Iran-Erfahrung

Transcrição

Iran-Erfahrung
Auf dem Landweg von der Schweiz nach Asien
Iran-Erfahrung
Vom Herzstück einer Überlandreise
text Karin Post-Hählen Bilder Karin Post-Hählen und Jan Post
Das reisen gehört zu Karins und Jans Leben wie die Luft zum Atmen. wieder einmal starten sie zu einer grossen tour. Diesmal wollen sie mit Ganesh, ihrem 25-jährigen toyota-Landcruiser, von der Schweiz nach indien fahren. Dabei erweist sich der fünfwöchige Aufenthalt im iran als besondere Herausforderung. Der Gottesstaat erwartet sie mit strikten regeln, einer nervenaufreibenden Hauptstadt, wunderbaren wüstenlandschaften und freundlichen, zurückhaltenden Menschen, die sich nur selten zu Politik und religion äussern.
E
s ist Anfang März, der Regen
untermauert die Wehmut
des Abschieds, als wir ins
Auto steigen und losfahren.
Wie immer am Anfang einer grossen Reise frage ich
mich auch dieses Mal, ob es
eine gute Entscheidung war, unser bequemes
Leben in der Schweiz über den Haufen zu werfen und ins Ungewisse zu fahren. In den nächsten paar Tagen, während der regen- und
schneereichen Fahrt durch Österreich, Ungarn,
Rumänien und Bulgarien, kann ich diese Frage
nie ganz abschütteln, aber je weiter wir kommen, desto mehr verblasst sie.
Istanbul. Vom schlechten Wetter getrieben,
erreichen wir schon nach einer Woche die
türkische Grenze. Herzlich werden wir im
Schneegestöber von den Zollbeamten begrüsst, einziges Problem ist Ganesh, unser altertümliches Gefährt. Wegen der Ambitionen
eines EU-Beitritts dürfen Fahrzeuge, die älter
als 20 Jahre sind, nicht mehr in die Türkei ein44 GLOBETROTTER-MAGAZIN winter 2011
geführt werden. Nach einigen Telefonaten finden die Beamten zum Glück eine Gesetzeslücke und entlassen uns mit den Worten: «Das
nächste Mal kauft euch ein neues Auto.»
In Istanbul angekommen, erhalten wir die Erlaubnis, auf einem bewachten Parkplatz bei
der Blauen Moschee im Auto zu übernachten.
Die Blaue Moschee, nachts rot beleuchtet, und
die unzähligen gemütlichen Teehäuser lassen
uns zum ersten Mal spüren, dass wir in einer
fremden Welt angekommen sind. Jetzt erst
wird uns richtig bewusst, dass wir uns wirklich auf der langen Reise nach Indien befinden. Ein kaum fassbares Gefühl.
Seit einer Woche schlafen wir wegen eines
Lecks nun schon in einem nasskalten Auto. Wir
freuen uns deshalb riesig auf einen ausgiebigen
Besuch im Hamam, dem traditionellen türkischen Bad, und machen uns in strömendem
Regen auf zum Cagaloglu, dem bekanntesten
Hamam Istanbuls. Nach dem Eingang trennen
sich unsere Wege – Jan verschwindet im Männer-, ich im Frauentrakt. Fast den halben Tag
verbringen wir in den ehrwürdigen 300-jähri-
gen Gemäuern. Ich geniesse es, mich von der
Wärme einlullen zu lassen. Das fahle Licht, das
durch die kleinen Fenster der Kuppel fällt und
sich im Dunst verliert, und all die schwatzenden, nackten Frauen lassen mich wie in einem
Harem aus 1001 Nacht fühlen. Erstaunlicherweise höre ich nachher von Jan, dass es im
Männertrakt verboten ist, sich nackt auszuziehen. Draussen ist es immer noch unwirtlich,
deshalb tun wir das, was viele andere auch tun
– wir sitzen in ein Teehaus, rauchen Schischa,
die arabische Wasserpfeife, und trinken Tee.
An die iranische Grenze. Istanbul ist bei
schönem Wetter ein Traum, wie wir anderntags feststellen. Wir streifen ziellos durch die
Stadt. Die Bazare, Moscheen, Teehäuser und
unzähligen Teppichverkäufer verbreiten ein
exotisches Flair. Und wir machen Bekanntschaft mit den schönen Katzen von Istanbul.
Sobald wir uns hinsetzen, schmeicheln sie uns
um die Beine, hüpfen auf unseren Schoss und
wollen gestreichelt werden. Am nächsten Tag
fahren wir weiter. Die Strasse führt über die
mittlerer osten
Bosporusbrücke, welche den europäischen mit dem asiatischen Teil der
Türkei verbindet. Bis anhin haben wir
in Restaurants gegessen und durften
abends auch gleich davor auf dem
Parkplatz schlafen. Ab Ankunft am
Schwarzen Meer wollen wir campen
und selber kochen. Immer wieder
überraschen uns die Türken mit ihrer
Freundlichkeit. Selbst im Supermarkt
wird uns Çay (türkischer Tee) gereicht,
und wir werden über die besten Produkte beraten – mit Händen und Füssen. Die acht- bis neunstündigen
Fahrtage hinterlassen ihre Spuren,
wir sind müde und abgekämpft. Das
erste Mal Campieren am Meer, das
Draussensein gibt uns neue Energie.
Wir geniessen die Fahrt der
Schwarzmeerküste entlang, die Strasse
schlängelt sich hoch, schroffen Klippen
entlang, dann wieder runter zum Meer.
Die warme Frühlingssonne hat an einigen Bäumen schon zaghafte Knospen spriessen lassen und wärmt auch
unsere Gemüter. Nach drei Tagen regnet es wieder, und die Prognosen sind
nicht ermutigend. So beschliessen wir,
trotz den Warnungen vor den winterlichen Strassenverhältnissen, es auf der
kürzeren Strecke durchs Landesinnere
zur iranischen Grenze zu versuchen.
Wüstencamp bei Gameh. Ruhe vor dem Sturm (l).
Noruz. Picknick mit Familie Mohammadnejad (o).
Istanbul. Eindrucksvolle Blaue Mosche (Mitte).
Anatolische Hochebene. Schneereiche Fahrt
durch die Provinz Agri (unten).
Beim Überqueren des Passes setzt prompt
Schneefall ein und auf 1300 Metern, kurz vor
der Passhöhe, bricht das Chaos aus. LKW bleiben stecken, Ketten werden montiert, Autos
stehen quer auf der Strasse. Ein Auto sitzt im
Graben fest, die Familie steht mit eingezogenen
Schultern ratlos davor. Wir halten an, packen
die Seilwinde aus und ziehen das Auto kurzerhand mit unserem allwettertauglichen Gefährt
aus dem Graben. Die anfänglich skeptischen
Blicke verwandeln sich in Staunen. Nie hätten
die in neue moderne Autos vernarrten Türken
der alten Karre so etwas zugetraut. Zufrieden
und frierend können wir alle weiterfahren.
Auf der anatolischen Hochebene sind die
Strassenverhältnisse einwandfrei, auch wenn
die karge Landschaft vom Schnee weiss gepudert ist. Wolken hängen tief und geben nur in
kurzen Momenten einen Blick auf die enorme
Weite und die sie umgebenden Berge frei. Nach
drei Wochen Unterwegssein erreichen wir Dogubayazit, die Grenzstadt zum Iran.
Andere Sitten. Normalerweise müssen Aus-
länder, die länger als zwei Wochen im Iran
verweilen, iranische Nummernschilder kaufen. Wir erwischen glücklicherweise einen
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Zollbeamten, der das trotz unseren 70-TageVisa nicht für nötig hält. Er luchst uns etwas
mehr für die Versicherung ab, stellt uns dafür
aber einen Zettel aus, der uns vom Kauf der
Schilder entbindet. Nach nur einer Stunde
spüren unsere Stossdämpfer den ersten von
vielen iranischen «speed-breakers» – betonierte Fahrbahnschwellen –, die fast unsichtbar die Strassen zieren. Ein erfolgloser Versuch der Regierung, ihre Bürger vom Rasen
abzuhalten.
Seit der Einreise trage ich Kopftuch und
Manteau (Mantel), wie es im Iran Pflicht ist.
Trotzdem falle ich auf wie ein bunter Hund,
denn mein Manteau ist beige und nicht schwarz
wie fast alle anderen. Die meisten Iranerinnen
tragen zudem einen Chador, einen schwarzen
Ganzkörperumhang. Im Norden bin ich oft die
einzige Frau auf der Strasse. Der Hijab (Kleidervorschrift für Frauen) ist nicht die einzige
Umstellung, an die ich mich gewöhnen muss.
War ich bisher freudig gespannt auf den Iran,
da wir viele Berichte über die Freundlichkeit
der Menschen gelesen haben, trifft mich nun
die Realität hart. Hier im Norden werde ich
bestenfalls ignoriert. Die abschätzigen Blicke
setzen mir zu, und in den Restaurants werden
wir oftmals – trotz Jans Insistieren – nur unwillig oder gar nicht bedient. Je südlicher wir
kommen, desto freundlicher werden aber die
Männer und das Wetter. – Eine enorme Erleichterung. Der Manteau wird modischer, körperbetonter, leuchtet in dezenten Farben, und
die Kopftücher sind in einigen Regionen sogar
bunt. Und endlich erfahren wir die viel gepriesene Freundlichkeit.
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Schon am zweiten Tag fallen uns die vielen
Zelte auf, die an sehr ungewöhnlichen Orten
aufgestellt sind – auf Trottoirs, Verkehrsinseln,
neben Autobahnen. Die Iraner lieben das Picknicken, und ein iranisches Picknick ist untrennbar mit dem Aufstellen eines Zeltes verbunden. Für uns ist das ideal, denn so können
wir praktisch überall campen, ohne aufzufallen. Wir übernachten während der fünf Wochen im Iran lediglich vier Mal in einem Hotel.
Vielleicht picknicken die Iraner auch deshalb
so gerne, weil die meisten gemütlichen Teehäuser ausschliesslich für Männer zugänglich sind
und das Essen in Restaurants eintönig ist. In
Rasht lernen wir Hussein kennen. Er erklärt
uns, dass es die gute Küche fast ausschliesslich
in Privathaushalten gibt, denn die Frauen hätten ja den ganzen Tag Zeit zum Kochen. An
einigen Orten gibt es allerdings kleine Gassen-
küchen, vor welchen Dizzi in Tontöpfen vor
sich hinköchelt. Dizzi ist unser kulinarischer
Höhepunkt im Iran. Erstaunlich, denn es besteht aus purem Schafsfett, das zusammen mit
Kartoffeln und Tomaten zermatscht wird. Gegessen wird es mit Brot und ergibt so eine nahrhafte, leckere und preiswerte Mahlzeit, die den
Übernamen «Arme-Leute-Essen» trägt.
Als wir die Küste des Kaspischen Meeres
erreichen, staunen wir nicht schlecht über die
vielen Leute, die sich am Strand aufhalten. Es
scheint, als habe heute jeder frei, obwohl gar
nicht Freitag, islamischer «Sonntag», ist. Es ist
Noruz, das persische Neujahrsfest, welches im
Iran mit zwei Wochen Ferien um den 21. März
herum gefeiert wird. Während dieser Zeit liegt
die Wirtschaft quasi brach. Man verlässt frühmorgens die Wohnungen und trifft sich mit der
ganzen Familie zum Picknick. Dies alles erfah-
mittlerer osten
ren wir von Familie Mohammadnejad. Wie fast
alle Iraner, die wir treffen, geht anfänglich auch
Mohammads Familie davon aus, dass wir Farsi
sprechen – oder doch wenigstens des arabischen Alphabets mächtig sind. Sie versuchen
alle Tricks, sprechen langsamer und deutlicher,
versuchen es mit Aufschreiben. Wir antworten
auf Berndeutsch-Englisch, und irgendwann begreifen sie, dass wir sie tatsächlich nicht verstehen. An diesem Punkt geben viele, ungläu-
Im Dorf Abyaneh. Frau in traditioneller lokaler
Tracht (links oben).
Dasht-e-Kavir-Wüste. Wilde Kamele auf
unserem Weg (links unten).
Erholsamer Ausflug. Strasse ins Alamut-Tal (o).
Dizzi. Traditionelle Köstlichkeit (unten).
Esfahan. Warten, bis das Barbari-Brot fertig
gebacken ist (unten rechts).
big den Kopf schüttelnd, auf. Nicht so Mohammadnejads. Unsere Einladung zum SwissÇay (Kräutertee) nehmen sie gerne an und
dank Parvin, der Tochter, die einige Worte Englisch spricht, können wir uns ein wenig verständigen. Die Familie lädt uns zum Mittagessen ein, wir lehnen mindestens drei Mal höflich
ab, wie das die Tradition verlangt. Da die Einladung ein viertes und fünftes Mal wiederholt
wird, können wir davon ausgehen, dass sie
ernst gemeint ist, und kommen so in den Ge-
nuss eines herrlichen Essens. Dieses «Spiel»
heisst Ta’arof und bereitet uns einiges Kopfzerbrechen, denn auch in Geschäften wird Ta’arof
angewendet. Wenn die Verkäufer kein Geld
wollen, müssen wir jeweils insistieren. Nach
drei Mal lasse ich es bei kleinen Beträgen dann
aber sein und ziehe mit meinem Gratisbrot davon. Manchmal mit einem etwas lauen Gefühl,
denn vielleicht hatte der Verkäufer sein Ta’arof
ja noch nicht zu Ende gespielt.
Nervenprobe. Über die atemberaubend steile
Passtrecke von Chalus nach Kajar erreichen
wir Teheran. Inzwischen sind wir uns einiges
von iranischen Autofahrern gewöhnt, die Verstand, Augen und Ohren abzuschalten scheinen, wenn sie ins Auto steigen. Schnelle Autos
und gute Strassen ergeben eine gefährliche
Mischung. Wegschilder sind meist in kleiner
Schrift gehalten, oft erst nach der Kreuzung
platziert und erst noch schlecht sichtbar, was
uns einige Umwege einbringt. Die Iraner lassen sich aber nicht beirren, sie legen einfach
den Rückwärtsgang ein – auch auf der Autobahn. Als wir in Teheran ankommen, sprengt
dies verkehrstechnisch sämtliche Vorstellungen. Selbst Einheimische erbleichen, wenn
sie davon sprechen. Wir schaffen es – nervlich
zwar schwer gezeichnet, aber unfallfrei – zur
indischen Botschaft. Sobald die Visaanträge
für Indien ausgefüllt sind, verschwinden wir
fürs Erste aus dieser 15-Millionen-Stadt.
Am Evansee im Alamut-Tal finden wir einen herrlichen Platz zum Campieren und erholen uns drei Tage von der Hektik der Grossstadt. Ein Hirte aus der Gegend stattet uns einen Besuch ab. Den angebotenen Tee lehnt er
dankend ab, meine alte Skijacke nimmt er jedoch ohne zu zögern gerne an. Stolz lächelnd
zieht er mit seinen zwei Eseln und 20 Schafen
von dannen.
Es ist Zeit, nach Teheran zurückzukehren,
nachdem uns ein Herr am Telefon versichert
hat, dass unsere Visa abholbereit sind. Zurück
in der Grossstadt werden wir frühzeitig an die
indische Bürokratie erinnert – man weiss in
der Botschaft von nichts. Die Visa sind nicht
ausgestellt und werden es noch einige Tage
nicht sein. Nach langem Hin und Her, einer
Empfehlung der Schweizer Botschaft und ein
paar nachdrücklichen Worten vonseiten Jans
erhalten wir schliesslich die lang ersehnten
Stempel und Papiere.
Wüstenquerung auf Umwegen. Per Zufall
treffen wir Marilyne und Vincent in Teheran
wieder. Wir lernten die beiden französischen
Autoreisenden in Istanbul kennen. Sie laden
uns zu ihren Freunden Nima und Maryam
ein, bei welchen wir uns den Wohnzimmerteppich zum Schlafen teilen dürfen. Nima versichert uns, solange es in seiner Zweizimmerwohnung irgendwo Platz auf dem Teppich
gebe, seien wir herzlich willkommen. Als wir
dankend ablehnen, lacht er und sagt, er arbeite im Ausland und spiele kein Ta’arof mit
Nicht-Iranern.
Zusammen mit Marilyne und Vincent und
einem Freund aus Frankreich beschliessen wir,
die Dasht-e-Kavir-Wüste von Semnan nach Esfahan zu durchqueren. In Semnan finden wir
nach langem Suchen dank Hilfe der Polizei die
Strasse, welche in die Wüste führen soll. Wir
wundern uns über die Schilder, die uns das Fotografieren und das Verlassen der Strasse verbieten. Weit und breit ist nichts als Ödland zu
sehen. Nach 80 Kilometern kommt die Antwort: Wir schauen in die Gewehrläufe zweier
Soldaten, die ein Tor bewachen und uns nervös
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und verwundert anschauen. Mit den Karten
wedelnd und möglichst unschuldig lächelnd,
steigen wir aus. «Das ist doch der auf der Karte
eingezeichnete Weg nach Esfahan?» – Nein,
das ist er offensichtlich nicht. Uns werden die
Pässe abgenommen, Vincent muss als «Geisel»
ins Armeeauto steigen, und wir werden zurück
nach Semnan eskortiert. Direkt ins Büro der
Pass-, Polizei- und Einwanderungsbehörde.
Hier sitzen wir drei Stunden, in denen wir unzählige Male unsere Namen, Passnummern
und Autokennzeichen aufschreiben müssen.
Eine Übersetzerin stellt uns, im Auftrag immer
wieder neuer Beamten, geduldig immer wieder
dieselben Fragen. «Warum seid ihr auf dieser
Strasse gefahren? Warum habt ihr dem Polizisten vertraut? Was arbeitet ihr? Wie habt ihr
euch kennengelernt? Wieso reist ihr zusammen?» Und vor allem: «Habt ihr Fotos gemacht?» Die Frage: «Wer ist der Anführer eurer Gruppe?», hinterlässt verdutzte Gesichter
und schallendes Gelächter unsererseits. Und
endlich auch ihrerseits. Wir erklären uns so
gut, es eben geht. Nachdem auch noch unsere
Kameras einer Kontrolle unterzogen sind, lassen sie uns endlich ziehen.
Im 100 Kilometer weiter östlich gelegenen
Damgan finden wir auf Anhieb die richtige Abzweigung – ein gutes Omen! Drei faszinierende
Tage verbringen wir in der Dasht-e-Kavir, bestaunen die weiss schimmernden Salzseen und
sind begeistert von der Vielfältigkeit der Wüste.
Es macht Spass, mit den anderen unterwegs zu
sein. Wir können es jetzt auch wagen, die
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Stras­se auf der Suche nach geeigneten Schlafplätzen weiträumiger zu verlassen, da wir uns
gegenseitig zu Hilfe kommen könnten im
schwierigen Terrain.
Sandsturm. Leider trennen sich nach diesen
Tagen unsere Wege. Jan und ich verbringen
noch einen Tag in in der Wüste bei Garmeh,
um die aufgeschobenen Wasch- und Autoinstandhaltungsarbeiten zu erledigen. Der Tag
ist heiss, aber ein angenehmer Wind weht.
Gegen Abend herrscht plötzlich absolute
Windstille. Die seltsam violette Himmelsfärbung erstaunt uns, lässt unsere Warnglocken
aber nicht läuten. Dann verdunkelt sich der
Himmel rasch, und wir sehen eine gelbe
Wand auf uns zurasen. Jan reagiert sofort und
schreit: «Ein Sandsturm! Schnell, alles in Sicherheit bringen!» Der Sturm ist innerhalb
weniger Minuten bei uns, das Zelt kollabiert
mit den ersten Böen, Matratze und Schlafsack
sind noch drin. Jan beschwert das Zelt mit einer 30-Kilo-Kiste, in der Hoffnung, es vor dem
Abheben zu bewahren. Die Hoffnung verfliegt
innerhalb Sekunden und mit ihr die Kiste.
Während ich gegen den Wind ankämpfe und
kaum ins Auto steigen kann, schleift Jan das
Zelt hinters Auto, wo es vom Wind ans Heck
gedrückt wird. Obwohl Jan mir versichert,
dass alles okay ist, wir auf festem Boden stehen würden und nicht Gefahr laufen, vom
Sand eingebuddelt zu werden, beobachte ich
starr vor Angst das Toben um uns herum.
Zum Glück behält der Wind seine Richtung
Altpersische Residenzstadt. Iranische Touristen
in Persepolis (oben).
Kalut. Ein imposantes «Wüstenschloss» (unten links).
Aufbau oder Stagnation? Bams Aufbau geht nur
zögerlich vorwärts (unten rechts).
bei, und nach dreieinhalb Stunden lässt die
Windstärke so weit nach, dass Jan rausgehen
kann, um die Sachen aus dem Zelt zu holen
und alles in Sicherheit zu bringen.
Nach Mitternacht setzt Regen ein, und die
Temperaturen fallen rasant auf null Grad. In
diesem Moment bin ich doppelt froh über die
weiche Matte und die warmen Schlafsäcke, die
wir retten konnten. Die ganze Nacht halten
mich der tosende Wind und der Regen, der an
die Karosserie peitscht, wach. Ich bin erleichtert, als endlich der Tag anbricht und wir in die
nahe gelegene Oase Garmeh fahren können.
Ich fühle mich zwar immer noch leicht zittrig,
aber gleichzeitig unglaublich lebendig.
Sehnsucht nach Persien. Iran und seine alte
persische Kultur bieten zahlreiche geschichtsträchtige Architektur. Die kommenden zwei
Wochen verbringen wir in Esfahan, Natanz,
Yazd und Persepolis, um die prächtigen Bauwerke zu bewundern.
Die Iraner sind sehr stolz auf ihre bedeutsame Vergangenheit, und viele leiden unter
dem aktuellen Regime der Mullahs, wie uns
immer wieder verdeutlicht wird. Nach der Islamischen Revolution von 1979 wurde die Monarchie Iran zu einem Gottesstaat. Um heikle
Situationen zu vermeiden, sprechen wir nie
mittlerer osten
Trauriges Bam. Als letzte Station im Iran fah-
ren wir nach Bam. Die Stadt erlangte traurige
Berühmtheit durch das Erdbeben im Dezember 2003, bei welchem über 30 000 Menschen
unter ihren Häusern begraben wurden. Die
mächtige Zitadelle, die Tausende Touristen
anlockte, liegt in Schutt und mit ihr das Touristengeschäft. In der ganzen Stadt liegen
noch immer überall Trümmer, der Wiederaufbau geht nur stockend vorwärts. Sogar das
Wrack des Fahrrades eines Freundes, der damals drei Stunden unter den Resten von Akbars
Gasthaus, wo wir wohnen, verschüttet war
und glücklicherweise gerettet wurde, liegt
noch am selben Ort. Akbars Gasthaus ist ein
Provisorium. Das Leben findet noch immer
unter den vor Jahren errichteten Blechdächern statt. Das Trauma ist unverarbeitet,
viele haben ihre ganze Familie verloren, haben Trost im Opium gesucht und sind heute
abhängig. Akbar redet davon, dass seine Stadt
eines Tages wieder aufgebaut sein wird und
der Touristenstrom zurückkehrt, doch in seinen Augen spiegelt sich eine Hoffnungslosigkeit, die uns tief berührt.
Durch die Nähe zum politisch angespannten Belutschistan sowie durch rivalisierende
Drogenclans, ereilt Bam ein doppelt schwieriges Schicksal; noch verstärkt durch die Tatsache, dass hier vor zwei Jahren ein Japaner entführt wurde. Als wir am ersten Abend nach
Einbruch der Dunkelheit in einer Imbissstube
sitzen, werden wir von zwei bewaffneten Soldaten bewacht, die uns später auf dem Motorrad bis zu Akbars Türe folgen. Dies gibt uns
einen Vorgeschmack auf das, was uns die
nächsten Tage erwartet.
Laut Einheimischen ist die Strecke von
Bam bis Mirjaveh, an der pakistanischen
Grenze, nicht unter Kontrolle der Regierung.
Kurz nach Bam werden wir vom Militär gestoppt. Man will uns eskortieren. Dafür werden
uns auch gleich die Pässe abgenommen. Wir
sind angespannt, fühlen uns wie Gefangene.
Ein achtstündiger Spiessrutenlauf beginnt. Anstatt zügig durchfahren zu können, müssen wir
alle zehn Kilometer anhalten und auf die
nächste Eskorte warten. Das alles bei back-
ofentauglichen Temperaturen. Unser Hinweis,
dass die Grenze um drei Uhr nachmittags
schliesst, wird geflissentlich überhört. Als wir
endlich an der Grenze ankommen, stehen wir
vor geschlossenen Toren. Unsicher, was zu tun
ist, wollen uns die zwei Soldaten zwingen, auf
dem Parkplatz der Kaserne, auf den die Sonne
knallt – im Auto sind es 46 Grad –, zu übernachten. Prima! Ich als einzige Frau, keine Toilette auf dem Areal, dafür eine Menge neugierige Soldatenaugen. Wir bestehen darauf, in
einem Hotel zu übernachten und finden
schliesslich eine Unterkunft. Erst nachdem wir
eingecheckt haben und die Soldaten dem Manager unsere Pässe ausgehändigt haben, ziehen
sie sich zurück. Morgens um sieben lässt sich
ARM.
TÜRKE I
über Religion oder Politik. Doch wir erfahren,
dass jemand schon Probleme mit den Sittenwächtern kriegen kann, wenn er Ausländer zu
sich nach Hause einlädt. Einige machen ihrem
Ärger in unbeobachtet geglaubten Momenten
Luft. Wie zum Beispiel Payam. In Esfahan
klopft er eines Morgens an unser Autofenster
und lädt uns ein, seine Toilette zu benutzen. In
der Wohnung bereitet er uns ein leckeres Frühstück mit Brot, Käse und der typischen Karottenkonfitüre zu. Den Schwarztee serviert er uns
lächelnd mit einem Löffel, denn er weiss, dass
wir Ausländer den Zucker im Tee auflösen und
nicht wie sie auf die Zunge legen und den Tee
schlürfen. Er hasst die Mullahs, die aus der arabischen Welt kommen und nichts mit den Persern gemeinsam haben. Er erklärt uns, dass die
meisten Iraner gegen den strengen Hijab sind.
Auch über das Alkoholverbot ärgert er sich. Er
hat kaum Hoffnung, dass sich in der nahen Zukunft etwas ändert. Trotzdem glaubt er daran,
dass Iran irgendwann wieder zu Persien wird.
Nach reichlich Stadtatmosphäre freuen wir
uns auf die Sandschlösser von Kaluts. Schon
die Passstrasse dorthin ist ein landschaftliches
Highlight. Bei den ersten Ausläufern der Kaluts
kommt uns ein kleiner Sandsturm entgegen.
Der Anblick der bizarren Felsformationen,
durch den Sandsturm in einen mystischen
Dunst getaucht, ist märchenhaft. Die Kaluts
erstrecken sich über 145 Kilometer Länge und
80 Kilometer Breite. Nachdem der Wind nachgelassen hat, wagen wir uns weg von der
Strasse. Der harte Sand trägt uns meist problemlos, und wir kurven zwischen den zum Teil
zehn Stockwerke hohen, eigentümlich geformten Sandschlössern herum und finden einen
wunderbar gelegenen, etwas erhöhten Übernachtungsplatz. Wieder taucht eine uns inzwischen bekannte gelbe Wand am Abendhorizont
auf. Sicherheitshalber verstauen wir alles im
Auto und beobachten gespannt, wie ein Kalut
nach dem anderen nur noch schemenhaft zu
erkennen ist. Schliesslich umhüllt die Wolke
auch uns. Der Wind rüttelt und schüttelt an
Ganesh, Blitze jagen durch die Luft, und dazwischen reisst immer wieder der Himmel auf.
Ein unvergessliches Naturschauspiel.
ASERBEIDSCHAN
Tabriz
T U R K M E N I S TA N
Kaspisches Meer
Qom
IRAK
Mashad
Semnan
Teheran
Dasht-e-Kavir
Esfahan
AFGHANIS TA N
IR AN
Yadz
S AU D I
ARABIEN
Kaluts
Shiraz
Bam
Mirjaveh
Bandar Abbas
K ATA R
PA K I S TA N
V. A . E.
der Mann zum Glück erweichen, uns die Pässe
auszuhändigen und nicht auf die Eskorte zu
warten, damit wir gleich zur Grenze fahren
können. Der Grenzübertritt klappt reibungslos,
nach einer Stunde werden wir mit einem herzlichen «Happy welcome in Pakistan» von den
pakistanischen Zöllnern empfangen. Ich bin
froh, muss ich nun nicht mehr peinlich darauf
bedacht sein, meine Haare zu bedecken.
49
mittlerer osten
VIP in Pakistan. Reisende und Ein-
50 GLOBETROTTER-MAGAZIN winter 2011
und mindestens ein bewaffneter Beamter sitzt vor unserer Zimmertüre. So
beschliessen wir, Pakistan so schnell
wie möglich zu verlassen. Wir haben
die Nase voll von der Rund-um-dieUhr-Bewachung.
Wiedersehen mit Indien. Genau
Auf der Strecke Quetta–Sukkur. Landesüblicher
Transportlastwagen (oben).
Amritsar. Farbenpracht indischer Frauen (Mitte).
Eingespieltes Team. Ganesh, Karin und Jan
(unten).
zwei Monate sind wir unterwegs, als
wir die beiden riesigen Eisentore
durchfahren, die Pakistan und Indien
trennen. Wir parkieren Ganesh in der
Grenzstadt Amritsar, um möglichst
schnell wieder Indien, mit dem wir
uns schon seit unseren ersten Reisen
in den Neunzigerjahren stark verbunden fühlen, unter den Füssen zu haben. Ein fantastisches Gefühl. Wir
mischen uns unter die Menschen und
setzen uns im berühmten Goldenen
Tempel auf den kühlen Marmorboden, der den heiligen Teich umgibt.
Der majestätische, mit Goldplatten
bedeckte Gurdwara, das bedeutendste
Heiligtum der Sikhs, schimmert inmitten des glitzernden Wassers. Stundenlang geniessen wir die Atmosphäre und lassen uns vom Sing-Sang der
Sikh-Priester einlullen, der per Lautsprecher aus dem Tempel übertragen
wird. Hier in diesen heiligen Gemäuern werden die Erlebnisse der grossen
Reise wieder präsent. Es war eine unglaublich
intensive Zeit mit vielen wunderbaren Begegnungen, aber auch mit nachdenklich stimmenden Erfahrungen. Doch jetzt sind wir angekommen, nicht nur in Indien, in diesem
kostbaren Moment auch bei uns.
[email protected]
© Globetrotter Club, Bern
heimische haben uns vor der Strecke
von der Grenze bis Quetta gewarnt
und rieten uns, die 600 Kilometer
durch Belutschistan aus Sicherheitsgründen an einem einzigen Tag zu fahren. Nach der Rekordfahrzeit von
zehn Stunden erreichen wir bei Einbruch der Dunkelheit die Stadt. Seit
Langem setzen wir uns wieder in ein
Strassencafé und schauen dem Treiben zu. Pakistan hat mehr mit seinem
Erzfeind Indien gemein, als ihm lieb
sein mag: das bunte Leben, die Umgangsformen, das Chaos, der Lärm,
die Strassenstände. Wir lieben es.
Spätestens ab der Provinz Sindh,
sagt man uns, sei das Reisen gefahrlos
möglich, der ganze Punjab sei sicher.
Frohen Herzens fahren wir nach drei
Tagen weiter. Doch mit der Freiheit
und der Freude, Pakistan zu erkunden,
ist es nach 60 Kilometern vorbei. Eine
Polizeieskorte fängt uns ab. Durch die
Probleme in den nordwestlichen Provinzen beschloss die Regierung, sämtlichen motorisierten Ausländern Polizeischutz zu gewähren. Zu gross ist die
Angst, es könnte einem Touristen etwas zustossen und die ganze Situation
international verschlimmern. Für uns
heisst das im Klartext: Einmal mehr
bestimmt die Polizei unser Fahrtempo. Jedes
Mal, wenn wir anhalten wollen, müssen wir ein
Zeichen geben und werden dann von bewaffneten Polizisten begleitet – auch auf die Toilette. Sie bestimmen, wo wir essen, wo wir
schlafen. Nach Ankunft im Hotel ist es uns
nicht mehr gestattet, das Areal zu verlassen,
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