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Musik abseits des Mainstream, Lifestyle jenseits der Hochglanz-Magazine und als Running Gag die Frage an etablierte Pop-Künstler, ob sie »TRACKS« kennen – seit mehr als zehn Jahren läuft das einzige musikjournalistische Magazin im deutschen Fernsehen. Wild, gefährlich und am Puls der Zeit »TRACKS« auf ARTE Von Christiane von Hahn und Katja Ferwagner Blasted Mechanism RACKS« ist das popkulturelle Magazin auf ARTE mit Schwerpunkt Musik. Ob mit einer Gruppe Buschspringer, das sind junge Menschen, die als Freizeitaktivität gerne in Büsche hineinspringen und es selbstverständlich als politische Aktion sehen, oder mit der Granny Brigade, einer Gruppe von Groß- und Urgroßmüttern, die gegen den Irakkrieg demonstrieren – »TRACKS«-Reporter wühlen gerne im Untergrund und hängen sich an ihre Interviewpartner. So zerren sie Themen ans Licht, die sich lange im Dunkeln versteckt haben. Dabei versucht die Sendung, nicht nur neue Strömungen in der alternativen Popmusik aufzuspüren, sondern diese auch so zu erklären, dass absolute Musik-Freaks nicht gelangweilt abschalten und auch der Zufallszuschauer nach dem Beitrag genau weiß, warum die Dubstepper aus Brixton sich ihre Platten im Dubplatecutting-Studio maßschneidern lassen. »TRACKS« wird in jährlich unterschiedlichen Anteilen produziert von BR, WDR und ZDF sowie ARTE France. Die »TRACKS«-Redaktion des BR in München produziert selbst (2007: sechs Sendungen) und hat gegen den Trend 2004 wieder in-, nicht outgesourct. Mit Jochen Kölsch als Redaktionsleiter und Christine Peters als Beraterin haben Christiane von Hahn und Katja Ferwagner nicht nur Kevin Shields, Syd Barrett und Jon Spencer als Popidole, sondern auch Pete Doherty, die Ikone des Britpops und besser bekannt als Absturzrocker und Dauerfreund des Models Kate Moss, täglich im Büro – zumindest als Plakat an der Tür der »TRACKS«-Redaktion. In diesen heiligen Hallen, also auf ungefähr 25 m² Bürozimmer, werden die Platten rauf und runter gehört, wird recherchiert und der Finger auf den Puls der Zeit gelegt. Weird Folk, Garagenrock, 44 Artikel Dreampop und Mathrock, alles wird durch den popkulturellen Wolf gedreht und in »TRACKS« sauber wieder zusammengesetzt. »TRACKS« kennt eigentlich jeder, der sich für Musik und Popkultur interessiert. Das Magazin genießt absolute Glaubwürdigkeit, was nicht ganz einfach ist in einer Szene, die sich schneller verändert, als sich Fruchtfliegen vermehren, und es ist mittlerweile das einzige Magazin im deutschen Fernsehen, das sich journalistisch mit Musik und popkulturellen Themen beschäftigt. Doch leider kämpft das Magazin auch mit Schwierigkeiten. Bis Ende 2007 läuft »TRACKS« immer Donnerstagnacht irgendwann zwischen 23.00 und 0.00 Uhr. Genau die richtige Zeit für Nachteulen, das mag schon sein. Für so manch anderen leider zu spät. Außerdem schwankt die Anfangszeit, je nach der Länge des vorangehenden Dokumentarfilms. Das Forum auf der ARTE-Homepage ist voll mit Plädoyers für eine frühere Sendezeit – diese wurden nun erhört! Ab Januar 2008 läuft »TRACKS« immer am Freitag gegen 22.30 Uhr. Endlich gibt es die wöchentliche Prise Popkultur auf einem attraktiven Sendeplatz, der auch bisher nicht eingefleischte »TRACKS«-Zuschauer erreichen kann – ein Zeichen dafür, dass Popkultur längst in der Hochkultur angekommen ist. Aber es ist auch eine neue Herausforderung für alle Beteiligten. Klar ist: »TRACKS« bleibt auch am Freitagabend wild, gefährlich und am Puls der Zeit. Die Inhalte »TRACKS« bietet in 52 Minuten ein wöchentliches Kaleidoskop der Popkultur. Der Schwerpunkt der Sendung liegt auf einer feuilletonistischen Berichterstattung über Musik, die in verschiedenen Formen stattfindet. Zum Beispiel als Interview der Woche, in dem in vier bis fünf Minuten ein Künstler ausgequetscht wird wie ARD-JAHRBUCH 07 eine Zitrone, oder auch als so genanntes »Live« das in rund sieben Minuten relevante Bands vorstellt, mit einem kurzen Portrait der Band und einem Live-Mitschnitt. Die Ästhetik von »TRACKS« ist unverwechselbar: jung, schnell und nah dran. Trotzdem steht natürlich bei den Beiträgen die saubere journalistische Arbeit im Vordergrund. Unser Ziel ist es, nicht die Waschzettel der Plattenfirmen nachzuerzählen, sondern das Besondere der Band oder des Künstlers herauszuarbeiten. Meistens funktioniert das Prinzip, manchmal auch nicht. Neben der Musik geht es um das, was im Underground in den Metropolen dieser Welt so passiert: in der Kunst, in der Musik, in der Mode und auf der Straße. Und auch politische Themen haben ihren festen Platz in der Sendung. Anfang 2006 sorgte »TRACKS« mit einer Spezialsendung zu den Unruhen in den französischen Banlieues für Aufsehen: Die Sendung war quasi ein Remake der französischen Liedermacherrunde nach der Revolution 1968. Damals am Tisch versammelt: Jacques Brel, Léo Ferré und Georges Brassens. 2006 am Tisch: Joey Starr, Disiz La Peste und Ekoué. Drei Größen der französischen HipHop-Szene, drei Meinungen zum Thema, von militant bis gemäßigt. Außerdem legendär: In der Sendung vom 28. 10. 2004, in der es um die weltweite Untergrundbewegung der »modernen« Piraten ging, Pop- und Musikkultur im Fernsehen Der »Nachrichtensprecher« packte Oberpirat, Politologe, Uniprofessor und militanter Bush-Gegner Hakim Bey aus – allerdings ohne sein Gesicht zu zeigen. Und sogar in die Earthships, autarke Städte, die ohne Baugenehmigung von Aussteigern einfach so in die Landschaft gestellt werden, wurde »TRACKS« eingeladen. Wahrhaft rauschhaft ging es in unserem Spezial »Rausch und Ekstase« zu: Rock’n’RollQueen Peaches (Foto unten) führte durch die Sendung. Die Dame, die sich nicht nur Gitarren um den Körper hängt, sondern sich für ihre Bühnenshow auch mal Dildos um den Bauch schnallt. Wir verloren uns in den kakophonischen Welten Otto von Schirachs, wurden ARD-JAHRBUCH 07 45 tiert und wiederentdeckt. Mit dabei außerdem die psychedelischen Folker von Brightblack Morning Light, die gerne ihre Kristalle zur Songauswahl befragen und im Zelt in einem Indianerreservat leben. Außerdem hat sich »TRACKS« von den »free huggern« umarmen lassen, eine Bewegung, die der Welt mehr Liebe schenken will. von den Menschenverächtern von Slaughter Cult mit Blut bespuckt, gingen mit der Performancekünstlerin Marina Abramovic an die Grenzen des Wahnsinns und begleiteten den verspulten Meister des rauschhaften Elements im Britrock, Pete Doherty (Foto oben), zu einer seiner legendären Shows. Let the sunshine in: Im Sommer 2007 war auch »TRACKS« beim ARTE-Schwerpunkt »Summer of Love« mit einem eigenen Spezial beteiligt. Dabei ging es uns selbstverständlich nicht um einen Rückblick, sondern um die neue Generation Hippiekinder und ihre Verbindung zur Vergangenheit. Allen voran natürlich die Ikone des Weird Folks, Vashti Bunyan, gerade von den neuen Folkern um Devendra Banhart, Coco Rosie und Joanna Newsom adop»TRACKS« am 12. 7. 2007: Als Königin der neuen Generation Blumenkinder führt Vashti Bunyan durch die Sendung unter dem Titel »Summer of Love«. 46 Artikel Die Macher Wer regelmäßig zuschaut, stellt fest, dass die Sendung verschiedene Handschriften hat. Das ist so gewollt und hat folgenden Grund: Wie fast alle ARTE-Sendungen wird auch »TRACKS« zu einem Teil in Deutschland, zum anderen Teil in Frankreich gemacht. In Paris kümmert sich die freie Produktionsfirma Programm33 um die französischen Folgen. In Deutschland sind die Folgen zwischen ZDF, WDR und BR aufgeteilt – klingt ganz schön kompliziert, ist es aber nicht! Dank E-Mail klappt die Themenabsprache zwischen den Produzenten ohne Probleme. Dabei gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Etwa zweimal im Jahr treffen wir uns mit den Kollegen der anderen Redaktionen. Gemeinsam versuchen wir bei solchen Treffen, eine Schneise durch den popkulturellen Dschungel zu schlagen und stoßen so auf ungeahnte Schätze. In der ARTE-Zentrale in Straßburg laufen die Fäden zusammen. Dort wird die gesamte Pressearbeit für beide Länder gemacht, und auch die Sprach-Fassung für das jeweils andere Land wird dort hergestellt. Wir im BR produzieren das Magazin seit 2004 im eigenen Haus. Zu Beginn hatten einige Sorgen, ob überhaupt die Kapazitäten für so ein junges, schnelles Magazin da sind – völlig unbegründet! Denn von Anfang an war bei allen, bei Autoren, Kameraleuten und Cuttern, die Begeisterung groß. Denn in einer öffentlichrechtlichen Anstalt gibt es jede Menge Potenzial für so ein junges, innovatives Subkultur-Format, und alle Beteiligten haben schier darauf gewartet, es auszuleben. Gerade im Hinblick auf die derzeitige Diskussion über die Verjüngung der öffentlich-rechtlichen Programme war die damalige Entscheidung, »TRACKS« im eigenen Haus zu produzieren, eine visionäre Idee. So konnte im BR junges, innovatives Know-how geweckt und gefördert werden. Heute und in Zukunft wird es nicht nur »TRACKS«, sondern auch anderen Formaten nützen. Und auch ARD-JAHRBUCH 07 Bandscheiben-Vorfall. Diesen Gruppen gibt »TRACKS« ebenfalls die wöchentliche Dosis aktueller Popkultur. Für alle ist etwas dabei: Eingefleischten Musikfans bietet das Magazin zusätzliche Infos. Aber auch Zuschauer, die sich für Trendthemen interessieren, schalten donnerstags ein. Und Leuten, die den Anschluss an die Popkultur und die Jugend nicht verlieren wollen, verschafft »TRACKS« einen unschlagbaren Wissensvorsprung bei Musik und Undergroundthemen. »TRACKS« am 15. 6. 2006 über das Ende einer Ära: Am 31 .10. 06 wurde der legendäre New Yorker Club CBGB geschlossen. Der Gründer des Clubs, Hilly Kristal, starb am 30. 8. 2007. wenn diese Programmfarbe eher ein ungewöhnlicher Farbtupfer im Programm des Bayerischen Fernsehens ist – die »TRACKS«-Folgen verjüngen auch jedes Jahr das BR-Sommerprogramm. Wir arbeiten mit einem festen Stamm an Autoren, doch immer mal wieder kommt einer dazu. Dabei ist uns wichtig, dass sie mit einer eigenen Meinung an die Themen gehen und Stars auf Augenhöhe begegnen. Die Autoren berichten nicht als Außenstehende über eine Szene, sondern vielmehr aus dem Kern selber. Die Zuschauer Generell richtet sich die Sendung an die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen und genießt dort eine große Akzeptanz, hat geradezu Kultstatus. Aber mit dem 30. Geburtstag ist nicht Schluss: Denn Popkultur ist heute nicht mehr nur für unter 25-Jährige interessant, weil der Begriff »jugendlich« heute nicht mehr durch die bloße Anzahl der Jahre definiert ist. Die erste Generation des Pop, also die Alt-68er, hat selber mittlerweile graue Haare, und auch die Nirvana-Generation klagt über den ersten Pop- und Musikkultur im Fernsehen Internet und Podcast Natürlich wird »TRACKS« aktiv im Internet begleitet. Die Sendungs-Seite ist mit durchschnittlich knapp 80 000 Nutzern monatlich die meistbesuchte Seite des ARTE-Online-Angebots. Schon vor der Sendung stehen nicht nur die Themen mit einem Text über den Inhalt im Netz, sondern auch einige Interviews oder Ausschnitte aus der Sendung. Außerdem bieten wir den Zuschauern einzelne Musiktracks zum Anhören und die Vorschau auf die nächste Sendung als Podcast. Wer die Sendung mal verpasst oder so begeistert ist, dass er sie unbedingt noch mal sehen will, hat dazu sieben Tage nach der Erstausstrahlung Zeit. Im Forum werden die Themen der vergangenen Wochen ausgetauscht, Kritik geäußert oder gelobt. Dabei ist nicht überraschend, dass gerade »TRACKS«, das jüngste ARTE-Magazin, so großen Erfolg im Netz hat. Denn für diese Altersgruppe der Zuschauer hat das Netz fast das klassische Fernsehen abgelöst. Podcast und Streaming sind gerade für diese Zielgruppe elementare Angebote und vielleicht auch eine Form, die auf die klassische Sendung im Fernsehen neugierig macht. Christiane von Hahn und Katja Ferwagner BR, Redakteurinnen von »TRACKS« ARD-JAHRBUCH 07 47