PDF - Globetrotter

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PDF - Globetrotter
Eintauchen
ins Naturparadies Costa
Drei Monate abenteuerliche Familienferien
zwischen Karibik und Pazifik
Von Christoph Grupp (Text und Bilder)
Familienporträt im Paradies:
Der Nationalpark von Gandoca-Manzanillo an der südlichen Karibikküste,
gesäumt von Traumstränden und
Riffen, ist ein Naturwunder und bot
uns hier eine einzigartige Kulisse.
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Rica
Immer wieder tauchte in
unseren Plänen der Wunsch
auf, während ein paar
Jahren im Ausland zu leben. Als die Kinder in die
Schule kamen, verpackten
wir diesen Plan wohl unbewusst in der Mottenkiste. Angesteckt durch die
Erfahrung von Freunden,
nahm dann aber der Gedanke Form an, wenigstens für drei Monate die
Sicherheit und den Alltag
in der Schweiz zu verlassen und uns auf neue Erfahrungen, Bekanntschaft
mit einer anderen Kultur
und auch etwas Abenteuer einzulassen.
Für uns Eltern als Biologen und Botaniker war
Costa Rica natürlich eine
Traumdestination. Regenwälder und viele andere
Landschaften boten die
Möglichkeit, einmal in der
Praxis zu erkunden, was
uns bisher nur in Theorie
bekannt war – eine unermessliche Artenvielfalt auf
relativ kleinem Raum.
Für unsere Kinder Annina
und Seraina, zum Zeitpunkt
der Reise 9 und 7 Jahre alt,
war das Abenteuer vorher
kaum vorstellbar. Entsprechend bemühten wir uns
vor und während der Reise,
für ihre Fragen da zu sein
und ihnen die nötige Sicherheit zu vermitteln. Wer sie
heute von ihren Erlebnissen berichten hört, zweifelt
wohl kaum daran, dass wir
auch dieses Ziel unserer
Reise erreicht haben.
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E
doardo hält den Steuerapparat des grossen Lastkrans in seinen Händen
und strahlt übers ganze Gesicht,
etwa so wie ein kleiner Junge, der
zum ersten Mal mit dem neuen
Lastwagen im Sandkasten spielen darf. Doch wir sind nicht im
Sandkasten, Edoardo ist unser
Sprachlehrer im «Instituto de
Idiomas Riosonador» in Costa
Rica, und rings um uns dröhnt
der Lärm der Zuckerfabrik.
I
ch sitze im halb offenen
Fährboot, meine Eingeweide halten sich gerade still,
nachdem noch vor drei Stunden
die Schmerzen mich am Boden
wälzen liessen. Ein zweistündiger Ritt durch den nächtlichen
Dschungel liegt nun hinter mir,
mehrere Flussdurchquerungen
im Gelände-Taxi, und jetzt geniesse ich den Sonnenaufgang
über dem Golfo Dulce. Die
Pendler um mich herum plaudern oder dösen vor sich hin,
und in zwei Stunden wird mir
der Doktor im Spital sagen, ich
hätte wohl nur etwas zu schwer
und ungewohnt gegessen. Erst
mein Hausarzt in der Schweiz
wird mir dann eine Gallenkolik
diagnostizieren.
E
in Tukan, schreit Seraina, und tatsächlich, dort
sitzt gleich ein Paar im
Baum und sucht mit seinen grossen Schnäbeln nach Fressbarem.
Nach fast zwei Monaten Reisen,
wir sitzen gerade gemütlich in
der Veranda unseres karibischen
Traumhauses, beobachten wir
zum ersten Mal diesen gefiederten Botschafter Costa Ricas
in freier Natur und nicht mehr
nur auf Touristen-T-Shirts.
Das sind drei Momentaufnahmen,
Eindrücke während einer dreimonatigen Reise, welche unsere
vierköpfige Familie von Januar bis
April 2005 in dem mittelamerikanischen Vorzeigeland Costa Rica
unternahm. Doch gehen wir mal
der Reihe nach.
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Die Bilder von oben nach unten:
Schwierig zu sagen, was uns mehr
verwirrte: das Gewimmel in der
Hauptstadt San José oder der manchmal undurchdringliche Regenwald?
Annina und Seraina fanden nicht zuletzt dank ihren neuen Spielgefährten
bald den Zugang zur Latino-Kultur,
und wir alle genossen bald die
tropischen Köstlichkeiten, sei es vom
Stand an der Ecke oder direkt von
der Bananenstaude.
Vor der grossen Reise
«Und die Kinder?» Das war wohl
die meist gehörte Frage, wenn wir
über unsere Reisepläne berichteten oder auch im Nachhinein davon erzählen. Tatsächlich mussten
wir uns im Voraus durch mehrere
Behördenhierarchien durchfragen,
bis feststand: Unsere Töchter Annina (3. Klasse) und die Erstklässlerin Seraina konnten uns ohne
grosse Bürokratie für drei Monate
nach Costa Rica begleiten. Dank einer «Lücke» in der bernischen Gesetzgebung muss man die Kinder
einfach beim Schulamt abmelden
wie beim Wegziehen. Und wieder
anmelden bei der Rückkehr. Kein
Gesuch, kein Schulkommissionsbeschluss, nix.
Komplizierter lief es bei einer
Thurgauer Familie, die wir später
am wunderschönen Strand von
Cahuita mitsamt ihren drei Töchtern kennen lernten: Sie durften
erst losziehen, nachdem sie eine
Privatlehrerin verpflichtet hatten. Lehrerin Deborah kam damit
in den Genuss einer Gratis-Mittelamerika-Reise und die Eltern
Reto und Susanne genossen dafür manchmal ihre zusätzlichen
Dienste als Babysitterin. Viele
Wege führen nach Rom. Oder nach
Costa Rica.
Aber zurück zu Annina und
Seraina: Während wir Eltern Sabina (39) und Christoph (37) in der
Sprachschule Riosonador Spanisch
lernten, klemmten sich unsere Mädels ab und zu hinters mitgenommene Lese- oder Rechenbuch. In
der Praxis brachte sie jedoch das
Schreiben von Postkarten oder die
Rechnungen beim Yazzy-Spielen
wohl weiter. Unnötig zu sagen, dass
sie beim Spielen mit ihren neuen
costaricanischen Kameradinnen
oder beim Beobachten der fremden
Sitten oder der Pflanzen und Tiere
mindestens so viel lernten wie im
heimischen Geschichts- oder Naturkundeunterricht.
Einen wichtigen Teil unserer
Reisevorbereitungen nahm die
Routenplanung ein. Wiederum mit
Rücksicht auf die Kinder planten
wir von Anfang an weniger, dafür
längere Aufenthalte pro Ort ein.
Das sollte sich in der Folge bewähren und führte uns von der Hauptstadt San José, Drehscheibe jeder
Costa Rica-Reise, zu den Stationen
Longo Maï im «Valle de El General», an die Pazifikküste bei Uvita,
in den Nordwesten in die Provinz
Guanacaste, sodann an die Karibikküste nach Cahuita und Playa
Chiquita und gegen den Schluss
ins Reservat der Guayimi-Indianer
auf der Halbinsel Osa. Grob gesagt,
bereisten wir das Land im Uhrzeigersinn und bewegten uns per
Bus, Taxi und Flugzeug, aber auch
zu Fuss, auf Pferderücken und per
Velo. Auf das Mieten eines Autos
verzichteten wir bewusst, sowohl
aus Kostengründen wie auch wegen der berüchtigten Strassen, die
sich vielerorts in katastrophalem
Zustand präsentierten.
Südwärts
Nach einigen Tagen zur Akklimatisation sowie einem Besuch bei
der Schweizer Botschaft in San
José zogen wir südwärts. Unsere
erste grosse Busfahrt führte uns
nach San Isidro de El General. Die
Strecke ist Teil der Panamericana,
der Cerro de la Muerte etwa zwei
Stunden nach San José bildet ihren
höchsten Punkt mit gut 3300 m
ü.M.. Ab und zu waren die Nebelfetzen weniger dicht und wir hatten
einen atemberaubenden Blick auf
Moos überwachsene Nebelwälder
und tiefe Täler.
Eine weitere Stunde im Taxi
brachte uns von San Isidro nach
Longo Maï, einem Kooperativendorf mit europäischen Wurzeln.
Nach vielen Schlaglöchern und
etwas Herumfragerei fanden wir
unseren Gastgeber und Sprachlehrer Edoardo Rivera. Noch zu Hause
waren wir stolz gewesen über unser kompaktes Gepäck, aber Edoardo runzelte die Stirn. Schliesslich
konnten wir unsere Habseligkeiten
aber doch im knapp 8 m2 kleinen
Holzverschlag unterbringen, der
für die nächsten 3 Wochen unsere
Unterkunft bildete. Worauf hatten
wir uns da nur eingelassen?
Der herzliche Empfang in der
Familienküche sowie der erste Sonnenuntergang auf der Panoramaterrasse zerstreuten unsere Bedenken
aber rasch, und gerade letztere wurde zu unserem bevorzugten Aufenthaltsort. Die Terrasse war zugleich
unser Schulzimmer, was sich spätestens dann schwierig gestaltete,
wenn Kolibris, Papageien oder auch
die grossen Geier unsere Aufmerksamkeit von der spanischen Grammatik ablenkten.
Lernen und staunen
Das Leben in einer neuen Kultur
und das Erlernen der spanischen
Sprache auf der einen Seite, eine
selbst für zwei Biologen völlig neue,
vielfältigste Tier- und Pflanzenwelt
auf der anderen Seite: die nächsten
drei Wochen waren unsere grosse
Lernzeit in der Neuen Welt. Sabina
sass oft schon in den frühen Morgenstunden auf dem Balkon und
genoss das Erwachen des Dorfes
und seiner zwei- und vierbeinigen
und auch geflügelten Bewohner.
Neben vier Stunden Spanisch
pro Tag unternahmen wir zahlreiche Spaziergänge, Ausflüge und
Ritte in die Umgebung des Dorfes.
So auch an Anninas Geburtstag.
An diesem Samstag ritten wir früh
am Morgen los. Ein Pferd hatten
wir noch vom Nachbarn leihen
müssen, muy tranquilo sei es, also
nichts zu befürchten für einen
unerfahrenen Gringo wie mich.
Schnell zeigte sich aber, dass ich
das rassige Tier ständig zurückhalten musste, wollte ich nicht unsere
Mädchen mit dem vom Sprachzum Reitlehrer mutierten Edoardo
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Ö K O T O U R I S M U S
U N D
Ein Viertel der Fläche Costa Ricas und damit
über 10 000 Quadratkilometer stehen seit
Jahrzehnten unter Naturschutz. Sie sind der
Touristenmagnet Nr. 1 in der so genannten
Schweiz Zentralamerikas,
Zentralamerikas, und immerhin überflügelten in den letzten Jahren die Einkünfte
aus dem Tourismus diejenigen aus der Landwirtschaft um das Fünffache.
Diese Tatsache ist den Ticos bewusst und der
Naturschutz wird deshalb von vielen ernst genommen. Es ist somit eher ein Nutzen orientierter und nicht ideell motivierter Umgang mit
den Naturschätzen, aber immerhin funktioniert
der Naturschutz im Grossen und Ganzen. Das
ist umso wichtiger wenn man weiss, dass jede
vierte Pfl
Pflanzenanzen- und Tierart, welche auf der
Erde vorkommt, auch in Costa Rica heimisch
ist. Nur gerade einen Zehntel grösser als die
Schweiz, hat das kleine mittelamerikanische
Land damit eine riesige Verantwortung für die
globale Biodiversität.
Manuel Antonio, Arenal, Monteverde, Tortuguero, Corcovado und La Amistad sind die
klingenden Namen unter den Nationalparks
Costa Ricas. So spektakulär sie auch sind,
Geheimtipps sind sie schon lange nicht mehr.
Wir zogen es deshalb vor, beispielsweise den
Nationalpark Ballena bei Uvita zu besuchen
statt den Manuel Antonio NP, wo nordamerikanische Kreuzfahrtschiffe die Ausflügler
manchmal zu Dutzenden ans Ufer bringen,
so dass gar Kontingentierungen notwendig
geworden sind. Unsere Highlights waren die
folgenden:
Parque Nacional Ballena, ein knapp 500 m
breiter, aber fast 10 km langer Strandstreifen
und das vorgelagerte Meeresgebiet mit der
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N A T I O N A L P A R K S
Isla Ballena. Dem Namen entsprechend lassen sich manchmal Buckelwale beobachten,
Fregattvögel und Pelikane ziehen über die
Mangrovenwälder und Sandstrände, in der
Saison vergraben die Meeresschildkröten hier
ihre Eier. Einfache Hütten und Touristenzimmer
ziehen Globetrotter und junge Touristen an,
die Stimmung ist fast ein bisschen karibisch.
Reservat Santa Elena im Gebiet von Monteverde. Im Abstand von einigen Kilometern zum
berühmten Privatreservat von Monteverde
liegt das etwas kleinere Nebelwaldreservat
Santa Elena. Es befi
befindet
ndet sich auf öffentlichem
Grund, eine Stiftung ist besorgt für den Besucherempfang und die Führungen, und auch
die Universität beteiligt sich am Erhalt und der
Erforschung dieses etwas weniger überlaufenen Gebiets. Grün, grün, grün, 6 Meter Niederschlag pro Jahr und alles voller Flechten,
Moose und verkrüppelter Bäume. Wer Glück
hat, hört oder sieht gar den Göttervogel Quetzal. Regenbekleidung ist unverzichtbar.
Parque Nacional Cahuita. Die dichtbewachsene Halbinsel liegt gleich neben dem gleichnamigen Ort. Landseitig ist sie von Sumpfland
Sumpfland
begrenzt, der Küste entlang führt ein wunderschöner Wanderweg von 7 km Länge.
Manchmal ist die Aussicht aufs Meer verdeckt
von den zahlreichen Palmen und Meermandelbäumen, in deren Geäst sich häufig Faultiere
verstecken. Brüll- und Kapuzineraffen und ein
Korallenriff vor dem Sandstrand sind weitere
Trümpfe für Naturliebhaber. Beim Schnorcheln
am Riff ist allerdings höchste Vorsicht geboten
wegen der starken Strömungen.
Nationalpark Gandoca-Manzanillo.
Der
Name des Parks ergibt sich aus den beiden
I N
C O S T A
R I C A
Weilern, welche die Ein- respektive Austrittsportale zur Kernzone darstellen. Gandoca
liegt nur noch wenige Kilometer von der panamaischen Grenze und dem Grenzfluss Rio
Sixaola entfernt. Der Park besteht aus Wäldern, Sümpfen und zum Teil steil abfallenden
Klippen, von denen man eine fantastische
Aussicht geniesst. Die Landschaft von Gandoca-Manzanillo empfanden wir schlicht als
paradiesisch.
Der Corcovado Nationalpark ist neben La
Amistad wohl der wildeste von allen. Nur
wenige Fusspfade führen hindurch, es gibt
nur wenige Unterkünfte in Abständen von Tagesmärschen und sowohl das nördliche wie
auch das südliche Ende sind auf «normalen»
Strassen nicht erreichbar. Viele Reisende wählen deshalb den Luftweg. Durch die schwere
Erreichbarkeit hat der Corcovado noch viel
von seiner Ursprünglichkeit bewahrt. Rote
Aras fliegen über die Köpfe hinweg, immer
wieder berichten Reisende von WildkatzenBeobachtungen und wir selber konnten im
Indianerreservat an der Grenze zum Nationalpark Ameisenbär, Tukane, Vogelspinnen,
Brüllaffen, blaue Morpho-Schmetterlinge und
eine Lanzenotter beobachten. Man findet
hier auch die letzten echten Regenwälder mit
einem unüberblickbaren Pflanzenreichtum.
Unerfahrenen Reisenden sei aber die Leitung
durch einen lokalen Führer empfohlen, den
man sich sorgfältig aussuchen oder empfehlen lassen sollte. Puerto Jimenez ist mit seinem Kleinflughafen ein idealer Ausgangsort.
weit hinter mir lassen. Irgendwann
hatte mein Gaul aber genug und so
kam ich zu meinem ersten unfreiwilligen Galopp. Zum Glück konnte ich das Pferd in einen schmalen
Bergpfad lenken und endlich zum
Halten bringen. Auf einem anderen
Pferd legte ich dann noch den Rest
der Strecke zurück und viel später,
im wilden Nordwesten Costa Ricas, genoss ich auch freiwillige Galoppstrecken.
Der Geburtstagsritt führte uns
an einen wilden Bergbach ähnlich der Maggia, das Wasser war
einfach rund zehn Grad wärmer
und in der Wassergischt wippten
Begonienblätter. Bei der Rückkehr
wartete auf Annina eine Piñata, ein
Geburtstagsfest in costaricanischen
Stil. Eine mit Süssigkeiten gefüllte,
bunt bemalte Kiste muss mit geschlossenen Augen mittels eines
Stocks von einem Seil gedroschen
werden.
Im Kooperativendorf Longo Maï
lernten wir nicht nur die Kultur, die
Sprache und die Natur Costa Ricas
kennen, sondern erhielten auch
Einblick in die Sorgen und Nöte der
Kleinbauern. Infolge Spekulationen
auf dem Weltmarkt senkte sich in
den letzten Jahren der Absatzpreis
für Kaffeebohnen immer mehr in
Richtung des Einstandspreises
oder sogar darunter. Die Bauern
vernachlässigen deshalb ihre Felder oder geben die Produktion sogar auf. Leider gibt es nur wenig
Beratung oder neutrale Informationsmöglichkeiten, damit die Kleinbauern auf Nischenprodukte wie
Vanille, Gewürze, spezielle Früchte
oder auch die Produktion von Süsswasserfischen umsatteln könnten.
Das vielerorts angepflanzte Zuckerrohr bringt den einzelnen Familien auch nicht viel Verdienst,
aber immerhin sorgen manchmal
lokale Zuckerfabriken dafür, dass
noch etwas mehr Gewinn in der
Region bleibt. Der Besuch in einer
solchen Fabrik war spannend, da
wir den Prozess vom Verladen aufs
Förderband über das Quetschen
des Zuckerrohrs in antiken Pressen bis hin zum Einkochen des Zuckersaftes verfolgen konnten und
schlussendlich auch sahen, wie die
Arbeiterinnen die fertigen Zuckerstöcke in Kartons stapelten, die wir
später im Supermarkt wieder fanden. Himmlisch umschmeichelte
während der Betriebsbesichtigung
der Caramelduft unsere Nasen,
brutaler traktierte der Lärm allerdings unsere Ohren.
Zwei Premieren
an einem Tag
Die nächste Etappe unserer Reise
brachte für uns gleich zwei Premieren an einem Tag. Auf der Fahrt an
die Traumküste von Uvita gerieten
wir plötzlich in einen Stau. Als wir
aus dem Kleinbus stiegen, sahen
wir sogleich den Grund für den
Fahrzeug- und Menschenauflauf:
ein Faultier lag am Strassenrand,
offenbar unverletzt und nur auf seiner wöchentlichen Toilettenrunde,
welche diese Tiere etwa alle sieben
Tage von ihren Bäumen herabsteigen lässt. Zum ersten Mal sahen wir
einen dieser zottigen Vertreter der
zentralamerikanischen Tierwelt in
freier Natur und realisierten rasch,
dass das nicht nur für uns ein besonderes Erlebnis war.
Auch die anwesenden Ticos (so
nennen sich die Costa Ricaner) waren begeistert, und wir sollten in der
Folge noch mehrmals erleben, dass
die Faultiere so etwas wie Maskottchen für die Einheimischen darstellen. Tatsächlich wurden wir später
einmal Zeuge, wie ein Trucker seinen 40-Tönner auf der Strasse San
José – Limón querstellte, um dann
in aller Ruhe ein Faultier sicher von
der Hauptstrasse zu tragen – etwa
so, wie wenn einer seinen Lastwagen auf der A2 so anhalten würde,
dass kein Auto mehr vorbei kann.
Und keiner hupte!
Nach einigen Fotos ging’s weiter und bald schon erblickten wir
alle zum ersten Mal den Pazifik.
Der Wald erstreckte sich vielerorts noch fast bis zur Küste und so
erhaschten wir nur ab und zu einen Ausblick auf den Sandstrand
und die bei den Surfern so beliebte
Brandung.
Für die nächsten zehn Tage
mieteten wir uns eine Hütte gleich
ausserhalb des Nationalparks Ballena bei Don Jesús. Dieser betreibt
eine Unterkunft mit einfachen
Bungalows und einem Restaurant,
welches mehr durch die familiäre
Atmosphäre als durch besondere Sauberkeit besticht. Da wir fast
zwei Wochen in diesem tropischen
Paradies blieben, wurden wir beinahe zu Insidern und einmal bat uns
Don Jesús sogar, unser Nachtessen
doch selber in der Restaurantküche
zu kochen – der Koch war gerade
auf einer zweitägigen Einkaufstour.
So sehr uns das Vertrauen rührte:
nachdem ich selber einen Blick in
den Kühlschrank und die wenig
appetitliche Tiefkühltruhe geworfen hatte, bestellten wir inskünftig
nur noch unverdächtige Speisen
mit garantiert unverderblichen Lebensmitteln.
Pazifische Highlights
Das Highlight in Uvita waren unsere Sonnenuntergangsbäder im
lauwarmen Pazifik und eine nächtliche Bootsfahrt auf dem rund 50
Kilometer südlich gelegenen Rio
Sierpe, vermittelt durch den Tourenanbieter und Leichtflugzeug-Piloten Georg Kiechle. Im Scheinwerferlicht unseres Führers erspähten
wir Kaimane, Boas und schlafende
Reiher. Auch unsere Mädchen begeisterten sich nach anfänglicher
Zurückhaltung mehr und mehr für
die Tierwelt dieses Klein-Amazonas und waren fast enttäuscht, als
es nach anderthalb Stunden wieder
ans Ufer zurück ging.
Die Bilder von oben nach unten:
Auch ausserhalb der Nationalparks bietet Costa Rica
viel Sehenswertes: auf einem
Bootstrip in einem Flussdelta
beobachteten wir Kaimane und
Vögel. Immer wieder genossen
wir das Badevergnügen in den
Bergbächen, und eine echte
Sensation war unsere erste
Faultierbeobachtung (unten
links). Mancherorts drängen
allerdings Plantagen die Natur
zurück (unten rechts), seien es
eher extensive ZuckerrohrFelder oder die Monokulturen
der Ananasplantagen.
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Durch Georg erfuhren wir noch
so manches über das Leben der
zahlreichen Auswanderer, welche
den Lockungen dieses costaricanischen Paradieses erliegen. Nicht
alle gründen so erfolgreich eine
neue Existenz wie dieser deutsche
Flugingenieur, der nach vielen
Jahren Aufbauarbeit, Kampf mit
Behörden und organisatorischen
Komplikationen langsam den
Silberstreifen am Horizont sieht.
Sein Flugunternehmen, das spektakuläre Rundflüge über Mangrovensümpfe und Traumstrände
bietet, hat inzwischen nicht nur
in Touristik-Kreisen einen soliden
Ruf. Georg arbeitet auch mit bei
der regionalen Entwicklung dieser teils noch sehr rückständigen
Provinz.
Rückblickend bedaure ich an
unserem Costa Rica Trip eigentlich
am meisten, dass ich nicht meinen
Mut und ein paar Dollar zusammen
gekratzt habe, um im Ultraleichtflugzeug nur wenige Meter über die
Wellenkämme zu brausen oder den
Windungen des Rio Sierpe aus der
Luft zu folgen.
Flugabenteuer
Die drolligen Ameisenbären, für
Menschen nicht gefährlich, gehören
zu den unzähligen natürlichen Touristenattraktionen Costa Ricas – hier bei
einer gemütlichen Baumkletterei.
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Kurze Zeit später hatten wir dann
doch noch Gelegenheit, «unseren»
Traumstrand aus der Luft zu geniessen. Wie unser Reisetagebuch
schildert, war der Trip mit der
halbstaatlichen
Fluggesellschaft
Sansa von Palmar Sur nach San José
durchaus abenteuerlich:
«Bei unserer Ankunft am Flugplatz ist der Rolladen noch geschlossen. Erst kurz vor Ankunft
des Flugzeugs kommt eine Frau
und öffnet die Bude, die eher einem
baufälligen Kiosk gleicht. Unser
«Flugticket» ist ein handgeschriebener Zettel (mit einem 5-Buchstaben-Code als wichtigstem Merkmal), den ich über den Holztresen
schiebe. Die Frau lächelt – ah, die
Familia, und ich bin dieses einzige
Papier los, das von unserer 275Dollar-Investition in einen Flug
zeugte. Schliesslich ist Motorenlärm zu vernehmen, und einige
Jungs gehen zur Pistenabsperrung
− drei orange Verkehrshüte. Sie tragen das Gepäck der Ankommenden
unter das Holzdach, nachdem die
zweimotorige Twin Otter zum Stillstand gekommen ist. Wir steigen in
das buntbemalte Flugi ein und kurz
nach dem Abheben geniessen wir
schon die herrliche Aussicht auf die
Bahia Uvita. Der Einflug ins Valle
Central rund um San José gestaltet
sich dann sehr holprig, wir purzeln
von Luftloch zu Luftloch. Für die
Die Bilder:
– Mit Anstoss an die beiden
Weltmeere Pazifik und Karibik
verfügt Costa Rica über Hunderte
Kilometer abwechslungsreicher
Küsten. Georg Kiechle überfliegt
mit seinem Ultraleichtflugzeug den
Traumstrand von Uvita (Bilder oben
rechts und links).
– Die Karibik ist bekannt für
gepflegte Hotels im Kolonialstil
(zweites Bild von oben rechts).
– Am Pazifik gibt es grosse Fischereiflotten, doch wirklich fasziniert
waren Annina und Seraina von
einem am Strand gefundenen
Kugelfisch.
nächsten drei Jahre können wir aufs
Achterbahn fahren verzichten.»
Costa Ricas
«Wilder (Nord)Westen»
San Buenaventura hiess unsere nächste Station in der Provinz
Guanacaste. Diese Finca ist ideal
gelegen zwischen dem Golf von
Nicoya und der Bergregion Monteverde. Der Schweizer Don Pedro
Walter renoviert diese ehemalige
Farm gemeinsam mit seiner costaricanischen Partnerin Consuelo.
Obwohl noch im Aufbau begriffen, bietet San Buenaventura neben
Unterkunft und Verpflegung schon
jetzt verschiedene Ausflüge.
Wir waren besonders beeindruckt von den Ausritten mit Luis,
der als Einheimischer nicht nur
Fauna und Flora ausgezeichnet
kannte, sondern auch wusste, welche Orte für die Touristen lohnende
Ausflugsziele darstellen. Die ganze
Familie hoch zu Ross, führte er uns
durch das Cowboyland der Ticos
und behielt auch dann die Ruhe,
wenn das Maultier unserer Jüngsten wieder bockte oder Annina und
ich plötzlich losgaloppierten, weil
unsere Pferde grad einen Energieschub hatten. Wir wurden aber mit
dem Reiten immer vertrauter und
erkundeten so die Sehenswürdigkeiten der Umgebung.
Für den Ausflug in den Monteverde-Nationalpark wurden wir von
Luis dann aber im Geländewagen
zum Ausgangspunkt der zweistündigen Wanderung gebracht. Noch
nie vorher in meinem Leben hatte ich etwas Grüneres gesehen als
diesen Nebelwald, auf den im Jahr
bis zu 6 Meter Regen nieder prasseln. Moose, Farne, Orchideen und
Lianen prägten die Szene, bloss der
Göttervogel Quetzal liess sich nirgends blicken. Wir Botaniker kamen kaum mehr aus dem Staunen
heraus, aber unsere Mädels waren’s
nach einer Stunde leid. So viel Re-
gen, so viele Pflanzen, aber kaum
ein Tier! Da brauchten wir auch gar
nicht nach dem Arenal Ausschau zu
halten, einem der wenigen noch aktiven Vulkane des Landes in knapp
20 km Entfernung.
Paradiesische Karibik
Nach dem Aufenthalt in Guanacaste
waren wir reif für die Karibik. Wiederum nach einer Übernachtung
in San José zogen wir am nächsten
Tag ins karibische Tiefland. Nach
einer rund vierstündigen Busfahrt
kamen wir in Cahuita an und mieteten uns sogleich bei Christine in
den Aché Bungalows ein. Vor Jahren schon wanderte die Bündnerin
aus und ist nun stolze Besitzerin
von drei gediegenen, achteckigen
Bungalows gleich ausserhalb des
Nationalparks von Cahuita.
Am Morgen und am Abend
schüchterten uns zumindest am
Anfang die Brüllaffen mit ihrem
Geschrei ein, während sie in den
Baumkronen über unserem Häuschen sippenweise herumturnten.
Wie schon am Pazifik waren wir
auch hier von der Meerwasserqualität etwas enttäuscht, auch wenn’s
lange nicht so schlimm war wie in
Uvita. So verbrachten wir die ersten
Tage mit Wanderungen durch den
Nationalpark, entdeckten weit oben
in den Ästen Faultiere und einmal
besuchten wir auch die süssen
Faultier-Babies in der Aufzuchtstation «Aviarios del Caribe».
Die Karibikküste Costa Ricas
ist ein Surfer- und Rasta-Mekka.
«Marihuana-Rauchen ist im Laden
verboten, gehen Sie doch bitte nach
draussen», besagte ein Schild über
einer Ladentheke im Nachbardorf
Puerto Viejo.
Quasi auf Rekognoszierungstour
zogen wir südwärts − und landeten im Paradies. Der Nationalpark
Gandoca-Manzanillo an der panamaischen Grenze bietet alles, was
einen tropischen Strand ausmacht.
Von Palmen gesäumte Strände, feiner, weisser Sand, Riffe mit Korallen und bevölkert von unzähligen
farbenfrohen Fischen. An der Playa
Chiquita fanden wir unser Traumhotel und hatten die Qual der Wahl,
ob wir nun noch ein drittes Mal am
gleichen Tag schnorcheln gehen,
noch etwas in der Hängematte weiterdösen oder doch lieber den Tukanen zusehen wollten, welche gleich
neben der Veranda brüteten.
Bei den Indianern im
Regenwald
Nach wochenlangem Versuch
schafften wir es eines Tages, mit Daniela telefonisch Kontakt aufzunehmen, wie wir es von zu Hause aus
vereinbart hatten. Damit kündigte
sich die letzte Etappe unserer Reise
an, ein dreiwöchiger Aufenthalt in
einem Indianerreservat mitten im
Regenwald. Die Bielerin Daniela Käser ist dort seit drei Jahren mit Esteban Carrera verheiratet, einem Indianer aus dem Volk der Guayimi.
Einmal mehr reisten wir nach
San José, um am nächsten Tag das
Flugzeug südwärts nach Puerto Jimenez zu besteigen, dem Hauptort
auf der Halbinsel Osa. Schon beim
Anflug wurde uns klar, dass es nun
wild werden würde. Vom Flugzeug
aus sahen wir, dass sich die dichten
Wälder bis an die Ufer des Golfo
Dulce hinab zogen. So durfte es
eigentlich nicht verwundern, dass
wir gleich bei unserer Ankunft von
einem Paar roter Aras überflogen
wurden, die sich krächzend zu ihren Artgenossen auf einer hohen
Palme niederliessen. Seraina schrie
auf vor Begeisterung, wir waren tief
beeindruckt.
Eine
einstündige
Busfahrt
auf einer Schotterpiste, eine halbe Stunde Fahrt im Pickup und
schliesslich nochmaliges Durchschütteln im 4WD inklusive drei
Flussquerungen brachten uns zum
Indianerreservat gleich ausserhalb
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A
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igentlich per Zufall haben wir unterwegs
immer wieder Kontakt mit Auswanderern
geknüpft. Nicht dass wir uns selber ernsthaft mit dem Gedanken trugen, in Costa Rica
zu bleiben. Aber im Gespräch mit diesen
Deutschen, Schweizern, Österreichern oder
auch Amerikanern bekamen wir sehr viel mit
über die costaricanische Gesellschaft, das
Land, dessen Bürokratie, aber auch die neuere
Geschichte, und natürlich kamen wir so auch
immer wieder zu heissen Ausflugtipps.
Eine erste Begegnung hatten wir mit Christoph
Burkhard, einem vor über 12 Jahren ausgewanderten Schweizer in Longo Maï. Christoph
ist so etwas wie der Chronist der Kooperative. Als politisch interessierter Mensch verfolgt
er die Entwicklungen in Costa Rica und Zentralamerika sehr genau und kämpft vor allem
mit der Feder gegen den Machteinfluss der
oft US-amerikanischen Grosskonzerne. Eine
grosse Sorge von Christoph Burkhard ist die
Landnahme durch die Agrarmultis, welche
ganze Talschaften aufkaufen. Nach kurzer
Zeit erstrecken sich dann die Ananas- oder Bananenmonokulturen von einem Horizont zum
anderen. Würde der Boden in Longo Maï frei
handelbar, wäre auch das Kooperativendorf
mit seinen letzten Primärwäldern arg bedroht.
Bei unserer Weiterfahrt nach Uvita begegneten
wir Georg Kiechle. Ursprünglich weil ich eine
Agentur zur Reservation von Flugtickets suchte,
landete ich im «Flying Circus» von Georg. Er
lebt seit sieben Jahren in Uvita und betreibt ein
Flugunternehmen mit Ultraleichtflugzeugen,
die er als ehemaliger Flugingenieur teilweise
selber baut und entwickelt. Von seinen luftigen
Ausflügen her kennt er die grandiose Natur
der südlichen Pazifikküste bestens und kann
einem deshalb gute Tipps geben zu Sehenswürdigkeiten und Ausflugzielen. Zu meinem
heutigen Bedauern wagte ich keinen Flugtrip,
aber unvergesslich bleibt der ganzen Familie
die nächtliche Bootsfahrt auf dem Rio Sierpe,
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S
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N
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E
welche uns Georg vermittelte. Wir glitten sanft
durch den nachtschwarzen Klein-Amazonas
und der Scheinwerfer erfasste Kaimane, Boas
und zahlreiche Vögel.
Georg Kiechle erzählte mir auch eine Geschichte zur Entstehung einiger Nationalparks,
die mir teilweise von der deutschen Botschaft
bestätigt wurde. Gleich bei Ausbruch des
zweiten Weltkriegs war Costa Rica eines der
ersten Länder, welches Deutschland den Krieg
erklärte. Es kam in der Folge zu Enteignungen
von deutschen Grossgrundbesitzern, und offenbar sind bis heute einige dieser Ländereien
nicht zurück gegeben worden. Georg glaubte
sogar zu wissen, dass die Regierung einige
solcher Gebiete in Nationalparks umwandelte
und sie damit als geschützte Gebiete den Privatansprüchen der ursprünglichen Besitzer entzog. Das war eine sehr spannende Ergänzung
zu unseren bisherigen Kenntnissen.
Eine weitere Auswanderer-Geschichte liest
sich wie ein Abenteuerroman. Als ich mitten
in der Nacht einen Notfall-Transport ins Spital
brauchte, dampfte Markus Frauli mit seinem
4WD-Taxi an. Wie ich auf der langen Holperfahrt erfuhr, war es sein einziges Überbleibsel
aus einem missglückten Versuch, eine Goldmine zu gründen. Vor zehn Jahren hatte Markus
mit einem Kollegen in Guanacaste ein Terrain
gekauft, um Gold zu fördern. Mehrere Jahre
führten sie ohne Erfolg Sondierbohrungen
und Grabungen durch. Als sie schon fast alles Geld aufgebraucht hatten, engagierten sie
nochmals einen Geologen aus Deutschland,
der ihnen prompt bestätigte, dass es ein Goldvorkommen gibt, allerdings unterhalb ihres bisherigen Stollens. Für eine Neugrabung konnten sie dann nicht genügend investieren, und
wie es manchmal in Costa Rica mit extensiv
genutztem Gelände geschieht, wurde es von illegalen Landbesetzern beschlagnahmt. Selbst
mit Regierungshilfe lässt sich in solchen Fällen
kaum etwas ausrichten. So blieb Markus am
R
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Schluss nur noch der Geländewagen, mit dem
er südwärts zog und nun auf der Halbinsel
Osa nahe am Corcovado-Nationalpark Taxidienst versieht. Inzwischen hat er wohl den
Kurs zur Erlangung einer Taxilizenz absolviert
und darf seine Dienste hoffentlich legal anbieten. So oder so wird es schwierig bleiben, genug Geld für seine hier gegründete Familie zu
verdienen: er hat eine Frau und zwei Kinder,
und 50 Dollar sind schon ein guter Tagesverdienst.
Natürlich gibt es auch ausgewanderte Frauen.
Jedes Jahr ein neues Bungalow, das ist das
Motto von Christina Plattner. Nach einem ersten Versuch im Beherbergungsgeschäft steht
sie nun auf eigenen Füssen und hat ein Stück
Land gleich angrenzend an den Nationalpark
Cahuita erstanden. Neben ihrem eigenen
achteckigen Bungalow steht eine einstöckige
Kopie davon, deren Vermietungskosten ihr den
Lebensunterhalt ermöglichen. Das dritte der
Aché Bungalows finanziert die Reparatur- und
Investitionskosten und das vierte, im Bau befindliche Häuschen soll Christina bald ermöglichen, auch etwas Geld zu sparen. Sie kann
dann beispielsweise auch wieder einmal mit
ihrer Tochter einen Besuch in der Schweiz machen, wie sie Sabina von Bündnerin zu Bündnerin anvertraute.
Für viele stellt so ein Dasein sicherlich das Ziel
ihrer Träume dar, und tatsächlich kann man
wohl sagen, dass Christina es geschafft hat.
Immer wieder sind ihr aber die Bürokratie und
die Verhandlungen mit den Behörden ein Ärgernis und bestimmt hilft ihr dabei auch ihr
Partner Dexter, ein typischer Vertreter der karibischen Einwohner Costa Ricas. Mit seinen
Rastalocken und seinem dunklen, muskulösen
Körper gemahnt er ein wenig an Bob Marley,
aber Dexters Virtuosität zeigt sich vor allem
beim Hausbau und seiner Erfindungsgabe,
mit dem vorhandenen Material auch knifflige
haustechnische Probleme zu lösen.
des Corcovado-Nationalparks. Dort
wartete Esteban mit vier Pferden,
die uns nach einem zweistündigen
Ritt durch den Wald schliesslich zu
einer hoch gelegenen Waldlichtung
transportierten.
Wir waren in der Tamandu Lodge angelangt, der kleinen Siedlung
der Familie Carrera, und waren nun
von der Zivilisation entfernter als je
zuvor. Ein Funktelefon und einige
Solarzellen waren die wichtigsten
technischen
Errungenschaften,
welche sich vor Ort finden liessen
– mit Ausnahme des Fernsehers natürlich, der aber hauptsächlich der
Übertragung von Fussballspielen
diente. Ein Segen war das fliessende
Wasser, welches die Indianer an einer Quelle im Regenwald abgezapft
hatten und mittels Schläuchen in
alle Unterkünfte führten, was beileibe keine Selbstverständlichkeit
darstellt in dieser Region.
Die Guayimi-Indianer leben zu
einem grossen Teil als Selbstversorger und verdienen sich etwas Geld
als Tagelöhner im Zuckerrohr- oder
Kaffeeanbau. Das bescheidene Tourismus-Projekt der Carreras soll es
längerfristig möglich machen, dass
die Männer nicht mehr während
mehrmonatigen Arbeitseinsätzen
von ihren Familien getrennt leben
müssen.
Gleich am nächsten Morgen
statteten wir unter Führung der
beiden Brüder Esteban und Anastasio dem Regenwald einen ersten Besuch ab. Wir betraten eine für uns
völlig unbekannte Welt. Während
in einem reichhaltigen Schweizer
Wald vielleicht zwanzig verschiedene Baumarten wachsen, waren es
hier etwa tausend. Wir sahen Geckos, ernteten Palmherzen und auf
der Rückkehr begegneten wir auf
einem frisch gerodeten Feld einem
kleinen Ameisenbär. Er war gerade
im Begriff, ein Bienennest auszuräumen und würdigte uns wohl
in Erwartung des süssen Honigs
kaum eines Blickes.
Die Tier- und Pflanzenwelt sollte die grosse Attraktion werden
während unserem Aufenthalt bei
den Guayimis. Seien es Schlangen,
Frösche, Raupen oder die grossen
blauen Morpho-Schmetterlinge auf
Ausflügen, unzählige Ameisenarten
mit kleinen, grossen, feinen, wehrhaften, roten oder auch goldigen
Körpern auf den Waldpfaden oder
schliesslich auch Kakerlaken, Taranteln oder die als Blätter getarnten Gespensterschrecken in unserer
Unterkunft: die Tierwelt begleitete
uns auf Schritt und Tritt und war
durch hundertfache Geräusche
auch nachts immer präsent.
Heikle Momente
Bei aller Begeisterung und allem
Staunen gab es auch heikle Situationen. Ein Spaziergang über wenig
begangene Urwaldwege konnte
schnell gefährlich werden, weshalb
wir uns meistens nur mit Anastasio
oder Esteban ins Dickicht wagten.
Prompt blieb dieser anlässlich
eines Waldspaziergangs einmal
wie angewurzelt stehen, als wir uns
einem Asthaufen näherten, welcher
mitten auf dem Trampelpfad lag. In
den paar Monaten, in denen niemand mehr hier durchgekommen
war, hatte eine Boa ihr Nest darin
eingerichtet. Das Exemplar, welches wir nur knapp durch ein paar
Lücken im Laub erspähten, mochte
seine 2-3 Meter Länge gehabt haben. Die Würgeschlange wäre uns
somit nicht gefährlich geworden.
Dennoch hackte Esteban mit seiner Machete einen Umweg durchs
Gestrüpp, da er meinte, ein Biss
der Boa sei mit demjenigen eines
Hundes zu vergleichen. Das kann
im Busch rasch zu Komplikationen
führen, wenn man eine Tagesreise
vom nächsten Arzt entfernt ist.
Am eigenen Leib konnte ich übrigens testen, was «notfallmässig
ins Spital gehen» in dieser Ecke
Costa Ricas bedeutet. Gleich in unserer zweiten Nacht in der Tamandu
Lodge wälzte ich mich vor Schmerzen auf dem Holzboden der Hütte.
Sabina notierte noch am gleichen
Tag ins Tagebuch: «Jetzt wurde es
ernst. Ich musste die ganze Fami-
lie wecken, und das um 1.30 Uhr in
der Nacht. Die Ambulanz sollte bis
zum Fluss kommen, aber sie war
gerade in Reparatur. Also wurde
ein Taxi ins nächst grössere Spital
organisiert, die zwei Stunden Ritt
in finsterer Nacht hat Christoph
gemäss Aussage seiner Begleiter einigermassen überstanden. Seither
haben wir noch nichts gehört. Das
Warten und die Ungewissheit sind
mehr als unangenehm. Vertraue
ich auf meinen Optimismus und
auf das von der Carrera-Familie gemurmelte «Heil-Gebet» um 2 Uhr
in der Früh? Was war das bloss für
eine «Kolik», die Christoph da erleiden musste?»
Wie eingangs erwähnt, brachte
meine siebenstündige Odyssee ins
nächste Spital nur eine Fehldiagnose, zwei Packungen Medikamente
im Falle wiederholter Schmerzen
und die gesamthaft eher unangenehme Bekanntschaft mit dem
Gesundheitssystem Costa Ricas im
Spital von Golfito. Auf der anderen
Seite bleiben auch unauslöschliche
Erinnerungen an die Hilfsbereitschaft der Indianer und des ebenfalls ausgewanderten Taxifahrers
Markus, den überirdisch schönen
Sonnenaufgang über dem Golfo
Dulce und die glühenden Augen im
pechschwarzen Dschungel anlässlich meines nächtlichen «Notfallritts».
Bau eines Natur-Lehrpfads
Während drei Wochen konnten
wir am Leben der Familie Carrera
auf der Tamandu Lodge teilhaben
und lernten viel Neues. Sabina und
Annina knüpften mit der «Ersatzgrossmutter» Donna Nena stundenlang Taschen aus selbstgefertigten Schnüren aus Pflanzenfasern.
Mit den beiden Brüdern Esteban
und Anastasio legte ich am Waldrand einen Natur-Lehrpfad samt
kleinem Orchideengarten an. Das
kostete viel Schweiss und Mühe,
aber am Ende malte ich voller Stolz
das Schild zur Eröffnung des «Sendero Tamandu», welcher künftig
Die Bilder:
Am meisten profitierten wir, wenn
uns die Ticos in die Geheimnisse ihrer
Welt einführten. Nie hätten wir es gewagt, den Pfeilgiftfrosch selber in die
Hand zu nehmen (unten links), und
auch vor dem diebischen Wesen der
Weisskopf-Kapuzineraffen hatten wir
Respekt. Donna Nena führte Annina
in die Knüpfkunst mit Naturfasern
ein. Als kleines Gegengeschäft boten
wir im Indianerdorf Englisch-Lektionen an. Dank unserem Spanischlehrer Edoardo (Bild ganz oben) konnten
wir das Land allmählich auch auf
dem Pferderücken erkunden.
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den Touristen als ungefährliche
Einführung in die heimische Tierund Pflanzenwelt dienen wird. Wie
ich inzwischen erfahren habe, gedeihen und blühen die Orchideen
regelmässig, Sammelgut, das wir
auf umgefallenen Baumstämmen
oder nach heftigen Regenfällen im
Regenwald gesucht hatten.
Es gäbe noch hundert tolle
Erlebnisse von unseren Wanderungen im Dschungel zu berichten, von den Badeausflügen in die
Urwaldflüsse oder dem immer
wieder stattfindenden Austausch
mit den Indianern. Schlussendlich waren wir aber auch froh, den
Heimweg anzutreten und unsere
von Dutzenden Milben zerstochenen und juckenden Körper
im nahe gelegenen Meer zu behandeln oder die Segnungen der
Zivilisation in Puerto Jimenez zu
geniessen. Nie hätte ich gedacht,
dass unsere Costa-Rica-Reise so
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abenteuerlich werden würde, aber
es war ja im Voraus auch unvorstellbar, mit wie viel reichen und
unvergesslichen Erfahrungen wir
heimkehren durften.
Nochmals kamen wir in den
Genuss einer Luftansicht Costa
Ricas, als uns das Kleinflugzeug
von Puerto Jimenez zurück nach
San José brachte. Dort nutzten wir
die Zeit zur Umstellung auf die
hektische Zivilisation und profitierten von den günstigen Shopping-Gelegenheiten rund um den
Mercado Central.
Erfahrungen sind Gold wert
Nach unserer Rückkehr beschäftigten die Zuhörer unserer Abenteuer vor allem zwei Fragen.
Erstens: «Hattet ihr keine Mühe,
euch wieder einzuleben in der
Schweiz?» und zweitens: «War der
Schulanschluss für die Kinder kein
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Einreise und Verkehrsmittel
Reisen mit Familie
Wir buchten einen Flug mit Iberia von Genf aus, mit
einmaligem Umsteigen in Madrid. Das war etwas
teurer als via USA, doch ersparten wir uns die unsäglichen Gepäck- und Personenkontrollen in den
USA, welche uns andere Reisende schilderten. Im
Land selber bewegten wir uns hauptsächlich mit
Bussen und für grössere Strecken per Flugzeug
fort. Auf ein Mietauto verzichteten wir angesichts
der manchmal sehr prekären Strassenverhältnisse.
War ein Ort trotz des eher dichten Busnetzes nicht
erreichbar, verhandelten wir einen günstigen Taxitransfer.
Immer wieder führen die Wege via die Hauptstadt San José, so dass wir zeitweise einen Teil
des Gepäcks im Hotel deponierten.
Die Einwohner von Costa Rica oder «Ticos», wie
sie sich nennen, sind meistens sehr kinderliebend. Damit ist einem oft nicht nur Tür und Tor
geöffnet, sondern man hat auch viel besseren
Familienanschluss. Wir lernten dabei enorm viel
über Sitten und Gebräuche und erhielten tiefe
Einblicke ins Alltagsleben. Fast gewannen wir den
Eindruck, Reisen als Familie sei sicherer, da wir
einen gewissen Respekt verspürten und als Familie
auch z.B. nie um Drogen angegangen wurden.
Für Kinder bezahlt man im Hotel häufig nichts und
so kommt das Reisen kaum teurer als zu zweit.
Verpflegung
Die Küche Costa Ricas verspricht keine kulinarischen Höhenflüge. Bei Familienunterkünften
auf dem Lande ist eine dreimalige Verköstigung
am Tag mit «Gallo Pinto» (Reis mit schwarzen
Bohnen) üblich. Am meisten genossen wir die
tropischen Früchte, stückweise oder gemixt als
Jugo/Juice. Fast überall kriegt man auch guten
Fisch und Meeresfrüchte, aber am besten zubereitet werden sie an der Karibikküste.
Unterkünfte
Costa Rica hat Unterkünfte für jedes Portemonnaie. Günstige Unterkünfte gibt’s schon ab 12–15
Dollar pro Nacht und Person, für die ganze Familie zahlten wir häufig um die 50 $ in MittelklasseUnterkünften, sogar in San José. Wer gehobene
Ansprüche hat, kann sich in Luxushotels zum entsprechenden Preis auch nach Strich und Faden
verwöhnen lassen. Wie überall lohnt es sich, ein
paar Unterkünfte miteinander zu vergleichen oder
Tipps von anderen Travellern einzuholen.
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Es schien mir auch oft, dass das als
«Schweiz von Mittelamerika» gepriesene Land wohl schon besser
funktioniert hat in der Vergangenheit.
Was die Kinder betrifft, werden
sie wohl ein Leben lang von den
gemachten Erfahrungen zehren.
Dann und wann übten wir etwas
Lesen und Schreiben oder lösten
spielerisch einige Rechenaufgaben
und so meisterten Annina und
Seraina den Wiedereintritt in die
Schule problemlos.
Aber selbst im gegenteiligen
Fall würden all die neuerworbenen Kenntnisse bei weitem
überwiegen, angefangen bei der
Naturkunde über gesellschaftliche
Fragen bis hin zu wirtschaftlichen
und geschichtlichen Zusammenhängen. Und am wertvollsten die
persönlichen Erfahrungen mit
all den verschiedenen «fremden»
Menschen.
Problem?» Beides kann ich ohne
zu Zögern mit nein beantworten.
Ich selber freute mich auf die
Rückkehr, da ich des Öfteren
Schwierigkeiten hatte mit der Mentalität der Ticos. Selbstvertrauen
und Eigenverantwortung sind in
dieser streng hierarchischen und
überreglementierten Gesellschaft
nicht oft zu finden. Das macht
selbst simple Probleme oft nur
schwer lösbar und führt zu viel
Fatalismus und Korruption.
Trotz dem seit 60 Jahren bestehenden
Schulobligatorium
scheinen die Nachwehen der einst
brutalen Kolonialisierung inklusive Auslöschung des Mittelstandes
noch immer zu wirken. Mit Ausnahme der Indianer vielleicht, die
wir ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung (die Ticos halten
die Ureinwohner für dumm und
faul) als sehr zupackend, findig
und vorausschauend erlebt haben.
Telekommunikation
Je weiter man von San José entfernt ist, umso
schwieriger wird das Telefonieren und damit auch
der Kontakt via E-Mail/Internet. Zwar gibt es fast
überall Internet-Cafés, aber gerade im Süden ist
das alte Modem noch Standard. Breitband-Anschlüsse sind in San José inzwischen üblich und
so lohnt es sich, bei den zwangsläufigen Umsteigehalten in der Hauptstadt auch noch schnell
im Internet-Café vorbeizugehen oder sich ein
entsprechendes Hotel zu suchen. Aus den gleichen Gründen ist Geldwechsel oder Geldbezug
mit Kreditkarte in der Hauptstadt auch einfacher.
Immer mehr gibt es glücklicherweise Bankautomaten mit dem blauen Plus-Logo, welche bei
Fütterung mit Schweizer Postcards willig Colones
ausspucken. Das erspart die nervtötenden Wartezeiten und die Bürokratie am Bankschalter.
Unsere persönlichen heissen Tipps
Viele gute touristische Angebote in Costa Rica
verfügen über entsprechende Internet-Auftritte.
Hier sind die Informationen zu unseren Erlebnissen am einfachsten zu holen.
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O
N
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N
➔ Sprachschule im Kooperativendorf Longo Maï:
www.sonador.info
➔ Informationen zum Flugunternehmen von
Georg Kiechle und den Sehenswürdigkeiten von
Uvita: www.fly-ultralight.com
➔ Pedro Walters Finca:
www.sanbuenaventura.ch
➔ An der Karibik hatten wir zwei tolle
Unterkünfte. Erstens bei Christine in Cahuita,
Beschreibung unter www.bungalowsache.com.
Richtig gediegen war’s im Aguas Claras: www.
aguasclaras-cr.com
➔ Nicht immer einfach ist die Suche nach
einem preiswerten Hotel in San José. Wir
können zwei besonders empfehlen: Das Hotel
Aranjuez unter
www.hotelaranjuez.com, und gleich gegenüber
das Kap’s Place. www.kapsplace.com
➔ Das wirklich Eindrücklichste war natürlich
unser Besuch bei den Guayimi, bei Daniela
Käser und der Familie Carrera.
Die Tamandu-Lodge hat auch eine Homepage:
www.tamandu-lodge.com
Reisehandbücher
• Reise-Know-How
«Costa Rica» (deutsch), 7.
Aufl. 2005, 620 Seiten,
Fr. 39.50,
ISBN 3-8317-1391-X
• Lonely Planet «Costa
Rica» (englisch), 6. Auflage Nov. 2004, Fr. 36.80,
ISBN 1-74059-775-3
• «Spanisch für Costa
Rica» Kauderwelsch-Sprechführer,
ud
lsch
Verlag ReiseKnowHow, Fr. 14.60, ISBN 3-89416-315-1
©Globetrotter Club, Bern