Florenvielfalt am finanziellen Tropf
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Florenvielfalt am finanziellen Tropf
Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf 12. Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Willy Zahlheimer Zusammenfassung Besonders die Änderungen in der Landbewirtschaftung, damit zusammen hängende Entwässerungsmaßnahmen und Flurbereinigungen, der Gewässerausbau und sonstige Baumaßnahmen haben dazu geführt, dass die Gefährdung unserer Pflanzenarten ständig wächst. Dies steht zum Auftrag der Naturschutzgesetze ebenso im Widerspruch wie zur 2008 beschlossenen vorbildlichen Biodiversitäts-Strategie der Bayerischen Staatsregierung. Hoheitliche Maßnahmen wie der Schutz bestimmter Arten oder Lebensstätten bewirken zu wenig. Die Regierung von Niederbayern als höhere Naturschutzbehörde hat daher bereits 1986 begonnen, durch spezielle Artenhilfsmaßnahmen den Schwund der Pflanzenarten und -fundorte zu bremsen. Seit 1989 beauftragt sie versierte Biologen und Landespfleger damit, Restvorkommen vom Aussterben bedrohter oder stark gefährdeter Arten der Roten Listen sowie arealmäßig exponierte Vorkommen zu betreuen. Derzeit sind über 200 Arten an etwa 750 Wuchsorten Gegenstand des niederbayerischen Pflanzenarten-Hilfsprogramms. Das Arbeitsspektrum der Auftragnehmer umfasst neben der exakten Lokalisation und Abgrenzung der Fundorte eigene Artenhilfsmaßnahmen und das Initiieren und Koordinieren zusätzlicher Pflegemaßnahmen. In vielen Fällen sind Erhaltungskulturen anzulegen und nachgezogene Pflanzen zur Bestandesstützung zu etablieren. – Neben erfreulichen Erfolgen gibt es leider auch Fehlschläge. An Hand einer Reihe von Beispielen werden unterschiedliche Einzelfälle vorgestellt. Besonders wichtig ist die Kooperation mit Kreisverwaltungsbehörden, Landschaftspflege- und Naturschutzverbänden. Die Politik ist gefordert, in zunehmendem Umfang Mittel für botanische Artenhilfsprogramme bereit zu stellen. Aktuell werden alleine für die Betreuung der Hochbedrohten in Niederbayern jährlich über 150.000 € benötigt. Dazu kommen erhebliche Kosten für Pflegemaßnahmen durch Dritte oder Grunderwerb. Die an92 spruchsvollen Biodiversitätsziele können aber kaum erreicht werden, wenn sich nicht zusätzlich die Kreise der gefährdeten Arten annehmen und auch die Gemeinden für mehr botanische Vielfalt „vor der Haustüre“ sorgen. Außerdem müssen die Schulen wieder mehr Artenkenntnis vermitteln. Es kommt nicht von ungefähr, dass der programmatische § 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) den Schutz unserer Pflanzen- und Tierwelt zu einer Kernaufgabe der Naturschutzarbeit erklärt: Natur und Landschaft sind „im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen, dass … 3. die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume … auf Dauer gesichert sind“. Was wir auf diesem Gebiet tatsächlich leisten, zeigen die wachsenden Roten Listen bedrohter Arten, nämlich – selbst in Bayern – viel zu wenig. Derzeit gelten sowohl in Bayern (SCHEUERER & AHLMER 2003) als auch in Niederbayern (ZAHLHEIMER 2001) über 40 % der höheren Pflanzen als mehr oder weniger stark gefährdet. Vor diesem wie auch vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen zur Sicherung der biologischen Vielfalt hat die Bayerische Staatsregierung im Sommer 2008 eine Biodiversitäts-Strategie beschlossen, die eine Trendwende herbeiführen soll: Bis 2020 soll jede zweite Art der Roten Liste Bayerns um eine Stufe weniger gefährdet sein. Sondermittel für Biodiversitäts-Projekte wurden ausgewiesen, um diesem sehr kühnen Ziel näher zu kommen. Artenschutz durch Paragraphen Wenn es um den Schutz von Arten geht, denkt man natürlich als Erstes an den durch das Artenschutzrecht (BNatSchG mit Bundesartenschutzverordnung). Auf nationaler Ebene wird dadurch eine mittlerweile schwer überschaubare Zahl überwiegend attraktiver Pflanzen (mehrere hundert) besonders ge- Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf schützt. Naturentnahme, Beschädigung und Beeinträchtigung des lebensnotwendigen Standorts sind verboten. Selbst die Schlüsselblumen und Leberblümchen fallen heute darunter und neben diesen viele weitere kaum gefährdete Arten. Ein kleiner Teil der besonders Geschützten ist zusätzlich streng geschützt. Bei diesen handelt es sich um Gewächse, die stärker gefährdet sind. Sie verkörpern aber nur einen Bruchteil der laut Roter Liste hoch bedrohten Arten. gebiete (FFH-Gebiete) zur Erhaltung auszuweisen sind, verbunden mit der Verpflichtung, einen günstigen Erhaltungszustand zu gewährleisten und Verschlechterungen zu verhindern. Unter den in Niederbayern etablierten Blütenpflanzen sind die Nutznießer die streng geschützten Arten Frauenschuh, Glanzständel, Kriechender Sellerie, Schellenblume, Böhmischer Enzian und Sumpfgladiole. Dazu kommen die Moose Mannia triandra, Dicranum viride und Buxbaumia viridis. Die Hauptwirkung entfaltet der hoheitliche Schutz durch die Vermarktungsverbote und damit durch das Verbot, mit Wildherkünften solcher Pflanzen zu handeln. Bei Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei greift dieser Schutz wegen entsprechender Ausnahmebestimmungen allerdings nicht (vgl. Beitrag HAAS in diesem Heft). Dies steht im Widerspruch dazu, dass der Wandel in der Landbewirtschaftung die Hauptursache für den Fundortrückgang ist. Die moderne landwirtschaftliche Nutzung hat auf flurbereinigten, meliorierten Flächen mit intensiver Düngung, Herbizideinsatz, Einsaat weniger „Hochleistungspflanzen“, Vielschnitt und rasch wechselnden Kulturen überall „botanische Wüsten“ geschaffen. Zur Florenverarmung hat aber auch die Aufgabe früherer landwirtschaftlicher Nutzungsformen sehr viel beigetragen, so die Aufgabe der Streuwiesennutzung, der Triftweide (Hirten) oder der Wald-Nebennutzungen Streurechen und Waldweide. Dazu kommt, dass trotz strenger Verbote besonders und selbst streng geschützte Gewächse ausgegraben und geraubt werden. So waren in den vergangenen Jahren u. a. Verluste durch Ausgraben zu beklagen bei Vielteiliger Mondraute, Stauden-Lein, Frauenschuh, Kammfarn (Dryopteris cristata), Gewöhnlicher und Frühlings-Kühchenschelle. Schützenhilfe aus Brüssel Nun gibt es für die nationalen Naturschutzgesetze seit Jahren Vorgaben durch europäisches Recht. In erster Linie ist hier die FaunaFlora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) zu nennen, die für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgibt, für welche Lebensraumtypen, Pflanzen- und Tierarten Schutzgebiete einzurichten oder Schutzbestimmungen zu erlassen sind. Anhang II der Richtlinie listet die Arten auf, für die besondere Schutz- Abb. 1: Stauden-Lein. Vom Schicksal der niederbayerischen Bestände wird es maßgeblich mit abhängen, ob die in Deutschland vom Aussterben bedrohte blaue Blume eine Zukunft hat (Aufnahme Armin Zahlheimer). Die Meldung unserer FFH-Gebiete ist inzwischen abgeschlossen. Auch in Niederbayern gibt es etliche, in denen die aufgeführten Pflanzenarten nun eine zentrale Rolle spielen. Die zu ihrer Erhaltung notwendigen speziellen Maßnahmen werden in den Managementplänen für diese Gebiete festgelegt, die für jedes FFH-Gebiet anzufertigen sind. Zusätzlich sind nach einem standardisierten Verfahren regelmäßig die Bestände der „AnhangsArten“ zu dokumentieren (Monitoring). Für einige Arten, so den Kriechenden Sellerie, ließ das Landesamt für Umwelt bereits bayernweite Erhebungen durchführen. Gemessen an der Riesenzahl bedrohter Pflanzenarten bedeutet der Einsatz für die paar streng Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 93 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf geschützten Arten aber eher einen marginalen Beitrag. Zusammenfassend ist festzustellen, dass FFH-Richtlinie und nationale Gesetzgebung die Probleme des Fundort- und Artenschwundes nicht einmal ansatzweise lösen, doch das Naturschutzgesetz kennt als wichtiges Instrument ja auch den Flächenschutz. So sind bei uns pauschal im ganzen Lande aktive Veränderungen des charakteristischen Zustandes der Lebensräume der Feucht-, Mager- und Trockenstandorte verboten (Art. 13 d des Bayerischen Naturschutzgesetzes). Die einzelnen Pflanzen oder Arten werden hierdurch aber nicht geschützt. Schutzgebiete, Bewirtschaftungsvereinbarungen und Landschaftspflegemaßnahmen Nach dem bisher Gesagten drängt sich die Forderung auf, wichtige Lebensräume gezielt als Naturschutzgebiete, Naturdenkmäler oder geschützte Landschaftsbestandteile auszuweisen. Abgesehen vom mangelhaften Vollzug der Regelungen und Verordnungen können Schutzgebietsverordnungen zwar aktive Eingriffe in die Lebensräume und die Pflanzenbestände bis hin zum Ausgraben oder Beschädigen von Pflanzen untersagen, doch das genügt bei den meisten Pflanzen des Offenlandes nicht. Selbst aus Naturschutzgebieten sind viele Arten verschwunden, die dort eigentlich gesichert werden sollten. Beispiele sind der Clusiusenzian (Gentiana clusii) im Naturschutzgebiet (NSG) Rosenau, der Kriechende Sellerie (Apium repens) im NSG Sippenauer Moor und die Strickwurzelsegge (Carex chordorrhiza) im NSG Weiherlandschaft bei Wiesenfelden. Ein wesentlicher Grund für solche Verluste in Schutzgebieten ist, dass diesen und vielen weiteren bedrohten Pflanzenarten nur die regelmäßige Pflege eine sonst übermächtige Konkurrenz von Mitgewächsen vom Leib hält: Sie sind Elemente von Kultur- oder Halbkulturformationen. Auch wo die Pflege heute wieder stattfindet, war sie in der Vergangenheit oft zu lange nicht gewährleistet. Seit geraumer Zeit werden den Grundbesitzern als Anreiz für eine naturfreundlichere Nutzung Extensivierungsverträge nach dem Kulturlandschaftsprogramm und Bewirtschaftungsvereinbarungen nach dem Bayerischen Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) angeboten, sogar für Teiche. Seit wenigen Jahren 94 gibt es ein VNP für Waldflächen. Aus einer Mehrzahl von Möglichkeiten kann jeweils die Vertragsvariante gewählt werden, die den Pflegeerfordernissen und den Bedürfnissen des Grundbesitzers am ehesten entspricht. Die Laufzeit der Verträge umfasst gegenwärtig fünf Jahre. Von größtem Vorteil ist es, wenn die Lebensstätten bedrohter Arten von Kommunen oder Naturschutzverbänden für Naturschutzzwecke erworben werden. Grundeigentum bietet die besten Rahmenbedingungen für die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen; es erspart dabei umständliche Verhandlungen, ermöglicht eine naturschutzfachlich optimale Umsetzung einschließlich tief greifender Standortänderungen (Wiedervernässung, Rodung, Oberbodenabtrag) und rechtfertig aufgrund der Langzeit-Perspektive auch solche teuren Maßnahmen der LebensraumVerbesserung. Nicht selten besiedeln die bedrohten Pflanzenarten Standorte, die schwer zu bewirtschaften sind, etwa Steilhänge oder Moorböden. Oft müssen die Lebensräume erst aufwändig hergerichtet werden, ehe sich wieder zukunftsträchtige Populationen entwickeln können. Entbuschung, Rodung, Wiedervernässung oder Erstschnitt nach jahrelanger Bewirtschaftungspause sind typische Maßnahmen. Bei solchen einmaligen Maßnahmen greifen die Vertragsprogramme kaum, es gibt hierfür jedoch eine Förderung nach den Landschaftspflege- und Naturpark-Richtlinien (LNPR): Dem Maßnahmeträger (meist Kommunen, Landschaftspflege- oder Naturschutzverbände) werden 70 bis 90 % der Kosten von staatlicher Seite erstattet. Auch dort, wo sich nachweislich niemand findet, der eine Pflege unter den Bedingungen des VNP bewerkstelligt, kann auf die Förderung nach den LNPR ausgewichen werden. Allerdings weicht das, was heute üblicherweise mit diesen Instrumenten an Pflege verwirklicht werden kann, in vielen Fällen doch wesentlich von dem ab, was den Pflanzenlebensraum früher geprägt hat: Viele der traditionellen Bewirtschaftungsweisen können heute nicht mehr durchgeführt oder wirkungsgleich imitiert werden. Gemessen an den Bedürfnissen einzelner Arten wird unter den aktuellen Konditionen zwangsläufig oft zu schematisch und unspezifisch gepflegt. Das bedeutet, dass die klassische Landschafts- Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf pflege den Fundortschwund in manchen Fällen nicht aufhalten kann. So sind die Beweidung von Feuchtflächen an Donau und Isar mit Tieren, die mit Rüsseln, Klauen oder Hufen den Boden verletzen, die Beweidung von Zwergstrauch-Heiden im Bayerischen Wald oder das Streurechen in Kiefernwäldern kaum mehr realisierbar. Die Folge ist eine prekäre Situation der einst für solche Nutzungsformen typischen Arten, so des Gnadenkrauts (Gratiola officinalis), der Flach-Bärlappe (Diphasiastrum) und des Winterliebs (Chimaphila umbellata). Hoch gefährdet oder bereits ausgestorben sind neben den von Nutzungseinflüssen abhängigen Arten die Pflanzen natürlicher Pionier-Lebensräume, speziell die der Schwemmbänke unserer Alpenflüsse. Der Deutschen Tamariske (Myricaria germanica; Abb. 2) und dem Ufer-Reitgras (Calamagrostis pseudophragmites) hat der Gewässerausbau die Lebensräume genommen. – In all den genannten Fällen kann nur noch eine spezielle Betreuung der Pflanzenvorkommen helfen, die nicht selten in die Sorge für die einzelnen Pflanzenindividuen mündet. Blütenpflanzenarten ihr zufolge in Niederbayern und damit regional wie sehr bedroht sind, zeigt Abb. 3. Artenhilfsprogramme Das Landesamt für Umwelt (LfU) hatte in den 1980er Jahren begonnen, die Bestände besonders bedrohter Arten zu erfassen und Erhaltungsmaßnahmen anzustoßen. Inzwischen fokussiert das LfU seine Bemühungen auf den Bruchteil der Arten, bei denen eine herausragende „Verantwortlichkeit“ gesehen wird; es sind dies die aus globaler Perspektive nur mit kleinen Arealen ausgestatteten Arten („Microarealophyten“). Um die hoch bedrohten Farn- und Blütenpflanzen insgesamt kümmern sich inzwischen mehr oder weniger intensiv Bezirksregierungen und Kreisverwaltungsbehörden. Die Prioritäten dafür liefern ihnen Rote Listen unmittelbar durch Gefährdungsgrade der einzelnen Arten; schließlich muss sich die Artenschutzarbeit zunächst auf die hoch Bedrohten konzentrieren. In einem florengeographisch so vielgestaltigen Flächenstaat wie Bayern ist es dabei sinnvoll, neben der Gefährdung in Bayern auch die in kleineren Bezugsräumen ins Auge zu fassen. Für Niederbayern wurde deshalb eine eigene Rote Liste geschaffen (ZAHLHEIMER 2001 – Kurzfassung als Download im Internet unter www.regierung. niederbayern.bayern.de). Wie viele Farn- und Abb. 2: Die einst für Schwemmbänke von Isar und Inn typische Deutsche Tamariske hat in Niederbayern nur in ehemaligen Kiesgruben bei Mamming überlebt. Durch Nachzucht und Auspflanzung an Baggerweihern wird ihr Fortbestand gesichert. Die Regierung von Niederbayern sieht ihre Hauptverantwortung bei den überregional oder regional (im Regierungsbezirk) hoch bedrohten Arten. Sie haben in der Roten Liste Niederbayern Gefährdungsstufe 1 oder 2. Entscheidend für das Aktivwerden der Regierung ist aber nicht der Rote-Liste-Status allein. So werden beispielsweise auch Vorkommen weniger gefährdeter Arten ins AHP aufgenommen, wenn diese mindestens regional bedeutend sind, beispielsweise als Florenrelikte oder Arealvorposten (Abb. 4). Wichtigste Leitlinie für die Artenauswahl sind die so genannten Schutzerfordernisgrade der Rote Liste, die neben der regionalen Gefährdung weitere bewertungsrelevante Gesichtspunkte berücksichtigen, so den Etablierungszeitraum. Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 95 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Abb. 3: Verteilung der bedrohten Farn- und Blütenpflanzenarten Niederbayerns auf die Gefährdungskategorien (ZAHLHEIMER 2001). Artenschutz via Werkvertrag Die Regierungen können die Artenhilfsmaßnahmen nicht selber durchführen. Sie bedienen sich dazu qualifizierter Büros von Biologen oder Landespflegern, die im Rahmen von Werkverträgen tätig werden. Soweit die zu betreuenden Pflanzenvorkommen nicht bereits genau bekannt sind, besteht die erste Teilaufgabe in der Überprüfung von Angaben Dritter bzw. Literaturangaben und einer gezielten Nachsuche. Diese führt mitunter zu erfreulichen Ergebnissen. So wissen wir heute, dass die Schwarzfrüchtige Zaunrübe (Bryonia alba; Abb. 5) im Bereich des Isartals um Landshut erheblich mehr Fundpunkte besitzt, als angenommen. Gefährdung und Handlungserfordernis verringern sich dadurch (vgl. Beitrag BOESMILLER in diesem Heft). Mitunter kann sich die Nachsuche recht aufwändig gestalten. Vom Eiszeitrelikt Rosenwurz (Rhodiola rosea) in der Seewand am Großen Arbersee sind bisher sechs Pflanzen festgestellt worden. Ein größeres „Muttervorkommen“ in den Felsabstürzen wird vermutet, doch trotz Bekletterns konnte es bisher nicht ausgemacht werden. Damit muss zumindest vorerst die ganze Fürsorge den paar bekannten Pflanzen gelten. Viele Quellgräben, von denen das Quellkraut (Montia rivularis s. l.) bis vor zwei Jahrzehnten belegt war, müssen abgesucht werden, um heute noch irgendwo dieses zarte konkurrenzschwache Nelkengewächs aufzuspüren. Bei Angaben, die schon zehn Jahre alt oder älter sind, ist die Wiederfund-Rate allgemein gering. 96 Abb. 4: Kalk-Aster (Aster amellus), regional wegen stabiler Vorkommen in der Alb und im Maingebiet in Bayern „nur“ gefährdet, als isoliertes Florenrelikt im Inntal (roter Kreis) aber dennoch essenzieller Bestandteil des niederbayerischen Artenhilfsprogramms.Quelle: Botanischer Informationsknoten Bayern (www.bayernflora.de). Abb. 5: Schwarzfrüchtige Zaunrübe, eine „wild gewordene“ kletternde Arzneipflanze alter Gärten mit südbayerischem Verbreitungsschwerpunkt im unteren Isartal (aus KRAUSE 1904). Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Die zweite wichtige Teilaufgabe der Werkvertragspartner besteht in der exakten Lokalisation der Fundpunkte. Die Angabe der GaußKrüger-Koordinaten nach Luftbildkarte oder Messung mit GPS-Gerät ist dabei zwingend; sie wird auch für die Artenschutzkartierung des Landesamts für Umwelt (LfU) benötigt. Vor allem aber werden die Fundpunkte, bei flächiger Verteilung die besiedelten Flächen, zum Gebrauch an den niederbayerischen Naturschutzbehörden artweise und möglichst genau als Layer für das geographische Informationssystem der bayerischen Naturschutzbehörden (FIN-View) digitalisiert (Abb. 6). NF 5 NF 3 NF 7 pflanzensoziologische Aufnahmen der Begleitflora angefertigt. Weiterhin sind die Auftragnehmer verpflichtet, für die nachhaltige Bestandessicherung zu sorgen. Dazu gehört, Pflegemaßnahmen zu initiieren und zu koordinieren, die von Dritten durchgeführten Pflegemaßnahmen zu bewerten und Vorschläge für deren Optimierung zu machen. Die Auftragnehmer leiten Vertragsabschlüsse nach dem Vertragsnaturschutzprogramm oder den Flächenerwerb zu Naturschutzzwecken in die Wege und regen erforderliche Unterschutzstellungen an. Notwendige Sofortmaßnahmen sowie ganz spezielle Pflege- und Sicherungsmaßnahmen im unmittelbaren Lebensbereich der betreuten Pflanzen führen die Auftragnehmer selbst durch (Abb. 7). NF 4 NF 6 NF 9 NF 8 NF 10 Abb. 6: Ausschnitt der Detailkarte zur Verbreitung des Holunder-Knabenkrauts (Dactylorhiza sambucina) in Niederbayern. Aktuelle Vorkommen rot, nur früher besiedelte Flächen blau (Quelle: OBERMEIER 2009). Neben dem Fundort wird stets die Pflanzenmenge (Anzahl oder besiedelte Fläche) dokumentiert, wobei blühende oder fruchtende Triebe oft eigens erfasst werden. Zusätzlich werden mitunter die Vitalität des Pflanzenbestandes, das Ausmaß des Wildverbisses und Auffälligkeiten notiert. – Das geschilderte Monitoring ist wichtig, um die Pflanzenvorkommen wieder auffinden zu können, einen Überblick der Verbreitung und des Gesamtbestandes zu gewinnen sowie Bestandesänderungen und damit auch den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen festzustellen. In Einzelfällen werden kleine Langzeitbeobachtungsflächen angelegt und dauerhaft markiert. Sie erlauben es, das Schicksal der einzelnen Pflanzen mittels Zählrahmen zu verfolgen. Zusätzlich werden manchmal Abb. 7: Individuelle Pflege eines Flachbärlapp-Vorkommens unter Leitung eines Auftragnehmers (Foto Karsten Horn, HORN 2009). Bei kleinen Restbeständen ist es ein Muss, die Population wieder zu vergrößern und möglichst auf mehrere Beine zu stellen, indem versucht wird, Tochterkolonien zu begründen. Hier gehört daher zum Aufgabenspektrum der Auftragnehmer, Diasporen27 zu werben und gezielt auszubreiten oder sich um die Nachzucht von Pflanzen zu kümmern. Die beauftragten Pflanzenarten-Betreuer fertigten bisher Jahresberichte, in denen bei den einzelnen Arten- bzw. Vorkommen dokumentiert sind die Lage des Fundortes, Populationsgröße und Entwicklungstendenz, die Standortbedingungen, Vergesellschaftung und Begleitarten, die Ökologie der Art, ihre Alle der Ausbreitung dienenden Pflanzenteile, so Früchte, Samen, Sporen, Brutknöllchen, Ausläufer, durch Hochwasser verdriftete bewurzelungsfähige Stängel- oder Astteile usf. 27) Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 97 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Verbreitung in Bayern, der Schutzstatus der Fläche, die Verhältnisse in der Umgebung, Beeinträchtigungen und Gefährdungen, Erhaltungs- und Entwicklungsziele, bisherige Schutz- und Pflegemaßnahmen, erforderliche Schutz- und Pflegemaßnahmen sowie Zeitpunkt und Art der nächsten Handlung. Aktuell erfolgt die Umstellung auf eine vollständige elektronische Datenhaltung, die sich auf die individuellen Daten zu den einzelnen Vorkommen beschränkt. Die drei Dokumentationsebenen sind dabei FIN-View-Layer für die einzelnen Arten mit den konkreten Fundpunkten bzw. Verteilungsflächen für Regierung und Kreisverwaltungsbehörden, Fundpunktangaben mittels Programm „PCASK“ für die landesweite Artenschutzkartierung und eine Exceltabelle für die diversen Daten zu den Beständen und ihrer Betreuung. LfU und Regierung von Mittelfranken entwickeln derzeit eine Software für die komfortable Datenhaltung mit Überwachungsfunktion zu den Pflanzenvorkommen bedrohter Arten. Einzelbeispiele: Fehlstart mit fahrlässiger Tötung Viele Wildpflanzen hat Niederbayern verloren, ehe mit den Artenhilfsmaßnahmen begonnen worden ist, beispielsweise Strauchbirke (Betula humilis), Sommer-Drehwurz (Spiranthes aestivalis) und Zwerg-Rohrkolben (Typha minima). Ich begann 1985 meinen Dienst an der höheren Naturschutzbehörde mit dem Vorsatz, dem Artensterben entschieden entgegen zu treten. Eine meiner ersten Initiativen war deshalb eine Bereisung mit dem Regensburger Botaniker Otto Mergenthaler, damit er mir im Bereich der von ihm für die floristische Rasterkartierung begangenen Felder zeigt, wo dringend gehandelt werden muss. Als besonders wichtig kristallisierte sich das einzige bekannte Vorkommen der Zottigen Fetthenne (Sedum villosum) bei Saulburg im Falkensteiner Vorwald heraus. Beim gemeinsamen Ortstermin wurden die Rinder als Hauptgefährdung benannt, weil sie auch im Bestand der sehr kleinwüchsigen und zarten Fetthenne am Quellgraben herum trampelten. Unsere vielfältigen Naturschutzprogramme gab es damals noch nicht und es war schon etwas Besonderes, als eine Vereinbarung mit dem Landwirt geschlossen wurde, damit er 98 gegen eine Ausgleichszahlung die kritischen Flächen nicht mehr beweidet, sondern lediglich relativ spät mäht. Als ein paar Jahre später mit der Beobachtung und Betreuung der hoch bedrohten Art über unseren ersten einschlägigen Auftragnehmer begonnen werden konnte, war Sedum villosum nicht mehr auffindbar. Ein miserabler Auftakt für einen intensiveren Pflanzenartenschutz in Niederbayern! Warum? Wie wir heute wissen, ist es gerade die Beweidung quelliger Nassstellen, die diese Fetthenne braucht. Die Versehrung eines Teils der Population durch Beweidung gehört von Natur aus einfach dazu. Unzureichende Erfahrungen und falsche Einschätzung unsererseits machten das Vorkommen kaputt. Trotz Umstellung der Bewirtschaftung und jahrelanger Nachsuche tauchte die Fetthenne nicht wieder auf; wir müssen sie in Niederbayern zu den Ausgestorbenen zählen und tragen einen wesentlichen Teil der Schuld daran. Zum Glück gibt es auch das Gegenteil – Fälle, in denen die Wiederaufnahme und konsequente Wiederholung von Pflegemaßnahmen zum Wiederaufleben verschollener Artvorkommen führte. So ist das 20 Jahre lang verschollene Sumpf-Knabenkraut (Orchis palustris) im Isarmündungsgebiet an zwei Stellen wieder aufgetaucht. Der tot geglaubte Langblättrige Sonnentau (Drosera longifolia) ist in einem Quellmoor wieder aufgeblüht. Stabilisierung durch treue Betreuung Alle sechs heimischen Flachbärlapp-Arten (Diphasiastrum; Abb. 8) sind stark gefährdet bis vom Aussterben bedroht. Das liegt daran, dass diese altertümlichen Sporenpflanzen ihren traditionellen Schwerpunkt auf den nährstoffarmen sauren Böden lichter Nadelwäldern mit Streunutzung und von Heiden und hatten. Heute wachsen die Pflanzen – von den Sand-Kiefernwäldern des Abensberger Raumes abgesehen – besonders auf Straßen- und Wegböschungen. Nur der konsequenten Betreuung solcher Fundorte über viele Jahre hinweg ist es zu verdanken, dass die meisten davon noch existieren. Ein spezielles Problem ist bei den genannten Lebensräumen, dass die Personen oft wechseln, die für den Wegeunterhalt zuständig sind, oft aber auch Firmen mit immer wieder neuen Mitarbeitern beauftragt werden, die Arbeiten auszuführen. Der ständige Kontakt Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf mit den zuständigen Stellen ist daher ein wesentliches Element der Betreuungsarbeit. Lössböschungen musste daher rasch gehandelt werden: Beseitigung der angesalbten Art und Stärkung des Stauden-Leins durch autochthone Nachzucht. Die Entwicklung des Stauden-Lein-Restbestandes im Isarmündungsgebiet (Abb. 9) könnte zu Optimismus verführen. Auspflanzungen und Ansaaten sind aber erst erfolgreich, wenn die künstlich etablierten Individuen eine ansehnliche Zahl von Tochterpflanzen hervorbringen konnten. Das geschieht bis jetzt nur ansatzweise. Freudiges Glockenläuten zur Trendwende Abb. 8: Alpen-Flachbärlapp (Diphasiastrum alpinum), als Pflanze der Hochlagen selbst noch auf dem Arbergipfel. Zusätzlich Probleme mit der Verwandtschaft: Stauden-Lein (Linum perenne) Noch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in erhöhten Lagen unseren Donauauen sandigere Böden mit ungedüngten einmähdigen Wiesen, die im Juni von den Blüten des StaudenLeins ganz blau waren. Heute gilt die Pflanze in Deutschland infolge der Nutzungsintensivierung (Acker, Düngewiesen) als vom Aussterben bedroht. Im Bereich eines der wenigen Restvorkommen auf Lössböschungen an einem Donautalrand tauchten vor einigen Jahren zahlreiche Pflanzen des ähnlich hübschen Österreichischen Leins (Linum austriacum) auf. Möglicherweise hatte ein wohlmeinender Aktivist versucht, durch im Handel erhältliches Saatgut den Restbestand aufzubessern. Die beiden Leinarten werden aber gerne verwechselt – auch im Handel. Wiederholt musste ich bei Renaturierungsprojekten die Illusion zerstören, es prange dort der hoch bedrohte Stauden-Lein, weil man an den neophytischen Doppelgänger nicht gedacht hatte. Einmal musste ich sogar einen Produzenten von Wildpflanzen-Saatgut darauf hinweisen, dass er den falschen Lein auf dem Feld kultivierte. Wo die paar letzten Pflanzen des StaudenLeins mit einem Überangebot von Österreichischem Lein zusammentreffen ist zu befürchten, dass der Stauden-Lein durch wiederholte Einkreuzung verdrängt wird. Auf den Eine Art der „ersten Stunde“ im Hinblick auf gezielten Artenschutz ist die Schellenblume (Adenophora liliifolia). Sie kommt in ganz Deutschland nur in zwei Bereichen des untersten Isartals vor. Ursprünglich als Waldsaumpflanze, in Niederwäldern und auf Streuwiesen lebend, findet das den Halbschatten liebende hochwüchsige Glockenblumen-Gewächs kaum mehr geeignete Standorte. Als ebenso wichtig wie die Gestaltung des Lichtklimas hat sich der konsequente Verbiss-Schutz der Pflanzen herausgestellt. Dadurch und durch die Ergänzung mittels Nachzucht ist der Bestand der Schellenblume wieder so weit angewachsen, dass sie nicht mehr akut vom Aussterben bedroht ist (Abb. 10). Dasselbe gilt für den Besen-Beifuß (Artemisia scoparia) der Donauleiten Passau – Kohlbachmühle. Waisen mit ungewisser Zukunft Wie wichtig Erhaltungskulturen und Nachzucht sehr selten gewordener Pflanzen heute sind, zeigen jene, die Niederbayern nur durch solche Maßnahmen erhalten geblieben sind. Ein Beispiel ist der Röhrige Wasserfenchel (Oenanthe fistulosa). Sein letztes bekanntes Vorkommen in den ostbayerischen Donauauen im wechselnassen Abschnitt einer Altwassersenke ging ein, nachdem die Stauhaltung Straubing in Betrieb genommen worden war. Zum Glück hatte die Stadtgärtnerei Straubing rechtzeitig eine Erhaltungskultur angelegt (Abb. 15). Alljährlich werden nun an verschiedene Stellen der Donauauen nachgezogene Pflanzen ausgebracht – in der Hoffnung, dass der Röhrige Wasserfenchel wieder fest Fuß fasst. Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 99 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Abb. 9: Bestandesentwicklung von Stauden-Lein (Linum perenne) im Isarmündungsgebiet. Die spontan vorhandenen Individuen werden von den ausgepflanzten unterschieden (Quelle SCHEUERER 2009). Ex. aus Auspflanz ung und Aussaat 900 800 Individuenzah 700 Indigene Ex. 111 37 500 400 135 161 149 98 470 510 13 25 300 498 200 100 252 209 82 600 237 293 319 556 376 490 437 513 550 531 137 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2005 2006 2007 2008 Unters uchungsjahr Abb. 10: Bestandesentwicklung der Schellenblume im südlichen Abschnitt der Arealinsel (aus SCHEUERER 2009). Dramatisch ist auch das Schicksal der hochwüchsigen Zottigen Wolfsmilch (Euphorbia villosa). Ihr einziger deutscher Wuchsort sind die Halser Ilzscheifen nördlich Passau. Gediehen dort um 1870 mehrere hundert Pflan100 zen, war der Wildbestand 1985 auf drei zusammen geschmolzen. Als wegen eines Windwurfs der dem Fundort benachbarte Wanderweg näher ans Ilzufer verschoben wurde, kostete dies zwei Pflanzen das Leben. Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Die letzte, unmittelbar im Flussufer stehende Pflanze riss das Jahrhundert-Hochwasser 1993 mit sich. Erfreulicherweise hatte Prof. Dr. H. Fürsch 20 Jahre davor dem Botanischen Garten München Teile der Stöcke zur Erhaltung anvertraut und Nachzucht davon auf einem Ilzwiesen-Grundstück in der Gemeinde Ruderting angesiedelt. Außerdem gab es damals bereits in größerer Zahl aus Triebstücken nachgezogene Pflanzen. – Auch von der Zottigen Wolfsmilch wird regelmäßig an verschiedenen Stellen ausgepflanzt. Eine stabile, sich selbst tragende Wildpopulation konnte damit bisher aber nicht erreicht werden. von Arealstützpunkten nachhaltig errichtet werden konnte. Hierdurch erklären sich die im Vergleich mit den anderen Arten hohen Ausgaben für die Betreuung des HolunderKnabenkrauts. Nicht verschwiegen sei, dass es oft recht schwierig ist, Nachzucht nicht nur zu erzeugen, sondern auch im Gelände zu etablieren. So war erst einiges Experimentieren notwendig, bis es gelang, Myricaria aus Samen nachzuziehen. Bei einigen Arten, darunter dem Gnadenkraut (Gratiola officinalis), wurden die Pflanzen aus der Gärtnerei regelmäßig von Schnecken vertilgt. Die teuerste Pflanze Niederbayerns – von der Normalität zur Exklusivität: Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Holunder-Knabenkraut (Dactylorhiza sambucina; Abb. 11) auf wärmebegünstigten Bergwiesen im Bayerischen Wald nicht selten. In den letzten Jahren bewegte sich der gewissenhaft registrierte, wenngleich sicher nicht ganz vollständig erfasste Gesamtbestand in Niederbayern je nach Witterungsverlauf nur mehr in der Größenordnung von 2.100 (2008) und 4.000 (2006) Blühtrieben. Inzwischen ist das einst zusammenhängende Areal durch den Ausfall zahlreicher Vorkommen in mehrere isolierte Arealinseln zerbrochen. Ein wirklich ausgedehntes Vorkommen gibt es dabei überhaupt nicht mehr, nur etwa 10 Bestände erreichen Bestandesgrößen von mindestens 100 Individuen und damit eine annehmbare Dimension (OBERMEIER 2009). Alles andere sind Klein- und Kleinstvorkommen, die keinerlei Puffer und damit sehr schlechte Überlebensaussichten haben. Trotzdem verfolgen wir das Ziel, das Verbreitungsgebiet im Bayerischen Wald nicht nur rudimentär zu erhalten, sondern zu sanieren und somit versehrte oder verwaiste Arealabschnitte zu reaktivieren. Das hat zur Folge, dass auch die Kleinvorkommen zumindest so lange Betreuungsgegenstand sind, bis eine ausreichende Zahl Abb. 11: Rot und gelblichweiß blühendes HolunderKnabenkraut – abhängig von der extensiven Bewirtschaftung sonniger Bergwiesen (Aufnahme Ernst Obermeier). Orchideen als Intimfreunde Einige Orchideen-Arten sind so selten geworden, dass der Betreuer zu jeder Pflanze eine persönliche Beziehung aufbaut. Besonders ist dies der Fall, wo kaum mehr die Chance einer Bestäubung durch andere Individuen besteht, so auch bei einigen Ragwurz-Arten. Vor Ort sind die sie bestäubenden spezialisierten Insekten oft ausgestorben. Die Lösung besteht in der Handbestäubung durch den Betreuer. Dazu kommen die künstliche Ausbreitung der staubfeinen Samen und die recht schwierige Nachzucht. Artenschutz für Apomikten und Apogame Der aus dem internationalen Übereinkommen von Rio de Janeiro 1992 erwachsenen Verpflichtung, auch die innerartliche Vielfalt zu sichern, versuchen wir selbstverständlich mit unserem Artenhilfsprogramm gerecht zu werden. So werden bedroht erscheinende Unterarten oder Varietäten Gegenstand von Artenhilfsmaßnahmen, etwa innerhalb der Fleisch- Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 101 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf roten Fingerwurz (Dactylorhiza incarnata) die Unterart hyphaematodes und die Varietät haematodes (DACHS 2008). Besonders anspruchsvoll ist das Thema bei den formenreichen apomiktischen28 Gattungen und Arten. Hier arbeiten unsere Auftragnehmer mit anerkannten Spezialisten für diese Sippen29 zusammen, soweit sie nicht bereits selber solche sind. Bei den SumpfLöwenzähnen (Taraxacum Sect. Palustria) lassen wir sämtliche bekannten Vorkommen betreuen, von den Habichtskräutern die hoch gefährdeten, etwa das Röhrenblütige Habichtskraut (Hieracium spurium ssp. tubulatum) einiger Felsköpfe in der Fränkischen Alb. Besonderes Augenmerk richten wir natürlich auf den nach derzeitigem Kenntnisstand weltweit auf Niederbayern beschränkten Rhombuslappigen Gold-Hahnenfuß (Ranunculus rhombilobus), den wohl einzigen „Niederbayern-Endemiten“ (DUNKEL 2005). Eine nachhaltige Sicherung seines Lebensraums in einem Bachtal des Bayerischen Waldes ist leider noch nicht gelungen. Neophyten und Naturschutz In Roten Listen werden Neophyten (Neochoren; Einbürgerung bei uns erst nach 1500) in der Regel ausgeblendet oder zumindest besonders gekennzeichnet, in den Artenhilfsprogrammen werden sie meist vernachlässigt. Wir stehen aber auf dem Standpunkt, dass auch Sippen fremder Herkunft zu einem Schutzgut geworden sind, wenn sie mindestens 50 Jahre lang eingebürgert sind. Der naturschutzfachliche Wert wächst mit der Dauer der Zugehörigkeit zu unserer Wildpflanzenwelt. Die Priorität von Maßnahmen zugunsten solcher Gewächse bleibt dabei freilich eine viel geringere bei Urwüchsigen („Indigenen“) oder Alt-Eingebürgerten (Archäophyten). Dies bedeutet, dass wir uns neu eingebürgerter Sippen annehmen, solange genügend Mittel zur Verfügung stehen. Nutznießer sind beispielsweise die Vorkommen des Mauer-Felsenblümchens (Draba muralis) und des Lockerblütigen Vergissmeinnichts (Myosotis sparsiflora) bei Neuburg am Inn. 28) Apomikten sind Pflanzen, die auf ungeschlechtlichem Weg (ohne Fremd- oder Selbstbestäubung) keimfähige Früchte hervorbringen. 29) Sippe (Taxon): Rangneutraler Ausdruck für Gruppen verwandter Pflanzen beliebiger Ebenen, so Familien, Arten, Unterarten. 102 Gelegentlich leisten Artenhilfsmaßnahmen für „Kulturflüchter“ auch einen kulturgeschichtlichen Beitrag, indem sie dazu beitragen, Botanikgeschichte wach zu halten. Musterbeispiel ist hier das Felsen-Habichtskraut (Hieracium saxatile) im Gelände der Regierung von Niederbayern (vgl. ZAHLHEIMERs Beitrag zur Botanikgeschichte in diesem Heft). Die Betreuung von Relikten alter Gartenkultur wie Holunder-Schwertlilie (Iris sambucina; Burggärten) oder Weißem Wildkrokus (Crocus albiflorus) in Passau gehört ebenfalls hierher. Unfug „Florahilfe“ Manche glauben, unsere Pflanzenwelt mit attraktiven Elementen anreichern zu müssen. So gibt es auch in Niederbayern Gemeinden, in denen man nicht nur auf Böschungen, an Straßen- und Wegrändern, sondern selbst in Wäldern, Tümpeln, Weihern und als schutzwürdig kartierten Wiesenbiotopen Gelben Enzian, Staudenlupine, Vexiernelke, Breitblättriges Pfeilkraut und vieles andere mehr antrifft – gebietsfremde Pflanzen und Gartengewächse. Manche Orte scheinen zu solcher „Floren-Nachhilfe“ geradezu herauszufordern. So begegnet man auf dem Großen Arber immer wieder Einzelpflanzen aus anderen Gebirgen, von der (Echten) Bärwurz bis zum Edelweiß. Im Naturschutzgebiet „Sippenauer Moor“ hat sich in den 1990er Jahren jemand das Vergnügen gemacht, den Schwalbenwurz-Enzian anzusiedeln. Selbst invasive Neophyten wie das Indische Springkraut wurden und werden durch solche FlorenVerschönerer ausgebreitet. Dass solche „Ansalbungen“ genehmigungspflichtig sind und in Naturschutzgebieten jedes Einbringen von Pflanzen verboten ist, wissen die Leute meist nicht. Wieder andere Personen glauben, durch das Auspflanzen oder Ansäen von bekanntermaßen bedrohten Arten dem Fundortschwund entgegen wirken und damit einen Beitrag zum Artenschutz leisten zu können. Sie achten dabei aber nicht auf die Herkunft der Arten, sondern verwenden Material aus dem Handel oder aus der Fremde. Dass damit die angestammten Restpopulationen nicht gestützt, sondern vielmehr gefährdet werden können, deutet der Beitrag von ZAHLHEIMER über autochthone Pflanzen in diesem Heft an. Selbst wenn es sich um hoch bedrohte oder streng geschützte Pflanzenarten handelt, vernichten wir solche künstlichen Ansiedlungen zumin- Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf dest dann, wenn die Gefahr einer weiteren Ausbreitung besteht. Sonderaktion Schwarzpappel 2006 war die urwüchsige, knorrige Schwarzpappel (Populus nigra s. str., Abb. 12) in Deutschland der „Baum des Jahres“. Ein bundesweites Projekt zur Kartierung der Schwarzpappel-Restbestände in unseren großen Flusstälern wurde gestartet. Das Amt für forstliche Saat- und Pflanzenzucht Teisendorf half mit genetischen Untersuchungen, echte Schwarzpappeln und ähnlich aussehende Hybridpappeln auseinander zu sortieren. Abb. 12: So genannte Maserkröpfe, ein Merkmal echter Schwarzpappeln. Die lichtbedürftige Schwarzpappel gedeiht von Natur aus als Pionierbaum auf vom Hochwasser geschütteten Kiesflächen in den Auen unserer großen Flüsse. Da unsere längst gebändigt sind, findet sie kaum mehr Lebensräume. Die Schwarzpappel ist daher eine gefährdete Pflanze und deshalb haben wir uns damals gleich in die Aktion eingeklinkt und die Kartierung der Baumart am unteren Inn (Abb. 13), an der Donau und im Isartal in Auftrag gegeben. Bei den Rodungs- und Auflichtungsmaßnahmen in den Deichvorländern der Donau zur „Abflussertüchtigung“ (so genanntes Vorlandmanagement) wurden die Schwarzpappeln geschont, auf den erforderlichen Ausgleichsflächen ist die Pflanzung autochthoner Schwarzpappel-Nachzucht eine wichtige Komponente. Auch sonst werden seitdem die Möglichkeiten genutzt, diesen Pionierbaum zu fördern. Komponente Pflanzenartenschutz bei Naturschutzprojekten Bei größeren und zunehmend auch bei kleineren Förderprojekten des Naturschutzes sorgen wir dafür, dass gezielt auch bedrohte Pflanzenarten davon profitieren. So wird nicht nur versucht, die geobotanisch bedeutenden Kernflächen und die für eine nachhaltige Sicherung erforderlichen Pufferflächen zu erwerben, es werden stets auch in ansehnlichem Umfang naturschutzfachlich minderwertige Grundstücke angekauft, um dort hochwertige Lebensräume zu entwickeln. Zusätzlich werden gezielt bedrohte Pflanzenarten aus autochthonen Restbeständen wiederangesiedelt. Diese werden dafür meist gezielt ermittelt. Es wird ein Konzept erarbeitet, das angibt, wann wo welche Samen geerntet und wo sie ausgebracht werden sollen. Teilweise wird auch nachgezogenes Pflanzenmaterial verwendet. Projekte bei denen ehrgeizige Ziele des botanischen Artenschutzes mitverfolgt wurden, waren besonders das NaturschutzGroßvorhaben von Bund und Landkreis Deggendorf im weiteren Mündungsgebiet der Isar, die LIFE Natur-Projekte (EU-Förderung) „Auen, Haiden und Quellen im unteren Isartal“ sowie „Unterer Inn mit Auen“ (Landkreis und Landschaftspflegeverein Dingolfing-Landau bzw. Landkreise Rottal-Inn und Passau mit Landschaftspflegeverein Passau). Die Bestände bedrohter Pflanzenarten wie FelsenFingerkraut (Potentilla rupestris), Fransenenzian (Gentianella ciliata), Ufer-Reitgras (Calamagrostis pseudophragmites), Deutsche Tamariske (Myricaria germanica), Pyramidenorchis (Anacamptis pyramidalis) und Lauchgamander (Teucrium scordium) konnten hier eindrucksvoll vergrößert und stabilisiert werden. Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 103 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Zu den aktuellen Projekten mit ausgeprägter floristischer Komponente zählen die Ergänzung des verarmten Pflanzenarten-Inventars im Naturschutzgebiet „Ehemaliger Standortübungsplatz Landshut mit Isarleite“ (Stadt Landshut) und die Wiederherstellung einer artenreichen Streuwiesenflora auf zuvor mit einem Fichten-Stangenholz bestockten Quellmoorflächen im Feuchtgebiet „Erdbrüst“ (Stadt Passau und Bund Naturschutz). Wie im Beitrag WIESMEIER in diesem Heft aufgezeigt, können nach dem Förderprogramm Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinien sowohl Grunderwerb als auch Pflegemaßnahmen zugunsten bedrohter Arten sehr hoch gefördert werden. Kompensationsmaßnahmen – große Chance für Bedrohte Allerorten werden für Eingriffe in Natur und Landschaft Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmeflächen bereit gestellt. Teilweise gibt es dafür in den Gemeinden auch einen Vorrat an so genannten Ökokontoflächen, von dem bei Eingriffen „abgebucht“ wird. Es ist nun völlig unbefriedigend, wenn auf diesen verschiedenartigen naturschutzrechtlichen Kompensationsflächen nur irgendwelches Extensivgrünland produziert, Hecken oder Streuobstbestände gepflanzt werden. Wir plädieren deshalb dafür, zumindest auf Flächenanteilen den in der Regel fetten Oberboden abzufahren und mit Hilfe geeigneter Naturgemische30 Magerwiesen zu entwickeln. Zusätzlich sollten individuell für jede Kompensationsmaßnahme die Zielarten zusammengestellt werden (vgl. Beispiel auf der nachfolgenden Seite). Abb. 13: Vergröberter Ausschnitt der Schwarzpappelkartierung am unteren Inn mit punktuellen Vorkommen und Bereichen mit größerem Anteil (aus BRUNNINGER & REICHHOLF 2006). vgl. Beitrag ZAHLHEIMER über autochthone Pflanzen in diesem Heft! 30) 104 Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Zielartenliste Fläche Flur Nr. xx bei Loipfering, 22.500 m² Entwicklungsziel: Artenreiche, mager-trockene Ausbildung einer Glatthaferwiese (auf 18.500 qm) sowie „wärmeliebende“ Saumbereiche [in der Tabelle nachgestelltes (S)] an den geplanten beiden Hecken (4.000 qm). Standort: Acker, flach geneigt. Zunächst sollen Nährstoffüberschüsse durch 2 Jahre düngerfreien Haferanbau entzogen werden. Anschließend soll zwei Mal samenreiches Mähgut aufgetragen werden (Schnitt Anfang Juli und Ende September/Anfang Oktober, Herkunft Gemeinden Eging oder Außernzell; bei weiter abliegenden Spenderflächen nur nach Abstimmung mit der höheren Naturschutzbehörde). Zumindest die fett gedruckten Arten müssen voraussichtlich separat ergänzt werden. Als Lieferpopulationen sollen ohne Abstimmung mit der höheren Naturschutzbehörde nur Bestände der Gemeinden Eging oder Außernzell verwendet werden. A) Matrixarten - GRÄSER: Anthoxanthum odoratum Briza media Festuca commutata Festuca pratensis Helictotrichon pubescens Poa angustifolia Trisetum flavescens - KRÄUTER: Campanula patula Centaurea jacea agg. Crepis biennis Galium verum Hypochaeris radicata Knautia arvensis Leontodon hispidus Leucanthemum ircutianum Pimpinella major Ranunculus acris Rumex acetosa Sanguisorba officinalis Silene vulgaris Tragopogon pratensis ssp. orientale Gef.Grd. RL Ndb. Gewöhnliches Ruchgras Zittergras Horst-Rotschwingel Wiesenschwingel Flaumhafer Schmalblatt-Rispe Goldhafer Wiesen-Glockenblume Wiesen-Flockenblume Wiesen-Pippau Echtes Labkraut Gewöhnliches Ferkelkraut Acker-Witwenblume Rauer Löwenzahn Frischwiesen-Margerite Große Bibernelle Scharfer Hahnenfuß Gewöhnlicher Sauerampfer Großer Wiesenknopf Taubenkropf Östlicher Wiesen-Bocksbart B) Wertbestimmende Arten Carex caryophyllea Dianthus deltoides (S) Euphorbia cyparissias (S) Euphrasia rostkoviana Galium pumilum (S) Genista tinctoria (S) Hypericum perforatum (S) Lychnis viscaria (S) Molinia arundinacea (S) Phyteuma nigrum Rhinanthus angustifolius Rhinanthus minor Scorzonera humilis (S) Sedum maximum (S) Sedum sexangulare Silene nutans Thymus pulegioides s. str. Trifolium medium (S) Viola hirta (S) . Frühlingssegge Heidenelke Zypressern-Wolfsmilch Gewöhnlicher Augentrost Niedriges Labkraut Färberginster Gebräuchliches Johanniskraut Pechnelke Rohr-Pfeifengras Dunkle Teufelskralle Großer Klappertopf Kleiner Klappertopf Niedrige Schwarzwurzel Große Fetthenne Milder Mauerpfeffer Nickendes Leimkraut Gewöhnlicher Feldthymian Mittlerer Klee Raues Veilchen 3 3 3 Nach fünf Jahren muss das Produkt auf der Basis der Zielartenliste kritisch bewertet werden (Erfolgskontrolle). Einschließlich dann evtl. notwendig werdender Nachbesserungen sollte der Entwicklungsprozess nach zehn Jahren abgeschlossen sein. Von einer vollwertigen autochthonen Begrünung wird gesprochen, wenn folgende Punkte erfüllt sind: Mindestens ¾ der vorgegebenen Matrixarten (Zielartenliste) sind auf dem, einem bestimmten Vegetationstyp zugeordneten Flächenabschnitt häufig oder decken mindestens 2 % davon. Mindestens die Hälfte der wertbestimmenden Arten ist zukunftsträchtig etabliert (ausreichende Verjüngung vorhanden). Invasive Neophyten treten nicht auf. Alle vorgesehenen Lebensräume bzw. Habitate existieren in funktionsfähigem Zustand. Eine angemessene, die Lebensraumqualitäten erhaltende Pflege ist gesichert. Bei Erfüllung sämtlicher Kriterien verringert sich der Kompensationsflächenbedarf im vorliegenden Fall um yy %. Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 105 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Soweit die Zielarten nicht bereits über die Grundbegrünung etabliert werden konnten (was manchmal erst nach drei Jahren wirklich beurteilt werden kann), soll versucht werden, die Zielartenliste durch Einbringen entsprechender Diasporen oder „Initialpflanzen“ abzuarbeiten. Die erfolgreiche Ansiedlung wertbestimmender Arten aus örtlichen Herkünften, besonders auch von Arten der Roten Liste, kann beim Ausgleichsfaktor berücksichtigt werden. Dies gilt besonders dann, wenn damit Stützpunkte für ein Florenstützgerüst zur Stabilisierung oder Sanierung von Pflanzenarealen geschaffen werden (vgl. ZAHLHEIMER 2007). Der Flächenbedarf für den naturschutzrechtlich erforderlichen Ausgleich lässt sich somit bei einer derart qualifizierten Begrünung deutlich reduzieren. Wildkrautäcker für Kornrade und Roggentrespe Weder der konventionelle noch der biologische Ackerbau lässt heute noch nennenswerten Raum für Ackerwildkräuter. Herbizideinsatz, dichte Aussaat, Maisanbau, ständiger Wechsel der Kulturfrüchte, hohe Düngergaben, Wegfall von Stoppelbrachen und perfekte Saatgutreinigung sind die Hauptgründe für die Gefährdung eines Großteils der Ackerwildkräuter. Etliche sind sogar vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet, so bei uns Kornrade (Agrostemma githago), Roggentrespe (Bromus secalinus), Gelber Günsel (Ajuga chamaepitys), Möhren-Haftdolde (Caucalis platycarpos), Blauer Gauchheil (Anagallis foemina), Spatzenzunge (Thymelaea passerina), Spießblättriges Tännelkraut (Kickxia elatine), Lämmersalat (Arnoseris minima), Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis) und andere. Es gibt zwar zur Förderung der Ackerwildkräuter seit langem ein Ackerwildkräuter-Programm bzw. eine einschlägige Variante im Vertragsnaturschutzprogramm; bei wechselnden Vertragsflächen wegen der nicht immer gleichen Attraktivität der Bewirtschaftungsprogramme aber ist die schleichende Verarmung der Samenbank im Boden nicht aufzuhalten. Wir brauchen deshalb zusätzlich Fixpunkte für die Ackerwildkräuter – Ackerflächen im Eigentum von Kommunen oder Naturschutzverbänden. Erste Einrichtungen dieser Art gibt es bereits im Isarmündungsgebiet (Landkreis Deggendorf), am Naturschutzgebiet Sandharlander Heide (Landkreis Kelheim, Bund 106 Naturschutz) und im Dingolfinger Isartal (Landkreis Dingolfing-Landau). Aktuelles Ziel ist nun, in jedem niederbayerischen Landkreis für jeden der grundlegend unterschiedlichen Ackerstandorte (zumindest für kalkreichen und bodensauer-sandigen Boden) wenigstens eine Wildkrautackerfläche („FeldfloraReservat“) einzurichten und kontinuierlich zu betreuen. Es sollen dort die bedrohten Ackerpflanzen des Landkreises zusammengetragen und vorgehalten werden (Arche NoahFunktion). Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) wird die Trägerschaft für ein derartiges Projekt übernehmen. Für dieses Vorhaben der bayerischen Biodiversitäts-Strategie hat die Regierung eine hohe finanzielle Förderung in Aussicht gestellt. Der LBV erwirbt sich bereits seit Jahren große Verdienste um den Ackerwildkraut-Schutz im Bayerischen Wald. Dieser Naturschutzverband hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir heute noch die Kornrade als autochthone Wildpflanze in Niederbayern bewundern können: Im Rahmen eines mit Mitteln der Glücksspirale geförderten Vorhabens hat er vor einigen Jahren Saatgut der wohl letzten Fläche mit autochthonem Kornradebestand in Niederbayern gesichert. Es stammte von einem Landwirt aus Weichselsried in der Gemeinde Zachenberg, der stets eigenen Winterroggen zur Aussaat verwendete. Sein Saatgut war mit den Samen von Ackerwildkräutern wie der überregional vom Aussterben bedrohten Kornrade und der stark gefährdeten Roggentrespe verunreinigt. Der LBV hat solches Saatgut erworben und auf einer Reihe von Vertragsflächen ausgebracht – gerade noch rechtzeitig, denn inzwischen hat der Landwirt das Grundstück aus Altersgründen verpachtet, der Pächter hat diese Tradition nicht mehr fortgeführt. Hand in Hand – Artenschutz mit Partnern Bei der Sicherung und Wiederansiedlung bedrohter Gewächse arbeiten die Regierung und ihre Auftragnehmer fast immer mit anderen Institutionen zusammen, so regelmäßig mit den unteren Naturschutzbehörden (Landratsämter, kreisfreie Städte) und den landkreisweise organisierten Landschaftspflegeverbänden sowie im Bayerischen Wald mit dem Naturpark Bayerischer Wald e. V. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass diese Einrichtungen auch selber zunehmend im botanischen Artenschutz aktiv werden; ist dies in Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf den Landkreisen Kelheim und DingolfingLandau schon länger Tradition, so gibt es heute z. B. auch im Landkreis Landshut ernsthafte Anstrengungen hierzu. Die Stadt Landshut hat 2008 sogar eine eigene Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt beschlossen, in deren Rahmen wichtige Pflanzenvorkommen gepflegt und die Wiederansiedlung mehr oder weniger verschwundener Pflanzenarten verfolgt werden. Sehr viel verspricht das eben gestartete 3 x B-Projekt des Landkreises Rottal-Inn. Aufbauend auf den Kartierungen von Ch. Stein möchte dieses wichtige niederbayerische BiodiversitätsProjekt die für den botanischen Artenschutz bedeutenden Flächen im Landkreis benennen sowie durch Ankauf einschließlich notwendiger Puffer- und Arrondierungsflächen sichern. Der dort eben erst gegründete Landschaftspflegeverband soll sich dann um die Bewahrung und Verbesserung der biologischen Qualität dieser Flächen bemühen. Innerhalb Deutschlands nehmen die niederbayerischen Restvorkommen der Vielteiligen Mondraute (Botrychium multifidum, Abb. 14) eine herausragende Stellung ein. Der Nationalpark Bayerischer Wald hat hierbei eine Schlüsselrolle. Der Kleinfarn wächst dort heute durchwegs nur mehr an Sekundärstandorten (alte Holzlagerplätze, Forststraßenränder und Böschungen, ehemalige Materialentnahmestellen), von denen alljährlich schonend Gehölzjungwuchs entfernt werden muss. Es ist beruhigend, dass im Nationalpark das Ideal des so genannten Prozessschutzes, also der ungehinderten Entfaltung der Naturkräfte, nicht kompromisslos verfolgt wird. Es werden dort auch Artenhilfsmaßnahmen unterstützt und realisiert. Zu der extrem gefährdeten und zusätzlich Nachstellungen ausgesetzten Mondraute gibt die Nationalparkverwaltung seit Jahren ein eigenes Monitoring in Auftrag. Schließlich gibt es viele Fälle, in denen Naturschutzverbände die Initiative ergreifen und die Rolle der Regierung in fachlicher Beratung und finanzieller Förderung besteht. Zu nennen sind hier speziell der Landesbund für Vogelschutz (LBV; u. a. Engagement bei Kornrade und Böhmischem Enzian, Gentianella bohemica), der Bund Naturschutz und – beim Holunder-Knabenkraut – der Arbeitskreis heimische Orchideen. Soweit es um überregional oder regional bedeutende Vor- kommen geht, trägt derzeit vielfach die Regierung von Niederbayern die Kosten voll (staatliche Mittel), bei den primär im kommunalen Bezugsraum wichtigen Arten wird den Maßnahmeträgern immerhin eine hohe Förderung gewährt, soweit sie dafür nicht von vorneherein Mittel für sogenannte Kleinstmaßnahmen einsetzen, die wiederum zu 100 % vom Staat bereit gestellt werden (vgl. Beitrag WIESMEIER in diesem Heft). Abb. 14: Die Ästige Mondraute, eine der kostbarsten Pflanzenarten Niederbayerns mit Hauptvorkommen im Nationalpark Bayerischer Wald (Aufnahme K. Horn). Von der Landesgartenschau zur Erhaltungskultur Einen besonderen Dank schulden wir der Stadtgärtnerei Straubing. Als dort 1986 die Landesgartenschau vorbereitet wurde, hatten Oberbürgermeister Ludwig Scherl und Naturschutzreferentin Agnes Listl die Idee, dort auch attraktive heimische Stauden aus den Donauauen zu präsentieren. Die Stadtgärtnerei erhielt den Auftrag, einschlägiges Material zu gewinnen und zu vermehren. Von da war es nur ein kleiner Schritt, auch bedrohte Pfanzenarten der Donauniederung in die Obhut der Gärtnerei zu geben, zumal sich dort Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 107 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf mit Helmut Zapf ein Gärtner fand, der sich mit großem Engagement und Fingerspitzengefühl des Themas annahm. Seitdem ist die von der Stadtgärtnerei betreute Artenpalette erheblich gewachsen: Hoch bedrohte Arten aus allen Teilen Niederbayerns wie der Röhrige Wasserfenchel (Abb. 15) werden dort im Schatten von St. Peter mittlerweile nachgezogen und vorgehalten. Ohne diese Kooperation hätte Niederbayern einige Arten mehr verloren. Abb. 15: Nachzucht von Röhrigem Wasserfenchel aus den Donauauen bei Oberzeitldorn seit 1986 durch die Stadtgärtnerei Straubing. Unterstützung bei der Vermehrung bedrohter Wildpflanzen gewähren auch die Stadtgärtnerei Passau und der Botanische Garten der Universität Regensburg. Aktuell steigt in der Gemeinde Eichendorf (Landkreis DingolfingLandau) ein privater Gärtner in die Nachzucht selten gewordener Wildpflanzen für Naturschutzprojekte ein. Die Artenschutzbemühungen wurden und werden immer wieder von wissenschaftlicher Seite unterstützt. So betreibt die Universität Regensburg (Lehrstuhl Prof. Dr. P. Poschlod) seit ein paar Jahren grundlegende Forschungen zur Ausbreitungsbiologie bedrohter Arten und zu ihrer genetischen Verfassung. Zur Zeit sind unter anderem die Graue Skabiose (Scabiosa canescens) und die PurpurSchwarzwurzel (Scorzonera purpurea) Untersuchungsgegenstand. Immer wieder werden Ergebnisse erzielt, die dem praktischen Artenschutz nutzen. Passauer Wolfsmäulchen Beziehungslosigkeit, Unwissenheit, Halbwissen und falsche Vorstellungen sind gerade bei Fragen des botanischen Artenschutzes 108 weit verbreitet. Es ist deshalb wichtig, bei jeder Gelegenheit unsere Wildpflanzen in Wert zu setzen und qualifiziert über das Thema Artenschutz zu informieren. Führungen und Vorträge bieten besonders dann Möglichkeiten hierzu, wenn, wie bei den Veranstaltungen der Kräuterpädagoginnen, der Naturschutz nicht groß und für viele abschreckend darüber steht, sondern ein auf breiteres Interesse stoßendes Thema auch Leute zum Besuch animiert, die nicht zum Zirkel der überzeugten Naturschützer gehören. Die Stadt Passau verfolgt seit 2004 in Kooperation mit der Regierung von Niederbayern und mit staatlicher Förderung einen Weg, der schwerpunktmäßig auch den Kreis der Gartenfreunde erreicht: Von besonders bedrohten und zugleich attraktiven Wildpflanzen der Stadt und ihrer Umgebung wird mehr Samenmaterial gesammelt, als für die Nachzucht zur Stützung der Populationen benötigt wird. Samenwerbung und Anzucht erfolgen durch einen erfahrenen Auftragnehmer, die Stadtgärtnerei übernimmt die Jungpflanzen und hegt sie bis sie blühen oder zumindest einigermaßen groß geworden sind. Im Rahmen einer Exkursion oder eines Vortrages zu Themen des botanischen Artenschutzes werden die überzähligen Pflanzen dann zusammen mit einem Beiblatt mit allerlei wissenswerten Informationen zur Pflanze an interessierte Teilnehmer abgegeben. Zugleich wird damit natürlich versucht, autochthones Material heimischer Wildpflanzen in Gärten und Anlagen zu etablieren und so indirekt die Wildbestände zu ergänzen. Den Anfang machte das Große Löwenmäulchen (Antirrhinum majus), eine einst nicht nur an den Stadtmauern von Passau verbreitete Erscheinung. Es hat ausschließlich in der zum Dom führenden Carlonegasse überlebt. In Anspielung auf das Wappentier der Stadt brachten wir Nachzucht von dort unter dem Namen „Passauer Wolfsmäulchen“ in Umlauf. Weitere Aktionspflanzen waren Blauweiderich (Veronica longifolia), Blaue Wiesenschwertel (Iris sibirica; beide Herkunft Ilztal), Echtes Herzgespann (Leonurus cardiaca s. str.) und Echte Katzenminze (Nepeta cataria). Heuer wird anhand der Steppen-Waldrebe (Clematis recta) die prekäre Situation talgebundener Pflanzenarten thematisiert werden. Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Rasterfahndung nach Hochbedrohten – ehrenamtliche Florenkartierung Weder die die Aktivitäten der floristischen Rasterkartierung Bayerns noch die wiederholten Durchgänge der Biotopkartierung haben einen befriedigenden oder gar aktuellen Wissensstand über die Verbreitung und Situation der bedrohten Pflanzenarten Niederbayerns geliefert. Am besten ist der Informationsstand, wo Ehrenamtler aus eigeem Antrieb ehrgeizige floristische Projekte verfolgen. Die Feinrasterkartierung bzw. Fundortbeobachtung von Boesmiller und Nuhn im Bereich des Landkreises Landshut (siehe Beitrag BOESMILLER in diesem Heft) und die Kartierungsinitiative des Naturwissenschaftlichen Vereins Passau in Stadt und Landkreis Passau31 sind hierfür gute Beispiele. Gelegentlich melden aber auch unabhängig von solchen systematischen Kartierungen Pflanzenkenner den Naturschutzbehörden wichtige Neufunde. Aus der Umgebung Landshuts ist hier Horst Göding zu nennen, der u. a. das längst verschollene Braune Mönchskraut (Nonea pulla, Abb. 16) unterhalb Dingolfing wiederentdeckt hat. Hochbedrohte Pflanzenarten im Griff? Trotz Betreuungsauftrag und eines Bündels an Instrumenten haben wir die botanische Vielfalt leider nur bedingt im Griff. Immer wieder gibt es Rätsel, schwer wiegende Probleme, manchmal auch ein Scheitern. Beispielsweise kämpfen wir verzweifelt im weiteren Bereich des unteren Inntals um den Fortbestand des Pyrenäen-Löffelkrauts (Cochlearia pyrenaica). Auch ausgepflanzte Nachzucht kann sich nicht halten. Wir verstehen noch nicht, warum dieser Kreuzblütler im Donaugebiet des Landkreises Kelheim ziemlich „wartungsfrei“ über die Runden kommt. Im Augenblick zittern wir wegen des Karlszepters (Pedicularis sceptrum-carolinum) – aber nicht, weil es für dieses Eiszeitrelikt schon zu warm geworden wäre: Beim letzten bekannten niederbayerischen Vorkommen bei Haunstein im Landkreis Freyung-Grafenau hatte es zu lange gedauert, bis der Naturschutz auf die Fläche zugreifen konnte. Die dann sofort eingeleiteten Pflegeeingriffe kamen zu spät, Nachzuchtversuche waren negativ verlaufen. Umso großartiger war es, als RÜTHER (2006) bei seinen von der Regierung in Auftrag gegebenen geobotanischen Untersuchungen im Gebiet der Oberbreitenau das dort von früher bekannte, aber seit Jahrzehnten verschollene Karlszepter wiederentdeckte. Wir haben umgehend eine schonende Pflege der Fundstelle veranlasst. Die Absicht, vorsichtshalber Samenmaterial abzunehmen, hat bereits im ersten Jahr starker Wildverbiss vereitelt; der klassische chemische Verbissschutz erwies sich als zu unzuverlässig. Um ganz sicher zu gehen, ließen wir die Pflanzen großzügig einzäunen (Abb. 17). Im Jahr danach und bis heute zeigte sich aber keine Pflanze mehr. Wir müssen uns mit dem unschönen Gedanken anfreunden, das Karlszepter in Niederbayern endgültig verloren zu haben. Abb. 16: Die letzte niederbayerische Fundmitteilung für das Braune Mönchskraut stammt von VOLLMANN 1914 („zwischen Loiching und Gummering“). Über Jahrzehnte hinweg war es bis zur Wiederentdeckung durch Herrn Göding verschollen. 31) Informationen im Internet unter www.nvpa.de. Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 109 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf hätte Niederbayern in den vergangenen Jahren Pflanzen wie Gnadenkraut, Kornrade und Stauden-Lein verloren. Vollends deutlich wird die Notwendigkeit des staatlichen Engagements, wenn man sich bewusst macht, dass inzwischen selbst Wiesen allenfalls dort noch die traditionelle Artenvielfalt aufweisen, wo staatlich finanzierte oder zumindest geförderte extensive Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen erfolgen oder die Flächen von Kommunen oder Naturschutzverbänden mit staatlicher Förderung für Naturschutzzwecke erworben wurden. Abb. 17: Schutz der Karlszepter-Fundstelle auf der Oberbreitenau vor Wildverbiss, doch die Hoffnung auf ein Wiedererscheinen lässt nach (Foto Alois Hofmann) Auch durch die Verkettung unglücklicher Umstände gibt es selbst bei gewissenhafter Betreuung immer wieder einmal schmerzliche Ausfälle. Ausgehend von der letzten bekannten Wildpflanze der Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) Niederbayerns im Naturschutzgebiet „Binnendünen bei Offenstetten“ war frühzeitig in Straubing eine Erhaltungskultur angelegt worden. Das Trockenjahr 2006 überlebte die Pflanze am Originalstandort nicht, gleichzeitig ging die Kultur in der Gärtnerei ein. Wir hoffen nun, dass doch noch irgendwo im Binnendünen-Gebiet des Abensberger Raumes oder im angrenzenden Oberbayern Pflanzen aufgefunden werden, andernfalls verlängert auch die Strohblume die bereits lange Liste der Ausgestorbenen. Artenschutz – kulturelle Leistung und politische Aufgabe An sich ist Natur das Gegenteil von Kultur, doch heute ist es ein Ausdruck von Kultur, sich Natur zu leisten. Naturschutz und hier der Artenschutz mit seinem Ziel, eine vielfältige heimische Pflanzenwelt einschließlich ihrer seltenen Arten zu bewahren, ist ein hochwertiges kulturelles Anliegen. Dabei sind die Zeiten vorbei, in denen er überwiegend kostenloses Nebenprodukt der Landnutzung war. Artenvielfalt ist inzwischen etwas, das als öffentliche Aufgabe nur mehr durch steigenden finanziellen Einsatz zu gewährleisten ist. In der Landschaft wird es für viele Pflanzenarten immer enger – auch ohne Klimawandel. Hilfsmaßnahmen werden daher bei immer mehr Arten unverzichtbar. Ohne spezielle, staatlich finanzierte Artenhilfsmaßnahmen 110 Hat die Regierung von Niederbayern 2002 etwa 100 Arten an ungefähr 250 Wuchsorten speziell betreuen lassen, sind es 2009 rund 200 an ca. 750 Wuchsorten (siehe Anhang I). In diesem Jahr kosten alleine die oben umrissenen Aufgaben der Werkvertragskräfte etwa 150.000 €. Die Ausgaben für artenschutzorientierte Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen mit Förderung nach den Landschaftspflege- und Naturpark-Richtlinien belaufen sich mindestens auf dieselbe Größenordnung. Dazu kommt vielfach ein über dieses Programm oder durch den Bayerischen Naturschutzfonds geförderter Grunderwerb. „Höhere“ Gewalt kontra Artenschutz? Schon bei den Pflanzen der Halbkultur- und Kulturformationen ist es recht schwierig, die Pflege so zu gestalten, dass sie ihren individuellen Lebensansprüchen gerecht wird. Gänzlich machtlos sind wir aber dort, wo essenzielle Naturstandorte verschwinden. Nicht rückholbar sind daher die Moorpflanzen unserer einst ausgedehnten, durch Entwässerung und Intensivnutzung zerstörten Niedermoore des Isar- und Donautales. Nährstoffarme klare Stillgewässer gibt es nicht mehr, die Faden- und Graslaichkraut (Potamogeton filiformis, P. gramineus) weiterhin eine Heimat böten. Vom Ausbau unserer Alpenflüsse, die die Fluss- und Auendynamik zerstörte und damit spezialisierten Pionierpflanzen ihre Lebensräume nahm, war bereits eingangs die Rede. Noch aber besitzen wir in respektablem Umfang einen für den Artenschutz sehr bedeutenden Fluss-Auen-Komplex: Die Donauauen entlang des ungestauten Flusses von Straubing bis Vilshofen. Sie sind von Natur aus weniger durch Erosion und Sedimentation geprägt, wenngleich auch dort bis zur Versteinung der Ufer und der Errichtung der Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Hochwasserschutz-Deiche im 20. Jahrhundert starke Hochwässer das Auenrelief aus Rücken und Seigen immer wieder überformten. Ungemindert geblieben sind bis heute die ausgeprägten Wasserstandsschwankungen, das heißt die Dynamik der vertikalen Bewegungen des Wassers. Lang währende Niedrigwasserperioden sind dabei ein besonderes Merkmal unserer Donauauen. Sie führen mit gewisser Regelmäßigkeit dazu, dass Altwasserabschnitte mehr oder weniger trocken fallen. Die davon betroffenen, als Wechselwasserbereiche bezeichneten Gewässerböden werden beim Auftauchen rasch von spezialisierten Pionierpflanzen erobert, die großenteils bereits der Samenbank der Altwasser angehörten (Abb. 18). Je nach Substrat und zeitlichem Ablauf kommen ZwergbinsenFluren, Zweizahn-Fluren oder Wechselwasser-Röhrichte zum Zug – mit Pflanzearten der Roten Liste wie Niederliegendes Büchsenkraut (Lindernia procumbens – streng geschützt), Schlammling (Limosella aquatica), Braunes Zyperngras (Cyperus fuscus), Wurzelsimse Scirpus radicans), Lanzett- und Gras-Froschlöffel (Alisma lanceolatum, A. graminea) und Meersimse (Bolboschoenus). Doch auch hoch bedrohte Gewächse des Grünlandes und der Staudenfluren werden durch ausgeprägte Wasserstandswechsel gefördert, so Spieß-Helmkraut (Scutellaria hastifolia), Wiesenalant (Inula britannica) und Lauchgamander (Teucrium scordium). Abb. 18: Trocken gefallener Wechselwasserbereich eines Donaualtwassers – Teichrose, Zwergbinsenflur und Wechselwasser-Röhrichte. Sollte die Donau zur Förderung der Lastschifffahrt mit einer Staustufe ausgebaut werden, sind erhebliche Substanzverluste zu befürchten – dies umso mehr, als damit ausgerechnet im weiteren Isarmündungsgebiet als Kernbereich des genannten Donauabschnitts mit dem Wegfall der Niedrigwasserereignisse ein für den Artenschutz höchst bedeutendes Gebiet getroffen würde. Dass ausreichende Ausgleichsmaßnahmen verwirklicht werden könnten, muss sowohl fachlich bezweifelt werden als auch – wie die Erfahrungen mit der Stauhaltung Straubing zeigen – wegen zwangsläufiger Interessenskollisionen faktisch. Politik und Artenschutz Die Globale Strategie zum Schutz der Pflanzenwelt (Global Strategy for Plant Conservation, GSPC) ist ebenso wie die erwähnten Biodiversitäts-Strategien auf Landes- oder kommunaler Ebene eines der „Enkelkinder“ des Übereinkommens über die Sicherung der biologischen Vielfalt von Rio 1992. Sie verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, darunter auch Deutschland, bereits bis 2010 eine Reihe von Aufgaben zum Pflanzenartenschutz zu erledigen. Dazu gehörten die Benennung und Sicherung von für den globalen Artenschutz wichtigen Gebieten als IPA (Important Plant Areas). Als sich die derzeitige Konjunkturschwäche abzeichnete, verabschiedete sich die bundesdeutsche Politik unspektakulär zumindest von den kurzfristigen GSPCZielen. Wie lange die hoch gesteckten Biodiversitätsziele der bayerischen Staatsregierung überleben, bleibt abzuwarten. Entscheidend für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Artenschutzarbeit wird mit dem Stellenwert in der politischen Öffentlichkeit die zunehmende Bereitstellung von Finanzmitteln sein. Sie muss auch allem zu Gute kommen, was der Verbesserung unserer Artenkenntnis dient, denn wie soll man Vielfalt schützen, wenn man sie nicht erkennt? Die „organismische Biologie“ muss in den Schulen wie in der Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Wir brauchen mehr den je Arten- bzw. Florenkenner und deren Spezialistentum muss auch finanziell honoriert werden. Da es aber sehr viel Zeit erfordert, sich fundierte Artenkenntnisse zu erwerben und diese schon deshalb keiner der etablierten Ausbildungs- bzw. Studiengänge vermittelt – auch nicht der des Biologen – sollte der Gedanke an zwei eigene neue, ganz der Formenkenntnis gewidmete Fachhochschul-Studienrichtungen verfolgt werden: Die der hauptberuflichen Pflanzen- und der Tierkenner. Nicht übersehen werden darf bei unserem Thema auch, dass die Bewahrung der ver- Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 111 Artenschutz- und –stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf sprengten Hochseltenen unserer Artenhilfsprogramme alleine kaum den Anreiz schafft, sich mit der Flora auseinanderzusetzen, denn wann begegnet man ihnen schon! Dafür ist die Biodiversität vor Ort entscheidend, dafür müssen wir auch die lokalen Floren erhalten: Es gilt, im Umfeld der Siedlungen wieder artenreiche Lebensräume zu schaffen – jedem Dorf seine „Heimatwiese“, seinen Biotopweiher und seinen naturnahen Bach! Trollblume und Arnika – was passiert mit den weniger Gefährdeten? Wenn sich Artenschutz auf die Hochbedrohten beschränkt, ist es meist nur eine Frage der Zeit, wann die jetzt „nur“ Gefährdeten in diese Kategorie aufrücken. Selbst einst so verbreitete Gewächse wie Trollblume und Arnika, Pechnelke und Niedrige Schwarzwurzel sind heute in vielen Gemeinden im wahrsten Sinne des Wortes zu zukunftslosen Randexistenzen geworden oder bereits völlig verschwunden. Dabei verpflichtet uns doch das Bundesnaturschutzgesetz in § 2 Nr. 9, „die wildlebenden ... Pflanzen ... als Teil des Naturhaushalts in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Artenvielfalt zu schützen.“ Das darf natürlich nicht so ausgelegt werden, dass es genügt, eine Pflanzenart irgendwo in Deutschland oder Bayern zu hegen. Art. 1a des Bayerischen Naturschutzgesetzes drückt das in Abs. (2) Nr. 3 unmissverständlich aus: „Die Lebensräume wildlebender Tiere und Pflanzen sollen vernetzt werden. Sie sollen nach Lage, Größe und Beschaffenheit den Austausch zwischen verschiedenen Populationen von Tieren und Pflanzen und deren Ausbreitung gemäß ihren artspezifischen Bedürfnissen ermöglichen.“ Konkret heißt das in unserem Fall zum einen, dass der Abstand zwischen den einzelnen Vorkommen einer Pflanzenart noch ausreichen soll, einen genetischen Austausch unmittelbar über Pollen oder mittelbar über Diasporen zu ermöglichen. Modellhaft läuft das auf ein geschlossenes Areal hinaus, das im Minimum auf einem Raster von StützpunktVorkommen basiert, die diesen Maximalabstand nicht überschreiten (Abb. 19)32. Die „Treffer-Wahrscheinlichkeit“ hängt in beiden 32) Vgl. z. B. ZAHLHEIMER 2007, wo von maximal 3 km oder mindestens einem größeren Bestand in 1/16 Messtischblatt ausgegangen wird. 112 Richtungen natürlich (außer von der Topographie und Landnutzung im Umfeld) von der Größe und Vitalität der einzelnen Bestände ab. Kleinvorkommen haben keine Chance, an diesem Austausch teilzuhaben. Nur wenn Entfernung und Bestandesgröße passen, kann von einem intakten Areal gesprochen werden. Die beispielhafte Analyse der Bestandessituation gefährdeter Arten der Roten Liste (Gefährdungsstufe 3) belegt, dass die Areale bereits riesige Löcher aufweisen oder weithin instabil geworden sind. Abb. 19: Schema für ein Stützgerüst zum Arealerhalt einer Pflanzenart. Repräsentativ sind hierbei die Ergebnisse von STEIN (2008). Vor wenigen Jahren hat er von ihm eine Dekade davor im Landkreis Rottal Inn kartierte Pflanzenvorkommen aufgesucht: Vom Breitblättrigen Knabenkraut (Dactylorhiza majalis; Rote Liste: Gefährdet) und einigen weiteren Pflanzen ist in diesem kurzen Zeitraum jeder zweite Bestand erloschen! Doch nicht nur in diesem Landkreis, überall ist der Handlungsbedarf auch bei den „einfach“ gefährdeten Arten bereits enorm. Die Verantwortung sehen wir dabei primär bei den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Wir unterstützen diese sowohl fachlich als auch mit einer respektablen Förderung nach den LNPR. – Hinweise zum systematischen Herausfiltern jener Bestände, auf die sich die Bemühungen der unteren Naturschutzbehörden konzentrieren sollten, gibt ZAHLHEIMER 2007. Artenvielfalt ist Lebensqualität … … für Alle, die fähig und willens sind, sie wahrzunehmen. Unseren Auftragnehmern bei den Artenhilfsmaßnahmen danken wir für ihr leidenschaftliches Bemühen, möglichst viel davon zu sichern, so besonders Martin Scheuerer, Dr. Josef Dachs, Karsten Horn, Thomas Herrmann & Dorothee Hartmann, Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 / Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) Artenschutz- und -stützmaßnahmen in Niederbayern: Florenvielfalt am finanziellen Tropf Ernst Obermeier, Robert Hofmann, Wolfgang Diewald und Oliver Dibal. Ein herzlicher Dank geht auch an die Stadtgärtnerei Straubing, wo sich Helmut Zapf seit vielen Jahren unserer grünen Sorgenkinder annimmt. Dr. Willy Zahlheimer Dipl.-Biologe Regierung von Niederbayern, SG 51 Regierungsplatz 540 84028 Landshut [email protected] Literatur und Quellen Brunninger, B. & Reichholf-Riehm, H. – 2006 – Erfassung und Beprobung mutmaßlicher Schwarzpappeln (Populus nigra s. str.) am unteren Inn. Unveröff. Gutachten i. Auftr. d. Regierung von Niederbayern Dachs, J. – 2008 – Monitoring und Hilfsmaßnahmen für Orchideen in Niederbayern und weitere hochbedrohte Blütenpflanzen des Isarmündungsgebietes im Jahr 2008. Unveröff. Gutachten i. Auftr. d. Regierung von Niederbayern Dunkel, F.-G. – 2005 – Der Ranunculus auricomus-Komplex in Bayern I. Seltene endemische und vom Aussterben bedrohte oder verschollene Arten: Ranunculus rhombilobus Borch.-Kolb., R. constans Haas und R. rostratulus Borch.-Kolb. Ber. Bayer. Botan. Ges. 75: 79-94 Horn, K. – 2009 – Monitoring bedrohter Farnpflanzen und Maßnahmen zu ihrer Sicherung und Förderung in Niederbayern 2008. Unveröff. Gutachten i. Auftr. d. Regierung von Niederbayern Krause, H. L. – 1904 – J. Sturms Flora von Deutschland in Abbildungen nach der Natur, Bd. 12, 2. Aufl., Verlag K. G. Lutz, Stuttgart Obermeier, E. (Bearb.) – 2009 – Artenhilfsprojekt „Holunder-Knabenkraut“. Maßnahmen im Jahr 2008. Unveröff. Gutachten i. Auftr. d. Regierung von Niederbayern Rüther, C. – 2006 - Zum Wiederfund des Karlszepters (Pedicularis sceptrumcarolinum) im Vorderen Bayerischen Wald bei Oberbreitenau (Landkreis Regen): historischer Rückblick und aktuelle Situation. Ber. Bayer. Botan. Ges. 76: 141-150 Scheuerer, M. – 2009 – Bericht zum Projekt „Artenhilfsmaßnahmen für extrem gefährdete Pflanzenarten Niederbayerns. Pro- jektphase XI, 2008. Unveröff. Gutachten i. Auftr. d. Regierung von Niederbayern Scheuerer, M. & Ahlmer, W. (Bearb.) – 2002 Rote Liste gefährdeter Gefäßpflanzen Bayerns mit regionalisierter Florenliste. – Schriftenr. Bayer. Landesamt f. Umweltsch. 165, Beiträge zum Artenschutz 24 Stein, Ch. – 2008 – Über die Bestandsentwicklung der Offenland-Flora des östlichen Isar-Inn-Hügellandes. Was ist nach 10 bis 20 Jahren noch zu finden? – Mskr. für Hoppea, Denkschr. Regensb. Botan. Ges. Vollmann, F. – 1914 – Flora von Bayern. Eugen Ulmer, Stuttgart, 814 S. Zahlheimer, W. A. – 2001 – Die Farn- und Blütenpflanzen Niederbayerns, ihre Gefährdung und Schutzbedürftigkeit. Hoppea, Denkschr. Regensb. Bot. Ges. 62: 5-347 Zahlheimer, W. A. – 2007 – Floren-Stützgerüste gegen wachsende Rote Listen − Planung und Verwirklichung. ANLiegen Natur - Heft 2/2007: 47-61 Naturschutz in Niederbayern – Heft 6 (2009) / Naturschutz- und Botanik-Tagung 2009 113