PDF - Globetrotter
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Eintauchen ins Naturparadies Costa Drei Monate abenteuerliche Familienferien zwischen Karibik und Pazifik Von Christoph Grupp (Text und Bilder) Familienporträt im Paradies: Der Nationalpark von Gandoca-Manzanillo an der südlichen Karibikküste, gesäumt von Traumstränden und Riffen, ist ein Naturwunder und bot uns hier eine einzigartige Kulisse. 6 Rica Immer wieder tauchte in unseren Plänen der Wunsch auf, während ein paar Jahren im Ausland zu leben. Als die Kinder in die Schule kamen, verpackten wir diesen Plan wohl unbewusst in der Mottenkiste. Angesteckt durch die Erfahrung von Freunden, nahm dann aber der Gedanke Form an, wenigstens für drei Monate die Sicherheit und den Alltag in der Schweiz zu verlassen und uns auf neue Erfahrungen, Bekanntschaft mit einer anderen Kultur und auch etwas Abenteuer einzulassen. Für uns Eltern als Biologen und Botaniker war Costa Rica natürlich eine Traumdestination. Regenwälder und viele andere Landschaften boten die Möglichkeit, einmal in der Praxis zu erkunden, was uns bisher nur in Theorie bekannt war – eine unermessliche Artenvielfalt auf relativ kleinem Raum. Für unsere Kinder Annina und Seraina, zum Zeitpunkt der Reise 9 und 7 Jahre alt, war das Abenteuer vorher kaum vorstellbar. Entsprechend bemühten wir uns vor und während der Reise, für ihre Fragen da zu sein und ihnen die nötige Sicherheit zu vermitteln. Wer sie heute von ihren Erlebnissen berichten hört, zweifelt wohl kaum daran, dass wir auch dieses Ziel unserer Reise erreicht haben. 7 E doardo hält den Steuerapparat des grossen Lastkrans in seinen Händen und strahlt übers ganze Gesicht, etwa so wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal mit dem neuen Lastwagen im Sandkasten spielen darf. Doch wir sind nicht im Sandkasten, Edoardo ist unser Sprachlehrer im «Instituto de Idiomas Riosonador» in Costa Rica, und rings um uns dröhnt der Lärm der Zuckerfabrik. I ch sitze im halb offenen Fährboot, meine Eingeweide halten sich gerade still, nachdem noch vor drei Stunden die Schmerzen mich am Boden wälzen liessen. Ein zweistündiger Ritt durch den nächtlichen Dschungel liegt nun hinter mir, mehrere Flussdurchquerungen im Gelände-Taxi, und jetzt geniesse ich den Sonnenaufgang über dem Golfo Dulce. Die Pendler um mich herum plaudern oder dösen vor sich hin, und in zwei Stunden wird mir der Doktor im Spital sagen, ich hätte wohl nur etwas zu schwer und ungewohnt gegessen. Erst mein Hausarzt in der Schweiz wird mir dann eine Gallenkolik diagnostizieren. E in Tukan, schreit Seraina, und tatsächlich, dort sitzt gleich ein Paar im Baum und sucht mit seinen grossen Schnäbeln nach Fressbarem. Nach fast zwei Monaten Reisen, wir sitzen gerade gemütlich in der Veranda unseres karibischen Traumhauses, beobachten wir zum ersten Mal diesen gefiederten Botschafter Costa Ricas in freier Natur und nicht mehr nur auf Touristen-T-Shirts. Das sind drei Momentaufnahmen, Eindrücke während einer dreimonatigen Reise, welche unsere vierköpfige Familie von Januar bis April 2005 in dem mittelamerikanischen Vorzeigeland Costa Rica unternahm. Doch gehen wir mal der Reihe nach. 8 Die Bilder von oben nach unten: Schwierig zu sagen, was uns mehr verwirrte: das Gewimmel in der Hauptstadt San José oder der manchmal undurchdringliche Regenwald? Annina und Seraina fanden nicht zuletzt dank ihren neuen Spielgefährten bald den Zugang zur Latino-Kultur, und wir alle genossen bald die tropischen Köstlichkeiten, sei es vom Stand an der Ecke oder direkt von der Bananenstaude. Vor der grossen Reise «Und die Kinder?» Das war wohl die meist gehörte Frage, wenn wir über unsere Reisepläne berichteten oder auch im Nachhinein davon erzählen. Tatsächlich mussten wir uns im Voraus durch mehrere Behördenhierarchien durchfragen, bis feststand: Unsere Töchter Annina (3. Klasse) und die Erstklässlerin Seraina konnten uns ohne grosse Bürokratie für drei Monate nach Costa Rica begleiten. Dank einer «Lücke» in der bernischen Gesetzgebung muss man die Kinder einfach beim Schulamt abmelden wie beim Wegziehen. Und wieder anmelden bei der Rückkehr. Kein Gesuch, kein Schulkommissionsbeschluss, nix. Komplizierter lief es bei einer Thurgauer Familie, die wir später am wunderschönen Strand von Cahuita mitsamt ihren drei Töchtern kennen lernten: Sie durften erst losziehen, nachdem sie eine Privatlehrerin verpflichtet hatten. Lehrerin Deborah kam damit in den Genuss einer Gratis-Mittelamerika-Reise und die Eltern Reto und Susanne genossen dafür manchmal ihre zusätzlichen Dienste als Babysitterin. Viele Wege führen nach Rom. Oder nach Costa Rica. Aber zurück zu Annina und Seraina: Während wir Eltern Sabina (39) und Christoph (37) in der Sprachschule Riosonador Spanisch lernten, klemmten sich unsere Mädels ab und zu hinters mitgenommene Lese- oder Rechenbuch. In der Praxis brachte sie jedoch das Schreiben von Postkarten oder die Rechnungen beim Yazzy-Spielen wohl weiter. Unnötig zu sagen, dass sie beim Spielen mit ihren neuen costaricanischen Kameradinnen oder beim Beobachten der fremden Sitten oder der Pflanzen und Tiere mindestens so viel lernten wie im heimischen Geschichts- oder Naturkundeunterricht. Einen wichtigen Teil unserer Reisevorbereitungen nahm die Routenplanung ein. Wiederum mit Rücksicht auf die Kinder planten wir von Anfang an weniger, dafür längere Aufenthalte pro Ort ein. Das sollte sich in der Folge bewähren und führte uns von der Hauptstadt San José, Drehscheibe jeder Costa Rica-Reise, zu den Stationen Longo Maï im «Valle de El General», an die Pazifikküste bei Uvita, in den Nordwesten in die Provinz Guanacaste, sodann an die Karibikküste nach Cahuita und Playa Chiquita und gegen den Schluss ins Reservat der Guayimi-Indianer auf der Halbinsel Osa. Grob gesagt, bereisten wir das Land im Uhrzeigersinn und bewegten uns per Bus, Taxi und Flugzeug, aber auch zu Fuss, auf Pferderücken und per Velo. Auf das Mieten eines Autos verzichteten wir bewusst, sowohl aus Kostengründen wie auch wegen der berüchtigten Strassen, die sich vielerorts in katastrophalem Zustand präsentierten. Südwärts Nach einigen Tagen zur Akklimatisation sowie einem Besuch bei der Schweizer Botschaft in San José zogen wir südwärts. Unsere erste grosse Busfahrt führte uns nach San Isidro de El General. Die Strecke ist Teil der Panamericana, der Cerro de la Muerte etwa zwei Stunden nach San José bildet ihren höchsten Punkt mit gut 3300 m ü.M.. Ab und zu waren die Nebelfetzen weniger dicht und wir hatten einen atemberaubenden Blick auf Moos überwachsene Nebelwälder und tiefe Täler. Eine weitere Stunde im Taxi brachte uns von San Isidro nach Longo Maï, einem Kooperativendorf mit europäischen Wurzeln. Nach vielen Schlaglöchern und etwas Herumfragerei fanden wir unseren Gastgeber und Sprachlehrer Edoardo Rivera. Noch zu Hause waren wir stolz gewesen über unser kompaktes Gepäck, aber Edoardo runzelte die Stirn. Schliesslich konnten wir unsere Habseligkeiten aber doch im knapp 8 m2 kleinen Holzverschlag unterbringen, der für die nächsten 3 Wochen unsere Unterkunft bildete. Worauf hatten wir uns da nur eingelassen? Der herzliche Empfang in der Familienküche sowie der erste Sonnenuntergang auf der Panoramaterrasse zerstreuten unsere Bedenken aber rasch, und gerade letztere wurde zu unserem bevorzugten Aufenthaltsort. Die Terrasse war zugleich unser Schulzimmer, was sich spätestens dann schwierig gestaltete, wenn Kolibris, Papageien oder auch die grossen Geier unsere Aufmerksamkeit von der spanischen Grammatik ablenkten. Lernen und staunen Das Leben in einer neuen Kultur und das Erlernen der spanischen Sprache auf der einen Seite, eine selbst für zwei Biologen völlig neue, vielfältigste Tier- und Pflanzenwelt auf der anderen Seite: die nächsten drei Wochen waren unsere grosse Lernzeit in der Neuen Welt. Sabina sass oft schon in den frühen Morgenstunden auf dem Balkon und genoss das Erwachen des Dorfes und seiner zwei- und vierbeinigen und auch geflügelten Bewohner. Neben vier Stunden Spanisch pro Tag unternahmen wir zahlreiche Spaziergänge, Ausflüge und Ritte in die Umgebung des Dorfes. So auch an Anninas Geburtstag. An diesem Samstag ritten wir früh am Morgen los. Ein Pferd hatten wir noch vom Nachbarn leihen müssen, muy tranquilo sei es, also nichts zu befürchten für einen unerfahrenen Gringo wie mich. Schnell zeigte sich aber, dass ich das rassige Tier ständig zurückhalten musste, wollte ich nicht unsere Mädchen mit dem vom Sprachzum Reitlehrer mutierten Edoardo 9 Ö K O T O U R I S M U S U N D Ein Viertel der Fläche Costa Ricas und damit über 10 000 Quadratkilometer stehen seit Jahrzehnten unter Naturschutz. Sie sind der Touristenmagnet Nr. 1 in der so genannten Schweiz Zentralamerikas, Zentralamerikas, und immerhin überflügelten in den letzten Jahren die Einkünfte aus dem Tourismus diejenigen aus der Landwirtschaft um das Fünffache. Diese Tatsache ist den Ticos bewusst und der Naturschutz wird deshalb von vielen ernst genommen. Es ist somit eher ein Nutzen orientierter und nicht ideell motivierter Umgang mit den Naturschätzen, aber immerhin funktioniert der Naturschutz im Grossen und Ganzen. Das ist umso wichtiger wenn man weiss, dass jede vierte Pfl Pflanzenanzen- und Tierart, welche auf der Erde vorkommt, auch in Costa Rica heimisch ist. Nur gerade einen Zehntel grösser als die Schweiz, hat das kleine mittelamerikanische Land damit eine riesige Verantwortung für die globale Biodiversität. Manuel Antonio, Arenal, Monteverde, Tortuguero, Corcovado und La Amistad sind die klingenden Namen unter den Nationalparks Costa Ricas. So spektakulär sie auch sind, Geheimtipps sind sie schon lange nicht mehr. Wir zogen es deshalb vor, beispielsweise den Nationalpark Ballena bei Uvita zu besuchen statt den Manuel Antonio NP, wo nordamerikanische Kreuzfahrtschiffe die Ausflügler manchmal zu Dutzenden ans Ufer bringen, so dass gar Kontingentierungen notwendig geworden sind. Unsere Highlights waren die folgenden: Parque Nacional Ballena, ein knapp 500 m breiter, aber fast 10 km langer Strandstreifen und das vorgelagerte Meeresgebiet mit der 10 N A T I O N A L P A R K S Isla Ballena. Dem Namen entsprechend lassen sich manchmal Buckelwale beobachten, Fregattvögel und Pelikane ziehen über die Mangrovenwälder und Sandstrände, in der Saison vergraben die Meeresschildkröten hier ihre Eier. Einfache Hütten und Touristenzimmer ziehen Globetrotter und junge Touristen an, die Stimmung ist fast ein bisschen karibisch. Reservat Santa Elena im Gebiet von Monteverde. Im Abstand von einigen Kilometern zum berühmten Privatreservat von Monteverde liegt das etwas kleinere Nebelwaldreservat Santa Elena. Es befi befindet ndet sich auf öffentlichem Grund, eine Stiftung ist besorgt für den Besucherempfang und die Führungen, und auch die Universität beteiligt sich am Erhalt und der Erforschung dieses etwas weniger überlaufenen Gebiets. Grün, grün, grün, 6 Meter Niederschlag pro Jahr und alles voller Flechten, Moose und verkrüppelter Bäume. Wer Glück hat, hört oder sieht gar den Göttervogel Quetzal. Regenbekleidung ist unverzichtbar. Parque Nacional Cahuita. Die dichtbewachsene Halbinsel liegt gleich neben dem gleichnamigen Ort. Landseitig ist sie von Sumpfland Sumpfland begrenzt, der Küste entlang führt ein wunderschöner Wanderweg von 7 km Länge. Manchmal ist die Aussicht aufs Meer verdeckt von den zahlreichen Palmen und Meermandelbäumen, in deren Geäst sich häufig Faultiere verstecken. Brüll- und Kapuzineraffen und ein Korallenriff vor dem Sandstrand sind weitere Trümpfe für Naturliebhaber. Beim Schnorcheln am Riff ist allerdings höchste Vorsicht geboten wegen der starken Strömungen. Nationalpark Gandoca-Manzanillo. Der Name des Parks ergibt sich aus den beiden I N C O S T A R I C A Weilern, welche die Ein- respektive Austrittsportale zur Kernzone darstellen. Gandoca liegt nur noch wenige Kilometer von der panamaischen Grenze und dem Grenzfluss Rio Sixaola entfernt. Der Park besteht aus Wäldern, Sümpfen und zum Teil steil abfallenden Klippen, von denen man eine fantastische Aussicht geniesst. Die Landschaft von Gandoca-Manzanillo empfanden wir schlicht als paradiesisch. Der Corcovado Nationalpark ist neben La Amistad wohl der wildeste von allen. Nur wenige Fusspfade führen hindurch, es gibt nur wenige Unterkünfte in Abständen von Tagesmärschen und sowohl das nördliche wie auch das südliche Ende sind auf «normalen» Strassen nicht erreichbar. Viele Reisende wählen deshalb den Luftweg. Durch die schwere Erreichbarkeit hat der Corcovado noch viel von seiner Ursprünglichkeit bewahrt. Rote Aras fliegen über die Köpfe hinweg, immer wieder berichten Reisende von WildkatzenBeobachtungen und wir selber konnten im Indianerreservat an der Grenze zum Nationalpark Ameisenbär, Tukane, Vogelspinnen, Brüllaffen, blaue Morpho-Schmetterlinge und eine Lanzenotter beobachten. Man findet hier auch die letzten echten Regenwälder mit einem unüberblickbaren Pflanzenreichtum. Unerfahrenen Reisenden sei aber die Leitung durch einen lokalen Führer empfohlen, den man sich sorgfältig aussuchen oder empfehlen lassen sollte. Puerto Jimenez ist mit seinem Kleinflughafen ein idealer Ausgangsort. weit hinter mir lassen. Irgendwann hatte mein Gaul aber genug und so kam ich zu meinem ersten unfreiwilligen Galopp. Zum Glück konnte ich das Pferd in einen schmalen Bergpfad lenken und endlich zum Halten bringen. Auf einem anderen Pferd legte ich dann noch den Rest der Strecke zurück und viel später, im wilden Nordwesten Costa Ricas, genoss ich auch freiwillige Galoppstrecken. Der Geburtstagsritt führte uns an einen wilden Bergbach ähnlich der Maggia, das Wasser war einfach rund zehn Grad wärmer und in der Wassergischt wippten Begonienblätter. Bei der Rückkehr wartete auf Annina eine Piñata, ein Geburtstagsfest in costaricanischen Stil. Eine mit Süssigkeiten gefüllte, bunt bemalte Kiste muss mit geschlossenen Augen mittels eines Stocks von einem Seil gedroschen werden. Im Kooperativendorf Longo Maï lernten wir nicht nur die Kultur, die Sprache und die Natur Costa Ricas kennen, sondern erhielten auch Einblick in die Sorgen und Nöte der Kleinbauern. Infolge Spekulationen auf dem Weltmarkt senkte sich in den letzten Jahren der Absatzpreis für Kaffeebohnen immer mehr in Richtung des Einstandspreises oder sogar darunter. Die Bauern vernachlässigen deshalb ihre Felder oder geben die Produktion sogar auf. Leider gibt es nur wenig Beratung oder neutrale Informationsmöglichkeiten, damit die Kleinbauern auf Nischenprodukte wie Vanille, Gewürze, spezielle Früchte oder auch die Produktion von Süsswasserfischen umsatteln könnten. Das vielerorts angepflanzte Zuckerrohr bringt den einzelnen Familien auch nicht viel Verdienst, aber immerhin sorgen manchmal lokale Zuckerfabriken dafür, dass noch etwas mehr Gewinn in der Region bleibt. Der Besuch in einer solchen Fabrik war spannend, da wir den Prozess vom Verladen aufs Förderband über das Quetschen des Zuckerrohrs in antiken Pressen bis hin zum Einkochen des Zuckersaftes verfolgen konnten und schlussendlich auch sahen, wie die Arbeiterinnen die fertigen Zuckerstöcke in Kartons stapelten, die wir später im Supermarkt wieder fanden. Himmlisch umschmeichelte während der Betriebsbesichtigung der Caramelduft unsere Nasen, brutaler traktierte der Lärm allerdings unsere Ohren. Zwei Premieren an einem Tag Die nächste Etappe unserer Reise brachte für uns gleich zwei Premieren an einem Tag. Auf der Fahrt an die Traumküste von Uvita gerieten wir plötzlich in einen Stau. Als wir aus dem Kleinbus stiegen, sahen wir sogleich den Grund für den Fahrzeug- und Menschenauflauf: ein Faultier lag am Strassenrand, offenbar unverletzt und nur auf seiner wöchentlichen Toilettenrunde, welche diese Tiere etwa alle sieben Tage von ihren Bäumen herabsteigen lässt. Zum ersten Mal sahen wir einen dieser zottigen Vertreter der zentralamerikanischen Tierwelt in freier Natur und realisierten rasch, dass das nicht nur für uns ein besonderes Erlebnis war. Auch die anwesenden Ticos (so nennen sich die Costa Ricaner) waren begeistert, und wir sollten in der Folge noch mehrmals erleben, dass die Faultiere so etwas wie Maskottchen für die Einheimischen darstellen. Tatsächlich wurden wir später einmal Zeuge, wie ein Trucker seinen 40-Tönner auf der Strasse San José – Limón querstellte, um dann in aller Ruhe ein Faultier sicher von der Hauptstrasse zu tragen – etwa so, wie wenn einer seinen Lastwagen auf der A2 so anhalten würde, dass kein Auto mehr vorbei kann. Und keiner hupte! Nach einigen Fotos ging’s weiter und bald schon erblickten wir alle zum ersten Mal den Pazifik. Der Wald erstreckte sich vielerorts noch fast bis zur Küste und so erhaschten wir nur ab und zu einen Ausblick auf den Sandstrand und die bei den Surfern so beliebte Brandung. Für die nächsten zehn Tage mieteten wir uns eine Hütte gleich ausserhalb des Nationalparks Ballena bei Don Jesús. Dieser betreibt eine Unterkunft mit einfachen Bungalows und einem Restaurant, welches mehr durch die familiäre Atmosphäre als durch besondere Sauberkeit besticht. Da wir fast zwei Wochen in diesem tropischen Paradies blieben, wurden wir beinahe zu Insidern und einmal bat uns Don Jesús sogar, unser Nachtessen doch selber in der Restaurantküche zu kochen – der Koch war gerade auf einer zweitägigen Einkaufstour. So sehr uns das Vertrauen rührte: nachdem ich selber einen Blick in den Kühlschrank und die wenig appetitliche Tiefkühltruhe geworfen hatte, bestellten wir inskünftig nur noch unverdächtige Speisen mit garantiert unverderblichen Lebensmitteln. Pazifische Highlights Das Highlight in Uvita waren unsere Sonnenuntergangsbäder im lauwarmen Pazifik und eine nächtliche Bootsfahrt auf dem rund 50 Kilometer südlich gelegenen Rio Sierpe, vermittelt durch den Tourenanbieter und Leichtflugzeug-Piloten Georg Kiechle. Im Scheinwerferlicht unseres Führers erspähten wir Kaimane, Boas und schlafende Reiher. Auch unsere Mädchen begeisterten sich nach anfänglicher Zurückhaltung mehr und mehr für die Tierwelt dieses Klein-Amazonas und waren fast enttäuscht, als es nach anderthalb Stunden wieder ans Ufer zurück ging. Die Bilder von oben nach unten: Auch ausserhalb der Nationalparks bietet Costa Rica viel Sehenswertes: auf einem Bootstrip in einem Flussdelta beobachteten wir Kaimane und Vögel. Immer wieder genossen wir das Badevergnügen in den Bergbächen, und eine echte Sensation war unsere erste Faultierbeobachtung (unten links). Mancherorts drängen allerdings Plantagen die Natur zurück (unten rechts), seien es eher extensive ZuckerrohrFelder oder die Monokulturen der Ananasplantagen. 11 Durch Georg erfuhren wir noch so manches über das Leben der zahlreichen Auswanderer, welche den Lockungen dieses costaricanischen Paradieses erliegen. Nicht alle gründen so erfolgreich eine neue Existenz wie dieser deutsche Flugingenieur, der nach vielen Jahren Aufbauarbeit, Kampf mit Behörden und organisatorischen Komplikationen langsam den Silberstreifen am Horizont sieht. Sein Flugunternehmen, das spektakuläre Rundflüge über Mangrovensümpfe und Traumstrände bietet, hat inzwischen nicht nur in Touristik-Kreisen einen soliden Ruf. Georg arbeitet auch mit bei der regionalen Entwicklung dieser teils noch sehr rückständigen Provinz. Rückblickend bedaure ich an unserem Costa Rica Trip eigentlich am meisten, dass ich nicht meinen Mut und ein paar Dollar zusammen gekratzt habe, um im Ultraleichtflugzeug nur wenige Meter über die Wellenkämme zu brausen oder den Windungen des Rio Sierpe aus der Luft zu folgen. Flugabenteuer Die drolligen Ameisenbären, für Menschen nicht gefährlich, gehören zu den unzähligen natürlichen Touristenattraktionen Costa Ricas – hier bei einer gemütlichen Baumkletterei. 12 Kurze Zeit später hatten wir dann doch noch Gelegenheit, «unseren» Traumstrand aus der Luft zu geniessen. Wie unser Reisetagebuch schildert, war der Trip mit der halbstaatlichen Fluggesellschaft Sansa von Palmar Sur nach San José durchaus abenteuerlich: «Bei unserer Ankunft am Flugplatz ist der Rolladen noch geschlossen. Erst kurz vor Ankunft des Flugzeugs kommt eine Frau und öffnet die Bude, die eher einem baufälligen Kiosk gleicht. Unser «Flugticket» ist ein handgeschriebener Zettel (mit einem 5-Buchstaben-Code als wichtigstem Merkmal), den ich über den Holztresen schiebe. Die Frau lächelt – ah, die Familia, und ich bin dieses einzige Papier los, das von unserer 275Dollar-Investition in einen Flug zeugte. Schliesslich ist Motorenlärm zu vernehmen, und einige Jungs gehen zur Pistenabsperrung − drei orange Verkehrshüte. Sie tragen das Gepäck der Ankommenden unter das Holzdach, nachdem die zweimotorige Twin Otter zum Stillstand gekommen ist. Wir steigen in das buntbemalte Flugi ein und kurz nach dem Abheben geniessen wir schon die herrliche Aussicht auf die Bahia Uvita. Der Einflug ins Valle Central rund um San José gestaltet sich dann sehr holprig, wir purzeln von Luftloch zu Luftloch. Für die Die Bilder: – Mit Anstoss an die beiden Weltmeere Pazifik und Karibik verfügt Costa Rica über Hunderte Kilometer abwechslungsreicher Küsten. Georg Kiechle überfliegt mit seinem Ultraleichtflugzeug den Traumstrand von Uvita (Bilder oben rechts und links). – Die Karibik ist bekannt für gepflegte Hotels im Kolonialstil (zweites Bild von oben rechts). – Am Pazifik gibt es grosse Fischereiflotten, doch wirklich fasziniert waren Annina und Seraina von einem am Strand gefundenen Kugelfisch. nächsten drei Jahre können wir aufs Achterbahn fahren verzichten.» Costa Ricas «Wilder (Nord)Westen» San Buenaventura hiess unsere nächste Station in der Provinz Guanacaste. Diese Finca ist ideal gelegen zwischen dem Golf von Nicoya und der Bergregion Monteverde. Der Schweizer Don Pedro Walter renoviert diese ehemalige Farm gemeinsam mit seiner costaricanischen Partnerin Consuelo. Obwohl noch im Aufbau begriffen, bietet San Buenaventura neben Unterkunft und Verpflegung schon jetzt verschiedene Ausflüge. Wir waren besonders beeindruckt von den Ausritten mit Luis, der als Einheimischer nicht nur Fauna und Flora ausgezeichnet kannte, sondern auch wusste, welche Orte für die Touristen lohnende Ausflugsziele darstellen. Die ganze Familie hoch zu Ross, führte er uns durch das Cowboyland der Ticos und behielt auch dann die Ruhe, wenn das Maultier unserer Jüngsten wieder bockte oder Annina und ich plötzlich losgaloppierten, weil unsere Pferde grad einen Energieschub hatten. Wir wurden aber mit dem Reiten immer vertrauter und erkundeten so die Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Für den Ausflug in den Monteverde-Nationalpark wurden wir von Luis dann aber im Geländewagen zum Ausgangspunkt der zweistündigen Wanderung gebracht. Noch nie vorher in meinem Leben hatte ich etwas Grüneres gesehen als diesen Nebelwald, auf den im Jahr bis zu 6 Meter Regen nieder prasseln. Moose, Farne, Orchideen und Lianen prägten die Szene, bloss der Göttervogel Quetzal liess sich nirgends blicken. Wir Botaniker kamen kaum mehr aus dem Staunen heraus, aber unsere Mädels waren’s nach einer Stunde leid. So viel Re- gen, so viele Pflanzen, aber kaum ein Tier! Da brauchten wir auch gar nicht nach dem Arenal Ausschau zu halten, einem der wenigen noch aktiven Vulkane des Landes in knapp 20 km Entfernung. Paradiesische Karibik Nach dem Aufenthalt in Guanacaste waren wir reif für die Karibik. Wiederum nach einer Übernachtung in San José zogen wir am nächsten Tag ins karibische Tiefland. Nach einer rund vierstündigen Busfahrt kamen wir in Cahuita an und mieteten uns sogleich bei Christine in den Aché Bungalows ein. Vor Jahren schon wanderte die Bündnerin aus und ist nun stolze Besitzerin von drei gediegenen, achteckigen Bungalows gleich ausserhalb des Nationalparks von Cahuita. Am Morgen und am Abend schüchterten uns zumindest am Anfang die Brüllaffen mit ihrem Geschrei ein, während sie in den Baumkronen über unserem Häuschen sippenweise herumturnten. Wie schon am Pazifik waren wir auch hier von der Meerwasserqualität etwas enttäuscht, auch wenn’s lange nicht so schlimm war wie in Uvita. So verbrachten wir die ersten Tage mit Wanderungen durch den Nationalpark, entdeckten weit oben in den Ästen Faultiere und einmal besuchten wir auch die süssen Faultier-Babies in der Aufzuchtstation «Aviarios del Caribe». Die Karibikküste Costa Ricas ist ein Surfer- und Rasta-Mekka. «Marihuana-Rauchen ist im Laden verboten, gehen Sie doch bitte nach draussen», besagte ein Schild über einer Ladentheke im Nachbardorf Puerto Viejo. Quasi auf Rekognoszierungstour zogen wir südwärts − und landeten im Paradies. Der Nationalpark Gandoca-Manzanillo an der panamaischen Grenze bietet alles, was einen tropischen Strand ausmacht. Von Palmen gesäumte Strände, feiner, weisser Sand, Riffe mit Korallen und bevölkert von unzähligen farbenfrohen Fischen. An der Playa Chiquita fanden wir unser Traumhotel und hatten die Qual der Wahl, ob wir nun noch ein drittes Mal am gleichen Tag schnorcheln gehen, noch etwas in der Hängematte weiterdösen oder doch lieber den Tukanen zusehen wollten, welche gleich neben der Veranda brüteten. Bei den Indianern im Regenwald Nach wochenlangem Versuch schafften wir es eines Tages, mit Daniela telefonisch Kontakt aufzunehmen, wie wir es von zu Hause aus vereinbart hatten. Damit kündigte sich die letzte Etappe unserer Reise an, ein dreiwöchiger Aufenthalt in einem Indianerreservat mitten im Regenwald. Die Bielerin Daniela Käser ist dort seit drei Jahren mit Esteban Carrera verheiratet, einem Indianer aus dem Volk der Guayimi. Einmal mehr reisten wir nach San José, um am nächsten Tag das Flugzeug südwärts nach Puerto Jimenez zu besteigen, dem Hauptort auf der Halbinsel Osa. Schon beim Anflug wurde uns klar, dass es nun wild werden würde. Vom Flugzeug aus sahen wir, dass sich die dichten Wälder bis an die Ufer des Golfo Dulce hinab zogen. So durfte es eigentlich nicht verwundern, dass wir gleich bei unserer Ankunft von einem Paar roter Aras überflogen wurden, die sich krächzend zu ihren Artgenossen auf einer hohen Palme niederliessen. Seraina schrie auf vor Begeisterung, wir waren tief beeindruckt. Eine einstündige Busfahrt auf einer Schotterpiste, eine halbe Stunde Fahrt im Pickup und schliesslich nochmaliges Durchschütteln im 4WD inklusive drei Flussquerungen brachten uns zum Indianerreservat gleich ausserhalb 13 A E U igentlich per Zufall haben wir unterwegs immer wieder Kontakt mit Auswanderern geknüpft. Nicht dass wir uns selber ernsthaft mit dem Gedanken trugen, in Costa Rica zu bleiben. Aber im Gespräch mit diesen Deutschen, Schweizern, Österreichern oder auch Amerikanern bekamen wir sehr viel mit über die costaricanische Gesellschaft, das Land, dessen Bürokratie, aber auch die neuere Geschichte, und natürlich kamen wir so auch immer wieder zu heissen Ausflugtipps. Eine erste Begegnung hatten wir mit Christoph Burkhard, einem vor über 12 Jahren ausgewanderten Schweizer in Longo Maï. Christoph ist so etwas wie der Chronist der Kooperative. Als politisch interessierter Mensch verfolgt er die Entwicklungen in Costa Rica und Zentralamerika sehr genau und kämpft vor allem mit der Feder gegen den Machteinfluss der oft US-amerikanischen Grosskonzerne. Eine grosse Sorge von Christoph Burkhard ist die Landnahme durch die Agrarmultis, welche ganze Talschaften aufkaufen. Nach kurzer Zeit erstrecken sich dann die Ananas- oder Bananenmonokulturen von einem Horizont zum anderen. Würde der Boden in Longo Maï frei handelbar, wäre auch das Kooperativendorf mit seinen letzten Primärwäldern arg bedroht. Bei unserer Weiterfahrt nach Uvita begegneten wir Georg Kiechle. Ursprünglich weil ich eine Agentur zur Reservation von Flugtickets suchte, landete ich im «Flying Circus» von Georg. Er lebt seit sieben Jahren in Uvita und betreibt ein Flugunternehmen mit Ultraleichtflugzeugen, die er als ehemaliger Flugingenieur teilweise selber baut und entwickelt. Von seinen luftigen Ausflügen her kennt er die grandiose Natur der südlichen Pazifikküste bestens und kann einem deshalb gute Tipps geben zu Sehenswürdigkeiten und Ausflugzielen. Zu meinem heutigen Bedauern wagte ich keinen Flugtrip, aber unvergesslich bleibt der ganzen Familie die nächtliche Bootsfahrt auf dem Rio Sierpe, 14 S W A N D E welche uns Georg vermittelte. Wir glitten sanft durch den nachtschwarzen Klein-Amazonas und der Scheinwerfer erfasste Kaimane, Boas und zahlreiche Vögel. Georg Kiechle erzählte mir auch eine Geschichte zur Entstehung einiger Nationalparks, die mir teilweise von der deutschen Botschaft bestätigt wurde. Gleich bei Ausbruch des zweiten Weltkriegs war Costa Rica eines der ersten Länder, welches Deutschland den Krieg erklärte. Es kam in der Folge zu Enteignungen von deutschen Grossgrundbesitzern, und offenbar sind bis heute einige dieser Ländereien nicht zurück gegeben worden. Georg glaubte sogar zu wissen, dass die Regierung einige solcher Gebiete in Nationalparks umwandelte und sie damit als geschützte Gebiete den Privatansprüchen der ursprünglichen Besitzer entzog. Das war eine sehr spannende Ergänzung zu unseren bisherigen Kenntnissen. Eine weitere Auswanderer-Geschichte liest sich wie ein Abenteuerroman. Als ich mitten in der Nacht einen Notfall-Transport ins Spital brauchte, dampfte Markus Frauli mit seinem 4WD-Taxi an. Wie ich auf der langen Holperfahrt erfuhr, war es sein einziges Überbleibsel aus einem missglückten Versuch, eine Goldmine zu gründen. Vor zehn Jahren hatte Markus mit einem Kollegen in Guanacaste ein Terrain gekauft, um Gold zu fördern. Mehrere Jahre führten sie ohne Erfolg Sondierbohrungen und Grabungen durch. Als sie schon fast alles Geld aufgebraucht hatten, engagierten sie nochmals einen Geologen aus Deutschland, der ihnen prompt bestätigte, dass es ein Goldvorkommen gibt, allerdings unterhalb ihres bisherigen Stollens. Für eine Neugrabung konnten sie dann nicht genügend investieren, und wie es manchmal in Costa Rica mit extensiv genutztem Gelände geschieht, wurde es von illegalen Landbesetzern beschlagnahmt. Selbst mit Regierungshilfe lässt sich in solchen Fällen kaum etwas ausrichten. So blieb Markus am R E R Schluss nur noch der Geländewagen, mit dem er südwärts zog und nun auf der Halbinsel Osa nahe am Corcovado-Nationalpark Taxidienst versieht. Inzwischen hat er wohl den Kurs zur Erlangung einer Taxilizenz absolviert und darf seine Dienste hoffentlich legal anbieten. So oder so wird es schwierig bleiben, genug Geld für seine hier gegründete Familie zu verdienen: er hat eine Frau und zwei Kinder, und 50 Dollar sind schon ein guter Tagesverdienst. Natürlich gibt es auch ausgewanderte Frauen. Jedes Jahr ein neues Bungalow, das ist das Motto von Christina Plattner. Nach einem ersten Versuch im Beherbergungsgeschäft steht sie nun auf eigenen Füssen und hat ein Stück Land gleich angrenzend an den Nationalpark Cahuita erstanden. Neben ihrem eigenen achteckigen Bungalow steht eine einstöckige Kopie davon, deren Vermietungskosten ihr den Lebensunterhalt ermöglichen. Das dritte der Aché Bungalows finanziert die Reparatur- und Investitionskosten und das vierte, im Bau befindliche Häuschen soll Christina bald ermöglichen, auch etwas Geld zu sparen. Sie kann dann beispielsweise auch wieder einmal mit ihrer Tochter einen Besuch in der Schweiz machen, wie sie Sabina von Bündnerin zu Bündnerin anvertraute. Für viele stellt so ein Dasein sicherlich das Ziel ihrer Träume dar, und tatsächlich kann man wohl sagen, dass Christina es geschafft hat. Immer wieder sind ihr aber die Bürokratie und die Verhandlungen mit den Behörden ein Ärgernis und bestimmt hilft ihr dabei auch ihr Partner Dexter, ein typischer Vertreter der karibischen Einwohner Costa Ricas. Mit seinen Rastalocken und seinem dunklen, muskulösen Körper gemahnt er ein wenig an Bob Marley, aber Dexters Virtuosität zeigt sich vor allem beim Hausbau und seiner Erfindungsgabe, mit dem vorhandenen Material auch knifflige haustechnische Probleme zu lösen. des Corcovado-Nationalparks. Dort wartete Esteban mit vier Pferden, die uns nach einem zweistündigen Ritt durch den Wald schliesslich zu einer hoch gelegenen Waldlichtung transportierten. Wir waren in der Tamandu Lodge angelangt, der kleinen Siedlung der Familie Carrera, und waren nun von der Zivilisation entfernter als je zuvor. Ein Funktelefon und einige Solarzellen waren die wichtigsten technischen Errungenschaften, welche sich vor Ort finden liessen – mit Ausnahme des Fernsehers natürlich, der aber hauptsächlich der Übertragung von Fussballspielen diente. Ein Segen war das fliessende Wasser, welches die Indianer an einer Quelle im Regenwald abgezapft hatten und mittels Schläuchen in alle Unterkünfte führten, was beileibe keine Selbstverständlichkeit darstellt in dieser Region. Die Guayimi-Indianer leben zu einem grossen Teil als Selbstversorger und verdienen sich etwas Geld als Tagelöhner im Zuckerrohr- oder Kaffeeanbau. Das bescheidene Tourismus-Projekt der Carreras soll es längerfristig möglich machen, dass die Männer nicht mehr während mehrmonatigen Arbeitseinsätzen von ihren Familien getrennt leben müssen. Gleich am nächsten Morgen statteten wir unter Führung der beiden Brüder Esteban und Anastasio dem Regenwald einen ersten Besuch ab. Wir betraten eine für uns völlig unbekannte Welt. Während in einem reichhaltigen Schweizer Wald vielleicht zwanzig verschiedene Baumarten wachsen, waren es hier etwa tausend. Wir sahen Geckos, ernteten Palmherzen und auf der Rückkehr begegneten wir auf einem frisch gerodeten Feld einem kleinen Ameisenbär. Er war gerade im Begriff, ein Bienennest auszuräumen und würdigte uns wohl in Erwartung des süssen Honigs kaum eines Blickes. Die Tier- und Pflanzenwelt sollte die grosse Attraktion werden während unserem Aufenthalt bei den Guayimis. Seien es Schlangen, Frösche, Raupen oder die grossen blauen Morpho-Schmetterlinge auf Ausflügen, unzählige Ameisenarten mit kleinen, grossen, feinen, wehrhaften, roten oder auch goldigen Körpern auf den Waldpfaden oder schliesslich auch Kakerlaken, Taranteln oder die als Blätter getarnten Gespensterschrecken in unserer Unterkunft: die Tierwelt begleitete uns auf Schritt und Tritt und war durch hundertfache Geräusche auch nachts immer präsent. Heikle Momente Bei aller Begeisterung und allem Staunen gab es auch heikle Situationen. Ein Spaziergang über wenig begangene Urwaldwege konnte schnell gefährlich werden, weshalb wir uns meistens nur mit Anastasio oder Esteban ins Dickicht wagten. Prompt blieb dieser anlässlich eines Waldspaziergangs einmal wie angewurzelt stehen, als wir uns einem Asthaufen näherten, welcher mitten auf dem Trampelpfad lag. In den paar Monaten, in denen niemand mehr hier durchgekommen war, hatte eine Boa ihr Nest darin eingerichtet. Das Exemplar, welches wir nur knapp durch ein paar Lücken im Laub erspähten, mochte seine 2-3 Meter Länge gehabt haben. Die Würgeschlange wäre uns somit nicht gefährlich geworden. Dennoch hackte Esteban mit seiner Machete einen Umweg durchs Gestrüpp, da er meinte, ein Biss der Boa sei mit demjenigen eines Hundes zu vergleichen. Das kann im Busch rasch zu Komplikationen führen, wenn man eine Tagesreise vom nächsten Arzt entfernt ist. Am eigenen Leib konnte ich übrigens testen, was «notfallmässig ins Spital gehen» in dieser Ecke Costa Ricas bedeutet. Gleich in unserer zweiten Nacht in der Tamandu Lodge wälzte ich mich vor Schmerzen auf dem Holzboden der Hütte. Sabina notierte noch am gleichen Tag ins Tagebuch: «Jetzt wurde es ernst. Ich musste die ganze Fami- lie wecken, und das um 1.30 Uhr in der Nacht. Die Ambulanz sollte bis zum Fluss kommen, aber sie war gerade in Reparatur. Also wurde ein Taxi ins nächst grössere Spital organisiert, die zwei Stunden Ritt in finsterer Nacht hat Christoph gemäss Aussage seiner Begleiter einigermassen überstanden. Seither haben wir noch nichts gehört. Das Warten und die Ungewissheit sind mehr als unangenehm. Vertraue ich auf meinen Optimismus und auf das von der Carrera-Familie gemurmelte «Heil-Gebet» um 2 Uhr in der Früh? Was war das bloss für eine «Kolik», die Christoph da erleiden musste?» Wie eingangs erwähnt, brachte meine siebenstündige Odyssee ins nächste Spital nur eine Fehldiagnose, zwei Packungen Medikamente im Falle wiederholter Schmerzen und die gesamthaft eher unangenehme Bekanntschaft mit dem Gesundheitssystem Costa Ricas im Spital von Golfito. Auf der anderen Seite bleiben auch unauslöschliche Erinnerungen an die Hilfsbereitschaft der Indianer und des ebenfalls ausgewanderten Taxifahrers Markus, den überirdisch schönen Sonnenaufgang über dem Golfo Dulce und die glühenden Augen im pechschwarzen Dschungel anlässlich meines nächtlichen «Notfallritts». Bau eines Natur-Lehrpfads Während drei Wochen konnten wir am Leben der Familie Carrera auf der Tamandu Lodge teilhaben und lernten viel Neues. Sabina und Annina knüpften mit der «Ersatzgrossmutter» Donna Nena stundenlang Taschen aus selbstgefertigten Schnüren aus Pflanzenfasern. Mit den beiden Brüdern Esteban und Anastasio legte ich am Waldrand einen Natur-Lehrpfad samt kleinem Orchideengarten an. Das kostete viel Schweiss und Mühe, aber am Ende malte ich voller Stolz das Schild zur Eröffnung des «Sendero Tamandu», welcher künftig Die Bilder: Am meisten profitierten wir, wenn uns die Ticos in die Geheimnisse ihrer Welt einführten. Nie hätten wir es gewagt, den Pfeilgiftfrosch selber in die Hand zu nehmen (unten links), und auch vor dem diebischen Wesen der Weisskopf-Kapuzineraffen hatten wir Respekt. Donna Nena führte Annina in die Knüpfkunst mit Naturfasern ein. Als kleines Gegengeschäft boten wir im Indianerdorf Englisch-Lektionen an. Dank unserem Spanischlehrer Edoardo (Bild ganz oben) konnten wir das Land allmählich auch auf dem Pferderücken erkunden. 15 den Touristen als ungefährliche Einführung in die heimische Tierund Pflanzenwelt dienen wird. Wie ich inzwischen erfahren habe, gedeihen und blühen die Orchideen regelmässig, Sammelgut, das wir auf umgefallenen Baumstämmen oder nach heftigen Regenfällen im Regenwald gesucht hatten. Es gäbe noch hundert tolle Erlebnisse von unseren Wanderungen im Dschungel zu berichten, von den Badeausflügen in die Urwaldflüsse oder dem immer wieder stattfindenden Austausch mit den Indianern. Schlussendlich waren wir aber auch froh, den Heimweg anzutreten und unsere von Dutzenden Milben zerstochenen und juckenden Körper im nahe gelegenen Meer zu behandeln oder die Segnungen der Zivilisation in Puerto Jimenez zu geniessen. Nie hätte ich gedacht, dass unsere Costa-Rica-Reise so R E I S E abenteuerlich werden würde, aber es war ja im Voraus auch unvorstellbar, mit wie viel reichen und unvergesslichen Erfahrungen wir heimkehren durften. Nochmals kamen wir in den Genuss einer Luftansicht Costa Ricas, als uns das Kleinflugzeug von Puerto Jimenez zurück nach San José brachte. Dort nutzten wir die Zeit zur Umstellung auf die hektische Zivilisation und profitierten von den günstigen Shopping-Gelegenheiten rund um den Mercado Central. Erfahrungen sind Gold wert Nach unserer Rückkehr beschäftigten die Zuhörer unserer Abenteuer vor allem zwei Fragen. Erstens: «Hattet ihr keine Mühe, euch wieder einzuleben in der Schweiz?» und zweitens: «War der Schulanschluss für die Kinder kein I N F O R M A Einreise und Verkehrsmittel Reisen mit Familie Wir buchten einen Flug mit Iberia von Genf aus, mit einmaligem Umsteigen in Madrid. Das war etwas teurer als via USA, doch ersparten wir uns die unsäglichen Gepäck- und Personenkontrollen in den USA, welche uns andere Reisende schilderten. Im Land selber bewegten wir uns hauptsächlich mit Bussen und für grössere Strecken per Flugzeug fort. Auf ein Mietauto verzichteten wir angesichts der manchmal sehr prekären Strassenverhältnisse. War ein Ort trotz des eher dichten Busnetzes nicht erreichbar, verhandelten wir einen günstigen Taxitransfer. Immer wieder führen die Wege via die Hauptstadt San José, so dass wir zeitweise einen Teil des Gepäcks im Hotel deponierten. Die Einwohner von Costa Rica oder «Ticos», wie sie sich nennen, sind meistens sehr kinderliebend. Damit ist einem oft nicht nur Tür und Tor geöffnet, sondern man hat auch viel besseren Familienanschluss. Wir lernten dabei enorm viel über Sitten und Gebräuche und erhielten tiefe Einblicke ins Alltagsleben. Fast gewannen wir den Eindruck, Reisen als Familie sei sicherer, da wir einen gewissen Respekt verspürten und als Familie auch z.B. nie um Drogen angegangen wurden. Für Kinder bezahlt man im Hotel häufig nichts und so kommt das Reisen kaum teurer als zu zweit. Verpflegung Die Küche Costa Ricas verspricht keine kulinarischen Höhenflüge. Bei Familienunterkünften auf dem Lande ist eine dreimalige Verköstigung am Tag mit «Gallo Pinto» (Reis mit schwarzen Bohnen) üblich. Am meisten genossen wir die tropischen Früchte, stückweise oder gemixt als Jugo/Juice. Fast überall kriegt man auch guten Fisch und Meeresfrüchte, aber am besten zubereitet werden sie an der Karibikküste. Unterkünfte Costa Rica hat Unterkünfte für jedes Portemonnaie. Günstige Unterkünfte gibt’s schon ab 12–15 Dollar pro Nacht und Person, für die ganze Familie zahlten wir häufig um die 50 $ in MittelklasseUnterkünften, sogar in San José. Wer gehobene Ansprüche hat, kann sich in Luxushotels zum entsprechenden Preis auch nach Strich und Faden verwöhnen lassen. Wie überall lohnt es sich, ein paar Unterkünfte miteinander zu vergleichen oder Tipps von anderen Travellern einzuholen. 16 Es schien mir auch oft, dass das als «Schweiz von Mittelamerika» gepriesene Land wohl schon besser funktioniert hat in der Vergangenheit. Was die Kinder betrifft, werden sie wohl ein Leben lang von den gemachten Erfahrungen zehren. Dann und wann übten wir etwas Lesen und Schreiben oder lösten spielerisch einige Rechenaufgaben und so meisterten Annina und Seraina den Wiedereintritt in die Schule problemlos. Aber selbst im gegenteiligen Fall würden all die neuerworbenen Kenntnisse bei weitem überwiegen, angefangen bei der Naturkunde über gesellschaftliche Fragen bis hin zu wirtschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhängen. Und am wertvollsten die persönlichen Erfahrungen mit all den verschiedenen «fremden» Menschen. Problem?» Beides kann ich ohne zu Zögern mit nein beantworten. Ich selber freute mich auf die Rückkehr, da ich des Öfteren Schwierigkeiten hatte mit der Mentalität der Ticos. Selbstvertrauen und Eigenverantwortung sind in dieser streng hierarchischen und überreglementierten Gesellschaft nicht oft zu finden. Das macht selbst simple Probleme oft nur schwer lösbar und führt zu viel Fatalismus und Korruption. Trotz dem seit 60 Jahren bestehenden Schulobligatorium scheinen die Nachwehen der einst brutalen Kolonialisierung inklusive Auslöschung des Mittelstandes noch immer zu wirken. Mit Ausnahme der Indianer vielleicht, die wir ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung (die Ticos halten die Ureinwohner für dumm und faul) als sehr zupackend, findig und vorausschauend erlebt haben. Telekommunikation Je weiter man von San José entfernt ist, umso schwieriger wird das Telefonieren und damit auch der Kontakt via E-Mail/Internet. Zwar gibt es fast überall Internet-Cafés, aber gerade im Süden ist das alte Modem noch Standard. Breitband-Anschlüsse sind in San José inzwischen üblich und so lohnt es sich, bei den zwangsläufigen Umsteigehalten in der Hauptstadt auch noch schnell im Internet-Café vorbeizugehen oder sich ein entsprechendes Hotel zu suchen. Aus den gleichen Gründen ist Geldwechsel oder Geldbezug mit Kreditkarte in der Hauptstadt auch einfacher. Immer mehr gibt es glücklicherweise Bankautomaten mit dem blauen Plus-Logo, welche bei Fütterung mit Schweizer Postcards willig Colones ausspucken. Das erspart die nervtötenden Wartezeiten und die Bürokratie am Bankschalter. Unsere persönlichen heissen Tipps Viele gute touristische Angebote in Costa Rica verfügen über entsprechende Internet-Auftritte. Hier sind die Informationen zu unseren Erlebnissen am einfachsten zu holen. T I O N E N ➔ Sprachschule im Kooperativendorf Longo Maï: www.sonador.info ➔ Informationen zum Flugunternehmen von Georg Kiechle und den Sehenswürdigkeiten von Uvita: www.fly-ultralight.com ➔ Pedro Walters Finca: www.sanbuenaventura.ch ➔ An der Karibik hatten wir zwei tolle Unterkünfte. Erstens bei Christine in Cahuita, Beschreibung unter www.bungalowsache.com. Richtig gediegen war’s im Aguas Claras: www. aguasclaras-cr.com ➔ Nicht immer einfach ist die Suche nach einem preiswerten Hotel in San José. Wir können zwei besonders empfehlen: Das Hotel Aranjuez unter www.hotelaranjuez.com, und gleich gegenüber das Kap’s Place. www.kapsplace.com ➔ Das wirklich Eindrücklichste war natürlich unser Besuch bei den Guayimi, bei Daniela Käser und der Familie Carrera. Die Tamandu-Lodge hat auch eine Homepage: www.tamandu-lodge.com Reisehandbücher • Reise-Know-How «Costa Rica» (deutsch), 7. Aufl. 2005, 620 Seiten, Fr. 39.50, ISBN 3-8317-1391-X • Lonely Planet «Costa Rica» (englisch), 6. Auflage Nov. 2004, Fr. 36.80, ISBN 1-74059-775-3 • «Spanisch für Costa Rica» Kauderwelsch-Sprechführer, ud lsch Verlag ReiseKnowHow, Fr. 14.60, ISBN 3-89416-315-1 ©Globetrotter Club, Bern