttochter Schülerin der renommierten
Klosterschule Wald und entschied für sich, dass sie nach der Schule irgendwas mit
Menschen zu tun haben will. Folgerichtig begann sie die Ausbildung zur
Krankenpflegerin, doch der jungen „Schwesternschülerin“ war der eigene
Aktionsradius schon während der ersten Ausbildungsmonate zu eng. „Das ist mir
alles nicht selbstständig genug“, haderte sie mit ihrer Entscheidung. Aber nur so
lange, bis sie während ihrer Ausbildung am großen Klinikum in Freiburg endlich in die
Frauenklinik kam und schnell wusste: „Das ist mein Berufsfeld“:
Nach dem Abschluß blieb sie in Freiburg und begann dort als junge Hebamme.
Später wechselte sie nach München ins „Klinikum rechts der Isar“, wo es 1963 allein
in dieser Frauenklinik 4300 Geburten gab (im Überlinger Krankenhaus werden pro
Jahr im Schnitt 500 Kinder zur Welt gebracht). Die Arbeit „rechts der Isar“ lief wie am
Fließband und Birgit Junker-Brömel möchte diese Zeit trotz der „Massenabfertigung“
nicht missen. In einem kleineren Krankenhaus mit wenig Entbindungen erfuhr die
junge Hebamme anschließend, wie es auch sein kann. Die Ausbildung in beiden
Häusern ergänzte sich gut und sie lernte so viel, dass sie 1970 den Schritt in die
Selbstständigkeit wagte.
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In ihrem Haus in Daisendorf ließ sich die zweifache Mutter als freiberufliche
Hebamme nieder. In den Vorbereitungskursen lernte sie die Frauen aus der
Umgebung kennen und half ihrem Nachwuchs im Meersburger Krankenhaus auf die
Welt, als Beleg- Hebamme ohne feste Anstellung. 1977 wurde das von Nonnen
geleitete Meersburger Krankenhaus geschlossen. Sechs Monate fuhr Birgit JunkerBrömel nun nach Friedrichshafen, wo sie in der Dr. Linders- Kupka Privatklinik
wiederum als Beleg- Hebamme neuem Leben auf die Welt half. 1978 warb das
Überlinger Krankenhaus wie ein Bräutigam um sie und die beliebte Geburtshelferin
sagte ja, packte ihre Hebammentasche und blieb bis zum März 2002 in der
Überlinger Frauenklinik.
Knapp 5000 Kindern hat sie bis heute auf die Welt geholfen und da ein großer Teil
von ihnen im Bodenseekreis das Licht der Welt erblickte und bis heute oder wieder
hier lebt, gilt für Birgit Junker- Brömel so manches Mal das Sprichwort: „Man trifft sich
im Leben immer zweimal“. Nicht selten geschieht es, dass vor der erfahrenen
Hebamme eine werdende Mama steht, die von ihrer Mama einen Gruß ausgerichtet
und weiß, dass diese Hebamme auch ihr den ersten Klaps auf den schrumpligen
Baby- Popo gegeben hat. Birgit Junker- Brömel gewinnt durch ihre offene Art. Aber
senn sie noch einen Vertrauensvorschuß aus dem engsten Familienkreis der
Schwangeren mit in das gemeinsame „Projekt“ Geburt nehmen kenn, bekommt dies
beiden Seiten gut.
Jede Geburt ist anders. Hebammen stellen sich auch die psychisch und physisch
völlig unterschiedlichen Frauen immer wieder neu ein. Gerade deshalb müssen sie
sich selbst treu bleiben: Birgit Junker- Brömel lehnt zum Beispiel Hausgeburten total
ab. „Es kann so schnell etwas passieren und dann dauert es ewig, bis der
Krankenwagen kommt“. Aber natürlich hat sie auch schon eine Hausgeburt gemacht.
Eine- und schon sind wir bei den Existenzgründungen-, an die sie sich sehr gut
erinnern kann.
Diese Hausgeburt war eine Gastwirtschafts- Hausgeburt. In einer Meersburger
Grillstube wollte das Kind der Bedienung unbedingt früher auf die Welt. Der
Geburtsort des Babys, würde er so detailliert im Ausweis stehen, müsste
„Hinterzimmer“ lauten. „Seit dem weiß ich, wie wenig man für eine Geburt braucht:
ein weißes Schuhbändel (für die Nabelschnur), eine Nagelschere und einen blauen
Müllsack“. Nach dieser Hausgeburt ließ Birgit Junker- Brömel alle Krankenwagen in
„ihrem“ Bezirk mit Nabelbesteck ausstatten. Aufregend sind für sie alle Geburten und
wie of war sie hinterher erleichtert, dass Mutter und Kind überlebt hatten.
Lustig war es eines Morgens, als ein Auto quer über die Wiese auf das Krankenhaus
zuraste und ein völlig aufgelöster Vater reif „Baby kommt, Baby kommt“. Noch auf
dem Weg zum Kreißsaal war die türkische Familie um ein Mitglied gewachsen. Oder
die Nacht als der Mond den Hof des Krankenhauses hell ausleuchtete. Aus einiger
Entfernung wunderte und amüsierte sich die Hebamme über das wackelnde Taxi,
wenig später versorgte sie in diesem Taxi einen neuen Erdenbürger.
Es gab aber auch fürchterliche Tage, an denen schlimme Missbildungen das Licht
der Welt erblickten. Birgit Junker- Brömel war selbst schwanger, als so ein hilfloses
Geschöpf mit offener Brust und einem animalischen Köpfchen glücklicherweise die
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erste Stunde nicht überlebte. Auch solche Erlebnisse haben Birgit Junker- Brömel
geprägt. Sie ist eine Optimistin. Wohl deshalb kamen in dieser Situation keine Zweifel
daran auf, dass das neue Leben, welches in ihrem Körper wuchs, gesund auf die
Welt kommen würde.
Tochter und Sohn sind inzwischen längst erwachsen. Und nach einigen schönen
Jahren als erwachsener Sohn daheim, hat Birgit Junker- Brömel ihn dann auch
„abgenabelt“. Heute genießt sie es, dass die Kinder oft vor der Tür stehen und dann,
bei einer gemeinsamen Partie Karten, die Abende so richtig familiär sind. Ihr
Geschiedener ist schon lange wieder Wochenendgast im Daisendorfer Haus, und
wenn alle beieinander sind wird viel gelacht. So richtig vorstellen kann man sich
nicht, dass Birgit Junker- Brömel auch mal ein „ernstes Wort“ mit jemandem redet.
Angeschrieen hat sie im Dienst jedenfalls noch nie eine Kreißende, aber zweimal
wäre ihr beinahe der Kragen geplatzt, gibt sie unumwunden zu. Einmal, als eine
werdende Mutter nicht mehr richtig mitmachen wollte oder konnte, schlug sie einen
Kaiserschnitt vor, der medizinisch eigentlich nicht nötig war.
Und beim zweiten Mal wurde sie von einer ganz jungen Frau, deren Geburt
komplikationslos verlief, so tief beleidigt, dass sie ihre Hände in der Kitteltasche ganz
fest ballte…
Birgit Junker- Brömel wünschte sich sehr, dass der Vater ihrer Kinder bei der Geburt
dabei ist. Somit setzte sie es vor mehr als drei Jahrzehnten bei den Nonnen im
Meersburger Krankenhaus durch, und auch für alle weiteren Frauen.
Auch hierzu fällt ihr eine Episode ein: Ein Vater wollte unbedingt die Plazenta haben
um diese für den Biologiesaal zu präparieren. Liberal wie Birgit Junker- Brömel ist,
sah sie kein Problem: In Afrika trocknen manche Völker die Nachgeburt und hängen
sie um Zeichen der Fruchtbarkeit über dem Haus auf und die Pharmafirmen kaufen
die Plazenten für alle möglichen Präparate… Also bat sie eine der Nonnen um ein
Gefäß, das ihr später mit wutrotem Gesicht und den Worten: „Da hast du es und sag
ihm, mit Bratkartoffeln schmeckt´s am besten“ in die Hände gedrückt wurde…
Manchmal, als sie noch jünger war als die werdenden Mütter, hatten diese ein
Problem. „ Habt ihr keine ältere Hebamme?“, fragten so die Bäuerinnen aus dem
Schwarzwald, die ihr fünftes oder sechstes Kind zur Welt brachten, während sie in
die Badenwanne stiegen und dabei sagten:“ Endlich mal Urlaub, einmal im Jahr“.
Auch über den Kreißsaal und ihre Hebammenpraxis hinaus setzt sich Birgit JunkerBrömel für Frauen ein: Viele Jahre als Frauenvertretung bei der Stadt Überlingen, wo
60 bis 65 Prozent der rund 1000 Mitarbeiter weiblich sind. Sie ist Vizepräsidentin des
Frauen- Clubs „Soroptimist“- einem Pendant zum Rotaryclub für Männer, in dem aus
jedem Berufsstand nur eine Vertreterin Mitglied sein darf. An den Volkshochschulen
Immenstaad und Überlingen gab sie Säuglingspflegekurse und ganz nebenbei, also
neben ihrem Acht- Stunden- Tag im Krankenhaus (der jeden Morgen mit dem
Weckerklingeln um 4.20 Uhr begann) betrieb und betreibt sie die Hebammenpraxis
mit Geburtsvorbereitungskursen, Wochenbettbetreuung und Rückbildungsgymnastik.
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Vielleicht wird sie in den kommenden Jahren nicht mehr so viele erste Schreie der
Säuglinge mit den unterschiedlichsten Methoden provozieren. Vielleicht kann sie sich
in den kommenden Jahren, wenn sie „automatisch“ um 4.20 Uhr wach wird, einfach
umdrehen und weiterschlafen. Wann sie aber das Hebammen- Köfferchen für immer
zumachen und damit nicht mehr Existenzgründerin sein wird, steht noch in den
Sternen. Hebammen dürfen nämlich bis zum 75. Lebensjahr arbeiten: “Wie bei
Königs“, lacht Birgit Junker- Brömel aus voller Brust.
Susann Ganzert
im März 2002
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Ursula Kapellen
geboren am 24. Juli 1963 in Ravensburg
als 4. von 6 Kindern
Beruf: Sekretärin, selbstständig
verheiratet, 2 Kinder
Kann ich nicht, gibt´s nicht!!!
„Hätte mir jemand vor elf Jahren gesagt, dass diese Entwicklung auf mich zu kommt,
ich hätte ihn glatt für verrückt erklärt!“
Ursula, oft Ulla genannt, hat in diesen Jahren viel durchgemacht, viel erlebt, aber
auch viel erreicht. Der bisherige Gipfel ihres Erfolges war im Sommer 2000 das
Erreichen der A- Lizenz beim Prüfungslehrgang für Vereinsmanager an der
Führungs- und Verwaltungsakademie des Deutschen Sportbundes in Berlin, als
einzige Frau unter 19 Männern. Mit weichen Knien war sie vorgetreten, um in
breitestem Schwäbisch ihren Vortrag zu halten. Tagelang hatten die Männer ihr
gönnerhaft Hilfe angeboten, ohne es ernst zu meinen und doch war ihr
Selbstbewusstsein groß genug gewesen, sich selbst durchzubeißen. Mit Bravour
bestand sie ihren 20- minütigen Vortrag und ihre Hausarbeit wurde vor der Akademie
als beispielhaft auf CD-Rom veröffentlicht. „Das hat mich richtig stolz gemacht, ganz
ehrlich!“
Vielleicht war der Gipfel ihres Erfolges aber auch das Gesundwerden ihrer Tochter
Jessica oder möglicherweise der Umgang mit ihrer eigenen Krankheit, der Diabetes?
Geboren wurde sie als viertes von sechs Kindern in Ravensburg. Nach dem
Abschluß der Realschule machte sie eine Ausbildung zur Arzthelferin und
anschließend noch die zur Sekretärin. 1985 heiratete sie ihren Mann Rainer, der
damals in der Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst war. Als Sekretärin in
der Geschäftsleitung einer Schweizer Tochterfirma in Ravensburg hatte sich Ulla
Kapellen damals ihr erstes Standbein geschaffen. Sie hatte die Ruhe, auch in
Ravensburg zu bleiben, nachdem ihr Mann Hauptamtsleiter in Lenzkirch bei TitiseeNeustadt wurde. Die Wochenendehe war anstrengend und nicht immer leicht, aber
schon damals wusste Ulla Kapellen wie viel Zeit ein aufstrebender
Verwaltungsbeamter in seine Arbeit investieren muss. Erst in der Schwangerschaft
mit ihrem Sohn Patrick, kam sie zum dem Entschluß, doch ihrem Rainer
nachzureisen, und so kündigte sie schweren Herzens zehn Wochen vor der Geburt.
Mit dem Umzug nach Lenzkirch begann eine neue Phase ihres Lebens. Sie war sehr
einsam. Die Familie und die Freunde aus der Schulzeit, in Ravensburg immer in der
Nähe, fehlten ihr sehr. Rainer Kapellen war beruflich bedingt fast die ganze Woche
beschäftigt und hatte auch an den Wochenenden oft Termine. Gesundheitlich
angeschlagen durch eine Schwangerschaftsdiabetes, einsam und ohne Anschluss,
mit einem Mann, der nur selten Zeit für die Familie hatte, machte Ulla Kapellen auch
nach der Geburt von Patrick eine harte Zeit durch. Doch auch bei Rainer Kapellen
kristallisierte sich bald heraus, dass eine wunderbare Landschaft und ein
angenehmer Ort alleine nicht genügen, um berufliche Erfüllung zu erfahren. Die
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beiden gestanden sich ein, dass sie ihre Heimat brauchen und nie wieder länger
missen möchten und hielten schon bald die Augen auf nach einer Stelle in der Nähe
von Ravensburg.
Ostern 1991 war es dann soweit. In Ailingen bei Friedrichshafen wurde die Stelle des
Ortsvorstehers neu besetzt und Rainer Kapellen erhielt den Zuschlag. Die Nähe zum
heimatlichen Ravensburg tat allen gut und auch in Ailingen lebten sich alle drei gut
ein.
Nach der Geburt von Patrick hatte sich die Diabetes bei Ulla Kapellen nicht wieder
verloren. Zuerst war es schwierig, mit dem unregelmäßigen Rhythmus eines
Kleinkindes und den festen Details eine Diätplanes zurecht zu kommen. Aber mit viel
Hartnäckigkeit überstand sie auch die Phase, obwohl es nur selten zur richtigen
Harmonie im Familienleben kam. Die Termine eines Ortsvorstehers mit Ehrgeiz und
das Leben einer jungen Familie passen nur teilweise zueinander. Doch Ulla Kapellen
war jetzt viel glücklicher als vorher und so war sie im Jahr 1993 wieder schwanger.
Von Anfang an gestaltete sich diese Mutterschaft sehr schwierig, denn die DiabetesEinstellung paßte nicht zu den hohen Beanspruchungen der Schwangerschaft. Jeder
Tag und jede Nacht war ein Balanceakt am Rande der gesundheitlichen Schädigung
von Mutter und Kind.
Gleichzeitig fand in diesem Sommer der Wahlkampf um den Bürgermeisterposten in
Immenstaad statt. Rainer Kapellen lag in aussichtsreicher Position und engagierte
sich sehr, während Ulla mit vielen gesundheitlichen Schwierigkeiten kämpfte und
trotzdem versuchte, ihn zu unterstützen. Im Juli 1993 spitzte sich die Situation dann
zu. Vor lauter Aufregung und Überlastung begannen bei Ulla die Wehen Monate zu
früh. Fünf Wochen lag sie in Ravensburg im Krankenhaus, während Patrick bei den
Großeltern lebte und Rainer Kapellen im Wahlkampf war. Die junge Familie machte
hier eine harte Bewährungsprobe durch, und wusste nicht, dass es noch nicht die
letzte sein sollte.
Die Wahl ging verloren. Zwei Tage später wurde das Kind geholt, weil sich die
gesundheitlichen Schwierigkeiten bei Mutter und Kind immer mehr verdichteten.
Ohne die Fähigkeit zu atmen, start entwicklungsverzögert durch Ullas Diabetes, und
flaumig wie ein geschlüpftes Küken, kam Jessica zur Welt. Als Ulla sie nach drei
Tagen zum ersten Mal sah, spürte sie sofort, dass dieses Kind es schaffen würde
und die ganze Familie mit ihm. Ein langer harter Kampf begann. Bereits am fünften
Tag hatte Jessica eine Hirnblutung, die den Gehirnabfluss verstopfte. Nach sechs
Wochen wurde ein künstlicher Abfluß gelegt, der aber auch immer wieder Probleme
bereitete und dazu kamen alle möglichen Infektionen, die sich ein Kind in der Klinik
einfangen kann. In ständiger Sprungbereitschaft, übermüdet und oft am Rande der
Leistungsfähigkeit angelangt, entwickelte Ulla Kapellen einen ungeheuren Biss. Sie
wollte, dass ihr Kind lebte und gesund wurde.
Patrick begann in diesem Jahr sehr früh Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.
Er wurde schnell groß und kämpfte mich seinen Eltern um das Leben seiner
Schwester. Bis heute hat er seine besondere Art, sich als ihr Großer um seine
Schwester zu kümmern und für sie da zu sein, nicht verloren. Kurz vor Weihnachten
kam Jessica zum ersten Mal nach Hause. Noch für viele Monate war sie am
Überwachungsmonitor angeschlossen und das dauernde Piepsen irgendeines
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Gerätes hielt die Anspannung ständig auf dem Höhepunkt. Ulla war rund um die Uhr
für sie da und rieb sich auf, um ja alles richtig zu machen.
Schon bald wurde ihrem Mann klar, dass sie lernen musste, auch mal auf andere
Gedanken zu kommen. Sich zu lösen von Jessica und von der ständigen Angst vor
dem nächsten Augenblick. Er schlug vor, ein Schreibbüro aufzumachen und so die
Fähigkeiten aus ihrem Berufsleben wieder einzubringen. Doch die Suche nach
Aufträgen gestaltete sich mühsam und bald war klar, dieser Versuch war zu sehr
Therapie und zu wenig innerer Drang.
Als Vorsitzender des örtlichen Sportvereins mit damals acht Abteilungen und fast
2000 Mitgliedern hatte Rainer Kapellen ein neues Konzept für den Verein entwickelt.
Dazu gehörte die neu geschaffene Geschäftsstelle und bereits im nächsten Jahr
auch das Kurssystem im Gesundheitssport. Er nahm seine Frau in die Verantwortung
und wusste, wenn sie eine Aufgabe hatte, konnte sie nicht aufgeben. Sie würde
durchhalten und sich dabei von ihrer Jessica läsen können. Scheibchenweise ging
die Entwicklung in den nächsten Jahren weiter. Zuerst nur die Geschäftsstelle, dann
die Organisation des Kurssystems und schließlich auch selber Kurse leiten,
Fortbildungen machen und- das war besonders wichtig, - den Ehrgeiz entwickeln,
etwas Eigenes auf die Beine zu stellen.
Die Ausbildung zum Übungsleiter „F“ für Fitneß und Gesundheit war nur der erste
Schritt. 1996 erwarb sie die C- Lizenz für Vereinsmanager an der Führungs- und
Verwaltungsakademie des Deutschen Sportbundes in Berlin.
Sozusagen nebenher gliederte der Verein TSG- Ailingen sein GesundheitssportKurssystem aus und Ulla Kapellen führte es selbstständig unter dem Firmennamen
UK- Promotion weiter. Mit sehr großem Spaß und noch größerem Elan und
Organisationstalent schaffte sie es, Kurse zu geben, Fortbildungen zu machen, ihre
Firma und die Verwaltung des Vereins zu organisieren und gleichzeitig für ihre
beiden Kinder da zu sein. Der Nachmittag gehörte Patrick und Jessica.
Doch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind oft dem Neid und der Mißgunst
anderer ausgesetzt. So auch die Familie Kapellen, die nach manch schlechter
Erfahrung im Umgang mit der Öffentlichkeit lernte, dass man sich in Wahrheit nur auf
die Familie und die Freunde aus der Jungend mit ganzer Sicherheit verlassen kann.
Mit diesem Gedanken und der Unterstützung und dem Rückhalt dieser echten
Freunde meisterte sie auch 1999 den neuerlichen Umzug nach Weingarten, wo ihr
Mann Erster Bürgermeister wurde. Das Kurssystem im Sportverein in Ailingen
managt sie bis heute und als Kursleiterin ist sie weiterhin sehr beliebt. Seit 1. März
2002 leitet sie die Geschäftsstelle des Sportkreises Ravensburg und ist damit
beauftragt, in Projekten die Sportorganisation weiterzuentwickeln. Außerdem arbeitet
sie als Referentin für den Württembergischen Landessportsbund, der
Volkshochschule und den Turnverein Weingarten. Ehrenamtlich hilft sie in der
Seniorenbegegnungsstätte “Haus am Mühlbach“ und natürlich hat sie Zeit für ihre
Kinder.
Als Ulla Kapellen anfing, sich im Sportmanagement fortzubilden, hinkte der
Bodenseekreis hinter den großen Ballungszentren her. Heute haben sich die
hiesigen Vereine mit ihrer Struktur angenähert, aber noch immer ist der Verein und
Sportkreis in dem Ulla Kapellen mitorganisiert, den anderen eine Nasenlänge voraus.
Ihren Biss hat sie sich erhalten und weiterentwickelt. Die Jahre des Säens sind
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vorüber, endlich kann sie die Früchte ihrer Arbeit ernten. Die Vereine
professionalisieren und an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anpassen, aber
vor allem auch das Voranbringen des Gesundheitssports, sind ihre persönlichen
Ziele. Und sie ist inzwischen einen Schritt weitergegangen. Zu Hause unterrichtet sie
in sehr kleinen Gruppen Patienten, die ihr von Ärzten zugewiesen werden. Hier ist sie
bereits die nächste Nasenlänge voraus: Sport nicht mehr nur als Prävention sondern
auch als Therapie einzusetzen. Das erfordert nicht nur Organisation und Können,
das braucht auch den Mut Verantwortung zu übernehmen. Ihre neueste Fortbildung
ist die zur Osteoporose- Kursleiterin. Damit ist sie eine gesuchte Fachfrau, vor allem
wenn es um die Kooperation mit Krankenkassen geht.
Allen in allem fühlt sich Ulla Kapellen sehr ausgelastet, manchmal auch sehr
belastet, aber es macht ihr immer noch Spaß. Trotzdem genießt sie ihren Erfolg und,
dass sie selbst entscheidet, wann sie Zeit für ihre Kinder hat.
Sarah Fesca
im April 2002
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Angelika Leibensberger
geboren 7. Januar 1952
wohnhaft in Tettnang seit 1982
getrennt lebend, vier Kinder
Fahrlehrerin und Pädagogikdozentin
Vom beglückenden Gefühl der Unabhängigkeit
Die Nacht ist schon herein gebrochen. Das Fahrschulauto biegt um die Ecke und
nimmt Fahrt auf. Im Innern des Fahrzeuges herrscht konzentrierte Ruhe bei leisem
Dieselmotorengeräusch. Es ist nicht die erste Fahrstunde für die 18jährige Sarah.
Aber sie fährt zum ersten Mal mit der Tettnanger Fahrlehrerin Angelika
Leibensberger. Plötzlich wird das Auto abgebremst und der dritte Gang eingelegt.
„Wer hat da gebremst?“ Sarah ist´s nicht gewesen, bekennt sie sofort. „Immer
dasselbe“, sagt sie kopfschüttelnd und ein wenig aufgeregt, “ich fahre immer zu
schnell in Ortschaften hinein. Das Ortsschild als Hinweis für eine Drosselung der
Geschwindigkeit auf 50 Stundenkilometer- sie hat es einfach übersehen.
„Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.“ Fast beschwichtigend klingen
die Worte der Fahrlehrerin. Der partnerschaftliche und faire Umgang mit der
Fahrschülerin ist Usus bei Angelika Leibensberger, da eine lockere, entspannte
Atmosphäre ein gutes und produktives Lernklima erzeuge, sagt sie.
Auch im Theorieunterricht in der Fahrschule verfährt sie nach diesem Prinzip.
Partnerschaftlichen Umgang praktiziert sie auch im eigenen Heim. Die beiden Söhne,
18 und 16 Jahre alt, haben ihre Aufgaben im Haushalt, ebenso wie ihre Schwestern,
elf und neun Jahre alt. Sie unterstützen die erwerbstätige Mutter so gut es geht.
Manchmal muss diese noch nach Einbruch der Dunkelheit Nachtfahrten ihrer Schüler
begleiten. Zweimal die Woche kommt sie erst am frühen Abend aus Villingen zurück.
Dort hat sie eine Lehrtätigkeit als freiberufliche Pädagogikdozentin am Deutschen
Verkehrspädagogischen Institut angenommen und bringt angehenden Fahrlehrern
die Kunst des Unterrichtens bei.
Selbstverständlich kocht die vierfache Mutter das Mittagessen oft für zwei Tage vor.
Der extra große Kühlschrank ist deswegen unentbehrlich geworden. Für die eigene
Haushaltsführung gilt: „Beim mir ist fast immer aufgeräumt, aber fast nie geputzt.“
Der selbstironische Unterton der ehemaligen Hauswirtschaftslehrerin ist
unverkennbar. Genaue Planung und disziplinierte Lebensführung sind
Grundvoraussetzungen für das Gelingen des Nebeneinanders von Berufsausübung,
Familien- und Privatleben. Letzteres darf nicht vernachlässigt werden, denn der
Kontakt zu ihren jetzigen Partner und zu Freundinnen ist wichtig für sie. Zeit und
Ruhe für sich ganz alleine zum Bücherlesen und Musikhören müssen außerdem ab
und zu übrig sein. Dass sie meist gut abschalten und schlafen kann, wann sie
möchte, sind hilfreiche, gesund erhaltene Eigenschaften. Hektik und Eile scheinen ihr
fremd zu sein, obwohl der Tag immer randvoll ist mit Terminen.
Frühe Jahre
Die Lebensgeschichte der Angelika Leibensberger könnte ein dickes Buch füllen.
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Das Elternhaus ist nicht so glücklich. Von Anfang an fühlt sie sich von der Mutter
nicht angenommen. Auch die Beziehung zum fünf Jahre jüngeren Bruder ist voller
Spannungen und eskaliert im Sommer 2001. Die sehnlichst gewünschte Schwester
wird er dann geboren, als sie aus dem Elternhaus auszieht; das bedauert sie heute
noch.
Dass der Vater stets andere und positive Signale aussendet und, im Gegensatz zur
Mutter, sogar stolz ist auf seine tüchtige Tochter, reicht offenbar nicht aus, um die
erlittenen Verletzungen auszugleichen. Als dieser Mann im Herbst 2001 stirbt, ist das
ein herber Verlust für Angelika Leibensberger; deshalb will sie sich den Zeitpunkt
seines Todes erst gar nicht merken und muss nachschauen im Kalender, wann das
Datum war.
Bald nach dem Realschulabschluß in einem kleinen Ort in Hessen, besucht sie die
Frauenfachschule in Lindau und macht ein fachgebundenes Abitur mit den
Schwerpunktfächern Handarbeit und Hauswirtschaft. Ein Jahr später folgt das
Studium am Münchener Staatsinstitut für die Ausbildung von Fachlehrern. Schon
während ihrer Ausbildungszeit macht sie sich frei vom Elternhaus, auch finanziell. Sie
arbeitet als Redaktionsassistentin im Burda- Moden- Verlag, als Verkäuferin im
Stoffgeschäft Mink in Friedrichshafen. Ihr Studium finanziert sie sich als Aushilfe in
der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule, der ihr Institut angeschlossen ist.
Dieses beglückende Gefühl der Unabhängigkeit immer wieder zu spüren, ist von nun
an der Motor ihres Lebens. Gleichzeitig beweist sie sich ihren Wert: Wer was leistet,
ist jemand. Bald nach dem Studium heiratet sie gegen den Willen der Eltern. Nach
zwei Jahren geht die Ehe auseinander.
Fünf Jahre ist sie tätig als Handarbeitslehrerin an den Grund- und Hauptschulen im
Landkreis Lindau. Ebenso langen unterrichtet sie darauf als Fachlehrerin an der
Berufsschule in der bayerischen Inselstadt- mit der Ernennung zur Beamtin auf
Lebenszeit im Jahre 1978.
Sie heiratet ein zweites Mal und zieht mit dem Ehemann nach Tettnang. Während
andere frisch vermählte Frauen in dieser Situation Zukunftspläne machen in puncto
Nachwuchs, denkt sie an die Erlangung ihrer beruflichen Selbstständigkeit und sagt
der gesicherten Beamtenlaufbahn Ende 1982 ade.
Ziel erreicht: Endlich selbstständig und Unternehmerin.
Mit Hochdruck arbeitet sie an ihrer Fahrlehrerausbildung beim Institut für
Verkehrsausbildung in Reutlingen. Die kleine, zierliche Frau hochschwanger, als sie
den Fahrlehrerschein für den LKW macht. Sie erinnert sich noch genau an die
praktische Prüfung: Nach einer halben Stunde spürte sie, wie ihr Kugelbauch immer
härter wurde. Sie hatte zunehmend Mühe, Zwischengas zu geben, wie es beim
damals sehr alten „Setra“, einem acht Meter langen Bus, üblich war. Aber den
Fahrlehrerschein hat sie trotzdem geschafft. Das Ziel der Fahrschulgründung rückt
näher. Die Bank überzeugt sie mit ihrer vorausschauenden Bilanz und erhält ein
Darlehen zur Anschaffung von Fahrzeugen und zur Ausstattung des Lehrsaales. Sie
eröffnet die Fahrschule drei Tage nach der Entbindung vom ersten Sohn. Dessen
Ankunft war eigentlich auf einen späteren Zeitpunkt errechnet worden. Aber bei
Angelika Leibensberger heißt´s sowieso nie: „Das geht nicht, das kann ich nicht.“ Sie
hat die Erfahrung gemacht: „ Es geht immer alles, wenn man nur will.“
Während der Ehemann seinen Geschäften nachgeht, kümmert sie sich zusammen
mit dem Vater, selbst einmal Fahrschulbesitzer, um die Fahrschule. Vater und
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Tochter sind ein gutes Team: Er bring seine langjährige Berufserfahrung ein und lernt
im Gegenzug, wie man Babies füttert, badet und wickelt. Manchmal gibt er dem
Kleinen das Schöppele spät abends, damit die junge Mutter nicht gestört wird.
Als sich zwei Jahre nach Eröffnung der Fahrschule das Kommen des zweiten Kindes
ankündigt, wird es immer schwieriger, Berufs- und Familienarbeit nebeneinander zu
managen. Zwar bringt ein bezahlter Babysitter die Kinder ins Bett, wenn wieder der
abendliche Theorieunterricht ansteht- befriedigend ist diese Lösung nicht. Angelika
Leibensberger gibt nach fünf Jahren die Fahrschule auf und steigt auf Drängen des
Ehemannes im Jahre 1989 in sein Versicherungs- und Immobilienbüro mit ein.
Wieder abhängig
Als die Söhne kleiner sind, arbeitet sie immer dann im Büro, wenn die Kinder im
Kindergarten sind, nimmt auch bei Bedarf ein Söhnchen mit zur Arbeitsstelle, das
dann in einer Büroecke spielen kann. Nach der Geburt des dritten Kindes steht ihr
Schreibtisch zu Hause. Dort erledigt sie am Computer weiterhin die gesamte
Buchhaltung sowie Provisions- und Gehaltsabrechnungen- Gebiete, die sie nie
interessiert haben. Als das vierte Kind geboren wird, kommt die Krise. Unerträglich
wird jetzt das permanent vorhandene „bedrückende Gefühl der Abhängigkeit“. Im
Jahre 2000 endlich steigt sie aus und kündigt konsequenterweise Arbeiteber und
Ehemann. Ihr ist klar geworden, so ein Leben wollte sie nicht länger führen.
Neuorientierung
Mit Hilfe von Weiterbildungskursen auf ihre neue Unabhängigkeit vorbereitet, beginnt
diese nach der Trennung, als sie wieder als Fahrlehrerin bei einer Tettnanger
Fahrschule arbeitet. Gleichzeitig lehrt sie als freischaffende Pädagogikdozentin am
Deutschen Verkehrspädagogischen Institut in Villingen.
Bereits in junge Jahren hat sie eine genaue Vorstellung von dem, was für sie
Frausein bedeutet, nämlich: „Mutter von vier Kindern zu sein, mich in meinem
Lieblingsberuf als Pädagogin zu verwirklichen und in einer befriedigenden Beziehung
zu leben.“ Jetzt mit fünfzig Jahren, vier Kinder und dem Beruf der
Pädagogikdozentin, scheint ihr Ziel erreicht, zumal sich die seit zwei Jahren
bestehende Beziehung gefestigt hat.
Angrit Döhmann
im April 2002
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Regina Moser
Geb.: 29. September 1965 in Markdorf
seit 1991 wohnhaft in Bermatingen
verheiratet, drei Kinder
Unternehmerin
Alles Käse, oder?
In weißer Gummischürze und Stiefeln steht sie am blitzenden großen
Edelstahlbottich im weiß gekachelten Raum der Hofkäserei. Regina Moser leistet
Schwerarbeit: Mit einer großen Kelle füllt sie die zuvor von der Molke getrennte
Käserohmasse in Plastikgefäße, die mit vielen Löchern versehen sind. Aus ihnen
fließt die dampfende warme Molkebrühe auf die abschüssige Edelstahlplatte und von
da in dickem Strahl in große Milchkannen. Die hohe Luftfeuchtigkeit nimmt die
Käserin gelassen hin und sagt nur lachend: „Das ist wie ein Saunabesuch und sehr
gesund für die Haut“. Mitarbeiterin Manuela Burgmaier- ihre große Hilfe, die sie nicht
mehr hergeben möchte- hilft bei der Käserei und ordnet tablettweise Moserella an.
Sie ist halbtags bei ihr angestellt auf der Hofkäserei Moser. Diese liegt gegenüber
der kleinen Kirche von Ahausen mit dem kurzen dicken Turm.
Regina und Georg Moser- ein gutes Team
Eine wichtige Aufgabe kommt Ehemann Georg zu. Der Landwirt ist ihr
Rohmilchlieferant und für die Produktion der Kuh- und Ziegenmilch zuständig. 25
Kühe und 60 Milchziegen stehen in den Ställen seines Anwesens, auf dem sich auch
die Käserei befindet. Das 30 Hektar große Acker- und Weideland seines
landwirtschaftlichen Betriebes, den er vom Vater übernahm, dient der
Futtergewinnung. Das unbeschwerte Mekkern der Ziegen klingt den ganzen Tag aus
allen möglichen Ecken über den Hof. Da diese Tiere nur zwei bis drei Liter Milch
geben, ist vom Ziegenkäs nie genug da und die Nachfrage groß. Deswegen müssen
Daniel und Konrad, zwei kapitale Ziegenböcke, im Herbst dann für weiteren
Nachwuchs sorgen. Von Oktober bis Januar sind die Ziegen trächtig und geben
keine Milch. Die beste Hebamme beim Geburtsvorgang der kleinen Zicklein ist
überraschenderweise Georg Moser, weil er außerordentlich schmale Hände hat.
In einem kühlen Keller lagern die verschiedenen Käsesorten, vom Ahauser, dem
Rotschmierkäse aus Rohmilch, bis hin zum Briemoser, dem Weißschimmelkäse. Der
Mosarella, „die deutsche Antwort auf den italienischen Mozzarella“, wie Regina
Moser gerne und nicht ohne stolz betont, geht immer schnell weg. Die Produkte aus
Ziegenmilch schmecken besonders fein. Menschen mit Kuhmilch- Allergien können
Ziegenmilch oft besser vertragen, der schwächeren Eiweißstruktur wegen, so die
fachfrauliche Erklärung.
Von Sonntag bis Mittwoch wir gekäst, von Donnerstag bis Samstag das fertige
Produkt verkauft auf den Bauernmärkten in Markdorf, Überlingen, Salem und
Konstanz. Das praktiziert Regina Moser schon seit acht Jahren und ist immer noch
mit Leib und Seele dabei. Die Käseproduktion zu Hause auf dem Hof ermöglicht ihr
den engen Kontakt zu den drei Kindern, 18, 10 und 8 Jahre alt. Der Umgang mit
anderen Menschen „draußen“ weitet den Blick; Die Akzeptanz ihrer diversen
Käsesorten auf den Märkten stärkt das Selbstbewusstsein.
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Wie alles begann
„Früher konnte ich Heu nicht von Stroh unterscheiden“: Triumph und Stolz schwingen
in ihrer Stimme als Regina Moser von diesem Sachverhalt erzählt. Es war ihr sicher
nicht an der Wiege gesungen worden, dass sie einmal versierte Landwirtsfrau und
begeisterte Käserin werden würde. Außerdem noch Verkäuferin ihres eigenen
Produktes, Lieferantin von Restaurants, Lehrerin wissbegieriger Schüler, die
anschaulich in der Käseproduktion unterwiesen werden wollen. Dazu noch die
üblichen Jobs einer Familienfrau.
Natürlich beaufsichtigt sie die Hausaufgaben ihrer Kinder.
Besonders der jüngste Sohn mag Mutters Nähe, wenn er Schönschreiben für die
Deutschstunde übt. Während sie nebenher Paprika, Gurken, und Tomaten für den
abendlichen bunten Salat in kleine Stückchen schneidet, lässt sie, am Eßzimmertisch
sitzend, die Bilder ihres Lebens vorüberziehen.
Als mittleres Kind von insgesamt vier Geschwistern machte Regina Moser in
Markdorf am Schulzentrum ihren Realschulabschluss. Sie verliebte sich in einen
Schulkameraden und bald stellte sich Nachwuchs ein. In der Nähe ihres Babys, das
im Haus der Eltern aufwuchs, begann sie in einer Praxis mit der Ausbildung zur
Arzthelferin, denn medizinische Zusammenhänge hatten sie schon immer
interessiert. Als der Sohn drei Jahre alt war, lernte sie ihren jetzigen Ehemann
kennen. Für sie stand von Anfang an fest, nur wenn dieser sich mit ihrem Kind
verstehen würde, käme eine feste Beziehung in Frage. Beim ersten Spaziergang zu
dritt, frage der Kleine sie leise, ob er wohl den großen fremden Mann an seiner Seite
anfassen darf. Dieser nahm wie selbstverständlich die Hand des kleinen Steppkes
und ließ sie den ganzen Weg nicht mehr los. Er hatte nämlich die Frage verstanden.
„Es war Liebe auf den ersten Blick“. Regina Moser strahlt heute noch glücklich, wenn
sie an diese Begebenheit denkt. Als das erste gemeinsame Kind sein Kommen
ankündigte, wurde der Hochzeitstermin auf einen Tag im November des Jahres 1991
festgelegt. Bis dahin war sie noch vier Jahre als Arztsekretärin in der Kurklinik in
Überlingen tätig gewesen.
Drei Ziegen sprangen anfangs auf dem Hof der Schwiegereltern herum, weil´s
possierliche, lebhafte Tiere sind und die Kinder sich darüber freuten. Mario Levis, der
Koch vom Gasthaus „Hecht“ in Ahausen brachte sie dann auf die Idee, doch einmal
Ziegenkäse herzustellen. Nach einem Rezept aus dem Buche „Käsen leicht
gemacht“, auf der Oberschwabenschau in Ravensburg gekauft, entstand dann aus
einem Liter Ziegenmilch auf dem heimischen Küchenherd der erste
Ziegenfrischkäse. Eingelegt in Kräutern, Knoblauch und Öl durften ihn dann
Firmenkollegen des Ehemannes probieren- und waren voll des Lobes über das
gelungene Produkt. Das machte Mut. Regina Moser kam damals der Gedanke: „Das
könnte Zukunft haben.“ Sie besuchte einen zweitägigen Sachkundelehrgang in der
Lehr- und Forschungsanstalt Wangen. Ein Molkereimeister beriet die Anfängerin
dann bei der Einrichtung der Käserei und zeigte, „wie man mit einfachsten Mitteln
Käse macht.“ Auf keinen Fall sollte zu viel investiert werden, falls es „nicht hinhaut.“
Regina Moser erlernte nur die Grundlagen des Käsens, „den Feinschliff“ brachte sie
sich nach und nach selber bei.
Als die Hofkäserei im Jahre 1994 eröffnet wurde blieb Ehemann Georg gerne zu
Hause, um sich nur noch um die Tiere und die Kinder zu kümmern. Er litt schon
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lange unter der Doppelbelastung als Arbeitnehmer in der Industrie und Landwirt im
Nebenerwerb. Vor allem wenn sie unterwegs ist auf den Wochenmärkten, muss er
für die Kinder da sein. Besonders für die beiden kleineren, die noch zur Schule
gehen. So besteht auch am Tag engerer Kontakt zum Vater, wie er vorher nie
möglich gewesen war. Als Wagnis begonnen, wird die Käserei schnell zum
wichtigsten Erwerbszweig und damit Hauptstandbein der Moserschen
Landwirtschaft.
Die Sache mit der Prioritätenliste und Zukunftsvisionen
„Wenn ich einer Kundin Käse verkaufe, ist sie wichtig. Will mein Sohn gleichzeitig ein
10- Cent- Stück zum Kaugummi kaufen, kann dieser warten. Ist er aber gerade
hingefallen und weint, lass ich die Kundin stehen und kümmere mich um meinen
Sohn“, erzählt Regina Moser aus dem täglichen Leben und macht anschaulich
deutlich wie das mit der Prioritätenliste funktioniert. In Sekunden entscheiden, was
am wichtigsten ist, darin hat sie langsam Übung. Ihr offenes Gesicht strahlt ruhige
Zufriedenheit und Gelassenheit aus. „Ich bin meine eigene Herrin“ sagt sie. „ In
meinem Beruf finde ich die Bestätigung, die ich brauche.“ Sie weiß was sie will und
hat sich, zusammen mit Ehemann Georg, noch viel vorgenommen: Sie wollen einen
Aussiedlerhof am Rande von Ahausen bauen mit einer Schaukäserei, einem Hofcafé
und vielen „kulturellen Veranstaltungen“. Jetzt müssen nur noch die Bagger
anrollen…
Angrit Döhmann
im April 2002
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Sabine Wälischmiller
geboren am 14. November 1946 in Detmold
verheiratet
zwei Kinder, 25 und 28 Jahre
Buchhändlerin
Ein krummer Weg
War das wirklich immer ganz aktiv, oder eher passiv? - Eine Frage, die sich Sabine
Wälischmiller, seit 25 Jahren Buchhändlerin in Markdorf, in ihrem Leben schon öfter
stellte.
Aufgewachsen ist Sabine Wälischmiller in Cuxhaven, ein bisschen hört man an ihr
das Norddeutsche auch nach vielen Jahren am Bodensee noch an. Ihre Eltern hatten
sich auf der eigenen Hochzeitsreise in die Gegend verliebt und sich fest
vorgenommen, irgendwann mal an den Bodensee zu ziehen. So kam es, dass
Tochter Sabine ihr Abitur in Überlingen machte und dann nach München ging, um
Betriebswirtschaft und Soziologie zu studieren. Sie kam „nur“ bis zum Vordiplom und
alles was danach kam nennt sie selbst „einen etwas krummen Lebensweg“. Krumm
oder nicht, es ist ihr eigener Lebensweg und einer ohne gravierende Umwege.
Ohne Reue sagt sie fast drei Jahrzehnte später: „Das war nicht mein Studium“: Ein
Abschluß hätte gut in die Planung der Eheleute und jungen Eltern gepaßt: Sie
wollten auch beruflich etwas Gemeinsames machen. Als ihr Mann mit seinem
Ingenieurstudium fertig ist, geht sie mit ihm mit. Weg aus München, zurück an den
Bodensee. Schnell merkten beide, dass der gemeinsame Weg ein beruflichgetrennter sein sollte.
Und eigentlich wollte Sabine Wälischmiller schon immer Bibliothekarin werden, so
wie die eigene Mutter. Sie kam zwar von ihrem „Traumpfad“ ab, kam aber fast am
Ziel an: Denn mit Bücher und anderen Medien hast sie seit 25 Jahren täglich zu tun.
Im Unterschied zu ihrer Mutter verleiht sie nicht, sondern verkauft sie selbstständig.
Aus der von irgendwem hingeworfenen Bemerkung „In Markdorf gibt es keinen
Buchladen“ wurde eine fixe Idee im Kopf der junge Sabine Wälischmiller. Ein
bisschen Ahnung von Verwaltung und auch vom kaufmännischen Bereich ist nicht
schlecht, weiß sie heute. Denn die romantische Berufswunsch- Begründung „Ich lese
so gerne“, reichte damals und reicht heute für eine Buchhändlerin nicht aus.
Also besuchte Sabine Wälischmiller die Buchhändler- Fachschule in Frankfurt. Im
sechswöchigen Kompaktkurs lernte sie die Basics, arbeitete anschließend in einem
Buchladen in Freising und lernte dort, von „einer vom alten Schlag“ das
buchhändlerische Knowhow.
Ihr Sohn war gerade geboren und ihre Tochter drei Jahre alt, da wurde ein Laden an
der Bundesstraße, die unterhalb des alten Bischoffschlosses durch Markdorf führt,
frei. Alles ging Hals über Kopf: Säugling, Laden, junge Familie, Selbstständigkeit und
Sabine Wälischmiller musste sich entscheiden. Am 27. Mai 1977 eröffnete sie ihr
erstes Geschäft. Die „Buchhandlung Wälischmiller“ ist nun seit einem
Vierteljahrhundert für Menschen aus Markdorf, Meersburg, Friedrichshafen,
Bermatingen und vielen anderen Orten und Gemeinden ein Begriff. Nicht nur weil
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diese nach wie vor die einzige Buchhandlung in Markdorf ist, sondern weil die
„Buchhandlung Wälischmiller“ viel mehr fürs Kulturleben in der Region tut, als „nur“
Bücher zu verkaufen.
Der Laden an der Bundesstraße wurde bald zu klein. Also wurde das Sortiment
geteilt, als ein zweites Ladengeschäft in der „Ochsenlücke“ frei wurde. Bald darauf
wurde eine weitere Filiale in Meersburg eröffnet, geschlossen und an anderer Stelle
wieder aufgemacht. Dabei merkten Sabine Wälischmiller und ihre Kolleginnen, dass
es schon einen Unterschied macht, in welcher Stadt man einen Buchladen hat- auch
wenn nur wenige Kilometer zwischen beiden Städten liegen.
Sabine Wälischmiller lebt in Meersburg, wo die Kunden eher gebundene Bücher
kaufen. In Markdorf leben viel mehr junge Familien als in Meersburg, hier sind
Taschenbücher viel gefragter. „Ein anspruchsvolles Sortiment zu halten, ist hier nicht
einfach“, weiß sie aus Erfahrung. Und trotzdem finden sich in dem großen Geschäft
nicht nur Bestseller, Taschen- und Kinderbücher. Kunstbände, gebundene Belletristik
und junge Autoren stehen verlockend und partnerschaftlich neben den Büchern, die
„gehen“.
Die Filialen in den beiden Städten gibt es heute nicht mehr: Vor sechs Jahren fielen
Die Würfel: „Der Markdorfer Coop ging aus dem Stadtgraben 12 raus und ich wollte
den Laden unbedingt haben.“, erinnert sich die Frau mit den kurzen etwas
strubbeligen Haaren und den Lachfältchen rund um die Augen zurück. Sie hat ihn
bekommen und verkaufte die Filiale in Meersburg an eine Mitarbeiterin und Kollegin.
Seit sechs Jahren konzentriert Sabine Wälischmiller sich voll auf Markdorf und ist
überglücklich, dass sie die Verantwortung für ihre Buchhandlung nicht mehr ganz
alleine tragen muss. Seit einem Jahr hat sie mit Susanne Scheffel eine Teilhaberin.
Zu tun hatten die beiden Frauen schon länger miteinander: Die ehemalige
Verlagsvertreterin Susanne Scheffel kam schon länger in den Markdorfer Laden, die
beiden Frauen merkten bald, dass die „Chemie“ stimmte und so kam es zu diesem
„glücklichen Umstand“, wie Sabine Wälischmiller sagt.
So wie die Buchhandlung Wälischmiller wuchs und sich veränderte, so wuchsen und
veränderten sich auch die beiden Kinder der Familie. Zum Glück, sagt deren Mutter
rückblickend, bekam die junge Familie Hilfe von einer älteren, erfahrenen Frau. Sie
war da, wenn die Mama im Buchladen und der Papa im Büro war. Sie kochte,
machte mit den Kindern die Hausaufgaben, klebte Pflaster auf die kleinen Wunden
und nahm Sabine Wälischmiller viel ab. Ob sie es heute noch einmal so machen
würde, weiß die Mutter von zwei erwachsenen Menschen nicht. Manchmal zwickt sie
ihr „schlechtes Gewissen“ und sie fragt sich, ob sie die Kinder besser auf ihrem
Lebensweg hätte begleiten können, damit dieser vielleicht gradliniger wird als ihr
eigener…
Natürlich hat Sabine Wälischmiller auch darüber Bücher gelesen und weiß, dass es
sie glücklich gemacht hat, gleichzeitig Frau, Ehefrau, Mutter und selbstständige
Buchhändlerin zu sein.
Sabine Wälischmiller lacht: „Die Chefin liest, was ihr Spaß macht“. Wohl kaum eine
Branche im Einzelhandel ist so zeitintensiv wie der Handel mit Büchern. Die Kunden
erwarten Empfehlungen, Sabine Wälischmillers Spezialgebiet ist die Bellestristik. Ihre
Teilhaberin und die acht angestellten Kolleginnen ( es gab auch schon einen Mann
im Laufe der Jahre) haben andere Spezialgebiete – Krimis, Kinderbücher,
Sachliteratur. Aber alle Buchhändler wissen: „Es ist schwer, Bücher zu empfehlen“,
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sagt Sabine Wälischmiller trotz oder wegen 25 Jahren Berufserfahrung. Es ist
schwer, „weil ich mich zu sehr als Person einbringe und nicht missionieren will“. Viele
Kunden verlassen sich auf die Kritiken in den großen Illustrierten, auf die
Bestsellerlisten und Empfehlungen von Freunden.
Sabine Wälischmiller hat eine ganz persönliche Bestseller-Liste, darauf stehen
Bücher, die sie unbedingt als gebundene Exemplare haben möchte: Anne Michaels
„Fluchtstücke“ oder „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch stehen darauf.
Dann noch „Der menschliche Makel“ von Philip Roth und Michael Ondaatjes „Anils
Geist“. Auf der Liste stehen aber auch die Werke der Autoren, „die schon bei uns
gelesen haben“.
Den Anfang machte Martin Walser. Ja, Martin Walser „obwohl er nie in der Region
lesen wollte“. Und dann war da auch noch Peter Härtling. Bei Günter Wallraff lief
alles schief, was nur schief laufen konnte – „Wir waren einfach überfordert, weil so
viele Menschen kamen“. Uwe Timm las vor und Thomas Hürlimann, bevor er mit
„Fräulein Stark“ berühmt wurde.
Julia Onken war schon da, weil es bei „der“ Wälischmiller eben nicht nur
Literarisches gibt. Ganz wichtig sind der engagierten Buchhändlerin auch politische
oder psychologische Themenabende. „Wenn wir immer nur Literatur anbieten,
kommen immer dieselben Leute“. Das ist ihr zu wenig. Den politischen Bereich findet
Sabine Wälischmiller interessant und deshalb organisierte sie auch schon
Verlagsabende. Als für die Veranstaltung mit dem heutigen Berliner Wirtschafts- und
Frauensenator Gregor Gysi geworben wurde, und dieser Mann im hiesigen
Landstrich noch weniger als heute als „salonfähig“ galt, spürte Sabine Wälischmiller
Widerstände. Unheimlich viel negative Kritik gab es im Vorfeld, was sie aber nicht
abheilt von ihrem Plan. Geschickt umschiffte sie die Klippe, indem sie die Lesung
gemeinsam mit dem Bildungszentrum Markdorf organisierte.
Überhaupt, Politik. Sabine Wälischmiller hat ihre politische Meinung. Die trägt sie
aber nicht vor sich her, denn „da muss man in einer Kleinstadt schon aufpassen“.
Und Sabine Wälischmiller will, dass jeder in ihren Laden kommt. In einer großen
Stadt wäre es umgekehrt, das weiß sie: Dort müsste sie sich spezialisieren, um
gegenüber den großen Filialen bestehen zu können. In einer kleineren Stadt ist die
Buchhändlerin, die keine so große Gewinnspanne wie zum Beispiel die Textilbranche
hat, auf jeden Kunden angewiesen.
Klar und eindeutig äußert sich Sabine Wälischmiller gegen bestimmte Tendenzen:
Ausländerfeindlichkeit ist eine Sache. Ausgrenzungen mag sie nicht. „Ich würde auch
mal einen guten CDU-Mann holen, wie zum Beispiel Heiner Geißler“.
Reiseberichte liebt Sabine Wälischmiller sehr, weil man dabei schon beim lesen
etwas erlebt. Oft möchte sie sofort ihre Koffer packen und die Gegend selber
anschauen. Eine Ausnahme war ein Buch über Eskimos, da wäre es ihr zu kalt.
Fernweh hat Sabine Wälischmiller oft, Reisen, wann immer es geht, wandern, Ski
und Rad fahren – einfach unterwegs sein, scheint ein Lebensmotto zu sein.
Lesen ist ihr Hobby, aber auch ihre Leidenschaft. Oft ist Lesen für sie auch ein
Zwang, „weil ich nicht nur lesen kann, was mir Spaß macht“. Doch zwischendurch
gibt es bei aller „Pflichtlektüre“ auch Glückfälle. Und dann, wenn Sabine
Wälischmiller ein Buch fesselt, liest sei es Wort für Wort. Selten liest sie zwei Bücher
parallel.
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Ein Buch schreiben will Sabine Wälischmiller nie. „Dazu gibt es zu viel Mist“ sagte sie
und runzelt die Stirn, während sie lächelt.
Susann Ganzert im Februar 2002
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Frauen am See
Bisher erschienen:
• Ausgabe 1998 Band 1
Portraits von:
Gerlinde Ames, Hedwig Degener, Christa Denn, Antoinette Göggerle, Ingrid
Marktanner, Sabine Pfleghar
• Ausgabe 1999 Band 2
Portraits von:
Anne Kuypers, Edeltraud Langenstein, Maria Plösser, Gerlinde Schmid-Nafz,
Anita Vooren, Christa Vossen
• Ausgabe 2000 Band 3
Portraits von:
Dr. Irene Alpes-Liede, Hertha Butz, Margarita Kaufmann, Gisela MunzSchmidt, Romana Schmitt, Erika Seige, Elisabeth Vollan
• Ausgabe 2001 Band 4
Portraits von:
Hermine Diemer, Dr. Leonie Fürst, Emma Ganter, Paula Kaiser, Dr. Renate
von Oldershausen
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