Politische Predigt? und Joh. 18, 29-40 (pdf-Format)

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Politische Predigt? und Joh. 18, 29-40 (pdf-Format)
Christuskirche Kassel – Bad Wilhelmshöhe
3. Gottesdienst im Rahmen der Predigtreihe „Suchet der Stadt Bestes –
Kirche in der Gesellschaft“, 14.Februar 2010 „Politische Predigt?“
(Gast: Polizeipräsident Henning)
Liebe Gemeinde!
Predigttext: Johannes 18, 29-40
Da kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Was für eine Klage bringt ihr gegen diesen
Menschen vor? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir
hätten ihn dir nicht überantwortet. Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn hin und
richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Wir dürfen niemand töten.
So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er
sterben würde. Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn:
Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben dir's
andere über mich gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die
Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein
Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden
darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich
nicht von dieser Welt. Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus
antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen,
dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.
Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?
Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich
finde keine Schuld an ihm. Es besteht aber die Gewohnheit bei euch, dass ich euch einen
zum Passafest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe? Da
schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber.
Kennen Sie den Unterschied zwischen Rückgrat und Wirbelsäule? –
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Eine Wirbelsäule hat jeder!
So begann eine Predigt vor über 30 Jahren, deren Anfang ich mir gemerkt habe: Es war in
Ostdeutschland, im Erzgebirge, über 10 Jahre vor dem Fall der Mauer. Die Grenze schien
unüberwindlich. Der Vorhang war eisern. Das Regime herrschte mit der Angst und mit der Stasi.
Wir Jugendlichen und jungen Erwachsenen überwanden die Grenze, indem wir von der Kirche aus
im Geheimen Jugendtreffen organisierten, in Ungarn und in Ostdeutschland. Denn wir
Westdeutschen konnten ja in den Osten reisen.
Dort hörte ich diesen Predigtanfang von der Wirbelsäule und dem Rückgrat. Jeder wusste sofort:
Hier wird persönlich und politisch Stellung bezogen. Ein Rückgrat zeigt innere Stärke und
Geradlinigkeit.
Ich habe dann gelernt, dass im Osten, die Entscheidung Pfarrer zu werden, immer auch eine
politische Entscheidung war, weil man im Gegenüber zum Staat lebte. Mit der Frage: „Darf ein
Pfarrer politisch predigen?“ – die im Westen diskutiert wurde, konnten die Pfarrer im Osten nichts
anfangen. Denn jede Predigt war politisch, war öffentlich, griff auch in die Stellung zu politischen
Themen ein. Ich habe viele Menschen dort kennengelernt, die Mut hatten und einen Biss, der
charmant und zugleich klar war. 10 Jahre später waren es genau diese Menschen, die mit Kerzen
und Gebeten in und um den Kirchen die Wende bewirkt haben.
Die Frage, ob politische Predigt sein darf, beantworte ich mit einem klaren „Ja!“
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„Politikos“ kommt aus dem Griechischen und meint alles bürgerliche Leben, was den Bürger
betrifft, was die Allgemeinheit betrifft. Wer kann denn so predigen, dass es nicht auch das
bürgerliche Leben betrifft?
Außerdem hilft uns ein Blick in die Geschichte:
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Gott setzte zu allen Zeiten Propheten ein, die dem König und dem Volk ins Gewissen
redeten – und das ist wahrlich keine leichte und beliebt machende Aufgabe.
Christus und die ersten Christen wurden verfolgt, weil sie so ganz anders lebten und redeten,
als es der Statt vorgab.
Immer ging es um die Machtfrage. Wer den Kaiser nicht als Gott anbetete, wer die Totalität des
Staates oder eines Führers nicht anerkannte, der war gefährlich für den Staat. Wer aber an Gott, den
Vater, Schöpfer und Allmächtigen glaubt, der kann den Mächtigen dieser Welt gegenübertreten und
ihnen bei der Machtfrage die Stirn bieten.
Jesus konnte dem großen Staatsmann Pilatus gegenübertreten auf Augenhöhe und sagen: „Mein
Reich ist nicht von dieser Welt.“ Und Pilatus hatte die Größe zu sagen: „Ich finde keine Schuld an
ihm!“ Dass er ihn trotzdem dem Mob der Straße und den Oberen der Juden überlässt, zeigt seine
Verantwortungslosigkeit, seine persönliche Angst vor Machtverlust und muss ihm als Fehler und
Schuld angelastet werden, denn nur er durfte über Todesurteile entscheiden. Da fehlte ihm das
Rückgrat.
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Wir sind heute dankbar, dass es die mutigen Reformatoren gab, die eine große Umwälzung
in Politik und Kirche bewirkt haben.
Wir sind dankbar für die Männer und Frauen der Bekennenden Kirche, die während der
Naziherrschaft formuliert und gelebt haben (Barmer Theologische Erklärung, 2.Artikel,
3.Abschnitt / EG 810): „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres
Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären,
Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ Das
haben sie gepredigt von den Kanzeln!
Wir sind dankbar für Martin Luther King, der 1963 in Washington gepredigt hat: „Ich habe
einen Traum...- Ich habe einen Traum, dass eines Tages unten in Alabama mit den brutalen
Rassisten, mit einem Gouverneur, von dessen Lippen Worte der Einsprüche und
Annullierungen tropfen, dass eines Tages wirklich in Alabama kleine schwarze Jungen und
Mädchen mit kleinen weißen Jungen und weißen Mädchen als Schwestern und Brüder
Hände halten können.“ Und heute, 47 Jahre später gibt es einen schwarzen Präsidenten in
den USA.
Umgekehrt müssen wir feststellen, dass in den Kirchen die politischen Stellungnahmen immer
wieder gefehlt haben.
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Wären nicht im 3.Reich deutlichere Worte von Nöten gewesen zur Pogromnacht und zum
Holocaust?!
Müssen wir nicht heute deutlichere Worte finden gegen die ungerechte Aufteilung der
Arbeit und der Güter. Die einen haben zuviel und die anderen zuwenig, und die Schere
klafft weit auseinander. Und das ist nicht nur ein Problem in Deutschland, sondern weltweit.
Müssen wir nicht noch deutlicher für den Klimaschutz eintreten, weil die Menschheit sich
sonst selbst zu Grunde richtet. Schon heute sterben Menschen durch den Klimawandel.
Aktuell bin ich dankbar, dass die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Margot Käsmann die
Frage nach mehr zivilem Engagement in Afghanistan gestellt hat. Auch die Frage nach der
Bundeswehr bei Auslandseinsätzen ohne Verteidigungsnotwendigkeit muss erlaubt sein und
gestellt werden. Und wenn es Diskussionen auslöst, steht dies einer Demokratie gut an.
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Immer ist es Aufgabe der Prediger und Predigerinnen für die Menschen Worte zu finden und
einzutreten, die sich selbst kein Gehör verschaffen können: den Armen, den ungerecht Behandelten,
den Notleidenden.
Aber da ist auch die Seite zu bedenken, wo in den Kirchen verkehrt gepredigt wurde, wo falsch
politisch Stellung bezogen wurde.
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Wo hat die Kirche den Oberen nach dem Mund geredet oder nur ihre Interessen vertreten?
Schon im Alten Testament gab es falsche Propheten. Jesus sagt: „Weh euch, wenn euch
jedermann wohlredet. Denn das gleiche haben ihre Väter den falschen Propheten getan.“
(Lukas 6,26)
Deshalb bekennen die Pfarrerinnen und Pfarrer in unserer Landeskirche im Ordinationsgelübde:
„Ich erkenne wohl, dass es ein schweres Amt ist.“ Damit sie der Gemeinde nicht nach dem Mund
reden müssen, wird ihnen ihre Stelle auf Lebenszeit verliehen. Sie tragen Verantwortung für das,
was auf der Kanzel verkündigt wird. Das ist ein hohes Gut und ebenso eine hohe Aufgabe.
Was aber sind nun Kriterien für eine politische Predigt?
Dazu nehme ich die Begegnung zwischen Jesus und Pilatus zu Hilfe.
1. Wahrheit
Unsere Aufgabe ist es die Wahrheit zu bezeugen. Jesus sagt: „Ich bin dazu geboren und in
die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört
meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?“
Wir sollen bezeugen, was wahr ist und was wir vor Gott als wahr erkannt haben. Jesus sagt
an anderer Stelle: „Ich bin die Wahrheit!“
Zur Wahrheit gehören immer Mut und Liebe dazu. Es nützt nichts, die Wahrheit zu sagen,
aber sie dem Gegenüber wie eine Dachlatte um die Ohren zu hauen. Liebe und Wahrheit
sind zwei Seiten einer Medaille, die unbedingt zusammengehören. Ich bete vor jedem
Gottesdienst: „Gib mir die richtigen Worte, gib mir den richtigen Ton.“
2. Klarheit
Ich habe das Gespräch mit dem Politiker Pilatus ausgewählt, weil es ein Dialog ist. Da sind
Rückfragen möglich. Pilatus nutzt die Fragen zur Klärung. Eine Predigt soll klären, soll
Klarheit schaffen bei geistlichen, persönlichen und politischen Fragen. Auch wenn sie
zunächst als Monolog erscheint, ist sie doch dialogisch angelegt. Die Gemeinde antwortet
mit Glaubensbekenntnis, Gesang und Gebet. Ein guter Prediger nimmt die Reaktionen der
Gemeinde wahr. Daneben gibt es die Möglichkeit des Gesprächs – nach dem Gottesdienst,
durch einen Anruf oder in einer Gemeindegruppe. Gemeinsam sind wir auf der Suche nach
Wahrheit und Klarheit. Gemeinsam sollen wir die Wahrheit bezeugen. Pilatus fragt: „Bist du
eine König?“ Und Jesus antwortet klar: „Ich bin ein König!“ Verständlich und klar zu reden,
- das hat Jesus meisterlich beherrscht. Klarheit heißt auch, dass wir Stellung beziehen,
unabhängig davon, welche Folgen das für unser Ergehen hat. Nicht ungeschickt, aber klar.
3. Geistlichkeit
In der politischen Predigt geht es darum, sich an Gottes Wort zu halten und nicht eigene
politische Meinungen zu verkündigen. Ich zitiere noch einmal die Barmer theologische
Erklärung (Barmen, 3.Artikel, 3.Abschnitt / EG 810): „Wir verwerfen die falsche Lehre, als
dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem
Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen
überlassen.“
Wo geistlich gepredigt wird, wird Gottes Reich gebaut. Das darf und soll ruhig sichtbar
werden in der Welt. Mit dem Glauben lässt sich Staat machen! Schauen sie sich die
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Sozialgeschichte in unserem Land und in der Welt an: Wer hat Kindertagesstätten, Schulen,
Krankenhäuser und Altenheime gegründet? Es ging immer von gläubigen Christen aus. Es
waren oft Wirkungen von Predigten, die Menschen zum Handeln veranlassten. Der Staat
wurde erst nach und nach in die Pflicht genommen und viele Menschen ließen sich
anstecken von den guten Ideen.
Jeder Kirchenbau ist und war ein Politikum. Gott sollte das schönste und erhabenste
Gebäude der Stadt gehören. Wo gepredigt wird, soll schon ein Stück Himmel spürbar sein.
Da ist man schon ein bisschen „...nicht von dieser Welt!“ Aber in der Welt sollen wir die
Wahrheit bezeugen.
Was steht auf der Kanzel in der Christuskirche? - „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker!“
Das ist eine politische Aufgabe, eine Aufgabe die die Allgemeinheit und das bürgerliche Leben
betrifft.
Amen
Pfarrer Martin Becker, Baunsbergstr. 10, 34131 Kassel
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