Claudius - Klassische Archäologie

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Claudius - Klassische Archäologie
Institut für Klassische Archäologie
Claudius - Der verleugnete Kaiser
Um 50 n. Chr.
Kopenhagen, Ny Karlsbergglyptothek, Inv. 1948
„Wenn wir aber das Gefühl haben, dass ihm
etwas fehle und er sowohl körperlich als auch
geistig nicht ganz auf der Höhe sei, dann dürfen
wir den Leuten, die gewohnt sind, über solche
Dinge zu spotten und zu kichern, keinen Stoff
geben, jenen und uns zu verlachen.“ Mit diesen
Worten rechtfertigte Augustus die Entscheidung,
seinen Großneffen Claudius dauerhaft nicht mit
wichtigen politischen Ämtern zu betrauen. Den
Kaiser bewog die Angst vor einer Diskreditierung der gesamten Herrscherfamilie durch das
hinkende Mitglied, das unnatürliche Verhaltensweisen wie Zuckungen und gelegentlichen Verlust der Selbstbeherrschung aufwies, zu diesem
Schritt.
So musste sich der 10 v.Chr. in Lugdunum-Lyon
geborene Sohn des älteren Drusus, eines Stiefsohns, und der Antonia minor, einer Nichte Augustus', obwohl Teil der engsten kaiserlichen
Familie mit wenig auffälligen sakralen Aufgaben
als Priester begnügen. Dementsprechend wurden auch nur wenige Bildnisse des jungen
Claudius angefertigt. Bekannt ist lediglich eine
Darstellung aus Ticinum-Pavia, die ihn als 17/18-jährigen in einer Familiengruppe zeigt.
Der rhetorisch hoch begabte Claudius widmete
sich, da ihm auch unter Tiberius eine Karriere
verwehrt blieb, den Wissenschaften, vor allem
Geschichte und Grammatik. In dieser Zeit entstand wohl der Großteil seines Schrifttums, das
– wenn auch fast nichts erhalten ist – ihn unter
allen Kaisern als den wissenschaftlich fähigsten
und tatkräftigsten auszeichnet.
Die Thronbesteigung seines Neffen Caligula
brachte ihm zwar endlich die Berücksichtigung
bei der Vergabe hoher Ämter, setzte den Schickanierungen am Hofe jedoch kein Ende. Überdies ist aus dieser Zeit keine Claudiusstatue
bekannt, lediglich zwei Inschriften, die eine solche erwähnen. Es könnte sich dabei um Bildnisse im sog. „Typus Kassel“ gehandelt haben, der
bisher ausschließlich vom Beginn seiner Regierungszeit bekannt ist, vielleicht aber schon davor existiert haben könnte.
Nach der Ermordung Caligulas 41 n.Chr., die
dessen Willkürherrschaft ein Ende setzte, er-
langte Claudius im Alter von 51 Jahren doch
noch die Kaiserwürde. Allerdings handelte es
sich um eine Usurpation mit Hilfe der Prätoria-
Büste des Claudius, Replik im Typus Kassel, Kassel.
nergarde, die nur zögerlich vom Senat anerkannt wurde, der mehrheitlich die Restauration
der Republik anstrebte. Umso größer ist die
Leistung des nach Ansicht seiner eigenen Familie ungeeigneten Claudius zu bewerten, ohne
senatorisches Wohlwollen die Situation zu stabilisieren und seine eigene Macht zu konsolidieren.
Dies gelang ihm durch einen politischen Kurswechsel, der gleichzeitig mit der Konzi-pierung
eines neuen Porträttypus öffentlich propagiert
wurde. Claudius wird nun wesentlich naturalistischer dargestellt als im Typus Kassel: mit breiter
Stirn und außen abfallenden Brauenbögen, mit
im Vergleich zu seinen Vorgängern wenig hervorspringendem Kinn und vor allem mit Zeichen
des Alters. War seit Octavian-Augustus das
jugendlich glatte Antlitz des Herrschers unabhängig von dessen Alter Standard, so geben
jetzt fleischig weiche Gesichtsoberfläche, Doppelkinn, leicht eingefallene Wangen, tiefe Nasolabialfalten, deutliche Tränensäcke und ausgeprägte Stirnfalten erstmals das fortgeschrittene
Alter des Herrschers wieder.
Dem neuen Kaiser ging es darum, sich zu Beginn seiner Regierung auch im Bild von der unheilvollen Herrschaft Caligulas zu distanzieren.
Da dieser in augusteischer Porträttradition
stand, musste Claudius neue, eigene Bildelemente entwickeln. Wenn seine Porträts auch
nicht als genaue Abbilder seines tatsächlichen
Aussehens gewertet werden dürfen, so zeigen
sie im Vergleich zu den unnahbar wirkenden
Bildnissen der vorausgehenden 70 Jahre doch
wesentlich menschlichere Züge. Zahlreiche
weitere Repliken noch um einiges deutlicher als
die hier ausgestellte.
Besonders gut lässt sich dieser Stilwandel an
den Münzbildnissen nachvollziehen, die im
Rahmen ihrer gestalterischen Möglichkeiten
ebenfalls Bildelemente rundplastischer Werke
aufgreifen. Während die zweite Münzemission
noch den in augusteischer Porträttradition stehenden Typus Kassel reproduziert, können die
Münzen der dritten Emission bereits hervorragend mit dem Haupttypus in Deckung gebracht
werden und dokumentieren eindeutig die Ablösung des Typus Kassel durch den Haupttypus
am Beginn der claudischen Zeit.
links: Aureus, 2. Emission, rechts: Aureus, 3. Emissi41/42 n.Chr., Kunsthandel. on, 41/42 n.Chr., Berlin
Einzelne Bildelemente wie das klar geordnete
Stirnfrisurschema und der schmal-lippige, fein
geschwungene Mund greifen allerdings auch auf
althergebrachte Formen zurück, sodass neben
der Propagierung neuer Werte doch auch an die
Dynastie, v.a. natürlich an die glorreichen Zeiten
unter ihrem Gründer Augustus, angeknüpft wird.
Claudius wollte als würdiger Erbe des Augustus
gesehen werden, der aber zu mehr fähig ist als
nur diesen nachzuahmen. Ein schmaler Grat
zwischen Bruch mit der ganzen Dynastie und
Fortführung der Despotie seines Neffen.
Diesem Anspruch musste der neue Kaiser gerecht werden. Und es gelang ihm, indem er den
Senat stärker an den Regierungsgeschäften
beteiligte, mit einem ehrgeizigen Bauprogramm
Versorgungsengpässe in Rom behob, liberale
Politik gegenüber den loyalen Provinzialen übte
und mit der prestigeträchtigen Eroberung Britanniens einen Plan des Augustus vollendete –
erstmals seit diesem wurde das Reichsgebiet
vergrößert. Insgesamt feierte Claudius, dessen
Außenpolitik nicht nur von Erfolg beschieden
war, zur Kompensierung seiner Defizite im Militärwesen 27 Triumphzüge in Rom. In den ersten
Jahren seiner Regierung ließ er die senatorische Opposition verstummen und setzte sich als
unangefochtener Machthaber durch, was sich
u.a. darin äußert, dass er sich als erster Kaiser
zu Lebzeiten in der Pose eines Gottes, nämlich
des Juppiter, darstellen ließ.
In der Endzeit seiner Regierung entstand mit
dem sog. „Typus Turin“ ein neuer Bildtyp, der
den Haupttypus aber nicht verdrängen konnte.
Ohnehin unterschied er sich lediglich durch
kubischere Gesichtsproportionen und reichere,
kleinteiligere Gestaltung des Stirn- und Schläfenhaars.
Doch war die zweite Hälfte Claudius' Herrschaft
weniger glücklich: Mit zunehmendem Alter verschlechterte sich seine Gesundheit, der Einfluss
seiner Berater und Ehefrauen nahm zu und es
kam vermehrt zu Intrigen am Hof. Seiner vierten
Frau und Nichte, Iulia Agrippina, gelang es sogar, ihren Sohn Domitius – den späteren Nero –
als Erben gegen Claudius' jüngeren, leiblichen
Sohn aus dritter Ehe, Britannicus, einzusetzen.
Am 13.10.54 starb Claudius unter zweifelhaften
Umständen. Er wurde durch den Senat vergöttlicht, nach Augustus der erste Kaiser, dem diese
Ehre als Denkmal seiner Verdienste um den
römischen Staat zuteil wurde. Von Seiten der
römischen Oberschicht, die von Claudius' Herrschaft wenig profitierte, erhielt er jedoch harte
Kritik, die seinen Nachruhm erheblich schmälerte. War er doch in Wirklichkeit ein kluger und
geschickter Staatsmann, der die Entwicklung
Roms – Stadt wie Reich – positiv beeinflusste
und gleichzeitig seine eigene Machtposition
ausbaute. Im Hinblick auf die Porträtkunst formulierte Caterina Maderna treffend, dass Claudius es verstand, »die positiv konnotierten Leitvorstellungen der Herrschaft des Augustus mit
einem durchaus offen bekundeten, erheblich
autokratischeren Machtanspruch der Monarchie
– ungeachtet des caliguläischen 'Fiaskos' – zu
verknüpfen«.
LITERATUR: C. Maderna, Die Bildhauerkunst während
der Regierungszeit des Claudius (41-54 n.Chr.), in:
C.H. Bol (Hg.), Die Geschichte der antiken Bildhauerkunst IV. Plastik der römischen Kaiserzeit bis zum
Tode Kaiser Hadrians, Mainz 2010, S. 69-99; A.-K.
Massner, Zum Stilwandel im Kaiserporträt claudischer
Zeit, in: V.M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des
Kaisers Claudius (41-54 n.Chr.): Umbruch oder Episode?, Mainz 1994, S.159-173
DAVID ENDERS