IFZ_Ratingsysteme_FA4_LZ 1
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Diese Lizenz lässt die Urheberpersönlichkeitsrechte nach Schweizer Recht unberührt. Eine ausführliche Fassung des Lizenzvertrags befindet sich unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/ch/legalcode.de II !"#$%$&#'()**+&,#,)-"./$&.0&'#"%$"%.(+&.12!"#$#%&#'$()*+)!$!#!,-$)#*)&)-%. */!,-$"#!$0%!+'*1/2+'.$,&"$3)4%/56%''#&'*1/2+5%*1#&$7/8,5+9+$"#!$:&%;#!'%+9+$ <#!&=$(%#$7/8,5+9+$1/+$"%#'#$>!?#%+$/-$@A=$>,B,'+$@CDC$/,2$>&+!/B$"#!$?#%"#&$ E,+/*1+#!$F!)2=$(!=$G1)-/'$HI!/*1$,&"$F!)2=$(!=$H/!8,'$J#,'5#!K$/5'$(%''#!+/+%. )&$/&B#&)--#&K$)1&#$"/-%+$4,$"#&$"/!%&$/,'B#'L!)*1#&#&$>,22/'',&B#&$3+#5. 5,&B$-#&$4,$6)55#&= Schriften aus dem Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ Band 1 Christoph Lengwiler/Simon Affentranger: Zinsmanagement für Gemeinden (ISBN 3-9521190-6-7) Band 12 Karsten Döhnert Bestimmungsfaktoren der Kapitalstruktur (ISBN 3-906488-13-6) Band 2 Ermanno Zukar: Cost-Effective Shipping Documents (ISBN 3-906488-00-4) Band 13 Christoph Sax The Swiss Stock Market and the Business Cycle: A Generalized Dynamic Factor Model Approach (ISBN 3-906488-14-4) Band 3 Stefan Bingisser/Peter Huber Finanzierung von Rollmaterial (ISBN 3-906488-02-0) Band 4 Beat M. Barthold/Oliver Müller/ Maurice Pedergnana (Hrsg.) Mezzanine Finance (ISBN 3-906488-01-2) Band 5 Maurice Pedergnana/Christoph Schacht (Hrsg.) Kreditmarkt Schweiz (ISBN 3-906488-03-9) Band 6 Maurice Pedergnana/Christoph Schacht/ Christoph Sax Kreditbeziehungen zwischen Banken und KMU (ISBN 3-906488-04-7) Band 7 Philipp Lütolf/Andreas Neumann Going Private vs. Staying Public (ISBN 3-906488-05-5) Band 8 Urs Walder/Dominik Erny Islamic Funds (ISBN 3-906488-10-1) Band 9 Maurice Pedergnana/Daniel Piazza Kantonalbanken im Vergleich 2004 (ISBN 3-906488-07-1) Band 10 Philipp Lütolf Aktienrückkäufe in der Schweiz (ISBN 3-906488-09-8) Band 11 Luka A. Zupan Unternehmerkapital bei Jungunternehmen in Theorie und Praxis (ISBN 3-906488-12-8) Band 14 Philipp Lütolf Ausserbörsliche Aktien als Kapitalanlage (ISBN 3-906488-15-2) Band 15 Sita Mazumder/Gabrielle Wanzenried Unbeirrt weiblich und erfolgreich, Bd. 2 (ISBN 3-906488-16-0) Band 16 Sita Mazumder/Gabrielle Wanzenried/ Nicole Burri Diversity Management (ISBN 3-906488-17-9) Band 17 Philipp Lütolf Publikumsgesellschaften auf dem OTC Markt (ISBN 3-906488-19-5) Band 18 Christoph Hug Veränderungen und deren Begründungen in der Unternehmenskommunikation (ISBN 3-906488-20-9) Band 19 Pierre-André Wirth/Dominik Erny Der Fondsplatz Liechtenstein im internationalen Vergleich mit der Schweiz und Luxemburg (ISBN 3-906488-21-7) Band 20 Christian Wunderlin Systembasierte Ratings und Overrides (ISBN 3-906488-22-5) Systembasierte Ratings und Overrides Dr. Christian Wunderlin Mit freundlicher Unterstützung von: sowie: Universität Bern, 2010, Dissertation ISBN 978-3-906488-22-6 2011 Verlag IFZ-Hochschule Luzern – Wirtschaft, Luzern Satz: more! than words, Bielefeld (D) Druck: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel (D) Inauguraldissertation zur Erlangung der Würde eines Doctor rerum oeconomicarum der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern. Die Fakultät hat diese Arbeit am 26. August 2010 auf Antrag der beiden Gutachter Prof. Dr. Thomas Myrach und Prof. Dr. Markus Heusler, als Dissertation angenommen, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Auffassungen Stellung nehmen zu wollen. Vorwort und Dank Das Thema Rating ist derzeit in der Finanzbranche in aller Munde. Einerseits, weil die grossen Ratingagenturen durch ihre Rolle im Zusammenhang mit der Finanzkrise in die öffentliche Kritik geraten sind; andererseits aber auch, weil das Rating als Grundlage für die Kreditvergabe eine Rolle in der Verfügbarkeit von Kapital für die Wirtschaft spielt. Dass diese Arbeit zu einem so aktuellen Thema verfasst werden konnte, verdanke ich der grosszügigen Unterstützung durch die teilnehmenden Banken bzw. Firmen. In rund 30 Interviews haben mir die Vertreter der RSN (Prof. Dr. Markus Heusler, Edwin Kälin), UBS (Thomas Siegenthaler, Dr. Alexandre Kurth, Dr. Michael Wolf, Henry Sturzenegger, Olivier Wermeille), CS (Daniel Ochsner, André Schwärzler, Sven Ragonesi) und ZKB (Charles Stettler, Dr. Luc Seydoux, Alfred Minder) dargelegt, wie ihre Ratingsysteme aufgebaut sind und wie die Ergebnisse meiner Recherchen zu interpretieren sind. Zudem haben mir diese Banken (RSN für fünf ihrer angeschlossenen Banken) mehr als 150‘000 Ratingvorgänge zur Analyse zur Verfügung gestellt. In knapp 20 weiteren Interviews haben mir Drittfirmen geholfen, die Vorgänge mit einer spezifischen Aussensicht zu betrachten: Raiffeisen (Dr. Dirk Ocker mit kritischen Fragen zur Modellbildung), Bankrevision und Treuhand (Thomas Wirth mit Anforderungen der Revisionsstelle an die Ergebnisse von Ratingsystemen), SAS (Frank Heinzelmann und Dr. Jürgen Schröder mit der Vorstellung ihrer Software zur Modellbildung), PostFinance (Thierry Kneissel mit Fragen zur Bedeutung der Ergebnisse für eine Postbank light), Integic (Viktor Fässler zu Fragen der Enterprise Application Integration) sowie Banken-ITProjektleiter (UBS: Othmar Häfliger, SPOL: Stefan Marty, Zetenis: Fredy Walker mit spezifischen Fragen zum Projektmanagement in einer Bank). Die Vertreter der grossen Treuhandgesellschaften haben dargelegt, wie Modelle geprüft werden (KPMG: Marc Grüter, Ernst & Young: Bruno Oppliger, PWC: Arno Stöckli). Schlussendlich hat mir Martin Vogel (SHKB) in verschiedensten Diskursen zum Thema Rating geholfen, ein vertieftes Verständnis die für Treiber und deren Wirkung zu entfalten. Der Anspruch einer praxisnahen und -relevanten Arbeit konnte nur durch das Mitwirken der obigen Partner erreicht werden. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlichst dafür bedanken. Ein weiterer Dank geht an die Kollegen des IFZ Institut für Finanzdienstleistungen Zug (Prof. Dr. Karsten Döhnert, Prof. Dr. Maurice Pedergnana, PD Dr. Andreas Zimmermann) und der Universität Bern (Prof. Dr. Thomas Myrach, Prof. Dr. Gerhard Knolmayer, Prof. Dr. Jens Dibbern), die mit ihren kritischen Fragen und Anregungen einen wesentlichen Beitrag zur Qualität dieser Arbeit geleistet haben. Schliesslich gilt mein Dank meiner Familie, insbesondere meiner Frau Esthi. Sie hat mich moralisch unterstützt und das Umfeld geschaffen, in dem diese Arbeit entstehen konnte. Ihr ist diese Arbeit deshalb gewidmet. Zullwil, im März 2010 Christian Wunderlin Inhalt Vorwort und Dank...............................................................................................7 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 Einleitung ................................................................................................17 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit.................................................18 Forschungsansatz ......................................................................................20 Grenzen der Arbeit ....................................................................................24 Aufbau der Arbeit......................................................................................25 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides....................................27 Regulatorische Geschichte ..........................................................................28 Die drei Säulen von Basel II........................................................................29 Ratingverfahren.........................................................................................31 Aktuelle Forschung ....................................................................................34 2.4.1 Ratingvorgang und Datenbasis ...........................................................34 2.4.1 Qualitative vs. quantitative Faktoren, Overrides...................................35 2.4.3 Segmentierung von Ratingmodellen ...................................................36 Rolle der IT beim Rating.............................................................................37 2.5.1 Data Warehouse und Business Intelligence .........................................38 Theoretischer Bezugsrahmen......................................................................39 2.6.1 Agency Theorie ................................................................................40 2.6.2 Entscheidungstheorie und die Rolle der Systeme.................................42 Zusammenfassung .....................................................................................45 2.5 2.6 2.7 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen............................................47 Struktur von Ratingsystemen ......................................................................52 Datenpool und Ermittlung Scorecard ...........................................................55 3.2.1 Unterstützung durch IT Systeme........................................................56 3.2.2 Aufbau Daten-Pool ...........................................................................58 3.2.3 Ermittlung univariat trennender Kennzahlen ......................................62 3.2.4 Ermittlung Scorecard und Test...........................................................71 3.2.5 Kalibrierung .....................................................................................81 Erfassungs- und Berechnungssysteme .........................................................87 Validierung ...............................................................................................95 Entwicklung und Einführung ......................................................................99 Schnittstellen........................................................................................... 104 Einbindung der Kundenberater bei neuen Scorecards ................................. 107 Sicht des Kreditkunden ............................................................................ 109 Zusammenfassung und Ausblick............................................................... 111 4. 4.1 Beschreibung von Override-Motiven....................................................... 113 Statistische Qualifikation von Overrides..................................................... 114 4.2 Antizipieren der Unternehmensentwicklung .............................................. 117 4.2.1 Pionierunternehmen ....................................................................... 117 4.2.2 Wachstumsunternehmen ................................................................ 118 4.2.3 Reifeunternehmen .......................................................................... 120 4.2.4 Aufbau des Ratingbogens ................................................................ 122 5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 5.12 Empirische Analyse von Overrides ......................................................... 125 Detailliertes Vorgehen .............................................................................. 126 Institutsvergleiche.................................................................................... 131 Resultate Institut 1................................................................................... 135 Resultate Institut 2................................................................................... 139 Resultate Institut 3................................................................................... 143 Resultate Institut 4................................................................................... 147 Resultate Institut 5................................................................................... 151 Resultate Institut 6................................................................................... 155 Resultate Institut 7................................................................................... 159 Resultate Institut 8................................................................................... 163 Weitergehende Analysen.......................................................................... 167 Zusammenfassung und Bedeutung............................................................ 170 6. 6.1 Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen.................................... 173 Eindämmung von Overrides ..................................................................... 174 6.1.1 Bestrebungen der Banken................................................................ 174 6.1.2 Überprüfung der erwarteten Effekte ................................................. 175 6.1.3 Schlussfolgerung ............................................................................ 176 Kreditklemme.......................................................................................... 178 6.2.1 Verlust eines bestehenden Kredits.................................................... 179 6.2.2 Ablehnung eines neuen Kredits ....................................................... 179 6.2.3 Hohe Kreditkosten .......................................................................... 181 6.2.4 Schlussfolgerung ............................................................................ 181 Kurzfristige Postbank light ....................................................................... 183 6.3.1 Aussage von Hans-Ulrich Meister..................................................... 183 6.3.2 Rating von Firmenkunden ............................................................... 184 6.3.3 Risiko der PostFinance bei der Kreditvergabe.................................... 186 6.3.4 Handlungsempfehlung .................................................................... 188 Schlussbemerkung zum aktuellen Praxisfragen .......................................... 190 6.2 6.3 6.4 7. 7.1 7.2 Zusammenfassung und Ausblick ............................................................ 191 Bedeutung für die Wirtschaftsinformatik ................................................... 193 7.1.1 Vertrauen in systembasierte Modelle................................................ 193 7.1.2 Spannungsfeld Mensch-Maschine .................................................... 194 7.1.3 Möglichkeiten und Grenzen............................................................. 196 Nutzen für die Praxis ............................................................................... 197 7.2.1 Alexandre Kurth, UBS AG ............................................................... 197 7.3 7.2.2 Daniel Ochsner, Credit Suisse .......................................................... 198 7.2.3 Edwin Kälin, RSN Risk Solution Network AG.................................... 199 7.2.4 Luc Seydoux, Zürcher Kantonalbank................................................ 199 Einordnung der Ergebnisse und Ausblick................................................... 200 8. Quellenverzeichnis................................................................................. 203 9. 9.1 9.2 9.3 Anhang .................................................................................................. 217 Beratungsoutput Ratingsystem.................................................................. 218 Interviewverzeichnis................................................................................ 226 Mindmaps............................................................................................... 227 Abbildungsverzeichnis Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 10: 11: 12: 13: 14: 15: 16: 17: 18: 19: 20: 21: 22: 23: 24: 25: 26: 27: Firmenkredite 01.01.1986 – 31.12.2008 .........................................18 Anwendungsorientierte Forschung in Theorie- und Praxisbezug .....21 Das Drei-Säulen-Konzept von Basel II ...........................................29 In die Risikogewichtsfunktionen einfliessende Parameter ...............32 Ansätze zur Eigenmittelunterlegung..............................................33 Preisbestimmung aufgrund von Ratings ........................................34 Methodische Ansätze für Ratingsysteme........................................49 Ratingansätze in der Schweiz .......................................................51 Fläche unter der ROC Kurve .........................................................53 Zusammenspiel der einzelnen Systemkomponenten .......................55 Schritte der Scorecard-Entwicklung...............................................56 Software zum Management von Kreditrisiken (Retailbanken) .........57 Architekturmodell von SAS ..........................................................61 Aufbau eines Data Mart mit SAS...................................................63 Überschneidungen beim Rating ....................................................64 Darstellung der univariaten Kennzahlen mit SAS ...........................67 logistische Transformation mit a [-6] und b [6]..............................69 Aufbau eines neuronalen Netzes...................................................72 Darstellung der Scorecard mit SAS ................................................74 Grundlage der optischen Prüfung..................................................75 Darstellung der Scorecard-Testergebnisse mit SAS .........................78 Darstellung der Scorecard-Stabilität mit SAS ..................................78 Darstellung der Scorecard-Güte mit SAS ........................................80 Zuteilung von Scores zu Ratingklassen..........................................83 Zuteilung von Scores zur Ausfallwahrscheinlichkeit.......................84 Vergleich Scorecards mit manuellem Expertenrating ......................86 Erfassungsmaske Credit Master für die Bilanz................................88 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung 29: 31: 32: 33: 34: 35: 36: 37: 38: 39: 40: 41: 42: 43: 44: 45: 46: 47: 48: 49: 50: 51: 52: 53: 54: 55: 56: 57: 58: 59: 60: 61: 62: 63: 64: 65: 66: 67: 68: 69: 70: 71: 72: 73: Erfassungsmaske Credit Master Override.......................................92 Herleiten Rating und Override ......................................................93 Branchenvergleich Kreditkunde ....................................................94 Ex-ante- vs. ex-post-Rating mittels SAS .........................................96 Optimierungskreislauf der Scorecards ...........................................98 Rollenkonzept am Beispiel Credit Master..................................... 102 Schnittstelle Credit Master – Kernbankapplikation ....................... 104 Statuskonzept im Credit Master .................................................. 105 Schnittstelle mittels EAI ............................................................. 106 Gründe für Overrides ................................................................. 114 Klassenabweichungen................................................................ 132 ROC berechnet vs. bewilligt ....................................................... 134 Ratingvergleich Institut 1 ........................................................... 135 Klassenverschiebung Institut 1 ................................................... 136 ROC Institut 1 ........................................................................... 137 Alpha- und Beta-Fehler Institut 1 ................................................ 138 Ratingvergleich Institut 2 ........................................................... 139 Klassenverschiebung Institut 2 ................................................... 140 ROC Institut 2 ........................................................................... 141 Alpha- und Beta-Fehler Institut 2 ................................................ 142 Ratingvergleich Institut 3 ........................................................... 143 Klassenverschiebung Institut 3 ................................................... 144 ROC Institut 3 ........................................................................... 145 Alpha- und Beta-Fehler Institut 3 ................................................ 146 Ratingvergleich Institut 4 ........................................................... 147 Klassenverschiebung Institut 4 ................................................... 148 ROC Institut 4 ........................................................................... 149 Alpha- und Beta-Fehler Institut 4 ................................................ 150 Ratingvergleich Institut 5 ........................................................... 151 Klassenverschiebung Institut 5 ................................................... 152 ROC Institut 5 ........................................................................... 153 Alpha- und Beta-Fehler Institut 5 ................................................ 154 Ratingvergleich Institut 6 ........................................................... 155 Klassenverschiebung Institut 6 ................................................... 156 ROC Institut 6 ........................................................................... 157 Alpha- und Beta-Fehler Institut 6 ................................................ 158 Ratingvergleich Institut 7 ........................................................... 159 Klassenverschiebung Institut 7 ................................................... 160 ROC Institut 7 ........................................................................... 161 Alpha- und Beta-Fehler Institut 7 ................................................ 162 Ratingvergleich Institut 8 ........................................................... 163 Klassenverschiebung Institut 8 ................................................... 164 ROC Institut 8 ........................................................................... 165 Alpha- und Beta-Fehler Institut 8 ................................................ 166 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung 74: 75: 76: 77: 78: 79: PD versus effektive Ausfälle ....................................................... 167 Overrideausmass vs. PD - effektive Ausfälle ................................ 168 Overrideanteil ohne ± 1 Klasse.................................................. 176 Details Veränderungen Overrides während Finanzkrise ................ 180 Kollaborationsperspektive der Wirtschafsinformatik..................... 195 Unterstützungsperspektive der Wirtschaftsinformatik................... 196 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Zeitliche Abfolge von Basel I zu Basel II............................................29 Vergleich alternativer Ratingansätze .................................................52 Anbieter-Ranking ............................................................................57 Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei früheren Berechnungen...................68 Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei Expertenkategorien.........................68 Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei linearer Transformation ..................70 Ausfallwahrscheinlichkeiten in einzelnen Ratingklassen.....................82 Rating der internationalen Agenturen................................................91 Branchenwerte für Kreditkunden ......................................................94 Ausschnitt aus einem Ratingbogen ................................................. 122 Zusammenfassung Alpha- und Beta-Fehler ...................................... 134 Abkürzungsverzeichnis AUROC Area under Receiver Operating Characteristic Curve CAP Cumulative Accuracy Profile CEO Chief Executive Officer CHF Schweizer Franken CS D Credit Suisse Default d.h. das heisst EAD Exposure at Default EL Expected Loss Etc. Und so weiter IFRS IRB KMU KS International Financial Reporting Standards Interner Ratingansatz (Internal Rating Based) Kleine und mittlere Unternehmen Kolmogorov-Smirnov-Statistik LGD Loss Given Default Mia. Milliarden Mio. Millionen PD Probability of Default PWC PriceWaterhouseCoopers ROC Receiver Operating Characteristic RSN RSN Risk Solution Network AG S&P Standard and Poor’s SNB Schweizerische Nationalbank TCHF ZKB Tausend Schweizer Franken Zürcher Kantonalbank Abstract Schlüsselwörter: Rating – Override – Scorecards – univariate Kennzahlen – multivariate Kennzahlen – ROC – AUROC – Postbank – Kreditklemme – Wirtschaftsinformatik – EntscheidungsUnterstützungs-Systeme – implizites Wissen – Kodifizierbarkeit Diese Arbeit behandelt die Vergabe von Krediten an Unternehmen. Für diese Vergabe muss jeder Kreditnehmer einer Art Gefahrenklasse, der Ratingklasse, zugeordnet werden. Diese Zuordnung erfolgt, indem die kreditgebenden Banken den einzelnen Kunden anhand von quantitativen und qualitativen Faktoren beurteilen, sprich: raten. Das Ergebnis dieser durch IT-Systeme unterstützten Ratingvorgänge, das gerechnete Rating, wird teilweise durch den Kundenberater als falsch taxiert und mit Freigabe durch Kreditspezialisten geändert1. Bei gewissen Banken macht dieser menschliche Einfluss, Override genannt, bis zu 70 % aller schlussendlich bewilligten Ratings aus2. Im Rahmen dieser Arbeit wurde überprüft, ob dieser menschliche Einfluss positive oder negative Auswirkung auf die Prognosefähigkeit hat. Anhand der statistischen Testmethode der ROC-Kurve (receiver operating characteristic) bzw. der Fläche darunter (AUROC) wurden über 150‘000 durch IT-Systeme berechnete Ratingvorgänge der Jahre 2004 – 2007 mit den schlussendlich bewilligten Ratings verglichen. Die Untersuchung hat ergeben, dass bei sämtlichen acht teilnehmenden Instituten (CS, UBS, ZKB mit jeweils eigenen Systemen sowie fünf Kantonalbanken, die allesamt das Ratingsystem der RSN Risk Solution Network AG im Einsatz haben) die Kraft, ausfallende von überlebenden Kunden zu trennen (Trennkraft), zugenommen hat. Diese Ergebnisse wurden in das aktuelle Zeitgeschehen eingereiht: Aufgrund der Erkenntnisse kann festgehalten werden, dass eine kurzfristig etablierte Postbank light zu einem erhöhten Ausfallrisiko für die PostFinance führt, da die trennkraftverbessernde Grösse „Mensch“ nicht kurzfristig in der nötigen Anzahl am Markt verfügbar ist und diese Leistung auch nicht bei Drittfirmen zugekauft werden kann. Bei den Ratinganalysen wurde festgestellt, dass viele Overrides nur um eine Klasse abweichen (Fein-tuning). Daraus hat sich die Frage gestellt, ob diese minimale Abweichung die damit verbundenen Transaktionskosten rechtfertigt. Das 1 2 Die Genehmigungsrichtlinien für Overrides sind von Bank zu Bank unterschiedlich. Die hier beschriebenen Abläufe sind daher exemplarisch zu betrachten. Die zitierte Bank hat an dieser Untersuchung nicht teilgenommen, ihre Werte aber im Rahmen einer vertraulichen Forschungsarbeit, die em Autor vorliegt, zur Verfügung gestellt. 16 Systembasierte Ratings und Overrides Ergebnis zeigt, dass – wenn auf die fein-tunenden Overrides verzichtet würde – nur bei zwei Banken eine nennenswerte Verschlechterung der Trennkraft resultieren würde. Schlussendlich wurden noch zusätzliche Ratingvorgänge für die Zeit des Ausbruchs der Finanzkrise (Oktober 2008 – März 2009) als Vergleich herangezogen. Diese zusätzlichen Analysen haben ergeben, dass der menschliche Eingriff in dieser speziellen Periode die Zukunft schlechter einfliessen lässt, als noch in der eigentlichen Analyseperiode. Dies schlägt sich in Overrides nieder, die signifikant negativer wurden. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass die Overrides bei gewissen Banken Einfluss auf das Phänomen der Kreditklemme nehmen (höhere Zinsen, vermehrte Kreditabsagen). Die Frage zur Rolle der Wirtschaftsinformatik wurde zum Schluss der Arbeit anhand der Beziehung Mensch – Maschine betrachtet. Da Ratingvorgänge aufgrund ihrer Transaktionskosten, wo sinnvoll, automatisiert werden, kann von einer Kollaborationsperspektive mit Schwergewicht bei der Maschine gesprochen werden. Bei komplexeren Ratingvorgängen ist die Zusammenarbeit Mensch – Maschine ziemlich ausgeglichen. Bei sehr komplexen Ratingvorgängen bzw. hohen Kreditsummen rückt der Mensch in den Mittelpunkt, und die Maschine erhält einen reinen Unterstützungscharakter. Grund dieser unterschiedlichen Rollen der Maschine ist die Komplexität der Realität und die dadurch nicht immer sinnvoll realisierbare Kodifizierbarkeit von – zur Beherrschung dieser Realität notwenigem – implizitem Wissen. 1. Einleitung 18 Systembasierte Ratings und Overrides 1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Firmen benötigen für ihre Entwicklung Kapital. Dieses Kapital wird einerseits durch die Aktionäre, anderseits durch Banken in Form von Krediten zur Verfügung gestellt. Bei den Banken wird für jeden einzelnen bewilligten Kredit ein entsprechendes Limit – eine Kreditlimite – eingerichtet. Die Kreditlimiten für sämtliche Firmen in der Schweiz haben sich seit 1986 bis Mitte 2009 von 200 auf 400 Mia. CHF verdoppelt: Firmenkredite alle Banken in Mio. CHF 450'000 400'000 350'000 300'000 250'000 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 200'000 Abbildung 1: Firmenkredite 01.01.1986 – 31.12.2008 Quelle: SNB Kreditvolumenstatistik (2009) In der Vergangenheit wurden Kredite als sichere Investition des Bankkundenkapitals mit bescheidenem Verlustpotential betrachtet. Entsprechend wurden Kredite mittels verbaler Kreditwürdigkeitsprüfung, Erfahrung und basierend auf Vertrauen3 vergeben und meist aufrechterhalten (Buy and Hold). Durch grosse Kreditverluste zu Beginn der 90er-Jahre entstand das Bedürfnis, dass Kreditrisiken kalkulierbarer werden: der Grundstein für spezifische Ratingsysteme zur Messung von Kreditrisiken war gelegt. Da die Kreditverluste statistisch nicht normalverteilt sind und nicht unabhängig voneinander ausfallen, sollte mittels Diversifikation und mittels besagter Ratingsysteme das Risiko reduziert werden. Entsprechend wurde die Buy-and-HoldStrategie durch eine aktive Portfolio-Optimierungsstrategie abgelöst4. Im Jahre 1997 waren die ersten Systeme wie z.B. CreditMetrics von J.P. Morgen, CreditRisk+ von Credit Suisse oder CreditPortfolioView von McKinsey im Einsatz5. 3 4 5 Weber M. (2003) S. 1 Hinder P. (2004) S. 1-6 Meier C. (2007) S. 2 Einleitung 19 Bei der Vergabe von Krediten erfolgt heute die Beurteilung des Kreditnehmers in Bezug auf dessen Ausfallrisiko. Unter Ausfallrisiko versteht man das Risiko, dass der Kreditnehmer den Kredit nicht mehr in voller Höhe zurückbezahlen kann. Aus der Optik der Banken stellen sich hierbei folgende Fragen6: Wie viel Prozent beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreditnehmer zahlungsunfähig wird7? Wie hoch ist der Restschuldbetrag beim Ausfall, d.h., wie viel Beanspruchung und Tilgung findet bis zu einem möglichen Ausfall noch statt8? Wie viele Sicherheiten stehen zur Verfügung, die zur Deckung herangezogen werden können, und wie viel Prozent beträgt die dem Verlustrisiko unterliegende Restschuld nach Verwertung dieser Sicherheiten9? Alle Antworten auf diese Fragen werden ermittelt und geben, für sämtliche Kreditkunden ausmultipliziert, den zu erwartenden Verlust10. Die erste Frage nach der Ausfallwahrscheinlichkeit wird mit dem Rating beantwortet. Dies bedeutet, dass der Kreditnehmer durch IT-Systeme und Kreditspezialisten beurteilt und in einer „Gefahrenklasse“ oder eben: Ratingklasse zugeordnet wird. Die zweite Frage nach der Restschuld wird aufgrund der Kreditausgestaltung (aktueller Stand, künftige Beanspruchung und Tilgungsmodalitäten) beantwortet und ist somit stark vom Kreditprodukt abhängig. Die letzte Frage der Verwertung von Sicherheiten wird mit Erfahrungswerttabellen adressiert, da Sicherheiten bei deren Zwangsverwertung oft nicht den vollen Wert erzielen. Im Rahmen dieser Arbeit steht die Frage nach der Ausfallwahrscheinlichkeit im Mittelpunkt. Die Frage nach Restschuld und Sicherheitsverwertung wird nicht weiter behandelt. Es ist bei den kreditgebenden Banken üblich, dass der Kundenberater das durch die IT-Systeme (Ratingsysteme) berechnete Rating (und somit die Ausfallwahrscheinlichkeit) als nicht ganz korrekt taxieren kann und beim Kreditspezialisten (Credit Officer) eine Übersteuerung beantragt. Diese Übersteuerung, „Override“ genannt, kann durch die verantwortlichen Instanzen genehmigt oder abgelehnt werden11 und nimmt bei gewissen Banken ein Ausmass von bis zu 70 % sämtlicher Kreditentscheide an. 6 7 8 9 10 11 Schneck O. (2008) S. 29 PD (Probability of Default) genannt EAD (Exposure at Default) genannt LGD (Loss given Default) genannt EL (Expected Loss) genannt = [PD * EAD * LGD] Garati R. (2004), S. 281ff 20 Systembasierte Ratings und Overrides Im Rahmen dieser Arbeit werden die Overrides analysiert. Es wurde geprüft, ob die Qualität der Ratingentscheide der IT-basierten Ratings („berechnetes Rating“) höher oder tiefer ist als die Qualität nach Einfluss des menschlichen Urteilsvermögens („bewilligtes Rating“). 1.2 Forschungsansatz Wie die obige Einleitung und das Vorwort zeigen, ist diese Arbeit stark anwendungsorientiert. Die Basis der Arbeit bilden Praxisvorfälle, die Praxis wird an verschiedenen Stellen einbezogen, und die Resultate sollen wiederum in die Praxis zurückfliessen. Entsprechend wurde von einem anwendungsorientierten Forschungsansatz nach Ulrich12 ausgegangen. Der gewählte Ansatz von Ulrich erlaubt es, auf bestehenden Ansätzen des theoretischen Empirismus zu basieren, ist aber gleichzeitig um eine strukturierte Rückführung in die Praxis ergänzt. So weist die hier beschriebene positivistisch-empirische Forschung grundsätzlich eine Varianzstruktur auf: sämtliche Daten werden nur einmalig für einen Beobachtungszeitraum erhoben und es werden keine Veränderungen über die Zeit analysiert (eine kleine Ausnahme dieses Ansatzes wird in Kapitel 6 diskutiert). Die Untersuchungsebene beschränkt sich auf einen Macro-Level, da nicht der einzelne Kreditkundenberater, sondern die gesamte jeweilige Bank Ziel der Betrachtung ist. Die effektiv betrachteten Untersuchungseinheiten stellen dann – unter Berücksichtigung der unten genannten Limiten – die einzelnen Ratingvorgänge dar. Aufgrund der Natur als deduktive Basis-Untersuchung geht der Autor von einer maximal mittleren Reichweite aus. Die Wahl des Ansatzes von Ulrich lässt zudem offen, dass konfirmatorisch die für andere Länder bekannten positiven Effekte von Overrides13 für die Schweiz geprüft und folgend die Ergebnisse in die Praxis zurückgeführt werden können (in Form der induktiv ermittelten Antworten auf die im Kapitel „6 Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen“ aufgezeigten Herausforderungen). Die einzelnen Phasen wurden im Rahmen dieser Arbeit so durchlaufen, wie sie in untenstehender Abbildung dargestellt sind: 12 13 Ulrich H. (1995) S. 165 Martin A. (2007) S. 103 Einleitung 21 Abbildung 2: Anwendungsorientierte Forschung in Theorie- und Praxisbezug Quelle: Ulrich H. (1984) S. 193 1. Phase: Erfassung und Typisierung praxisrelevanter Probleme In der Schweizer Bankenwelt ist das Phänomen bekannt, dass die von Ratingsystemen ermittelten Ratings durch den Kundenberater mit Einverständnis des Kreditspezialisten verändert werden können. Der Kundenberater nimmt hierbei eine Moderatorenrolle ein. Aus verschiedenen in der Zeit von 2005 bis 2008 geführten Gesprächen und Vorprojekten mit Bankvertretern hat sich ergeben, dass diese Overrides aus zwei Gründen nur bedingt gewünscht sind: zum Ersten verursachen Overrides hohe Transaktionskosten. Dies wird mit der Betrachtung eines exemplarischen Override-Prozesses verständlicher: I. Der Kundenberater füllt einen Kredit-Antrag aus und stellt fest, dass das Ratingsystem für den abzuwickelnden Kunden 'nicht passt' (z.B. hat der Kunde eine ganz spezielle Bilanz- oder Erfolgsrechnungs-Strukur oder weicht anderweitig vom 'Normalfall' ab, den das Ratingsystem zu klassifizieren vermag). II. Dann stellt Kundenbetreuer einen schriftlichen Antrag für ein Override an den Credit Officer. III. Der Credit Officer beurteilt den schriftlichen Antrag und entscheidet (wiederum mit schriftlicher Begründung), ob das vom Ratingsystem berechnete Rating korrekt ist bzw. ob es überschrieben werden soll. IV. Der Entscheid sowie die Entscheidungsüberlegungen werden im Ratingsystem erfasst und dem Kundenberater mitgeteilt. 22 Systembasierte Ratings und Overrides Bei gewissen Banken müssen Overrides gar von einer höheren Hierarchiestufe genehmigt werden, was den Transaktionsaufwand weiter erhöht. Zum Zweiten weisen sie auf mögliche Mängel der Ratingsysteme hin. Allzu hohe Overridequoten können gar Beanstandungen seitens des Regulators auslösen. Aus diesem Spannungsfeld ist die zentrale Forschungsfrage entstanden: Haben Overrides einen schädlichen oder nützlichen Effekt auf die Qualität von Ratingentscheiden? Aufgrund der bestätigenden Aussage von Martin (2007) für Deutschland darf angenommen werden, dass dem so ist und dass seine Erkenntnis für die Schweiz erweitert werden kann. Aus Sicht der Praxis bietet diese Arbeit einen wesentlichen Nutzen, da einerseits das Overrideverhalten der eigenen Bank erstmalig mit anderen Banken und das Ratingverhalten des eigenen Ratingsystems mit dem anderer Anbieter verglichen werden kann. 2. Phase: Erfassung und Interpretation problemrelevanter Theorien und Hypothesen der empirischen Grundlagenwissenschaft Nach Vorliegen der Forschungsfrage wurden die verfügbaren Forschungsergebnisse im Bereich von Ratingsystemen analysiert. In der Zeit von Juni 2008 bis Dezember 2008 wurden ergänzend Interviews geführt, um das nötige Verständnis für Ratingvorgänge und Overrides zu erhalten. Als Resultat lag nach Abschluss dieser Phase eine Dokumentation über Aufbau, Einführung, Betrieb und Unterhalt von Ratingsystemen vor. Zudem wurde in dieser Phase der Recordbeschrieb für die zu analysierenden Daten entwickelt. 3. Phase: Erfassung und Spezifizierung problemrelevanter Verfahren der Formalwissenschaft Im Rahmen weiterer Interviews wurde erkannt, dass die Qualität der Ratingsysteme mittels der formalwissenschaftlichen Methode der ROC-Kurve ermittelt werden sollte. Die ROC-Kurve misst analog dem Cumulative Accuracy Profile, dem Pietra-Index, der Kolmogorov-Smirnov-Statistik oder der Bayesschen Fehlerrate14, wie gut ein Ratingsystem gute von schlechten Kunden trennen kann. Der Vorteil der ROC Kurve ist, dass sie bei sämtlichen Banken bekannt ist und intern eingesetzt wird und dass somit die Ergebnisse für alle involvierten Parteien verständlich sind. Seitens der Forschung wird die ROC als Testmethode auf breiter Ebene unterstützt15 und so wurde mit den teilnehmenden Banken im März 2009 verabschiedet, dass die Analyse mittels dieses Wertes stattfinden soll. 14 15 sämtliche Testmethoden sind in Kapitel 3 detailliert beschrieben. Blöchlinger & Leipold (2005) S. 3ff, Hammerle et al (2003) S. 8ff Einleitung 23 4. Phase: Erfassung und Untersuchung des relevanten Anwendungszusammenhangs In der Zeit bis April 2009 wurden von den Banken die Ratingdaten der Jahre 2004 – 2007 geliefert. In dieser Phase ist auch die Darstellung der Ergebnisse entwickelt worden. Die einzelnen Darstellungsformen wurden wiederum anlässlich von Interviews mit allen teilnehmenden Banken und Drittparteien besprochen und als „ideal für diese Arbeit“ verabschiedet. Unter anderem wurde entschieden, dass die metrische Kenngrösse (im Histogramm) für ordinale Daten sinnvoll ist, da sie lediglich dem Vergleich zwischen den Banken und zwischen verschiedenen Zeitfenstern dient. 5. Phase: Ableiten von Beurteilungskriterien, Gestaltungsregeln und -Modellen Nach der Datenanalyse wurden von April bis Mai 2009 die Auswertungen für die einzelnen Banken vorgenommen. Parallel dazu wurden weitere Analysen getätigt, die zusätzliche Erkenntnisse aus den erhaltenen Daten ermöglicht haben. Sämtliche Analysen wurden anhand von Interviews mit den Banken besprochen und hinsichtlich Praxisrelevanz verifiziert. 6. Phase: Prüfung der Regeln und Modelle im Anwendungszusammenhang Im Mai und Juni 2009 wurden die Ergebnisse mit Drittparteien diskutiert. Vor allem wurde geprüft, ob die Erkenntnisse auch für Banken gelten, die an der Untersuchung nicht teilgenommen haben (out of the Sample Test). Sämtliche kontaktierten Drittbanken bestätigten, dass die gefundenen Erkenntnisse für sie ebenfalls Gültigkeit haben. 7. Phase: Beratung der Praxis Mit den erarbeiteten Erkenntnissen werden ab Mitte 2010 Workshops bei den teilnehmenden Banken stattfinden. Einerseits werden die Ergebnisse vorgestellt, andererseits wird der Vergleich mit den anderen Banken diskutiert. Vor allem dieser in der Schweiz erstmalig verfügbare bankübergreifende Vergleich stellt einen grossen Mehrwert für alle teilnehmenden Banken dar. Durch die Erkenntnisse ergaben sich aber auch Antworten zu drei aktuellen Fragestellungen aus der Praxis: Können Overrides eingeschränkt werden? Macht eine kurzfristig etablierte Postbank light Sinn? Und: Können Overrides einen Grund für die wahrgenommene Kreditklemme sein? Alle drei Antworten wurden mit Praxisvertretern bereits besprochen und sind Teil dieser Arbeit. Da diese Arbeit – neben der hohen praktischen Integration – auf der Schnittstelle von Finanz und Informatik liegt und von beiden Bereichen Elemente aufweist, wurde die Sprache so gewählt, dass sie ohne Kenntnis des jeweils anderen Fachbereichs verständlich ist; selbstverständlich in einer Art, die die akademischen Qualität nicht 24 Systembasierte Ratings und Overrides mindert. Zudem wurde das Kapitel 3 „Aufbau und Einführung von Ratingsystemen“, das besonders viele Schnittstellen zwischen Finanz und Informatik anspricht, mit regelmässigen Zusammenfassungen ergänzt. 1.3 Grenzen der Arbeit Diese Arbeit analysiert das Rating von Schweizer Kreditkunden im Zeitraum von 2004 bis 2007 (4 Jahre) für die teilnehmenden Banken. Der Kreditkundenmarkt wurde auf Firmenkunden mit einem Umsatz > 100‘000 CHF limitiert und Immobilienfirmen und Rohstoffhändler wurden ausgeschlossen. Entsprechend müssen, aufgrund der Datenselektion, bereits folgende Limiten angebracht werden: Es kann keine Aussage für einen anderen als den obigen Zeitraum gemacht werden; Es kann keine Aussage für Kreditkunden ausserhalb der Schweiz gemacht werden; Es kann keine Aussage für Privatkunden, Firmen mit weniger als 100‘000 CHF Umsatz, Immobilienfirmen oder Rohstoffhändler gemacht werden; Es kann keine Aussage für andere Banken als die Teilnehmer (Sample und Out of Sample) gemacht werden. Es kann keine Aussage darüber gemacht werden, ob die Besicherung der Kredite Einfluss auf das Override-Verhalten nimmt. Als Ausfall wurde ein Wertberichtigungsbedarf innert 12 Monaten nach Rating definiert. Daraus ergeben sich weitere Limiten: Es kann keine Aussage zu Ausfällen in einem längeren Zeithorizont gemacht werden; Es kann nicht ausgesagt werden, ob der Ausfall 1 oder 364 Tage nach dem letzten Rating erfolgt ist. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass Ratingkorrekturen kurz vor dem Eintritt der Wertberichtigung noch erfolgt sein könnten. Eine Aussage zum Einfluss von Overrides auf die Ratingveränderungen (Ratingmigrationen) ist im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgt. Es wurden nur Ausfälle analysiert. Die für diese Arbeit relevanten Ratingsysteme befinden sich in einer unterschiedlichen Phase ihres Lebenszyklus. Allfällige Einflüsse aufgrund des Alters, der SystemArchitektur oder aufgrund von Technologie wurden nicht betrachtet. Einleitung 25 Neben diesen arbeitsbezogenen Limiten sei an dieser Stelle auf die grundsätzliche Limitiertheit von Ratingmodellen hingewiesen. Markus Heusler (2009) nennt neben der bekannten Tatsache, dass dem „versicherungsmathematischen Ansatz“ Grenzen in der Beurteilung von individuellen Faktoren gesetzt sind, dass auch die gängigen statistischen Ratingmodelle verschiedene grundsätzliche Schwächen aufweisen. Insbesondere orientiert sich die Modellbildung an einem Misserfolgskriterium (Optimierung bezüglich Kreditausfalls). Dies führt dazu, dass sich statistische Modelle in der Anwendung einerseits mit der Differenzierung zwischen guten Bonitäten, andererseits mit der Erkennung von Risiken auf einem mittel- bis längerfristigen Zeithorizont schwer tun16. Dirk Ocker weist ebenfalls auf diese Limiten und auf die dadurch entstehenden Chancen in der Analyse der nicht ausgefallenen Kredite hin17. Es ist üblich, dass bei einer Arbeit Abgrenzungen stattfinden. Trotz der daraus resultierenden Limiten lässt diese Arbeit eine solide Aussage über den Effekt von Overrides und die Fähigkeit von Ratingsystemen zu. 1.4 Aufbau der Arbeit Diese Arbeit ist in einzelne Kapitel unterteilt. Im zweiten Kapitel wird dargelegt, wo die Forschung im Bereich Rating und Ratingsysteme aktuell steht. Die Auslegeordnung beginnt beim Ratingprozess durch Banken und geht über die Gegenüberstellung von qualitativen mit quantitativen Faktoren zum generellen Problem der asymmetrischen Informationsverteilung. Die Aspekte der Informatik mit den Herausforderungen im Data Warehouse und die Stufen der Business Intelligence runden die aktuelle Forschung ab. Neben der Forschungsübersicht wird diese Arbeit im zweiten Kapitel in die gängigen Theorien eingebettet. Vor allem die Agency Theorie mit dem erwähnten Aspekt der asymmetrischen Informationsverteilung und die Entscheidungstheorien stehen dabei im Mittelpunkt. Im dritten Kapitel wird der Aufbau eines Ratingsystems dargelegt. Zuerst werden die einzelnen Komponenten eines Ratingsystems beschrieben, danach wird Schritt für Schritt ein Systemaufbau vollzogen. Die jeweiligen Herausforderungen werden bis hin zum täglichen Einsatz dargelegt, und es wird auf die Ersteinführung eines solchen Systems, auf die Sicht der Kundenberater und auf diejenige der Kreditkunden eingegangen. Im vierten Kapitel erfolgt eine Aufarbeitung des menschlichen Einflusses. Es wird untersucht, welche Gründe für einen Eingriff verantwortlich sind und wie solchen Argumenten begegnet werden könnte. Ein Pilotprojekt bei einer Schweizer Bank an- 16 17 Heusler M. (2009) Ocker D. (2007) S. 23 26 Systembasierte Ratings und Overrides hand eines akademisch fundierten Modells wird vorgestellt, und es wird erklärt, wieso in der Praxis davon abgesehen wurde. Im fünften Kapitel erfolgt die Auswertung der erhobenen Daten. Es wird je Bank geprüft, welchen Einfluss Overrides auf die Qualität der Ratingentscheide nehmen. Die Auffälligkeiten je Bank werden dargelegt und die Ergebnisse werden bankübergreifend verglichen. Die Ergebnisse werden zudem mit weiteren Banken (out of the Sample Test) diskutiert. Im sechsten Kapitel werden die Forschungsergebnisse in das aktuelle Zeitgeschehen eingereiht. Einerseits besteht wie einleitend erwähnt das Bedürfnis der Banken, Overrides zu minimieren, was anhand der Erkenntnisse dieser Arbeit taxiert wird. Des Weiteren sprach die Wirtschaft zwischen Oktober 2008 und März 2009 von einer Kreditklemme. Basierend auf einer weitergehenden, im Rahmen dieser Arbeit getätigten Forschung wird nachgewiesen, wie Overrides dieses Phänomen beeinflussen. Schlussendlich wird der Wunsch nach einer kurzfristig etablierten Postbank Light als politische Antwort auf die Kreditklemme anhand der Ergebnisse dieser Arbeit hinterfragt. Die Zusammenfassung und Schlussfolgerung schliesst diese Arbeit im siebten Kapitel ab. Es erfolgt eine Einordnung der Ratingsysteme in die aktuellen Fragestellungen der Wirtschaftsinformatik. Die Spannungsfelder „Vertrauen in die Maschine“, „Zusammenspiel Mensch und Maschine“ und „Möglichkeiten und Grenzen der IT“ werden diskutiert, bevor Gedanken zum Ausblick auf weitere Forschungsaktivitäten und auf aktuelle Trends in der Praxis diese Arbeit beenden. 2. Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 28 Systembasierte Ratings und Overrides Will man den aktuellen Stand der Forschung aufarbeiten und einen theoretischen Bezugsrahmen für diese Arbeit schaffen, dann muss vorgängig eine genauere Definition stattfinden, wie Banken zum Rating ihrer Kreditkunden gelangen können und welchen Einfluss dieses Rating hat. Auf den folgenden Seiten werden die Geschichte aus Sicht der regulierenden Behörden, die Anforderungen derselben und die Ratingverfahren dargelegt. 2.1 Regulatorische Geschichte Durch die Folgen der Ölkrise gelangten viele Banken an den Rand des Abgrunds oder kollabierten gar.18 Im Rahmen dieser Ereignisse wurde die Relevanz einer genügenden Eigenkapitalausstattung erkannt, und in der Folge gründeten die Zentralbankpräsidenten der zehn führenden Industrienationen (G10) 1975 in Basel den „Basler Ausschuss für Bankenaufsicht“19. Ab seiner Gründung trug der Basler Ausschuss ein Grundgerüst an Eigenmittelanforderungen zusammen, das im Juli 1998 als „Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderung“ veröffentlicht wurde, besser bekannt unter den Bezeichnungen „Basler Akkord von 1988“ oder „Basel I“. Ein wesentlicher Punkt von Basel I ist das einheitliche Kapitalmesssystem („Solvabilitätskoeffizient“20 genannt) und daraus abgeleitet eine angemessene Eigenkapitalausstattung für Banken. Die Erfüllung der Eigenmittelvorgabe nach Basel I musste folgender Berechnung standhalten: [anrechenbare Eigenmittel] / [risikogewichtete Aktiven] ≥ 8 %. Den risikogewichteten Aktiven wurden für diese Berechnung auch die ausserbilanziellen Geschäfte zugeschlagen. Per Ende 1992 ist Basel I in Kraft getreten und führte in der Folge dazu, dass die Banken vermehrt Bonitätsprüfungen bei Kreditnehmern durchgeführt haben. Diese Ergebnisse dienten damals in der Praxis mehr dem Grundsatzentscheid für eine Kreditgewährung denn als Grundlage für Kreditkonditionen21 (heute werden die Ratings auch zur Findung der Kreditkosten verwendet). Diese Risikobetrachtung unter Basel I deckte die Risiken aus dem Kreditgeschäft also pauschal mit 8 % ab22, was immer mehr Anlass zu Kritik gab. Diesen und weiteren Unzulänglichkeiten sollte mit einer neuen Verordnung begegnet werden, und so wurde die stufenweise Entwicklung von Basel II in Angriff genommen: 1996: Einbezug von Handelsrisiken (Zins-, Kurs- und Währungsrisiken) 1996: Anerkennung bankeneigener Risikomodelle 1999: Erste Vorschläge zur Neufassung des Risikomanagements (1. Konsultationspapier) 18 19 20 21 22 Scheel H. (2007) S. 3 Hanker P. (2007) S. 94, Schneck O. (2008) S. 6 Der Solvabilitätskoeffizient gibt an, welchen Anteil die Eigenmittel an der Bemessungsgrundlage mindestens haben müssen Dempfle M. (2008) unter http://www.rating.ch/Rating_Geschichte.6.html Wolf J. (2003), S. 13 Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 29 2000: Vorschlag pauschaler Risikogewichte nach Risikoklasse 2002: Einführung der Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft 2003: Abschliessende Sitzung in Basel und Festlegung der Details bezüglich Höchstkreditgrenzen zur Verhinderung von Klumpenrisiken („Granularität“ genannt), Differenzen zwischen Markt- und Belehnungswert einer Sicherheit („Haircuts“ genannt), der Anrechnung von Sicherheiten, etc. Tabelle 1: Zeitliche Abfolge von Basel I zu Basel II23 Basel II stellte insofern eine Revolution dar, dass von einer regelbasierten auf eine prinzipienbasierte Bankenaufsicht gewechselt wurde. Obige Prinzipien gemäss Basel II wurden in die schweizerische Gesetzgebung übernommen. Zuerst fanden die Prinzipien im Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen (BankV) Eingang, die 2007 durch die Eigenmittel- und Risikoverteilungsverordnung (ERV) abgelöst wurde. Das gesamte in die nationale Gesetzgebung übernommene Regulierungssystem nach Basel II beruht auf drei Säulen, die im folgenden Kapital vorgestellt werden. 2.2 Die drei Säulen von Basel II Um die oben erwähnten Unzulänglichkeiten zu beheben, wurde Basel II auf eine risikogerechtere Ausgestaltung der Eigenkapitalanforderungen ausgerichtet. Dieser neue Akkord basiert auf drei Säulen. Die erste Säule beinhaltet die Mindestkapitalanforderung von Banken (im Rahmen dieser Arbeit wird nur auf die Anforderungen an Kreditinstitute eingegangen). Der grösste Unterschied zu Basel I ist, dass mit Basel II die Eigenmittelunterlegung abhängig vom Risiko des einzelnen Kreditnehmers berechnet wird. Dies wiederum bedeutet, dass die Eigenmittelanforderung abhängig davon ist, wie gut die Bonität der Schuldner und die operativen Risiken eingestuft werden. Zur Einstufung der Bonität stehen den Banken verschiedene Ansätze zur Verfügung (siehe weiter unten – auf die operativen Risiken wird in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen). 23 Schneck O. (2008) S. 14 30 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 3: Das Drei-Säulen-Konzept von Basel II Quelle: In Anlehnung an die Deutsche Bundesbank24 Die zweite Säule beschreibt die qualitativen Anforderungen an den Überprüfungsbzw. Ratingprozess und ist somit sehr eng mit der ersten Säule verbunden. Die Bankenaufsicht soll anhand der „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ beurteilen können, ob der Umgang mit Risiken verantwortungsbewusst ist. Die einzelnen Banken sind verpflichtet, ihre Eigenkapitalanforderungen langfristig durch Stress-Tests und Sensitivitätsanalysen zu überprüfen. Bei all diesen Tests und Kontrollen sollen die bankenaufsichtliche Überprüfung und das Risikomanagement der Banken proportional zum Umfang und zur Art der Geschäfte sowie proportional zum darin enthaltenen Risiko stattfinden (dieses Prinzip wird „doppelte Proportionalität“25 genannt). Kleine Banken sollen nach diesem Prinzip „schlank“ geprüft werden, während grössere Banken mit grösserem und komplexerem Kreditvolumen einer tieferen Überprüfung unterzogen werden sollen. Die Bankenaufsicht ist bei diesem so genannten „Supervisory Review Process“ mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, kann sie doch z.B. Dividendenzahlungen einer Bank einschränken, um eine angemessene Eigenkapitalausstattung zu erreichen26. 24 25 26 Deutsche Bundesbank (2006) (http://www.bundesbank.de/bankenaufsicht/bankenaufsicht_basel_saeule3.php) Breitenbach G. (2007), S. 153 Hofmann G. (2002) S. 19 Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 31 Die dritte und letzte Säule regelt schlussendlich die Transparenzanforderungen an die einzelnen Banken. Gemäss Basel II wird die Offenlegung gegenüber der Aufsichtsinstanz in vier Bereichen geregelt: 1) Anwendungsbereich der Eigenkapitalvorschriften, 2) Eigenkapitalstruktur, 3) Eigenkapitalausstattung und 4) quantitative und qualitative Darstellung der eingegangenen Risiken. Die Deutsche Bundesbank27 führt in ihren Erklärungen aus, dass mit diesen Publikationsvorschriften auch Marktmechanismen getrieben werden sollen: gut informierte Marktteilnehmer würden eine „risikobewusste Geschäftsführung“ und ein „wirksames Risikomanagement“ in ihrem Zusammenarbeitsverhalten honorieren bzw. gegenteiliges Verhalten sanktionieren. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass Basel II den Banken in der ersten Säule vorschreibt, dass ihre Eigenmittel risikoabhängig festzulegen sind. In der zweiten Säule werden die Anforderungen an die Risikomessung definiert und in der dritten Säule wird festgehalten, wie die Ergebnisse rapportiert werden müssen. Kern von Basel II ist also das System, mit dem die einzelnen Risiken gemessen werden. Der somit wichtige Teil der Risikomessung für Kreditkunden wird im nächsten Kapitel detailliert dargestellt. 2.3 Ratingverfahren Wie in den vorgängigen Kapiteln ausgeführt, ist eine kreditgebende Bank verpflichtet, das Risiko aus den einzelnen Kreditbeziehungen anhand eines Ratings zu bewerten. Dabei steht den Banken offen, ob sie diese Ratings von externen, anerkannten Ratingagenturen beziehen (dies wird unter Basel II mit dem so genannten „Standardansatz“ bezeichnet) oder ob sie eigene Ratingsysteme zum Einsatz bringen (dies wird „interner Ratingansatz“ oder einfach „IRB“ genannt). Aus dem Ratingvorgang ergibt sich eine Klassierung in Ratingklassen (das eigentliche Rating) und – daraus abgeleitet – das so genannte Risikogewicht. Dieses Risikogewicht fliesst in die Berechnung der Eigenmittelunterlegung. Beim Standardansatz basieren die Kreditinstitute auf externen Ratings, wie sie durch die grossen Agenturen Moody’s, Standard & Poor und Fitch, aber auch von kleineren Anbietern wie Euler Hermes oder Creditreform errechnet werden. Gerade die grossen Agenturen sind derzeit aufgrund ihrer zu positiven Ratings in der Kreditkrise unter 27 http://www.bundesbank.de/bankenaufsicht/bankenaufsicht_basel_saeule3.php 32 Systembasierte Ratings und Overrides Beschuss und sollen strenger überwacht werden28. Beim Rating mit eigenen Systemen, dem internen Rating IRB, steht den Banken die Wahl zwischen einem „Basisansatz“ und einem „fortgeschrittenen Basisansatz“ offen: Parameter Basis-IRB-Ansatz Fortgeschrittener-IRBAnsatz Institutseigene Schätzung Institutseigene Schätzung Aufsichtsrechtliche Vorgabe Institutseigene Schätzung Aufsichtsrechtliche Vorgabe Institutseigene Schätzung Ausfallwahrscheinlichkeit (PD = Probability of Default) Verlustquote bei Ausfall (LGD = Loss given Default) Restkredit bei Ausfall (EAD = Exposure at Default) Abbildung 4: In die Risikogewichtsfunktionen einfliessende Parameter Quelle: Breitenbach G. (2007) S. 153 Die Ausfallwahrscheinlichkeit (vgl. Kapitel 1.1: die erste Frage, die sich Banken bei der Kreditvergabe stellen) und somit das aufsichtsrechtliche Risikogewicht wird bei beiden Ansätzen aufgrund von institutseigenen Schätzungen ermittelt. Hierzu werden qualitative und quantitative Faktoren des Kreditnehmers erfasst und mittels der Ratingsysteme zu einem Rating transformiert (eine detaillierte Erklärung erfolgt in Kapitel 3). Hingegen erfolgt die Berechnung der Restkredite bei Ausfall bzw. die Verlustquoten (vgl. Kapitel 1.1: die zweite und dritte Frage, die sich Banken bei der Kreditvergabe stellen) beim Basis-IRB-Ansatz mit aufsichtsrechtlich vorgegebenen Quoten, währendem beim fortgeschrittenen IRB-Ansatz die Berechnung mittels institutseigener Schätzungen erfolgt. In der Schweiz wenden derzeit nur die zwei Grossbanken sowie eine Kantonalbank29 den fortgeschrittenen IRB-Ansatz an. Das Gros der Banken basiert auf dem Basis-IRB-Ansatz. Obige Ausführungen haben aufgezeigt, mit welchen Ansätzen Kreditkunden Ratingklassen zugeordnet werden und wie die Berechnung der Ausfallparameter vorgegeben wird. Im Folgenden sollen die drei wesentlichen Verwendungszwecke für diese Ratings dargelegt werden. 28 29 Sowohl die EU als auch der G-20-Gipfel schlagen Massnahmen zur besseren Überwachung von Ratingagenturen vor Heusler M. (2008) Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 33 Die erste Verwendung für Ratings ist die Eigenmittelunterlegung einer kreditgebenden Bank. Aufgrund der Ratingergebnisse wird diese Unterlegung wie folgt ermittelt: [Risikogewicht gemäss Ratingklasse] x [Restkredit bei Ausfall] * 8 %, wobei die 8 % aus Basel I bereits bekannt sind. Das Verhältnis zwischen Anforderungen an das System und die Eigenmittelunterlegung kann wie folgt dargestellt werden: Abbildung 5: Ansätze zur Eigenmittelunterlegung Quelle: Breitenbach G. (2007) S. 151 Der zweite Einsatzort für Ratings ist die Steuerung des Kreditprozesses im Rahmen von Kompetenzregelungen. Aufgrund der ermittelten Ratingklasse kann entschieden werden, ob und zu welchem Preis ein Kredit vergeben werden soll („Kreditverfügbarkeit“ genannt). Normalerweise vergeben Banken neue Kredite nur an Schuldner, die eine minimale Bonität aufweisen. So wird verhindert, dass sich die Bank zu viel Risiko aussetzt. Die Bepreisung der Kredite erfolgt ebenfalls ratingabhängig, da sich die Bank das Eingehen höherer Risiken und die damit verbundenen höheren Kapitalkosten normalerweise durch höhere Kreditzinsen abgelten lässt: 34 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 6: Preisbestimmung aufgrund von Ratings Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Walser D. (2008) S. 20 Die dritte wesentliche Verwendung für Ratings ist die Ermittlung der erwarteten Ausfallsumme im Kreditgeschäft. In der heutigen Praxis in der Schweiz wird, nach Ratingklassen getrennt, ein Ausfallsatz ermittelt (wo sinnvoll einzeln je Kunde, sonst je Ratingklasse pauschal)30. Dieser Satz wird durch Tests anhand einer Anwendung auf vergangene Perioden erhärtet („Backtesting“ genannt). Danach wird aus dem erhärteten Ausfallsatz erwartete Ausfallsumme abgeleitet31. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ratingverfahren die Zuordnung eines Kreditkunden zu einer Risikoklasse übernehmen. Aus dieser Zuordnung resultiert die Berechnung der Eigenmittelunterlegung, der Kreditkosten und der Rückstellungen für Ausfallrisiken. Dementsprechend kommt einerseits der Ermittlung von Ratings, aber auch deren Anwendung eine bedeutende Rolle zu. Durch diese hohe Bedeutung sind das Thema Rating und die angrenzenden Themenblöcke in der aktuellen Forschung breit abgedeckt. 2.4 Aktuelle Forschung Derzeit wird sehr viel im Umfeld von Rating, Ratingsystemen oder Basel II geforscht. Untenstehend sind die aktuellen Erkenntnisse dargelegt, wobei nach den verschiedenen Forschungsfeldern differenziert wurde. 2.4.1 Ratingvorgang und Datenbasis Das Rating an sich stellt gemäss Maier (2004) eine Schätzung über die künftige Bonität des Kreditnehmers dar, die aussagt, wie viele dieser Kreditnehmer den vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Diese Ausfallwahr30 31 Wirth T. (2008), Heusler M. (2008) Wirth T. (2008) Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 35 scheinlichkeit kann gemäss Rohmann (2000) nicht gemessen werden, sondern bedarf einer Schätzung. Dabei ist es nach Oehler & Unser (2002) am einfachsten, die aufgrund von Vergangenheitswerten hergeleitete Ausfallrate je Ratingklasse als Schätzung für die künftigen Ausfälle heranzuziehen. Oder aber, es wird je Einzelengagement eine Ausfallwahrscheinlichkeit ermittelt, die jeweils einer Ratingklasse zugeordnet wird, wie dies Huschens (2004) vorsieht. Unabhängig der Herleitungsart gilt es, eine hinreichende Differenzierung der Risiken in eine genügende Anzahl Ratingklassen zu gewährleisten (Krahnen & Weber 2001). Seitens des Regulators wird in den Verordnungen gemäss Basel II in § 404 vorgeschrieben, dass mindestens sieben Klassen für nicht ausgefallene sowie eine Klasse für ausgefallene Kreditnehmer zu bilden sind. Bedingung für eine vernünftige Klassenbildung ist gemäss Heusler (2008) eine umfangreiche und homogene Datenbasis. Auch Blockwitz & Eigermann (2001) verweisen darauf, dass die Risikoeinstufung höchstens so gut wie die zu Grunde liegenden Daten sein kann und dass die Zahl der schätzbaren Risikofaktoren durch die zur Verfügung stehende Stichprobengrösse limitiert wird (Fahrmeier et al. 1996). Dittrich (2007) hält fest, dass Ratingsysteme im finanzwirtschaftlichen Sinn längerfristige Entwicklungen widerspiegeln und nicht kurzfristige Marktveränderungen. Damit sind vor allem so genannte „Through-the-Cycle-Verfahren32“ im Einsatz, die mehrere Konjunkturzyklen beobachten. Altmann & Rijken (2005) erklären das Through-the-Cycle-Verfahren damit, dass langfristige Aspekte des Ausfallrisikos berücksichtigt werden und vor allem eine zurückhaltende Politik bezüglich Ratingveränderungen nach oben oder unten durch die Banken verfolgt wird. 2.4.2 Qualitative vs. quantitative Faktoren, Overrides Gemäss Robbe & Mahieu (2005) sind rein quantitative, marktdatenbasierte Ratingmodelle deutlich schneller in der Erkennung von Ratingveränderungen. Dies wiederum lässt vermuten, dass die Reaktionsgeschwindigkeit bei der Verarbeitung von Finanzdaten (die diese Marktdaten widerspiegeln) ein Schlüsselelement zu sein scheint, was durch Kim & Frost (2006) bestätigt wird. Grunert et al. (2002) haben untersucht, wie aufgrund von finanzwirtschaftlichen, qualitativen und kombinierten Ratings Kreditausfälle prognostiziert werden können. Sie sind zum Schluss gekommen, dass das kombinierte Rating (also mit der subjektiven Beurteilung des Kundenberaters in Form von nichtfinanzwirtschaftlichen Faktoren) die genaueste Ausfallprognose ermöglicht. Grunert et al. (2002) kommen aber auch zum Schluss, dass dieser Vorteil bei der Prognose durch die Beschaffungs- und Verarbeitungskosten qualitativer Faktoren eliminiert wird (um einen Faktor in ein Modell aufnehmen zu können, benötigt es lange Zeitreihen, das heisst, jeder qualitative Faktor sollte wo möglich über Jahre homogen gemessen werden). Auch Heusler (2008) führt aus, dass die Quantität, Qualität und Homogenität der Daten die die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung stabiler Modelle darstellen. Unter dieser Optik können Overrides als nicht-standardisierte, qualitative Faktoren betrachtet werden, die zu 32 Vgl. zu Through-the-Cycle-Verfahren auch Löffler G. (2004) S. 695ff 36 Systembasierte Ratings und Overrides minimalen Kosten beschafft und verarbeitet werden können. Die fehlenden Zeitreihen bei Overrides werden durch eine langjährige Erfahrung der Kreditkundenberater und Kreditspezialisten ausgeglichen. Appert & Steiner (2008) stellen in ihrer Arbeit entsprechend fest, dass Kreditkundenberater wenig Stellenwechsel verzeichnen und dass es schwierig ist, Kandidaten zu finden, die den hohen Anforderungen genügen. Sie stellen zudem fest, dass heute ein deutlich höheres Fachwissen für die Beurteilung eines Kreditkunden notwendig ist und dass die meisten Kandidaten einen Abschluss einer Hochschule oder Fachhochschule haben. In der Schweiz wird gemäss einer nicht repräsentativen Studie von Hunziker & Messner (2005) stark mit quantitativen Faktoren gearbeitet. Es wird höchstens eine beschränkte Veränderung des Ratings mittels qualitativer Faktoren ermöglicht (z.B. gibt die Credit Suisse in dieser Studie an, lediglich mit 20 % des Ratings auf qualitativen Faktoren zu basieren). Im Gegenzug ist es gemäss Müller (2009) üblich, dass qualitative Überlegungen in Form von Overrides durch die Kreditkundenberater einfliessen, die auch eine signifikante Veränderung des Ratings zulassen. Kreische & Bodensohn (2004) ist es bei solchen Veränderungen wichtig, dass das Vier-Augen-Prinzip strikt eingehalten wird, wobei Heusler & Westerfeld (2009) festgestellt haben, dass für den Fall des gelebten VierAugen-Prinzips die qualitativen Faktoren höher bewertet wurden. Das Ergebnis fiel noch höher aus, wenn die Kundenbetreuer wussten, dass diese qualitativen Faktoren ratingrelevant sind (sprich: auch wirklich Einfluss nehmen). Blochwitz & Hohl (2001) weisen in Bezug auf Overrides ergänzend darauf hin, dass diese auf ein unzureichendes Verständnis der Kreditkundenberater bzw. Kreditspezialisten für quantitative Faktoren hindeuten, was korrigiert werden sollte. Martin (2007) führt ebenfalls an, dass sich ab einer Overridequote von 25 % hinterfragt werden muss, ob neue Risikofaktoren in das Scorecardmodell aufgenommen werden müssen oder ob der Anwendungsbereich des Verfahrens angepasst werden muss. Er stützt sich dabei auf Pluto & Tasche (2005) und Wilde & Jackson (2006), die im Zusammenhang mit Low-Default-Portfolios Quoten von 10 % als akzeptabel klassieren. Low-DefaultPortfolios können entstehen, wenn das die Zahl der Ausfälle für die Beobachtungsperiode zu gering ist, bzw. wenn das Gesamtportfolio zu stark segmentiert wird. 2.4.3 Segmentierung von Ratingmodellen Die einzelnen Ratingmodelle müssen gemäss Krahnen & Weber (2001) eine genügend grosse Anzahl von Ratingklassen ermöglichen. Zur Erlangung eines möglichst genauen Ratings führt Heusler (2008) aus, dass branchenspezifische Ratingmodelle grundsätzlich wünschenswert sind. Eine zu tiefe Segmentierung ist jedoch nicht möglich, da die mangelnde statistische Basis enge Grenzen setzt (vgl. auch obige Ausführungen zu Low-Default-Portfolios). Füser & Gleissner (2005) schlagen die Aufteilung der Ratingmodelle für Start-Up und etablierte Firmen vor. Berger et al. (2002) führen ergänzend an, dass grössenspezifische Modelle vor allem im KMUSektor eine positive Auswirkung auf die Kreditverfügbarkeit haben. Gemäss Bharath et al. (2006) stellt das Verhältnis zwischen Bank und Kreditkunde in Bezug auf Informationsaustausch eine weitere zentrale Rolle für die Beurteilung der Kreditwür- Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 37 digkeit bzw. für die Verfügbarkeit von Krediten dar. Generell wird das Verhältnis zwischen Bank und Kreditkunden mit der Problematik der asymmetrischen Informationsverteilung und den zwei daraus resultierenden Problemfeldern „Adverse Selection“ und „Moral Hazard“ breit erforscht, wie z.B. durch Martin (2008). Berger & Udell (2002) weisen darauf hin, dass die zwei Problemfelder Gründe für eine Kreditrationierung bei KMUs sein können. Dies, da bei Kleinunternehmen die Informationslücke besonders gross sei. Fasano & Gfeller (2003) konkretisieren in ihrer Studie im Auftrag des SECO, dass die Beurteilung der Informationsqualität durch Banken und kreditsuchende Unternehmen nicht identisch ist, das heisst, dass Unternehmen die abgegebenen Informationen qualitativ besser taxieren als die Banken. 2.5 Rolle der IT beim Rating Die den Banken zur Verfügung gestellten Informationen werden in verschiedenen Systemen verwaltet. Gemäss Martin (2007) kommen im gesamten Kreditprozess neben den Dokumenten-Management-Systemen vor allem KreditbearbeitungsSysteme zum Einsatz. Diese im Rahmen dieser Arbeit zentralen Systeme können auf die von Schumann (2006) dargestellten Module „zentrales Data Warehouse“, „Ratingmodul“ und „Datensammlung“ beschränkt werden. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden „Datensammlung“ unter „Erfassungssystem“ und „Ratingmodul“ unter „Berechnungssystem“ geführt. Die weiteren von Schumann genannten Systeme wie z.B. das „Bewertungsmodul für Kreditsicherheiten“ dient der Beantwortung der zweiten Frage, die sich eine Bank bei der Kreditgewährung stellen muss (vgl. Kapitel 1.1) und wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher behandelt. Faisst et al. (2002) spezifizieren die Anforderungen an die Ratingsysteme und trennen dabei in fachliche Anforderungen: Abbildung heterogener und komplexer Modelle Anpassungsfähigkeit Validierungsfähigkeit Abbildungsfähigkeit von Verbundstrukturen (Konzerne) Integration von Bottom-up-Ansätzen (Betrachtung des Einzelrisikos) bis hin zur Top-down-Steuerung (Portfoliosteuerung) Reporting und in Systemanforderungen aus IT-Sicht: Administrationsfähigkeit (Releasedistribution, Zero Administration Client) Skalierbarkeit Einfache Bereitstellung von Schnittstellen 38 Systembasierte Ratings und Overrides Revisionssicherheit Integration von Standard-Reportingtools Das IT Governance Institute (2007) stellt für die Kontrolle dieser Ratingsysteme die Datenqualität in den Vordergrund: die Daten sollen akkurat, integer, konsistent, komplett, gültig, zeitnah, zugänglich, verwendbar und kontrollierbar sein. Damit schliesst sich der Kreislauf zurück zur Forschung über den Ratingvorgang und die Datenqualität gemäss Kapitel 2.4.1. 2.5.1 Data Warehouse und Business Intelligence Im vorherigen Kapitel haben wir gesehen, dass Data-Warehouse-Systeme eine der drei Komponenten eines Ratingsysteme sind. Vereinfacht nach Timm (2004) ausgedrückt, können solche Systeme auf drei Ebenen aufgeteilt werden: auf die Extraktion der Daten aus den Quellensystemen (eine detaillierte Darlegung erfolgt im Kapitel 3.2.2), auf die Bewirtschaftung und Haltung von Daten im Warehouse und auf die Präsentation und Analyse der Daten („Business Intelligence“ genannt)33. Wegener (2008) weist in seiner Arbeit auf die Relevanz von Data Warehouse für die Finanzindustrie hin, die strikte regulatorische Anforderungen in Bezug auf Nachverfolgbarkeit von Ergebnissen und Entscheidungen zu erfüllen habe. Knolmayer & Wermelinger (2006) ergänzen in diesem Zusammenhang auch die Qualitätsanforderungen an Daten seitens Sarbanes-Oxley-Act (SOX), der zumindest für die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten CS und UBS Relevanz hat. Den qualitativen Anspruch an Daten in einem Data Warehouse und ihren Einfluss auf den Unternehmenserfolg setzen auch Otto & Wende (2008) in den Mittelpunkt ihrer Erkenntnisse. Die Integration von externen Daten aus dem Web in ein Data Warehouse und die damit verbundenen Besonderheiten in Bezug auf die Datenbereinigung sind der Kern der Arbeit von Schnerwitzki (2008). Bauer & Günzel (2008) greifen in ihrer Arbeit die Grundlagenaspekte eines Data Warehouse auf und diskutieren die Anforderungen an die Datenmodellierung. Vor allem dem Metamodell wird grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Metamodell definiert die einzelnen Objekte im Data Warehouse und erreicht somit, dass Daten zu Informationen werden. Während sich ältere Forschungen hauptsächlich mit der Entwicklung von Data-Warehouse-Umgebungen bzw. mit Funktions- und Rollenmodellen auseinandergesetzt haben, rücken immer mehr auch die organisatorischen Anforderungen ins Zentrum. Diese Rahmenbedingungen werden von Klesse & Schmaltz (2008) im Rahmen des St. Galler-Konzepts für Informationslogistik dargelegt (Informationslogistik beschreibt die Planung, Steuerung, Durchführung und Kontrolle aller Datenflüsse, die zur Unterstützung von Entscheidungen zählen). 33 In der Praxis wird die Business Intelligence oft auch separat betrachtet Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 39 Ergänzend zum Data Warehouse wird das Thema Business Intelligence diskutiert. Kainz et al. (2007) ordnen Business Intelligence den durch Daten getriebenen Systemen zur Entscheidungsunterstützung („Decision Support Systeme“) zu. Serdar (2008) formuliert Business Intelligence als den Prozess der Auswertung und Darstellung aller im Unternehmen vorhandenen Geschäftsdaten und verweist darauf, dass der Einsatz von Business Intelligence einen Wettbewerbsvorteil generiere. Ergänzend zur oben erwähnten Relevanz von Data Warehouse für die Finanzindustrie stellt Breinich (2007) fest, dass Business Intelligence als Analysetool der im Warehouse gespeicherten Daten immer wichtiger werde. Steria Mummert (2009) ist zusammen mit der Universität Duisburg-Essen dieser Frage nachgegangen und hat eine Klassifikation der Reifegrade von Business-Intelligence-Systemen erstellt: In der ersten Stufe spricht man von einem Berichtswesen, das in der Regel noch keine automatisierten, weiterführenden Auswertungen zulässt; Die zweite Stufe bildet die spezifischen Anforderungen von Bereichen ab, wobei meist Insellösungen im Einsatz sind, die keine unternehmensweit verwertbaren Informationen beinhalten; In der dritten Stufe basieren die Auswertungen auf einer technisch integrierten Architektur, einem unternehmensweiten Data Warehouse; In der vierten Stufe findet eine umfassende Prozessunterstützung statt, und das System wird in die Lage versetzt, zunehmend komplexe Szenarien zu unterstützen (was sich mit den obigen Ausführungen zu den organisatorischen Rahmenbedingungen deckt); Auf der höchsten, der fünften Stufe, liegt die Ausprägung im aktiven Wissensmanagement. Auf dieser Stufe liefern Business-Intelligence-Systeme dem Management Entscheidungsunterstützungen in Echtzeit bei durchgängiger, unternehmensweiter Prozessintegration. Steria Mummert (2009) stellt zudem fest, dass die grössten Entwicklungen seit der letzten Studie im Jahr 2006 im Bereich Organisation, sprich: in der Prozessunterstützung (vierte Stufe) gemacht wurden. Bezogen auf die in dieser Arbeit analysierten Ratingsysteme kann davon ausgegangen werden, dass diese sich allesamt in der vierten und fünften Stufe befinden. 2.6 Theoretischer Bezugsrahmen Die theoretische Einbettung von Forschungsfragen zu IT Systemen in der Finanzindustrie steht in engem Zusammenhang mit der Frage, ob es sich bei den Finanzmärkten um vollkommene Märkte im Sinne der traditionellen neoklassischen Definition handelt34. Obwohl die Forschung zeigt, dass viele Finanzmärkte in Bezug auf In34 Siebert H. (2003) S. 94 40 Systembasierte Ratings und Overrides formation nahe bei einer idealen Effizienz sind, ist im Kreditkundengeschäfte beim Verhältnis zwischen Kapitalgeber und –nehmer die Asymmetrie der Information ein wesentliches Zeichen der Unvollkommenheit35. Die von neoklassischen Theorien angenommenen (und für den Kreditmarkt widerlegten) vollkommenen Märkte werden in den neoinstitutionalistischen Theorien nicht mehr zu Grunde gelegt36. Viel mehr stellen asymmetrische Information und Transaktionskosten die Grundlage für Modellmassnahmen dar. 2.6.1 Agency Theorie Die Anforderungen aus asymmetrischer Information werden von der Agency Theorie adressiert37. Diese Theorie beschäftigt sich mit den Herausforderungen aus der Delegation von Aufgaben: der Prinzipal betraut den Agent mit einer Aufgabe. Dabei besteht aufgrund eines Informationsgefälles für den Prinzipal nur eine beschränkte Möglichkeit, den Agenten zu kontrollieren. Bezogen auf das Kreditverhältnis kann die Agency Theorie erklären, dass der Kreditnehmer (Agent) weiterreichende Kenntnisse zu seiner Kreditwürdigkeit hat, als die Bank (Prinzipal)38. Auf der anderen Seite versucht die Bank so gut wie möglich einen Einblick in das Risikoprofil des Kreditnehmers zu gewinnen39. Damit die Bank unter diesen Voraussetzungen eine möglichst hohe Transparenz und Vergleichbarkeit zum Kreditnehmer bekommt, werden Ratings erstellt. Das Rating dient somit als Messgrösse für Risiko und als Entscheidungshilfe40 und zur Reduktion der asymmetrischen Information41. Diese Reduktion der asymmetrischen Informationen dient seinerseits dem Adressieren zweier Risiken: einerseits besteht vor dem Abschluss des Kreditverhältnisses das Problem adverser Selektion, andererseits besteht nach der Kreditvergabe das „Moral Hazard“ Problem42. Adverse Selektion beschreibt im Kreditprozess das Risiko, dass man aufgrund von suboptimalen Selektionsverfahren die ungewollten Kreditnehmer erhält. Grundlage zur Minderung von adverser Selektion bildet das Rating und somit die Ratingsysteme43: Für denselben Kunden gibt es bei jeder Bank eine individuelle und somit unterschiedliche Einschätzung der Bonität; Je Ungenauer die Einschätzung ist, desto eher muss die Bank Margen anbieten, die von der fairen Marge abweichen; 35 36 37 38 39 40 41 42 43 Bieg H., Kussmaul H. (2000) S. 31 Wieben H.J. (2004), S. 19 Brealey R. et al. (2001) S. 748 Die Anwendung der Agency Theorie auf das Verhältnis des Kreditkundenberaters zur Bank wird nicht weiter betrachtet. Behrends A. (1998) S. 146 Fischer J., Holzkämper H. (2004) S. 134 Arens M. (2007) S. 16 Mishkin F. (2001) S. 36 Jankowitsch R., Pichler S. (2004) S. 4 Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 41 Eine Bank mit einer genaueren Einschätzung kann somit dem schlechten Kunden eine weniger attraktive Marge anbieten; Somit haben die guten Kunden einen Anreiz, die Bank mit einer genaueren Einschätzung zu wählen, währendem schlechte Kunden zu der Bank gehen, die ihnen die niedrigsten (falschen) Margen ansetzt. Moral Hazard beschreibt das Verhalten nach Abschluss des Geschäftes. Diesem Problem begegnet die Theorie mit der Aufgabe des Überwachens (Monitoring). Bezogen auf das Kreditverhältnis bedeutet dies, dass der Kreditnehmer sich nach Gewährung des Kredites anderweitig verhalten kann, als dies mit der Bank vereinbart war. Die Bank begegnet diesem Problem, indem sie nach dem Vertragsabschluss weiterhin die Einhaltung vereinbarten Grundsätze überwacht44. Eng verbunden mit der Frage der asymmetrischen Informationsverteilung ist die Frage nach den Transaktionskosten. Der Prozess, um ein Geschäft abzuschliessen und um asymmetrische Information abzubauen verursacht Aufwendungen. Ebenso verursacht das Monitoring der Einhaltung von Vertragsbedingungen Kosten. Diese Kosten werden unter dem Begriff Transaktionskosten zusammengefasst. Da das Rating sowohl beim Abschluss des Vertrages als auch bei der folgenden Überwachung zum Einsatz kommt, ist es also Teil der Transaktionskosten eines Kreditgeschäftes45. Die erwähnten neoinstitutionalistischen Theorien gehen also von unvollkommenen Märkten aus, die mit der Agency und der Transaktionskosten Theorie gut erklärbar sind. Der grosse Fokus der neoinstitutionalistischen Theorien ist aber neben der Erklärung von unvollkommenen Märkten das Management des daraus entstehenden Risikos für die Finanzwirtschaft46. Zum Umgang mit Risiken gibt es gemäss eine langjährig etablierte theoretische Grundlage47, die folgende Optionen vorsieht48: Risiko kann verhindert werden, indem gar nicht auf ein Geschäft eingetreten wird; Risiko kann transferiert werden, z.B. durch das Abschliessen einer Versicherungspolice; Risiko kann reduziert werden, z.B. durch Diversifikation; Risiko kann übernommen und aktiv gemanaged werden Ratings bzw. Ratingsysteme dienen der Bank dazu, mit Risiko im Kreditgeschäft umzugehen. Das Risiko bei schlechten Kunden kann durch Ablehnung eines Kredites 44 45 46 47 48 Baker G. et al (1994) S. 1125-1156 Arens M. (2007) S. 77 Wieben H.J. (2004) S. 19 Mehr R. et al. (1963) Doherty N. (2000) S. 5 42 Systembasierte Ratings und Overrides verhindert und bei allen angenommenen Kunden übernommen und gemanaged werden. Viele Banken haben daher neben den regulatorischen Zwängen monetäre Anreize zur Einführung bzw. Verbesserung von Ratingsystemen49. Das System soll den Kreditkundenberater in seiner Entscheidung über die Kreditvergabe und über die Konditionen des Kredites unterstützen. Mit dieser Funktion muss zur theoretischen Einbettung zwingend auch der Entscheidungstheorie Raum gegeben werden. 2.6.2 Entscheidungstheorie und die Rolle der Systeme Die Entscheidungstheorie ist eine wesentliche Denkschule der Betriebswirtschaftslehre mit mehreren Ansätzen50: Erich Gutenberg hat den faktortheoretischen Ansatz geprägt. Danach ist die Produktion eine Re-Kombination von Produktionsverfahren. Der Ansatz hat eine klare Ausrichtung auf Entscheidungen in Bezug auf Kunden, Produktionsengpässe und Wertschöpfung; Edmund Heinen hat den entscheidungstheoretischen Ansatz beschrieben. Bei diesem Ansatz stehen die betrieblichen Entscheidungsprozesse im Mittelpunkt; Der dritte grosse Ansatz, der systemtheoretische, wurde durch Hans Ulrich geprägt. Die Orientierung erfolgt am System und der Systemsteuerung. Der Ansatz ist weit verbreitet im Sozialbereich. Daneben gibt es noch weitere Ansätze wie den arbeitsorientierten oder den verhaltensorientierten Ansatz. In all den unterschiedlichen Ansätzen spielt die Entscheidung, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, eine zentrale Rolle. Die Theorie versucht mittels dieser Ansätze den Entscheidungsprozess aus der Realität zu erklären (deskriptive Entscheidungstheorie) und liefert Hinweise, wie optimale Entscheidungen zu treffen wären bzw. sind (normative oder präskriptive Entscheidungstheorie)51. Die deskriptive stellt hierbei die Grundlage für die normative Entscheidungstheorie dar, erklärt aber auch die Abweichungen vom Rationalverhalten. Die normative Entscheidungstheorie ihrerseits versucht die Elemente der Entscheidungssituationen rechnerisch zu verarbeiten, um optimale Entscheidungen zu erhalten. Dabei liefern IT Systeme die Hilfe zum Treffen von Entscheidungen, indem Daten bereitgestellt, Kennzahlen ermittelt und Konsequenzen dargestellt werden. Solche Systeme nennt man Entscheidungs-Unterstützungs-Systeme52. 49 50 51 52 Jankowitsch R., Pichler S. (2004) S. 2 Flessa S. (2009) S. 6 Kathöfer U. (2009) S. 9ff Kathöfer U. (2009) S. 14 Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 43 Die Entscheidungs-Unterstützungs-Systeme gehören in die Gruppe der Expertensysteme und werden jeweils für ein spezifisches, genau abgegrenztes Teilgebiet entwickelt. Sie sollen den Entscheidungsprozess unterstützen, indem sie die Fähigkeit von Experten zur Problemlösung simuliert53. Ein Ratingsystem ist ein solches Expertensystem, das den Experten im genau abgegrenzten Feld der Analyse von quantitativen und qualitativen Aspekten zwecks Erstellung eines Ratings simuliert54. Solche Systeme weisen normalerweise einen schematisch gleich gelagerten Aufbau aus55: Es gibt eine Wissensbasis, in der Wissen gespeichert wird. Im Falle von Ratingsystemen ist dies das zentrale Data Warehouse; Eine Problemlösungskomponente versucht, anhand der Wissensbasis ein vorgegebenes Problem zu lösen. Bezogen auf die Welt der Ratings darf diese Komponente den Business Intelligence Systemen zugeordnet werden; Mit einer Wissensakquisitionskomponente soll das bestehende Wissen auf- und laufend ausgebaut werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird diese Komponente konsistent mit dem Begriff „Datensammlung“ adressiert; Die Erklärungskomponente bildet das zweitletzte wesentliche Glied im Aufbau von Expertensystemen. Sie ermittelt das Rating und beschreibt (erklärt) die einzelnen Aspekte der Entscheidung (sprich: des Ratings). Schlussendlich schliesst die Benutzerschnittstelle die Liste der Komponenten ab. Über diese Schnittstelle sollen sowohl die Benutzer als auch die „WissensIngenieure“ mit dem System kommunizieren. Beim Einsatz von Expertensystemen muss stets vor Augen gehalten werden, dass es keine perfekten Systeme gibt. Ein grundsätzliches Problem ist, dass die realen Bedingungen nur soweit erfasst werden, wie sie formalisierbar sind56. Diese Herausforderung von Expertensystemen mit der Erfassung realer Bedingungen ist auch in den Theorien um Wissen und Wissensbildung breit verankert. Der Begriff Wissen wird dabei von verschiedensten Sichten betrachtet. Mit dem Hintergrund des Einsatzes für Ratingsysteme gewinnt die Betrachtung von Wissen in seiner Unterscheidung nach explizitem und implizitem Wissen57 zentrale Bedeutung: 53 54 55 56 57 Gelli C. et al. (2000) S. 4 Bodendorf F., Robra-Bissantz S. (2003) S. 32 vgl. Gottlob G. (1990) Celli C. et al. (2000) S. 20 In der Theorie gibt es den Begriff von „tacid knowledge“. Dieser wird von einigen Wissenschaftlern mit dem impliziten Wissen gleichgesetzt, andere wiederum differenzieren tacid und implicid knowledge noch einmal. Im Rahmen dieser Arbeit nur wird von explizitem und implizitem Wissen ausgegangen, wie es Polanyi M. (1966) erstmals definiert hat. Ebenso wird das von Nonaka und Takeuchi (1995) vorgestellte SECI Modell zur Modellierung der Wissenserzeugung nicht weiter berücksichtigt, da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. 44 Systembasierte Ratings und Overrides Explizites Wissen ist kodifizierbar und kann durch formale, systematische Sprachanwendung weitergegeben werden. Damit kann es in Regelwerken, Formelsammlungen oder Dokumenten festgehalten werden. Dagegen ist implizites Wissen intuitiv und kontextspezifisch, was durch die Anwendung hervorgebracht wird. Im deutschen Sprachgebrauch der Unterschied mit „Wissen“ und „Können“ ausgedrückt werden58. Aus der Optik von Ratingsystemen und deren Aufbau stellt das implizite Wissen mit seiner Komplexität die grosse Herausforderung bei der Kodifizierbarkeit und Kodifizierung. Die Kodifizierbarkeit wird dabei als Schwierigkeitsgrad verstanden, mit dem Wissen so dokumentiert werden kann, dass es ohne Experten einsetzbar ist59. Die Kodifizierung wiederum ist die Umsetzung von Wissen in formale, systematische Anwendungen. Vorteil einer Kodifizierung sind reduzierte Kosten bei der Wissensakquisition im Zusammenhang mit Wissenstransport, Transfer, Reproduktion, Speicherung und Suche, aber auch eine Verringerung der Informationsasymmetrie60. Der grosse Nachteil der Kodifizierung sind die damit verbundenen Kosten zur Erstellung und Aktualisierung. Je impliziter das Wissen ist, desto höher fallen diese Kosten aus. Zudem wird neues Wissen nie kodifiziert erstellt61. Ein Blick auf die theoretischen Grundlagen der Automatisierungstechnik geht in dieselbe Richtung. Die Probleme einer Automatisierung sind die steigende Komplexität, die durch eine stetige Erweiterung des Anwendungsspektrums, wirtschaftliche Zwänge und technologische Gründe getrieben werden62. Vor allem bei Automatisierungsaufgaben mit folgenden Eigenschaften treten Probleme in der Umsetzung auf63: Hohe Komplexität, die durch hohe Systemordnung gekennzeichnet ist Grosse Datenmengen Schwer strukturierbares Erfahrungswissen Aufgrund des nicht vollumfänglich kodifizierbaren Erfahrungswissens bei der Beurteilung der aktuellen Situation und künftigen Entwicklung des Kreditkunden ist das implizite Wissen des Kreditkundenberaters für ein Rating nötig. Weicht die implizite Wahrnehmung von der explizit erkennbaren Situation ab, muss die Abweichung zusätzlich zum Systemrating eingebracht werden. In einer schnelllebigen Zeit wie der heutigen sind Ratingsysteme also darauf angewiesen, dass (noch) nicht abgebildete Informationen oder solche, die zu schwach im Expertensystem eingeflos58 59 60 61 62 63 Polanyi M. (1985) S. 16 Hansen M.T. (1999), S. 82ff Cohendet P., Steinmüller W.E. (2000) S. 202-203 Saviotti P.P. (1998) S. 848 Cuno B. (1996) Papageorgiou M. (1997) S. 49ff Bezugsrahmen zu Ratingsystemen und Overrides 45 sen sind, durch den Menschen korrigiert bzw. ergänzt werden: das Instrument hierzu sind im Ratingprozess Overrides. 2.7 Zusammenfassung Ratingsysteme sind in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden. Mittels dieser Systeme sollte das Risiko der Kreditnehmer genauer qualifiziert werden. Der Regulator hat diese Anforderungen in seinem Regelwerk aufgenommen, was allseits unter dem Namen „Basel II“ bekannt ist. In diesem Akkord stellt er den Banken eine Auswahl bezüglich Ausgestaltung der Ratingsysteme zur Verfügung. In der Schweiz hat sich der IRB-Ansatz durchgesetzt, wobei die zwei Grossbanken und eine grosse Kantonalbank, wie gesagt, mit dem fortgeschrittenen IRB-Ansatz operieren. Im Wesentlichen geht es in diesen Vorschriften um den Aufbau und die Kontrolle solcher Ratingsysteme. In der Forschung wurde das Thema Rating ebenfalls in vielen Betrachtungsweisen breit aufgegriffen. Seit Jahren befassen sich Wissenschaftler mit den verschiedensten Aspekten. Wesentlicher Punkt bei den meisten Arbeiten, die sich mit der Qualität von Ratingsystemen auseinandersetzen, ist das Vorhandensein einer genügend grossen Datenbasis und deren Qualität. Als weiteres wichtiges Forschungsfeld kann die asymmetrische Verteilung von Information betrachtet werden. Dieses Thema, das auf die ursprünglichen Fragen der Agency Theorie (also in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts64) zurückgeht, hat heute noch Gültigkeit und wird als Grund für eine allfällige Kreditrationierung gesehen. Die grosse Herausforderung ist auch aus Sicht der Praxis die Überbrückung dieser Informationsasymmetrien65, was mittels den Ratingsystemen und einem möglichst normierten Datenbedarf und langen Zeitreihen adressiert wird66. Aufgrund der Wissenstheorien ist bekannt, dass diese Systeme nie den Menschen ersetzen können. Die Kodifizierbarkeit des impliziten Wissens der Kreditkundenberater ist aufgrund der Kosten zu hoch im Vergleich mit dem damit verbundenen Grenznutzen. Die Ratingsysteme sind also im gesamten Kreditvergabeprozess eine Schlüsselkomponente, die beim Rating um implizites Wissen in Form von möglichen Overrides ergänzt wird. Der Autor hat den aktuellen Stand der zum Teil internationalen Forschung in mehr als 50 Interviews67 abgestützt und mit der Praxis in der Schweiz verifiziert. Im nächsten Kapitel wird auf die genannten Ratingsysteme, ihren Aufbau, die Ersteinführung und die Wartung eingegangen. 64 65 66 67 Akerlof (1970) gilt als Pionier der Asymmetric Information Theory und Ross (1973) bzw. Jensen & Mecklin (1976) als Pioniere der Agency Theory. Brezski E.(2007) S. 77ff Bernet B. & Westerfeld S. (2007) S. 4ff Das Interviewverzeichnis befindet sich im Anhang. 3. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 48 Systembasierte Ratings und Overrides Diese Arbeit ist dem Rating und dem Override dieser Ratings gewidmet. Daher werden nachfolgend zwar die einzelnen Komponenten eines Ratingsystems vorgestellt, das Schwergewicht wird aber klar auf die Modellbildung gelegt. Das Ergebnis dieser Modellbildung ist das Kreditkundenrating, das schlussendlich durch allfällige Overrides vom Kundenberater mit Genehmigung durch den Kreditspezialisten korrigiert werden kann, was in den Kapiteln 4 und 5 genauer untersucht wird. Es gibt organisatorische Rahmenbedingungen für den Einsatz solcher Ratingsysteme68. Es beginnt damit, dass die Ablauforganisation im Kreditbereich in die Organisation der Gesamtbank integriert sein muss. Die dazugehörigen Organisationsrichtlinien müssen schriftlich vorliegen und den Mitarbeitern bekannt sein. Sie enthalten Hinweise, wer welche Aufgaben und welche Kompetenzen hat (also auch die Kompetenz für Overrides). Aus Sicht des Regulators müssen die einzelnen Funktionen getrennt werden, so dass ein Vieraugenprinzip umgesetzt werden kann. Dieses gilt auch für die Vergabe von Ratings. Des Weiteren müssen für den Einsatz von Ratingsystemen die Parameter (wie viel Kredit in welcher Ratingklasse, wie viel Kredit je Branche, etc.) vorgegeben und deren Einhaltung überprüft werden. Dies betrifft auch Anforderungen an das System selbst. So müssen die verwendeten Indikatoren messbar und ihre Gewichtung bzw. die Umsetzung von qualitativen Aspekten in Zahlen (die „Skalierung“) eindeutig sein. Die Datenerfassung sollte objektiv sein, womit der Kreditkundenberater im Idealfall durch die Erfassung der quantitativen Faktoren (Finanzkennzahlen) keinen Einfluss auf das Ratingergebnis nehmen kann. Die Ergebnisse selbst müssen zuverlässig sein („Reliabilität“ des Systems): Für vergleichbare quantitative und qualitative Angaben („Paralleltest“ genannt) und für eine mehrfache Erfassung derselben qualitativen und quantitativen Angaben („Re-Test“ genannt) muss ein identisches Rating erreicht werden69. Schlussendlich muss das Ratingsystem auch genau sein („Validität“ des Systems). Die Validität ist nicht einfach zu messen, und so unterliegen Ratingsysteme nach ihrem erstmaligen produktiven Einsatz mehreren Überprüfungs- und Korrekturzyklen („Kalibrierung“ und „Validierung“ genannt). In der Praxis existieren mehrere Ansätze, wie Ratingsysteme aufgebaut sein können, um die Validität und Reliabilität zu gewährleisten: 68 69 Martin M. (2007) S. 93ff Schneck O. (2008) S. 150ff Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 49 Kreditratingmodelle heuristische Modelle • • • • Klassischer Ratingfragebogen Qualitative Systeme Expertensysteme Fuzzy-Logic-Ansätze empirisch-statistische Modelle • • • Diskriminanzanalyse Regressionsansätze Neuronale Netze kausalanalytische Modelle • • Optionspreismodelle Cash-Flow (Simulations-) Modelle Mischform (hybride Modelle) Kombination von heuristischen Modellen mit einer der beiden anderen Modellgruppen Abbildung 7: Methodische Ansätze für Ratingsysteme Quelle: Österreichische Nationalbank (2004) S. 32 Alle drei Methoden können zum Aufbau eines Ratingsystems zum Einsatz kommen, wobei es in der Praxis klare Präferenzen gibt (siehe unten). Nachfolgend werden die drei Ansätze kurz beschrieben70: Heuristischer Ansatz: Beim heuristischen Ansatz erfolgt die Berechnung des Ratings auf der Basis von Erfahrungswerten, aus denen Risiken abgeleitet werden. Diese Werte gründen auf der Erfahrung von Kreditspezialisten. In der heutigen Praxis ist dieser Ansatz als „Expertensystem“ bekannt. Die Einschätzung der Experten wird dabei auf einer Skala abgebildet, aus der eine Punktzahl („Score“ genannt) resultiert. Fuzzy-Logic ist ein ähnliches System, das aus sprachlich formulierten Sätzen bzw. Regeln eine mathematische Beschreibung (und somit einen Score) gewinnt. Empirisch-statistischer Ansatz: Im Unterschied zum heuristischen versucht der empirisch-statistische Ansatz über einen empirischen Datenbestand mit Hilfe von statistischen Verfahren eine Hypothese aufzustellen und zu verifizieren. Gängigste Hypothese hierbei ist, dass sich gute von schlechten Kreditnehmern in gewissen Kennzahlen unterscheiden. Aus solchen Kennzahlen können mittels weiterer statistischer Verfahren ein Set zusammengestellt und die einzelnen Kennzahlen in diesem Set mit Einflussgewicht versehen werden. In der Praxis sind am häufigsten Regressions- und Diskriminanzanalysen vorzufinden. Bedingung ist jedoch ein genügend grosser Datenbestand (was auch im aktuellen Stand der Forschung immer wieder postuliert wird). Mit der Regressionsanalyse 70 Martin M. (2007) S. 35ff 50 Systembasierte Ratings und Overrides wird versucht, aus einer Kennzahl eine Punkteverteilung zu ermitteln. Diese Analyse kommt in Kapitel 3.2.3 bei der Ermittlung der einzelnen Kennzahlen zum Einsatz. Mit der Diskriminanzanalyse wird versucht, Kreditnehmer so gut wie möglich aufgrund einer mathematischen Funktion, die sich auf mehrere Kennzahlen abstützt, zu trennen. Diese Analysen kommen dann bei der Erarbeitung der Scorecards in Kapitel 3.2.4 zum Einsatz. Kausalanalytischer Ansatz: Beim kausalanalytischen Ansatz wird auf der Grundlage von finanztheoretischen Überlegungen ein Zusammenhang zwischen Bonitätsindikatoren und dem Unternehmenswert oder den zu erwartenden Cashflows berechnet. Diese Modelle sind heute im Bereich von Kreditderivaten sehr verbreitet. Im Bereich der Ratingsysteme sind sie derzeit zwar weniger anzutreffen, aber dem Autor sind Forschungsprojekte bekannt, die einen Einsatz solcher Bewertungsmodelle im Kreditkundenrating zum Thema haben. Mischformen: In der Praxis sind oft Mischformen obiger Ansätze zu finden, um den verschiedensten Ausprägungen eines Kreditkunden Rechnung tragen zu können. Eine Überlegung hierbei sind die Kosten eines Kreditkundenratings. Ein Ratingvorgang ohne Override ist sicherlich die günstigste Variante eines Ratings. Mit einem Override ist eine vertiefte Prüfung notwendig, was die Kosten ansteigen lässt. Ab einer gewissen Kredithöhe bzw. Komplexität des Geschäfts wird zum Rating der Ratingsysteme noch eine Expertenmeinung zugezogen, was noch einmal mehr Kosten verursacht. Am teuersten ist sicherlich die reine Expertenbeurteilung. Diese kommt zum Einsatz, wenn zu wenig Erfahrungswerte (und somit eine zu kleine statistische Basis) vorliegen. In der Schweiz zeichnet sich folgende Verwendung der oben genannten Ratingansätze ab: Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 51 Abbildung 8: Ratingansätze in der Schweiz Quelle: Seydoux L. (2009) Die schwarze Fläche oben zeigt den Bereich im Schweizer Kreditgeschäft, den die Banken mit einem hohen Automatisierungsgrad adressieren: kleine Kreditbeträge bei überschaubarer Komplexität des Geschäfts (typischerweise das untere KMU-Segment). Die dunkelgraue Fläche (typischerweise das Kreditgeschäft mit mittleren und grösseren Mittelstandsunternehmen) zeigt, dass bis zu einer gewissen Komplexität und Kredithöhe auf die Ratingsysteme abgestützt wird. Bei den grösseren Krediten in diesem Feld bzw. bei erhöhter Komplexität wird normalerweise eine Zweitmeinung eingeholt. Die hellgraue Fläche zeigt die Spezialfinanzierungen mit sehr hoher Komplexität bzw. grossen Kreditsummen. Für solche Vorgänge wird normalerweise ein manuelles Rating erstellt. In dieses Feld gehören die Kreditgewährung im Verbund mit anderen Banken („Syndikatskredite“ genannt) oder spezielle Kreditkundenkategorien wie z.B. Venture-Kapital-Gesellschafen. Mit Rückschluss auf die der Automatisierung zu Grunde liegenden Theorien kann man obige Grafik auch wie folgt ausdrücken: Vorgänge mit tiefer Komplexität und wenig Bedarf an implizitem Wissen können zu einem hohen Masse durch die IT Systeme übernommen werden (schwarze Fläche). Je grösser die Komplexität wird und je mehr implizites Wissen für die Beurteilung notwendig wird, desto tiefer ist der Beitrag, den die IT Systeme leisten können. Die unten stehende Tabelle gibt einen Überblick über die einzelnen Verfahren mit ihren Ausprägungen und dem Hinweis auf den Anteil an impliziten Wissen (letzte Spalte: Eignung für interne Ratingsysteme): 52 Systembasierte Ratings und Overrides Tabelle 2: Vergleich alternativer Ratingansätze Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Daldrup A. (2006) S. 70 Die Wichtigkeit von Ratingsystemen gilt also nicht nur hinblicklich der Risikomessung, sondern auch der Senkung der Transaktionskosten im Kreditgeschäft. In den nächsten Kapiteln widmen wir uns der Struktur und dem Aufbau solcher Ratingsysteme. 3.1 Struktur von Ratingsystemen Wie mehrfach erwähnt, kommt bei fast jeder Kreditvergabe ein Ratingsystem zum Einsatz. Dieses System besteht normalerweise aus drei Komponenten: Data Warehouse mit Vergangenheitsinformationen zu Kreditnehmern, deren Rating und deren Ausfälle; Erfassungssystem für aktuelle Informationen des Kreditnehmers; Berechnungssystem zur Ermittlung des Ratings. Die einzelnen Banken haben unterschiedliche Architekturen, die bei ein und demselben Kunden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen71. Im Wesentlichen kann aber auf diese drei Komponenten aufgeteilt werden. Anhand der Daten im Data Warehouse ermitteln statistisch und ökonomisch versierte Spezialisten Kennzahlen, die in der Lage sind, die Bonität der Kreditnehmer zu unterscheiden. Mittels Hilfsprogrammen72 werden diese Kennzahlen so weit kombiniert, dass statistisch stabile Modelle entstehen. Die Kraft dieser Modelle wird unter anderem in der Kennzahl der Fläche unter der ROC-Kurve gemessen73 („Area under the ROC Curve“ oder „AUROC“ genannt): 71 72 73 Bernet B., Westerfeld S. (2008) S. 1011ff; Lehner D. (2009) S. 32 hat 10 Kunden bei 9 Banken raten lassen und als Ergebnis eine Differenz der PD von bis zum 192-fachen erhalten. Diese reichen vom einfachen Microsoft Excel bis hin zu mächtigen Lösungen wie SAS Westerfeld S. (2007) S. 14 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 53 Abbildung 9: Fläche unter der ROC Kurve Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Oehler / Unser (2001) Der Wert der Fläche unter der ROC Kurve kann zwischen 0 und 1 bzw. zwischen 0 1 und 100 % liegen und wird mit der Formel AUCROC = ∫0 ROC(x)dx berechnet. Je näher diese Fläche bei 1 bzw. 100 % ist, desto besser ist das Modell in der Lage, schlechte von guten Bonitäten zu trennen (diese Fähigkeit wird „Trennkraft“ oder „Trennschärfe“ genannt). Das zufällige Modell entspricht der in obiger Abbildung gezeigten Diagonale mit einer Fläche von 50 % unter der Kurve. Das perfekte Modell (gestrichelte Linie) erkennt im Vergleich zum realen Modell (ausgezogene Kurve) zuerst alle Ausfälle. Als Resultat liefern die Spezialisten ein Set an Kennzahlen (eine so genannte „Scorecard“), das für jeden Kreditnehmer abgefüllt wird und die Kennzahlen in eine Punktzahl („Score“ genannt) transformiert74. Es ist üblich, dass für verschiedene Geschäftsarten (z.B. Rohstoffhändler, Immobiliengesellschaften, kleinste Unternehmen, etc.) eigene Scorecards erstellt werden. Die Hauptanforderung an eine Scorecard aus Sicht der Bank ist die Optimierung folgender vier Faktoren75: Trennschärfe: Die Scorecard muss die Risikoübernahme durch quantitative Messethoden ermöglichen und eine grösstmögliche Messgenauigkeit aufweisen. Dabei geht es um die Ausfallschätzung für einen Zeitraum von 12 Monaten. Die Vorga- 74 75 Martin M. (2007) S. 31ff Ochsner D. (2009) und Kurth A. (2009) 54 Systembasierte Ratings und Overrides be von Basel II einer möglichst hohen Stabilität über einen weiteren Zeitraum ist bei der Entwicklung natürlich auch im Fokus; Einführbarkeit: Die Scorecard muss standardisiert und in die Kreditprozesse integrierbar sein und darf keine übermässige Komplexität aufweisen; Benutzerakzeptanz: Die Treiber der Scorecard müssen wirtschaftlich plausibel und transparent sein. Ein Mangel an Plausibilität oder Transparenz treibt den Anteil an Overrides; Kosten-/Nutzenverhältnis: Die Kosten für die Entwicklung und den Unterhalt der Scorecard sollen in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen durch die Vermeidung von Verlusten bzw. durch ein risikogerechtes Pricing stehen. Entsprechend ist eine hohe Automatisierung und Effizienz gefordert. Die zweite Komponente ist das Erfassungssystem für Informationen des Kreditnehmers. Hier werden vor allem Finanzzahlen aus den Jahresabschlüssen sowie ausgewählte qualitative Merkmale zu Budgettreue, Managementqualität, etc. erfasst. Die grosse Herausforderung bei den Erfassungssystemen ist die Qualität und Normierung der zu erfassenden Daten. Betrachtet man alleine schon die verschiedenen Rechnungslegungsstandards und innerhalb derselben den Darstellungsfreiraum von Zahlen, so erkennt man die Herausforderung, alle Finanzzahlen statistisch homogen zu erfassen. Die dritte und letzte Komponente ist das Berechnungssystem für das Rating selbst. Beim Berechnungssystem wird der Kundenberater mit den erfassten Informationen des Kreditnehmers durch gezielte Fragestellungen zur richtigen Scorecard geleitet76. Anhand der Scorecard-Wahl erfolgt im Hintergrund die Ermittlung des Scores und – durch die Zuteilung der Punktzahl auf Ratingklassen – die Vergabe des gerechneten Ratings. 76 Je nach Systemarchitektur kann der Vorgang umgekehrt sein, das heisst, durch die Scorecardwahl wird die Erfassung gesteuert. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 55 Abbildung 10: Zusammenspiel der einzelnen Systemkomponenten Quelle: eigene, stark vereinfachte Darstellung Neben dem obigen systemgestützten Vorgang nehmen insbesondere noch zwei wesentliche Bausteine Einfluss auf die Kreditgewährung: 1. die Kreditrichtlinien, das heisst, die Politik der Bank bezüglich Kreditrisiko und Kreditportfolio sowie 2.) die maximale Limite eines einzelnen Schuldners bzw. einer einzelnen Branche, das heisst, der quantifizierte Risikoappetit der Bank in Bezug auf Einzelkunden und in Bezug auf alle Kunden einer Branche77. Auf den nächsten Seiten werden die oben beschriebenen drei Komponenten des Ratingsystems im Detail dargelegt. Der Fokus wird – wie einleitend erwähnt – auf den Datenpool und die Ermittlung der Scorecard gesetzt. 3.2 Datenpool und Ermittlung Scorecard Der detaillierte Ablauf einer Scorecard-Entwicklung richtet sich nach den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln und nach den Anforderungen der einzelnen Banken. Es gibt aber einen übergreifenden Ablauf und ein idealtypisches Vorgehen, das im Rahmen dieses Kapitels vorgestellt wird (Abbildung 8; diese Darstellung wird als Standortbestimmung unter den Kapitelbezeichnungen jeweils wiederholt, wobei der aktuelle Schritt durch eine Markierung hervorgehoben wird): 77 Ochsner D. (2009) 56 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 11: Schritte der Scorecard-Entwicklung Quelle: eigene Darstellung Um Scorecards entwickeln zu können, bedarf es primär zweier Faktoren: 1. genügend Daten, die in homogener Form vorliegen, und 2. einem Statistiktool, das in der Lage ist, die nötigen Berechnungen vorzunehmen. Die grössere Herausforderung stellen ganz klar die Daten dar. Will man heute einen Faktor auf seinen Einfluss in Bezug auf Kreditausfälle78 testen, dann muss dieser über mehrere Jahre für möglichst alle Kunden vorliegen. Bei den quantitativen Faktoren ist das theoretisch durch Nacherfassung möglich. Praktisch besteht aber die Hürde der enorm hohen Kosten. So haben einige Institute diese Übung abgebrochen. Es ist dem Autor nur ein Institut bekannt, das den Aufwand betrieben hat und auf Jahre zurück die Finanzdaten der Kreditnehmer nacherfassen liess. Viel schwieriger wird es, wenn die qualitativen Faktoren fehlen. Ein Bankenvertreter stellt zur Illustration die Frage, wie wohl das Management der Swissair sechs Monate vor dem Grounding zu beurteilen sei. Aus heutiger Sicht fiele diese Beurteilung sicher anders aus, als sie 6 Monate vor dem Grounding ausgefallen wäre. Dieses kleine Beispiel und die Einleitung zeigen auf, wie problematisch eine rückwirkende Erhebung fehlender Indikatoren sein kann. Das kleinere Problem bei der Scorecard-Entwicklung ist das Statistiktool. Dies, da bereits Excel in der Lage ist, diese Arbeiten zu meistern, und auch einschlägige Literatur zur Scorecard-Modellierung mit Excel erhältlich ist79. Dabei ist jedoch zu betonen, dass die Entwicklung von Optimierungsalgorithmen eine höchst komplexe Herausforderung darstellt, sofern die Zielsetzung nicht nur der Optimierung der Trennschärfe, sondern auch deren Stabilität (bezüglich Variation der Datengrundlage) gilt. 3.2.1 Unterstützung durch IT Systeme Excel ist nicht die einzige Unterstützung, welche die IT-Welt für die Entwicklung von Scorecards zu bieten hat. Es besteht ein regelrechter Markt für IT-Systeme, die im Bereich Scorecard-Entwicklung ihre Dienste anbieten. Chartis Research hat 2008 anhand einer breit angelegten Bestandsaufnahme Funktionalität, Technologie, Kun78 79 Die erste Aufgabe ist hierbei die saubere Definition, was als „Ausfall“ betrachtet werden muss z.B. Löffler G. & Posch P. (2007) „Credit risk modeling using Excel and VBA” Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 57 denzufriedenheit, Marktpräsenz und Innovation gemessen und ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Abbildung 12: Software zum Management von Kreditrisiken (Retailbanken) Quelle: Chartis „Credit Risk Management Systems 2008“ S. 12 Celent hat ebenfalls ein Ranking vorgenommen und die Anbieter nach verschiedenen Faktoren klassifiziert. Er unterscheidet fortschrittliche Technologie, Breite der Funktionalität, Kundenbasis und Ausmass des Kundenservices und kommt zu folgenden Anbietern: Technologie Algorithmics SAS QRM Fermat Funktionalität SAP IRIS SunGard Fermat Kundenbasis Fermat SAS IRIS Kundenservice Algorithmics QRM Tabelle 3: Anbieter-Ranking Quelle: Celent (2008) S. 60 Celent wie auch Chartis betrachten SAS als einen der führenden Anbieter im Bereich Software für die Scorecard-Entwicklung80. Gartner führt SAS in ihrem „Magic Quadranten für Basel II“ im Feld „Leader“ mit der höchsten Fähigkeit zur Umsetzung81, und IDC attestiert SAS ebenfalls eine führende Rolle82. Zudem melden die grossen 80 81 82 Celent (2008) S. 53 nennt SAS den „established leader in the provision of analytics“ Garnter (2006) IDC (2008) 58 Systembasierte Ratings und Overrides Schweizer Banken, dass sie SAS im Einsatz haben. Aus diesen Gründen hat sich der Autor entschieden, die nachfolgenden Schritte anhand von SAS-Abläufen und Screenshots zu dokumentieren. Anhand der Klassifikation im Rahmen der Theorie deckt SAS das gesamte Spektrum des Data Warehouse nach Timm (2004) ab: das Laden der Daten, das Halten (Warehouse) und die Analyse (Business Intelligence). SAS kann wie folgt kurz vorgestellt werden: Das Unternehmen wurde 1976 gegründet und ist heute bei mehr als 45‘000 Kunden in über 100 Ländern im Einsatz (davon bei 91 der Fortune-Global-500-Kunden). SAS hat über 11‘000 Mitarbeitende in 400 Büros und ist in mehr als 50 Ländern lokal vertreten. Der Umsatz betrug 2008 rund 2.26 Mia. US$. 3.2.2 Aufbau DatenDaten - Pool Der erste Schritt zur Scorecard ist der Aufbau eines geeigneten Daten-Pools. Ziel dieses Daten-Pools ist es, eine genügend grosse Anzahl Datensätze (Beobachtungen) für die Entwicklung der Scorecard zur Verfügung zu haben. Im Falle von Scorecards für Firmenkunden bedeutet dies, über einen genügend langen Zeitraum Bilanzdaten und allfällige qualitative Beurteilungen von überlebenden und ausgefallenen Firmen zu besitzen. Die fachlichen Anforderungen an Finanzzahlen zeigen hierbei schon ein erstes Problem auf, denn die Werte sollten möglichst einheitlich erfasst sein: Betriebliche Zahlen sollten von nichtbetrieblichen getrennt, ausserordentliche Aufwände und Erträge separiert, stille Reserven einheitlich behandelt oder Buchwerte plausibilisiert sein 83. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der fachlichen Anforderungen. Beachtet man, dass z.B. nach internationaler Rechnungslegung weder stille Reserven noch ausserordentliche Aufwände oder Erträge zugelassen sind, so zeigt dies schnell die Hürde zur Erfüllung solch fachlicher Ansprüche. Eine Bank in der Schweiz hat die Erfassung der Jahresabschlüsse an einen spezialisierten Outsourcing-Partner übertragen. Dieser in der Erfassung von Finanzzahlen versierte Outsourcing-Partner trägt die Zahlen an- 83 RSN (2009) S. 32 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 59 hand von 16‘000 möglichen Positionen aus Bilanz und Erfolgsrechnung ab84. Allein schon diese enorme Auswahl illustriert das Problem einer einheitlichen Anwendung von Finanzzahlen. Hintergrund dieser Anforderung ist, dass die Qualität der Scorecards empfindlich mit der Qualität der Grunddaten schwankt85. Noch schwieriger wird obige Anforderung, wenn mehrere Banken einen gemeinsamen Datenpool nutzen, wie dies bei RSN der Fall ist. RSN ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Basler, Luzerner und St. Galler Kantonalbanken und bietet u.a. ein Ratingsystem für kleinere und mittlere Banken an. Durch den Anschluss mehrerer Banken (derzeit sind es 17) können die Daten derselben im Sinne einer grösseren statistischen Basis zusammengelegt werden. Die grosse Herausforderung in diesem Fall ist die Sicherstellung einer einheitlichen Erfassung über die Bankgrenzen hinweg. Wo grössere Banken durch interne Anweisungen oder Fachabteilungen eine gewisse Qualitätssicherung erreichen, muss dies bei einer heterogenen Lösung anderweitig sichergestellt werden. Aus diesem Grunde verwenden alle Kundeninstitute der RSN dasselbe IT Instrumentarium zur Erfassung der Bilanzen in Form eines einheitlichen Rasters. Zur Regelung von Bewertungsspielräumen sind in den Erfassungsmasken zahlreiche Hilfetexte hinterlegt und des besteht die Möglichkeit Notizen auf Ebene der einzelnen Bilanzpositionen zu erfassen86. Unabhängig davon, ob es sich um eigene Ratingsysteme oder um eine Pool-Lösung handelt, müssen die operativen Daten in regelmässigen Abständen in den Daten-Pool („Data Warehouse“) eingelesen werden. Ein Data Warehouse orientiert sich normalerweise an einem Thema (z.B. Kreditrisiko) und integriert unternehmensweit (oder im Falle von RSN: kundenweit) sämtliche dazugehörigen Daten. Die Daten werden nach dem Einlesen ins Data Warehouse nicht mehr verändert, dafür aber mit einem Zeitbezug versehen (von wann datieren diese Informationen)87. Somit ist sichergestellt, dass Zeitreihen gebildet und Veränderungen ausgewertet werden können. Wird ein solches Data Warehouse das erste Mal aufgebaut, stellen sich vier Grundfragen88: Welche Daten werden benötigt? Wer benötigt diese Daten? Wo kommen diese Daten her? Wie kommen die Daten? 84 85 86 87 88 Sinzig H.P. (2009) S. 21 Heusler M. (2009) RSN (2009) S. 34 Inmon B. (1996) S. 161ff Abolhassani R. (2006) S. 27ff 60 Systembasierte Ratings und Overrides Im Falle der Scorecard-Entwicklung stellt sich also die Frage, ob z.B. die Finanzzahlen und der Hinweis auf allfällige Ausfälle genügend sind, oder ob weitere Zahlen benötigt werden. Wie einleitend erwähnt, werden z.B. qualitative Faktoren erfasst, oder es werden Ratings durch Overrides übersteuert, womit die reinen Finanzzahlen nicht genügen. Eine fundierte Analyse der notwendigen Daten ist somit ein Muss. Wie ebenfalls einleitend festgehalten, ist eine nachträgliche Erfassung oder Ermittlung kostspielig oder gar unmöglich. So gilt es, von Beginn weg möglichst alle künftig benötigten Daten zu definieren und deren schiere Existenz an der entsprechenden Stelle sicherzustellen. Zudem gilt es, mit Hilfe von Sicherungsmechanismen gravierende Veränderungen im Data Warehouse möglichst früh zu erkennen.89 Einfach scheint bei der Scorecard-Entwicklung die Frage nach dem „Wer?“. Die Statistiker und Risikoabteilungen der Banken bzw. der Anbieter von Pool-Lösungen müssen auf diese Daten zurückgreifen. In der Realität sind dieser Personenkreis und das Thema aber je nach Aufgabenstellung unterschiedlich, weshalb auch die Frage nach dem „wer“ mangels eindeutiger Definition an Komplexität gewinnt. Neben dem Rating werden weitere Berechnungen aufgrund der Daten angestellt (bis hin zur nötigen risikogewichteten Eigenkapitalausstattung), und diese stellen auch die Grundlage für das Risikomanagement und -Controlling einer Bank dar. Da das Thema Zugriff auf Daten im Bankenumfeld höchste Sensibilität geniesst90, ist eine Analyse des „Wer?“ unumgänglich. Somit wird nicht nur ermittelt, wessen Bedürfnisse mit dem Data Warehouse abgedeckt werden, sondern auch, wer darauf zugreifen darf. Die Frage nach dem „Woher?“ ergibt sich aus der Frage nach dem Datenbedarf. Sobald klar ist, welche Daten benötigt werden, kann die Festlegung der geeigneten Quelle erfolgen. Nehmen wir das Beispiel der outgesourcten Finanzdatenerfassung, dann darf vermutet werden, dass die qualitativen Beurteilungen durch den Kreditkundenberater aus einer anderen Quelle kommen können. Im Falle der PoolLösungen verteilen sich die Quellen auf die verschiedenen angeschlossenen Banken. Schlussendlich gilt es, für jede Quelle die einzulesenden Datenbestände festzulegen. Nun bleibt noch die Frage, wie die Daten übermittelt werden. Hierbei findet die Analyse auf technischer Ebene statt und geht über die elektronische Integration (kommen die Files per Mail oder ist eine vollautomatisierte Integration gegeben?) bis auf das einzelne Datenfeld (wie lange ist es? Wie hängt es mit anderen Datenfeldern aus anderen Datenquellen zusammen? etc.). Einmal definiert, sollte das Bestücken des Data Warehouse so automatisiert wie möglich ablaufen. Die IT unterstützt diesen Prozess, was anhand der Architektur von SAS gut ersichtlich ist: Untenstehende Grafik zeigt, wie aus verschiedensten 89 90 Steinhauer C. (2003) S. 6 Häfliger O. (2009) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 61 Quellen Daten über eine automatisierte Schnittstelle („ETL“) konsolidiert werden. Der Begriff ETL leitet sich aus den einzelnen Schritten ab: Die relevanten Daten werden bereitgestellt (Extraktion bzw. Extract), in das vom Data Warehouse gewünschte Format gebracht (Transformation) und im Data Warehouse geladen (Laden bzw. Load). Die Grafik zeigt auch, wie der Anspruch von B. Immon91 erfüllt wird, dass sich Data Warehouse an einem Thema zu orientieren haben. Die Standardarchitektur von SAS unterteilt in diverse Pools, wovon „Credit Risk“ derjenige ist, der für die Scorecard-Entwicklung relevant wird. Abbildung 13: Architekturmodell von SAS Quelle: Celent (2008) S. 68 Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass für die Entwicklung von Scorecards möglichst lange Zeitreihen von möglichst vielen Kunden notwendig sind. Je grösser diese Datenbasis ist, desto stabiler sind die darauf basierenden statistischen Scorecard-Modelle. Da die benötigten Daten aus verschiedenen Systemen stammen, muss über einen standardisierten ETL-Prozess definiert werden, der die Bestückung des Data Warehouse mit den notwendigen Daten in der verlangten Kadenz sicherstellt. Im Data Warehouse werden diese Daten historisch gespeichert, also nicht mehr verändert. Damit ist das Vorhandensein einer adäquaten Datengrundlage für die weiteren Schritte in der Entwicklung der Scorecards sichergestellt. 91 B. Immon (1996) S. 161ff 62 Systembasierte Ratings und Overrides 3.2.3 Ermittlung univariat trennender Kennzahlen Der nächste Schritt in der Entwicklung einer Scorecard ist die Ermittlung von einzelnen Kennzahlen, die gute von ausfallenden Kreditnehmern trennen. Als Erstes wird nun aus dem Data Warehouse eine Teilmenge der Daten aufbereitet. Die Aufbereitung erfolgt so, dass sie für die Zwecke der Person (es greifen ja verschiedenste Personengruppen auf das Data Warehouse zu) zugeschnitten ist, womit die Verwendung deutlich anwenderfreundlicher ist92. Solche aufbereitete Teilmengen eines Data Warehouse werden „Data Mart“ genannt. Abbildung 11 unten zeigt auf, wie mittels SAS ein solcher Data Mart aufgebaut wird. Die einzelnen Schritte, wie die Auswahl, das Sortieren und das Laden des Data Marts, sind daraus ebenso gut erkennbar wie die verschiedenen herangezogenen Daten. Es wird nur ein Teil der relevanten Daten für die Scorecard-Entwicklung verwendet, um für das Testen eine abweichende Datenbasis zu erhalten (out of the sample test). Einmal aufgebaut, werden die Daten im Data Mart vor ihrer Verwendung bearbeitet, d.h. Ausreisser werden bereinigt und fehlende Datenpunkte ermittelt93. 92 93 Lusti M. (2002) S. 136 Ochsner D. (2009) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 63 Abbildung 14: Aufbau eines Data Mart mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 29 Mit der bereinigten Datengrundlage beginnt die Ermittlung derjenigen Kennzahlen, die für eine Scorecard in Frage kommen. Zu Beginn können gut und gerne deutlich über 1000 Kennzahlen aus verschiedenen Quellen zusammengetragen werden, welche für die Modellentwicklung zur Verfügung stehen. Diese werden bezüglich ihrer Kraft, wie sie ausfallende Kreditnehmer erkennen, analysiert („univariate Diskriminanzanalyse“ genannt), was das Set für die weitere Verarbeitung auf einige hundert reduziert. Es ist keine Kennzahl bekannt, die für sich alleine perfekt zwischen überlebenden und ausfallenden Kreditnehmern unterscheiden kann. Ziel ist daher, diejenigen Kennzahlen zu finden, die eine möglichst gute Trennschärfe erreichen. Als gut gilt, deutlich über 50 % zu liegen, denn eine Trennschärfe von 50 % kommt einer Nullaussage bzw. einem Münzwurf gleich94. Zur Sicherung der Qualität wird ein Schätzgütemass95 angesetzt („Accuracy Ratio“), das die Trennkraft wiedergibt („Cummulative Accuracy Profile“ oder „CAP“– Erklärung siehe Kapitel 3.2.4). Da eine perfekte Trennung real nicht möglich ist, gibt es Überschneidungen: 94 95 Ochsner D. (2009) Moody’s (2001) S. 8 64 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 15: Überschneidungen beim Rating Quelle: Oehler A. / Unser M. (2001) Die Überschneidungen sind oben mit der schraffierten und mit der schwarzen Fläche dargestellt. Je höher die Trennschärfe ist, desto kleiner sind diese Flächen. Die schraffierte Fläche heisst in der Fachsprache „Alpha-Fehler“, die schwarze Fläche „Beta-Fehler“. Der Alpha-Fehler bedeutet, dass schlechte Bonitäten zu gut taxiert werden. Somit erhält ein schlechter Kunde fälschlicherweise einen Kredit bzw. seinen Kredit zu günstig. Der Beta-Fehler bedeutet, dass eine gute Bonität als schlecht eingestuft wird. Somit erhält ein guter Kunde fälschlicherweise keinen Kredit bzw. seinen Kredit zu teuer96. Anhand des folgenden Beispiels kann die Relevanz von Alpha- und Beta-Fehler einander gegenübergestellt werden97: Alpha-Fehler: Beta-Fehler: Kredit 100 TCHF, 100 % Verlust = 100 TCHF Verlust für die Bank98 Kredit 100 TCHF, entgangener Gewinn 1 TCHF bei 1 % Zinsmarge Zur Abdeckung eines Alpha-Fehlers von 100 TCHF müssten also 10 Mio. CHF Kredite zu 1 % Zinsmarge gewährt werden. Der Vorteil der univariaten Diskriminanzanalyse ist, dass sie einfach und leicht nachvollziehbar ist. Der Nachteil ist, dass bei nur wenigen Kennzahlen Teilaspekte vernachlässigt werden, während bei zu vielen Kennzahlen die Komplexität deutlich ansteigt99. Die Messung der Trennschärfe erfolgt mittels der statistischen Kennzahlen. Als Möglichkeit stehen die Mittelwerte und Standardabweichungen zur Verfügung 96 97 98 99 Westerfeld S. (2007) S. 15. Ochsner D. (2009) Unter der Annahme von 100% LGD und 100% EAD Rommelfragner H. (2002) S. 37 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 65 (wie ist der Mittelwert ± Standardabweichung für die ausgefallenen und für die überlebenden Kreditnehmer?) bzw. der T-Test100, um die beiden Mittelwerte zu vergleichen (sind sie statistisch signifikant unterschiedlich?). Je weiter und signifikanter die Mittelwerte auseinander liegen, desto trennschärfer ist die Kennzahl101. Eine weitere Möglichkeit ist die einfache lineare Regression, anlässlich der überprüft wird, ob es einen signifikanten linearen Zusammenhang zwischen der Kennzahl und dem Überleben bzw. Ausfall gibt. Schlussendlich steht noch die Möglichkeit der AUROCAnalyse zur Verfügung. Hierzu werden die zur Verfügung stehenden Werte der Kreditkunden nach ihrer Grösse sortiert und auf der X-Achse abgetragen, während auf der Y-Achse die kumulativen Ausfälle abgetragen werden. Die Fläche unter der Kurve gibt, wie in Kapitel 3.1 erwähnt, Auskunft über die Trennkraft: Je grösser (näher bei 100 % bzw. 1) diese Fläche ist, desto besser ist die Trennkraft der Kennzahl. Aus dieser Fläche lässt sich auch der Gini-Koeffizient ableiten (2 * AUROC - 1). Selbstverständlich können dieselben Resultate auch mit anderen statistischen Methoden berechnet werden102, aber die oben genannten stellen die Wesentlichsten dar. Aus dem auf einige hundert reduzierten Set von möglichen Kennzahlen mit einer minimalen Trennkraft werden in den nächsten Schritten weitere Reduktionen vorgenommen. Dabei wird insbesondere auch die ökonomische Aussagekraft aus Expertensicht nochmals vertieft betrachtet. Wie in Kapitel 3.1 erwähnt, ist die Benutzerakzeptanz für eine Scorecard sehr wichtig. Daher müssen die Ratingtreiber sinnvoll und für den Kreditkundenberater nachvollziehbar sein. Weitere Reduktionen des Sets erfolgen durch Untersuchung von Faktorenpools. Dabei werden die Kennzahlen in Gruppen eingeteilt und auf Redundanzen innerhalb und über die Gruppengrenzen hinaus untersucht. Hierzu werden Kriterien aus dem Umfeld der klassischen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eingesetzt. Diese entstammen der operativen Tätigkeit der Kreditnehmer und basieren auf den Jahresabschlüssen der vergangenen Jahre. In der Folge sind die wichtigsten Gruppen und stellvertretende Kennzahlen aufgeführt: 1. Liquidität: Die Liquiditätskennzahlen geben Auskunft darüber, wie zahlungsfähig ein Unternehmen ist (Liquiditätsgrad 1, 2 und 3 und Net Working Capital). Sie berücksichtigen dabei auch die Einflussfaktoren auf die Liquidität (Debitorenumschlag bzw. laufzeit, Kreditorenumschlag bzw. -laufzeit, Lagerumschlag). 100 101 102 Bei einer Ordinalskala wird für abhängige Stichproben der U-Test bzw. für unabhängige der Wilcoxon-Test verwendet. Vgl. hierzu auch Weber O. (2002) S. 19 Mettler A. (1994) S. 6 Vgl. hierzu Weber O. (2002) S. 3ff 66 Systembasierte Ratings und Overrides 2. Zinsdeckung und Finanzierungshöhe: Die Kennzahlen im Zusammenhang mit der Zinsdeckung zeigen auf, ob das Unternehmen in der Lage ist, die Kreditkosten zu bedienen (Zinsdeckungsgrad, dynamischer Verschuldungsgrad, EBIT-Zinsdeckung). Sie adressieren aber auch die Frage, ob das Unternehmen langfristig in der Lage ist, die Kredite zu amortisieren (Tilgungsbereitschaft, Schulden vs. EBITDA). 3. Profitabilität: Im Zentrum des unternehmerischen Handelns steht bekanntlich die Erwirtschaftung nachhaltiger Gewinne. Demnach gibt es auch diverse Kennzahlen im Zusammenhang mit der Profitabilität. Einige ergeben sich aus der reinen Struktur der Erfolgsrechnung (Bruttomarge, EBITDA, EBIT, EBT, Reingewinn), andere aus dem Verhältnis des Gewinns zu anderen Grössen (Umschlagsrendite, Eigenkapitalrendite, Gesamtkapitalrendite, Cashflow Eigenkapitalrendite, Cashflow Umsatzrendite). 4. Bilanzstruktur: Die Kennzahlen der Bilanz zeigen auf, wie das Kapital investiert ist (Anlageintensität, Anlageumschlag), ob genügend eigene Mittel vorhanden sind (Eigenkapitalquote), ob die Fristigkeit in der Finanzierung stimmt (Anlagedeckungsgrad 1 und 2) bzw. wie das Verhältnis zwischen kurz- und langfristigem Fremdkapital ist (kurzfristiger Verschuldungsgrad). 5. Wachstum: Bei den Wachstumskennzahlen wird einerseits das effektive Wachstum betrachtet (Umsatzwachstum, Bruttogewinnwachstum, EBITDA-, EBIT-, EBT- und Gewinnwachstum, Umsatz je Mitarbeiter), aber auch die Investitionen in ein weiteres nachhaltiges Wachstum (Forschungsquote, Re-Investitionsquote, Marketingquote). 6. Qualitative Faktoren Die qualitativen Faktoren sollen, ergänzend zu den rein materiellen Kennzahlen, vor allem eine vorausblickende Wirkung zeigen (gute qualitative Kennzahlen schlagen sich künftig in guten quantitativen Werten nieder103). Im Wesentlichsten handelt es sich hierbei um eine Beurteilung von Produktportfolio, Management, Managementinstrumenten, Corporate Governance, Personalführung, Organisation / Prozesse, Plantreue oder Marktposition bzw. um immaterielle Werte (Personal, Kunden, Lieferanten Investoren, Standort, Innovation). Qualitative Faktoren sind hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt. Sie fliessen in einer eigenen Scorecard in das Kundenrating ein (die Entwicklung wird am Ende der quantitativen Scorecard-Entwicklung dargelegt). 103 Amann M. (1999) S. 3 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 67 Es ist nicht unüblich, dass noch externe Faktoren („extrinsische“ Faktoren genannt) in ein Rating aufgenommen werden. Diese betreffen oft Branchen (Wachstum, Reife, Zyklizität, Saisonalität, Eintrittsbarrieren), Länder bei Exportorientierung (Konsum, BIP, Inflation, Arbeitsmarktdaten, Regierung, Steuern) sowie Währungseinflüsse. Schlussendlich hat man mehrere Kategorien mit Kennzahlen, die allesamt mit dem Messwert ihrer Trennschärfe versehen sind. Da die Messung für jede Zahl einzeln erfolgt, werden diese Kennzahlen „univariat trennende Kennzahlen“ genannt. Der Messvorgang selbst wird durch die IT unterstützt. Selbst Excel ist in der Lage, die Berechnung der Trennschärfe vorzunehmen104. SAS unterstützt dieses Vorgehen mit einem hohen Automatisierungsgrad und liefert als Ergebnis eine Rangfolge (vgl. Abbildung 16 unten). Kennzahlen, die für sich nicht eine minimale Trennschärfe aufweisen, werden für die Kombination meistens nicht weiterverwendet. Ebenso werden Kennzahlen eliminiert, die eine hohe Korrelation zu anderen Kennzahlen in der jeweiligen Gruppe und darüber hinaus haben. Es wird diejenige Kennzahl behalten, die die höhere Trennschärfe aufweist, bzw. bei ähnlicher Trennschärfe diejenige, die für die Kreditkundenberater eher verständlich ist. Schlussendlich bleibt ein Set von rund 30 Kennzahlen für die weitere Verarbeitung. Abbildung 16: Darstellung der univariaten Kennzahlen mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 44 104 Vgl. Löffler G. & Posch P. (2007) „Credit Risk Modeling using Excel and VBA“ 68 Systembasierte Ratings und Overrides Nachdem bekannt ist, mit welchen Kennzahlen weitergearbeitet werden soll, werden diese mit der Punktzahl (dem „Score“) versehen. Früher wurde hierzu der Kennzahl ein Score-Multiplikator zugesprochen und der Wert der Kennzahl damit multipliziert. Multiplikator 0.30 Liquiditätsgrad 3 120 % Score der Kennzahl 0.36 Tabelle 4: Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei früheren Berechnungen Quelle: eigene Darstellung Dies hat dazu geführt, dass Extremwerte bei einzelnen Kreditkunden der Gesamtscore zu stark beeinflusst wurden. Entsprechend wurde in der Folge eine Verteilung durch Experten vorgenommen und daraus der Score ermittelt (heute nur noch selten): Kennzahl Score bis 5 % 0.000 bis 25 % 0.125 bis 50 % 0.250 … bis 200 % … 1.000 Tabelle 5: Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei Expertenkategorien Quelle: eigene Darstellung Heute wird eine statistische Zuteilung („logistische Transformation“ genannt) als Normalfall betrachtet: Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 69 LOGIT Transformation Liquiditätsgrad 3 1 Score = LOGIT der Ausprägung 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 0% 50% 100% Wert Liquiditätsgrad 3 150% 200% Abbildung 17: logistische Transformation mit a [-6] und b [6] Quelle: Heusler M. (2009) Bei der logistischen Transformation werden auf der X-Achse die Beobachtungen nach Grösse sortiert (kleinster Liquiditätsgrad 3 zuerst, grösster zuletzt). Auf der YAchse beginnen die Beobachtungspunkte dank der Formel 1 / [1+eax+b] zu steigen, wobei e für die Eulersche Zahl 2,718281828459 und x für den Wert des Liquiditätsgrades 3 steht. Die Parameter a wie auch b sind frei wählbar und beeinflussen die Steilheit und Lage der Kurve. Daraus entsteht obiges Bild. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die Wirkung jeder Kennzahl im Ratingmodell auf denjenigen Bereich reduziert werden kann, in welchem die jeweilige Kennzahl eine Aussagekraft für die Bonität bzw. das Risiko besitzt.“ Die obere und untere Grenze kann festgelegt werden, indem wiederum Experten befragt werden. Oder aber es wird festgehalten, wie viele Prozente der Beobachtungen zwischen den Grenzen liegen sollen (wenn z.B. 90 % der Beobachtungen innerhalb der Grenzen liegen sollen, dann wird nach den ersten 5 % der untere Grenzwert und nach 95 % aller Beobachtungen der obere Grenzwert gesetzt). Für die weitere Verarbeitung bilden einige Banken anhand der ermittelten Verteilung Score-Klassen (siehe weiter unten). Alternativ wird ohne solche Klassen für jeden Liquiditätsgrad ein Score errechnet: 70 Systembasierte Ratings und Overrides Untere Grenze 5% (ergibt einen Score von 0.000) Obere Grenze 200 % (ergibt einen Score von 1.000) Liquiditätsgrad 3 Score der Kennzahl 120 % 59 Tabelle 6: Beispiel mit Liquiditätsgrad 3 bei linearer Transformation Quelle: eigene Darstellung Die Formel zur Berechnung lautet in diesem Fall: [Liquiditätsgrad 3 – untere Grenze] / [obere Grenze – untere Grenze] = [120 – 5] / [200 – 5] = 115 / 195 = 0.590 = 59 Score-Punkte Werte, die tiefer als der untere Grenzwert sind, erhalten 0 Punkte; Werte, die über dem oberen Grenzwert liegen 100 Punkte. Gleich wie im obigen Beispiel für den Liquiditätsgrad 3 werden die Scores bzw. Score-Klassen für jede der rund 30 Kennzahlen definiert, mit denen weitergearbeitet werden soll. Damit kann zusammengefasst werden, dass – nach dem Aufbau des Data Warehouse – die nötigen Daten für die Kennzahlenermittlung in einem Data Mart zusammengestellt werden. Aus diesen Daten werden mehrere Gruppen mit Kennzahlen gebildet und mit einer Score-Berechnung versehen. Jede dieser Kennzahlen ist für eine Trennung der ausfallenden von den überlebenden Kreditnehmern ökonomisch sinnvoll und ermöglicht zudem diese Trennung in einem gebührenden Ausmass. Selbstverständlich hat jede einzelne Kennzahl nur eine beschränkte Trennschärfe, weshalb in einem nächsten Schritt versucht wird, durch die Kombination von Kennzahlen eine möglichst hohe Trennschärfe zu erreichen. Neben den Abschlussdaten setzt die Trennschärfeanalyse voraus, dass für jeden Schuldner die Ausfallinformation (in Bezug auf einen vorzugebenden Zeithorizont) vorliegt. Dabei ist darauf zu achten, dass in Modellbildung und Modellanwendung dieselbe Ausfalldefinition zum Tragen kommt. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 3.2.4 71 Ermittlung Scorecard und Test Mit dem Set an Kennzahlen beginnt deren Kombination zu Scorecards. Grundlage der Scorecard-Entwicklung ist neben den einfliessenden Kennzahlen das Vorhandensein von Rahmenbedingungen. Solche Rahmenbedingungen können lauten: Die Scorecard muss aus mindestens 5 Kennzahlen bestehen Die Scorecard darf maximal aus 10 Kennzahlen bestehen Je Gruppe muss mindestens eine Kennzahl vertreten sein Die Kennzahl XY muss enthalten sein Etc. Unter Berücksichtigung der obigen Rahmenbedingungen werden nun die einzelnen Kennzahlen so weit kombiniert („multivariat trennende Kennzahlen“ genannt), dass eine Scorecard mit möglichst hoher Trennschärfe entsteht. Hierzu gibt es zwei mögliche Wege105: Vorwärtsbildend: Man beginnt mit einer Kennzahl und fügt weitere Kennzahlen dazu; Rückwärtsbildend: Man beginnt mit allen Kennzahlen und kippt einzelne hinaus. Dieser Prozess („multivariate Diskriminanzanalyse“)106 ist manuell sehr aufwendig. SAS unterstützt diese Arbeit anhand einer automatischen Analyse. Diese Analyse versucht, Kombinationen mit einem höchstmöglichen R2 (dem statistischen Bestimmtheitsmass bei linearen Regressionen) zu finden. Jede zusätzliche Kennzahl hat das Ziel, das R2 zu erhöhen, womit diese Erhöhung zum Grenznutzen der neuen Kennzahl wird. Ist dieser zu klein, dann wird auf die zusätzliche Kennzahl verzichtet107. Neben dem Zusammenstellen der richtigen Kennzahlensets muss auch das richtige Gewichten der einzelnen Kennzahlen in der Scorecard erfolgen („multivariate Opti105 106 107 Schröder J. (2009) Rommelfranger H. (2002) S. 38 Sturzenegger H. (2009) 72 Systembasierte Ratings und Overrides mierung“). Dadurch wird ermittelt, dank welchem Einzelgewicht der Kennzahlen innerhalb der Scorecard die höchste Trennschärfe erreicht wird. Gute und schlechte Algorithmen unterscheiden sich dabei in ihrer Stabilität bezüglich Variation der Datenbasis. Moderne Optimierungsalgorithmen verfügen aus diesem Grund über „resampling“ Methoden und Strategien. Damit kann eine Überanpassung an das Trainingssample vermieden werden Alternativ zur Berechnung mittels klassischer statistischer Methoden werden immer wieder neuronale Netze diskutiert. Da dieses Thema sowohl von der Akademie als auch von den Praktikern im Zusammenhang mit Ratingsystemen regelmässig nachgefragt wird, erfolgt nachfolgend eine kurze Einführung und Würdigung. Neuronale Netzte versuchen, die Funktionsweise von Nervenzellen mittels Knotenpunkten („Neuronen“) zu imitieren und mittels Lerneffekten bessere Ergebnisse zu erzielen108. Die Neuronen selbst sind mit gewichteten Verbindungen („Synapsen“) untereinander verknüpft. Die für Ratingsysteme relevanten neuronalen Netze bestehen aus mehreren Schichten, die wiederum mehrere Neuronen aufweisen. Diese Schichten können in drei Gruppen unterteilt werden: Eingabeschicht, verborgene Schicht, Ausgabeschicht. Eingehende Informationen werden von der Eingabeschicht an die verborgene Schicht weitergegeben und dort so lange mathematisch verarbeitet und weitergereicht, bis alle Neuronen der verborgenen Schicht ihre Information an die Ausgabeschicht weitergeleitet haben (vgl. Abbildung 18 unten). In der Regel ist die Prognosefähigkeit mit neuronalen Netzen höher als mit klassischen statistischen Methoden. Da die Implementierung im Vergleich zum Mehrwert aber teuer ist, wird auf die Anwendung meist verzichtet109. Zudem führt die Intransparenz zu deutlich höheren Akzeptanzproblemen110, was im Falle von Scorecards nicht tragbar ist (vgl. hierzu die Anforderungen in Kapitel 3.1). Aus diesen Gründen wird der Einsatz von neuronalen Netzen derzeit höchstens für qualitative Faktoren empfohlen111. Typische Anwendungsgebiete für neuronale Netze sind dort, wo das System stetig lernen soll. Das Modell entwickelt sich somit dynamisch, was im Zusammenhang mit der Ratinganwendung (derzeit) kaum erwünscht ist. 108 109 110 111 Baetge J. et al. (1996) S. 274 Kurth A. (2009) Mettler A. (1994) S. 18 Deutsche Bundesbank (2004) S. 6 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 73 Abbildung 18: Aufbau eines neuronalen Netzes Quelle: in Anlehnung an Dietz J. et al. (1997) S. 481 Der wesentliche Vorteil von neuronalen Netzen ist, dass sie lernfähig sind. Somit sind sie in der Lage, die Merkmale von überlebenden im Vergleich zu ausgefallenen Kreditnehmern selbstständig zu erkennen. Gemäss Schröder J. (2009) kann davon ausgegangen werden, dass nichtlineare Variablen vorhanden sind, wenn neuronale Netze um mehr als 5 % besser sind als klassische statistische Methoden. Diese nichtlinearen Variablen können nach ihrer Identifikation zu einer linear relevanten Kennzahl kombiniert und zum Einsatz gebracht werden. Generell ist die Kombination von nichtlinearen zu linearen Variablen eine Möglichkeit, weitere Kennzahlen zu erhalten112. Aus Sicht der Benutzerakzeptanz ist es aber fraglich, ob kombinierte Kennzahlen wirtschaftlich nachvollziehbar sind, und somit muss ohne grossen Grenznutzen von einem Einsatz in der Scorecard abgesehen werden. SAS unterstützt die Bildung der Scorecards durch eigene Berechnungsläufe. Die Resultate werden inklusive erster Berechnungen der ROC-Kurve wie folgt dargestellt: 112 Ocker D. (2009) 74 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 19: Darstellung der Scorecard mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 46 Alles in allem kann man also festhalten, dass in einem ersten Schritt zur Bildung einer Scorecard verschiedene univariate Kennzahlen so kombiniert werden, dass eine möglichst hohe Trennschärfe resultiert. Als Ergebnis dieses Prozessschritts liegen bis zu 50 mögliche Scorecards für eine einzelne Kreditnehmergruppe (z.B. KMU, Immobilienfirmen, Rohstoffhändler, etc.) vor. Aus den entwickelten Scorecards gilt es nun, die richtige Wahl für einen künftigen Einsatz im Kreditprozess zu finden. Diese Wahl erfolgt anhand von vorläufigen Tests, die wie folgt gruppiert werden können: optische Prüfung anhand der verwendeten Kennzahlen statistische Tests zur Ermittlung der Stabilität der jeweiligen Scorecard Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 75 Optische Prüfung anhand der verwendeten Kennzahlen Vor den eingehenden statistischen Test werden die entwickelten Scorecards einem einfachen optischen Test unterzogen. Es wird geprüft, ob mit den verwendeten Kennzahlen alle relevanten Blöcke der Bilanz und Erfolgsrechnung eingebunden sind. Als Beispiel ist die bereits verwendete Kennzahl „Liquiditätsgrad 3“ aufgeführt: Abbildung 20: Grundlage der optischen Prüfung Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Ochsner D. (2009) Wenn die verwendeten Kennzahlen die Bilanz und Erfolgsrechnung möglichst umfassend abdecken und keine relevanten Lücken aufweisen, werden erste statistische Tests vorgenommen. Erste statistische Tests Die Qualität der einzelnen Scorecards muss diversen statistischen Tests standhalten. Der Regulator gibt dabei vor, was alles gemessen werden muss113. Nachfolgend sind die erheblichsten Tests mit ihren Vor- und Nachteilen aufgeführt: 113 BIZ (2005) Working Paper No. 14 76 Systembasierte Ratings und Overrides 1. Cumulative Accuracy Profile Die wohl gebräuchlichste Technik zur Ermittlung bzw. Überprüfung der Trennschärfe ist das Cumulative Accuracy Profile („CAP“). Das CAP trägt die Kreditnehmer aufsteigend nach ihrem Score auf der X-Achse ab, währen auf der Y-Achse der relative Anteil der Ausfälle abgetragen wird. 2. Receiver Operating Characteristic (ROC) Die ROC-Kurve ist mit der CAP-Kurve zu vergleichen. Bei der ROC-Kurve wird auf der X-Achse die kumulative Häufigkeit der überlebenden Kreditnehmer dargestellt, währendem bei der CAP-Kurve sämtliche Kreditnehmer abgetragen werden. Da die CAP-Kurve also auch auf der X-Achse abgetragen wird, wenn ein Kunde ausgefallen ist, verläuft die mit zunehmender Anzahl Ausfälle flacher. Aus Expertensicht114 ist daher bei grösseren Ausfallraten die Darstellung der ROC-Kurve zu präferieren. Der Informationsgehalt ist aber bei beiden Kurven identisch. 3. Pietra-Index und Kolmogorov-Smirnov-Statistik In engem Zusammenhang mit der ROC steht der Pietra-Index. Er definiert sich aus der Fläche des grösstmöglichen Dreiecks, welches sich zwischen dem zufälligen Modell (wenn 1 % der Ausfälle auch 1 % der Kreditkunden entsprechen würde, was in der Darstellung eine Diagonale von unten links nach oben rechts ergibt) und der ROC-Kurve einschreiben lässt. Der Pietra-Index errechnet sich aus dem Doppelten dieser Fläche. Aus diesem Index lässt sich auch die Kolmogorov-Smirnov-Statistik („KS“) ableiten. Im Wesentlichen liefert die KS ein Mass für den Unterschied der überlebenden im Vergleich zu den ausgefallenen Kreditkunden, das nicht nur auf den Mittelwerten beruht, sondern jegliche Verteilungsunterschiede der beiden Gruppen berücksichtigt. 4. Bayessche Fehlerrate Im Vergleich zu den obigen statistischen Verfahren orientiert sich die Bayessche Fehlerrate – wie ihr Name schon sagt – an den Fehlern der Scorecard. Im letzten Kapitel (siehe Abbildung 15: Überschneidungen beim Rating) ist anhand der schwarzen und schraffierten Fläche erkennbar, dass kein Modell perfekt ist. Die Bayessche Fehlerrate orientiert sich an diesen Alpha- und Beta-Fehlern und gibt die Fehlerrate für jeden Score-Wert unter Berücksichtigung der Anzahl untersuchter Kreditkunden zurück (im Vergleich: der Pietra-Index negiert die Anzahl Kreditkunden). Für Portfolios mit wenig Ausfällen (Low-Default-Portfolios) ist die Bayessche Fehlerrate nur bedingt geeignet, da die Beta-Fehler (zu schlechte Beurteilung des Kreditnehmers) mangels Alpha-Fehler (nicht erkannten Ausfällen) ein zu grosses Aussagegewicht erhalten. 114 Fahrmeir L. et al (2002) S. 26 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 77 Bei allen obigen Tests handelt es sich im Wesentlichen um solche bezüglich der Güte und Stabilität. Unter Güte einer Scorecard werden folgende Faktoren verstanden: Haben schlechte Kunden tiefe Scores? Haben gute Kunden hohe Scores? Wie gut trennt das Modell schlechte von guten Kunden (möglichst hoher AUROC-Wert)? Wie viele der schlechten Kunden sind im unteren Teil? Unter Stabilität eines Modells wird die Sensitivität der Trennschärfe bezüglich Variation der Daten verstanden: Sind die erzielten Scores der Kreditkunden ähnlich wie diejenigen der bisherigen Scorecards? Gibt es vermehrt Kunden mit höheren oder niedrigeren Scores als bei den zu bisherigen Scorecards? Die Scorecard wurde bekanntlich mit Daten der vergangenen Jahre entwickelt. Wie bei der Aufbereitung des Data Mart erwähnt (vgl. Kapitel 3.2.3), werden hierzu nicht alle relevanten Daten verwendet, sondern nur ein Teil derselben. Nun werden für das Testen der Scorecard die bei der Modellbildung nicht verwendeten Daten herangezogen. Durch dieses out-of-the-Sample-Testen wird die Qualität der Scorecard erhöht115, wie vom Regulator verlangt. Wie beim Aufbau des Datenpools (vgl. Kapitel 3.2.2) ausgeführt, steigert zudem eine möglichst grosse Datenbasis die Qualität der Prüfung. Sollte die Datenbasis nicht ausreichend sein oder will man die Qualität der Prüfung weiter steigern116, besteht die Möglichkeit eines so genannten „Re-Samplings“. Dabei werden aus der Datenbasis Teilmengen unterschiedlich zusammengesetzt und die Scorecard anhand jeder dieser Teilmengen getestet. Solche ReSamples können mittels selektivem Auslesen („Bootstrap“ genannt) oder mittels Ausschluss („leave-one-out“ genannt) gebildet werden117. Für die Tests der Scorecards stellt SAS drei wesentliche Übersichten dar. 115 116 117 BIZ (2005) Working Paper No. 14 Alexe S. et al. (2003) S. 16 Rahmann S. (2003) S. 22 78 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 21: Darstellung der Scorecard-Testergebnisse mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 65 Die Ampeldarstellung bzw. die zugrundeliegenden Testergebnisse erlauben es, statistisch schwache Scorecards von Beginn weg eliminieren zu können. Die Anforderungen an die Stabilität werden durch SAS ebenfalls geprüft und wiederum für jede Scorecard einzeln, analog Abbildung 22, dargestellt. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 79 Abbildung 22: Darstellung der Scorecard-Stabilität mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 67 Im oberen Bereich der Auswertung werden die Informationen tabellarisch aufgelistet. Im unteren Bereich erfolgt die grafische Darstellung. Es ist gut ersichtlich, wie sich die Scores zwischen der aktuellen Scorecard („Actual“) und der neuen Entwicklung („Development“) in der linken Grafik nahezu decken. Ebenso ist die Stabilität der Scorecard über die Zeit dargestellt (rechte Grafik). Die dritte und letzte Übersicht, die von SAS zur Verfügung gestellt wird, zeigt die Güte der Scorecard. Wie oben erwähnt adressiert sie die Frage, ob die Scorecard in der Lage ist, gute von schlechten Kreditnehmern zu unterscheiden. Im oberen Teil von Abbildung 23 werden die statistischen Güte-Kennzahlen ausgewiesen, unten erfolgt der Ausweis der CAP-Kurve und des Gini-Koeffizienten im Zeitverlauf. 80 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 23: Darstellung der Scorecard-Güte mit SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 68 Anhand der einzelnen Kennzahlen werden also Scorecards entwickelt. Ziel der Scorecards ist es, gute von schlechten Kreditnehmern möglichst gut zu trennen. Ebenso wichtig ist aufgrund von unerwünschten starken Veränderungen, dass die Scorecards nicht zu stark von der aktuell eingesetzten Scorecard abweichen. Dabei ist aber jeder Gewinn an Trennschärfe zu begrüssen, da ein Anstieg derselben im Endeffekt zu einer geringeren Kapitalanforderung für die Bank führt118. Mit den entwickelten Scorecards gilt es nun, die einzelnen Kreditkunden in Abhängigkeit ihres Scores Ratingklassen zuzuteilen. Der Prozess der Score-Zuteilung auf Ratingklassen nennt sich „Kalibrierung“. 118 Martin M. (2007) S. 106 (wenn schlechte Kreditnehmer zu gut eingeschätzt werden, steigt die Zahl der Ausfälle, wenn gute Schuldner zu schlecht eingestuft werden, steigt das für schlechte Schuldner notwendige risikogewichtete Kapital) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 3.2.5 81 Kalibrierung Die Kalibrierung und die diesbezüglichen Tests bzw. Optimierungsläufe bilden den letzten Teil der Scorecard-Entwicklung. Danach ist die Scorecard bereit zur Einführung. Bei der Kalibrierung erfolgt die Zuteilung der ermittelten Punktzahl (des Scores) in verschiedene Risikoklassen („Ratingklassen“)119. Hierzu muss vorab die Klassenbildung erfolgt sein. Dazu muss bekannt sein, wie viele Klassen gebildet werden sollen, und für jede Klasse, wie hoch der Anteil der erwarteten Ausfälle in den nächsten 12 Monaten ist („Probability of Default“ oder einfach „PD“ genannt)120. Bei dieser Aufteilung unterscheiden sich die einzelnen Banken. Einerseits arbeiten die Banken mit einer unterschiedlichen Anzahl Ratingklassen, andererseits ordnen sie – selbst wenn sie mit derselben Anzahl Ratingklassen arbeiten – den einzelnen Klassen unterschiedliche Ausfallwahrscheinlichkeiten zu. In Tabelle 7 sind die erwarteten Ausfälle in den einzelnen Ratingklassen dargestellt. Bei den zwei Beispielen mit 12 Klassen ist ersichtlich, wie sich einzelne Institute bei derselben Klassenzahl in der Erwartung der Zuteilung der Ausfallwahrscheinlichkeit unterscheiden. 119 120 Creditreform (2008)S. 6 Lawrenz J., Schwaiger W. (2002) S. 77ff 82 Systembasierte Ratings und Overrides Anz. Klassen 8 10 12 12 1 0.02 % 0.02 % 0.02 % 0.015 % 2 0.09 % 0.04 % 0.04 % 0.040 % 3 0.23 % 0.06 % 0.09 % 0.080 % 4 0.52 % 0.07 % 0.21 % 0.170 % 5 1.58 % 0.54 % 0.34 % 0.350 % 6 4.00 % 1.48 % 0.57 % 0.630 % 7 9.07 % 2.30 % 0.94 % 1.000 % 8 15.77 % 2.65 % 1.55 % 1.650 % 9 4.28 % 2.57 % 2.700 % 10 10.12 % 4.27 % 4.600 % 11 9.97 % 7.750 % 12 19.43 % 13.000 % Klasse Tabelle 7: Ausfallwahrscheinlichkeiten in einzelnen Ratingklassen Quelle: eigene Darstellung aufgrund der Daten der teilnehmenden Institute Die Zuteilung der Ausfallwahrscheinlichkeit basiert entweder auf Erfahrungswerten (empirischen Datenreihen), einer Neuberechnung oder auf einer Überleitung zu externen Ratingklassen (z.B. Moody’s)121. Eine Neuberechnung kann erfolgen, indem die Kreditkunden nach Score abnehmend auf der X-Achse abgetragen werden, während auf der Y-Achse die Ausfallwahrscheinlichkeit des einzelnen Kreditkunden abgetragen wird. Die Klassengrenzen können bei starken Kurven-Verlaufsänderungen oder mit einer logarithmischen Funktion ermittelt werden. Bei einer logarithmischen Ermittlung wird zum Beispiel die Ausfallwahrscheinlichkeit je nächsthöhere Klasse verdoppelt122. Es kann aber auch vorgegeben werden, wie hoch die Ausfälle je Klasse zu sein haben (vorgegebe121 122 Ochsner D. (2009) Heusler M. (2009) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 83 nes Aufklärungsprofil123), bzw., dass in jeder Ratingklasse gleich viele Kreditkunden enthalten sein müssen124. Nachdem bekannt ist, wie die Klassen gebildet sind, erfolgt die Zuteilung der Scores zu diesen Klassen. Für diesen Schritt stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Bei der ersten Möglichkeit wird der Score einer Ratingklasse zugeordnet. Die Ratingklasse selbst weist wiederum eine Ausfallwahrscheinlichkeit auf. Hierzu ist notwendig, dass eine Überleitungstabelle von Scores zum Rating besteht. Zur Illustration soll ein Beispiel dienen. Dieses zeigt, dass die Überleitungstabelle der Scores zum Rating mit Von-bis-Intervallen arbeitet. In der Fachsprache nennen sich diese Intervalle „Score-Bänder“: Abbildung 24: Zuteilung von Scores zu Ratingklassen Quelle: eigene Darstellung Bei der zweiten Möglichkeit wird der Score mittels einer Umrechnungsformel (z.B. logistische Transformation) in eine Ausfallwahrscheinlichkeit umgerechnet. Die exakte Ausfallwahrscheinlichkeit („continous probability of default“ oder „continous PD“) wird dann der richtigen Ratingklasse zugeteilt. Hierfür ist wiederum eine Überleitungstabelle notwendig. In diesem Fall erfolgt die Überleitung der Scores zur Ausfallwahrscheinlichkeit (PD). Zur Illustration soll wiederum Tabelle 7 mit 8 Ratingklassen dienen: 123 124 Lawrenz J., Schweiger W. (2002) S. 77ff Breinlinger L. et al (2003) S. 81 84 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 25: Zuteilung von Scores zur Ausfallwahrscheinlichkeit Quelle: eigene Darstellung Im Vergleich zur ersten Möglichkeit arbeitet die zweite mit Von-bis-Intervallen bei der PD. Konsequenterweise nennen sich diese Intervalle „PD-Bänder“. In beiden Fällen entsteht am Schluss aus einem Score eine Zuteilung zu einer Ratingklasse und eine Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit, die verschiedenen statistischen Tests unterzogen werden muss. Diese wesentlichsten Tests sind nachfolgend aufgeführt125: 1. Brier Score: Der Brier Score besteht aus drei Komponenten (Termen). Im ersten Term wird die Varianz der beobachteten zur erwarteten Ausfallrate berechnet. Im zweiten Term wird die Kalibrierung durch die Abweichung zwischen den beobachteten und den erwarteten Ausfallraten ermittelt. Je kleiner dieser Wert ist, desto besser wurde das Ratingsystem kalibriert. Schlussendlich wird im dritten Term die Auflösung verglichen, also, ob sich die Ausfallrate der Ratingklasse von der Ausfallrate sämtlicher Klassen unterscheidet. Der Brier Score eignet sich – trotz der expliziten Adressierung – nicht dafür, die Kalibrierung und die Auflösung gleichzeitig zu messen. 2. Reliability Diagram: Das Reliability Diagram ist eine grafische Darstellung der Kalibrierungs- und Auflösungstermen des Brier Score. Es ist eine grobe Darstellung der Trennfähigkeit und Güte der Kalibrierung durch eine Gegenüberstellung der erwarteten mit den effektiven Ausfällen. Es zeigt aber nicht, wie die Verteilung auf die einzelnen Ratingklassen ist. 3. Binomialtest / Nominaltest Ausfälle sind aus Sicht der Wahrscheinlichkeitstheorie binäre Ereignisse. Somit kann die Ausfallwahrscheinlichkeit mit der binomischen Formel berechnet werden. Damit kann in Abhängigkeit des Konfidenzniveaus gesagt werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Ausfallrate in der jeweiligen Ratingklasse unterschätzt wird. In vielen Fällen reicht der einfachere Normaltest für dasselbe Ergebnis (dieser geht zusätzlich zum Binomialtest davon aus, dass die Ausfälle normal verteilt sind). 125 Heusler M. (2006) S. 24ff Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 85 4. Korrelationen Schlussendlich gilt es, neben obigen Tests auch die Korrelationen der Ausfälle anzuschauen. Sobald Faktoren vorhanden sind, die das Ausfallrisiko zweier oder mehrerer Kreditnehmer auf ähnliche Weise beeinflussen, muss von einer Korrelation ausgegangen werden. Zum Test der Korrelation kann wiederum der Binomialtest herangezogen werden, indem der prognostizierte Ausfall durch die stochastische Grösse p(Yi=1|x)1 ersetzt wird. Basel II berücksichtigt die Berechnung der Ausfallkorrelationen bei der Gewichtung der Risikoaktiven mit dem Einfaktorenmodell. Diese Philosophie liegt übrigens auch Portfoliomodellen wie CreditMetrics™ zugrunde126. Statistische Tests sind aber nicht die einzige Prüfung einer korrekten ScorecardEntwicklung und -Kalibrierung. Um nun sicherzustellen, dass das Modell auch in der Praxis korrekt angewendet wird, erfolgen erste Praxistests durch den Vergleich mit manuellen Ratings (auch „Schatten-Ratings“ genannt) Eine signifikante Anzahl konkreter Ratingvorgänge wird durch die neuen Scorecards und manuell im Rahmen durch sehr erfahrene Kreditexperten vorgenommen. Das Resultat ist ein Vergleich „Scorecardrating vs. manuelles Expertenrating“, der grafisch dargestellt werden kann. Daraus lässt sich erkennen, welche Modelle wie nahe am manuellen Rating waren (Y-Achse) und welche Modelle über welche Güte verfügen (AUROC-Wert auf der X-Achse). In untenstehender Darstellung ist ersichtlich, dass es einige Scorecards gibt, die nur wenig von den manuellen Beurteilungen durch die Kreditspezialisten abweichen. Von Interesse sind die drei Scorecards mit hohem AUROC-Wert und einer tiefen Abweichung ganz oben rechts. Mit diesen Scorecards können die Optimierungsschritte angegangen werden. 126 CreditMetrics™ ist ein Instrument von J.P. Morgan zur Unterstützung des Risikomanagements 86 Systembasierte Ratings und Overrides Test: ROC vs. Ratingabweichung Abweichung Scorecard - manuelles Rating 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 0% 20% 40% 60% 80% 100% ROC Wert Abbildung 26: Vergleich Scorecards mit manuellem Expertenrating Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Ochsner D. (2009) Das Optimieren von Scorecards ist ein Kreislauf. Mit den Experten wird angeschaut, wo die Scorecards von ihren Einschätzungen abweichen. Anhand der Abweichungen wird wiederum überprüft, ob in der Scorecard eine Kennzahl oder nur das Gewicht der Kennzahl geändert werden muss. Danach wird die optimierte Scorecard wiederum getestet und mit den Expertenratings verglichen. Dieser Kreislauf wird so lange wiederholt, bis eine neue Scorecard vorliegt, welche sowohl in Bezug auf statistische Trennkraft als auch der Expertenmeinung möglichst gut entspricht. Im Regelfall findet sich nicht ein einziges Modell, welches sowohl in Bezug auf Statistik als auch Experten als "Bestes" beurteilt werden kann. Hier ist dann eine Abwägung zwischen den jeweils Besten gefragt. Ist dieses gefunden, kann die Scorecard eingeführt werden. Der gesamte Prozess der Scorecard-Entwicklung kann demnach wie folgt zusammengefasst werden: In einem ersten Schritt wird ein Data Warehouse aufgebaut. Hierzu werden die nötigen Schnittstellen zum standardisierten Laden (ETL) der Daten eingerichtet. Aus dem Data Warehouse wird die für die Scorecard-Entwicklung notwendige Teilmenge der Daten in einem Data Mart zur Verfügung gestellt. Mit einem Teil dieser Daten werden zuerst einzelne (univariate) Kennzahlen mit einer möglichst hohen Trennschärfe ermittelt, die danach zu verschiedenen Scorecard-Modellen (multivariaten Kennzahlen) zusammengefügt werden. Anhand verschiedener Tests wird die Güte und Stabilität der einzelnen Modelle geprüft. Diese Tests erfolgen mit den für die Scorecard-Entwicklung nicht eingesetzten Daten (out of the Sample). Für die verbleibenden Scorecards findet eine Zuteilung der Scores zu Ratingklassen (Kalibrierung) statt. Die Rating-Ergebnisse der kalibrierten Scorecards werden mit manuellen Ratings von Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 87 Kreditexperten verglichen und optimiert. Schlussendlich steht am Ende des Prozesses ein neues Scorecard-Modell für den weiteren Einsatz bereit. Wie oben bei der Vorstellung der Kennzahlengruppen angekündigt, wird an dieser Stelle auf die Entwicklung der qualitativen Scorecard eingegangen. Die qualitative Scorecard wird im Grundsatz genau gleich entwickelt, wie ihr quantitatives Pendant127: Zuerst werden einzelne Faktoren ermittelt, die eine hohe Trennkraft aufweisen. Zu diesen Faktoren werden historische Daten sowie die Meinung der Kreditexperten beigezogen. Im Gegensatz zu den quantitativen Scorecards wird diese Expertenmeinung höher gewichtet: Hat eine Kennzahl keine grosse Trennkraft, fällt sie umgehend raus. Hat ein qualitativer Faktor keine hohe Trennkraft, wird aber durch Experten als wichtig eingeschätzt, dann bleibt er eher in der Auswahl. Die Expertenbeurteilung der einzelnen Faktoren wird z.B. anhand eines umfassenden Fragebogens ermittelt, der bei Bedarf an die Kundenberater und Risikospezialisten versandt wird. Am Schluss verbleiben ca. 20 Faktoren. Aus einem Teil dieser Faktoren wird die Scorecard gebildet. Die Praxis hat gezeigt, dass sich die statistische Aussage bezüglich Relevanz (die Trennkraft) von der Meinung der Experten teilweise unterscheidet. Der Grund hierfür liegt im möglichen Interpretationsspielraum der qualitativen Faktoren resp. den dazugehörigen Antwortmöglichkeiten, der bei quantitativen Faktoren nicht besteht. Dies führt auch dazu, dass teilweise bei den statistisch stabilen Faktoren verblieben wird, um die schmale Datenbasis nicht durch Änderungen noch weiter zu schwächen. Oder aber, es werden neue Modifikationen vorgenommen, die eine Zuordnung der alten zu den modifizierten Faktoren erlauben (Problem konsistenter Datenreihen, um Brüche in der Historie zu vermeiden). Die Kalibrierung verläuft dann analog der quantitativen Scorecard. Da die Scorecards im Zusammenspiel mit den beiden anderen Komponenten „Erfassungssystem“ und „Berechnungssystem“ (vgl. Kapitel 3.1) ihre Wirkung entfaltet, wird im nächsten Kapitel auf diese Systeme eingegangen. 3.3 ErfassungsErfassungs- und Berechnungssysteme Das gesamte Ratingsystem besteht aus den drei erwähnten Komponenten Data Warehouse, Erfassungs- und Berechnungssystem (im gesamten Kreditprozess kommen noch weitere Komponenten dazu). Aus dem Data Warehouse generieren Spezialisten mit Hilfe von Tools (von Excel bis SAS) die Scorecards. Um diese zur Anwendung bringen zu können, müssen a) aktuelle Daten des Kreditnehmers für den Ratingvorgang erfasst und b) diese Daten mit der richtigen Scorecard bewertet werden. 127 Ochsner D. (2009) 88 Systembasierte Ratings und Overrides Die Erfassung der aktuellen Daten eines Kreditnehmers erfolgt in der Regel einmal je Jahr anhand des testierten Jahresabschlusses128. Die Eingabe erfolgt in dafür vorgesehenen Programmen, die allesamt auf eine möglichst homogene Datenerfassung abzielen. Zudem beinhalten diese Programme bereits gewisse Richtlinien. So sehen einige Programme strukturierte Überleitungen vom „externen“ (oft steueroptimierten) Abschluss zum betriebswirtschaftlich objektiven Ergebnis vor. Abbildung 27 zeigt einen Ausschnitt einer solchen Eingabemaske am Beispiel der Passiven. Die Erfassungsmaske zeigt sehr gut auf, dass die Daten nicht einfach übernommen werden können, sondern durch fachkundige Mitarbeitende für den Ratingvorgang aufbereitet werden müssen. Denkt man daran, dass diese Daten ins Data Warehouse geladen werden und so in die Entwicklung künftiger Scorecards einfliessen, dann wird die Relevanz einer möglichst hohen Qualität und Homogenität umgehend klar. Abbildung 27: Erfassungsmaske Credit Master für die Bilanz Quelle: Comit (2008) S. 14 128 Je nach Rechtsform unterliegen gerade im KMU-Segment eine grössere Anzahl von Kunden nicht dem Revisionszwang. Somit wird auf die nicht testierten Jahresabschlüsse abgestellt. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 89 Wie bereits erwähnt, hat ein Finanzinstitut diese Arbeit an einen Outsourcing-Partner vergeben, der 16‘000 verschiedene Erfassungspositionen unterscheidet und jeden Wert im Revisionsbericht diesen Positionen zuteilt. Sind die Daten einmal erfasst, so ist der nächste Schritt das Finden der richtigen Scorecards, um die Berechnung des Ratings vornehmen zu können. Banken unterscheiden heute verschiedene Kreditnehmertypen, die sie mit spezifischen Scorecards bewerten129: grosse Firmen mittlere Firmen kleinere Firmen Finanzinstitute Rohstoffhändler Immobilienfirmen öffentlich-rechtliche Körperschaften etc. Bei den Herstellern der Scorecards ist bekannt, welcher Typ mit welchem Modell (Datum, Version) bewertet wird. Trotz obigen Modellen gibt es diverse Spezialfälle, die eine besondere Handhabung erfordern: Konzerngesellschaften Selbstständigerwerbende Unternehmen mit persönlich haftenden Gesellschaftern Start-up Management Buy Outs Spezialfinanzierungen wie Schiffe, Beteiligungsfinanzierungen, etc. Nimmt man als Beispiel die in dieser Arbeit betrachtete Finanzierung von Firmen, dann stellen sich viele Detailfragen, deren Antworten erst zur richtigen quantitativen und qualitativen Scorecard führen (es gibt normalerweise je quantitative Scorecard auch eine zugehörige qualitative; die einzelnen qualitativen Scorecards können zwar ähnliche Faktoren aufweisen, jedoch mit einer unterschiedlichen Gewichtung). Gewisse Banken haben für das Finden der richtigen quantitativen Scorecard Entscheidungsbäume aufgestellt, die mit Ja/Nein-Verzweigungen die richtigen Scorecards ermitteln. Die schlussendliche Wahl der Scorecards wird mittels gezielter Schulung, mit Hinweisen auf den Wahlmasken und der Systemlogik unterstützt. 129 Aus Vertraulichkeitsgründen werden keine Quellen genannt 90 Systembasierte Ratings und Overrides Durch automatisches Plausibilisieren wird, wo immer möglich, verhindert, dass eine falsche Scorecard zur Anwendung gelangt. Nach dem Ermitteln des quantitativen Scores anhand der Berechnung aus den Finanzkennzahlen mit der richtigen Scorecard findet die Abfrage der qualitativen Faktoren statt. Um möglichst verwertbare und statistisch verwertbare Antworten zu erhalten, werden der präzisen Fragestellung und klaren Formulierung grossen Wert beigemessen. Aus den Antworten wird ein qualitativer Score bzw. ein qualitatives Teilrating erstellt. Dieses ergibt dann mit dem vorgesehenen Gewicht und dem quantitativen Rating zusammen das Gesamtrating. Als Überblick für die Bandbreite von Ratings und deren Bedeutung wird in Tabelle 8 eine Übersicht der grossen Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch dargestellt. Diese Agenturen haben die Bandbreite zwischen höchster und tiefster Bonität in 19 Klassen eingeteilt. Dieselbe Bandbreite decken die Banken mit ihren eingesetzten Ratingsystemen ebenfalls ab, wobei – wie oben erwähnt – die Anzahl Ratingklassen zwischen den einzelnen Instituten unterschiedlich ist. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen Moody’s S&P Rating PD % Rating FITCH PD % Rating 91 Beschreibung PD % AAA 0.0000 Aaa 0.0000 AAA 0.0000 Höchste Bonität AA+ 0.0000 Aa1 0.0000 AA+ 0.0000 Hohe Zahlungswahrscheinlichkeit, AA 0.0000 AA2 0.0000 AA 0.0000 geringes Ausfallrisiko AA- 0.0310 AA3 0.0000 AA- 0.0000 A+ 0.0344 A1 0.0000 A+ 0.0152 Angemessene Deckung von Zins, A 0.0460 A2 0.0157 A 0.0323 und Tilgung. Risikoelemente A- 0.0748 A3 0.0304 A- 0.0696 Vorhanden BBB+ 0.1298 Baa1 0.0589 BBB+ 0.1469 Angemessene Deckung von Zins BBB 0.2200 Baa2 0.1140 BBB 0.2840 und Tilgung. Spekulative Elemente BBB- 0.3544 Baa3 0.2205 BBB- 0.5007 vorhanden BB+ 0.5420 Ba1 0.4267 BB+ 0.8168 Mässige Deckung von Zins und BB 0.7918 Ba2 0.8255 BB 1.2521 Tilgung (auch in einem BB- 0.9324 Ba3 1.5972 BB- 1.8264 wirtschaftlich guten Umfeld) B+ 1.8834 B1 3.0903 B+ 2.5595 Geringe Deckung von Zins und B 3.8044 B2 5.9791 B 3.4712 Tilgung B- 7.6849 B3 11.5683 B- 4.5813 8.1100 CCC+ 15.5236 Caa1 22.3823 CCC+ CCC 31.3577 Caa2 43.3052 CCC 21.8194 CCC- 63.3427 Caa3 83.7865 CCC- 58.7035 Niedrigste Qualität lebender Engagements, geringster Anlegerschutz, akute Gefahr des Zahlungsverzuges Tabelle 8: Rating der internationalen Agenturen Quelle: Erni S. (2008) S. 32 Es kann vorkommen, dass der Kreditkundenberater das berechnete Rating mit Genehmigung durch den Kreditspezialisten übersteuern will, weil er mit der Berechnung aus unterschiedlichsten Gründen nicht einverstanden ist und ein abweichendes Rating für korrekt erachtet. In den meisten Banken ist dies – unter Einhaltung gewisser Auflagen – möglich. Die Erfassungsmaske gemäss Abbildung 28 zeigt, dass die systemseitige Übersteuerung 92 Systembasierte Ratings und Overrides technisch einfach zu erfassen ist. Selbstverständlich muss dieses Override durch die zuständigen Instanzen bewilligt werden. Aus Sicht der Bank ist ein Override aber immer auch eine potentielle Schwäche der Scorecard130. Daher werden die Gründe für das Übersteuern des gerechneten Ratings systematisch aufgezeichnet und analysiert131. Die Analyse der Übersteuerungsgründe ist in Kapitel 4 aufgeführt. Abbildung 28: Erfassungsmaske Credit Master Override Quelle: RSN (2009) Ein Kreditkundenrating ist, zusammenfassend gesagt, das Produkt eines Ratingsystems mit mehreren einflussnehmenden Modulen. Das System ermittelt anhand der erfassten Finanzkennzahlen über eine Scorecard eine Punktzahl (einen Score). Über diese Punktzahlen leitet das System das quantitative Rating ab. Dasselbe wird mit der subjektiven Qualifikation des Kreditkundenberaters vorgenommen. Das quantitative und das qualitative Rating zusammen ergeben das berechnete Rating. Dieses kann – falls notwendig – manuell zum bewilligten Rating übersteuert werden132: 130 131 132 Sturzenegger H. (2009) Heusler M. (2009) In Anlehnung an Comit (2008) S. 113 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 93 Abbildung 29: Herleiten Rating und Override Quelle: eigene Darstellung Als Resultat erhält der Kundenberater aber auch eine umfassende Dokumentation des Kreditkunden. Diese Dokumentation beinhaltet im Wesentlichen folgende Punkte133: Information zum Konto und dessen Beanspruchung; Vergleich der Bilanz über die letzten Jahre inkl. Darstellung der relativen Veränderung; Vergleich der Erfolgsrechnung über die letzten Jahre inkl. Darstellung der relativen Veränderung; Mittelflussrechnung der letzten Jahre; Berechnung der Verschuldungskapazität; Vergleich der quantitativen Kennzahlen inkl. grafischer Darstellung: 133 • Liquidität • Finanzierung • Profitabilität • Rentabilität • Effizienz • Wachstum • etc. RSN (2009) 94 Systembasierte Ratings und Overrides Darstellung der qualitativen Kennzahlen inkl. grafischer Aufbereitung; Ratingklassen mit Einordnung des Kreditkunden; Darstellung der Ratingentwicklung des Kreditkunden. Gewisse Banken helfen dem Kundenberater auch mit einer relativen Einordnung des Kreditkunden in seiner Branche. Untenstehende Darstellung zeigt eine Ratingauswertung zu einem Musterkunden. Daraus ist zu erkennen, dass der Kunde in Bezug auf die meisten quantitativen Kennzahlen schlechter und in Bezug auf die qualitativen Kennzahlen besser als der Branchendurchschnitt ist (die Einzelgewichte wurden aus Vertraulichkeitsgründen neutralisiert und alle Faktoren mit 20 % gewichtet): Abbildung 30: Branchenvergleich Kreditkunde Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Credit Suisse (2009) Für denselben Kunden wird auch ein illustrativer Nachweis der Werte dargestellt. Solche Darstellungen stellen den Schlusspunkt im Ratingprozess dar und geben dem Kundenberater das nötige Instrumentarium für das Kundengespräch: Tabelle 9: Branchenwerte für Kreditkunden Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Credit Suisse (2009) unter Verwendung fiktiver Kennzahlen Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 95 Mit derart fundierten Übersichten ist es für den Kreditkunden nicht nur verständlich, wie sein Rating zustande gekommen ist. Sie sind für ihn auch hilfreich, da er sieht, wo das Unternehmen im Branchenvergleich Stärken und Schwächen aufweist. Als Vergleich ist im Anhang (Kapitel 9) der Beratungsoutput des RSN Systems, der sehr ausführlich aufzeigt, wo der Kunde im Zeitverlauf steht und wie das Rating zustande gekommen ist. 3.4 Validierung Ob das vergebene Rating richtig oder falsch ist, kann nicht sofort getestet werden. Frühestens ein Jahr später liegt abschliessend fest, ob die damalige Beurteilung richtig war. In der Zeit seit der Entwicklung der Scorecard verändert sich aber die reale Welt: Die Zusammensetzung der Kreditkundenportfolios ist nicht mehr identisch wie im Zeitpunkt der Entwicklung, oder die Wirtschaft erleidet Strukturbrüche, wie z.B. die Finanzkrise und deren Auswirkungen134. Dies nimmt Einfluss, da Scorecards auf Basis von historischen Daten entwickelt werden, um die Zukunft vorauszusagen. Dieses Ziel der Vorhersage ist bei grossen Änderungen gegenüber der Vergangenheit weniger geben. Solche Veränderungen führen daher dazu, dass entwickelte Scorecards dauernd überwacht werden. Gewisse Banken prüfen auf monatlicher Basis, ob die Ergebnisse der im Einsatz stehenden Scorecards mit den entwickelten Modellen übereinstimmen. In regelmässigen Abständen werden die Scorecards zudem einer eingehenden Überprüfung („Validierung“) unterzogen. Auch der Regulator verlangt, dass die Scorecards regelmässig eine solche Qualitätskontrolle erfahren. Dies, da es kein perfektes Modell gibt und alle Modelle permanent verbessert und weiterentwickelt werden. Diese Validierung wird in quantitativen und qualitativen Dimensionen vorgenommen135: Quantitative Dimension: Trennschärfe: Wie ist die Scorecard in der Lage, gute von schlechten Kreditnehmern zu trennen? Kalibrierung: Wie gut stimmen die prognostizierten mit den effektiven Ausfallwahrscheinlichkeiten überein? Stabilität: Wie stabil arbeitet die Scorecard im Zeitverlauf136? 134 135 136 Ochsner D. (2009) Breitenbach G. (2007) S. 228ff Instabile Systeme weisen gemäss Liebig T. (2003) S. 29 im Zeitverlauf häufig eine nachlassende Prognosefähigkeit auf 96 Systembasierte Ratings und Overrides Qualitative Dimension: Design: Ist der Aufbau der Scorecard nach adäquat? Datenqualität: Sind die Daten vollständig und plausibel? Anwendung: Ist das Verständnis der Anwender für die Scorecard vorhanden und wird die Scorecard angewendet (hier nimmt das Ausmass der Overrides Einfluss)? Organisatorische Umsetzung: Ist die Scorecard bzw. das gesamte Ratingsystem in der bankinternen Steuerung integriert? Die Prüfung der quantitativen Dimension erfolgt, indem das Modell rückwirkend zum Einsatz gebracht wird: Es wird für das vergangene Jahr getestet, ob die Scorecard mit dem Kenntnisstand von heute richtig lag. Dieser Vorgang wird „Backtesting“137 genannt und vergleicht die Schätzung vor der Einsatzperiode („ex-ante“) mit den effektiven Werten am Ende der Erfahrungsperiode („ex-post“). Abbildung 31: Ex-ante- vs. ex-post-Rating mittels SAS Quelle: Schröder J. (2009) S. 69 137 Eine mögliche Alternative zum Backtesting ist das Benchmarking, das nicht auf historische Ausfalldaten angewiesen ist. Vergleiche hierzu Hornik K. et al. (2007) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 97 SAS unterstützt diesen Vorgang, indem es die zwei Betrachtungen einander gegenüberstellt. In obenstehender Grafik wird für jede Ratingklasse aufgezeigt, wie die aktuelle Ausfallwahrscheinlichkeit (ex-post) ist und wie sie zu Beginn der Beobachtungsperiode geschätzt wurde (ex-ante). Aufgrund der vorausgesetzten Wahrscheinlichkeit ergibt sich eine Bandbreite, in der Abweichungen zulässig sind („Konfidenzintervall“), die in obiger Grafik als Linie dargestellt ist. Die Prüfung der qualitativen Faktoren erfolgt durch das Hinzuziehen von internen Experten und durch externe Prüfgesellschaften. Die ordentliche Revision einer Bank beinhaltet unter anderem die Sichtung und Beurteilung der Kreditrisikoinstrumente und deren Einbindung in die Gesamtbanksteuerung. Solche Revisionen gehen aber über die oben genannten, qualitativen Dimensionen hinaus und prüfen auch weitere Themen wie z.B. 138: Gesamtes Kreditrisikoumfeld: • Politik • Regulation • Integration in das bankweite Risikomanagement Organisation • Verantwortlichkeiten • Funktionstrennungen Weitere Modelle • Deckungshöhe von Sicherheiten (LGD) • Schätzung des Restschuldbetrags (EAD) Quantitative Dimensionen • Kriterien zur Scorecard-Bildung • Ratingprozess IT • Datensammlung und -Speicherung • Architektur • Integrität der Daten Bei kleineren Banken wird die Prüfung auf Bonitäts- und Einhalteprüfungen aufgeteilt. Bonitätsprüfungen finden jährlich statt, und es wird kontrolliert, ob der Input in die Drittlösungen (z.B. Wincredit oder RatingView) korrekt erfolgt ist und ob der Output korrekt interpretiert wurde. Zudem wird geprüft, ob das ermittelte Rating plausibel ist. Bei der Einhalteprüfung, die alle zwei bis drei Jahre stattfindet, liegt der Fokus auf dem Einhalten der internen Weisungen bezüglich der Ermittlung und 138 Oppliger B. (2008) S. 86 98 Systembasierte Ratings und Overrides Auswertung von Ratings. In dieser Prüfung wird auch hinterfragt, ob interne Kontrollen vorhanden und wirksam sind139. Bei kleineren Banken ist die qualitative Dimension der Validierung nicht in demselben Ausmass prüfbar wie bei Grossbanken (CS, UBS, ZKB). Mit den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Validierung wird entschieden, wo bei der Scorecard Veränderungen vorgenommen werden müssen. Als Möglichkeiten der Veränderung kommt die Bandbreite von einer neuen Scorecard über einzelne neue Kennzahlen oder eine neue Gewichtung der einzelnen Kennzahlen bis hin zu lediglich einer neuen Zuteilung der Scores auf die Ratingklassen in Frage. Schlussendlich durchläuft eine veränderte Scorecard dieselben Prüfungen, die eine neue Scorecard auch durchläuft (vgl. hierzu Kapitel 3.2.4). Die Validierung kann somit als fest vorgesehener Bestandteil eines permanenten Optimierungskreislaufs gesehen werden. Mit der Validierung ist der Kreislauf der Scorecards von der Erstentwicklung über die regelmässige Wartung bis zu einer allfälligen Ablösung beschrieben. Die Ablösung wird entweder durch die Validierung ausgelöst oder aber ist Folge von regulatorischen Anforderungen oder betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten (die zwei oberen Kästchen in Abbildung 32) Betriebswirtschaftliche Notwendigkeit Regulatorische Anforderung Neu- bzw. Weiterentwicklung von Scorecards • Grössere Überarbeitung • kleinere Modifikation Betrieb Validierung Laufende Überwachung Abbildung 32: Optimierungskreislauf der Scorecards Quelle: Breitenbach G. (2007) S. 231 (vereinfachte Darstellung) Im Interesse der Vollständigkeit wird in den nächsten Kapiteln ausgeführt, welches die wichtigen Punkte bei der Programmierung von Scorecards (bei gewissen Banken sind Scorecards programmiert) bzw. bei der Einführung von Pool-Lösungen wie dem Credit Master (Kapitel 3.5) sind und wie diese Systeme in die Systemlandschaft einer Bank integriert werden (Kapitel 3.6). Abschliessend wird beschrieben, welches die 139 Wirth T. (2009) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 99 heiklen Themen bei der Einführung neuer Ratingsysteme oder bei grösseren Scorecard-Änderungen sind und wie diesen begegnet werden kann (Kapitel 3.7) und wie die Sicht des Kreditkunden zum Thema Rating ist (Kapitel 3.8). 3.5 Entwicklung und Einführung Wie oben ausgeführt, programmieren einige Banken die Scorecards. Diese ScorecardEntwicklung geht in mehreren Schritten vonstatten140, wobei der Ablauf idealtypisch für Eigenentwicklungen ist: 1. Schritt: Anforderungsdefinition Seitens der Spezialisten wird vorgegeben, wie die neue Scorecard auszusehen hat. Diese Modifikation wird beschrieben und einem Programmierer in Auftrag gegeben. Zudem wird ein Prototyp der neuen Scorecard erstellt und seitens der Fachabteilung erhält der Programmierer für erste informelle Tests einen reduzierten Datenbestand mit berechnungsrelevanten Inputdaten und dem erwarteten Output. 2. Schritt: Entwicklung Der Programmierer setzt die Anforderungen gemäss Beschreibung um. Anhand dieser ersten Daten kann der Programmierer seinen Code noch vor der offiziellen Testphase prüfen und offensichtliche Fehler möglichst früh finden bzw. beheben. 3. Schritt: Testen Das Testen stellt den Schwerpunkt bei der Einführung einer neuen Scorecard dar. Dementsprechend wird der Test in mehreren Phasen durchgeführt. 1. Testphase: Software-Komponente141 Die von der neuen Berechnungslogik betroffene Software-Komponente wird geprüft. Hierzu werden Testdaten aus dem operativen Betrieb eingesetzt. Der berechnete Output muss mit den Ergebnissen übereinstimmen, die mittels des im 1. Schritt vorbereiteten Prototyps errechnet werden. Der Komponententest läuft meist in der Entwicklungsumgebung des Programmierers und bedarf weder einer formalen Testumgebung noch einer Benutzeroberfläche. 2. Testphase: Integrationstest Erfüllt die Software-Komponente mit der neuen Berechnungslogik die gestellten Anforderungen, dann gilt es, deren Integration in das gesamte Software-System zu testen. In dieser Phase wird das Zusammenspiel zwischen der neuen bzw. modifizier140 141 Ragonesi S. (2009) S. 18ff Rätzmann M. (2004) S. 107 100 Systembasierte Ratings und Overrides ten Komponente, der Datenbank und der Benutzeroberfläche in einer Testumgebung überprüft142. Dies geschieht, indem über die Benutzeroberfläche Daten erfasst und die Anzeige wie auch die Speicherung überprüft werden. Zur Kontrolle muss das neue Software-System dieselben Ergebnisse erzielen wie bei der Berechnung mit dem im 1. Schritt vorbereiteten Prototyp und den damals zur Verfügung gestellten Daten. 3. Testphase: Systemtest Beim Systemtest gilt es, eine möglichst hohe Anzahl an Berechnungen vorzunehmen und zu prüfen. Hierzu wird der Datenbestand aus dem Data Warehouse herangezogen und mit dem Prototyp der Scorecard aus dem 1. Schritt berechnet. Die Ergebnisse des Prototyps müssen für die aufgerufenen Kunden mit deren im Testsystem neu berechneten Werten übereinstimmen. 4. Testphase: Abnahmetests Bei den Abnahmetests kommen die Endanwender in der Testumgebung zum Einsatz143. Sie testen Geschäftsfälle aus dem operativen Betrieb unter Einbezug allfälliger weiterer Systeme. Der Schwerpunkt dieser Tests ist mehr die Funktionalität als die eigentlich veränderte Berechnungslogik. Um die durch Endanwender durchgeführten Berechnungen zu kontrollieren, werden wiederum die Ergebnisse mit den Daten verglichen, die anhand des Prototyps aus dem 1. Schritt für denselben Kunden berechnet wurden. 4. Schritt: Abnahme und Produktion Sind alle Tests positiv verlaufen, wird das neue System in der produktiven Umgebung zum Einsatz gebracht. Im Rahmen der Abnahme finden weitere Tests der Scorecard statt, weshalb die Daten aus diesen Berechnungen nicht abgespeichert werden dürfen. Sind alle Tests erfolgreich verlaufen, wird die neue Scorecard produktiv eingesetzt. Ab Datum des Produktivbetriebs werden auf regelmässiger Basis sämtliche neuen Daten abgezogen und mit dem Prototyp gemäss dem 1. Schritt berechnet. Die resultierenden Ergebnisse werden mit den Ergebnissen der produktiven Scorecard verglichen. Dank diesem Kontrollmechanismus können allfällige Fehler im operativen Betrieb früh erkannt und korrigiert werden. Solche Tests können durch Software-Tools unterstützt werden144. In den unterschiedlichen Testphasen kommen unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz. So kann z.B. beim automatisierten Komponententest (der durch den Programmierer erstellt wird) das Open-Source-Werkzeug JUnit145 eingesetzt werden, während beim automatisierten Systemtest (der wie die manuellen Tests über die Benutzeroberfläche des Sys142 143 144 145 Rätzmann M. (2004) S. 121 Frühauf K. et al. (2004) S. 77 Ragonesi S. (2009) S. 27 Vgl. www.junit.org (Onlinequelle: Abruf 10.07.2009 09:42 h) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 101 tems läuft) das Produkt Quick Test Professional146 von HP zum Einsatz kommen kann. Bei der Pool-Lösung von RSN finden allfällige Anpassungen der Scorecards über eine Schnittstellentabelle statt, die von der RSN mit Daten bestückt wird147. Im Falle der Pool-Lösung ist daher das grosse Augenmerk auf die Ersteinführung zu legen. Analog der Entwicklung bei grösseren Banken ist die Ersteinführung bei kleineren Banken in verschiedene Schritte aufgeteilt148: 1. Schritt: Auswirkungsstudie / Datenmigration In einem ersten Schritt werden die Zielsetzungen des Lösungsanbieters mit den Bedürfnissen der Bank abgeglichen. Die Finanzinformationen der Kreditkunden im nötigen Detaillierungsgrad und die Überführung derselben nach Excel stehen dabei im Zentrum. Gemeinsam wird anhand dieser Excel-Tabellen eine Überleitung von der bisherigen Erfassung der Bank zum Zielraster des Pool-Anbieters gemacht. Hintergrund dieser Überleitung ist, dass der Pool-Anbieter diese Daten in den Pool aufnehmen wird, was aber die Homogenität seines Pool (einheitliche Handhabung, Erfassung und Speicherung der Finanzinformation) nicht beeinträchtigen darf. Schlussendlich werden die Excel-Daten bereinigt und zur weiteren Verarbeitung bereitgestellt. Immer noch in dieser frühen Phase wird die Auswirkung des neuen Ratingsystems geprüft. Die zwischenzeitlich eingelesenen Excel-Daten werden zu Ratings verarbeitet, und die neue Ratingverteilung wird mit der bisherigen Verteilung bei der Bank verglichen. Allfällige grosse Abweichungen werden gemeinsam analysiert und behandelt. Am Ende des ersten Schritts sind die Daten der Bank ein erstes Mal beim Pool-Anbieter eingelesen. 2. Schritt: Integration Wesentlichster Punkt des zweiten Schritts ist die genaue Klärung des Lieferumfangs und die detaillierte Beschreibung der technischen Infrastruktur und der Schnittstellen (die Schnittstellenproblematik wird im nächsten Kapitel detailliert beschrieben). Wenn die Bank keine durch den Pool-Anbieter unterstützte Kernbankapplikation einsetzt, muss die Anbindung an die spezifische Kreditapplikation der Bank individuell gelöst werden, was im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet wird. Im Lieferumfang wird festgehalten, welchen Release die Bank einzusetzen gedenkt und welche Module zum Einsatz kommen sollen. Des Weiteren werden das StandardReferenzdatenset vorgegeben und Anpassungswünsche (z.B. Umbenennungen) umgesetzt. Schlussendlich fällt in diesen Schritt die Definition der einzelnen Rollen. Anhand dieser Rollen werden die Berechtigungen in der Pool-Lösung vergeben. 146 147 148 Vgl. https://h10078.www1.hp.com/cda/hpms/display/main/hpms_content.jsp?zn=bto&cp=1-11-12724%5E1352_4000_100__ (Onlinequelle: Abruf am 10.07.2009 10:12 h) Comit (2009) Heusler M. (2009) 102 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 33: Rollenkonzept am Beispiel Credit Master Quelle: RSN (2009) S. 16 3. Schritt: Rollout- und Pilotkonzept In der Rollout-Phase wird das detaillierte Vorgehen bezüglich Installation und Einsatz der Pool-Lösung abgesegnet und umgesetzt. Anhand von klar definierten Meilensteinen wird die Lösung bei der Bank zum Einsatz gebracht. Ein kleiner Kreis der Benutzer übernimmt dann das Testen (diese Tests können mit den Abnahmetests der Scorecard-Entwicklung oben gleichgesetzt werden). Ziel der Pilotphase ist die Freigabe der Pool-Lösung für den Einsatz bei der Bank. 4. Schritt: Ausbildung Schlussendlich muss die Schulung der betroffenen Bankmitarbeiter erfolgen. Die Schulung erfolgt meist in mehreren Stufen und wird auf die verschiedenen Anspruchsgruppen der Bank (CO, Risk Management, Front) abgestimmt. In der Benutzerschulung, welche auf einer separaten Schulungsumgebung durchgeführt wird, werden die Benutzer zuerst mit dem generellen Funktionieren des Systems vertraut gemacht. In einer nächsten Stufe erfolgt eine Vertiefung zu den einzelnen Scorecards. Die Schulung muss in Abstimmung mit dem Gesamtprojektplan erfolgen, da die Benutzer stichtaggenau über ein möglichst aktuelles Wissen verfügen sollen. Um den Projekterfolg sicherstellen zu können, ist die Einbindung der Bankleitung in dieser Phase empfehlenswert. Schlussendlich kann die Pool-Lösung produktiv eingesetzt werden. In einer Anfangszeit ist sicherlich mit einem erhöhten Supportbedarf zu rechnen, was durch eine erhöhte Verfügbarkeit des Anbieters bei der Bank abgefangen wird. Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 103 Das Thema Rollout und Schulung wird, wie angekündigt, in Kapitel 3.7 noch einmal aufgegriffen, jedoch unter anderen Vorzeichen: Es wird aufgezeigt, worauf bei komplett neuen Modellen zu achten ist und welche flankierenden Massnahmen notwendig werden. An dieser Stelle scheint aber eine andere Thematik von hoher Relevanz: die generellen Anforderungen an eine Software-Einführung in einer Bank (unabhängig davon, ob es sich um eine Eigenentwicklung oder die Einführung einer Drittlösung handelt). In der Finanzbranche bestehen besondere Herausforderungen bei der Software-Einführung. Einerseits muss bei der Einführung auf Rahmenbedingungen und Restriktionen seitens der Regulationsbehörden und Aufsichtsorgane geachtet werden. Andererseits darf die Einhaltung von internen Richtlinien selbstverständlich nicht verletzt werden149. Als Beispiel können hier das Bankgeheimnis und der Datenschutz genannt werden, die sowohl gegenüber Dritten als auch gegenüber Mitarbeitern umgesetzt werden müssen. Eine Nichtbeachtung kann schnell zu Schaden führen, wie dies bei der LGT in Vaduz geschehen ist (ein Mitarbeiter hat Daten abgezogen und den Deutschen Steuerbehörden verkauft). Im Bereich der Software-Einführung hat der Datenschutz eine besondere Bedeutung. So muss zum Beispiel beim Aufbau von Testumgebungen sichergestellt werden, dass die Anonymisierung in genügendem Ausmass stattfindet. Normalerweise darf kein Rückschluss auf die Produktionsdaten möglich sein. Dieser Anspruch steigt noch, wenn neben internen Mitarbeitern auch noch externe Berater oder gar OffshoreFirmen im Ausland zum Einsatz kommen150. Es ist daher üblich, dass für Berater, die Zugriff auf sensible Daten einer Bank erhalten, Strafregisterauszüge verlangt werden (die Unterzeichnung einer verschärften Geheimhaltungserklärung gilt als vorausgesetzt). Die Testumgebungen sind aber nicht alleine von diesen Datenschutzbestimmungen betroffen. Die Systeme in Banken müssen auch gegen unbefugten Zugriff geschützt werden, und so ist es bei grossen Banken nicht unüblich, dass selbst Betriebssysteme nur in modifizierter Form zum Einsatz kommen151. Neben den regulatorischen Rahmenbedingungen kommen weitere Anforderungen für eine Software-Einführung zum Tragen: die Komplexität der IT-Landschaft ist bei Banken im Normalfall meist höher als bei anderen Industrien152. Gerade grosse Banken haben oft noch Host-Systeme im Einsatz, die erhöhte Anforderungen an die Integration neuer Software und an die Integrität von Daten und deren Replikation stellen. Diese Systemlandschaft führt dazu, dass das Wissen über dieselben stark verteilt ist (sei es in Köpfen oder Dokumenten). Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass meist mehrere parallele Projekte laufen und die Wechselwirkung derselben nicht 149 150 151 152 Marty S. (2009) Lotzer H.J. (2009) S. 2 Häfliger O. (2009) Lotzer H.J. (2009) S. 2 104 Systembasierte Ratings und Overrides vorhersehbar ist. Aus dieser Optik scheint es wichtig, die Integration der Ratingsysteme und ihrer Schnittstellen (schliesslich sollen Prozesse durchgängig sein und Daten keine Redundanzen aufweisen) in die Systemlandschaft der Banken genauer zu betrachten. 3.6 Schnittstellen Ratingsysteme sind ein Teil dieser komplexen Systemlandschaften. Daher verfügen sie über unzählige Schnittstellen. Bei den untersuchten Banken sind zwei unterschiedliche Architekturen zu sehen. Bei den Kunden der Pool-Lösung RSN wird das Produkt Credit Master an die Kernbanken- und Kreditapplikation angebunden. Hierzu bestehen vor allem Schnittstellen zu den beiden Marktführern Finnova und Avaloq, die gemeinsam etwas 60 % Marktanteil in der Schweiz haben153, sowie zu weiteren Anbietern von Kernbankapplikationen wie Apia Credit + oder Raiffeisen Dialba. Die Integration findet über eine Schnittstellendatenbank statt: Abbildung 34: Schnittstelle Credit Master – Kernbankapplikation Quelle: RSN (2009), S. 82 Als Basis-System sind bei RSN (wie übrigens bei allen Instituten) ORACLEDatenbanken im Einsatz. Die Schnittstelle erfolgt über einen Datenbank-Link und setzt sich bei RSN aus Datenbankobjekten zusammen: stored Procedures (z.B. für 153 Regniet S. (2009) Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 105 die Präparation der Daten) und der eigentlichen Schnittstellen-View. In Bezug auf das Ratingsystem bedeutet dies, dass im Credit Master die Finanzdaten erfasst und die Scorecards zur Verfügung gestellt werden. Die Kundendaten werden aus dem Kernbanksystem geladen. Nach dem Rating werden die Ratinginformationen wieder in die Kundendatenbank des Kernbanksystems zurück übergeben. Kernthema bei dieser Schnittstellenentwicklung ist neben der im Bankenumfeld üblichen Frage nach der Datensicherheit und des Datenschutzes die Frage nach der Datenhoheit und der Status-Synchronisierung. Diese Herausforderung wird mit unterschiedlichen Stati adressiert. Vor allem im heterogenen Umfeld von RSN mit der Integration verschiedenster Anbieter von Kernbankapplikationen müssen klare Statuskonzepte vorliegen. Das Statuskonzept der RSN ist modulübergreifend und auf Ebene der einzelnen Module an das definierbare Rollenkonzept (siehe oben) gekoppelt: Abbildung 35: Statuskonzept im Credit Master Quelle: RSN (2009) S. 24 Bei den Grossbanken mit eigenen Lösungen ist die Einbindung noch komplexer. Dies deshalb, da die RSN-Lösung von Beginn weg auf eine klare Funktionstrennung und Einbindung über Schnittstellen ausgerichtet war. Bei den Grossbanken sind die Umgebungen oft gewachsen. Die daraus entstandene Komplexität wird mittels elektronischer Unterstützung adressiert: Die Schnittstellen zwischen den einzelnen Softwarepaketen und Datenbanken werden mittels „Enterprise Application Integration“ oder kurz „EAI“ gelöst154. Im Vergleich zu klassischen Schnittstellen bzw. Datenbanken werden bei EAI die einzelnen Plattformen durch ein so genanntes Bussystem verbunden. Das Bussystem – ausgestattet mit betriebswirtschaftlicher Funktionalität – ermöglicht den Datentransfer anhand vordefinierter Regeln. Die Daten werden durch das Bussystem zwischen den Applikationen vermittelt und bei Bedarf in ein anderes Format gebracht155. Eine EAI-Plattform hat den grossen Vorteil, dass sie alle Schnittstellentransaktionen (Daten- und Datentypkonversionen) auf einem einzigen System verwaltet. Auf der EAI-Plattform werden die Geschäftsprozesse abgebildet, damit die eintreffenden Daten analysiert und – bei Bedarf in ein anderes Format umgewandelt – zum richtigen Empfänger weitergeleitet werden können („Routing von Daten“ ge154 155 Beutler T. (2009) Lenz S. (2009) 106 Systembasierte Ratings und Overrides nannt). Solche Plattformen haben im Vergleich zu klassischen Schnittstellenlösungen den Vorteil, dass sie auf Standards basieren: Typischerweise werden MQSeries, CORBA-Schnittstellen oder Filetransfer-Schnittstellen verwendet. MQSeries arbeitet mit überwachbaren Warteschlangen („Queue“ genannt). Über diese Warteschlangen wird sichergestellt, dass eingehende Nachrichten an das Empfängerprogramm weitergesandt werden. CORBA-Schnittstellen (CORBA steht für „Common Object Request Broker Architecture“) rufen Programme auf anderen Systemen auf. Hierzu müssen die CORBA Komponenten auf sämtlichen betroffenen Systemen installiert sein. Der wahrscheinlich am meisten verbreitete Ansatz zum Austausch von Daten zwischen einzelnen Systemen externer Partner ist der Filetransfer zwischen einzelnen EAI-Plattformen. Da es sich bei Ratingsystemen um interne Systeme handelt, wird diese Transferform nicht weiter behandelt. Abbildung 36: Schnittstelle mittels EAI Quelle: Wikipedia (2009) In Bezug auf die in Kapitel 3 dargestellten Komponenten der Ratingsysteme bedeutet die Anforderung an die EAI-Plattform: dass die im Erfassungssystem eingepflegten aktuellen Finanzdaten des Kreditkunden und die aktuell gültige Scorecard für diesen Kundentypen mit den subjektiven Beurteilungskriterien des Kreditkundenberaters im Berechnungs-System zusammengebracht werden und – nach dem Ratingvorgang – dass die Ratingdaten (inkl. aller subjektiven Erfassungen und inkl. Override) korrekt zurückgeliefert werden – bis hin ins Data Warehouse für künftige Auswertungen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ratingsysteme nur einen kleinen, wenn auch wichtigen Teil der Systeme in der Bankenwelt darstellen. Sie sind entweder über klassische Schnittstellenkonzepte oder aber über EAI in die restliche Sys- Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 107 temlandschaft integriert und tauschen nach vordefinierten Regeln ihre Daten mit diesen Applikationen aus. Mit der Einbindung in die Systemlandschaft kann der Aufbau von Ratingsystemen aus IT-technischer Sicht und aus Sicht der Risikoverantwortlichen abgeschlossen werden. Die Scorecards und die Systeme sind entwickelt und produktiv im Einsatz. Da die Themen Scorecard und Ratingsysteme einen grossen Effekt auf die Kundenberater und Kunden ausüben, soll zum Abschluss diesen Sichten Raum gegeben werden. 3.7 Einbindung der Kundenberater bei neuen Scorecards Wenn eine neue Scorecard oder die Einführung einer neuen Lösung (wie oben anhand der Pool-Lösung dargelegt) keine grossen Änderungen für die Kundenberater bringt, kann das relativ ruhig und hinter den Kulissen vonstatten gehen. Sobald eine Scorecard aber grössere Ratingveränderungen („Ratingmigrationen“ genannt) auslöst, sind flankierende Massnahmen im Sinne einer gezielten Kommunikation notwendig. Hintergrund dieser Notwendigkeit ist, dass das Rating an der Front darüber entscheidet, ob ein Geschäft abgeschlossen werden kann (Minimalrating), bzw. zu welchem Preis ein Kredit gewährt wird. Ratet ein System neu deutlich schlechter, dann führt dies dazu, dass weniger Geschäfte abgeschlossen werden: einerseits, weil Kunden unter das Minimalrating fallen, andererseits, weil Kunden aufgrund der zu hohen Kreditpreise bei einer anderen Bank Kredite beziehen (die Verfügbarkeit vorausgesetzt). Ratet ein System neu deutlich besser, dann führt dies dazu, dass mehr Kredite abgeschlossen werden können (weniger Kunden fallen unter das Minimalrating) und dass die gewährten Kredite für den Kunden günstiger verfügbar sind. Des Weiteren sind Ratingmigrationen ohne Änderung der Ausgangslage beim Kunden schwer zu kommunizieren. Kommen sie zu oft vor, dann leidet das Vertrauen in die Ratingsysteme der Bank. Berücksichtigt man bei obiger Betrachtung, dass oft das Einkommen der Kundenberater vom erzielten Kreditpreis (bzw. von der Marge nach Verrechnung der Refinanzierungskosten der Bank) und von allfälligen Kreditausfällen abhängt, dann ist eine erhöhte Sensibilität in Bezug auf Ratingmigrationen verständlich. Ändert ein ganzes Ratingsystem bzw. eine Ratingphilosophie (z.B. in Bezug auf die Gewährung von Overrides), dann ist eine erhebliche Sensibilität gefordert. Mehrere Banken haben eine solch weitreichende Veränderung im Ratingvorgehen oder in der Kreditbepreisung in den letzten Jahren erlebt. Die wesentlichsten Erkenntnisse aus diesen Projekten sind untenstehend im Sinne einer „Best Practice“ wiedergegeben. 1. Frühzeitige Planung: Grössere Veränderungen benötigen auf allen Ebenen mehr Zeit. Die meisten Banken haben mehr als ein Jahr Vorlauf eingeplant. Diese Zeit 108 Systembasierte Ratings und Overrides wird eingeräumt, da viele unerwartete Stolpersteine auftauchen können, die nicht zu einem Zeitdruck führen dürfen (Zeitdruck bei Projekten mit emotionalen Hürden wäre schädlich für das Gesamtresultat). 2. Zusammensetzung der Arbeitsgruppe: Damit die betroffenen Kundenberater ihre Angst vor Veränderung abbauen können, macht es Sinn, firmenweit anerkannte Vertreter von ihnen mit in die Arbeitsgruppe einzubeziehen. Dies hat den zusätzlichen Effekt, dass das Front-Know-how während der gesamten Projektlaufzeit und bei allen Entscheiden gesichert ist. 3. Zielsetzung hinterfragen: Die Ziele dürfen nicht nur aus Sicht der Gesamtbank getroffen werden, sondern müssen die Aspekte der einzelnen betroffenen Abteilungen beinhalten. So sind auch die Ziele der Kundenberater mit den Ratingsystemen zu hinterfragen. 4. Kommunikation: In Erwartung grösserer Änderungen muss frühzeitig kommuniziert werden (bevor auf dem informellen Weg Informationen unkontrolliert zu den Kundenberatern fliessen). Als möglicher Weg sind hier persönliche Präsentationen zu empfehlen, da Fragen unmittelbar beantwortet werden können. Zudem macht es Sinn, Themen, die Mitarbeiter persönlich betreffen (Gehaltsrelevanz), auch persönlich zu besprechen. Da grössere Änderungen im Rating oder Veränderungen der Overridepolitik sämtliche Kundenberater betreffen, zieht dies bei grossen Instituten eine grössere Reisetätigkeit zu allen regionalen Niederlassungen der Bank nach sich (was zeitlich früh genug einzuplanen ist). Anhand solcher Vor-Ort-Präsentationen („Roadshows“) kann der nötige Buy-In der Kundenberater stattfinden. Dies vor allem dann, wenn ihre Aspekte in den Mittelpunkt gestellt werden und sie sich ernst genommen fühlen. Solche Roadshows sind bei längeren Projekten regelmässig zu wiederholen. An den Wiederholungen kann aufgezeigt werden, wie die Anliegen der letzten Roadshow eingeflossen sind, und es kann kommuniziert werden, wie es weitergeht. 5. Pilotieren: Bevor weitere Schritte angegangen werden können, sollte die Änderung in einem überblickbaren Rahmen versuchsweise durchgeführt werden. Mit den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt können allfällige Stolpersteine ausgeräumt werden, die im Echtbetrieb grösseres Schadenspotential hätten. Auch hier ist wieder auf die Zielsetzungen sämtlicher betroffener Gruppen zu achten. 6. Schulungsplanung: Bei grossen Änderungen macht es Sinn, auf die sonst eher übliche Web-basierte Schulung zu verzichten. Die Schulung soll Hürden abbauen und Web-Schulungen können vor allem bei älteren Mitarbeitenden Hürden schaffen. Zudem kann die Schulung a) als Rückfluss von Verbesserungsanregungen und b) zur emotionalen Entspannung durch zeitnahe Würdigung dienen. Die Schulung muss Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 109 zwei Bedingungen erfüllen: Sie sollte zeitnah vor dem Produktiveinsatz sein und genügend Raum für Übungen lassen (keine „Wissensdusche“ oder „Folienschlacht mit Frontalunterricht“). Die Übungen schaffen Sicherheit, so dass neben der Unsicherheit bezüglich Einkommen beim Kundenberater möglichst wenig Unsicherheit in Bezug auf die Anwendung verbleibt. 7. Flankierende Massnahmen: Wenn die Veränderungen ein gewisses Ausmass erreichen, ist es empfehlenswert, flankierende Massnahmen zu treffen. Sei dies, durch Vor-Ort-Unterstützung während der Startphase oder aber durch Massnahmen im persönlichen Bereich der Kundenberater. Es wird nicht selten beobachtet, dass während solcher Umstellungen die Gehaltsberechnung auf dem bisherigen Modell beruht oder aber für eine gewisse Zeit gar fix ausgestaltet wird. Die Einführung einer neuen Scorecard oder einer neuen Ratinglösung ist immer ein heikler Schritt. Obige Massnahmen haben aufgezeigt, wie der Position der Kundenberater Rechnung getragen wird. Zum Abschluss des Kapitels soll der Sicht der Kunden Raum gegeben werden. 3.8 Sicht des Kreditkunden Kreditkunden wollen von der Bank ausreichend Kredite zu einem möglichst günstigen Zinssatz. So ist oft der Zinssatz Grundlage für einen Kreditentscheid. Ist eine Bankbeziehung erst einmal etabliert, so sind die Schweizer Kreditkunden meist loyal. Da dieselbe Loyalität der Bank gegenüber auch bei den Kundenberatern festzustellen ist156, ergeben sich oft langjährige Beziehungen zwischen Kreditnehmern und Kundenberatern. Dies hilft, dass die Banken in schwierigen Situationen wie der aktuellen Wirtschaftskrise den loyalen Kunden ebenfalls treu zur Seite stehen. In so einem Kreditverhältnis ist es für den Kunden wichtig, dass er sich gebührend behandelt fühlt, was neben der Vergabe von Krediten vor allem beim Rating bzw. beim Zinssatz zum Tragen kommt. Für Bankkunden ist es schwer nachvollziehbar, wieso derselbe Jahresabschluss bei verschiedenen Banken zu einem unterschiedlichen Rating und somit zu einem unterschiedlichen Zinssatz führt157. Noch schwieriger wird es für den Kunden, wenn er aufgrund von Umstellungen der Scorecard bzw. des Ratingsystems (von dem er normalerweise gar nichts erfährt), trotz gleichbleibenden Abschlusszahlen einer neuen Ratingklasse zugeordnet wird. Diesem Umstand wird – durch die Kundenberater vertreten – in einer Bank normalerweise Rechnung getragen (in Kapitel 3.4 haben wir gesehen, dass neue Scorecards möglichst wenige Änderungen beim Rating verursachen dürfen). 156 157 Steiner I., Appert M. (2008) S. 78 Vgl. Bernet B., Westerfeld S. (2007) 110 Systembasierte Ratings und Overrides Ein aufmerksamer Kreditkunde versucht, über diverse Aktionen selbst Einfluss auf die Ratingklasse bzw. den Zinssatz zu nehmen. Dies geht problemlos, indem neben der Profitabilität aktiv an gewissen Bilanzpositionen gearbeitet wird158: Durch aktives Mahnen werden Debitoren zur schnelleren Zahlung motiviert. Dadurch fliessen dem Unternehmen Mittel zu; Durch eine restriktivere Lagerpolitik werden weniger Mittel im Lager gebunden; Die Finanzierung von Anlagen wird möglichst mit langfristigem Fremdkapital gemacht. Dadurch gerät die Fristkongruenz der Bilanz ins Lot; Etc. Wichtig ist, dass an wirtschaftlich sinnvollen Aktionen (wie oben aufgeführt) gearbeitet wird und kein „Window dressing“ erfolgt (Window dressing beschreibt Massnahmen, die kurz vor dem Bilanzstichtag erfolgen, um die Bilanz in günstigerem Licht erscheinen zu lassen). Neben den sinnvollen Aktionen helfen eine klare Strategie und Transparenz (bzw. ein aktueller Businessplan), dass die qualitativen Faktoren möglichst gut beurteilt werden können. Diese Massnahmen sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was ein Kreditkunde selbst bewirken kann. Die in Kapitel 3.3 dargestellten Ergebnisse des Ratingvorgangs mit dem Vergleich des eigenen Unternehmens gegenüber der Branche helfen weiter, Ansatzpunkte für Massnahmen zu erkennen. Grössere Unternehmen lassen sich von externen Agenturen (Moody’s, Standard & Poor’s, Fitch, etc.) raten. Um bei diesem Rating die gewünschten positiven Ergebnisse zu erzielen, werden regelrechte Projekte gestartet159: In einer Vorbereitungsphase werden Schwachstellenanalysen vorgenommen und aufgrund der Ergebnisse die notwendigen Aktionen eingeleitet. Danach wird die Ratingagentur ausgewählt. In der Analyse- und Bewertungsphase werden die Unterlagen nach den Anforderungen der Ratingagentur aufbereitet. Zudem findet ein Managementgespräch statt. Am Ende dieser Phase erhält das Unternehmen das Rating. In der dritten Phase wird dieses Rating den Zielgruppen wie Banken, Kunden, Lieferanten, etc. kommuniziert und es beginnt ein kontinuierlicher Informationsaustausch mit der Ratingagentur. Schlussendlich schliesst sich der Kreis mit der vierten, der Wiederholungsphase, diese ist identisch mit der Vorbereitungsphase. Ziel der Wiederholungsphase ist eine Bestätigung bzw. Verbesserung des Ratings. Solche externen Ratings sind in der jüngeren Vergangenheit vor allem wegen der Rolle der Agenturen im Zusammenhang mit der Finanzkrise unter Beschuss geraten. Zudem wurde durch die aktuelle Forschung festgestellt, dass Auftragsratings (die 158 159 z.B. Hofbauer G., Bergmann S. (2008) Schneck O. (2008) S. 99 Aufbau und Einführung von Ratingsystemen 111 somit von der Unternehmung selbst bezahlt werden) Ausfallrisiken systematisch zu tief bewerten160. Diesem Phänomen im Bereich Rating kann sich auch eine Bank nicht entziehen. Daher ist es umso wichtiger, dass die erstellen Einschätzungen für den Kreditkunden transparent, nachvollziehbar und konsistent sind. 3.9 Zusammenfassung und Ausblick Während in Kapitel 2 die regulatorischen Rahmenbedingungen und der aktuelle Stand der Forschung aufgegriffen wurde, hat das Kapitel 3 die Struktur und den Aufbau von Ratingsystemen behandelt. Im ersten Teil wurde der Aufbau des Data Warehouse mit der grossen Herausforderung der Datenbeschaffung (ETL) aus einem oft sehr heterogenen Umfeld adressiert. Die einzelnen Schritte zum Aufbau der Scorecards von der Ermittlung der univariaten Kennzahlen über die multivariaten Kennzahlen bis zur Kalibrierung der einsatzfähigen Scorecard auf Ratingklassen wurden durchlaufen. Im zweiten Teil wurde das Zusammenspiel der Komponenten eines Ratingsystems ausgeführt. Es wurde dargelegt, wie die Scorecard mit den Daten aus dem Erfassungssystem im Ratingsystem zusammenfliesst und daraus ein Kundenrating entsteht. Es wurde ausgeführt, wie die im Einsatz befindlichen Scorecards im Rahmen eines regelmässigen Kreislaufs optimiert werden. Im dritten Teil wurde aufgezeigt, wie solche Systeme eingeführt bzw. neue Scorecards programmiert werden – inklusive der speziellen Herausforderungen, die ein Finanzinstitut an solche Projekte stellt. Auch die Schnittstellen mit ihrer speziellen Problematik im Umfeld solch komplexer IT-Landschaften wurden unter der Differenzierung von Eigenlösungen vs. Pool-Lösungen angesprochen. Zum Schluss wurde der Faktor Mensch einbezogen. All die Lösungen haben einen direkten und indirekten Einfluss auf die betroffenen Kundenberater. Es wurden praktische Erfahrungen der Interviewpartner wiedergegeben, die einen möglichst problemlosen Ersteinsatz von Ratingsystemen bzw. von Scorecards mit signifikanten Änderungen ermöglichen sollen. Auch die Sicht des Kunden mit seinem Bedarf an Transparenz und Konsistenz wurde zum Schluss gewürdigt. Über das gesamte Kapitel 3 wurde dem Leser der immense Aufwand bewusst gemacht, um nur schon in die Lage zu kommen, einen Kreditkunden raten zu können. Daher ist es aus der Optik der Verantwortlichen für Ratingsysteme nachvollziehbar, dass sie eine Steigerung der Qualität ihrer Systeme durch gezielte Rückmeldungen 160 Erni S. (2008) S. 15 unter Verweis auf Feinberg M. et al. (2004) S. 1348ff 112 Systembasierte Ratings und Overrides den Overrides vorziehen. Dem Autor sind einige Banken bekannt, die das Ausmass an Overrides reduzieren möchten. Auch gibt es Institute, die Overrides organisatorisch stark eingeschränkt haben (z.B., indem jeder Override-Vorgang einen schriftlichen Antrag an die Leitung voraussetzt). Im aktuellen Praxisgeschehen wird aber die individuelle Sicht der Kreditkundenberater und Kreditspezialisten wiederentdeckt161. Von der traditionellen Vorgehensweise mit der Bonitätsbeurteilung auf individueller Sicht wurde mit der Einführung sofistizierter Ratingsysteme auf eine oft rein modellbasierte Sicht zur Bildung von Schuldnerkategorien gewechselt. Derzeit werden diese Philosophien konsolidiert, da die Limitiertheit der Ratingsysteme, insbesondere in Bezug auf individuelle Risikofaktoren, erkannt wurde. Der Kundenberater hat die Einzelsicht und analysiert den Einzelfall in Bezug auf Chancen und Gefahren (Kreditfähigkeit) und in Bezug auf Integrität (Kreditwürdigkeit). Die Modelle beurteilen die Bonität aufgrund von Kennzahlen und allfälligen qualitativen Faktoren. Als Ergebnis erhält der Kundenberater eine individuelle Beurteilung des Unternehmens unter Berücksichtigung aller erkannten Faktoren (mit oder ohne Einteilung in eine Bonitätsskala), während die Modelle den Kreditkunden in eine Klasse mit Schaden- bzw. Risikoprofil einteilen und damit keine Aussage über die Ausfallwahrscheinlichkeit des Einzelfalls machen. In Kapitel 5 werden diese beiden Sichtweisen analysiert. Anhand der Overrides wird für jedes der teilnehmenden 8 Institute der Frage nachgegangen, wie die Overrides das Ratingsystem in Bezug auf die Trennschärfe unterstützen. In Kapitel 6 werden diese Ergebnisse dann in den Kontext des aktuellen Zeitgeschehens gestellt und zudem anhand des oben erwähnten Eindämmungsversuchs für Overrides diskutiert. Zuvor wird aber das Thema Override näher behandelt. Es erfolgt eine Einführung aufgrund bisheriger Arbeiten des Autors und aufgrund bisheriger Forschung im Bereich Kreditverluste, was ein Kundenberater im Override alles antizipieren muss, weil die systematische Erhebung bzw. die Integration in die Ratingsysteme aus verschiedensten Gründen nicht möglich ist. 161 Heusler M. (2008) S. 48 4. Beschreibung von Override-Motiven 114 Systembasierte Ratings und Overrides Um Overrides richtig einordnen zu können, bedarf es vorab einer Einordnung der Motive. Wichtiger Grund für Overrides ist bei allen Banken die Zugehörigkeit einer Firma zu einem Konzern. Konzerninterne Haftungsverhältnisse, die allesamt die Aussagekraft von Finanzzahlen beeinträchtigen, müssen meist manuell abgebildet werden. Die Einordnung der übrigen Overrides-Motive findet anhand der von RSN systematisch erhobenen und klassierten Gründe für Overrides statt. Da diese Analyse nicht aussagekräftig genug ist, wird die Aufarbeitung der Gründe anhand der Untersuchungsergebnisse einer Grossbank und anhand der Ergebnisse vergangener Forschung weiter vorangetrieben. Im zweiten Teil des Kapitels wird dann dargelegt, wieso auf eine detaillierte Qualifikation von Overrides in der Praxis verzichtet wurde. 4.1 Statistische Qualifikation von Overrides RSN verlangt bei jedem Override den Grund und wertet die Gründe aus. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar (die Kuchengrafik wurde gewählt, da es sich eher um eine schematische, zusammengefasste Darstellung denn um eine präzise Wiedergabe handelt): Modell ungenügend / ungeeignet Kundenperspektive Bankpolitische Gründe Abbildung 37: Gründe für Overrides Quelle: Heusler M. (2009) Aus den Analysen von RSN ist ein grosser Teil auf die bankpolitischen Gründe entfallen. Darin enthalten sind insbesondere alle Übersteuerungen, welche aufgrund von bankindividuellen Weisungen – beispielsweise bei Aufnahme des Kunden in eine „Watchlist“ oder bei Vornahme von Rückstellungen – vorgenommen werden müssen. Ein kleinerer Anteil in der Gruppe der bankpolitischen Gründe ist vor dem Hintergrund der Preissteuerung zu sehen, wie die Detailanalyse des Übersteuerungsmusters dieser Gruppe zeigt. Die Untersuchungen einer Grossbank haben die Beschreibung von Override-Systemen 115 Gründe für Overrides detailliert adressiert und sind zu folgendem Ergebnis gekommen, das gleichzeitig die Grundlage für die Verbesserung der Scorecard und Eindämmung der Overrides bei derselben Bank (vgl. Kapitel 6.1) darstellt: Off-Balance-Sheet-Positionen (Positionen, wie z.B. Leasingverpflichtungen, die in der Bilanz nicht erscheinen); Unternehmerlohn bei Personengesellschaften; besonderer Typ des Kreditnehmers; Betreibungen der Vergangenheit; Darlehen mit Rangrücktritt; einmalige Effekte in der letzten Jahresrechnung; Differenz zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise; Werthaltigkeit von Aktivdarlehen. Neben diesen quantitativ messbaren Faktoren gibt es qualitative Faktoren, die nicht in die Scorecard einfliessen, aber als diagnostizierbare Overridegründe klassifiziert werden: Klumpenrisiken durch die Abhängigkeit von einem Lieferanten, Kunden oder Produkt / Markt; Abhängigkeit von Schlüsselpersonen ohne vollwertigen Ersatz; Übrige Gründe. Schlussendlich wird noch der Blick in die Zukunft abgefangen, indem Veränderungen seit der letzten Jahresrechnung übernommen werden: Kapitalerhöhung oder -Senkung; Krediterhöhung oder -Tilgung; markant besserer oder schlechterer Zwischenabschluss gegenüber dem Jahresabschluss. Die durch die Grossbank ermittelten Gründe sowie die beiden ausserhalb der Bankpolitik liegenden Gründe von RSN können über die aktuelle Forschung bestätigt werden. Im Wesentlichen werden Overrides, gemäss bisheriger Analyse, drei Gründen zugeteilt162: 162 Martin M. (2007) S. 222 116 Systembasierte Ratings und Overrides 1. Die Scorecard weist Schwächen auf z.B. das Über- oder Untergewichten von gewissen Kennzahlen aus; 2. Qualitative Faktoren sind so stark, dass sie aufgrund der tiefen Gewichtung nicht genügend Eingang in den Score finden163; 3. Es sind quantitative und qualitative Faktoren vorhanden, die in der Scorecard nicht abgedeckt sind, das heisst, der Indikator tritt zeitverzögert auf – der Blick in die Zukunft durch den Kundenberater. Unter dem Gesichtspunkt des Blicks in die Zukunft gemäss drittem Grund kann man Overrides auch als unstrukturierte quantitative und qualitative Faktoren bezeichnen, die auf der Basis der Erfahrung des Kundenberaters getätigt werden. Im Jahre 2005 wurde durch den Autor als Ergänzung zu den Scorecards eine Struktur für genau solche Overrides im Sinne eines heuristischen Modells (Ratingbogen) aufgebaut. Die Anwendung fand bei einer Grossbank (CS, UBS, ZKB) im Rahmen eines Pilotprojekts statt und schloss folgende Überlegungen ein: 1. Die Lehren aus Verlusten im Kreditgeschäft Schweiz zeigen164, dass es zur Verhinderung von Verlusten ein Frühwarnsystem benötigt und dass dieses unter anderem bonitätsrelevante, qualitative Faktoren beinhalten muss. 2. Dieselbe Quelle hat festgestellt, dass Kunden mit erhöhtem Verlustpotential gewisse Charaktereigenschaften aufweisen und dass diese klassifizierbar sind165. 3. Kulturelle Wahrnehmungen wurden als qualitative Faktoren mit Trennkraft erkannt166. 4. Es gibt quantitative Faktoren, die nicht gemessen werden bzw. wurden. Somit besteht keine Datenbasis, die statistisch abgesichert in die Scorecards einfliessen kann. Solche Faktoren können über qualitative Aspekte in ein Rating einfliessen. 5. Ein Modell der Unternehmensentwicklung wurde anhand von 300 Ausfällen im Private-Equity-Geschäft empirisch erforscht und hat ergeben, dass über 80 % der Ausfälle durch vorwiegend qualitative Faktoren angekündigt wurden (die restlichen Ausfälle waren durch Marktschocks verursacht)167. Basierend auf dem Modell der Unternehmensentwicklung, das die Aspekte 1 bis 4 oben grösstenteils beinhaltet, wurde besagter Ratingbogen aufgebaut. In den nächsten Abschnitten werden zuerst das Modell und dann die Entwicklung des Ratingbogens dargelegt (sämtliche empirischen Zahlen stammen aus der praktischen Überprüfung dieses Modells). 163 164 165 166 167 Hunziker D., Messner S. (2005) Meier C. (1995) S. 152ff Meier C. (1995) S. 108ff Gerschwiler R., Schmid U. (2004) S. 20ff Pümpin C., Wunderlin C. (2005) S. 14 Beschreibung von Override-Systemen 117 4.2 Antizipieren der Unternehmensentwicklung Unternehmungen durchlaufen in ihrer Entwicklung normalerweise verschiedene Stadien. Diese Stadien weisen entwicklungsabhängige Krisenpotentiale auf, die sich durch meist qualitative Faktoren ankündigen. Die quantitativen Faktoren, sprich die Finanzzahlen einer Unternehmung, widerspiegeln diese Entwicklung mit Zeitverzug168. Die einzelnen Entwicklungsstadien mit ihren Krisen und deren Ankündigungsfaktoren können wie folgt dargestellt werden: 4.2.1 Pionierunternehmen Typische Pionierunternehmen sind junge Firmen, also Neugründungen. Entweder wird ein neu entstehendes Potential (z.B. durch die Aufnahme eines Landes in die EU oder durch neue Technologien wie Web 2.0) erschlossen, oder aber es wird einfach eine bestehende Leistung bzw. ein bestehendes Produkt angeboten. Vor allem im Handwerk findet man imitierende Geschäftsstrategien. Typischerweise sind Pionierunternehmen klein, haben ein schmales Angebot, bedienen nur wenige Kunden und setzen ihre Leistungen bzw. Produkte über wenige Kanäle ab. Das grosse Plus von Pionierunternehmen ist die hohe Flexibilität, das hohe Engagement aller Beteiligten und die Nichtbeachtung durch die Konkurrenz. Die Risiken bei solchen Unternehmen liegen in der oft fehlenden Erfahrung der Beteiligten, dem Mangel an Personal und Geld sowie an der meist starken Abhängigkeit vom Pionier. In dieser Phase steht das Unternehmen drei Entwicklungskrisen gegenüber: 1. Inkompetenzkrise (34 % aller beobachteten Ausfälle) Die Gründe für den Ausfall sind ausschliesslich beim Gründer zu suchen, der ungeeignet ist. Diese Krise wird durch folgende Merkmale angekündigt: intuitives Management ohne Budgetpläne; Managementpannen, wie vermehrte Kosten- oder Terminüberschreitungen; fehlende Transparenz in Bezug auf Entwicklungsfortschritt oder Mitarbeitereinsatz; offensichtliche Überforderung des Pioniers, die sich durch Gereiztheit bzw. Stresssymptome zeigt; Freizeitorientierung bzw. ungenügender Einsatz des Pioniers. Die ersten drei der obigen Faktoren waren bei den beobachteten Ausfällen am stärksten sichtbar, allen voran die Managementpannen. 168 Vgl. hierzu auch Amann M. (1999) S. 3 118 Systembasierte Ratings und Overrides 2. Fehlprognosekrise (39 % der beobachteten Ausfälle) Die Fehlprognosekrise ist die häufigste Ausfallursache bei Pionierunternehmen. Im Wesentlichen ist sie auf eine zu euphorische Einschätzung der eigenen Leistung oder des Marktes bzw. auf eine Unterschätzung der Durststrecke zurückzuführen. Sie kündigt sich mit folgenden qualitativen Merkmalen an: Die Leistung bzw. Produkte sind am Markt nicht absetzbar; verfehlen der geplanten Termine für einen Markteintritt ; nicht erkannter oder unterschätzter Bedarf an finanziellen Mitteln; die Überlegenheit von Wettbewerbern wurde unterschätzt und kann nicht genügend verringert werden; Produkte werden nach technischen Kriterien gefertigt und nicht nach den Bedürfnissen des Marktes. Sämtliche Faktoren waren bei den beobachteten Ausfällen deutlich sichtbar. Am stärksten ist das Verfehlen von geplanten Terminen für den Markteintritt aufgefallen. 3. Verzettelungskrise (15 % der beobachteten Ausfälle) Vor allem am Ende einer Pionierphase tritt das Phänomen auf, dass aufgrund des bisherigen Erfolgs immer mehr Geschäftsideen verfolgt werden. Ein solcher Kräfteverzehr zeigt sich anhand folgender Indikatoren: Es entsteht ein ungewöhnlich hoher Anteil an fehlgeschlagenen Projekten neue Projekte erhalten ein sehr hohes Gewicht; Das Wachstum in den Kernbereichen des Unternehmens bleibt hinter dem Wettbewerb zurück. Die Verzettelungskrise selbst ist bei Pionierunternehmen nicht oft Grund für einen Ausfall. Die Anzeichen sind auch – im Vergleich zu den Indikatoren der anderen beiden Krisen – schwächer. Am stärksten ist das Übergewichten von neuen Projekten aufgefallen. 4.2.2 Wachstumsunternehmen Mit zunehmendem Erfolg beginnt der Übergang von der Pionier- in die Wachstumsphase. Diese Phase zeichnet sich durch eine massive Expansion der Geschäftstätigkeit aus. Die Entwicklungssprünge werden kleiner, während das Geschäftsvolumen deutlich zunimmt. Das Wachstum erfolgt zu Beginn dieser Phase meist durch das Erschliessen von neuen Märkten, die Standardisierung von Abläufen oder die Nutzung der Skalenökonomien. Die Führung wird im Laufe des Wachstums immer Beschreibung von Override-Systemen 119 komplexer, da sich das Unternehmen stetig vom ursprünglichen Stammgeschäft entfernt: Es kommen neue Märkte, neue Kundengruppen, neue Leistungen bzw. Produkte dazu. Das grosse Plus von Wachstumsunternehmen ist sicherlich die hohe Motivation der Mitarbeitenden, die zunehmende Professionalisierung und die rasante Nutzensteigerung für alle Beteiligten. Dem stehen Risiken wie die zunehmende Komplexität in Führungsfragen sowie die Gefahr einer zu schnellen oder zu diversifizierten Expansion gegenüber. In dieser Phase steht das Unternehmen zwei Entwicklungskrisen gegenüber: 1. Überexpansionskrise (45 % der beobachteten Ausfälle) Die Überexpansion ist die Kehrseite der grossen Wachstumschancen. Diese Krise hat drei mögliche Auslöser: 1.) Es besteht eine zu grosse Nachfrage („market pull“ genannt), 2.) Das Management treibt das Wachstum von innen mit enormem Ehrgeiz und 3.) Aufgrund vergangener Erfolge werden die Kapazitäten zur stark ausgeweitet. Wie die bisherigen Krisen zeigt auch die Überexpansionskrise Indikatoren: Der Verkauf muss Rabatte gewähren, um die Leistungen bzw. Produkte absetzen zu können; Die Qualität der Leistungen bzw. Produkte beginnt zu sinken. Die Vertragsrücktritte mehren sich; In den Finanzfunktionen erhöht sich die Fluktuationsrate. Selbstverständlich zeigen sich auch schnell finanzielle Folgen wie ein stark negativer Cashflow, eine Zunahme des dynamischen Verschuldungsgrades oder der Aufbau von Lager (bzw. eine Senkung der Auslastung im Dienstleistungsbereich). Von obigen Indikatoren, die bei den beobachteten Ausfällen allesamt gut sichtbar waren, wurde der Druck im Verkauf zur Rabattgewährung am stärksten wahrgenommen. 2. Diversifikationskrise (31 % der beobachteten Ausfälle) Unternehmen, die lange Zeit kontinuierlich gewachsen sind, neigen zu einer Art „Alleskönnersyndrom“. Insbesondere, wenn noch der Pionier an der Spitze steht, besteht der Glaube, jedes Geschäft managen zu können. Aber auch, wenn eine Bedrohung des Stammgeschäfts aufkommt, wird durch Diversifikation eine Absicherung gesucht. Die Diversifikationskrise hat einen ganzen Strauss an Indikatoren: 120 Systembasierte Ratings und Overrides Erhoffte Synergien zwischen den Geschäftsbereichen bleiben aus; Die Geschäftsbereiche sind in Bezug auf Produkte und Märkte in ihrer Dynamik, Wettbewerbsintensität, technologischen Komplexität, etc. sehr unterschiedlich; Mögliche Diversifikationsprojekte werden ohne gründliche Prüfung entschieden. Kurz nach Übernahme treten die ersten Probleme auf; Drittmeinungen werden durch das Management ignoriert, und selbst Beratermeinungen werden negiert; Zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen und dem Management entstehen Konflikte, bzw. das übernommene Management verlässt das Unternehmen; Es breitet sich aufgrund kultureller Unterschiede Unverständnis und Misstrauen aus. Sämtliche Indikatoren waren bei den beobachteten Ausfällen gut sichtbar. Am meisten sind das Ausbleiben von Synergien und vor allem die Ignoranz gegenüber Drittmeinungen aufgefallen. 4.2.3 Reifeunternehmen Im Erfolg von Wachstumsphasen beginnen einige Unternehmen, träge zu werden. Das Geschäft läuft, und die Cashflows sind stabil. Für die eigentlich positiv anmutende Stabilität der Firma wird der Preis von komplexen Organisationsstrukturen mit vielen Stabsstellen und von aufwendigen Managementsystemen bezahlt. Im operativen Geschäft wird der Fokus weg von Innovation hin zu Optimierung gelegt. In dieser Phase geht die im Wachstum gelebte Aufbruchskultur zu einer Kultur des Stolzes über das Erreichte über. Das grosse Plus von Reifeunternehmen sind sicher die besagten hohen und stabilen Cashflows, niedrige Stückkosten aufgrund ausgenutzter Economies of Scale sowie das grosse Know-how über Märkte, Technologie, Produkte bzw. Leistungen und Kunden. Die grossen Nachteile sind in der Barriere gegenüber Innovation, im Mangel an Freiräumen für unternehmerisch veranlagte Mitarbeitende sowie in der Ressourcenvergeudung zu suchen. In dieser Phase steht das Unternehmen drei Entwicklungskrisen gegenüber: 1. Macht- und Bürokratiekrise (32 % der beobachteten Ausfälle) Bei Reifeunternehmen entstehen „Königreiche“, die sich gegenseitig bekämpfen. Dadurch entsteht eine Blockade bei der reichlich Ressourcen für diese internen Auseinandersetzungen vergeudet werden. Hierzu gehören auch die Anschaffungen mit Statuscharakter, wie teure Autos, Kunstwerke oder Flugzeuge. Dies, da die Führung Beschreibung von Override-Systemen 121 sukzessive beginnt, ihren eigenen Nutzen zu maximieren. Dieser Zustand ist von aussen durch verschiedenste Signale wahrnehmbar: Die Stabsabteilungen nehmen zu; Neue Hierarchieebenen werden aufgebaut; Es gibt interne Kompetenzgerangel; Die Repräsentation wird immer wichtiger (Chauffeur, Klubmitgliedschaften, Fahrzeuge, Flugzeuge, etc.); Die Effizient sinkt, da die Führungskräfte ihre Königreiche immer weiter ausbauen; Die Führungskräfte der Tochtergesellschaften versuchen, den Einfluss der Zentrale immer weiter zu minimieren; Der Aufwand für Schlichtungsbemühungen steigt; Das Management beginnt immer mehr mit Freizeitaktivitäten (Golf, Tennis, Freundinnen). Ausser vom Unabhängigkeitsdrang der Tochtergesellschaften sind alle Faktoren deutlich erkennt worden. Spitzenreiter sind der Ausbau von Personal und die Kompetenzgerangel. 2. Identitätskrise (31 % der beobachteten Ausfälle) Mit den Jahren verflüchtigt sich die Unternehmensvision, und den vielen Geschäftsaktivitäten fehlt das gemeinsame Band. Dazu kommt oft das Stagnieren in Entwicklung und Zahlen, so dass die Mitarbeiter ihre Verhaltens- und Denkmuster überprüfen müssen. Ein solcher Zustand kündigte sich mit einigen Faktoren an: Das Produktprogramm hat keine Innovationen mehr. Es besteht primär aus optimierten alten Entwicklungen; Die Produktionsanlagen sind ebenfalls auf einem alten Stand; F&E verliert an Bedeutung und kann ehrgeizige Entwicklungsziele nicht mehr erreichen; Die Produkte sind austauschbar und können am Markt nur noch über tiefe Preise abgesetzt werden; Mitarbeiter wechseln zu Konkurrenten, es kommt zu einer erhöhten Fluktuation; Die Stimmung im Unternehmen ist gedrückt und die Fälle innerer Kündigungen häufen sich. Von obigen Faktoren – die wiederum allesamt gut erkennbar waren – sind die Demotivation und das sinkende Preisniveau am meisten aufgefallen. 122 Systembasierte Ratings und Overrides 3. Nachfolgekrise (24 % der beobachteten Ausfälle) Oft tritt der Pionier erst in der Reifephase zurück. Dies, da die Familie keinen geeigneten Nachfolger hat und sich im Unternehmen niemand diese Aufgabe zutraut. Meist wurde es versäumt, geeignete Nachwuchskräfte aufzubauen, und so bleibt die bestehende Führung notgedrungen weiter bestehen. Von aussen ist eine Nachfolgekrise gut und anhand weniger Indikatoren erkennbar: Im Management gibt es keine jüngeren Führungskräfte; Die Abgänge von Management aus der zweiten und dritten Führungsebene häufen sich; Der alternde Unternehmer will sich beweisen und verbringt einen grossen Teil seiner Zeit im Unternehmen. Vor allem die erhöhte Fluktuation auf den unteren Kaderebenen hat bei der Nachfolgekrise grossen Signalcharakter. 4.2.4 Aufbau des Ratingbogens Anhand der Krisen zu obigen Faktoren wurde in Excel ein Ratingbogen entwickelt. In einem ersten Schritt musste die Entwicklungsphase des Kreditnehmers ermittelt werden, was noch ausserhalb des Ratingbogens stattfand169. Da Kundenberater ihre Kreditnehmer normalerweise kennen, ist die Ermittlung der aktuellen Phase in vielen Fällen gar nicht nötig gewesen. Abgeleitet von der Entwicklungsphase, wurden die einzelnen Faktoren mit einer Ordinalskala versehen und vom Kundenberater gemessen. Der Ratingbogen wurde im Excel so aufgebaut, dass jede Krise eine einzelne Registerkarte hatte. Zu jeder Frage konnte der Kundenberater ein Antwortfeld wählen. Am Schluss wurden die Messergebnisse der einzelnen Krisen in einer separaten Registerkarte anhand einer Ampelfunktion bzw. Fieberkurve zusammengefasst. Tabelle 10: Ausschnitt aus einem Ratingbogen Quelle: Wunderlin C. (2005) 169 Checklisten siehe Pümpin C., Wunderlin C. (2005) S. 174ff Beschreibung von Override-Systemen 123 Der Rücklauf aus dem Pilotprojekt hat ergeben, dass die Kundenberater ihre Wahrnehmung dokumentieren konnten und so eine analytisch fundierte Grundlage für ihre Beurteilung erhielten. Damit wurde ein Teil dessen, was bis zu diesem Zeitpunkt als Gefühl in die qualitativen Faktoren der Scorecards bzw. als Override in das Kundenrating eingeflossen war, mit einem Modell abgedeckt. Aus dem Einsatz des obigen Ratingbogens wurde ersichtlich, dass künftige Veränderungen durchaus früh erkannt werden können. Es wurde aber auch klar, dass die Beurteilung auf der Ordinalskala stark von der subjektiven Wahrnehmung des Kundenberaters abhängt: Erst, wenn derselbe Kundenberater mit seiner Wahrnehmung denselben Kreditkunden das zweite Mal beurteilt, kann aufgrund der Veränderung eine Tendenz abgeleitet und ein wirklicher Mehrwert geschaffen werden. Die langfristige Auslegung wäre aufgrund der sehr tiefen Fluktuationsraten der Kundenberater kein grosses Problem170. Um eine so grosse Anzahl Faktoren messen zu können, benötigt es aber Zeit des Kundenberaters und diese steht nicht zur Verfügung. Zudem würde eine Homogenisierung über die subjektive Wahrnehmung sämtlicher Kundenberater eine Herausforderung für die statistische Aufbereitung im Rahmen der Kodierung darstellen. Daher wurde der weitere Einsatz dieses Ratingbogens freiwillig deklariert. Dies geht einher mit der aktuellen Entwicklung in Bezug auf das Rating bei dieser Bank (vgl. Kapitel 6): Es wird eine individuelle Unschärfe zu Gunsten starker statistischer Modelle in Kauf genommen. Die Messung durch den Kundenberater und die darauf folgende homogenisierte Verarbeitung in ein statistisches Modell mit der nötigen Transformation von einer subjektiven Nominal- in eine allgemeingültige Ordinalskala oder gar in ein metrisches Modell sind also nicht mit vernünftigem Mittelaufwand umsetzbar. Ein möglicher System-Ersatz für Overrides wird also durch die Kosten eliminiert, wie dies auch in der aktuellen Forschung festgestellt wurde171. Somit ist es zwar dienlich, Modelle wie das obige zu kennen, deren Blick in die Zukunft wird aber weiterhin nicht in Scorecards aufgenommen werden können. Ein Chief Risk Officer einer Schweizer Bank hat diesen Zustand so formuliert: „Wir werden höchstens in der Lage sein, das Rating für das vergangene Jahr mit ITSystemen zu rechnen“. Kundenberater derselben Bank haben es wie folgt ausgedrückt: „Bei der Beurteilung von Kreditrisiken verleihen qualitative Faktoren bzw. Overrides den quantitativen Faktoren Aussagekraft für den Blick in die Zukunft“. Overrides werden daher im Kreditgeschäft als Blick in die Zukunft wohl langfristig erhalten bleiben. Ob dieses menschliche (auf implizites Wissen abgestützte) Urteilsvermögen besser als die statistisch abgesicherten Systemratings ist, wird die Analyse in Kapitel 5 zeigen. 170 171 Steiner I., Appert M. (2008) S. 78 Vgl. Grunert et al. (2002) S. 1045ff 5. Empirische Analyse von Overrides 126 Systembasierte Ratings und Overrides 5.1 Detailliertes Vorgehen Auf der Basis des Modells von Ulrich wurden in Kapitel 1.2 die einzelnen Phasen dieser Arbeit in einer kurzen Übersicht vorgestellt. Dabei wurde das Gewicht auf ein Verständnis der Abfolge und des Forschungsinhalts gelegt. Untenstehend soll dieses Vorgehen nun so detailliert werden, dass es für eine Wiederholung der Forschung eine Basis bilden könnte. Die Darstellung der einzelnen Schritte erfolgt dabei anhand der besagten Phasen mit Gewicht auf dem Forschungsvorgehen. 1. Phase: Erfassung und Typisierung praxisrelevanter Probleme Im Rahmen der ersten Phase ging es um das Grundverständnis zum Thema Override. Aus seiner Praxis als CFO war dem Autor bewusst, dass Kundenberater aus Pricing-Gründen das Rating überschreiben172. Dies geschah zur Senkung von Zinssätzen, damit die teureren Banken auf dem Niveau der günstigeren konkurrenzfähig waren. Aus dieser Einzelbetrachtung sollte eine Brücke in die Portfoliobetrachtung einer Bank geschlagen werden. Im Jahr 2005 wurden hierzu erste Schritte im Rahmen des in Kapitel 4 vorgestellten Modells unternommen. Um in der Folge herauszufinden, wie aktuell das Thema Override und Einzel- vs. Portfoliobetrachtung nach der Freiwillig-Deklarierung des besagten Modells noch ist, wurden von 2007 bis Mitte 2008 informelle Gespräche mit Kundenberatern, aber auch mit Risikospezialisten geführt. Im Juni 2008 ist die Forschungsfrage „Haben Overrides einen schädlichen oder nützlichen Effekt auf die Qualität von Ratingentscheiden?“ festgehalten worden. 2. Phase: Erfassung und Interpretation problemrelevanter Theorien und Hypothesen der empirischen Grundlagenwissenschaft Da der Autor von Ratingsystemen nur wusste, dass es sie gibt und dass sie die Ausfallwahrscheinlichkeit berechnen, ist in der zweiten Phase eine Einarbeitung in das Thema erfolgt. In einem ersten Schritt wurden die aktuellen Erkenntnisse der Forschung studiert (für das Schreiben dieser Arbeit wurden sie später noch einmal aktualisiert und auf ihre Relevanz in Bezug auf die Ergebnisse geprüft). Danach hat der Autor die Grossbanken angefragt, ob sie an der Studie teilnehmen wollen. Die CS wie auch die UBS haben zugesagt. Die ZKB hat sich in dieser Phase noch von einer Teilnahme distanziert. Über eine Anfrage bei der Luzerner Kantonalbank ist der Kontakt zur RSN Risk Solution Network AG entstanden, die ihre Ratingmodelle bei 17 Banken für verschiedene Bereiche des Firmenkundensemgents im Sinne einer PoolLösung im Einsatz hat. RSN hat sich ebenfalls bereit erklärt, diese Studie zu unterstützen. In der Folge hat der Autor mit Vertretern der teilnehmenden Partner Interviews zum Aufbau, Test und Unterhalt (mit Risikospezialisten) bzw. zu Systementwicklung, -test und -implementierung (mit IT-Spezialisten) geführt. Dies, um das nötige Verständnis zu gewinnen, wie ein Ratingsystem aufgebaut ist und wie die in der 172 Kundenberater können auch Sonderkonditionen gewähren, was sich in ihrer Performance niederschlägt. Ob so etwas stattgefunden hat, bzw. wie Overrides und Sonderkonditionen zusammenspielen, wird in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet Empirische Analysen von Overrides 127 ersten Phase formulierte Forschungsfrage beantwortet werden kann. Die einzelnen Interviews wurden nicht standardisiert gehalten und mittels Mindmap dokumentiert (die einzelnen Maps sind im Anhang in Kapitel 9.3 dargestellt). Der Einsatz von nicht standardisierten Interviews wird empfohlen, wenn Grundlagen als Vorläufer 173 standardisierter Erhebungen erforscht werden . Die Mindmap-Methode wird empfohlen, damit Gedanken beim Einstieg in ein neues Thema nicht in eine (ohnehin 174 noch unbekannte) lineare Struktur gepresst werden müssen . Eine Transkription 175 der Mindmaps wurde aus mangelnder Angemessenheit verzichtet . Im Dezember 2008 wurde gemeinsam der Record-Beschrieb für die Daten und die Definitionen verabschiedet. Die Definitionen waren wichtig, um auch wirklich Gleiches mit Gleichem vergleichen zu können. Es wurde festgehalten, dass die Ratingvorgänge der Jahre 2004 bis 2007 verwendet werden. Diese basieren auf den Finanzzahlen der Kreditnehmer aus den Jahren 2003 bis 2006. Als Ausfallzeitpunkt wurde das Datum der Wertberichtigung vereinbart. Nach Basel II gilt zusätzlich als Ausfall, wer 90 Tage mit Amortisation oder Zinszahlung im Verzug ist. Da zu Beginn der Beobachtungsperiode noch nicht alle Banken nach diesem Kriterium agiert haben, wurde die Ausfalldefinition zu Zwecken der vorliegenden Studie auf das Ausfallkriterium „Wertberichtigung“ reduziert. Als Ratingklassen wurden alle Klassen mit Ausnahme der Ausfallklasse(n) einbezogen. Per Ende Dezember wurde mit allen teilnehmenden Partnern eine Geheimhaltungserklärung unterzeichnet, die festhält, dass kein Rückschluss auf die einzelne Bank stattfinden darf. Da die Records keinen Rückschluss auf Bankkundendaten ermöglichten, war das Risiko der Verletzung des Bankgeheimnisses von Beginn weg eliminiert. 3. Phase: Erfassung und Spezifizierung problemrelevanter Verfahren der Formalwissenschaft Mit dem Wissen, welche Daten analysiert werden, musste die richtige statistische Analyseform gefunden werden. Wiederum mit Interviews wurden die verschiedenen Ansätze betrachtet. Aus Sicht der reinen Statistik gibt es mehrere Ansätze, die mit statistisch versierten Dozenten am IFZ Institut für Finanzdienstleistungen Zug gegeneinander abgewogen wurden. In weiteren Gesprächen wurde mit einem Vertreter der Raiffeisenbank diskutiert, wie er die Forschungsergebnisse erhalten müsste, um sie mit den Erfahrungen bei der eigenen Bank vergleichen zu können. Anlässlich dieses Gesprächs wurde erkannt, dass die Differenz der ROC-Kurven bzw. die Fläche unter dieser Kurve (AUROC) ein bei allen Banken eingesetztes Messinstrument ist. Nach einer Güterabwägung mit den anderen Messmethoden (Cumulative Accuracy Profile, Pietra-Index und Kolmogorov-Smirnov-Statistik sowie Bayessche Fehlerrate) und im Wissen um die Schwächen hat der Autor aufgrund I) des bankenübergreifenden Verständnisses und b) der Einhaltung wichtiger Faktoren für die Reliabilität 173 174 175 Salzberger T. (2009) S. 43 Steps M. (1997) S. 2 Flick U. (2007) S. 379 und Mayring P. (2002) S. 94 sind der Ansicht, dass Zeit und Energie für Transkriptionen oft besser genutzt werden können. Im vorliegenden Fall teilt der Autor diese Meinung. 128 Systembasierte Ratings und Overrides der Messmethode176 entschieden, dass die Analyse anhand der statistischen Methode der ROC Kurven stattfinden soll. Die je Bank resultierenden zwei ROC Kurven mit dem berechneten und dem bewilligten Rating sollten anhand eines aus der Radiologie bekannten und allgemein zugänglichen Vergleichsrechners177 auf ihre statistische Signifikanz überprüft werden. Als weiteres Ergebnis war klar, dass die Forschungsfrage nach dem „Besser“ mit der Höhe der Trennschärfe argumentiert werden sollte. Per März 2009 war also klar definiert, wie die Daten analysiert und mit welcher Aussage die Forschungsfrage beantwortet werden sollten. 4. Phase: Erfassung und Untersuchung des relevanten Anwendungszusammenhangs Im April 2009 sind die Datensätze der einzelnen Partner in Excel-Form eingetroffen. RSN hat die Ratingvorgänge von fünf Banken zur Verfügung gestellt (um welche Banken es sich handelt, ist dem Autor nicht bekannt). UBS und CS haben jeweils für ihr Institut die Daten aufbereitet. Gesamthaft standen rund 130‘000 Ratingvorgänge für die Analyse zur Verfügung. Die eingehenden Daten wurden einer Qualitätskontrolle unterzogen und, wo nötig, korrigiert: RSN hat in ihren Daten eine Abstufung auf „Wertberichtigung“ und „Ausfall gemäss Basel II“. Für diese Arbeit wurden beide Ereignisse als „Ausfall“ im Sinne der obigen Definition angewendet. In der Folge wurden die Daten für die verschiedenen Berechnungen bzw. Auswertungen aufbereitet: für die Berechnung der ROC-Kurve war keine weitere Aufarbeitung notwendig. Um das berechnete (vor Override) mit dem bewilligten (nach Override) Rating darstellen zu können, war ebenfalls keine weitere Aufbereitung notwendig. Um aber die Klassenverschiebungen der einzelnen Banken gegeneinander vergleichen zu können, musste eine Normierung erfolgen, weil die verschiedenen Banken eine Spanne von 8 bis 18 Ratingklassen angesetzt haben. Die Normierung hat den Vorteil, dass die Gliederung der Differenz von sehr guten bis zu schlechten Ratings für alle Banken identisch wird. Der wesentliche Nachteil der Normierung ist, dass die Information um die „fein-tunende“ Ratinganpassung ± 1 Klasse bei denjenigen Banken, die eine hohe Anzahl Ratingklassen haben, verloren geht. Als Darstellungsformen wurde für den Ratingvergleich ein Liniendiagramm gewählt, das von sehr guten (AAA) bis zu schlechten Ratings (CCC+) geht. Um aufgrund der Datenpunkte einen Rückschluss auf die Anzahl Ratingklassen und somit auf eine einzelne Bank zu verhindern, wurden die Linien geglättet. Für die ROC-Kurve war die Darstellungsform gegeben. Um die Klassenverschiebungen darzustellen, wurde das Histogramm gewählt. Die einzelnen Darstellungsformen wurden wiederum anlässlich der Interviews mit allen teilnehmenden Banken und Drittparteien besprochen und als „ideal für diese Arbeit“ verabschiedet. Unter anderem wurde entschieden, dass die metrische Kenngrösse (im Histogramm) für ordinale Daten sinnvoll ist, da die Klassenver176 177 Die Reliabilität der ROC-Kurve als Kennzahl zur Bestimmung der Trennschärfe bei Ratingsystemen ist gemäss Daldrup A. (2006) S. 97 nur bei gleichen Portfolios und gleichen Zeiträumen gegeben. Beide Anforderungen wurden in dieser Arbeit eingehalten. Zu finden unter http://faculty.vassar.edu/lowry/roc_comp.html, Online: Abruf zuletzt am 13.07.2009 um 14.42 h Empirische Analysen von Overrides 129 schiebung lediglich dem Vergleich zwischen den Banken und zwischen den verschiedenen Zeitfenstern dient. 5. Phase: Ableiten von Beurteilungskriterien, Gestaltungsregeln und -Modellen Im April 2009 wurden aufgrund der eingegangen und aufbereiteten Daten die Ergebnisse berechnet und in die obengenannten Darstellungsformen gebracht. Sowohl die ROC-Kurve wie auch das Histogramm wurden aufgrund eines zur Verfügung gestellten Excel-Rechners ermittelt. Die Ergebnisse wurden aufbereitet und im Rahmen von Interviews mit sämtlichen Partnern besprochen. Aus den Erkenntnissen und durch das Zeitgeschehen im Rahmen der Finanzkrise mit der überall genannten Kreditklemme hat sich die Frage ergeben, ob die Overrides einen Einfluss auf dieses Phänomen nehmen würden. Somit wurden alle Partner angefragt, ob sie die Ratingvorgänge in derselben Form für die Zeit von Oktober 2008 bis März 2009 zur Verfügung stellen können. Parallel dazu wurden weitere Banken angefragt, ob sie für einen „Out-of-the-Sample“-Test zur Verfügung stünden. 6. Phase: Prüfung der Regeln und Modelle im Anwendungszusammenhang Ende April 2009 wurde neben den Banken für die „Out-of-the-Sample“-Tests die ZKB noch einmal bezüglich einer Teilnahme angesprochen. Hintergrund war, dass der Rückschluss auf die einzelnen Banken bei den Grossbanken (CS, UBS) nicht gesichert war: Gewisse Institute müssen alleine schon aufgrund der ähnlichen Kurvenverläufe beim Ratingvergleich RSN-Kunden sein – somit wäre bei der Besprechung der vergleichenden Ergebnisse mit der einen Grossbank erkennbar, welches die andere Grossbank sein muss. Dieses Manko konnte mit der Teilnahme einer weiteren „Grossbank“ (zumindest aus Sicht der Kreditgewährung an Firmenkunden in der Schweiz) eliminiert werden. Die ZKB hat sich aufgrund der bisher erzielten Ergebnisse (die mit Genehmigung der bisherigen Teilnehmer offengelegt werden durften) entschlossen, ebenfalls an der Studie teilzunehmen. Um die ZKB nicht als Institut 8 aufnehmen zu müssen, wurde die Nummerierung der Institute neu vorgenommen. Bis Ende Mai 2009 hat die ZKB ihre Daten übermittelt, womit schlussendlich über 150‘000 Ratingvorgänge für die Studie vorgelegen haben. Bis Mitte Juni 2009 wurden die ZKB-Daten in derselben Art und Weise wie die der anderen Banken kontrolliert, verarbeitet und ausgewertet. Ebenfalls im Juni 2009 wurden die Ergebnisse mit der ZKB besprochen. Zudem wurde die ZKB angefragt, ob sie die Daten für das oben definierte Zeitfenster der Finanzkrise ebenfalls einreichen könne. Da zu dieser Zeit schon sehr viel Wissen zum Thema Ratingsysteme entstanden war, wurden die weiteren Einflussfaktoren beim Aufbau bzw. Betrieb eines Ratingsystems angegangen: Da alle grossen Institute SAS im Einsatz haben, wurde mit SAS ein Termin zur Vorstellung ihres Systems abgehalten; 130 Systembasierte Ratings und Overrides Da alle Institute ihre Ratingsysteme einer Revision unterziehen müssen, wurde mit Vertretern von Bankrevisions- und Treuhand AG, Ernst & Young, KPMG und PWC ein Austausch zum Thema Revisionsanforderungen geführt Da die Einführung von Software bei Banken im Vergleich mit der „normalen Industrie“ spezielle Anforderungen stellt, wurde mit Projektleitern, die sowohl die Finanz- als auch die „normale Industrie“ kennen, der Unterschied in der Projektführung diskutiert. Schlussendlich wurde versucht, die Ergebnisse dieser Arbeit bezüglich Trennschärfengewinn mit weiteren Banken (Out-of-the-Sample) abzustimmen. RSN hat die gefundenen Erkenntnisse auch für die anderen Banken gemacht, die ihrem Pool angeschlossen sind. Die BCV hat bestätigt, dass Overrides auch bei ihr zu einem Trennschärfengewinn führen. Die BEKB hat unter Hinweis auf die sehr kleine Basis an Krediten für Firmenkunden mitgeteilt, dass ihr Ratingsystem eine Ratingempfehlung darstelle, das dem Kundenberater als Hilfestellung diene. Somit standen am Ende der 6. Phase die mit weiteren Banken hinterfragten und erhärteten Ergebnisse zur Verfügung. 7. Phase: Beratung der Praxis Die Erkenntnisse dieser Arbeit sollen in die Praxis zurückfliessen. Einerseits haben gewisse Banken anhand der Ergebnisbesprechung bereits einen Handlungsbedarf erkannt. Weiter bringt der Vergleich der einzelnen Banken (vor allem auch der Vergleich der fünf Banken auf dem RSN System) interessante Erkenntnisse. Schlussendlich aber sollen die Ergebnisse auch dazu dienen, Fragen aus dem aktuellen Zeitgeschehen zu beantworten. In Kapitel 6 wird daher auf drei konkrete Themen eingegangen: 1. Die Banken haben keine Freude an einer hohen Override-Quote, da diese per se auf Systemschwächen hinweise. In Kapitel 6.1 wird der Frage nachgegangen, ob es wirklich sinnvoll ist, Overrides einzuschränken; dies vor allem unter dem Gesichtspunkt der Ergebnisse dieser Arbeit. 2. Die Wirtschaft spricht von einer Kreditklemme. Die Banken – inklusive Nationalbank – verneinen deren Vorhandensein. Im Kapitel 6.2 wird aufgearbeitet, was die Wirtschaft unter Kreditklemme versteht und wie Overrides diese Wahrnehmung beeinflussen könnten. Aufgrund der Analyse der zusätzlichen Daten von Ratingvorgängen nach Ausbruch der Finanzkrise, die von einigen Instituten zur Verfügung gestellt wurden, wird ein allfälliger Einfluss dargelegt. 3. Schlussendlich wird die Antwort der Politik zur Behebung der Kreditklemme, die kurzfristige Etablierung einer Postbank light, in Kapitel 6.3 diskutiert. Es wird anhand der Ergebnisse dieser Arbeit darauf eingegangen, ob die Argumente der bestehenden Banken gegen eine Postbank light standhalten. Empirische Analysen von Overrides 131 In den nächsten Kapiteln werden nun diese Ergebnisse dargestellt. Für jedes einzelne Institut werden folgende Werte beschrieben: In Form eines Ratingvergleichs, der aufzeigt, wie viel % der Kreditkunden auf die einzelnen Ratingklassen durch das System zugeteilt wurde (berechnetes Rating) und wie die Verteilung nach den Overrides aussieht (bewilligtes Rating). Zur Wahrung der Anonymität werden die Klassenanteile als kontinuierliche Verteilung dargestellt: somit ist nicht rückschliessbar, wie viele Ratingklassen die einzelne Bank hat. Mittels der Darstellung der Klassenverschiebung in Form eines Histogramms. Zu jeder Bank wird ausgewiesen, wie hoch die durchschnittliche Klassenverschiebung (µ) und die Streuung dieser Verschiebungen (δ) ist. Durch die ROC-Kurve und der Fläche unter der ROC-Kurve. Für jede Bank wird dargestellt, welche Trennkraft das Ratingsystem hat (berechnetes Rating) und wie diese Trennkraft durch Overrides beeinflusst wurde (bewilligtes Rating). Anhand spezieller Tests wird ermittelt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die beiden Kurven identisch sind. Im Sinne dieser Arbeit und der gesuchten Unterschiede der beiden Werte gilt die Wahrscheinlichkeit umso höher, je dieser Wert tief ist. Anhand der Effekte aus den Overrides. Die Ausfälle (Defaults) aus Upgrades (Ratingverbesserungen) und Downgrades (Ratingverschlechterungen) werden der Anzahl Up- und Downgrade-Vorgängen gegenübergestellt. So wird erkennbar, wie die Klassenverschiebungen zu ihren Ausfällen stehen: Wenn z.B. der relative Anteil der Ausfälle aus Ratingverbesserungen höher ist als der relative Anteil der Anzahl Ratingverbesserungen, muss davon ausgegangen werden, dass ein Teil dieser Ratingverbesserungen nicht gerechtfertigt war. Als Ideal kann definiert werden, wenn im Vergleich „relativer Anteil Verschiebungen“ zu „relativer Anteil an Ausfällen“ weniger Ausfälle aus Upgrades und mehr Ausfälle aus Downgrades stattfinden. Aus Gründen der Lesefreundlichkeit wird der Vergleich über alle Institute vorab angestellt. 5.2 Institutsvergleiche Bei den dargestellten Instituten handelt es sich um 8 unabhängige Banken. 5 dieser Banken verwenden dasselbe Ratingsystem. Die Analyse der Overrides sämtlicher Institute hat untenstehende Abweichungen ergeben. Die hellen Flächen zeigen die Verteilung der Klassenabweichungen (min bis max), die dunklen Flächen zeigen die dazugehörige Streuung (µ - δ bis µ+δ). 132 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 38: Klassenabweichungen Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Es ist gut erkennbar, wie die Banken 2 und 6 eine grosse Spanne (beide von -7 bis +8 und somit 15 Ratingklassen) beanspruchen, währendem die Bank 8 „nur“ 9 (von -5 bis +4) Klassen in Anspruch nimmt. Mit der Streuung (±1 Standardabweichung) verhält es sich ähnlich: Die Bank 2 nimmt eine relative hohe Spanne ein, während wiederum die Bank 8 sehr schmal um ihren Durchschnitt herum abweicht. Bei der Gesamtabweichung übertreffen nur die Banken 2 und 3 eine ganze Ratingklasse. Alle anderen Banken bleiben in der Spanne ±1 Klasse, wobei die Bank 7 mit 0.007 Klassen deutlich am wenigsten abweicht. Bei den Klassenabweichungen ist interessanterweise keine Differenzierung auf Basis des Ratingsystems erkennbar, d.h., es ist aufgrund der Klassenverschiebungen nicht erkennbar, welche 5 Banken mit demselben Ratingsystem arbeiten. Einzig die Bank 8 scheint sich durch die schmale Spanne (sowohl bei Minimal-Maximal als auch bei der Standardabweichung) von den anderen Instituten deutlich zu differenzieren. Ansonsten fallen höchstens die Banken 6 und 7 minimal durch eine im Vergleich leicht tiefere Standardabweichung auf – mehr Unterschiede können nicht gefunden werden. Bei der Betrachtung der einzelnen Ratingsysteme steht im Zentrum, ob aufgrund des Overrideverhaltens diejenigen Banken, die dasselbe System im Einsatz Empirische Analysen von Overrides 133 haben, ein gleichartiges Verhalten aufweisen, währendem diejenigen Banken, die andere Systeme verwenden, ein abweichendes Verhalten aufzeigen. Nach den Ausführungen über die Klassenverschiebungen ist es interessant, das Ausmass der Overrides genauer anzuschauen. Bei der Bank 2 werden wir sehen, dass der Ratingvergleich zwei nahezu identische Kurven zeigt. Wenn wir den Overrideanteil mit 5.9 % anschauen, ist das nicht weiter erstaunlich. Grund für diesen tiefen Anteil sind organisatorische Override-Schranken. „Ausreisser“ nach oben ist die Bank 1 mit einem Overrideanteil von über 56%. Der Zugewinn an Trennschärfe ist mit 6.9 % der Dritthöchste aller teilnehmenden Banken, womit zumindest das Resultat eine Rechtfertigung darstellt. Mit Ausnahme der Bank 2 liegen alle Banken über der im Rahmen der aktuellen Forschung genannten Schranke von 25 %178. Die Hälfte dieser Overrides ist auf ±1 Ratingklasse zurückzuführen. Daher macht es Sinn, die Auswirkung dieser fein-tunenden Ratingverschiebung auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Aus Sicht der Banken, die Overrides generell eindämmen möchten, könnte diese Analyse, die in Kapitel 6.1 erfolgt, aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Wie schon bei den Klassenabweichungen kann beim Overrideanteil kein Unterschied zwischen den Systemen ausgemacht werden. Daraus darf geschlossen werden, dass der Overrideanteil nicht durch das System getrieben wird, sondern eher organisatorischen Auflagen unterliegt. Im nächsten Schritt wurden die AUROC verglichen. Man sieht, dass alle Systeme eine AUROC von über 70 % aufweisen. Aus der Optik dieser Trennschärfe kann festgehalten werden, dass sämtliche Institute eine Erhöhung durch Overrides erreichen. Diese Erhöhung ist nicht für alle Banken statistisch signifikant, da entweder die beiden Werte zu nahe beieinander liegen oder aber die Datenbasis zu klein ist. Aus Sicht der Praktiker ist eine Differenz signifikant, wenn der Standardfehler kleiner ist, als die Differenz selbst179. 178 179 Martin M. (2007) S. 214ff Interview Heusler M. (2009) 134 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 39: ROC berechnet vs. bewilligt Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die absolut höchste Trennschärfe nach Overrides wird durch die Bank 8 erreicht, gefolgt von den Banken 4 und 7. Am unteren Ende finden sich die Banken 1, 5 und 6 wieder. Wird wiederum die Betrachtung der Ratingsysteme angestellt könnte aufgrund der Trennschärfen-Analyse kein Rückschluss auf das Ratingsystem gemacht werden. Somit lässt sich die unterschiedliche Trennschärfe im berechneten Rating nur auf unterschiedliche Kundenportfolios (andere Branchenstrukturen, regionale Einflüsse, Risikoprofile und -Richtlinien, etc.) zurückführen. Schlussendlich wurden aufgrund der erhaltenen Daten die Institute in Bezug auf ihre Reduktion der Alpha- und Beta-Fehler überprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass aufgrund des Systems ebenfalls keine Muster erkennbar sind. Aufgrund der erhaltenen Daten konnte nur geprüft werden, inwieweit die Einflüsse auf Alpha- und BetaFehler erkennbar sind (ist der Anteil Defaults aus Upgrades ebenso gross wie der Anteil Upgrades an allen Ratingvorgängen – und genauso bezüglich Downgrades). Tabelle 11: Zusammenfassung Alpha- und Beta-Fehler Quelle: eigene Darstellung Empirische Analysen von Overrides 135 In obiger Tabelle ist ersichtlich, welche Bank wenige (-) bzw. viele (--) Fehler erhöht respektive wenige (+) bzw. viele (++) Fehler reduziert. Daraus kann die vermutete (und keinesfalls wissenschaftlich erhärtete) allfällige Kompensation durch die korrekte Reduktion von Beta-Fehlern bei überlebenden Kreditkunden abgeleitet werden. Dies, weil Alpha-Fehler bei überlebenden Kreditkunden in der ROC nicht erkennbar sind und eine Reduktion der Alpha-Fehler bei ausfallenden Kreditkunden einer Kreditablehnung gleichkommt, was im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet wird. 5.3 Resultate Institut 1 Abbildung 40: Ratingvergleich Institut 1 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 1 sind zwei signifikante Verschiebungen ersichtlich: Einerseits werden viele sehr gute Ratings nicht beibehalten, sondern durch Overrides verschlechtert, andererseits werden einige der schlechten Kunden durch Overrides verbessert. Gemäss obiger Verteilung scheinen aber die ehemals guten Ratings in der besseren Hälfte zu bleiben, wahrend die riskant eingestuften Kreditnehmer in der schlechteren Hälfte verbleiben. Die Klassenverschiebung auf der nächsten Grafik stützt diese Annahme. Aufgrund der Diskussion ist das erste Maximum in der Verteilung auf diejenigen Unternehmen zurückzuführen, welche zum Stichtag eine unbenutzte Limite aufweisen. Dies, da fehlendes kurzfristiges Fremdkapital in der Scorecard stark gewichtet wird, was bei solventen Unternehmen zu einem Korrekturbedarf führt. Die hohen Werte der Liquiditätskennzahlen können im Modell zu einer Unterschätzung des Risikos führen, was in den jeweiligen Fällen durch Übersteuerungen korrigiert wird. 136 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 41: Klassenverschiebung Institut 1 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Klassenverschiebungen bei der Bank 1 zeigen ein Bild, das wir in der Folge noch öfter sehen werden. Die Verschiebung findet im Wesentlichen um eine Klasse besser oder schlechter statt. Die Verschiebung um zwei Klassen hat im Vergleich immer noch ein deutlich erkennbares Ausmass, wobei die Tendenz zu einer Ratingverschlechterung („Downgrades“ genannt) geht, das heisst, die Ratingverschlechterungen bei zwei Ratingklassen höher sind als die -verbesserungen. Der Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen liegt bei -0.246 Ratingklassen mit einer Standardabweichung von 1.972 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -2.218 bis +1.726 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -6 Ratingklassen („Notches“ genannt) bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen („Upgrades“) betragen +7 Ratingklassen bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Anhand obiger Darstellung weist die Bank 1 keine Auffälligkeiten in Bezug auf Upund Downgrade-Verhalten bei den Overrides auf. Empirische Analysen von Overrides 137 Abbildung 42: ROC Institut 1 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Der Effekt auf die Trennschärfe wird mit obiger Grafik bereits von Auge sichtbar. Die Overrides haben eine Erhöhung der Trennschärfe herbeigeführt. Statistisch gesehen, wurde die AUROC von 71.72 % auf 78.62 % erhöht. Diese Erhöhung von 6.90 % ist im Vergleich zu den anderen Banken im oberen Bereich anzusiedeln. Standardfehler 4.14 % und somit signifikant für Praktiker180 Z-Wert -1.6670 und somit signifikant auf dem 80 % Konfidenzniveau P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 4.78 % Die statistische Überprüfung der beiden ROC-Kurven hat ergeben, dass sie signifikant unterschiedlich sind. Interessant an obiger Betrachtung ist neben den statistischen Auswertungen, dass vor allem die Verschiebung der sehr guten gerateten Kreditkunden zu einer Verbesserung der Trennschärfe geführt hat, was selbst optisch erkennbar ist. 180 Aus Sicht der involvierten Banken ist die Differenz für die Praxis signifikant, wenn sie grösser als 1.0 Standardfehler ist. 138 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 43: Alpha- und Beta-Fehler Institut 1 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Der Anteil der Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 1 kleiner als der Anteil der Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades in zu hohem Ausmass vorgenommen wurden, d.h, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde erhöht. Das entspricht einer Erhöhung der Alpha-Fehler (zu gute Einschätzung des Kreditkunden und somit zu tiefe Belastung von Risikokosten). Im Idealfall sollten aus Upgrades möglichst wenige Ausfälle entstehen. Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist grösser als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies deutet auf ein ungerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko in den tieferen Ratingklassen wurde gesenkt. Dies entspricht einer Erhöhung des Beta-Fehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 1 kann festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Upgrades der nicht ausgefallenen Kreditnehmern kommt, die obige Fehler überkompensieren. Empirische Analysen von Overrides 139 5.4 Resultate Institut 2 Abbildung 44: Ratingvergleich Institut 2 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Bank 2 zeigt ein erstaunliches Bild: Die berechneten und die bewilligten Ratings scheinen deckungsgleich. Es sind höchstens minimale Abweichungen erkennbar, was auf einen tiefen Anteil an Overrides hindeutet und auch so durch die Zahlen bestätigt wird: Die Override-Quote beträgt 5.9 % und ist somit mit grossem Abstand am tiefsten für alle beobachteten Banken (der zweittiefste Wert ist 25.9 % und der Rest der Banken verteilt sich bis auf 56.45 %). Eine Nachfrage hat ergeben, dass die Bank 2 organisatorische Hürden für Overrides geschaffen hat, damit möglichst wenig Fein-tuning passiert. So muss ein Override schriftlich beantragt und von der Leitung genehmigt werden. Diese Massnahme lässt natürlich jeden Kundenberater zweimal überlegen, ob das Übersteuern auch wirklich notwendig ist. 140 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 45: Klassenverschiebung Institut 2 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 2 zeigen die Klassenverschiebungen ebenfalls eine Häufung im Bereich ± 1 Ratingklasse. Erstaunlich ist der hohe Anteil an grossen positiven Klassenverschiebungen, was im Rahmen dieser Studie einmalig ist. Man ist geneigt zu sagen, „Wenn schon ein Antrag für einen Override geschrieben werden muss, dann muss es sich auch lohnen“. Der Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen liegt bei +1.375 Ratingklassen mit einer Standardabweichung von 3.217 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -1.842 bis +4.592 Ratingklassen. Dieser Durchschnitt ist der höchste innerhalb aller untersuchten Institute. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -7 Ratingklassen und entsprechen dem Maximum aller Institute. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +8 Ratingklassen und entsprechen ebenfalls dem Maximum aller Institute. Anhand obiger Darstellung weist die Bank 2 sicherlich die grösste Auffälligkeit aller Teilnehmer in Bezug auf die gesamte Klassenverschiebung und auf den hohen Anteil an Klassenverschiebungen mit grossem Ausmass auf. Empirische Analysen von Overrides 141 Abbildung 46: ROC Institut 2 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Der Effekt auf die Trennschärfe wird mit obiger Grafik ebenfalls von Auge sichtbar. Die Overrides haben eine Erhöhung der Trennschärfe herbeigeführt. Statistisch gesehen, wurde die AUROC von 75.25 % auf 80.39 % erhöht. Diese Erhöhung von 5.14 % ist im Vergleich zu den anderen Banken im oberen Mittelfeld anzusiedeln. Standardfehler 3.58 % und somit signifikant für Praktiker Z-Wert -1.4374 und somit signifikant auf dem 80 % Konfidenzniveau P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 7.53 % Wie schon bei der Bank 1 hat auch bei der Bank 2 die statistische Überprüfung der beiden ROC-Kurven ergeben, dass sie signifikant unterschiedlich sind. Interessant an obiger Betrachtung ist neben den statistischen Auswertungen, dass es im Bereich der sehr guten gerateten Kreditkunden keine Ausfälle gegeben hat (vgl. mit anderen Banken, wie z.B. der Nummer 3). 142 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 47: Alpha- und Beta-Fehler Institut 2 Quelle: eigene Darstellung aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 2 grösser als der Anteil Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades gerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde nicht erhöht. Das entspricht einer Stabilisierung oder Senkung der Beta-Fehler (richtige Einschätzung des Kreditkunden und somit adäquate Belastung von Risikokosten). Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist deutlich tiefer als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies deutet auf ein absolut gerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in die tieferen Ratingklassen verschoben. Dies entspricht einer Reduktion des Alpha-Fehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 2 kann festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Up- und Downgrades der ausgefallenen sowie sicherlich aus dem richtigen Upgraden der nicht ausgefallenen Kreditnehmer kommt. Empirische Analysen von Overrides 143 5.5 Resultate Institut 3 Abbildung 48: Ratingvergleich Institut 3 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 3 ist ein ähnliches Bild wie bei Bank 1 zu sehen: Der höhere Ratinganfall im guten Bereich wird abgetragen. Während Bank 1 erheblich viele Kunden in Richtung „mittlere Bonitäten“ schiebt, wird bei der Bank 3 ein nicht unwesentlicher Teil im besagt guten Bereich belassen. Auch üblich ist das Verhalten am unteren Ende der Bonitäten: Viele schlechte Bonitäten werden verbessert, was einen Trend zur Mitte auslöst. Dieser Trend wird auch bei weiteren Banken überdeutlich zu sehen sein. Im Vergleich zu den anderen Banken hat die Bank 3 drei Ratinggruppen gebildet: gute, mittlere und – mit dem grössten Anteil der Kreditkunden – schlechtere Bonitäten. Die mittleren und schlechteren Bonitäten lassen auf das KMU-Segment schliessen, da dieses typischerweise in diesen Ratingklassen angesiedelt wird. 144 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 49: Klassenverschiebung Institut 3 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Klassenverschiebungen bei der Bank 3 sind dadurch auffällig, dass keine Häufung im Bereich ±1 Ratingklasse stattfindet. Meist wird um 2 Ratingklassen übersteuert und in der Tendenz eher positiv. Dies führt zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von +1.280 Ratingklassen (dem zweithöchsten Wert aller teilnehmenden Banken) mit einer Standardabweichung von 2.743 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -1.463 bis +4.023 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -4 Ratingklassen (der tiefste Wert aller Teilnehmer) bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +7 Ratingklassen bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Anhand obiger Darstellung weist die Bank 3 die beschriebene Auffälligkeit im Bereich der kleinen Klassenverschiebungen auf. Empirische Analysen von Overrides 145 Abbildung 50: ROC Institut 3 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Bank 3 erreicht mit den Ratingverschiebungen eine deutliche Erhöhung der Trennschärfe im Bereich der schlechteren Ratings. Durch den hohen Anteil an positiven Klassenverschiebungen muss davon ausgegangen werden, dass vor allem BetaFehler korrigiert wurden (zu schlecht geratete Kreditkunden). Statistisch gesehen, wurde die AUROC von 74.87 % auf 80.14 % erhöht. Diese Erhöhung von 5.27 % ist im Vergleich zu den anderen Banken im oberen Mittelfeld anzusiedeln (nahe bei der Bank 2). Standardfehler 9.75 % und somit auch für Praktiker nicht signifikant Z-Wert -5.403 und somit nicht einmal auf dem 68 % Konfidenzniveau signifikant P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 29.45 % Trotz der Erhöhung der AUROC von über 5 % ist die Differenz der beiden Werte nicht signifikant. Ein Hintergrund für die mangelnde Signifikanz ist die kleine Stichprobengrösse. 146 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 51: Alpha- und Beta-Fehler Institut 3 Quelle: eigene Darstellung aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 3 grösser, als der Anteil der Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades gerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde nicht erhöht. Das entspricht einer Stabilisierung oder Senkung der BetaFehler (richtige Einschätzung des Kreditkunden und somit adäquate Belastung von Risikokosten). Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist deutlich höher als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen (die null sind). Dies deutet auf ein mögliches ungerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in den tieferen Ratingklassen gesenkt. Dies entspräche einer deutlichen Erhöhung des Beta-Fehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 3 kann festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Upgrades der nicht ausgefallenen Kreditnehmer kommt. Empirische Analysen von Overrides 147 5.6 Resultate Institut 4 Abbildung 52: Ratingvergleich Institut 4 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Bank 4 weist ein nahezu identisches Profil von berechneten Ratings wie Bank 1 auf. Dies lässt vermuten, dass die beiden Banken ein ähnliches Kundenportfolio aufweisen. Bei den bewilligten Ratings zeigt sich aber der unterschiedliche Effekt der Overrides: Bank 1 hat eine erste Kumulation oberhalb und eine – deutlich grössere, eher steil nach unten abfallende – Kumulation unterhalb der Mitte erreicht. Bei der Bank 4 wurde die Anhäufung bei den guten Ratings etwas reduziert, indem eine zweite Anhäufung von Kreditkunden unterhalb der Mitte generiert wurde. Diese wiederum fällt im Vergleich zu den anderen Banken ziemlich flach ab. Ebenfalls schön zu sehen ist die bei fast allen Instituten vorhandene Verbesserung der schlechten Ratingklassen, was die Kumulation unterhalb der Mitte noch etwas stärkt. 148 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 53: Klassenverschiebung Institut 4 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Klassenverschiebungen bei der Bank 4 sind dadurch auffällig, dass sich die meisten Overrides um eine Klasse verbessern. Mehr als eine Klasse wird fast nie verbessert, während bei den Verschlechterungen eine nahezu linear abnehmende Tendenz erkennbar ist. Dies führt zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von +0.007 Ratingklassen (dem tiefsten Wert aller teilnehmenden Banken) mit einer Standardabweichung von 2.024 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -2.017 bis +2.031 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -6 Ratingklassen bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +7 Ratingklassen bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Anhand obiger Darstellung weist die Bank 4 die erwähnte Auffälligkeit durch die wenigen positiven Klassenverschiebungen > 1 Klasse auf und durch den Mittelwert von nahezu null. Empirische Analysen von Overrides 149 Abbildung 54: ROC Institut 4 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 4 wird mit den Ratingverschiebungen eine Erhöhung der Trennschärfe im Bereich der schlechteren Ratings erzielt. Interessant ist, dass bis zu den guten Ratingklassen (oberstes Viertel der Kunden) Ausfälle zu verzeichnen sind. Statistisch gesehen, wurde die AUROC von 79.66 % auf 83.84 % erhöht. Diese Erhöhung von 4.18 % ist im Vergleich zu den anderen Banken im Mittelfeld anzusiedeln. Standardfehler 3.70 % und somit auch für Praktiker signifikant Z-Wert -1.1285 und somit signifikant auf dem 68 % Konfidenzniveau P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 12.96 % Wie bei der Bank 3 ist auch bei der Bank 4 die Differenz der Trennschärfe mit oder ohne Override zwar gegeben, aus statistischer Sicht aber nicht (Bank 3) bzw. bedingt (Bank 4) signifikant. Aus Sicht der Praktiker ist durch die Tatsache, dass die Differenz kleiner ist als der Standardfehler, ein signifikanter Unterschied vorhanden. 150 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 55: Alpha- und Beta-Fehler Institut 4 Quelle: eigene Darstellung aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 4 analog der Bank 1 kleiner als der Anteil Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades in zu hohem Ausmass vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde erhöht. Das entspricht einer Erhöhung der AlphaFehler (zu gute Einschätzung des Kreditkunden und somit zu tiefe Belastung von Risikokosten). Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist – ebenfalls analog Bank 1 – ungleich grösser als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies deutet auf ein ungerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko in den tieferen Ratingklassen wurde gesenkt. Dies entspricht einer Erhöhung des BetaFehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 4 kann auch festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Upgrades der nicht ausgefallenen Kreditnehmer kommt, die obige Fehler wiederum überkompensieren. Empirische Analysen von Overrides 151 5.7 Resultate Institut 5 Abbildung 56: Ratingvergleich Institut 5 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bank 5 reiht in das übliche Bild mit der Reduktion der guten Bonitäten ein. Ähnlich wie Bank 3 wurden auch drei Anhäufungen von Kunden geschaffen: gute Bonitäten, mit einer Kumulation im oberen Drittel, eher schlechte und schlechte Bonitäten (beide in der unteren Hälfte der Ratingskala). Im Vergleich zur Bank 4 sind die schlechten Bonitäten nicht langsam abnehmend, sondern konzentrieren sich noch einmal kurz vor der schlechtesten Ratingklasse. Es ist auch klar ersichtlich, dass die vom System als schlecht deklarierten 10 % der Kreditkunden zu Gunsten besserer Ratingklassen nahezu halbiert worden sind. 152 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 57: Klassenverschiebung Institut 5 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Bank 5 zeigt wieder das typische Muster mit dem hohen Anteil im Bereich ±1 Ratingklassen. Im Bereich von 2 Ratingklassen Abweichung überragen die positiven Verschiebungen. Dies führt zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von +0.365 Ratingklassen mit einer Standardabweichung von 1.859 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -1.494 bis +2.224 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -6 Ratingklassen bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +6 Ratingklassen bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Bank 5 weist anhand der obigen Darstellungen das erwartete Bild mit einem hohen Anteil an Ratingverschiebungen im Bereich ±1 Klasse auf. Ansonsten ist die Klassenverschiebung mehr oder minder unauffällig. Empirische Analysen von Overrides 153 Abbildung 58: ROC Institut 5 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Obige Grafik lässt von Auge erkennen, dass keine grosse Verbesserung durch Overrides erzielt wurde. Im Bereich der schlechten Ratings scheinen durch die Overrides sogar noch weitere Verschlechterungen vorgenommen worden zu sein. Statistisch schlägt sich das durch die minimale Erhöhung der AUROC von 74.09 % auf 75.82 % nieder, was für das bewilligte Rating den schlechtesten Wert aller Banken darstellt. Diese Erhöhung von 1.73 % ist denn auch im Vergleich zu den anderen Banken am untersten Ende anzusiedeln. Standardfehler Z-Wert 7.00 % und somit auch für Praktiker nicht signifikant -0.2473 und somit auch auf dem 68 % Konfidenzniveau nicht signifikant P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 40.23 % Trotz des schwachen Trennschärfengewinns und auch der kleinen Anzahl Beobachtungen kann zwar eine Erhöhung der Trennschärfe erkannt werden, sie ist aber, wie schon bei der Bank 3, weder aus praktischer noch aus statistischer Perspektive signifikant. 154 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 59: Alpha- und Beta-Fehler Institut 5 Quelle: eigene Darstellungen aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 5 wie schon bei der Bank 1 und 4 kleiner als der Anteil der Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades ungerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde durch die Overrides erhöht. Das entspricht einer Steigerung der Alpha-Fehler, womit keine adäquate Belastung von Risikokosten stattgefunden hat. Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist deutlich höher als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen (die wie bei der Bank 3 null sind). Dies deutet auf ein ungerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in die tieferen Ratingklassen wurde gesenkt. Dies entspräche wiederum einer deutlichen Erhöhung des Beta-Fehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 5 kann festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus dem richtigen Upgraden der nicht ausgefallenen Kreditnehmer kommen muss. Auch bei der Bank 5 werden damit obige Fehler überkompensiert. Empirische Analysen von Overrides 155 5.8 Resultate Institut 6 Abbildung 25: Ratingvergleich Institut 6 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 6 zeigt sich wiederum ein spannendes Bild: Es gibt eine Kumulation im Bereich der mittleren Bonitäten. Diese Kumulation ist gemäss Aussage der Bankenvertreter auf die hohe Anzahl der gewährten Kredite an Mittelstandsunternehmen zurückzuführen. Typische Mittelstands-Kunden sind auf einer Zehnerskala in den Klassen 5 bis 8 zu finden. Der in der Bankenwelt beobachtete „Trend zur Mitte“ mit den Verschlechterungen der guten Kreditkunden und der Verbesserung der schlechten Kreditkunden ist auch bei der Bank 6 sehr gut zu erkennen. 156 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 61: Klassenverschiebung Institut 6 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Es erstaunt nicht, dass die Klassenverschiebung dem Trend ±1 Ratingklasse entspricht (die Auswirkung dieser eher fein-tunenden Verschiebung wird in Kapitel 6.1 explizit untersucht). Die Verschiebungen führen zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von -0.199 Ratingklassen (dem zweittiefsten Wert aller teilnehmenden Banken) mit einer Standardabweichung von 1.678 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -1.876 bis +1.479 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -7 Ratingklassen (der höchste Wert aller Teilnehmer) bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +8 Ratingklassen (ebenfalls der höchste Wert aller Teilnehmer) bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Die obige Darstellung zeigt, neben der hohen Konzentration im Bereich ±1 Ratingklassen, die doch grosse Spanne an Overrides. Empirische Analysen von Overrides 157 Abbildung 62: ROC Institut 6 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Analog der Bank 5 wurden bei der Bank 6 im Bereich der schlechten Ratings durch die Overrides Verschlechterungen der Trennkraft vorgenommen. Dies mag die Auswirkung von ungerechtfertigten manuellen Beta-Fehlern sein (manuelle Ratingverschlechterung, die nicht gerechtfertigt scheint). Eine Rücksprache mit der Bank hat ergeben, dass im Bereich der tiefen Ratings bereinigte Ausfälle (Eliminierung der Alphafehler durch Umklassierung in die Ausfallklassen), zu diesem ROC-Verlauf führen. Statistisch schlägt sich das durch die minimale Erhöhung der AUROC von 76.44 % auf 78.54 % nieder. Diese Erhöhung von 2.10 % ist auch im Vergleich zu den anderen Banken am unteren Ende anzusiedeln, aber wie erwähnt beeinflusst durch die Umklassierungen: Standardfehler Z-Wert 2.36 % und somit auch für Praktiker nicht signifikant -0.8911 und somit auch auf dem 68 % Konfidenzniveau nicht signifikant P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt 18.64 % Es kann zwar eine Erhöhung der Trennschärfe erkannt werden. Sie ist aber, wie schon bei den Banken 3 und 5, weder aus praktischer noch aus statistischer Perspektive signifikant. Aus oben beschriebenen Einschränkungen sind die Ergebnisse in den untersten Ratingklassen mit Vorsicht zu interpretieren. 158 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 63: Alpha- und Beta-Fehler Institut 6 Quelle: eigene Darstellung anhand eigener Erhebung Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 6 kleiner als der Anteil Ausfälle aus diesen Upgrades. Damit reiht sich Bank 6 in ein bekanntes Bild von anderen Banken ein. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades ungerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde durch die Overrides deutlich erhöht. Das entspricht einer Steigerung der Alpha-Fehler, womit keine adäquate Belastung von Risikokosten stattgefunden hat. Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist leicht tiefer als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies wiederum deutet auf ein gerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in die höheren Ratingklassen gesenkt. Dies entspricht einer kleinen Senkung des Alpha-Fehlers. Ein Blick auf die zu Beginn flach verlaufende ROC-Kurve lässt dies vermuten, dass die Steigerung der Alpha-Fehler durch Upgrades einen nicht unerheblichen Einfluss auf diesen Kurvenverlauf nimmt. Empirische Analysen von Overrides 159 5.9 Resultate Institut 7 Abbildung 64: Ratingvergleich Institut 7 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Analog der Bank 6 weist auch die Bank 7 einen grossen Trend zur Mitte auf. Noch viel mehr als die anderen Banken werden schlecht beurteilte Kreditkunden durch Overrides besser eingestuft. Durch diese manuellen Eingriffe verbleiben nur noch sehr wenige Kunden in den schlechten Ratingkategorien. Es ist zu hinterfragen, inwiefern diese Anpassungen aus Bonitätsüberlegungen getroffen wurden bzw. inwieweit Preisgedanken eingeflossen sind: Das Rating beeinflusst bekanntlich die Risikokomponente im Kreditpreis und somit den Zinssatz des gewährten Kredits. Aus diesen Überlegungen werden Ratinganpassungen mit dem Ziel einer Zinssatzkorrektur vorgenommen. Dieser Aspekt wird im Kapitel 6.1 noch einmal explizit aufgegriffen, da Overrides zur Schaffung von wettbewerbsfähigen Kreditkosten nicht im Sinne des Erfinders bzw. im Interesse der Bank sein können. 160 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 65: Klassenverschiebung Institut 7 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Die Klassenverschiebungen bei der Bank 7 lösen das Déjà-vu-Erlebnis aus. Wie bei den meisten Instituten kumulieren sich die Overrides um die ±1 Ratingklasse. Nur noch beim Institut 8 sind ähnlich tiefe Werte für die Verschiebung von 2 Ratingklassen erkennbar. Dies führt zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von +0.574 Ratingklassen mit einer Standardabweichung von 1.376 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -0.802 (dem tiefsten Wert aller Institute) bis +1.950 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -5 Ratingklassen bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +8 Ratingklassen (der höchste Wert aller Institute) bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Anhand der obigen Darstellung sind keine weiteren Auffälligkeiten ausser dem tiefen Wert bei den Abweichungen ±2 Ratingklassen zu erkennen. Empirische Analysen von Overrides 161 Abbildung 66: ROC Institut 7 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 7 haben die Overrides der schlechten Ratings zur Verbesserung der Trennkraft geführt. Zusammen mit der Bank 8 wurde der höchste Trennkraftgewinn durch Overrides realisiert. Statistisch schlägt sich das in der deutlichen Erhöhung der AUROC von 75.84 % auf 84.19 % nieder. Diese Erhöhung von 8.35 % ist dann auch im Vergleich zu den anderen Banken am obersten Ende anzusiedeln. Standardfehler 0.0120 % und somit für Praktiker signifikant Z-Wert -6.5537 und somit auf dem 97.5 % Konfidenzniveau signifikant P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt weniger als 0.0001 % Durch die Overrides wurde eine deutliche Zunahme der Trennschärfe erzielt. Sie ist sowohl für Praktiker als auch aus statistischer Optik hoch signifikant. 162 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 67: Alpha- und Beta-Fehler Institut 7 Quelle: eigene Darstellung aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 7 grösser, als der Anteil Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades gerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde nicht erhöht. Das entspricht einer Stabilisierung oder Senkung der Beta-Fehler (richtige Einschätzung des Kreditkunden und somit adäquate Belastung von Risikokosten). Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist tiefer als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies deutet auf ein gerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in die tieferen Ratingklassen verschoben. Dies entspricht einer Reduktion des Alpha-Fehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 7 kann, wie bei der Bank 2, festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Up- und Downgrades der ausgefallenen sowie sicherlich aus dem richtigen Upgraden der nicht ausgefallenen Kreditnehmer kommt. Empirische Analysen von Overrides 163 5.10 Resultate Institut 8 Abbildung 68: Ratingvergleich Institut 8 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Auch die Bank 8 reiht sich als letztes Institut mit einem Trend zur Mitte ein. Interessanterweise gibt es aber nicht eine grosse Kumulation der Kreditnehmer im mittleren Umfeld, sondern eine Segmentierung. Es scheint, als würden „bessere Mittelständler“ (knapp ein Fünftel aller Kreditkunden) und „schlechtere Mittelständler“ (knapp ein Viertel aller Kreditkunden) unterschieden. Nimmt man noch die AUROC der bewilligten Ratings der Bank 8 hinzu (die den absoluten Spitzenplatz der untersuchten Banken einnimmt), dann scheint diese differenzierte, vom System berechnete Segmentierung (ebenfalls Spitzenplatz aller untersuchten Banken) eine sehr hohe Wirkung zu entfalten. Auffällig ist, dass die wenigen sehr guten Kreditkunden zu einem deutlichen Anteil über Overrides in schlechtere Ratingklassen korrigiert wurden. 164 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 69: Klassenverschiebung Institut 8 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Was bei der Bank 8 auffällt, ist – neben dem erwarteten und nun mehrfach gesehenen Trend bezüglich einer Ratingklassen-Abweichung – die kleine Verteilung der Abweichungen, die mehr oder minder von -3 bis +2 Ratingklassen geht. Dies führt dann zu einem Durchschnitt aller manuellen Übersteuerungen von -0.352 Ratingklassen mit einer Standardabweichung von nur 0.889 Ratingklassen. Somit liegen 68.3 % der Overrides in der Spanne von -1.241 bis +0.537 Ratingklassen. Die grössten Ratingverschlechterungen betragen -5 Ratingklassen bei einem Maximum aller Institute von -7 Klassen. Die grössten Ratingverbesserungen betragen +4 Ratingklassen (der absolut tiefste Wert aller teilnehmenden Banken) bei einem Maximum von +8 Klassen bei allen Instituten. Die Darstellung zeigt die enge Spanne, in der im Institut 8 die Overrides vorgenommen werden. Der Anteil an Ratingvorgängen mit einer Klassenverschiebung von 1 Ratingklasse ist bei dieser Bank mit über 50 % am ausgeprägtesten von allen Banken. Empirische Analysen von Overrides 165 Abbildung 70: ROC Institut 8 Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Bei der Bank 8 ist das Zusammenspiel des Ratingsystems mit den Kundenberatern bzw. Kreditspezialisten am erfolgreichsten: Das berechnete Rating weist bereits die höchste AUROC aus. Der Zugewinn durch die Overrides ist aber auch an der Spitze der Beobachtungen. Statistisch schlägt sich das durch die höchste gerechnete AUROC von 82.82 % mit einer Erhöhung auf 91.69 % nieder, was eine Verbesserung von 9.169 % ist. Standardfehler 0.0149 % und somit für Praktiker signifikant Z-Wert -5.9730 und somit auf dem 97.5 % Konfidenzniveau signifikant P-Wert Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Kurven identisch sind, beträgt weniger als 0.0001 % Die Bank 8 weist die höchsten Werte im Bereich des berechneten und des bewilligten Ratings auf. 166 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 71: Alpha- und Beta-Fehler Institut 8 Quelle: eigene Darstellung aufgrund eigener Erhebungen Der Anteil Upgrades an allen Overrides ist bei der Bank 8 leicht grösser, als der Anteil Ausfälle aus diesen Upgrades. Das lässt darauf schliessen, dass diese Upgrades gerechtfertigt vorgenommen wurden, das heisst, das Risiko in den besseren Ratingklassen wurde nicht erhöht. Das entspricht einer Stabilisierung oder Senkung der Beta-Fehler (richtige Einschätzung des Kreditkunden und somit adäquate Belastung von Risikokosten). Der Anteil der Downgrades an allen Overrides ist signifikant tiefer als der Anteil dieser Downgrades an den Ausfällen. Dies deutet auf ein absolut gerechtfertigtes Downgraden in Bezug auf Ausfälle hin, das heisst, das Risiko wurde in die tieferen Ratingklassen verschoben. Dies entspricht einer deutlichen Reduktion des AlphaFehlers. In der Gesamtbetrachtung der Bank 8 kann wie bei den Banken 2 und 7 festgehalten werden, dass die gesamthafte Erhöhung der Trennschärfe demnach aus den korrekten Up- und Downgrades der ausgefallenen sowie sicherlich aus dem richtigen Upgraden der nicht ausgefallenen Kreditnehmern kommt. Empirische Analysen von Overrides 167 5.11 Weitergehende Analysen Neben obigen Analysen zeigen die Daten weitere interessante Aspekte. Im Rating impliziert ist zum Beispiel die erwartete Ausfallrate. Anhand der erhaltenen rund 150‘000 Ratingvorgänge wurde untersucht, wie sich die erwarteten („PD“) zu den effektiven Ausfällen („D“) verhalten: Abbildung 72: PD versus effektive Ausfälle Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Für jedes Institut wurde berechnet, wie hoch die erwartete Ausfallrate ist ([Summe der Ausfallraten aller Ratingvorgänge] / [Anzahl Ratingvorgänge]). Diese PortfolioAusfallwahrscheinlichkeit wurde für die berechneten (Wert „berechnet“) und für die bewilligten (Wert „bewilligt“) Ratings kalkuliert und die Differenz zur effektiven Ausfallrate in obiger Grafik dargestellt. Bei sämtlichen Banken wurde diese Differenz zwischen PD und D durch die Overrides verkleinert (als Wert „Differenz“ in obiger Grafik ausgewiesen). Die Ausfallerwartungen der Banken sind derzeit durchs Band zu hoch. Grund hierfür ist, dass die Schätzungen nicht von Jahr zu Jahr erfolgen, sondern über einen längeren Zeitraum und mehrere Wirtschaftszyklen geglättet werden. Würde jedes Jahr eine neue Schätzung vorgenommen, gäbe dies sehr hohe Volatilitäten: Nach guten Jahren wäre beim Abschwung ein enormer Anstieg der Rückstellungen nötig, während beim Aufschwung die Ergebnisse durch den Wegfall des Rückstellungsbedarfs verbessert würden. Beides ist nicht wünschenswert. Abschliessend wurde noch geprüft, ob aufgrund obiger Erkenntnis ein linearer Zusammenhang zwischen dem Ausmass der Overrides und der Verkleinerung der Dif- 168 Systembasierte Ratings und Overrides ferenz besteht. Hierzu wurde das Overrideausmass wie folgt berechnet: [Anzahl Overrides] * [Mittelwert der Klassenverschiebung]. Die Untersuchung ergibt, dass das Overrideausmass in hohem Mass mit der Verminderung dieser Differenz zusammenhängt. Oder, in anderen Worten: Je kräftiger der Mensch korrigierend über Overrides eingewirkt hat, desto genauer wurde die Schätzung der Ausfälle. Da die Stichprobe klein ist, ist diese Aussage mit entsprechender Vorsicht zu werten. Abbildung 73: Overrideausmass vs. PD - effektive Ausfälle Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Diese Analysen wurden um folgende Themen gekürzt, da diese einen Rückschluss auf die einzelne Bank zugelassen hätten. Selbstverständlich wurden die Ergebnisse dokumentiert und mit den Banken diskutiert: 1. Es wurde geprüft, in wie weit die Anzahl der Ratingklassen einen Einfluss auf die Trennschärfe nimmt. Die einzelnen Banken haben zwischen 8 und 18 Klassen. Der Grundgedanke war, dass bei doppelt so vielen Klassen jede Klasse noch einmal in eine gute und in eine schlechte Hälfte unterteilt wird. Erfolgt dies korrekt, hätte das eine Steigerung der AUROC zur Folge. Diese Frage steht Empirische Analysen von Overrides 169 auch im Spannungsfeld der Forschung: Daldrup (2006) sieht in dieser Frage einen Gegensatz, indem bei mehr Klassen eine grössere Risikodifferenzierung stattfindet bzw. eine grössere Homogenität der Klassen gegeben ist. Dagegen stehen aber die Anforderungen an eine konsistente, empirische Schätzung, die möglichst viele Kreditnehmer innerhalb einer Klasse begünstigt. 2. Es wurde analysiert, ob eine grössere Datenbasis Einfluss auf die Ausfälle nimmt. Wie einleitend diskutiert, ist eine grosse, homogene Datenbasis für die Bildung von Scorecards förderlich. Demnach müsste eine Bank mit einer grossen Datenbasis einen deutlich kleineren Anteil an Ausfällen aufweisen als eine Bank, der verhältnismässig wenige Daten zur Analyse zur Verfügung stehen. Zur Illustration sind die Anzahl Ratingvorgänge in der Beobachtungsperiode dargestellt (in Tausend): Credit Suisse 62 UBS 55 ZKB 26 RSN Kunden 10 Der Frage nach dem Einfluss des Datenbestands181 kann man die Bandbreite der Ausfälle gegenüberstellen, die zwischen 0.19 % und 1.80 % liegt. Die Bank mit den meisten Ausfällen hat somit über 9-mal mehr Ausfälle als die Bank mit den wenigsten Ausfällen (in Bezug auf die Anzahl Ausfälle, nicht in Bezug auf den Betrag – dieser wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt). 3. Im Rahmen der Systemvergleiche wurde analysiert, ob dasselbe Ratingsystem zu denselben Resultaten führt. Diese Analyse wurde analog den Auswertungen der einzelnen Institute vorgenommen und kommentiert. Da mit dieser Auswertung ein Rückschluss auf RSN bzw. auf die RSN-Kunden möglich geworden wäre, wurde diese Analyse aus der Arbeit entfernt. 4. Schlussendlich wurde analysiert, inwieweit die Overrides Einfluss auf die Ausfälle nehmen, und zwar, ob ein linearer Zusammenhang zwischen Overrides und der effektiven Ausfallrate besteht und wie sich dieser zu Up- und Downgrades verhält. Da eine Offenlegung der Ausfälle je Institut nicht genehmigt wurde ist, wurde diese Auswertung ebenfalls aus dieser Arbeit entfernt. Es sind gerade die Ausfälle, die sogenannten Alpha-Fehler, die in Bezug auf Analyse wichtig und spannend sind, weil deren Nichterkennung in einem Verlust für die Bank mündet. Entsprechend gab es viel über diese Fehler zu analysieren. 181 Gilt folgender Zusammenhang: höherer Datenbestand bessere Scorecard weniger Ausfälle? 170 Systembasierte Ratings und Overrides 5.12 Zusammenfassung und Bedeutung Die einzelnen Banken erreichen mit Overrides allesamt eine Verbesserung der Trennkraft ihrer Ratingsysteme. Damit kann auch die Forschungsfrage abschliessend beantwortet werden: Overrides haben einen nützlichen Effekt auf die Qualität von Ratingentscheiden. Dies erfolgte in zwei Arten: Schlechte, vom Ratingsystem nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Faktoren wurden eingearbeitet, was zu einer Reduktion der Alpha-Fehler (Korrektur eines zu guten Ratings) führt. Da die Ausfälle bei sämtlichen Banken gegeben sind (die Möglichkeit, die Ausfälle zu reduzieren, liegt in der Ablehnung), bedeutet dies, dass zumindest die höheren Risikokosten richtig berechnet und – wo möglich – verrechnet wurden. Gute, vom Ratingsystem nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Faktoren wurden eingearbeitet, was zu einer Reduktion der Beta-Fehler (Korrektur eines zu schlechten Ratings) führt. Da die Kundenfluktuation nicht gemessen wird (entgangene Gewinne), bedeutet dies, dass zumindest die effektiv tieferen Risikokosten korrekt an die Kunden verrechnet worden waren und somit einem möglichen Wechsel des Kunden zu einer anderen Bank entgegengewirkt wurde. Aufgrund der analysierten Ratingvorgänge kann festgehalten werden, dass der Blick des Kundenberaters und des Kreditspezialisten in die Zukunft, die Wahrnehmung des Kundenberaters und des Kreditspezialisten über die Schwächen der eingesetzten Scorecard und die subjektive stärkere Gewichtung von stark auftretenden, qualitativen Faktoren durch den Kundenberater mit Genehmigung durch den Kreditspezialisten zu einer Erhöhung der Trennschärfe der Ratingsysteme geführt haben und somit einen nützlichen Effekt haben. Bei allen Banken konnte diese Erkenntnis bestätigt werden, wenn auch nicht bei allen statistisch signifikant. Diese Erkenntnis geht einher mit der Forschung von Martin (2007), der ebenfalls festgestellt hat, dass Overrides zu einer deutlichen Verbesserung der Einschätzung im Vergleich zu den Systemratings führen182. Das Ausmass der Overrides variiert stark von Bank zu Bank und ist abhängig von organisatorischen Rahmenbedingungen. Dies geht auch einher mit der aktuellen Forschung, in der Heusler & Westerfeld (2009) ein auf der Organisationsform basiertes, unterschiedliches Verhalten in Bezug auf die qualitative Beurteilung des Kreditnehmers feststellt. 182 Martin M. (2007) S. 103 Empirische Analysen von Overrides 171 Schlussendlich wurde neben der Beantwortung der Forschungsfrage festgestellt, dass die Schätzung der Ausfälle (PD) unter Berücksichtigung der Overrides deutlich genauer ist. Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen Override-Ausmass (um wie viele Ratingklassen wird das Gesamtportfolio der Kreditkunden durch Overrides verschoben?) und der Reduktion der Schätzabweichung. Dieser Zusammenhang ist mit Vorsicht zu geniessen, da in der Beobachtungsperiode keine Änderung eines Wirtschaftszyklus stattgefunden hat. Ob dieser Zusammenhang gleich signifikant und stabil ist, sobald sich die Wirtschaft ändert, wäre in ein paar Jahren anhand der zwischenzeitlich eingetretenen Finanzkrise messbar. Den Bezug dieser Erkenntnis zur Theorie und zur Entwicklung der Wirtschaftsinformatik findet im letzten Kapitel dieser Arbeit statt. Der Bezug zu aktuellen Fragestellungen der Praxis sowie eine weitere Einordnung des obigen „Lobes“ für die Overrides an die Kundenberater bzw. Kreditspezialisten findet im nächsten Kapitel statt. 6. Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 174 Systembasierte Ratings und Overrides 6.1 Eindämmung von Overrides Wie die nun mehrfach zitierte aktuelle Forschung darlegt, stellen Overrides ein wichtiges Indiz für die Beurteilung der eingesetzten Scorecard dar183. Zu hohen Overridequoten sollten vor allem mit verbesserten Scorecards begegnet werden. Bei LowDefault-Portfolios, sprich: bei einer Datenbasis zur Modellierung von Scorecards, die eine sehr tiefe Anzahl Ausfälle aufweist, ist die Schätzung mit statistischen Verfahren nur schwer machbar184. So scheinen Override-Quoten um die 10 % für die Beurteilung Firmenkunden, deren Ratingvorgänge in diese Arbeit eingeflossen sind, akzeptabel185. 6.1.1 Bestrebungen der Banken Derzeit gehen die Bestrebungen der Banken in der Praxis zu einer Reduktion der Override-Quoten. Die Gründe für diese Reduktion sind im Bereich Regulator (Verhinderung von Verletzung der Anforderungen) und der Kosten zu sehen: Jedes Override bedingt im Kreditprozess eine spezielle Überprüfung durch teure Spezialisten. Die Überprüfung ist somit äusserst kostspielig, was in Zeiten globalen Kostendrucks als Sparpotenzial untersucht werden muss. Je höher die Override-Quote ist, desto höher sind die dadurch verursachten Kosten und desto eher muss eine Reduktion in Betracht gezogen werden. Es gibt Banken, die als Ziel eine Overridequote von 10 % nennen, was gemäss Forschung im „anzustrebenden Bereich“ liegen würde. Die Erwartung liegt bei weniger, besseren begründeten, einheitlicheren, transparenteren und vor allem stärkeren und fokussierteren Overrides. Die drei wesentlichsten Ansätze zur Erreichung dieses Ziels sind: Das Überarbeiten der Scorecards. Dank einer höheren Trennschärfe der Scorecards soll der Bedarf an Overrides sinken. Vor allem erkannte Schwächen sollen neu in die Erfassung einfliessen. Der Preis eines Kredits soll von der Ratingklasse „leicht entkoppelt“ werden. Preisanpassungen in vernünftigem Rahmen sollen nicht mehr über eine Veränderung der Ratingklasse erfolgen. Fein-tunende Ratinganpassungen sollen verhindert werden. 183 184 185 Martin M. (2007) S. 103 Vgl. hierzu auch Tasche & Pluto (2005) S. 72ff und Wilde & Jackson (2006) S. 60ff Martin M. (2007) S. 104. Die Aussage wird für Deutschland gemacht und kann als Richtwert für die Schweiz herangezogen werden Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 175 Von den einzelnen Punkten wird erwartet, dass sie mit mehr oder minder gleichen Anteilen zu einer Reduktion der Overrides führen. Dabei wird in Kauf genommen, dass die Einschätzung bei Einzelsituationen unpräzise sein kann. 6.1.2 Überprüfung der erwarteten Effekte Der Effekt von Punkt 1 (der verbesserten Scorecard gemäss Ausführungen in Kapitel 4.1) kann im Vorfeld vermutet, jedoch nicht vorweggenommen werden. Eine der Grossbanken (CS, UBS, ZKB) hat nach dem Beobachtungszeitraum eine grössere Überarbeitung der Scorecards vorgenommen und die Schwächen der bisherigen Modelle reduziert. Als Effekt dieser Verbesserung ist die Override-Quote in den Zielbereich von 10 % gesunken. Ebenso ist es schwer abzuschätzen, was eine leichte Entkoppelung der Preisgestaltung vom Rating an Override-Rückgang bewirkt (Punkt 2). Aufgrund der durch RSN analysierten Overridegründe in Abbildung 37 mit 62 % an bankpolitischer Argumentation darf ein signifikanter Einfluss angenommen werden. Basierend auf den erhaltenen Daten kann aber fundiert gemessen werden, was die in Punkt 3 genannte Verhinderung der fein-tunenden Ratinganpassung bedeuten würde. Hierzu wurden die von den einzelnen Partnern zur Verfügung gestellten Daten erneut analysiert: Sämtliche Overrides mit dem Ausmass im Bereich ± 1 Klasse wurden rückgängig gemacht: Es wurde das gerechnete Rating eingesetzt. Es fand keine Normierung der effektiven Ratingklassen auf Normklassen statt, das heisst, dass die Originaldaten der Banken verwendet wurden. Die so erhaltenen Ratingdaten wurden mit demselben ROC-Rechner berechnet, mit dem auch die bisherigen Analysen getätigt wurden. Die erhaltene AUROC der neuen Gruppe „nach Override mit eliminiertem FeinTuning“ wurde mit der AUROC der bewilligten Original-Ratings (also nach Override) verglichen; Da die Differenzen gemäss den Erwartungen marginal waren, wurde die Berechnung der statistischen Signifikanz verzichtet. Die Ergebnisse dieser Analyse sind in nachfolgender Grafik und Tabelle dargestellt: 176 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 74: Overrideanteil ohne ± 1 Klasse Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung In obiger Abbildung sind die wesentlichen Erkenntnisse dargestellt: In der Zeile „Anteil“ ist der Overrideanteil auf Basis der erhaltenen Daten dargestellt. In der Zeile „Anteil o. ±1“ ist der Anteil nach dem Eliminieren der feintunenden Overrides dargestellt. In der Zeile „Diff. ROC“ ist der Einfluss durch das Verbot der fein-tunenden Overrides auf die AUROC berechnet. In der Zeile „Reduktion“ ist berechnet, um wie viele Prozent die Overrides bei einem Verbot des Fein-Tunings eingedämmt würden. Daraus kann abgeleitet werden, dass: 1. Fein-Tuning bei 5 der 8 Institute mehr als die Hälfte aller Overrides ausmacht; 2. der Trennschärfenverlust ist nur bei zwei von acht Instituten höher als 1 % 6.1.3 Schlussfolgerung Es scheint, als ob fein-tunende Overrides bei den meisten Banken keinen wesentlichen Einfluss auf die Trennschärfe und somit auf die Qualität der Ratingergebnisse haben. Eine wichtige Limite darf bei dieser Betrachtung aber nicht aus den Augen Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 177 gelassen werden. Es kann durchaus vermutet werden, dass bei den meisten Instituten der Trennschärfenverlust vernachlässigbar ist. Wie sich aber die Reduktion der Transaktionskosten im Vergleich zu den Wertberichtigungen verhält, kann aufgrund der fehlenden Ausfallbeträge nicht ausgesagt werden: Diese Forschung basiert auf dem Ausfall der Anzahl Kunden und enthält keinerlei Daten zur Höhe der Kredite. Diese Höhe könnte die angestellten Untersuchungen noch einmal in einem anderen Licht darstellen, falls vor allem hohe Ausfälle mit dem Fein-tuning früher erkannt würden und so eine Chance für Gegensteuer bzw. Ausfallminderung entstünde. Auf jeden Fall kann festgehalten werden, dass ein Eindämmen der fein-tunenden Overrides mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Transaktionskosten-Reduktion ohne wesentlichen Trennschärfenverlust erzielen würde186. Von dieser Aussage ausgenommen sind die Institute 6 (4 % Trennschärfenverlust) und 7 (2 % Trennschärfenverlust). Für diese beiden Institute müsste die Kosten-Nutzen-Abwägung vertieft betrachtet werden, was die Grenzen dieser Arbeit sprengen würde. 186 Die organisatorischen Rahmenbedingungen müssten ein Ausweichen auf > 1 Ratingklasse adressieren. 178 Systembasierte Ratings und Overrides 6.2 Kreditklemme Auf dem Schweizer Markt wird derzeit rege von der Kreditklemme gesprochen. Vor allem in den Printmedien vergeht keine Woche, in der das Thema nicht aufgegriffen wird. Zudem wird es sehr kontrovers betrachtet: Firmen und deren Verbände sprechen vom Vorhandensein der Kreditklemme, Politiker profilieren sich mit Lösungsvorschlägen und Banken verneinen meist das schiere Vorhandensein. Sucht man den Begriff „Kreditklemme“ im Zeitungsarchiv von Berner Zeitung, Basler Zeitung und Tagesanzeiger187, so erscheinen folgende Überschriften von publizierten Artikeln: „Kreditklemme ist doch nicht so schlimm“ „Keine Kreditklemme“ „Swissmem-Chef Schneider-Ammann befürchtet Kreditklemme“ „Ackermann: es gibt keine Kreditklemme“ „Finanzkrise: SECO-Chef sieht keine Anzeichen für Kreditklemme in der Schweiz“ „SECO-Chef beruhigt: keine Kreditklemme“ „Ernst & Young: Mehrheit der Konzerne kämpft ums Überleben“ Auch am Swiss Economic Forum wurde festgehalten188, dass es weniger Kredite gibt, aber keine Kreditklemme. Dass die finanzielle Versorgung der Schweizer Wirtschaft aber durch die Finanzkrise beeinträchtigt ist, erscheint allen Akteuren ziemlich klar. Daher versucht der Autor, das kontroverse Thema „Kreditklemme“ in den nächsten Abschnitten aus der Sicht der betroffenen Unternehmen darzulegen und auf den Einfluss von Overrides auf die Kreditklemme einzugehen. Die Versorgung mit Krediten klemmt, wenn ein Unternehmen einen bestehenden Kredit verliert einen neuen Kredit nicht erhält einen neuen Kredit aufgrund hoher Risikokosten nur zu sehr teuren Konditionen erhält. Diese drei genannten Möglichkeiten gründen alle im derzeitigen Marktumfeld, basieren aber auf unterschiedlichen Ausprägungen. 187 188 Die drei Zeitungen verwenden dieselbe Onlineplattform. Abruf am 14.07.2009 10.49 h Swiss Economic Forum (2009) S. 66 Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 6.2.1 179 Verlust eines bestehenden Kredits Einen bestehenden Kredit verlieren Unternehmen, wenn sich ihre wirtschaftliche Situation drastisch verschlechtert und kein Ausblick auf Erholung besteht. In diesem Falle wollen die Banken retten, was zu retten ist. Das gab es schon in früheren Zeiten, nur ist aufgrund der schockartig eingetretenen Finanzkrise auch eine sofortige Anhäufung solcher Fälle zu verzeichnen (vgl. z.B. die Zulieferindustrie im Automobilsektor). Zweite Ursache eines Kreditverlusts ist, wenn sich Banken aus fremden Marktgebieten zurückziehen bzw. Konkurs gehen und so als Kreditgeber nicht mehr zur Verfügung stehen. 2008 hatte die Glarner Kantonalbank angekündigt, sie wolle sich in ihr Marktgebiet zurückziehen; zwischenzeitlich haben es ihr viele, vor allem internationale Banken, gleich getan: Sie zogen sich auf die Heimmärkte zurück. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet dies, dass sie bei anderen Banken um Kredite nachfragen müssen. Bei diesen Banken gelten sie aber als Neukunden und stehen einer vertieften Überprüfung gegenüber. Aus persönlicher Erfahrung des Autors verhalten sich die drei Grossbanken dieser Studie sehr loyal gegenüber ihren Kunden. Mehreren Betrieben, die zum Teil zwar erheblich unter den Folgen der Finanzkrise leiden, aber reale Aussicht auf Besserung haben, stehen die genannten Banken unverändert zur Seite. Für andere Banken kann der Autor mangels Erfahrung keine Aussage tätigen. Der letzte Grund für das Verlieren eines Kredits ist, wenn Banken gezwungenermassen ihre Bilanzen verkürzen und daher Kreditvolumen reduzieren müssen. In diesem Fall kommt es zu Kündigungen von bestehenden Kreditverhältnissen. 6.2.2 Ablehnung eines neuen Kredits Neben dem Verlust eines Kredits ist die zweite mögliche Wahrnehmung einer Kreditklemme die Ablehnung neuer Kredite. Der oben letztgenannte Fall wird für die Ablehnung von Neukrediten gleich noch einmal relevant: Wenn Banken ihre Bilanzsumme reduzieren müssen, gewähren sie weniger neue Kredite. Daneben wird die Kreditvergabe im konjunkturellen Abschwung tendenziell restriktiver, das heisst, die Anzahl der abgelehnten Kreditanträge nimmt im Vergleich zu Vorperioden zu. Die Auskünfte gegenüber dem Autor189 sind im Bereich von 3 % mehr Ablehnungen im Jahr 2008 und nochmals 2 % mehr Ablehnungen im ersten Halbjahr des aktuellen Jahres. Damit ist die Ablehnungsquote bei den Banken, die diese Information zur Verfügung stellen, bei 10 – 13%. Im Vergleich zu 2007 werden also rund 5 % weniger Kreditanträge positiv beurteilt. Ein wesentlicher Faktor bei der Kreditbeurteilung ist das Rating. Gewisse Banken setzen ein minimales Rating zur Beurteilung von Kreditanträgen voraus. Ist dieses nicht gegeben, wird der Kredit abgelehnt. Dieses minimale Rating bezieht sich auf das bewilligte Rating, und somit nehmen Overrides direkt Einfluss. 189 Diese Auskünfte sind mit Ausnahme der ZKB vertraulich. Die Daten der ZKB für das Jahr 2008 wurden an der Bilanzpressekonferenz vom 27. Februar 2009 bekannt gegeben. 180 Systembasierte Ratings und Overrides Aufgrund dieses Umstandes wurden die teilnehmenden Partner angefragt, ob sie die Ratingdaten der Periode Oktober 2008 (Ausbruch der Finanzkrise mit dem Untergang von Lehman Brothers und der Verstaatlichung der Bank von Island) bis und mit März 2009 zur Verfügung stellen könnten. Gewisse Institute haben dies getan. Für diese Institute wurde verglichen, wie sich die Klassenverschiebung während der Finanzkrise im Vergleich zur Klassenverschiebung in der Beobachtungsperiode dieser Arbeit (2003 – 2007) verändert hat. In den ersten 6 Monaten nach Ausbruch der Finanzkrise hat sich dieser Wert auf 0.75 Ratingklassen verschlechtert (bei nahezu identischer Standardabweichung). In anderen Worten: Die subjektive Beurteilung der Kundenberater über die Entwicklung der nächsten 12 Monate ihrer gerateten Kreditnehmer ist um fast eine halbe Ratingklasse schlechter als in der Vergleichsperiode. Dieser Wert wurde statistisch anhand eines T-Tests überprüft (wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mittelwerte identisch sind?), der das Ergebnis 0.0000000 % ergab190. Abbildung 75: Details Veränderungen Overrides während Finanzkrise Quelle: eigene Darstellung aufgrund der eigenen Erhebung Dieses negativere Übersteuern nimmt Einfluss auf die Kreditvergabe: Durch das schlechtere Rating fallen Unternehmen „unten raus“, die vor einigen Monaten noch Kredite bekommen hätten. Aus realwirtschaftlicher Optik kann dieses Phänomen sehr gut erklärt werden. Während die Finanzzahlen (und somit die schwergewichtig auf diesen Zahlen abstützenden Scorecards) noch die vergangenen und meist guten Perioden zeigen, ist für die künftigen Perioden mit einem Wertverlust zu rechnen191. Aus Sicht der Banken wird beobachtet, dass seit Ausbruch der Finanzkrise vermehrt 190 191 Die statistische Signifikanz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Untersuchung aufgrund des kurzen Zeitraums mit Vorsicht zu betrachten ist. Erst eine der gesamten Zeitreihe 01.2004 bis ca. 12 Monate nach einem erneuten Aufschwung würde eine verlässliche Aussage zulassen. Vgl. auch Creditreform (2009) „düstere Wolken über Schweizer Firmen“ Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 181 Kreditgesuche von Nichtkunden mit unterdurchschnittlicher Bonität eingetroffen sind. Ob diese Institute in der Vorperiode vor besagter Verhaltensänderung bei den Overrides eine durchschnittliche Bonität gehabt hätten, bleibt offen. 6.2.3 Hohe Kreditkosten Nachdem also der Wegfall und das Nichtgewähren von Krediten sicherlich „klemmend“ wirken, gilt es, den dritten Faktor, die Kreditkosten, noch zu betrachten. Wir haben in Kapitel 2.3 gesehen, dass das Rating einen direkten Einfluss auf die Risikokomponente eines Kredits hat. Je schlechter die Bonität, desto höher sind die Kreditkosten. Somit dürfte die Auswirkung der pessimistischeren Overrides auf der Hand liegen: Die Kredite werden teurer. Dies stellt für viele Betriebe einen hemmenden Faktor dar, da sie sich teure Kredite (Politiker sprechen bei gewissen Betrieben von einem Faktor 2 bis 3)192 nicht mehr leisten können. Parallel zu dem durch Overrides ausgelösten Anstieg der Kreditkosten verlangen auch die Banken höhere Risikoprämien. Dem Autor ist aus der Praxis eine Bank bekannt, die generell über sämtliche Kunden hinweg 0.3 % höhere Zinssätze angesetzt hat. Aus Sicht der Unternehmer sind diese hohen Zinssätze nur schwer verständlich, erhalten die Banken doch nahezu kostenlos Geld von den Nationalbanken. Da die Banken aber die zu erwartenden Kreditausfälle abdecken müssen, ist eine gewisse Vorsicht verständlich. Ob die Risikozuschläge und die Overrides zu hoch oder zu tief waren, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Nämlich dann, wenn I) der Vergleich zwischen den erwarteten Ausfällen mit den effektiven Ausfällen während dieser Krise analysiert wird und II), wenn die eingenommenen Zinserträge mit den Verlusten dieser Krise verglichen werden. 6.2.4 Schlussfolgerung Zusammenfassend kann wiederholt werden, dass das Phänomen der Kreditklemme durch drei Faktoren spürbar ist: Durch den Wegfall von Krediten, durch die Ablehnung von Kreditanträgen und durch die Verteuerung von Krediten. Auf die letzteren beiden Faktoren hat das Rating einen theoretischen Einfluss. Durch die zusätzlichen Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit konnte dieser Einfluss in der Praxis nachgewiesen werden. Es gibt auch einen gegenteiligen Effekt, der durch Overrides gesteuert wird: In den letzten Wochen hört man immer wieder, dass Preiskämpfe um solvente Kunden stattgefunden hätten. Es wird mit sportlich tiefen Zinssätzen um die Gunst dieser Kunden gekämpft. Diese Zinssatzsenkung wird – sofern das Pricing nicht vom Rating entkoppelt 192 Schneider-Amman J. (2009) S. 15 182 Systembasierte Ratings und Overrides ist – meist nur mittels Override erreicht. Das grössere Problem bleibt aber die potentielle Unterversorgung der Wirtschaft mit genügend Kapital zu annehmbaren Zinssätzen. Die Politik adressiert diese Probleme, da eine funktionierende Wirtschaft (und die KMUs sind das Rückgrat derselben) zur Sicherung des nationalen Wohlstands notwendig ist. Neben weiteren Konjunkturpaketen zielen gewisse wirtschaftliche und politische Vorhaben auf die ausreichende Versorgung der Wirtschaft mit Kapital bzw. auf die Verhinderung oder Minderung der Kreditklemme: Erhöhung der Bürgschaftslimite von derzeit 0.5 auf 1.0 Mio. CHF (der Bund kann nicht direkt Kredite vergeben – er bürgt aber gegenüber den Bürgschaftsgenossenschaften für 65 % von deren Ausfällen). Der Effekt der Bürgschaftslimite ist eine Senkung des Risiko für den einzelnen Kreditnehmer, die sich nicht nur auf die Vergabe von Krediten, sondern auch auf deren Kosten positiv auswirkt. Dieser Vorschlag wurde vom Bundesrat am 29.05.2009 abgelehnt193. Die ZKB194 plant einen Kreditfonds für KMUs, weil die drei Bürgschaftsgenossenschaften mit einer Limitenerhöhung, wie oben vorgestellt, vermutlich überfordert wären und der Bundesrat dieser Lösung ablehnend gegenübersteht. Der ZKB Fonds soll als marktwirtschaftliches Modell mit einer Beteiligung von institutionellen Investoren genügend Kapitel zur Verfügung stellen. Mit diesem Kapital sollen Kredite zwischen 0.5 Mio. CHF (unterhalb dieses Betrages greifen die Bürgschaftsgenossenschaften) und 3 Mio. CHF gesichert werden. Der Vorschlag der ZKB sieht auch eine mögliche Bundes-Ausfallgarantie vor, womit dieser Kreditfonds für KMUs auch für andere Banken zugänglich wäre. Wie sich diese Idee weiterentwickelt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch offen. Otto Ineichen, Nationalrat des Kantons Luzern, hat am Wochenende vom 20. Juni 2009 vorgeschlagen, die Glückskette solle für die krisengeschüttelten Unternehmen Geld sammeln. Sein Vorschlag appelliert an die Solidarität des Schweizer Volkes mit der Exportindustrie. Aus diesen Geldern soll eine Bürgschaft über 100 Mio. CHF erreicht werden. Hugo Fasel, Politiker und Stiftungsrat der Glückskette, distanziert sich von dieser Idee, da die Glückskette keinerlei Erfahrung im Verteilen von Spendengeldern an Industrieunternehmen habe195. Schlussendlich gibt es immer wieder politische Vorstösse, dass der Post für die PostFinance eine Bankenlizenz erteilt werden möge. Diese Idee ist seit Monaten wieder hoch aktuell und wird daher im nächsten Kapitel dezidiert und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse dieser Arbeit diskutiert. 193 194 195 SECO (2009) Stettler C. (2009-II) S. 21 Fasel H. (2009) S. 9 Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 183 6.3 Kurzfristige Postbank light Als mögliche kurzfristige Lösung zur Versorgung der KMU bringen Parlamentarier für die Post, die seit Jahren eine Banklizenz für die PostFinance anstrebt, die Idee einer Postbank light auf196: In einer kurzfristig umzusetzenden Aktion soll ihr die Vergabe von Hypotheken und KMU-Krediten ermöglicht werden. In der Sonntagsblick-Arena vom 12.04.2009 kommentiert Hans-Ulrich Meister, CEO Schweiz der Credit Suisse, dieses Vorhaben insofern, als er der Postbank die ausreichende Expertise zur Kreditvergabe abspricht. Er warnt vor grossen Forderungsausfällen aus einer solchen Aktion197 unter Hinweis auf die mangelnde Erfahrung im Kreditvergabeprozess (unter dem Aspekt dieser Arbeit: dem Mangel an implizitem Wissen). Hintergrund der politischen Forderung ist, dass die PostFinance hat im Geschäftsjahr 2008 einen Neugeldzufluss von 5.9 Mia. CHF (Vorjahr 3.4 Mia. CHF)198 erlebt hat. Die meisten Kantonal- wie auch die Raiffeisenbanken melden in ihren Abschlüssen199 ebenfalls einen grossen Neugeldzufluss. Allein die ZKB meldet für das Jahr 2008 die Summe von 16.3 Mia. CHF (Vorjahr 2.0 Mia. CHF). Parallel dazu nehmen die KMU die erwähnte Kreditklemme wahr200 und selbst Bundesrätin Doris Leuthard liess in einem Interview verlauten, dass die Kantonal- und Raiffeisenbanken förmlich „auf ihrem Geld sitzen“201 (vgl. die Ausführungen im vorherigen Kapitel). 6.3.1 Aussage von HansHans - Ulrich Meister Das oben beschriebene aktuelle Zeitgeschehen, das vor allem auf medialen Wiedergaben und politischen Interessen beruht, soll in Bezug auf die Aussage von HansUlrich Meister aus wissenschaftlicher Optik analysiert werden. Im Rahmen dieses Kapitels wird daher der Frage nachgegangen, ob die PostFinance ein im Vergleich zu anderen Finanzinstituten erhöhtes Risiko eingeht, wenn sie in einer kurzfristigen Aktion Kredite ohne adäquate Aufstockung der Kreditspezialisten202 mit ihrem impliziten Wissen vergibt. Dies, da die PostFinance mangels ausreichender Anzahl Experten beim Kreditentscheid die Ergebnisse der dafür eingesetzten IT-Systeme weniger stark hinterfragen203 und mit der positiven Wirkung gemäss dieser Arbeit übersteuern könnte. 196 197 198 199 200 201 202 203 Forster C. (2009) unter Hinweis auf Ineichen Otto Meister H.U. (2009) PostFinance (2009) Die Geschäftsberichte der Kantonalbanken und der Raiffeisenbank sind über das Web einsehbar Die Finanzindustrie dementiert eine Kreditklemme, Vertreter der Wirtschaft (auch der Autor) machen andere Erfahrungen. Leuthard D. (2009). In späteren Interviews äusserte sich Frau Leuthard differenzierter und anerkannte, dass das KMU-Segment in einer Gesamtbetrachtung ausreichend mit Krediten versorgt sei. Ihre oben zitierte Aussage wurde aber neben anderen Argumenten zum Anlass für politische Vorstösse genommen. Die Post hat heute bereits einige wenige Kreditspezialisten, da sie in Zusammenarbeit mit der UBS Kredite vergibt. Die UBS trägt in dieser Kooperation das Kreditrisiko. Stanek J. (2002) S. 10 184 Systembasierte Ratings und Overrides Die Aufarbeitung des Einflusses ungenügender Expertise beim Kreditvergabeprozess erfolgt unter denselben Einschränkungen wie die gesamte Arbeit und mit Fokus auf Schweizer Firmenkredite. Somit muss die im Rahmen der Postbank light angestrebte Vergabe von Hypotheken vollumfänglich von diesen Überlegungen ausgeschlossen werden. 6.3.2 Rating von Firmenkunden Einleitend zu dieser Arbeit wurde festgehalten, dass bei der Vergabe von Krediten eine Beurteilung des Kreditnehmers in Bezug auf sein Ausfallrisiko erfolgt und dass sich aus Sicht der Bank folgende Fragen stellen: 1. Wie viele Prozent beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kreditnehmer zahlungsunfähig wird? 2. Wie hoch ist der Restschuldbetrag beim Ausfall, das heisst, wie viel Beanspruchung und Tilgung findet bis zu einem möglichen Ausfall noch statt? Wie viele Sicherheiten stehen zur Verfügung, die zur Deckung herangezogen werden können, und wie viele Prozent beträgt die dem Verlustrisiko unterliegende Restschuld nach Verwertung dieser Sicherheiten? Alle Antworten auf diese Fragen werden ermittelt und geben, für sämtliche Kreditkunden ausmultipliziert, den zu erwartenden Verlust204. Die erste Frage nach der Ausfallwahrscheinlichkeit wird mit dem Rating beantwortet, wie in Kapitel 3 ausführlich beschrieben wurde. Die zweite Frage nach der Restschuld wird aufgrund der Kreditausgestaltung (aktueller Stand, künftige Beanspruchung und Tilgungsmodalitäten) beantwortet. Die letzte Frage der Verwertung von Sicherheiten wird mit Erfahrungswerttabellen adressiert, da Sicherheiten bei deren Zwangsverwertung oft nicht den vollen Wert erzielen. Für die Frage der Postbank light im Rahmen dieser Überlegungen sind demnach die erste (Ausfallwahrscheinlichkeit) und die dritte Frage (Verlustschwere bei Ausfall) bezüglich einer möglichen ungenügenden Expertise besonders relevant. Die Restschuld ist abhängig von der grundsätzlichen Ausgestaltung (Policy) der Kreditverträge mit Beanspruchungs- und Amortisationsvorgaben. Hierzu gibt es je nach Kreditart Schätzwerte205 (z.B. Amortisation bei Hypotheken oder erhöhte Beanspruchung bei normalen Krediten kurz vor Ausfall) und wird somit im weiteren Verlauf dieser Arbeit vernachlässigt. 204 205 EL (Expected Loss) genannt = PD * EAD * LGD z.B. bietet Oliver Wymann solche Schätzungen an Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 6.3.2.1 185 Verwertung von Sicherheiten Die Erfahrungstabellen zur Verwertung von Sicherheiten206 haben bei ungenügender Expertise den Vorteil, dass sie nicht bei jedem Kreditantrag neu ermittelt werden müssen. Sie können einmal erstellt und periodisch den Gegebenheiten angepasst werden. Zudem kann die Ermittlung dieser Werte an Drittfirmen207 mit Erfahrung in der Schätzung des Wertes von Sicherheiten im Einbezug von Konjunkturabhängigkeiten sowie in der Abwägung regionaler Unterschiede vergeben werden. Somit stellen diese Verwertungstabellen bei ungenügender eigener Expertise nicht zwingend eine Risikoerhöhung dar. Wesentlichen Einfluss auf die Verwertungserfolge haben die Erfahrung der Verwertungsabteilung („Workout“ oder „Recovery“ genannt) und die Geschwindigkeit bei der Abwicklung. Auch für diese Leistungen gibt es auf dem Markt spezialisierte Firmen208, auf die bei ungenügenden eigenen Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Durch diese extern verfügbare Leistung belegt im Rahmen dieser Überlegungen das Thema Sicherheitsverwertung keine weitere Relevanz. Trotzdem sollte festgehalten werden, dass a) die Schätzung aufgrund der kleinen statistischen Grundlage der einzelnen Institute das grösste Problem bei den obigen drei Fragen darstellt209 und b) die Expertise der einzelnen Institute bei der Ermittlung von Erfahrungswerten sowie bei der Verwertung verlustminimierend wirkt210. 6.3.2.2 Ausfallwahrscheinlichkeit Eine grosse Herausforderung im Kreditvergabeprozess ist die korrekte Einordnung des Kreditnehmers in Bezug auf sein Ausfallrisiko und ist Fokus dieser Arbeit in Kapitel 3. Diese Einordnung muss nicht nur beim Kreditantrag, sondern jährlich anhand von einzufordernden neuen Unternehmensinformationen211 gemacht werden. Die Scorecard und die Informationen des Kreditnehmers können jederzeit ändern, das heisst, dass das Rating eine momentane Beurteilung darstellt. Einerseits ändern Scorecards durch ihre regelmässige Validierung (es gibt z.B. Institute, die aufgrund der Finanzkrise ihre Scorecards der neuen Risikolandschaft angepasst haben). Andererseits reichen Kreditnehmer mindestens einmal jährlich neue Informationen über sich ein. Da das Rating aus der Kombination dieser beiden Komponenten entsteht, ist eine Ratingänderung des Kreditnehmers („Ratingmigration“) jederzeit möglich. 206 207 208 209 210 211 Vgl. Banik C. (2009) z.B. bietet Bearingpoint solche Beratung an z.B. Transliq bietet solche Leistungen an Heusler M. (2009) Ochsner D. (2009) Neben dem Rating selbst stellt die Kreditvergabe komplexe Anforderungen an die Prozesse und Informationsverwaltung bzw. -ablage. 186 Systembasierte Ratings und Overrides In Kapitel 5 wurde dargelegt, dass die Anpassung des durch die Ratingsysteme gerechneten Ratings aufgrund menschlicher Beurteilungen zu einer höheren Trennschärfe im Rating führt und somit die Alpha- und Beta-Fehler reduziert werden. Der Alpha-Fehler bedeutet, dass schlechte, unerwünschte Bonitäten als gut taxiert werden. Somit erhält ein schlechter Kunde fälschlicherweise einen Kredit212. Dieser Fehler ist von der Risikobetrachtung her relevant und aus dieser Optik heraus wichtiger als der Beta-Fehler213. Die Kosten des Alpha-Fehlers sind künftige Wertberichtigungen und Verluste214. Der Beta-Fehler bedeutet, dass eine gute Bonität als schlecht eingestuft wird. Somit erhält ein guter Kunde fälschlicherweise keinen Kredit215. Dieser Fehler ist von der Vertriebsbetrachtung heraus relevant, denn die Kosten für den Beta-Fehler sind entgangene Gewinne und ein Marktanteilsverlust. Berücksichtigt man die Ergebnisse dieser Arbeit in Kapitel 5, so kann festgehalten werden, dass dank des menschlichen Urteilsvermögens der Kreditexperten die Alpha- und Beta-Fehler reduziert werden216. Hat eine kreditgebende Institution zu wenige erfahrene Experten, so können diese Fehler nicht genügend reduziert werden. Die Berechnung der künftigen Entwicklung kann ein IT-System also primär mit einer um Marktfaktoren korrigierten Extrapolation leisten. Die Expertenerfahrung und -einschätzung aktueller Gegebenheiten sind also für eine Trennschärfenerhöhung und somit für die Ausfallprognose von höchstem Wert. 6.3.3 Risiko der PostFinance bei der Kreditvergabe Seit Jahren bekundet die Post, dass sie eine Banklizenz möchte. In der aktuellen Wirtschaftkrise mit einer möglichen finanziellen Unterversorgung der schweizerischen Firmenlandschaft gewinnt dieses Ansinnen an Bedeutung. Seitens der Politik wird eine zusätzliche Kreditversorgung der Wirtschaft im Rahmen eines dritten Konjunkturprogramms als „Gebot der Stunde“217 vorgeschlagen, seitens der PostFinance wird die Idee einer Postbank light als Möglichkeit neuer Einnahmequellen zur Verhinderung von Standortschliessungen ins Feld geführt218. Die Banken sehen diese Notwendigkeit überhaupt nicht und nennen Argumente wie Wettbewerbsverfälschung durch eine Staatsgarantie219, genügende Versorgung durch die bisherigen 212 213 214 215 216 217 218 219 Der zweite mögliche Alpha-Fehler ist, dass ein Kunde einen Kredit zu Konditionen erhält, die das Risiko nicht decken. Westerfeld S. (2003) S. 15 Ochsner D. (2009) S. 8 Der zweite mögliche Beta-Fehler ist, dass ein Kunde den Kredit potentiell überteuert erhält. Die Aufteilung der Overrides auf Alpha- und Beta-Fehler wurde nicht vorgenommen M. Leuenberger (2009) Béglé C. (2009) Vincent P. (2008) Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 187 Marktteilnehmer220 bzw., wie einleitend erwähnt, bei einer kurzfristigen Umsetzung die ungenügende Expertise in der Kreditvergabe. Sollte sich diese ungenügende Expertise bestätigen und eine kurzfristige Umsetzung geplant sein, dann müsste sich die PostFinance stark auf Ratingsysteme verlassen und riskierte damit einen erhöhten Anteil an Alpha- und Beta-Fehlern in ihrem Ratingprozess. Damit unterläge sie zwei wesentlichen Risiken: Die PostFinance vergibt Kredite an Firmen, die nicht kreditwürdig sind (Mängel im Kreditentscheid), bzw. verlangt für ihre Kredite zu wenig Zins Die PostFinance vergibt keine Kredite an solvente Firmen Aus finanzpolitischer Optik führen diese beiden Fehler in der Kombination zu höheren Kosten (Wertberichtigungen) bei tieferen Einnahmen (entgangenen Gewinnen). 6.3.3.1 Kreditvergabe an nicht kreditwürdige Firmen Durch die in Kapitel 6.2 dargelegte Situation an den Kapitalmärkten besteht eine erhöhte Nachfrage nach Krediten. Aus Sicht dieser Banken sind die Kreditrisiken für heute anstehende Refinanzierungsprogramme angesichts der konjunkturellen Entwicklung aber tendenziell gestiegen221. Diese Markteinschätzung verschärft das Risiko, dass nicht solventen Firmen Kredite gewährt werden könnten. Die genügend vorhandene Kompetenz und Erfahrung im Kreditvergabeentscheid wird somit zu einer elementaren Grundvoraussetzung, damit man nicht übermässige Risiken tragen muss. Der Alpha-Fehler mit einem zu guten Rating führt aber auch dazu, dass die Kreditkosten nicht risikogerecht berechnet werden. Die Kreditkosten werden durch das im Vergleich zum Wettbewerb bessere Rating zu tief angesetzt. Dies wiederum führt dazu, dass Kreditnehmer tendenziell zur günstigeren Postbank wechseln und diese im Gegenzug keine risikoadäquate Vergütung erhält. Bzw. die Postbank für schlechte Risiken attraktiv wird. 6.3.3.2 Ablehnung kreditwürdiger Firmen Als etwas weniger kritisch kann gewertet werden, dass bei ungenügender Expertise kreditwürdige Firmen abgelehnt werden könnten (Beta-Fehler). Dies ist nicht weiter schlimm, da abgelehnte solvente Firmen vermutlich bei anderen Instituten eine Finanzierung erhalten und somit vom Grundgedanken der Postbank light her (kurzfristige Versorgung der KMU mit Liquidität) kein Schaden entsteht. Aus der Optik der 220 221 Stettler C. (2009) Stettler C. (2009) 188 Systembasierte Ratings und Overrides Postbank selbst stellen diese Ablehnungen ein vergebenes Geschäft und somit einen entgangenen Gewinn dar. 6.3.4 Handlungsempfehlung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Vergabe von Krediten, abhängig von der Bonität des Kreditnehmers, zu gewähren ist. Die Einschätzung der Bonität erfolgt anhand zweier Faktoren: durch die von IT-Systemen berechnete Bonitätseinschätzung des Kreditnehmers sowie durch die subjektive, auf Erfahrung basierende Wahrnehmung der Kreditentscheidungsexperten. Diese Arbeit hat gezeigt, dass die Overrides der Kreditentscheidungsexperten eine signifikante Verbesserung der Trennkraft von guten und schlechten Kreditnehmern bewirken. Die Warnung von Hans-Ulrich Meister vor grossen Forderungsausfällen, falls ohne ausreichend Expertenkapazitäten in einer kurzfristigen Aktion Kredite vergeben würden, kann durch die Überlegungen dieser Arbeit bestätigt werden. Vor allem im Grundsatzentscheid, ob ein Kredit gewährt werden soll oder nicht, ist sie von prioritärer Bedeutung. Dies, da im Schadensfall (Alpha-Fehler) der Ausfall meist beträchtlich ist. Sekundär wirkt sich die ungenügende Expertise aber auch durch tiefere (Alpha-Fehler) bzw. durch entgangene Einnahmen (Beta-Fehler) negativ auf die finanzielle Entwicklung aus. Will man aus den obigen Schilderungen und Erkenntnissen eine Handlungsempfehlung ableiten, so muss dies auf zwei Ebenen geschehen: Einerseits muss die wirtschaftspolitische Überlegung angestellt werden, ob das Eingehen grösserer Risiken und des damit verbundenen finanziellen Schadenspotentials (von minderen Einnahmen für den Bund bis hin zu allfälligen Stützaktionen) sinnvoll ist. Mit dieser Frage muss sich die Politik auseinandersetzen, will sie eine kurzfristige Kreditversorgung durch eine Postbank light umsetzen. Charles Stettler, Leiter Firmenkunden und stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung der ZKB, hat vorgeschlagen222, dass sich die PostFinance an gemeinsamen Kreditvergaben223 beteiligen könnte. Somit wäre der Kreditvergabeprozess zusätzlich durch erfahrene Institute abgedeckt224. Dieses Vorgehen kennt der Autor in der Praxis von anderen Instituten, denen die Expertise im Kreditentscheid ebenfalls fehlt. Damit wäre eine kurzfristige Lösung für die grösseren KMUs gefunden225. 222 223 224 225 Stettler C. (2009) So genannten „Konsortialkrediten“ Dies entbindet die PostFinance nicht von eigenen Bonitätsbeurteilungen. Auch trägt sie am Ausfallrisiko mit. Sie kann aber davon ausgehen, dass der Kreditkunde beim Konsortialpartner kreditwürdig ist. Bei kleineren KMU werden im Normalfall keine gemeinsamen Kredite vergeben. Hier ist es, wenn überhaupt, eher so, dass die Banken unabhängig voneinander Kredite gewähren. Nutzen der Ergebnisse für aktuelle Praxisfragen 189 Für die kleineren KMUs kann die PostFinance aus Sicht des Autors nicht mit vernünftigem Aufwand zu einer kurzfristigen Lösung finden. Dies, da der Ausbau der nötigen Expertise meist Monate dauert und am Markt nicht von heute auf morgen zugekauft werden kann. Dementsprechend ist der PostFinance von einem kurzfristigen Alleingang in dieses Geschäftsfeld – ohne Berücksichtigung der politischen Motivation – abzuraten. Der Autor hat am 17.04.2009 mit Thierry Kneissler, Leiter Unternehmensentwicklung der PostFinance, die obigen Erkenntnisse angesprochen. Seitens Herrn Kneissler wird festgehalten, dass: die PostFinance einen selbstständigen Markteintritt als Alternative zu den bisherigen Instituten sucht und – sollte dies gesetzlich genehmigt werden – die Anzahl Kreditspezialisten erhöhen wird nur KMUs finanzieren würden, die auch bei anderen Instituten kreditwürdig sind. Aus Sicht des Autors kann somit die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die von Hans-Ulrich Meister ins Feld geführte Feststellung der ungenügenden Expertise für eine kurzfristig agierende Postbank light korrekt ist, wobei sich der Mangel auf die Anzahl verfügbarer Experten bezieht. Aufgrund der Forschung dieser Arbeit kann festgehalten werden, dass diese ungenügende Expertise zu einem höheren Ausfallrisiko führen würde, was die zweite Aussage von Hans-Ulrich Meister bestätigt, dass eine Kreditvergabe ohne die nötige Expertise zu höheren Verlusten als erwartet führt. Schlussendlich kann aufgrund der Aussagen von Thierry Kneissler festgehalten werden, dass die PostFinance diese Kenntnisse selbst auch hat und daher einen Einstieg in die eigenständige KMU-Kreditvergabe mit dem zeitgleichen Ausbau der KMU-Kreditexpertise verbinden wird, was nicht kurzfristig erfolgen kann. 190 Systembasierte Ratings und Overrides 6.5 Schlussbemerkung zum aktuellen Praxisfragen Das Thema Rating nimmt auf deutlich mehr Elemente im Zeitgeschehen Einfluss, als hier dargestellt wurden. Aus Gründen der Vertraulichkeit wurden einige Themen nicht ausgeführt bzw. aus der Arbeit entfernt. So auch die möglichen Vergleiche der Ausfälle (Alpha-Fehler) mit anderen Branchen (z.B. Kreditversicherern). Es wäre spannend gewesen, die Ausfälle mit der Versicherungsbranche zu vergleichen, da diese Branche in ihren Scorecards viel mehr Gewicht auf Branchen-Cluster legt226. Weitere Themen wurden weggelassen, da sie den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem gesprengt hätten. Es wäre zum Beispiel hoch interessant zu prüfen, inwieweit Overrides Einfluss auf die Allokationseffizienz im schweizerischen Kreditmarkt nehmen. Von einer hohen Allokationseffizienz wird gesprochen, wenn sämtliche kreditwürdigen Kunden einen Kredit erhalten und wenn die Bank den Kreditkunden richtig ratet (Fokus des Gesamtnutzens). Bützer (2009) hat eine Arbeit zu diesem Thema verfasst, die dem Abbau von Informationssymmetrien und dem Eingang sämtlicher bonitätsrelevanter Faktoren ins Rating einen hohen Stellenwert beimisst. Somit ist zu erwarten, dass die Overrides einen entsprechenden Einfluss nehmen – und sei es nur aufgrund der reduzierten Beta-Fehler durch eine risikogerechtere Preisverrechnung. 226 Der Autor hat im Rahmen seiner Forschung bezüglich Modell der Unternehmensentwicklung (vgl. Kapitel 4) mit verschiedenen Kreditversicherern über deren Ansatz zur Scorecardbildung gesprochen. 7. Zusammenfassung und Ausblick 192 Systembasierte Ratings und Overrides Diese Arbeit hat das aktuelle Thema des Ratings aufgegriffen. Mit der Einschränkung auf gewisse Firmenkunden in der Schweiz wurde anhand von 150‘000 Ratingvorgängen analysiert, inwieweit das menschliche Urteilsvermögen die Qualität von durch technische Informationssysteme generierte Ratings beeinflusst. Hierzu wurde in Kapitel 3 dargelegt, wie ein Ratingsystem aufgebaut ist. Die drei einzelnen Komponenten Data Warehouse, Erfassungssystem und Berechnungssystem wurden detailliert vorgestellt. Auf den Aufbau der einzelnen Scorecards wurde vom Laden der Daten über die univariaten zu den multivariaten Kennzahlen eingegangen. Die Wahl der richtigen Scorecard unter Zuzug verschiedener Hilfsmittel sowie deren Kalibrierung wurde vorgestellt. In der Folge zeigte die Arbeit das Zusammenspiel der statistisch entwickelten Scorecard mit den anderen Systemen im Ratingprozess sowie deren technische und menschliche Integration. Im Kapitel 4 hat diese Arbeit die Hintergründe und die Klassifizierung des impliziten Wissens in Form von Overrides aufgearbeitet um in Kapitel 5 deren eigentliche Analyse bezüglich des erzielten Effektes vorzunehmen. Die Auswertung der Daten hat ergeben, dass die Trennschärfe nach menschlichem Eingriff höher ist als diejenige der rein systembasierten Ratingberechnungen. Dieser Befund deckt sich mit der aktuellen Forschung von Martin (2007). Ein Vergleich der Finanzinstitute hat ergeben, dass, neben den Informationen zum Kreditkunden, die organisatorischen Massnahmen in Bezug auf Overrides das Eingreifverhalten beeinflussen227. In Kapitel 6 wurden die Erkenntnisse in das aktuelle Zeitgeschehen eingeordnet. Das durch den Regulator getriebene und durch die Transaktionskosten begründete Bedürfnis der Banken nach Reduktion der Overrides wurde auf eine einfache Machbarkeit hin überprüft. Es wurde festgestellt, dass bei den meisten Instituten die feintunenden Eingriffe eliminiert werden könnten, ohne dass ein deutlicher Trennkraftverlust resultieren würde. Die zweite Einordnung in das aktuelle Zeitgeschehen erfolgte in Bezug auf die vielfach beklagte Kreditklemme. Es konnte dank zusätzlichen Daten dargelegt werden, wie Overrides Einfluss auf das Phänomen der Kreditklemme nehmen. Schlussendlich konnte anhand der Ergebnisse dieser Arbeit eine Qualifikation des politischen Bedürfnisses einer kurzfristig zu etablierenden Postbank light erfolgen. Neben den Fragen zum aktuellen Zeitgeschehen in der Finanzindustrie soll diese Arbeit in die aktuellen Fragestellungen zur Rolle der Informationstechnologie eingeordnet werden. 227 Das Institut 2 hat wie in Kapitel 5 ausgeführt eine hohe administrative Hürde für solche Eingriffe, was sich in einer tiefen Anzahl Overrides niederschlägt. Zusammenfassung und Ausblick 193 7.1 Bedeutung für die Wirtschaftsinformatik Die Wirtschaftsinformatik strebt an, Prozesse in Wirtschaftssystemen, wie z.B. in der Finanzindustrie, durch den Einsatz von Informationstechnik zu unterstützen bzw. zu automatisieren228. Als letztes Kapitel vor dem Ausblick sollen drei Fragestellungen der Wirtschaftsinformatik diskutiert werden, die in direktem Zusammenhang mit dieser Arbeit stehen: 1. Kann der maschinellen Datenanalyse im Informationszeitalter vertraut werden? 2. Welche Rolle spielt der Mensch im Zusammenspiel mit den Ratingsystemen? 3. Wo sind die Möglichkeiten und Grenzen der IT-Unterstützung im Kreditmanagement? 7.1.1 Vertrauen in systembasierte Modelle Die erste Frage zielt auf das Vertrauen in die technologiebasierten Systeme ab. Blicken wir einige Monate zurück, dann erinnern wir uns an die von den Medien als „kollektives Versagen der Computermodelle“ taxierte Fehlleistung in Bezug auf die Markteinschätzungen im Vorfeld der Finanzkrise. Vor allem die EntscheidungsUnterstützungs-Systeme (zu denen wie in der theoretischen Aufarbeitung dargelegt auch die Ratingsysteme gehören) und das Ausbleiben der ausreichend kritischen Prüfung der verwendeten Modelle stellt die Hauptunterlassung der Wirtschaftsinformatik dar229. In dieser Zeit wurde die Diskussion um die „Schwarzen Schwäne“ aufgegriffen: Alle Schwäne sind weiß - davon waren die Europäer bis ins 17. Jahrhundert überzeugt. Dann wurde Australien entdeckt. Dort gibt es schwarze Schwäne – was niemand für möglich gehalten hatte, war auf einmal Realität. Genauso wurde es im letzen Jahr Realität, dass grosse Banken kollabieren können. Dieses Szenario war in den meisten Computermodellen gar nicht vorgesehen gewesen. Ebenso wenig war die Illiquidität von gewissen Märkten nicht in den Modellen integriert. Daher ist es nachvollziehbar, dass Computer-gestützte Modellen mit einer gewissen Skepsis begegnet wird. Die Skepsis gründet auf zwei Faktoren230: Erstens wird in Frage gestellt, inwieweit die enorme Datenmenge noch überblickbar ist. Sie scheint zu gross, um im Vorfeld überblickbar zu sein und auch zu gross, um nicht durch allfällig falsch parametrisierte Berechnungen ein falsches Verständnis für ihre Beschaffenheit zu entwickeln. Der zweite Faktor ist die Frage nach dem Verständnis für die hoch komplexen Ana- 228 229 230 Frank U. (2007) S. 157 Bartmann P. (2009) S. 6 Schulz H.-J., Nocke T. (2005) S. 8 194 Systembasierte Ratings und Overrides lyseverfahren. Dieses fehlende Verständnis macht es nur schwer möglich, die Ergebnisse plausibel zu machen. Im Bereich der Ratingsysteme dürfen diese Bedenken zu einem hohen Grad ausgeräumt werden, weil einerseits die Datenbasis zwar umfangreich, aber immer auf die möglichen qualitativen und quantitativen Kennzahlen beschränkt ist. Andererseits sind die Analyseverfahren so transparent, dass sie mit einfachen Tools wie Taschenrechner oder Excel und mit moderatem Statistikverständnis nachvollzogen werden können. Diese Bedenken in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit mögen ein weiterer Grund für das bisherige Scheitern von neuronalen Netzen sein. Aufgrund der heutzutage riesigen Datenmengen muss also ein gewisses Grundvertrauen in deren Analyse gewährt werden. So zeigt die aktuelle Forschung auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Schnittstelle, dass die Integration des Menschen in diesen Analyseprozess wieder zunimmt – um das Vertrauen zu stärken. Dies führt uns auch zur zweiten Fragestellung der Wirtschaftsinformatik: Welche Rolle spielt der Mensch im Ratingprozess? 7.1.2 Spannungsfeld MenschMensch - Maschine Die Wirtschaftsinformatik befasst sich immer wieder mit den Rollen des Menschen und der Maschine in einem Arbeitssystem. Als Zentrum wird die zu definierende Aufgabe betrachtet, die nach ökonomischen Massstäben so gut wie möglich erfüllt werden soll. Dabei sieht die Wirtschaftsinformatik verschiedene Perspektiven, wie die IT vom Menschen eingesetzt wird. Im Bereich der Ratingsysteme haben die ITSysteme nicht nur eine unterstützende Funktion, sondern es findet ein Zusammenspiel statt: Zusammenfassung und Ausblick 195 Abbildung 76: Kollaborationsperspektive der Wirtschafsinformatik Quelle: Myrach (2008) S. 113 Das Ausmass der Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist beim Rating unterschiedlich zu betrachten. Einleitend zu Kapitel 3 wurden die verschiedenen Ansätze von Ratingsystemen vorgestellt: empirisch-statistische, heuristische und hybride Verfahren. Dabei wurde festgehalten, dass tiefe Kredithöhen mit tiefer Komplexität des Kreditnehmers zu einem möglichst automatisierten Ansatz führen, da die Problemstellungen mit dem heute bekannten, expliziten und kodierten Wissen verarbeitbar ist. Somit ist in obiger Abbildung die Interaktion mit einem Schwergewicht bei der Maschine zu sehen. Das Rating von mittelmässig komplexen Geschäften mit einer überblickbaren Kredithöhe erfolgt durch ein intensives Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine (hybrider Ansatz). In obiger Abbildung ist somit das Schwergewicht der Interaktion ziemlich mittig zwischen den beiden Komponenten zu suchen. Der bereits bei mittlerer Komplexität notwendige Einbezug von implizitem Wissen verhindert, dass die Maschine das Rating im Alleingang ermitteln kann. Schlussendlich bleibt das Raten von komplexen Geschäften mit hohen Beträgen. In diesen Fällen ist die Interaktion abhängig von den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln. Wird anhand von Expertensystemen in einem heuristischen Ansatz beurteilt, dann kann von einem Schwergewicht beim Menschen ausgegangen werden. 196 Systembasierte Ratings und Overrides Abbildung 77: Unterstützungsperspektive der Wirtschaftsinformatik Quelle: Myrach (2008) S. 110 Bei komplexen Vorgängen ist ein Grossteil der Entscheidung auf implizitem Wissen basierend. Daher stehen heutzutage keine vernünftigen Systeme zur Verfügung, womit die Maschine in eine reine Unterstützungsperspektive verfällt. Das Spannungsfeld Mensch-Maschine ist im Ratingvorgang also abhängig von der Komplexität des zu beurteilenden Geschäfts und dessen Höhe: Je eher mit explizitem Wissen ein verlässliches Urteil gebildet werden kann, desto mehr ist über den Einsatz der IT-Systeme eine Entlastung des Menschen zu erreichen. Mit dem vermehrten Einsatz von IT Systemen werden auch die Transaktionskosten der Ratingvorgänge reduziert. Ohne Mensch wären Ratingvorgänge sicher möglich, es würde aber auf den risikomindernden Zuzug impliziten Wissens verzichtet. Diese Betrachtung führt uns zur dritten und letzten Fragestellung der Wirtschaftsinformatik: Wo sind die Möglichkeiten und Grenzen? 7.1.3 Möglichkeiten und Grenzen Obige Ausführungen haben gezeigt, dass Ratingsysteme eine sehr grosse Hilfe beim Beurteilen der Bonität von Kreditkunden sind. Ohne solche Systeme wäre eine Kreditvergabe heute undenkbar (und nicht gestattet). Systeme haben viele Vorteile, von denen hier nur einige genannt werden231: Durch ihre Unterstützung reduzieren sie die Prozesskosten; Sie reduzieren die Forderungsausfälle durch das Einfliessenlassen von Erfahrungswerten aus explizitem Wissen; 231 In Anlehnung an Schumann M. (2008) S. 58 Zusammenfassung und Ausblick 197 Sie verbessern die Transparenz bei Kreditentscheiden; Sie erfüllen regulatorische Auflagen. Ratingsysteme haben aber auch Grenzen. Es ist nicht möglich, sämtliche Signale der Kreditkunden zu erfassen und zu verwerten, wie das Modell der Unternehmensentwicklung in Kapitel 4.2 gezeigt hat. Wie ein weiteres Beispiel, das der schwarzen Schwäne bzw. des Ausfalls von grossen Banken, gezeigt hat, ist ein System so gut wie die zur Verfügung stehenden und berücksichtigten Daten. Wird etwas nicht gemessen, kann es nicht einfliessen. Wurde etwas nicht über genügend lange Zeit gemessen, kann es nicht statistisch verwertet werden. 7.2 Nutzen für die Praxis Diese Arbeit basiert auf einem anwendungsorientierten Forschungsansatz. Dementsprechend sollen die Resultate in die Praxis zurückfliessen. Sprachlich sollte die Arbeit für Finanzfachleute so abgefasst sein, dass sie den wirtschaftsinformatischen Ausführungen folgen konnten. Für die Fachleute der Wirtschaftsinformatik sollten die finanztechnischen Ausführungen verständlich wiedergegeben werden. Untenstehend ist der Nutzen aus Sicht der einzelnen Partner in deren Worten wiedergegeben. Gerade die Grenzen der Wirtschaftsinformatik und die Rolle des Menschen wird seitens der Praxis gebührend gewürdigt. 7.2.1 Alexandre Kurth, UBS AG In der Kredit-Kundenbeurteilung schafft die Kombination von Methodik, Statistik und menschlicher Intervention basierend auf persönlichem Fachwissen ein natürliches Spannungsfeld. Aufgrund geforderter Konsistenz, Methodentreue und Statistik wäre vielerorts ein vollautomatisches Vorgehen wünschenswert. Alle involvierten Parteien sind an grösstmöglicher Genauigkeit und kleinster Fehlerrate interessiert. Aus praktischer Erfahrung ist es nicht ratsam, den Faktor Mensch in solchen Systemen zu unterschätzen. Zum Einsatz kommende Hilfsmittel müssen von den Anwendern auf allen Stufen intuitiv als sinnvoll beurteilt werden, um nicht 'unterlaufen' zu werden. Die Dissertation von Herrn Wunderlin bestätigt etliche unserer eigenen Untersuchungen und Erfahrungen, ganz speziell auch die Tatsache dass die Kombination von Mensch und Maschine zu den besten Resultaten bei der Ratingermittlung führt. Sie untermauert diese Feststellungen vor allem auf einem breiten Datenbestand von Kundenrating-Informationen unterschiedlicher Banken. Die Arbeit dokumentiert aber auch die grossen Fortschritte der letzten Jahre. Es ist noch nicht lange her, da wäre es unmöglich gewesen, solche Vergleiche mangels verfügbarer Daten anzustellen. Aufmerksamkeit wird weiterhin auf die Datenverfügbarkeit aber auch Datenqualität 198 Systembasierte Ratings und Overrides gelegt werden müssen, denn ohne diese beiden Aspekte werden Weiterentwicklungen der Methoden erschwert wenn nicht gar verunmöglicht. Die Arbeit zeigt wunderbar die Problematik verwendeter Terminologie – dieselben Wörter werden in der Finanzwelt oft verwendet, um fundamental unterschiedliche Sachverhalte darzustellen. Rating zum Beispiel ist zum Allerweltswort verkommen und wird für Rangreihenfolge, Ausfallwahrscheinlichkeit wie auch Peer-Vergleich etc. verwendet. Ein Blick hinter die 'terms and figures' ist unerlässlich, um sinnvolle und informative Schlussfolgerungen zu erhalten. Die Diskussionen mit Christian Wunderlin waren sehr professionell vorbereitet. Sie haben uns etliche Punkte hinterfragen lassen, uns aber auch Argumente für das Weiterführen der gewählten Ansätze geliefert, respektive die weiterführende Argumentation geschärft. 7.2.2 Daniel Ochsner, Credit Suisse Die vorliegende Dissertation bestätigt einerseits zum Teil schon selber durchgeführte Untersuchungen und deren Ergebnisse, beleuchtet andererseits aber auch für die Credit Suisse teils neue Felder. Darüber hinaus vertieft sie auch bisher erst oberflächlich betrachtete Punkte. Bereits aus den im Rahmen der Erarbeitung dieser Arbeit geführten Interviews konnte eine kritische Selbstreflexion bezüglich dem Handling der Override-Praxis durchgeführt werden. Des Weiteren haben Fragestellungen zum Beispiel im Zusammenhang mit der Modellentwicklung und -implementierung mit einer "neuen", externen Sicht dazu beigetragen, aktuelles Vorgehen zu hinterfragen. Dies dürfte auch dazu führen, künftig neue Aspekte respektive bestehende Aspekte in geänderter Form in die Modellentwicklung einfliessen zu lassen. Mit der umfassenden Bündelung von Know-how, u.a. aus verschiedensten zitierten Werken, schafft die Arbeit die Basis und gibt Anstoss auch für weitere, spezifische Überlegungen. Gestützt auf die nun vorliegenden Ergebnisse können, basierend auf den getätigten umfassenden Analysen, nun weitere Untersuchungen angestellt und Handlungsalternativen zur aktuellen Praxis ausgegeben werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Vergleich mit den Konkurrenzunternehmen von besonderem Interesse. Die direkte Auseinandersetzung mit der Qualität der jeweiligen Modelle und der erhaltene Einblick in die Praxis anderer Bankinstitute ist sehr spannend und hilft uns, auch weiterhin unsere Bestrebungen nach „Best-Practice“-Modellen und deren Anwendungen weiter zu leben. Zusammenfassung und Ausblick 7.2.3 199 Edwin Kälin, RSN Risk R isk Solution Network AG Der erste Teil der Dissertation führt den Leser ausführlich und in verständlicher Art und Weise in die Welt der Entwicklung und Anwendung von Ratingsystemen ein. Die Arbeit ist daher nicht nur für den Experten, sondern auch für den Einsteiger ohne detaillierte fachliche Vorkenntnisse im Themengebiet der Ratingmodelle von grossem Wert. Der Kern der Arbeit widmet sich der für die Praxis relevanten Frage, ob die Vorhersagekraft von Ratingmodellen mittels Übersteuerungen verbessert werden kann. Die Untersuchungen belegen, dass dies für die gegenwärtig im Schweizer Kreditgeschäft angewendeten Modelle zur Bonitätseinschätzung von Firmenkunden der Fall ist. Da es dem Autor gelungen ist, sowohl beide Grossbanken als auch die ZKB und die Kantonalbanken der RSN Kooperation in die Analyse mit einzubeziehen, dürfen die Erkenntnisse als repräsentativ gewertet werden. Für die Entwicklung zukünftiger Ratingmodelle von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass die beobachtete Performancesteigerung insbesondere durch Übersteuerungen im oberen Bereich des Bonitätsspektrums zustande kommt. Hier bestätigt sich die naheliegende Vermutung, dass statistisch optimierten Frühwarnsystemen Grenzen gesetzt sind, sofern es um die Beurteilung von Kreditnehmern ohne manifeste kurzfristige Risiken geht. Die Praxisrelevanz dieser Problematik ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund der risikogerechten Preisgestaltung im Investment Grade Bereich. Aus IT Sicht ist zudem der umfassende und aktuelle Überblick über die im Themengebiet tätigen Anbieter und deren Softwarelösungen von besonderem Interesse. Die Dokumentation der gängigsten Architekturen rundet die Arbeit bestens ab und wird für uns in der zukünftigen Gestaltung unserer Softwarelösung von grossem Nutzen sein. 7.2.4 Luc Seydoux, Zürcher Kantonalbank Das Wertvolle an dieser Arbeit liegt in der Aufbereitung von Daten verschiedener Marktteilnehmer, die in gleichen oder ähnlichen Märkten tätig sind. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Daten anonymisiert aufbereitet wurden. Im Gegenteil, wohl nur dank diesem Umstand konnten, gemessen am Rating-mässig bewerteten Kundenstamm, derart viele Institute gewonnen werden. Erwähnenswert ist die vom Autor dazu an den Tag gelegte Hartnäckigkeit, dank derer so viele Banken zum Mitmachen bewogen werden konnten. Wertvoll ist auch die uniforme Aufbereitung der Daten der einzelnen Institute und die vergleichende Darstellung und Würdigung der Resultate. Dies erlaubt uns eine 200 Systembasierte Ratings und Overrides Positionierung im Quervergleich und eine konkretere Fokussierung bei künftigen Anpassungen an den Modellen wie auch in prozessualer Hinsicht. Der untersuchte Bereich bildet einen wichtigen Teilaspekt im Arsenal eines Credit Risk Managers, was den Nutzen allerdings wiederum etwas relativiert. Die wichtigsten heutigen CRM Instrumente sind: Limiten- und Ratingwesen, Frühwarn- und Überwachungsinstrumente, Deckungsbewertungs-, Portfolio- und Abrechnungssysteme für Standardrisikokosten (EL) und ökonomisches Kapital (UEL). Daneben gibt es Instrumente zur Erfüllung der regulatorischen Vorgaben und Gewährleistung eines griffigen, zeitnahen Credit Risk Controllings. 7.3 Einordnung der Ergebnisse und Ausblick Die Ergebnisse dieser Arbeit können unter Beiziehen der theoretischen Grundlage eingeordnet werden. Wie in Kapitel 2.6.2 aufgeführt, wird in den Wissenstheorien zwischen implizitem und explizitem Wissen unterschieden. In Ratingsystemen wird das explizite Wissen zu quantitativen und qualitativen Risikosignalen von Kreditnehmern eingearbeitet. Die Beantwortung der Forschungsfrage mit dem positiven Einfluss von Overrides zeigt, dass implizites Wissen die Qualität von Ratingentscheiden steigert. Es gäbe theoretische Modelle wie in Kapitel 4 dargelegt, die zur weiteren Systematisierung dieses impliziten Wissens dienlich wären. Die Kosten-NutzenBetrachtung verhindert jedoch solche Aufarbeitungen: die weitere Steigerung der systembasierten Ratingqualität durch die Aufarbeitung von implizitem Wissen ist betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Vielmehr wird versucht, durch stetig länger werdende Zeitreihen und durch einen stetig wachsenden Pool an homogenen Daten eine Leistungssteigerung der statistisch basierten Modelle zu erreichen. Die Rolle der Maschine wird sich daher vermehrt von einer Unterstützung in eine Kollaboration wandeln. Auch die aktuelle Forschung steht solchen Entwicklungsmöglichkeiten offen gegenüber, empfiehlt aber, den differenzierten und reflektierten Umgang mit den Resultaten von Entscheidungs-Unterstützungs-Systemen weiterhin zu fördern232. Wagt man einen Blick in die Zukunft, dann sind viele Aktivitäten in den Bereichen Rating und Ratingsysteme zu erkennen. Bei den Banken wird versucht, eine möglichst hohe Trennschärfe mit einem Minimum an Overrides zu erreichen. Gewisse Tendenzen gehen dabei in Richtung „Eindämmung des Fein-Tunings“, andere in Richtung „strategisches Analysieren des Kreditkunden“. So ist derzeit z.B. die Luzerner Kantonalbank233 an einem Projekt mit dem Namen PIMS (Profit Impact of Market Strategy). Basierend auf der Überlegung, dass ein gutes Finanzergebnis nicht automatisch auf ein gesundes Unternehmen hinweist (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Reifephase in Kapitel 4.2.3) und dass die starke Konjunktur der letzten 232 233 Bartmann P. (2009) S. 8 Ciglia F. (2008) S. 7ff Zusammenfassung und Ausblick 201 Jahre keine signifikanten Ratingverbesserungen gebracht hat, soll ein alternativer Weg beschritten werden. Auch die grossen Ratingagenturen hinterfragen derzeit aufgrund ihrer Rolle im Rahmen der Finanzkrise ihre Modelle und Prognosen. Aus wissenschaftlicher Optik sind dem Autor mehrere Projekte im Umfeld Rating bekannt: einerseits forscht die HSG an Fragen rund um das Rating, andererseits betreibt das IFZ Projekte zu alternativen Ratingansätzen: einige dieser Projekte basieren auf der Homogenisierung von Risikoprofilen, manche auf dem Einfluss von Systemkomponenten und Organisationsformen auf das Ratingergebnis und wiederum andere auf optionsbasierten (kausalanalytischen) Ansätzen. Auch diese Arbeit bietet eine Grundlage für ergänzende Forschungsfragen. Die Arbeit adressiert nur Ausfälle. Somit stellt sie die Frage, inwieweit der Mensch einen Ausfall in den nächsten 12 Monaten erkennen kann. Es wäre unter dem Aspekt zu reduzierender Alpha-Fehler auch interessant herauszufinden, ob negative Entwicklungen erkannt werden, die zwar nicht zu einem Ausfall, wohl aber zu einer Ratingverschlechterung führen. Ebenfalls wäre es interessant zu prüfen, ob die erkannte Wirkung von Overrides im Bereich Kreditkunden ab 100‘000 CHF Umsatz oder im Bereich Immobilienkredite allgemeine Gültigkeit haben: Da im Bereich Hypotheken Treiber wie das Objekt gelten, kann derzeit nicht von dieser Arbeit auf andere Kreditbereiche geschlossen werden. Im Bereich kleiner Unternehmen mit einem Umsatz unter 100‘000 CHF bekommen der agierende Mensch und die Geschäftsidee deutlich Gewicht. Somit kann auch hier nicht automatisch eine Schlussfolgerung gezogen werden. Das Thema Rating wird sicherlich weiterhin hohe Aktualität geniessen. Mit der gesteigerten Leistungsfähigkeit von IT-Systemen und der zunehmend steigende Datenqualität werden auch künftig immer wieder neue Möglichkeiten entstehen. So darf gespannt in die Zukunft geblickt werden, ob der vom Wirtschaftsinformatiker Peter Mertens234 als leitendes und langfristiges Ziel der Wirtschaftsinformatik deklarierten Zustand des sinnvoll vollautomatisierten Betriebs je erreicht werden kann. Aus Sicht des Autors wird diese eine Güterabwägung zwischen den Transaktionskosten von Overrides und den Kosten der Kodifizierung von bisher implizitem Wissen der Kreditkundenberater sein. Die Ausfallkosten zählen nicht zur dieser Abwägung. Sie stehen in einer eigenen Güterabwägung mit den Modellverbesserungen, da sie bisher weder durch das kodierte noch durch das nicht kodierte Wissen vermieden werden konnten. 234 Mertens P. (1995) S. 48ff 8. Quellenverzeichnis 204 Systembasierte Ratings und Overrides Abolhassani R. (2006) Data Warehousing im Risikomanagement: Bestimmung des Datenhaushaltes am Beispiel eines Finanzdienstleisters, Giessen: Universität Giessen und Ernst & Young, 2006 Akerlof G.A. 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Anhang 218 Systembasierte Ratings und Overrides 9.1 Beratungsoutput Ratingsystem Bankbeziehung: Finanzzahlen: Bilanz Anhang Finanzzahlen: Erfolgsrechnung 219 220 Finanzzahlen: Mittelflussrechnung Kennzahlen: Liquidität Systembasierte Ratings und Overrides Anhang Kennzahlen: Finanzierung / Risiko I Kennzahlen: Finanzierung / Risiko II 221 222 Kennzahlen: Profitabilität I Kennzahlen: Profitabilität II Systembasierte Ratings und Overrides Anhang Kennzahlen: Profitabilität III Kennzahlen: Rentabilität 223 224 Kennzahlen: Effizienz I Kennzahlen: Effizienz II Systembasierte Ratings und Overrides Anhang Kennzahlen: Qualitative Beurteilung Ratingentwicklung 225 226 Systembasierte Ratings und Overrides 9.2 Interviewverzeichnis Anhang 9.3 Mindmaps Datenpool & univariate Kennzahlen 227 228 Multivariate Kennzahlen und Test Systembasierte Ratings und Overrides Anhang Kalibrierung, Test und Validierung 229 230 Einführung neues Modell Systembasierte Ratings und Overrides Anhang Diverse Notizen 231