Biofilm: Ein neuer Blick auf Plaque

Transcrição

Biofilm: Ein neuer Blick auf Plaque
Biofilm: Ein neuer Blick auf Plaque
Pamela R. Overman, EdD, RDH
Fortbildungseinheiten: 2 Stunden
Erweitern Sie Ihr Wissen über die verschiedenen Sichtweisen von Zahnmedizinern zum Thema Plaque in
der Vergangenheit, unter besonderer Berücksichtigung neuester Sichtweisen von Plaque als Biofilm und die
Auswirkungen auf die Parodontaltherapie.
Interessenkonflikt Offenlegungserklärung
Die Autorin war Beraterin für P & G.
ADA CERP
Procter & Gamble ist ein ADA CERP anerkannter Anbieter.
ADA CERP ist ein Angebot der American Dental Association, das Dentalfachleute dabei unterstützt,
qualifizierte Anbieter von zahnmedizinischen Fortbildungskursen zu erkennen. Weder zertifiziert ADA CERP
individuelle Kurse oder einzelne Dozenten, noch erkennt es von Zahnärztekammern erteilte Leistungen
(credit hours) an.
Bedenken oder Beschwerden über einen
Fortbildungsanbieter können an den Anbieter oder unter
der nachfolgenden Adresse an ADA CERP gerichtet werden:
http://www.ada.org/prof/ed/ce/cerp/index.asp
Überblick
In den vergangenen 120 Jahren haben Dentalforscher versucht, die mikrobiellen Zusammenhänge
oraler Erkrankungen zu verstehen. Ihre Sicht auf die Plaque und die darin enthaltenen Mikroorganismen
wandelte sich von einer spezifischen Plaque-Hypothese hin zu einer unspezifischen Plaque-Hypothese und
wieder zurück zu einer Theorie der spezifischen parodontalen Pathogene in der Plaque. Die Änderungen
in der Auffassung der Plaque und ihrer Mikroorganismen beeinflusst die Strategien zur Prävention und
Behandlung von Parodontalerkrankungen. In den letzten Jahren haben Dentalforscher begonnen,
Plaque als Biofilm zu sehen. Diese Veränderung in der Sichtweise hat bedeutende Auswirkungen auf
zukünftige Entwicklungen in der Prävention und Behandlung. Dieser Kurs behandelt die verschiedenen
Ansichten von Zahnmedizinern zum Thema Plaque in der Vergangenheit, unter besonderer Berücksichtigung
neuester Sichtweisen von Plaque als Biofilm und die Auswirkungen auf die Parodontaltherapie.
Lernziele
Nach Beendigung dieses Kurses sollten Zahnmediziner in der Lage sein:
• Eine Definition des Biofilms zu geben.
• Die positiven und negativen Aspekte der Bildung eines Biofilms in der Natur zu diskutieren.
Beispiele dafür zu geben, welcher Nutzen und welcher Schaden von einem Biofilm ausgehen.
• Die unterschiedlichen Auffassungen über bakterielle Plaque zu drei verschiedenen Zeitpunkten in der
Vergangenheit zu vergleichen: 1880-1930, 1930-1960 und 1960 bis zur heutigen Zeit.
• Das Verhalten von Bakterien auf Zellkulturplatten mit dem Verhalten in Biofilmen zu vergleichen.
• Die derzeit angewandten Strategien zur Kontrolle des oralen Biofilms zu beschreiben.
• Die Strategien zur Kontrolle des oralen Biofilms zu nennen, die derzeit diskutiert werden.
Die perfekte Fortsetzung Ihrer Prophylaxe
Kursinhalte
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Einführung
Biofilm
Veränderungen in der Sichtweise auf die Plaque
Plaque als Biofilm
Neue Grenzen
Zusammenfassung
Kurstest
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Einführung
Trotz der Bemühungen von Dentalfachleuten sind
orale Infektionen immer noch weit verbreitet.
Der durchschnittliche Erwachsene in den USA hat
10 bis 17 kariöse, fehlende oder permanent gefüllte
Zähne.1 Die Mehrheit der US-Bevölkerung leidet an
Gingivitis, ein geringerer Anteil an moderater bis
schwerer Parodontitis (Abbildung 1).2
Es ist allgemein anerkannt, dass diese oralen
Infektionen multifaktorieller Natur sind und bestimmte
Bakterien innerhalb der intraoralen Plaque ein
Abbildung 1. Gingivitis
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
notwendiger aber keineswegs hinreichender Grund
für eine Erkrankung sind. Wie genau diese in der
Plaque enthaltenen Mikroorganismen (Abbildung 2)
orale Erkrankungen verursachen ist nicht
vollständig geklärt. Das Verständnis der Plaque
und der darin befindlichen Mikroorganismen
wird von analytischen Mitteln bestimmt, die zu
Studienzwecken herangezogen werden. In der
Folge werden dadurch die Strategien zur Kontrolle
und Vorbeugung von Dentalerkrankungen
beeinflusst.3 In den letzten zwei Jahrzehnten
haben neuere wissenschaftliche Methoden das
Verständnis der Plaque gewandelt, sodass sie nun
von Wissenschaftlern als Biofilm gesehen wird.1
Biofilm
Ein Biofilm ist eine gut organisierte kooperierende
Gemeinschaft von Mikroorganismen.4,5 Die
schleimige Schicht, die sich auf Felsen in Flüssen
bildet, ist ein klassisches Beispiel für einen Biofilm
(Abbildung 3a). Genauso wie die Plaque, die sich
in der Mundhöhle bildet. Biofilme sind in der Natur
Abbildung 2.
In der Plaque angesiedelte Mikroorganismen
Orale Mikroorganismen in der Plaque, die die
typische maiskolbenartige Anordnung von
Bakterien aufweisen.
2
Tod. Die Legionärskrankheit, der im Jahre 1976 in
Philadelphia 29 Personen zum Opfer fielen, konnte
schließlich auf Bakterien im Biofilm einer Klimaanlage
zurückgeführt werden. Jährlich werden Millionen von
Dollar ausgegeben, um diese Biofilme einzudämmen.3,7
Veränderte Sichtweise auf Plaque
Abbildung 3a. Bildung von Biofilm auf einer
Felsoberfläche
allgegenwärtig. Sie bilden sich unter flüssigen
Bedingungen. Schätzungen zufolge sind über
95 Prozent aller in der Natur vorkommenden
Bakterien in Biofilmen enthalten.5 Mitunter werden
Biofilme als positiv angesehen z. B. wegen ihres
Einsatzes bei der Entgiftung von Abwasser in
Kläranlagen. Häufiger jedoch stellen Biofilme eine
Herausforderung für den Menschen dar.3,5
Die Schleimschicht, die sich in zahnärztlichen
Behandlungseinheiten in den Wasserleitungen
bildet, ist ein Beispiel, das den meisten
Zahnmedizinern geläufig ist. Biofilme können ebenso
in Ölpipelines, Fischtanks, Dauerkathetern, auf
internen Implantaten, Kontaktlinsen und Prothesen
gefunden werden (Abbildung 3b). Biofilme sind
für die Mehrzahl der Infektionen bei Menschen
verantwortlich.6 Gelegentlich führen Biofilme zum
Abbildung 3b. Auf zahnmedizinischer
Ausrüstung nachgewiesener Biofilm
Spezifische, für viele Erkrankungen
nachgewiesene Pathogene
Suche nach oralen Pathogenen in der
Plaque beginnt
Im Jahr 1996 veranstaltete das nationale Institut
für dentale und kraniofaziale Forschung (National
Institute for Dental and Craniofacial Research) eine
internationale Konferenz zum Thema Mikrobielle
Ökologie. Dabei stand eine neue Sichtweise auf die
Plaque als Biofilm im Mittelpunkt. Die Konferenz
hob die Bedeutung dieses Wandels in der
Wahrnehmung von dentaler Plaque und deren Rolle
bei oralen Erkrankungen hervor.1 Dies war nicht das
erste Mal in der Geschichte der Zahnmedizin, dass
Fachleute ihren Ansatz überdenken. Im Verlauf der
letzten
120 Jahre hat sich die Auffassung über dentale
Plaque mehrmals gewandelt.
Der Zeitraum zwischen den Jahren 1880 und 1930
wurde das goldene Zeitalter der Mikrobiologie
genannt (Abbildung 4).8 In dieser Zeit wurden
die Pathogene identifiziert, die viele systemische
Infektionen von medizinischer Wichtigkeit
verursachten. Außerdem suchten Forscher
nach einer einzelnen, spezifischen Ursache für
orale Erkrankungen. Unter der Annahme, dass
Plaque einen Mikroorganismus enthält, der
parodontale Erkrankungen verursacht, haben
Dentalwissenschaftler Plaque auf der Suche nach
dem Erreger erforscht. Mit den damals verfügbaren
Technologien (Nasspräparate oder gefärbte
Ausstriche unter dem Mikroskop) entdeckten
Wissenschaftler vier verschiedene Gruppen von
potentiellen ätiologischen Erregern für parodontale
Erkrankungen. Amöben, Spirochäten, Fusiformen
und Streptokokken wurden bei Patienten mit
parodontalen Erkrankungen isoliert und daher
als mögliche Ätiologien vorgeschlagen.
Unspezifische
Spezifische Plaque-Hypothese
Plaque-Hypothese
Krankheiten zurückführbar Behandlung zielt
auf individuelle
auf Erreger
konstitutionelle Schwächen
Das Goldene
Plaque-Kontrolle
Zeitalter der Mikrobiologie
Abbildung 4. Die veränderte Sichtweise auf Plaque und Parodontalerkrankungen
(1880 - 1930).
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
BIOFILM
Biofilm
3
Spezifische, für viele Erkrankungen
nachgewiesene Pathogene
Suche nach oralen Pathogenen in der
Plaque beginnt
Unspezifische
Spezifische Plaque-Hypothese
Plaque-Hypothese
Krankheiten zurückführbar Behandlung zielt
auf individuelle
auf Erreger
konstitutionelle Schwächen
Das Goldene
Zeitalter der Mikrobiologie
Plaque-Kontrolle
Abbildung 5. Die veränderte Sichtweise auf Plaque und Parodontalerkrankungen
(1930 - 1960).
Spezifische, für viele Erkrankungen
nachgewiesene Pathogene
Suche nach oralen Pathogenen in der
Plaque beginnt
Unspezifische
Spezifische Plaque-Hypothese
Plaque-Hypothese
Krankheiten zurückführbar Behandlung zielt
auf Erreger
auf individuelle
konstitutionelle Schwächen
Das Goldene
Zeitalter der Mikrobiologie
Plaque-Kontrolle
Abbildung 6. Die veränderte Sichtweise auf Plaque und Parodontalerkrankungen
(1960 - 2000).
BIOFILM
Biofilm
BIOFILM
Biofilm
Die Behandlung in der damaligen Zeit richtete
sich nach dem vermuteten Erreger und
beinhaltete Farbstoffe, systemische Administration
antimikrobieller Präparate, die Arsen beinhalteten,
intramuskuläre Injektion von Blei sowie
Impfungen.9
Die 1930er Jahre leiteten eine Wende in
der Auffassung über die Rolle der Plaque
und ihrer Mikroorganismen in der Ätiologie
parodontaler Erkrankungen ein (Abbildung 5).
Dentalwissenschaftler waren der Meinung,
dass parodontale Erkrankungen auf individuelle
konstitutionelle Schwächen zurückzuführen seien.9
Mechanischen Irritantien wie Zahnstein oder
überhängende Restaurationsränder wurde ebenfalls
eine wichtige Rolle bei der Pathogenese von
parodontalen Erkrankungen zugewiesen.10
Die Annahme, dass die parodontale Erkrankung
durch einen einzelnen mikrobiellen Erreger ausgelöst
wird, wurde von Theorien der unspezifischen
Plaque abgelöst.9 Unspezifische Plaquehypothesen
besagen, dass eher die gesamte Bakterienflora
in der Plaque eine Rolle bei parodontalen
Erkrankungen spielt als ein spezifisches Bakterium.
Die gesamte Plaque galt als schlechte Plaque.
Darüber hinaus bedeutete verstärkte Plaquebildung
auch eine verstärkte Erkrankung. Plaquekontrolle
galt als wesentliche Voraussetzung, um die
Produktion von zahnfleischreizenden Substanzen zu
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
Abbildung 7. REM von reifer dentaler Plaque beim
Menschen, die eine maiskolbenartige Bildung aufweist.
Balken = 10 Mikrometer bei einer Originalvergrößerung
von 2.020.
Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Charles Cobb,
University of Missouri-Kansas City
reduzieren, die zu parodontalen Entzündungen und
Schädigungen führen.11 Der Bestimmung spezifischer
Mikroorganismen wurde keinerlei Bedeutung
beigemessen. Eine konsequente Plaquekontrolle war
wichtig und rückte in den Mittelpunkt der parodontalen
Therapie.
Die 1960er Jahren waren von einer Rückkehr zur
spezifischen Plaquehypothese gekennzeichet
(Abbildung 6). Forscher konnten erfolgreich zeigen,
dass es eine Übertragung von parodontalen
Erkankungen zwischen Hamstern gibt.12
Elektronenmikroskopische Untersuchungen zeigten
4
Spirochäten im Binde- und Epithelgewebe
von Patienten mit akuter nekrotisierender
ulzerierender Gingivitis im Gegensatz zu
gesunden Probanden.13 Im Glauben, dass
es Unterschiede in der Plaque gab, die auf
unterschiedliche Spezies zurückzuführen waren,
widmeten sie sich erneut der Suche nach einem
spezifischen parodontalen Pathogen und einer
auf diesen Erreger gezielte Behandlung.9
Dabei griffen die Forscher auf neuere
Methoden in der mikrobiologischen
Analyse zurück wie Dunkelfeldmikroskopie,
Transmissionselektronenmikroskopie,
Rasterelektronenmikroskopie, DNS-Proben,
BANA-Tests und Immuntests.14
Auch heute noch suchen Wissenschaftler mit
unterschiedlichem Erfolg nach dem spezifischen
ätiologischen Erreger. Haffajee and Socransky15
haben die Gründe für die Schwierigkeiten bei
der genauen Bestimmung eines spezifischen
Pathogens ausführlich beschrieben. Einige
dieser Schwierigkeiten sind auf mikrobielle
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
Probennahmen und das Züchten von Kulturen
zurückzuführen. Dazu gehören: Die Entnahme
einer Probe aus einer Zahnfleischtasche, Probleme
bei der Kultivierung einiger Organismen und die
hohe Zahl möglicher parodontaler Pathogene, die
in einer Zahnfleischtasche gefunden und kultiviert
werden können. Die Probennahme wird zusätzlich
dadurch erschwert, dass sich nicht nur Pathogene
sondern auch opportunistische Spezies in den
Zahnfleischtaschen befinden. Andere Schwierigkeiten
bei der Bestimmung parodontaler Pathogene hängen
mit der Natur der parodontalen Erkrankungen selbst
zusammen. Zunächst ist die parodontale Erkrankung
keine einzelne Erkrankung, sondern ein Ansammlung
verschiedener Krankheiten. Zweitens zeigen
diese Erkrankungen aktive und inaktive Perioden
sowie Variationen in der pathogenen Aktivität an
verschieden Stellen des gleichen Individiums. Eine
letzte Schwierigkeit bei der Bestimmung spezifischer
parodontaler Pathogene besteht in der individuell
16
unterschiedlichen Reaktion des Wirts.
Trotz dieser Herausforderungen sind sich
heutige Forscher weiterhin einig darüber, dass
Parodontalerkrankungen von spezifischen
Pathogenen hervorgerufene Infektionen
sind. In der letzten Zeit richtete sich die
Aufmerksamkeit auf Tannerella forsythensis
(früher bekannt als Bacteroides forsythus) sowie
Porphyromonas gingivalis und Actinobacillus
actinomycetemcomitans als primäre Pathogene
für die meisten parodontalen Infektionen. Als
mögliche Pathogene mit moderater Evidenz
werden auch andere Mikroorganismen (C.rectus,
E. nodatum, F. nucleatum, P. intermedia/
nigrescens, P. micros, S.intermedium und T.
denticola) angesehen.14,17 Forscher arbeiten an
der Entwicklung von diagnostischen Tests zum
Nachweis von parodontalen Pathogenen und
5
Bakterielle Mikrokolonien
Intermikrobielle Matrix
Flüssigkeitskanäle
Pellikel
Zahnoberfläche
Abbildung 8. Künstlerische Darstellung eines Plaque-Biofilms
Bemühungen um ein wirksames Management von
parodontalen Erkrankungen.
Plaque als Biofilm
Abbildung 9. Flüssigkeitskanäle
In der Vergangenheit wurden Bakterien anhand von
Kulturen erforscht, die in Kulturschalen im Labor
gezüchtet wurden. Neuere und fortschrittlichere
Methoden in der Mikroskopie wie das konfokale
Laser-Scanning und die Multiphotonenmikroskopie
ermöglichen die Untersuchung des Biofilms in
seiner natürlichen Umgebung.5,19
Das Verhalten von Mikroorganismen in einem
Biofilm ist anders als in einem Nährmedium
(siehe Tabelle 1).
Abbildung 10. Bakterien in einem Biofilm
kommunizieren mittels chemischer
Signale.
an auf diese abzielende Behandlungsmethoden.
Systemische Antibiotika wie Amoxicillin,
Metronidazol, Tetracyclin, Doxycyclin und
Augmentin wurden vorgeschlagen.15 Die lokale
Anwendung antimikrobieller Mittel (Tetracyclinfaden,
Metronidazol- und Minocyclin-Gele,
Chlorhexidinchips, and Doxycyclin-Polymer) wurde
ebenfalls eingeführt.18 Obwohl diese Ansätze unsere
Fähigkeit, mit Parodontalerkrankungen umzugehen,
verbessert haben, so ist ein ganzheitlicher Erfolg
bisher jedoch ausgeblieben. Die Plaque als Biofilm
anzusehen, verspricht bessere Ergebnisse in den
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
Durch ein Mikroskop betrachtet, ist zu erkennen,
dass Bakterien in einem Biofilm nicht gleichmäßig
verteilt sind. Sie gruppieren sich in Mikrokolonien
und sind von einer intermikrobiellen Matrix
eingeschlossen (Abbildung 8).
Der Biofilm ist von Flüssigkeitskanälen
durchzogen, die den Durchfluss von Nährstoffen,
Abfallprodukten, Enzymen, Metaboliten und
Sauerstoff ermöglichen. Die Mikrokolonien
innerhalb des Biofilms befinden sich in
Mikromilieus mit unterschiedlichen pH-Werten,
Nährstoffen und Sauerstoffkonzentrationen
(Abbildung 9). Die Bakterien in einem Biofilm
kommunizieren miteinander, indem sie
chemische Signale aussenden (Abbildung 10).
Diese chemischen Signale veranlassen die
Bakterien dazu, potenziell schädliche Proteine
und Enzyme zu produzieren; Virulenzfaktoren,
die es dem intraoralen Biofilm ermöglichen,
6
Abwehrmechanismen des Wirts zu umgehen.5,6
Unsere bisherigen Ansätze,
Parodontalerkrankungen vorzubeugen und diese
zu behandeln, basierten auf dem Verhalten
von Bakterien, die unter Laborbedingungen
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
1,5
gezüchtet worden sind. Ein besseres
Verständnis von Biofilmen hat gezeigt, dass es
große Unterschiede zwischen dem Verhalten
von Bakterien in Laborkulturen und in ihren
natürlichen Ökosystemen gibt. So produzieren
Bakterien in einem Biofilm Stoffe, die sie in einer
Kultur nicht produzieren würden. Zusätzlich
dient die Biofilmmatrix, die die Mikrokolonien
umgibt, als schützende Barriere. Dies erklärt,
warum systemisch und lokal verabreichte
antimikrobielle Mittel nicht immer zum Erfolg
geführt haben; auch dann nicht, wenn sie gegen
spezifische Mikroorganismen gerichtet waren.
Schätzungen eines Forschers zufolge, kann eine
bis zu 1.000 fache Menge eines Medikamentes
benötigt werden, um einen Mikroorganismus in
einem Biofilm abzutöten, als für den gleichen
Organismus in einer freischwebenden oder
planktonischen Umgebung nötig ist.20 Die
7
schützende Matrix eines Biofilms erklärt auch,
warum eine mechanische Plaqueentfernung
und persönliche Mundhygiene weiterhin ein
integraler Bestandteil der Parodontaltherapie
17,21
Biofilme können mechanisch entfernt
sind.
werden. Allerdings bildet sich sofort ein neuer
Biofilm, sodass die Suche nach einem Mittel zur
Bekämpfung weitergeht.
Neue Horizonte
Die industrielle Forschung bedient sich neuer
Technologien zur Bekämpfung von Biofilmen.
Ein Ansatz ist dabei, die Signale zwischen den
Bakterien im Biofilm zu stören, sodass sie nicht
mehr miteinander kommunizieren können. Eine
andere Strategie beinhaltet, die natürlichen
Abwehrmechanismen von Meerestieren wie
Walen und Delphinen nachzuahmen, bei denen
sich keine bakteriellen Biofilme bilden.5 Darüber
hinaus suchen Dentalwissenschaftler nach neuen
Wegen, orale Biofilme zu kontrollieren1,22 (siehe
Tabelle 2).
verstehen. Ihre Sicht auf die Plaque und die
darin enthaltenen Mikroorganismen wandelte sich
von einer spezifischen Plaque-Hypothese hin
zu einer unspezifischen Plaque-Hypothese und
wieder zurück zu einer Theorie der spezifischen
parodontalen Pathogene in der Plaque. In den
letzten Jahren haben Dentalforscher begonnen,
Plaque als Biofilm zu sehen. Die Beschaffenheit
eines Biofilms erklärt, warum die Vorbeugung
und Behandlung von parodontalen Erkrankungen
so schwierig ist. Durch ein besseres Verständnis
des Biofilms werden sich neue Strategien zur
Kontrolle dieser weit verbreiteten Erkrankungen
erschließen.
Den Sauerstoffgehalt, pH-Wert und die
Nährstoffe der Plaque zu variieren, eignete sich
zur Modulation der Mikroflora des Biofilms und
könnte sich als nützlich erweisen. Beispielsweise
benötigen parodontale Pathogene ein niedriges
Redox-Potenzial für ihr Wachstum. Der Einsatz
eines Redoxmittels wie z. B. Methylenblau in
Zahnfleischtaschen konnte das Wachstum von
gingivaler Plaque hemmen.24 Da eine Zunahme
der Sulkusflüssigkeit (GCF - gingival crevicular
flow) auch die Nährstoffversorgung des
subgingivalen Biofilms erhöht, könnte die
Reduzierung der Sulkusflüssigkeit künftig dazu
genutzt werden,
den subgingivalen Biofilm zu kontrollieren.
Der Einsatz entzündungshemmender Mittel
könnte nicht nur bei der Hemmung schädigender
Wirtskaskaden hilfreich sein, sondern auch bei
der Reduzierung der Nährstoffversorgung der
Biofilmgemeinschaft durch die Sulkusflüssigkeit
(GCF). Derzeit fördert das NIDCR
Forschungsvorhaben in diesem Bereich mit
dem Ziel, neue Therapien für die Zukunft zu
entwickeln.1
Zusammenfassung
In den vergangenen 120 Jahren haben
Dentalforscher versucht, die mikrobiellen
Zusammenhänge oraler Erkrankungen zu
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
8
Um Fortbildungspunkte für diesen zahnmedizinischen Fortbildungskurs zu erhalten, müssen Sie den
Online-Test durchführen. Gehen Sie dazu bitte auf www.dentalcare.com und suchen Sie diesen Kurs
in der Rubrik zahnmedizinische Fortbildung.
Kurstest Vorschau
1.
Ein Biofilm ist _______________.
a. eine lose Ansammlung freischwebender Bakterien.
b. eine kalzifizierte Ansammlung von Bakterien, die nicht leicht entfernt werden kann.
c. ein durchsichtiger, homogener Film auf feuchten Oberflächen.
d. eine gut organisierte, kooperierende Gemeinschaft von Mikroorganismen.
2.
Ein positives Beispiel für den Einsatz des Biofilms ist _______________.
a. die Entgiftung von humanen Abfallprodukten.
b. die Auskleidung an Dauerkathetern.
c. die Beschichtung in Fischtanks.
d. die Schicht in Wasserleitungen von Dentaleinheiten.
3.
Die spezifische Plaquehypothese stützt die folgende These:
a. „Je mehr Plaque, desto schwerer die Erkrankung.“
b. „Alle Bakterien in der Plaque verursachen Gingivitis und Parodontitis.“
c. „Zahnstein ist eine der Hauptursachen für Parodontitis.“
d. „Das Vorhandensein von bakterieller Plaque ist eine notwendige Voraussetzung für die
Entstehung von Parodontalerkrankungen, muss aber nicht zwingend dazu führen.“
4.
Derzeit glauben Wissenschaftler, dass alle der nachfolgenden Bakterien eine Rolle als
parodontale Pathogene spielen. AUSSER:
a. T. pallidum
b. P. gingivalis
c. A. actinomycetemcomitans
d. B. forsythus
5.
In der Vergangenheit war es schwierig für Wissenschaftler spezifische parodontale
Pathogene zu identifizieren, da _______________.
a. Zahnfleischtaschen sowohl Pathogene als auch Nicht-Pathogene enthalten.
b. verschiedene Bakterien in den Zahnfleischtaschen verschiedene Nährmedien benötigen.
c. die Parodontitis aktive und inaktive Phasen durchläuft.
d. Alle Antworten sind richtig.
6.
Zur Erforschung des Biofilms bediente sich die Wissenschaft neuerer
Mikroskopietechnologien wie z. B. _______________.
a.Nasspräparate
b. Rasterelektronenmikroskopie
c. konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie
d. Abstrichmethode
7.
Welche der folgenden Eigenschaften ist typisch für Bakterien in einem Biofilm?
a. Die Bakterien kommunizieren durch chemische Signale miteinander.
b. Die Bakterien sind größtenteils gleichmäßig in der Plaque verteilt.
c. Die Umgebung der Bakterien weist den gleichen oder einen ähnlichen pH-Wert auf.
d. Die Bakterien existieren isoliert voneinander.
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
9
8.
Welche Techniken können ausgehend von der Beschaffenheit der Bakterien in einem
Biofilm für die Kontrolle oraler Biofilme hilfreich sein?
a. Hemmung der Kommunikation zwischen den Bakterien untereinander.
b. Verhinderung des Flüssigkeitsaustausches zwischen den Bakterienmikrokolonien in einem
Biofilm.
c. Veränderung der Sauerstoffkonzentration mittels der Mikromilieus des Biofilms.
d. Alle Antworten sind richtig.
9.
Wie kann die Bildung eines subgingivalen Biofilms parodontale Pathogene vor lokal
angewandten antimikrobiellen Mitteln schützen?
a. Der Biofilm verhindert, dass das antimikrobielle Mittel in die Zahnfleischtasche gelangt.
b. Die Biofilmmatrix fungiert als schützende Barriere.
c. Die Flüssigkeitskanäle des Biofilms leiten das antimikrobielle Mittel aus der Tasche heraus.
d. Der Biofilm verändert den pH-Wert des antimikrobiellen Mittels und macht das Mittel
wirkungslos.
10. Zu den möglichen neuen Strategien zur Kontrolle oraler Biofilme gehören alle nachfolgend
genannten AUSSER:
a. Kontrolle der Nährstoffquellen des Biofilms.
b. Veränderung des pH-Wertes innerhalb der Mikrokolonien eines Biofilms.
c. Veränderung der Sauerstoffkonzentration innerhalb eines Biofilms.
d. Einsatz systemischer Antibiotika.
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
10
Literatur
1. Slavkin HC. Biofilms, microbial ecology and Antoni Van Leeuwenhoek. J Am Dent Assoc 1997;128:
492-495.
2. Douglass C, Fox C. Cross-sectional studies in periodontal disease: Current status and implications
for dental practice. Adv Dent Res 1993;7: 25-31.
3. DuPont GA. Understanding dental plaque; biofilm dynamics. J Vet Dent 1997;14: 91-94.
4. Marsh PD, Bradshaw DJ. Dental plaque as a biofilm. J Industrial Microbiology 1995;15: 169-175.
5. Costerton JW, Lewandowski Z, DeBeer D, et al. Biofilms, the customized microniche.
J Bacteriology 1994;176: 2137-2142.
6. Armitage GC. Basic features of biofilms-why are they such difficult therapeutic targets? Ann R
Australas Coll Dent Surg. 2004 Oct; 17:30-4.
7. Shearer BG. Biofilm and the dental office. J Am Dent Assoc 1996;127: 181-189.
8. Meyer KF 1917. The present status of dental bacteriology. J Am Dent Assoc 1917;4: 966-996.
9. Haffajee AD, Socransky SS. Evidence of bacterial etiology: a historical perspective. Periodontology
2000 1994;5: 7-25.
10. Willmann DE, Chaves ES. The role of dental plaque in the etiology and progress of inflammatory
periodontal disease. In Harris NO, Garcia-Godoy F eds. Primary preventive dentistry. Stamford, CO:
Appleton & Lange; 1999:63-76.
11. Kimball GD. The relationship of materia alba and dental plaque to periodontal disease.
J Periodontol 1952;23: 16-169.
12. Keyes PH, Jordan HV. Periodontal lesions in the Syrian hamster. III. Findings related to an infectious
and transmissible component. Arch Oral Biol 1964;9: 377-400.
13. Listgarten MA. Electron microscopic observations of the bacterial flora of acute necrotizing ulcerative
gingivitis. J Periodontol 1965;36: 328-339.
14. Papapanou PN, Engebretson SP, Lamster IB. Current and future approaches for diagnosis of
periodontal diseases. NY State Dent J 1999;32-39.
15. Haffajee AD, Socransky SS. Microbial etiological agents of destructive periodontal diseases.
Periodontol 2000 1994;5: 78-111.
16. Page RC, Offenbacher S, Schroeder HE, et al. Advances in the pathogenesis of periodontitis:
summary of developments, clinical implications and future directions. Periodontology 2000 1997;14:
216-248.
17. American Academy of Periodontology. Systemic antibiotics in periodontics (position paper).
J Periodontol 2004; 75:1553-1565.
18. Greenstein G, Polson A. The role of local drug delivery in the management of periodontal diseases:
A comprehensive review. J Periodontol 1998;69: 507-520.
19. Marsh PD. Dental plaque as a microbial biofilm. Caries Res. 2004 May-Jun;38(3):204-11.
20. Costerton JW. Introduction to biofilm. Int J Antimicrob Agents 1999:11:217-221.
21. Marsh PD. Dental plaque: biological significance of a biofilm and community life-style. J Clin
Periodontol 2005; 32 (suppl.6): 7-15.
22. Marsh PD, Bradshaw DJ. Physiological approaches to the control of oral biofilms. Adv Dent Res
1997;11: 176-185.
23. Adapted from Marsh and Bradshaw. Physiological approaches to the control of oral biofilms. Adv
Dent Res 1997;11: 176-185.
24. Wilson M, Gibson M, Strahan D, et al. A preliminary evaluation of the use of a redox agents in the
treatment of chronic periodontitis. J Periodont Res 1992;27: 522-527.
25. Beighton D. Can the ecology of the dental biofilm be beneficially altered? Adv Dent Res 2009; 21:
69-73.
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
11
Über die Autorin
Pamela R. Overman, EdD, RDH
Dr. Overman ist Associate
Dean für Akademische
Angelegenheiten an der
zahnmedizinischen Fakultät der
University of Missouri-Kansas
City (UMKC). Ihre Lehrtätigkeiten
umfassen die Bereiche
Mundgesundheitsaufklärung
und -förderung, Ausbildungsmethoden für
Lehrkörper der Gesundheitsberufe und
wissensbasierte Entscheidungsfindung.
Derzeit unterrichtet sie Zahnmedizinstudenten
im dritten Jahr im Bereich wissensbasierte
Entscheidungsfindung und Studenten im
ersten Jahr in interkultureller Kommunikation.
Zu ihren administrativen Aufgaben gehört die
Weiterbildung des Lehrkörpers. Sie bereichert
das Program mit Ihrem Erfahrungsschatz und
unterstützt so Praktiker dabei, den Übergang
in ihre Rolle als neue Fakultätsmitglieder zu
bewältigen. Dr. Overman erwarb ihren B.S. in
Dentalhygiene an der UMKC School of Dentistry,
ihren Abschluss als M.S. an der UMKC School
of Graduate Studies und erhielt im Jahr 2001
ihren Doktor in Bildungspolitik und Führung
im Bildungsbereich (educational policy and
leadership) an der University of Kansas. In ihrer
bisherigen beruflichen Laufbahn übernahm
sie zahlreiche nationale Führungspositionen,
darunter den Vorsitz des Vorstandes für
Nationale Dentalhygiene (National Dental
Hygiene Directors) und den Vorsitz des Rates
für verwandte Programme (Council of Allied
Programs) der American Dental Education
Association (ADEA), des Amerikanischen
Verbands für zahnmedizinische Ausbildung.
Des Weiteren hatte sie den Vorsitz der
Akkreditierungskommission der American Dental
Hygienist's Association, dem amerikanischen
Verband für Dentalhygieniker, inne. Derzeit ist
sie designierte Vorsitzende der ADEA-Sektion für
akademische Angelegenheiten und als Gutachter
für das Journal of Contemporary Dental Practice,
Journal of Dental Education und Journal of Dental
Hygiene tätig.
E-Mail: [email protected]
Überarbeitet am 23. 09. 2010
blend-a-med® Oral-B® – dentalcare.com, Zahnmedizinische Fortbildung
12