Formatvorlage Tagungsband (überschreiben)

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Formatvorlage Tagungsband (überschreiben)
Source Code Escrow
Leonz Meyer
Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M., SCHMID Rechtsanwälte, Zürich
[email protected]
1.
Einleitung
Bei zahlreichen Softwareverträgen kommt es zu einer Lieferung von Software an einen
Abnehmer. Dies kann bspw. im Rahmen eines Software Entwicklungsvertrages geschehen, bei welchem der Abnehmer den Lieferanten beauftragt, eine massgeschneiderte
Software zu entwickeln und bei ihm zu installieren. Eine solche Lieferung kann aber auch
bei Massengeschäften vorkommen, wenn bspw. ein Hersteller von Standardsoftware seine Produkte einer Vielzahl von Abnehmern verkauft und ihnen daran eine Lizenz einräumt. Es stellt sich bei solchen Lieferverträgen regelmässig die Frage, ob der Abnehmer
Einblick in den Source Code erhält.
Der Source Code (oder zu Deutsch Quellencode) ist ein wichtiges und wertvolles Geschäftsgeheimnis des Lieferanten1. Der Source Code beinhaltet die Gesetzmässigkeiten
eines Software Programms einschliesslich Algorithmus und schöpferische Befehlsanordnungsschritte2. Der Source Code ist der Kern der schöpferischen Leistung des Software
Programmierers. Soll die Software später um eine weitere Nutzung ergänzt oder für das
Zusammenwirken mit einer neuen Funktion geändert werden, so ist dies am effizientesten auf Grund einer Analyse und Bearbeitung des Source Codes möglich. Auch die
Fehlerbehebung, aber auch schon die üblichen Wartungsarbeiten, werden effizienterweise, manchmal notwendigerweise, auf der Basis des Source Codes vorgenommen.
Wegen des Geschäftsgeheimnischarakters will der Lieferant den Source Code grundsätzlich nicht herausgeben. Der Code enthält seine schöpferische Leistung, die möglicherweise erst auf Grund langer Forschung und Entwicklung möglich war. Wer Einsicht in den
Source Code hat, wird in die Lage versetzt, dieses Wissen unbemerkt zu kopieren, um
dadurch vom lange erarbeiteten Know-how zu profitieren.
Viele Abnehmer zeigen zum Zeitpunkt des Software-Erwerbs kaum Interesse am Source
Code. Ihnen ist wichtig, dass die Software funktioniert und sie sich problemlos nutzen
lässt. Treten Probleme auf, wenden sie sich entweder auf Grund der Gewährleistung oder
gestützt auf einen Wartungsvertrag an den Lieferanten und sind grundsätzlich nicht versucht, durch Einblick in den Source Code selbständig Fehlerbehebungen oder Erweiterungen des Programms vorzunehmen. Diese Interesselosigkeit wird sich jedoch ändern,
wenn der Software Lieferant in Konkurs geht, ins Liquidationsstadium tritt, seinen Betrieb
1
FELIX H. THOMANN, Softwareschutz durch das Urheberrecht, in: Softwareschutz, Bern
1998, Seite 52, unter Zitierung eines Entscheids des Kantonsgerichts Nidwalden vom 15.
Februar 1989 (SMI 1989, S. 271); STEFAN GERSTER, Das Escrow Agreement als obligationenrechtlicher Vertrag, Zürich 1991, S. 25
2
KURT U. BLICKENSTORFER, Der Sourcecode-Escrow, in: Softwareschutz, Bern 1998, Seite
213.
2
einstellt oder bspw. wegen Weggang von Know-how-Trägern nicht mehr in der Lage ist,
Wartungs- oder Reparaturdienstleistungen zu erbringen. In diesen Fällen hat der Abnehmer ein Interesse daran, Zugriff auf den Source Code zu erlangen, um bspw. einem anderen Softwareunternehmen den Auftrag geben zu können, die Software zu warten oder
zu bearbeiten.
2.
Source Code Escrow als suboptimales Ergebnis von Vertragsverhandlungen
Eine erste Analyse der oben skizzierten Interessenlage ergibt, dass der Lieferant in Vertragsverhandlungen mit einem Abnehmer primär danach trachten wird, den Source Code
nicht herauszugeben. Er erreicht damit, dass sein Geschäftsgeheimnis gewahrt bleibt und
der Abnehmer bis auf weiteres in einem gewissen Mass von ihm abhängig ist.
Verhandelt der Lieferant gut oder werden wir Anwälte beauftragt, den Lieferanten bei den
Vertragsverhandlungen zu unterstützen, so ist demnach anzustreben, den Source Code
geheim zu behalten und nicht herauszugeben.
Umgekehrt tut ein Abnehmer gut daran, bei der Vertragsverhandlung die Herausgabe einer Source Code Kopie durchzusetzen. Auch die Anwälte sollten bei einer Beauftragung
durch den Abnehmer zum Ziel haben, die Mitlieferung einer Kopie des Source Codes an
den Abnehmer zu erreichen. Der Abnehmer ist dadurch in die Lage versetzt, notfalls mit
Hilfe eines anderen Software-Unternehmens direkt ab Source Code Änderungen zu planen und umzusetzen.
Kann zwischen diesen Interessengegensätzen keine Einigung gefunden werden, so besteht eine Lösung des Konfliktes darin, eine Source Code Kopie bei einem Dritten, dem
Escrow Agent, zu hinterlegen. Der Escrow Agent erhält von Lieferant und Abnehmer den
Auftrag, den Source Code in klar definierten Fällen wie eben bspw. bei Konkurs, Liquidation oder Geschäftsaufgabe dem Abnehmer herauszugeben. Die Einigung auf einen Source Code Escrow ist ein Kompromiss und stellt für beide Parteien ein suboptimales Verhandlungsergebnis dar.
3.
Die beteiligten Parteien
Der klassische Source Code Escrow Vertrag wird zwischen drei Parteien geschlossen3:
Dem Software Lieferanten, dem Software Abnehmer und dem Escrow Agent. Es ist allerdings auch möglich, dass beim Vertrieb von Standard Software der Lieferant lediglich mit
einem Escrow Agent die Hinterlegung des Source Codes vereinbart, aber zu Gunsten aller
bestehenden und zukünftigen Abnehmer der Standardsoftware. Lieferant und Escrow
Agent schliessen dann einen Vertrag zu Gunsten unbestimmt vieler Dritter ab4. Diesen
Dritten wird je ein selbständig geltend machbares Recht eingeräumt, in bestimmten Fällen den Source Code beim Escrow Agent herauszuverlangen. Erfolgt die Software Lieferung über einen Generalunternehmer, so dürfte sich die weitere Beteiligung des Generalunternehmers am Source Code Escrow Vertrag rechtfertigen: Da der Generalunterneh-
3
4
Dies ist auch bei Escrow Verträgen in anderen Bereichen so, vgl. GERSTER, Seite 6.
BLICKENSTORFER, Seite 222
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3
mer gegenüber dem Software Abnehmer für die gesamtheitliche Vertragserfüllung einzustehen hat, sichert auch er sich die Berechtigung zu, den Source Code in bestimmten Fällen einsehen zu können5.
4.
Vertragstypische Klauseln6
4 .1 . D ef in i tion H in te rle g un g sob je kt
Der Vertrag muss genau definieren, was der Software Lieferant beim Escrow Agent zu
hinterlegen hat. Dem Zweck des Vertrags entsprechend muss der Software Lieferant alles
hinterlegen, um dem Abnehmer notfalls die Bearbeitung des Source Codes zu ermöglichen. Der Abnehmer - oder sein IT Support - muss bestätigen können: „Ja, gestützt auf
die hinterlegten Daten wäre ich in der Lage, den Source Code zu analysieren und ihn weiter zu entwickeln“. Deshalb rate ich jedem Anwalt, der den Software Abnehmer vertritt
und den Vertrag entwirft, diese Klausel durch den Abnehmer oder seinen IT Support
höchstpersönlich absegnen zu lassen.
Hinterlegungsobjekt ist zuerst einmal ein Datenträger, auf welchem der Source Code abgespeichert ist. Damit ein späterer Programmierer die Architektur des Source Code versteht, gehört auch die Entwicklungsdokumentation dazu. Weiter muss dokumentiert sein,
welche Systeme und Programme erforderlich sind, um die Software zu gebrauchen und
gegebenenfalls welche Unterlizenzen notwendig sind. Auch die Compiler Verfahren in von
Menschen und Maschinen lesbarer Form sind anzugeben7. Schliesslich mag eine Liste mit
Namen und Anschriften der wichtigsten Techniker, die der Abnehmer in einem Herausgabefall anstellen könnte, hilfreich sein8. Wichtig scheint mir, dass im Vertrag, wie bemerkt,
eine Generalklausel aufgenommen wird, dass schlicht alles zu hinterlegen ist, um einem
Nachfolgeprogrammierer die Weiterarbeit zu ermöglichen.
4 .2 Upda te s
Eine erfolgreiche Software verbleibt nie in einem bestimmten Status Quo: Es werden
kleinere Softwarekorrekturen zur Fehlerbeseitigung eingearbeitet und Updates erstellt,
bis hin zur Erarbeitung neuer Versionen, Releases oder Upgrades. Damit im Herausgabefall der Abnehmer den Source Code weiter entwickeln kann, ist es deshalb notwendig,
dass jeweils die aktuellste Version des Source Code hinterlegt ist. Der Vertrag hat deshalb die Pflicht vorzusehen, dass der Software Lieferant periodisch den Source Code aktualisiert. Zur doppelten Sicherheit kann dem Escrow Agent der Auftrag erteilt werden,
periodisch beim Lieferanten die Aktualisierungen einzufordern 9.
5
BLICKENSTORFER, Seite 220 - 224
Vgl. Vertragsmuster im Anhang zum vorliegenden Aufsatz
7
RICHARD SHEFFIELD/ALEXANDRA LEEVEN, Software-Quellcodehinterlegung, Computer und
Recht 1995, Seite 307
8
SHEFFIELD/LEEVEN, Seite 307
9
SHEFFIELD/LEEVEN, Seite 307
6
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4
4 .3 T es t/K ont ro ll e dur c h d en Ab nehm er
Weil ein Source Code Escrow nur dann hilfreich ist, wenn der Abnehmer den Source Code
in bestimmten Fällen auch wirklich selbst analysieren und bearbeiten kann, ist es zweckmässig, dass der Abnehmer - oder sein IT Support - testen kann, ob das Hinterlegungsobjekt vollständig ist. Nur wenn der Abnehmer selbst die Gewissheit erlangt hat, dass er
notfalls den Source Code weiterbearbeiten könnte, wird der Source Code Escrow seinem
Zweck gerecht. Falsch wäre, darauf zu vertrauen, dass der Escrow Agent den Source Code auf Vollständigkeit hin überprüft: Der Escrow Agent wird höchstens eine Plausibilitätsprüfung vornehmen können. Tests mit dem Quellencode sind in aller Regel nur innerhalb
einer bestimmten hardware- und softwaremässig definierten Systemumgebung durchführbar. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Escrow Agent über diese
Umgebung verfügt und die Tests vornehmen kann.
Bei solchen Kontrollen und Tests besteht für den Software Lieferanten ein gewisses Risiko, dass der Abnehmer unbemerkt Kopien des Source Code erstellt. Hier mag es sinnvoll
sein, wenn der Testlauf unter Beisein des Escrow Agents durchgeführt und ihm bspw. die
Aufgabe übertragen wird, durch geeignete Kontrollen dafür zu sorgen, dass der Abnehmer keine Kopien erstellt. Gegebenenfalls hat der Abnehmer eine spezifische Geheimhaltungserklärung abzugeben.
4 .4
F i d uz ia ri s ch e s E ig e n tum
Wichtiges Kernstück des Source Code Escrow Vertrages ist die Abmachung, dass der Escrow Agent fiduziarisches Eigentum am Hinterlegungsobjekt erwirbt. Ohne dieses fiduziarische Eigentum des Escrow Agents würde das Hinterlegungsobjekt im Falle des Konkurses des Softwarelieferanten in dessen Konkursmasse admassiert10. Der Escrow Agent
hätte das Hinterlegungsobjekt bei Straffolge11 dem Konkursverwalter herauszugeben,
was ja gerade verhindert werden soll! Deshalb hat eine Vertragsklausel unzweideutig
festzuhalten, dass das (sachenrechtliche) Eigentum am Hinterlegungsobjekt an den Escrow Agent übergeht.
Es ist zu empfehlen, im Vertrag das Wort Hinterlegung oder einen Bezug zum Hinterlegungsvertrag gemäss Art. 472 ff. OR zu vermeiden. Beim Hinterlegungsvertrag geht das
Eigentum nämlich gerade nicht auf den Aufbewahrer über.
Das fiduziarische Eigentum des Escrow Agents bezieht sich auf das Hinterlegungsobjekt,
also die Kopie des Source Codes, nicht auf das Urheberrecht am Source Code. Das Urheberrecht am Source Code verbleibt in jedem Fall beim Software Lieferanten (oder ggf.
dessen Lizenzgeber).
10
11
Art. 197 SchKG; BLICKENSTORFER, Seite 235
Art. 232 Ziff. 4 SchKG i.V. m. Art. 324 Ziff. 3 StGB
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5
4.5 S ichere Aufbewahrung
Tritt dereinst ein Herausgabefall ein, so ist der Software Abnehmer darauf angewiesen,
dass sich die beim Escrow Agent hinterlegte Source Code Kopie in gebrauchsfähigem Zustand befindet. Sie darf in der Zwischenzeit weder gestohlen noch beschädigt worden
sein. Entsprechend hat der Escrow Agent die Pflicht, das Hinterlegungsobjekt gegen
Diebstahl und Beschädigung geeignet zu schützen.
Kommt das Hinterlegungsobjekt abhanden oder wird es beschädigt, so sieht der Vertrag
zweckmässigerweise vor, dass der Software Lieferant eine Ersatzkopie zu liefern hat.
4 .6 Def in i tion d er Hera us gabefä ll e
Wohl wichtigstes Kernstück12 des Source Code Escrow Vertrages ist die konzise Definition
der Herausgabefälle: Wann darf und muss der Escrow Agent dem Software Abnehmer
das Hinterlegungsobjekt ausliefern?
Der wohl typischste und einfach zu definierende Fall ist jener des Konkurses des Software
Lieferanten. Geht aus amtlichen Blättern (bspw. Schweizerisches Handelsamtsblatt oder
Handelsregister) hervor, dass über den Lieferanten der Konkurs eröffnet wurde, so stellt
dies einen der klassischen Herausgabefälle dar. Man kann entsprechend vorsehen, dass
der Escrow Agent das Hinterlegungsobjekt dem Software Abnehmer herauszugeben hat,
sobald ihn dieser über den Konkurs des Software Lieferanten informiert.
Der Umstand, dass der Software Lieferant die Gewährleistung und Wartung nicht mehr
sicherstellen kann, stellt sich jedoch nicht nur beim Konkurs, sondern möglicherweise
auch bei Nachlassverträgen. Hier gibt es allerdings sehr unterschiedliche Ausgangssituationen: Wird bspw. in einem ordentlichen Nachlassvertrag ein Prozentvergleich geschlossen, so ist die Weiterführung des Betriebes beabsichtigt. In einer solchen Situation bleibt
das Interesse des Software Lieferanten an der Geheimhaltung des Source Codes erhalten. Auch die Leistungsfähigkeit in Bezug auf Gewährleistung und Wartung dürfte erhalten bleiben. Deshalb sollten keinesfalls alle Nachlasssituationen als Herausgabefälle definiert werden. Die Herausgabe rechtfertigt sich nur bei Liquidationsvergleichen, wo es
darum geht, den Betrieb glimpflich aufzulösen.
Eine Gefährdung der Interessen des Software Abnehmers ergibt sich auch bei der Liquidation des Software Lieferanten, zumindest dann, wenn nicht gleichzeitig feststeht, dass
der operative Geschäftsteil etwa in Folge Fusion mit einer anderen Unternehmung weiter
geführt wird.
Schwierig wird es, wenn Erfüllungsschwierigkeiten als Herausgabefälle vereinbart werden: Der Lizenznehmer hat ein berechtigtes Interesse, in allen Fällen, bei welchen die
Wartung oder Geltendmachung von Gewährleistungsrechten gefährdet ist, Zugriff auf den
Source Code zu bekommen. Deshalb hat er ein Interesse daran, dass auch eine blosse
Leistungsstörung als Herausgabefall zu definieren ist. Fordert der Abnehmer den Liefe-
12
BLICKENSTORFER, Seite 238
000226.doc
6
ranten bspw. auf, einen bestimmten Fehler zu beheben oder eine konkrete Wartungsarbeit durchzuführen, und ist der Lieferant hiezu nicht in der Lage, so will der Abnehmer,
bspw. unter Beizug eines Dritten, die Verbesserung oder Wartung vornehmen13. Entsprechend hat der Abnehmer ein Interesse daran, dass bereits bei einer Leistungsstörung unabhängig von Konkurs, Liquidation oder Nachlass - ein Herausgaberecht besteht. Der
Software Lieferant ist demgegenüber bedacht, seine Geschäftsgeheimnisse durch Herausgabe der Quellcode Kopie nur dann preiszugeben, wenn er - wie im Falle des Konkurses oder der Liquidation - selbst gar nicht mehr auf das Geschäftsgeheimnis angewiesen
ist. Es dürfte schwierig sein, hier einen Kompromiss zu finden. Allenfalls besteht die Möglichkeit, durch klare Formalien eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen. So kann etwa
gefordert werden, dass der Abnehmer eine klare schriftliche Rüge formuliert, unter Ansetzung einer angemessenen Frist. Erst wenn diese Frist erfolglos abgelaufen ist, darf die
Herausgabe beantragt werden. Bei etwaigen Uneinigkeiten betreffend Frage, ob ein Mangel noch besteht oder zweckmässig verbessert wurde, könnte ein Experte beigezogen
werden. Allerdings ist zu beachten, dass ein solches Verfahren einige Zeit in Anspruch
nehmen wird und unter Umständen unterschiedliche Standpunkte zwischen Lieferant und
Abnehmer nicht ausräumen kann. Wenn der Lieferant den Herausgabefall bestreitet, wird
es für den Escrow Agent schwierig oder gar unmöglich, hier Schiedsrichter zu spielen. Er
riskiert, bei einem falschen Entscheid von einer Partei wegen Schadenersatz in Anspruch
genommen zu werden. Das Ziel, in einem Herausgabefall möglichst schnell und unanfechtbar zur Source Code Kopie zu kommen, ist für den Software Abnehmer gefährdet.
4 .7 U rheb er re ch t li ch es Nu tzu ng sr ec ht
Erlangt der Abnehmer bei Eintreten eines Herausgabefalles in den Besitz der Source Code
Kopie, so nützt ihm dies allein noch nichts: Er soll die Kopie nicht nur ansehen, sondern
den Source Code zum Zwecke der Wartung oder Weiterentwicklung auch bearbeiten dürfen. Das Bearbeitungsrecht gehört jedoch zu den dem Urheber vorbehaltenen
Ausschliesslichkeitsrechten14. Entsprechend muss der Source Code Escrow Vertrag - oder
der Grundvertrag über die Software Lieferung - dem Abnehmer die Erlaubnis einräumen,
falls er berechtigterweise in den Besitz der Source Code Kopie gelangt, den Source Code
bearbeiten und ändern zu dürfen15. Immerhin wird der Lieferant die Einschränkung verlangen, dass Bearbeitung und Änderung nur zum Zwecke der Wartung und Weiterentwicklung und nur innerhalb des Betriebs erlaubt ist. Unzulässig wäre bspw. die kommerzielle Verwertung der Source Code Kopie durch Verkauf oder Offenlegung an Dritte.
4 .8
Abwerbung von K now-how Trä gern
Manche Software Lieferungsverträge, insbesondere wenn es um die Software Entwicklung
und die anschliessende Wartung geht, sehen vor, dass es dem Abnehmer verboten ist,
bestimmte Know-how Träger des Lieferanten abzuwerben. Bei der praktischen Arbeit ist
es häufig so, dass Software Programmierer des Lieferanten in den Räumlichkeiten des
Abnehmers Installation und Wartung vornehmen. Es entsteht ein enges Vertrauensver-
13
14
15
Bspw. in Anwendung von Art. 366 Abs. 2 OR
Art. 11 Abs. 1 URG
BLICKENSTORFER, S. 236
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7
hältnis zwischen dem Abnehmer und diesen Know-how Trägern. Da liegt die Versuchung
nahe, dass der Abnehmer diese Know-how Träger abwirbt und ihnen als Lohn einen geringeren Betrag zahlen muss als die Wartungsgebühr, die er dem Lieferanten gemäss
Vertrag schuldet. Dadurch verlöre der Lieferant allerdings entscheidendes Know-how,
welches er gewinnbringend auch anderen Abnehmern zur Verfügung stellen könnte. Das
Verbot der Abwerbung von Arbeitnehmern schützt daher das Interesse des Lieferanten
an der Bewahrung seines Know-hows.
So berechtigt diese Klausel ist, so mag das Interesse des Lieferanten bei den typischen
Herausgabefällen wie Konkurs, Liquidationsvergleich und Liquidation wegfallen. In diesen
Fällen hat er nichts mehr dagegen, dass seine Know-how Träger gegebenenfalls neu für
den Abnehmer direkt arbeiten. Es ist deshalb aus der Sicht des Abnehmers sinnvoll, im
Source Code Escrow Vertrag eine Klausel vorzusehen, die das im Hauptvertrag vorgesehene Abwerbeverbot immer dann für unanwendbar erklärt, wenn ein Herausgabefall eintritt.
4 .9 Ve rt rag sda uer
Der Source Code Escrow Vertrag muss so lange dauern, wie der Abnehmer auf den
Zugriff auf die Source Code Kopie angewiesen ist16. Daher wäre es naheliegend, ihn an
die Dauer des Grundvertrages über die Software Lieferung oder Software Wartung zu
koppeln. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass der Escrow Agent unter Umständen
nicht in Erfahrung bringt, wann der Grundvertrag endet oder ob eine Option um Erneuerung ausgeübt wurde oder nicht. Damit die Pflicht des Escrow Agents in zeitlicher Hinsicht überschaubar wird, ist es deshalb üblich und auch empfehlenswert, eine fixe Dauer,
bspw. 5 oder 10 Jahre, vorzusehen. Danach ist der Escrow Agent berechtigt, das Hinterlegungsobjekt - wenn es vom Abnehmer noch nicht zu Recht herausverlangt wurde - dem
Lieferanten zurückzugeben.
Neben diesen ordentlichen Beendigungsgründen sollten vertraglich auch ausserordentliche Kündigungsmöglichkeiten vorgesehen sein: Einmal soll der Vertrag sein Ende nehmen, wenn Lieferant und Abnehmer sich hierauf einigen. Sodann ist vorzusehen, dass
der Software Abnehmer den Vertrag unter Einhaltung einer gewissen Frist einseitig kündigen kann. Wenn nämlich der Abnehmer selbst zur Überzeugung gelangt, dass er auf die
Source Code Kopie nicht angewiesen ist, fällt der Zweck des Source Code Escrows dahin
und es muss eine Beendigungsmöglichkeit gegeben sein. Schliesslich endet der Vertrag
immer dann, wenn ein Herausgabefall eingetreten ist und der Escrow Agent die Source
Code Kopie dem Abnehmer übergeben hat.
.
4 . 10 E s crow Hon ora r
Nichts ist gratis, auch nicht die Dienstleistung eines Escrow Agents. Er hat Anspruch auf
ein Honorar, welches sich entweder als Prozentsatz der Wartungsgebühr definiert oder -
16
BLICKENSTORFER, SEITE 244
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8
je nach Leistung - mit absoluten Geldbeträgen definiert ist. Die über Internet abrufbaren
Angebote gewerbsmässiger Source Code Agents sehen etwa einmalige Abschlussgebühren sowie jährliche Jahresgebühren als Sockelbetrag vor. Zusätzlich werden pro konkrete
Tätigkeit, bspw. Entgegennahme eines Updates oder Vollzug eines Herausgabeanspruches, Zusatzentgelte vorgesehen17.
4 . 11 Ge he imha lt ung spf li ch t
Da es sich beim Source Code um ein Geschäftsgeheimnis des Software Lieferanten handelt, wird er zu Recht fordern, dass der Escrow Agent die Kopie vertraulich behandelt und
sie vor unberechtigter Einsichtnahme Dritter schützt.
5.
Problemfelder in der Praxis
5 .1 H in te rl e g u ng sob je k t n ic ht vo rhanden od er unbrauchbar
Insider schätzen, dass es in 5% aller abgeschlossener Source Code Escrows wirklich zu
einem Herausgabefall kommt18. Oft ist es aber so, dass entgegen der Abmachung beim
Agent nichts hinterlegt wurde: Während bei den Vertragsverhandlungen über die Einrichtung eines Source Code Escrows gefeilscht wird, setzt sich bei der nachfolgenden Umsetzung häufig niemand für die konkrete Umsetzung ein.
Manchmal ist zwar ein Hinterlegungsobjekt vorhanden, es ist aber unvollständig, veraltet
oder schlecht beschrieben, so dass der eigentliche Zweck des Source Code Escrows nicht
zu erreichen ist19. Deshalb ist es leider richtig zu sagen, dass der Source Code Escrow
dem Abnehmer ein Sicherheitsgefühl häufig nur vorgaukelt20.
Es ist deshalb für den Erfolg des Source Code Escrows entscheidend, dass das Vereinbarte auch effektiv umgesetzt wird. Da dies vorab im Interesse des Software Abnehmers ist,
wird es auch an ihm liegen, geeignete Kontrollen der Umsetzung durchzuführen und
wenn nötig beim Lieferanten nachzuhaken.
5 .2 E s crow A g re e m e nt is t n ic ht kon ku rs s ic he r a b g e f a s st
Häufig sind Source Code Escrows nicht konkurssicher abgefasst: Wird bspw. nur gesagt,
dass eine Source Code Kopie hinterlegt wird, so ist damit grundsätzlich kein Übergang
des Eigentums auf den Agent mitenthalten21. Die Folge wird sein, dass im Konkurs des
Lieferanten die Source Code Kopie der Konkursmasse herauszugeben ist.
17
Bswp. www.escrow.de
BLICKENSTORFER, Seite 239, SHEFFIELD/ LEEVEN, Seite 308
19
JOCHEN SCHNEIDER, Hinterlegung von Software, Escrow, Computer und Recht 1995, S.
709
20
SHEFFIELD/LEEVEN, S. 306
21
Siehe vorne, Ziff. 4.4
18
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9
5 .3 Pau lia ni sche A nfech tbar kei t
Damit Source Code Escrows ihren Zweck erfüllen, dürfen sie nicht paulianisch anfechtbar
sein. Es wäre für den Software Abnehmer fatal, wenn er beim Konkurs des Lieferanten
nicht auf die Source Code Kopie zugreifen könnte, weil der Source Code Escrow erfolgreich paulianisch angefochten würde. Dann nämlich könnte der Abnehmer gegebenenfalls
keine Einsicht in den Source Code nehmen oder ihn nicht bearbeiten.
In den Artikeln 286, 287 und 288 SchKG werden drei Anfechtungstatbestände auseinander gehalten:
Anfechtbar sind einerseits Schenkungen, die der Schuldner innerhalb des letzten Jahres
vor der Konkurseröffnung vorgenommen hat. Von einer Schenkung kann bei einem Source Code Escrow jedoch nicht gesprochen werden: Wie in der Einleitung beschrieben,
kommt ein Source Code Escrow typischerweise dann zustande, wenn gleich starke Partner miteinander verhandeln. Der Abnehmer ist nur dann bereit, für eine Software einen
gewissen Preis zu bezahlen, wenn eine Kopie des Source Codes beim Escrow Agent hinterlegt wird. Er erhält deshalb keine unentgeltliche Zuwendung.
Der zweite paulianische Tatbestand ist jener der Überschuldungsanfechtung. Auch dieser
scheint mir unter normalen Umständen nicht gegeben. Weder handelt es sich beim Source Code Escrow um die Bestellung von freiwilligen Sicherheiten, noch werden Geldschulden unüblich bezahlt, noch wird eine noch nicht fällige Schuld getilgt.
Auch die dritte Tatbestandvariante der Absichtsanfechtung ist nicht erfüllt: Beim Source
Code Escrow geht es nicht darum, einen einzelnen Gläubiger zum Nachteil anderer zu
begünstigen. Der Source Code Escrow bezweckt nur, dass ein Softwareabnehmer in die
Lage versetzt wird, auch in einer Krisensituation den ihm zustehenden Vertragsrechten
zum Durchbruch zu verhelfen.
5 .4 A nw ä l te a ls E s crow A g e nt ?
Anwälte gelten als vertrauenswürdig und es kommt gelegentlich vor, dass ihnen die
Funktion des Escrow Agent angeboten wird. Besonders häufig ist dies im Anschluss an
Vertragsverhandlungen: Beide Parteien haben ein gewisses Vertrauen in den Anwalt der
Gegenpartei gewonnen und verständigen sich darauf, dass der Source Code bspw. beim
Anwalt des Abnehmers hinterlegt wird. Ich rate jedem Anwalt ab, ein solches Mandat
voreilig anzunehmen: Viele Anwälte dürften nicht in der Lage sein zu erkennen, ob es
sich beim Hinterlegungsobjekt überhaupt um einen Source Code handelt. Der Anwalt verfügt auch nicht über geeignete Räumlichkeiten, um digitale Dateien sicher aufzubewahren. Kommt es später zum Streit, so wird der Anwalt als Partei in prozessuale Schritte
einbezogen, wobei er für diese Tätigkeiten von keiner Partei entschädigt werden dürfte.
Wenn es sich zudem noch so verhält, dass der Anwalt vorher den Software Lieferanten
oder den Software Abnehmer vertreten hat, gerät er in einen unlösbaren Interessenkonflikt.
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10
6.
Alternative
Angesichts der in der Praxis auftretenden Schwierigkeiten muss vor allem der Software
Abnehmer anstreben, eine Alternative zum Source Code Escrow zu erreichen. Eine gute
Lösung ist jene, bei welcher eine Source Code Kopie bspw. in einem versiegelten Behältnis bereits in den Besitz des Abnehmers übergeht mit der Massgabe, dass er den Source
Code erst bei Eintritt bestimmter Situationen (Konkurs etc.) einsehen und bearbeiten
darf. Die Gefahr des Missbrauchs könnte damit eingedämmt werden, indem diesfalls hohe Konventionalstrafen zu bezahlen sind. Der Lieferant hat dann ein massgebliches
Druckmittel, um dem unberechtigten Gebrauch des Source Codes durch den Abnehmer
vorzubeugen.
7.
Muster Source Code Escrow Vertrag
7 .1 Üb er Inte rn et abruf bare Mu ster
Zahlreiche gewerbsmässig tätige Escrow Agents stellen ihre Dienste im Internet vor. Dort
sind auch verschiedenste Vertragsmuster einsehbar, bspw. unter
www.escroweurope.com, www.escrow.de oder www.softnet-recht.ch.
7 .2 R u dim ent ä re s M us te r
(siehe Anhang)
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