EINtauchEN IN dIE Natur

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EINtauchEN IN dIE Natur
Les Hautes- Alpes
EINtauchen in die Natur
Um in das Département Hautes-Alpes zu gelangen, kann man
sich einfach vom Midi aus, dem beliebten Süden, ins Landesinnere begeben. Es verbindet die Vorzüge zweier Landschaften: den mediterranen Charme der Provence und die Wintersportmöglichkeiten der Alpen. In den vergangenen Jahren
sind inmitten ausgedehnter Wälder, Berge und Täler immer
mehr unkonventionelle Unterkünfte entstanden.
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chen, die Bruno selbst entworfen hat. Jedes hat
seinen eigenen Charakter und trägt den Namen
eines Sternbildes. Während Pérsée (Perseus) über
zwei Etagen und ein Aussichtstürmchen verfügt,
erinnert Céphée (Kepheus) an eine Trapperhütte.
Und wer in der etwas abgelegenen Cassiopée
(Kassiopeia) übernachtet, sollte mit nächtlichem
Besuch von Hirschen und Wildschweinen auf dem
Terrain vor der Veranda rechnen. Von unserer
Hütte Andromède aus, die modern und gemütlich
eingerichtet ist, haben wir einen herrlichen Blick
auf Wald und Sternenhimmel. Nachts herrscht hier
absolute Stille, doch mit der aufgehenden Sonne
setzt ein regelrechtes Vogelorchester ein.
•
B
Vorige Seite: Panorama
bei Les Orres. Diese
Seite, im Uhrzeigersinn:
Terre des Baronnies;
Abkühlung im Fluss
Méouge; am Lac de
Serre-Ponçon;
selbstgemachte
Ziegenkäsekugeln mit
Kräutern und Blüten.
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ei „Terre des Barronnies“, direkt an der
Grenze zur Provence, handelt es sich um
so eine innovative Einrichtung. Hier
wird der Aufenthalt zur immersion
nature, zum vorübergehenden „Ab- oder Eintauchen in die Natur“. Mitten im Naturpark Baronnies
haben Bruno und Aline einen einzigartigen Ort
geschaffen, an dem sich zwei Trends harmonisch
ergänzen: der Wunsch nach Luxus und Wellness
einerseits und das Bedürfnis nach einer Unterkunft
inmitten der unberührten Natur andererseits. Wir
kommen zum Gästehaus „La Grange“, das sich oben
auf der Kuppel eines grünen Hügels befindet. Einst
eine Scheune, heute une demeure de charme mit
allem erdenklichen Komfort. Gleich in der Nähe
steht das Natursteinhaus, in dem Bruno und Aline
selbst seit zwölf Jahren wohnen, nachdem sie
beschlossen hatten, das Leben in der Stadt für ein
Leben in der unberührten Natur einzutauschen.
Das Haus hat einen gemütlichen auvent, wo Aline
Diners für die Gäste serviert, sowie eine wunderschöne Terrasse, von der aus man die Raubvögel
beobachten kann, die in schwindelerregender Höhe
ihre Kreise ziehen. Die Vögel sieht man übrigens
auch schon von der etwas tiefer gelegenen piscine
und von dem noch etwas tiefer gelegenen norwegischen „Hot Tub“, der für bis zu vier Personen
geeignet ist. Doch der wahre Geheimtipp im
Ensemble von „Terre des Baronnies“ sind die
hölzernen cabanes d’hôtes de charme etwas weiter
unten im Wald. Während Bruno sich bereits
aufmacht, unser Gepäck mit dem elektrischen
Golfwagen zu unserer Hütte hinunterzubringen,
schlendern wir ganz gemütlich über einen schmalen
Waldweg hinterher. Schon bald treffen wir auf fünf
freistehende, von Pinien umstandene Holzhäus-
Leckereien aus der Natur
Am Nachmittag erwartet uns eine Überraschung:
Wir werden von Claire Girard zu einer „Pflückwanderung“ mitgenommen. Claire führt uns in die
cuisine sauvage ein, die wilde Küche: Kochen mit
Kräutern und Pflanzen, die man einfach so in der
Natur finden kann. Sie macht uns mit Geheimnissen des Waldes bekannt und anschließend dürfen
wir unseren eigenen Ziegenkäse zubereiten – mit all
den gesammelten essbaren Blumen, Pflanzen und
Kräutern. Jemand bemerkt, dass beim Aperitif zehn
unserer Häppchen verschwunden sind. „Wir hatten
doch 27 zubereitet, und jetzt sind es nur noch 17!“
Das Mysterium der „verschwundenen Häppchen“
sollte den roten Faden unserer nachfolgenden
Gespräche bilden.
Aber keine Sorge, uns mangelt es an nichts. Abends
Nachts herrscht hier absolute Stille,
doch mit der aufgehenden Sonne setzt ein
regelrechtes Vogelorchester ein.
genießen wir das hervorragende soirée gastronomie
du terroir, zubereitet und serviert von Aline, unter
anderem mit einer Tajine und fantastischem
Lammfleisch. „Hier wird zwar nicht sehr viel Wein
angebaut, doch ich habe einige feine Tropfen für
uns auftreiben können“, sagt Bruno voller Stolz.
Und in der Tat, seine trouvailles bringen das volle
und fruchtige Aroma eines Anbaugebietes mit, in
dem durchgehend die Sonne lacht.
Die sauberste Luft von ganz Frankreich
Das Département Hautes-Alpes darf man nicht
verwechseln mit dem Département Alpes-de-Haute-Provence, auch wenn sie direkt aneinander
grenzen. Von Marseille aus geht das Land ganz
allmählich in die sanften Hügel der Provence und
der Haute-Provence über, dann erst gelangt man
nach Hautes-Alpes. Im Südwesten wirkt das
Département noch recht provenzalisch mit seinen
tiefen Schluchten im Kreidegestein, wo man
Thymian und Rosmarin riecht und die Grillen
geräuschvoll zirpen. Doch je weiter man in den
Osten kommt, umso mehr verstärkt sich der
Eindruck, dass man es eigentlich mit einem
Skigebiet mit hohen Bergen, Skiliften und Berghütten zu tun hat. Plötzlich verwandelt sich die
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Ungeachtet, wohin man kommt, die
Natur ist gleichermaßen beeindruckend
und überwältigend.
Landschaft von einem Gebiet für Gourmands in ein
Wintersportparadies. Aber ungeachtet, wohin man
kommt, die Natur ist gleichermaßen beeindruckend
und überwältigend.
Im Südwesten herrscht eine Atmosphäre wie in der
Provence vor 20 Jahren: Es ist sehr ruhig hier und
es fehlen die Touristen, die sich gern gruppenweise
auf den lokalen Wochenmärkten tummeln. Hier
kann man wunderbar wandern. An ihren raueren
Stellen erinnert die Schlucht von Méouge stark an
den Lubéron. All die Gerüche und diese herrlich
warme Luft... Hach! Ein freundlicher Mann in
Wanderkluft verrät uns alles über die Flora und
Fauna der Region. Er berichtet von einer unglaublich großen Zahl Schmetterlinge, die man hier
beobachten kann, und rühmt „die sauberste Luft
von ganz Frankreich“. „Nur schade, dass man im
vergangenen Jahrhundert hier so viel Wald abgeholzt hat“, seufzt er. Um die Erosion zu stoppen,
hat man anschließend die langweilige Österreichische Tanne angepflanzt, le pin Autrichien, was zu
vielen fôrets monotypiques führte, eintönigen
Tannenwäldern, die wie zottelige Fellbüschel die
felsigen Gipfel der Landschaft bedecken. Unter uns
sehen wir, wie einige Leute in der Schlucht ihre
Handtücher auf den Felsen ausbreiten, um
Oben: der Lac anschließend ins Wasser zu springen. Sie erfrischen
de Serre-Ponçon. sich in der kühlen Méouge, die sich sprudelnd
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durch die Schlucht windet. Dolce far niente.
Daran können wir leider nicht teilhaben, denn nach
dem vorzüglichen Mittagessen ist es Zeit für den
Sport. Mit einem Quad Bike, einem vierrädrigen
Fahrrad, werden wir gleich den Berg hinabfahren.
Oben, auf 1.650 Metern bei Les Orres, ist die
Aussicht auf den Flickenteppich aus Weiden und
Bergflanken unbeschreiblich schön. Der gleichen
Meinung sind auch die Liebhaber des Paragliding,
die hier von einer hervorragenden Thermik
profitieren. Doch schon sitzen wir auf unseren
Quads und lauschen leicht gedämpft durch den
Helm den Ausführungen unseres Führers Mathieu.
Seine Sicherheitsanweisungen nehmen besorgniserregend viel Zeit in Anspruch, aber das ist nun
einmal notwendig, um sich gegenüber risikofreudigeren Teilnehmern abzusichern. Im Grunde hat
man nichts zu befürchten auf diesen Kettcars für
Erwachsene. Solange man nur den Helm trägt und
nicht vergisst, beim Bremsen aus hoher Geschwindigkeit auch die Hinterradbremsen zu betätigen,
sofern man keinen Salto vorwärts machen möchte.
In einer Kolonne fahren wir hinter Mathieu her,
durch Büsche, zwischen den Bäumen hindurch, um
anschließend die Bergstraße hinunter zu sausen. Es
lebe das Kind in uns!
Quell der Freude
Am folgenden Morgen kommt das Kind abermals
auf seine Kosten, denn wir bekommen Kajakunterricht auf dem Lac de Serre-Ponçon. Ein enormer
Stausee, der größte von Europa sogar, der in den
Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen
Jahrhunderts in der damals noch üblichen Weise
angelegt wurde: ohne Rücksicht auf Verluste. Drei
Dörfer mussten dafür weichen. Von einem ragt –
gewissermaßen als Wahrzeichen eines verschluckten
Dorflebens – einzig die Kirche heraus.
Der Stausee wurde aus praktischen Gründen
angelegt: Um den wachsenden Energiebedarf zu
decken, um trockene Gebiete der Provence zu
bewässern und um das Hochwasser des Flusses
Durance aufzufangen. Aber der See erwies sich
auch als Quelle der Freude, unter anderem durch
einen stetig wachsenden Wassersporttourismus.
Zahlreiche Familien verbringen ihren Urlaub auf
den Campingplätzen entlang der Ufer. Und man
kann hier sehr viel unternehmen, vor allem Eltern
mit Kindern können sich hier rund um die Uhr
beschäftigen. Man kann hier paddeln, Tretboot
fahren, surfen, reiten, wandern, radfahren, kitesurfen, segeln, Stand Up Paddling, in aufgeblasenen
Kugeln über das Wasser laufen und vieles mehr.
Die ganz Kleinen knabbern währenddessen an der
barbe à papa, einer Art Zuckerwatte, etwa auf der
Minikirmes der base de loisirs, des Vergnügungsparks des am Seeufer gelegenen Ortes Savines-leLac.
Eine herrliche Gegend eigentlich, die HautesAlpes, mit ihrer sympathischen Unaufdringlichkeit,
mit ihren Restaurants, wo man schon für wenig
Geld ein ordentliches Drei-Gänge-Menü inklusive
einem viertel Liter Wein bekommt („uniquement le
Midi“), wo man alles vorfindet, was das Freizeitsportlerherz begehrt. Und wo man zu sich selbst
finden kann, zu seinem eigenen Tempo und einfach
mal kurz „abtauchen“ kann in der wundervollen
Natur.

Text Fabian Takx fotos Alain Lorfèvre & Département
Hautes-Alpes
Im Uhrzeigersinn:
Paddeln auf dem
Stausee; einzig eine
Kirche erinnert an die
drei Dörfer, die dem
Stausee weichen
mussten; ‘barbe à papa’
auf einer kleinen Kirmes
am See; hoch oben mit
einem Quad bike.
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Tipps & Adressen
Übernachten
☛ Terre des Baronnies
La Capelette, Ribeyret, Tel. +33 492 512508,
www.terredesbaronnies.com.
☛ Les Bartavelles
Ein gemütliches Familienhotel in der Nähe
des Lac de Serre-Ponçon gelegen, mit einem
umfangreichen Wellnessangebot, Außenpool
und einem hervorragenden Restaurant.
Les Clos des Pommiers, Crots,
Tel. +33 492 432069, www.bartavelles.com.
☛ Hôtel Les Peupliers
Rustikales Drei-Sterne-Hotel in den Bergen
mit Spa. Hier kommt man in den Genuss der
traditionellen regionalen Küche.
Chemin de Lesdier, Baratier, Tel. +33 492
430347, www.hotel-les-peupliers.com.
☛ Le Soustet des Auches
Gemütliche chambres d’hôtes in einem
hübschen Dorf.
58, Rue Henri Peuzin, Serres,
Tel. +33 6 14861866/492 513163,
www.le-soustet-des-auches.com.
☛ La Font Vineuse
Besonders bezaubernde chambres d’hôtes
mit Spa und table d’hôte in der Nähe des
Lubéron, mit einem wirklich netten
Eigentümer.
Domaine de la Font Vineuse,
Saint-Pierre-d’Argençon,
Tel. +33 6 79145185,
www.lafontvineuse.com.
Aktivitäten
☛ Pra Boyer
☛ La Maison du Guil
Sehr empfehlenswertes chambre d’hôtes, das
sich in einer restaurierten Klosterkirche aus
dem 16. Jahrhundert niedergelassen hat und
von einem belgischen Ehepaar geführt wird.
Der Guide Michelin und der Gault Millau sind
sich in ihrem Lob einig.
La Font, Eygliers, Tel. +33 492 501620,
www.lamaisonduguil.com
Claire Girard organisiert „Pflück­
wanderungen“ durch die Natur und bietet
Kochworkshops aus der „Wilden Küche“
(cuisine sauvage). Darüber hinaus vermietet
sie Zimmer mit Option zur table d’hôtes.
Pra Boyer, Montmorin, Tel. +33 492 660337,
www.gitedepraboyer.com
☛ Wassersport
Für das Wassersportangebot auf
dem Lac du Serre-Ponçon siehe
www.tourisme-embrun.com.
☛ Le Jardin Botanique Alpin du
Lautaret
Ein botanischer Garten auf 2.100 Metern
Höhe mit über 2.000 verschiedenen
Alpenblumenarten. Von Juni bis einschließlich
September täglich geöffnet von 10 bis 18
Uhr.
Le Lautaret, Villar-d’Arène,
Tel. +33 492 244162
☛ Abbaye de Boscodon
In der Nähe des Lac de Serre-Ponçon
befindet sich die Abtei von Boscodon, einst
Domizil des Ordens von Chalais, eines
Mönchordens, der in seiner Genügsamkeit
den Zisterniensern in nichts nachsteht. Die
Abteikirche und die Kapelle sind täglich von 9
bis 18.30 Uhr geöffnet, während das Kloster
und die Ausstellungen nur an bestimmten
Tagen geöffnet sind.
Crots, www.abbayedeboscodon.eu.
☛ Seilbahn La Grave La Meije
Für diejenigen, die in die Alpen bis auf 3.200
Meter Höhe wollen. In der direkten
Umgebung gibt es noch weitere touristische
Attraktionen, u.a. für Extremsportlarten wie
Rafting, Paragliding und Bergsteigen.
Darüber hinaus gibt es ein Gletschermseum
mit einer Eisgrotte.
La Grave, Tel. +33 476 799109,
www.la-grave.com; www.lagrave-lameije.com;
www.grottedeglace.com.
☛ VTT Électrique
Der neuste Trend im Sportbereich: Das
Mountainbike mit Elektromotor, das auch
weniger sportliche Urlauber in die Lage
versetzt, hohe Berge zu erklimmen. In einer
Reihe Hotels in der Umgebung des Lac du
Serre-Ponçon kann man sie mieten: Hôtel
des Autanes, Hôtel La Ferme de l’Izoard,
Hôtel des Peupliers. Das Hôtel des Peupliers
bietet verschiedene randonnées auf dem
vélo électrique an.
Siehe auch www.slowbiketour.fr.
☛ Wintersport
Im Osten des Départements Hautes-Alpes
befindet sich ein gut entwickeltes
Wintersportgebiet mit über 30 Skiorten.
www.hautes-alpes.net
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☛ Quad bikes
Mathieu Barniaudy ist ein sehr guter und
sympathischer Einweiser sowie Vermieter von
Quad Bikes.
Place Jean Estournel, Eyguians,
Tel. +33 6 13418355,
www.qbx-provence.com.
☛ Museoscope du Lac
Die Entstehungsgeschichte des Stauwehrs
des Lac du Serre-Ponçon.
Belvédère de Serre-Ponçon, Rousset,
Tel. +33 492 545000,
www.museoscope-du-lac.com