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ZellulaireVerbandsstrukturen Die Tropen von J. M. Hauer als individuelles Erkennungsmerkmal von Zw6lftonreihen und ihrem Potential von KLAUS LAGALY Vielleichtist aber gerade der gegenwArtigeZeitpunkt fiur den Versuch einer naheren Auseinandersetzung mit Hauers Werk und Theorie auBlerordentlich giinstig, weil die Beobachtungenund Erfahrungen,die an der jiingsten Entwicklungder neuen Musik gesammelt werdenkonnten,auchdem SchaffenHauersneue Aspekte und Perspektivenabzugewinnenverm6gen. (Walter Szmolyan') Die heute gingigen Begriffe ,,Zwolftonmusik", ,,Zw6lftontechnik", oder ,,Zwolftonreihe"werden zumeist mit dem Namen Arnold Sch6nberg in Verbindung gebracht, ohne daB3darauf hingewiesen wird, daB3auch sein Landsmann Josef Matthias Hauer ,,unabhangig von Sch6nberg und noch vor ihm eine Methode der Komposition mit dem Total der zw6lf Halbt6ne der temperierten chromatischen Skala gefunden und entwickelt hat, die sich wesentlich von der Sch6nbergs unterscheidet"2. Wiihrend Sch6nbergs ,,Methode der Komposition mit zw6lf nur aufeinander bezogenen T6nen" weltweit Verbreitung und Geltung erlangte, ist Hauers Verfahren weitgehend unbekannt geblieben3. Dies mag (wie Szmolyan bemerkt) damit zusammenhangen, daf3Hauer keine Schtiler vom Range eines Anton Webern oder Alban Berg vorzuweisen hatte, die auf seiner Lehre aufbauten und sie weiterentwickelten. Zwar hatte auch er Schiuler bzw. ,Jiinger", die aber meist anderen Fachrichtungen angehorten. 1 W. Szmolyan,J. M. Hauer, in: OsterreichischeKomponistendes 20. Jahrhunderts,Band 6, 1965, S. 11. Szmolyanschrieb diese Zeilen vor 25 Jahren;aber auch heute haben sie noch nichts an AktualitAteingebti3t,ganzim Gegenteil:die inzwischenverflosseneZeit (undmit ihr die kulturelleEntwicklung)hat diesbeztiglicheBeobachtungenund Erfahrungennochweiter vermehrt. 2 W. Szmolyan,a.a.O., S. 7. a Noch krasser ist der Unterschied der Bekanntheitsgradebei den Kompositionen;wer kennt heute schon ein musikalischesWerk Hauers? Archiv fior Musikwissenschaft, Jahrgang XLVII, Heft 3 (1990) @ Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart 164 Klaus Lagaly ,,Hauer war schon zu Lebzeiten eine legendAre Gestalt"; Szmolyan beruft sich in seinen Ausftihrungen auf den osterreichischen Komponisten und Musikwissenschaftler Egon Wellesz, der in einem Vortrag (gehalten am 5. 10. 1964 auf Einladung der Osterreichischen Gesellschaft Musik in Wien) den ,,eigenfttr den Hauer seine auf Umwelt austibte, charakterisiert: ,,Hauer tiimlichen Reiz", war die merkwiirdigste Erscheinung, die mir je begegnet ist, eine einzigartige Mischung von Genialitat und Dilettantismus"4. Egon Wellesz war in den Zehner- und Zwanzigerjahren Schiller von Arnold Sch6nberg in Wien und hat durch Rudolf Reti (der verschiedene Kompositionen Hauers, darunter Nomos op. 1, zur Aufftihrung brachte) ,,auch den anderen Vorkimpfer der Zwolftonmusik, Josef Matthias Hauer, pers6nlich"kennengelernt. Bereits vor der personlichen Bekanntschaft mit Hauer hat Wellesz seine Wertschitzung fir die fritihen Kompositionen Hauers ausgedrtickt und spiter schreibt er: ,,Schon damals empfing ich den Eindruck einer ganz ungewohnlichen Begabung, der sich beim Anhoren der spiteren Kompositionen noch steigerte"5. Weiterhin ist Wellesz der Meinung, daIBdie Kompositionen Hauers ,,starker wirken als das meiste, was man heute (um 1920) zu horen bekommt. ... Vielleicht liegt in dieser Musik sogar viel Zukunft"'. Die Zukunft ist (wenn auch nicht im Sinne des kompositorischen Determinismus Hauers) offen und zeitlich unbegrenzt. I. Biographische Daten Josef Hauer - seinen zweiten Vornamen Matthias, den seines Vaters, ftigte er spifter, laut Szmolyan7wahrscheinlich erst 1922, seinem ersten Taufnamen bei - wurde am 19. MArz1883, also am Josefstag, als Sohn des Gefangenenhausaufsehers Matthias Hauer und dessen Ehefrau Maria Hauer, geb. Wallner, in Wiener Neustadt (Niederosterreich) etwa 50 km stidlich von Wien, im Hause Lange Gasse Nr. 23 geboren. Hauers eigenen Angaben zufolge waren seine Vorfahren vaiterlicherseits pfailzische Weinbauern und stammten aus der Gegend von Kaiserslautern; auf GeheiB von Maria Theresia wurden sie im Piestingtal (nahe Wiener Neustadt) angesiedelt. Die Herkunft seines Namens leitet er von der Berufsbezeichnung ,,Weinhauer"oder kurz ,,Hauer"fuir,,Weinbauer" ab. Seine Vorfahren miitterlicherseits stammen aus dem ungarischen 4 Hier zitiert nach Szmolyan,a.a.O., S. 7. 5 Zitat ebenda S. 7. 6 Zitat ebenda S. 7. 11. Die Feststellung Szmolyans,daBHauererst spiter seinen 7 Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. zweiten Vornamenangenommenhat, wird bestitigt durchdie den friiherenim Selbstverlag erschienenenWerken zugefiigten InitialenJ. H. und die mit J. M. Hauer unterzeichneten spiteren Werke wie etwa die uiberarbeiteteVersion der Tropentafelnvon 1948. Allerdings gibt eine solche Gegeniiberstellungdie exakte Jahreszahl1922nicht her. ZellulareVerbandsstrukturen 165 Bereich der Monarchie, und beide Elternteile wohnten bereits in Wiener Neustadt. 1897, als 14jihriger, trat Hauer in die Wiener Neustidter Lehrerbildungsanstalt ein, die er 1902 gemeinsam mit Ferdinand Ebner (der ebenfalls aus Wiener Neustadt stammte und dem er sein Nomos op. 1 1912 widmete) mit bestandener Reifeprtifung verliel3. Nach einer Anstellung als provisorischer Unterlehrer in Krumbach,,in der Buckligen Welt", wo er seine spitere Frau kennengelernt hatte, legte er in den Jahren 1906, 1907 und 1909 drei staatliche Lehramtspriifungen ab, ,,die ihn zum Unterricht im Gesange, im Violin- und Klavierspiel an Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten berechtigten"8. Im damaligen CafWLehn in Wiener Neustadt gab es um 1910 einen ,,Hauer-Tisch", dem neben Gymnasialprofessoren, Juristen und Studenten auch Ferdinand Ebner angeh6rte. Josef Hauer hatte durch seine radikalen Ansichten fiber Musik die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und war zum Mittelpunkt geworden. Sein mit op. 1 bezeichnetes Werk Nomos in sieben Teilen stammt aus dem Jahre 1912;die erste theoretische Schrift (der bis 1926 noch vier weitere folgen) 1Uberdie Klangfarbe op. 13, der Versuch einer Charakteristik der Intervalle mit Hilfe von Goethes Farbenlehre, entstand 1918. Ein Jahr spiter (1919) komponiert er mit Nomos ftir Klavier op. 19 sein erstes bewuf3t mit einer Zw6lftonreihe bzw. Zw6lftonmelodie gestaltetes Werk. Offentliche Beachtung seiner Person sowie seines Werkes erregte er bei Aufffihrungen seiner Kompositionen im Rahmen von Festivals ftir Neue Musik (z. B. Donaueschingen Musiktage 1924, Internationales Musik- und Theaterfest der Gemeinde Wien 1924, Musikfest der Internationalen Gesellschaft f&irNeue Musik Frankfurt a.M. 1927 u.a.). Respekt und Anerkennung speziell fir sein theoretisches Schaffen zollte ihm sogar sein Antipode Arnold Sch6nberg in der dritten Auflage seiner Harmonielehre, wenn er bemerkt, daf3Hauers Theorien ,,auch dort, wo ich Obertreibungen finde, tiefund originell sind, dessen Kompositionen auch dort, wo sie mir mehr ,Exempel' als Kompositionen erscheinen, sch6pferische Begabung verraten, dessen Haltung ihn aber in jeder Hinsicht achtenswert macht"'. Mit der Zwolftonmusik fiAr Orchester op. 39 komponierte Hauer 1939 sein letztes Werk, das er mit einer Opuszahl versah. Danach brach fir Hauer die Phase der ,,Zw6lfton-" bzw. ,,Zw6lft6nespiele" an, von denen er ca. 1000 schrieb, geordnet nach Entstehungsdatum und Besetzung. Die Zw6lftonmelodien oder,,Melosfiille", besonders in der Spitphase der Zw6lftonspiele, entstanden durch Wuirfelnbzw. Ziehen von eigens zu diesem Zwecke praparierten Tonscheiben. Die verspiteten Ehrungen, der Professorentitel (1954) und der GroBeOsterVgl. Szmolyan,a.a.O., S. 14. 9 Vgl. A. Sch6nberg,Harmonielehre,3. Auflage, S. 488. 8 166 Klaus Lagaly reichischeStaatspreis(1956),beeindrucktenund beeinflul3tenHauer wenig. ,,Unbeirrtzeichneteer bis zu seinemTodedie Melodienauf, durchdie er sich von Gott ,angesprochen'fiihlteunddie er den Menschen,vernehmbar'machen wollte"'. Am 22. September1959starb der ,,alte Chineseim langenNachthemd"im Alter von 76 Jahren. II. Zur Bedeutungder Termini,,Tonalitit"und ,,Atonalitit" in der TheorieHauers die ohneseine Untersuchungenzu HauersKonzeptionder Zwolftontechnik, Theorieder Atonalitit, des atonalenMelos,unzugiinglich ist, ftihrenunmittelbarzu generellenFragestellungen:etwa zurFragenachder Abhingigkeitbzw. dem Zusammenhang der Begriffspaare: Natur Natur Natur Natur Materie Naturgesetz Geschichte Kunst (bzw. naturlich - kiinstlich) Geist - Geist Zwarweist HauersTheorieder Atonalitatin vielenEinzelaspektenObereinmit den AuffassungenseinerZeitgenossenauf;es liegt ihr stimmungsmomente aber ein vollkommenandererAnsatzzugrunde.In seiner SchriftVom Wesen desMusikalischen.Ein LehrbuchderatonalenMusik(1920),die vonSzmolyan als erstes Werk iber Zwolftonmusikgekennzeichnetwird, taucht wohl auch erstmalsder Ausdruck,,atonal"auf, ,,der moglicherweisevon Hauergeprigt worden ist, und bald zu einem vielverwendetenModeschlagwortwurde"". Vom Wort her heil3t,,tonal"bzw. ,,atonal"bei Hauernicht ,,in einer Tonart" bzw. ,,nichtin einer Tonartstehend";der Ausdruckist demnachnicht auf die Tonartbezogen, sondernauf den fixiertenEinzeltonmit seiner exaktenTonhohe. TonaleMusikim strengen Sinne erreichtnach Hauerihre Variabilitat sondernlediglichdurchrhythmischeund nichtdurchTonh6henverinderungen, einem Ton). Hauerist sich der Einauf Trommeln agogischeEinflisse (z.B. durch die entsteht, durchausbewul3tund diese Wortbezeichnung schrinkung, denkbareExtremfall theoretisch der nenntMusikdieser Art rein tonal,womit zurPolygemeintist. Dur-Moll-Tonalitit wuirdeunterdiesenVoraussetzungen tonalitiftundstrengeZwolftonigkeitdurchstindige Verwendungdes chromati- 10 1 Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 89. Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 31. ZellulareVerbandsstrukturen 167 schenTotals(vonHauerals das andereExtrem,,atonal"genannt)zurPantonalit~t. FtUrdie Theoretikerder Atonalitatgalt und gilt eine historischeBezugnahme,aus der heraussogar die verschiedenenGedankengingeinnerhalbder Theorie begrtindetwurden, als allgemeinverbindlich,was ffir Hauer nicht zutrifft. Sicherlichist die extreme Formulierungvon M. Lichtenfeld:,,Hauers nicht gerechtfertigt, Konzeptionder Atonalitatdagegen ist geschichtsfrei""12 insbesonderewenn man die Qulle, auf die sie verweist, berficksichtigt:die MusikHauers,,ist bewuBftantihistorisch,gewollt anfinglichundtrotz gewollter Atonalitit fast immerwohlklingend""'. Einerseitsist hier von der Musik, nichtvon der TheorieHauersdie Rede, andererseitsvon antihistorisch,nicht aber von geschichtsfrei.Sch6nbergbeispielsweiselebte bewuf3taus der Tradition und nutzte die ,,Erfahrungdes geschichtlichenMaterials";Hauerjedoch wandtesichmit allerEntschiedenheitgegen die uiberkommene Musikals Basis. In seinemTraditionsbewuf3tsein ging Sch6nbergso weit, daf3er ,,amfiberkommenen Begriff der Theorie,der gleichermaf3en in der tonalenPraxis wie im Historismusdes 19. Jahrhundertswurzelt",festhielt und ,,eineKompositionstheorienurals aus nachtriglicherWerkbetrachtung zusammengestellteRegelsammlunggelten lassen wollte"14.Wahrendalso Sch6nbergund seine Schiller in ihren theoretischen Schriften ,,gr6f3tenWert auf die Beschreibungder Verfahren"legten, derenklareDarstellung Genealogieihrerkompositorischen ihnen zur Begrtindungbzw. Apologieihres theoretischenSystems verhelfen konnte, stellt ,,Hauer in seinem kiinstlich geschaffenen", also nicht natitrlich gewachsenen, ahistorischenRaum die Leitsatze seiner Atonalitat und ... auf, als handle es sich um erkenntniskritischeKategorien Zw6lftontechnik" oder musikisthetischePrinzipien1. Die Zw6lftonmusik,die er auchals ,,Sprachedes Universum",,,Offenbarung der Weltordnung"und ,,Harmonieder Spharen"bezeichnete, beansprucht Hauernichterfunden,sondernlediglichgefundenzu haben;er habenuretwas von Anfangan Dagewesenesden Menschen,,vernehmbar" gemacht.Aus gnoSicht dadurch etwas zum ,,FiUrunsseienwire seologischer ,,Ansichseiendes" den"geworden. Bereits aus der Bemerkungvon H. Eimert, daB die MusikHauers trotz gewollter(undvielleichtsogarpraktizierter)Atonalitatmeist wohlklingendist, liMtsich erahnen,daBfdie Terminitonalund atonal,,fiirJosef MatthiasHauer eine vom tiblichenSprachgebrauch abweichendeBedeutung"haben.,,Sie sind 12 Vgl. M. Lichtenfeld, Untersuchungen zur Theorie der Zwlflontechnik bei Josef Matthias Hauer, Regensburg 1964, S. 42. is Vgl. H. Eimert, Artikel Hauer, MGGV, Sp. 1842. 14 Vgl. M. Lichtenfeld,Schinbergund Hauer, Melos32, 1965, S. 121. 15 Vgl. M. Lichtenfeld,Untersuchungen,a.a.O., S. 42. Anstelle von ,,geschichtsfrei"wird hier der Ausdruck,,ahistorisch"gebraucht,der keineswegs synonymmit ,,antihistorisch"ist. 168 KlausLagaly fiir ihn sowohlsynonymffir einstufigund vielstufig- im Idelfallzw6lfstufig-, als auchfiir nattirlichundgeistig in Beziehungauf Musik.MusikalischeNaturphinomenesind fUirHauerdie Obertonreiheund alles was er daraus,in Uberableitet:Dreiklang,diatoeinstimmungmit vielen anderenMusiktheoretikern, nische Skala,ja selbst die Klangfarbe.Geistigoder vergeistigtist demgegenfibernur die (zwilfstufige)gleichschwebendeTemperatur.,Rein tonal'ist nur die Musik,die auf einer einzigenTonstufeverharrt;sie bedarf,um fiberhaupt als Musikzu wirken,der rhythmischenDifferenzierung"'1. In ihrer reinsten ,,Die tonale Musikwird aus dem Rhythmusgeboren""17. Tonh6henunTonh6he. Sobald auf einer besteht sie Trommeln im Auspragung terschiede auftreten, handelt es sich ffir Hauer nicht mehr um rein tonale Musik.In diesemSinneist ,,reintonale"Musikdurchausdenkbar:,,DasTrommeln auf einem Ton, also das rein Rhythmische"machtuns oftmalsFreude, ,,undwir leben dannunsere Stimmungen,Affekte, unsere Ideen, unsere personlichenRhythmenaus, indemwir uns, ahnlichwie ein Faultier auf einem Ast, auf einemTon (Grundton)lingere Zeit schaukeln.Eine rein tonaleMusik ist ein Vergnfigen,ein Ventil ffir temperamentvolleMenschen,und ich kann mir ganz gut vorstellen,wie etwa ein modernerKomponistdamitauskommt, und darverschiedeneGerauschinstrumente (Schlagwerk)zusammenzustellen auf in mannigfaltigenund kompliziertenRhythmentrommelnzu lassen. Das ist ein ,Kinderspiel',fuirdie AusfiihrenAufschreibensolcherSchlagzeugorgien sie ihreVirtuositatzeigenk6nnen, den soll es mituntersehr schwersein, so daB3 auf das Publikumwirkt dies jedoch barbarischund wild, und dieser sinnliche Reiz bedeutet im Rahmender ganzenMusikdasselbe,was in der Kochkunst Pfefferund Paprikabedeuten""18. Als Verwirklichungdieser Art ,,tonaler"Musik,zumindestansatzweise,sei auf Karlheinz Stockhausens Zyklus fir einen Schlagzeuger (1959)19und Litanie II ffir drei Schlagzeuger(1980)von KarelGoeyvaerts20 verwiesen;allerdings Vgl. R. Stephan, UberJosef Matthias Hauer, AfMwXVIII, 1961, S. 267. 17Vgl. J. M. Hauer, Melos und Rhythmus, Melos3, 1921/22,S. 186. 18 Vgl. J. M. Hauer, Vom Melos zur Pauke. Eine Einfilhrung in die Zwolftonmusik, Reproduktionder ersten Auflage UE Wien, 1967, S. 7. 19WAhrendder Probenarbeitffir sein OrchesterwerkGruppenfilr drei Orchester(1958) erlebte Stockhausen,daBdie 12 Schlagzeugergr6BtenteilsSchwierigkeitenbei der Verwirklichungihrer Partien hatten (obwohler andererseits,insgesamt gesehen, im Vergleichzu den umfangreichenProbenarbeitenetwa von StrawinskysLe Sacre du Printemps bemerkt, daB das betreffende Orchester ,,die ,Gruppen'in nicht einmal 10 Proben gut gespielt hat", vgl. Stockhausen,TexteII, S. 72), und er gab WolfgangSteinecke,dem Initiatorder Darmstadter Ferienkurse, die Anregung, ,,einen Instrumentalkursund Schlagzeugwettbewerbin Darmstadt einzurichten.Da es aber keine brauchbarenStucke fir Schlagzeugsolo gab, war Steineckes Replik:,Wenn Sie ein StUckfforSchlagzeugschreiben,macheich einen Wettbewerb'. So war der Anlal3zur KompositionZyklus fir einen Schlagzeugerein padagogischer.Der junge Kl1ner SchlagzeugerChristophCaskel, den Stockhausenbei den Proben zu Gruppen kennengelernthatte - mit ihm hatte er auchdie Ausarbeitungder Partitur(ibrigens Stockhausens erster graphischerPartitur) von Zyklus besprochen-, erwies sich als geeigneter 16 ZellulareVerbandsstrukturen 169 wird in diesen Kompositionendurchdie VerwendungmehrererTonhohendie Reinheitder Tonalitat(im VerstandnisHauers)getriibt. Im fibrigenhabensie a priorieine v6llig andereMissionals ,,nur"die Exemplifizierungvon Hauers Idee der reinen Tonalitat.(Beide Kompositionensind verschieden,nicht nur was Besetzungund Instrumentarium betrifft,sondernauchvom EntstehungsanlaBher: bei Stockhausenist dies ein padagogischer,vgl. Anm. 18;wahrend die Kompositionvon Goeyvaertsals Auftragswerkfuirein speziellesEnsemble anzusehenist, vgl. Anm. 19.)Die so charakterisiertereintonaleMusikstellt ftir Hauerden ,,reinrhythmischenPol der Musik",also ein Extrem dar. Als Gegensatzdazu ist das andere Extrem, der rein atonale,melischePol anzusehen.Auf die selbst gestellte Frage nachder Existenzeiner solchenrein atonalenMusikantwortetHauer:,,Genauso, wie wirobendenreintonalen,den rein rhythmischenPol der Musikgefundenhaben,mit gleicherLogik21finden wir auchden entgegengesetzten,den rein atonalen,denrein melischenPol der Musik.Melosnennenwir das musikalischeErlebenund Geschehen,die SpanInterpret und spielte am 25. August 1959 die Uraufffihrungin Darmstadt.Zyklus, Pflichtstuck des folgendenSchlagzeugwettbewerbs,wurde spater zum meistgespieltenSchlagzeugSolo-Stuckder Neuen Musikund l1ste eine Welle von Schlagzeugwerkenaus"(vgl. M. Kurtz, Stockhausen.Eine Biographie,Kassel, 1988,S. 133). Der padagogischeImpulswurde also in mehrerer Hinsicht wirksam. (Eine ausffihrlicheAnalyse liefert der Komponistin Texte II, Aufsdtze 1952-1962zur musikalischenPraxis, S. 74-100). 2 Das Werk entstand auf Anfrage eines amerikanischenSchlagzeugtriosaus Cincinnatti; die vorgegebenenInstrumentehabenes bestimmtund gepragt. ,,Ichhabe von diesen Schlagzeugern aus Cincinnattieine Liste der Instrumentebekommen,mit denen sie eine Rundreise durchEuropamachenwollten, und diese Instrumentehabeich dannKlangfolgengeschrieffir ben, die sich aufbautenwie in Litanie I, aber ich habe den Aufbaumit den Instrumentenvon an Das war viel mehr vom Instrumentbestimmt, und ich habe dann Anfang ausgearbeitet. jedesmal so einen Auf- und Abbauausgeschriebenmit dem, was da vorhandenwar an Instrumenten, undzwarhabeich wegen dem KlangcharakterbestimmteGruppenausgewahlt.Inder Kombinationder Instrumenteergab sich so ein bestimmterKlangcharakter,es ist viel mehr ein Klangstick als Litanie I, und das ist bedingt von der Idee der Zusammenstellungder Instrumente"(Zitat aus einem Gesprachdes Komponisteniber Litanie I-IV, Musiktexte6, Oktober1984, S. 20/21). 21 Hierzu ware anzumerken:keine Logik ohne Axiomatik!(zumindestkeine aristotelische Logik);HauersArgumentationgeht bereits von einer multipolaren,d.h. mindestensbipolaren Musikauffassungaus (in metaphorischerAnlehnungan das Bild der Erdkugelmit ihremNordund SUdpol).Bezogen auf die beidengenanntenextremen Pole der Musikformulierter explizit: ,,In diesen EiswUstender beiden Pole halt es kein Menschauf die Dauer aus. Der Komponist muJ3dem HSrerentgegenkommen(dies laJBtsich w6rtlichverstehen, wenn er mit seiner Nahe KorperwArmeausstrahlt), um ihn nicht in der Kalte erstarren zu lassen, und einen KompromitB schliel3en,also eine Position zwischen diesen beiden extremen Polen beziehen. Hauer drUcktedas einmal sehr drastisch aus und meinte, man miisse die ,unvergleichlich sch6neneinstimmigenatonalenMelodienin die komplizierteneuropaischenLarmgewohnheiten hineinorganisieren- mit mehr oder weniger musikalischemAnstand,je nachdemes einer verantwortenkann',weil der europaiischeMenschnicht mehrimstandesei, aus einer Melodie auch gleichzeitigderen Harmonieherauszuhiren"(zitiert nach Szmolyan,J. M. Hauer, 1965, S. 32). Im allgemeinenlaIt sich aber von der Existenz eines solchenPols nicht notwendigauf die eines zweiten schliel3en.Beispielsweisewissen wir nicht - um die Metaphorikbeizubehalten - ob, je nach Ausgangshypothese,die Zeit als Strecke, Strahloder Geradezu deuten ist. Denkbarbzw. vorstellbarist die von Hauer dargestellte Bipolaritataber durchaus. 170 Klaus Lagaly nung zwischen Tonen verschiedener H6he, wohlgemerkt: das Erleben und Geschehen und die Spannungen, die sich in uns vollziehen". Melos ist ein absolut geistig musikalischer Vorgang im musikalischen Menschen. Die verschieden hohen Tone sind nur die physikalische und physiologische Voraussetzung zu diesem Erleben, die Tone sind Erde, ,Ton', Materie. Damit es aber in der Musik zu diesem rein melischen Erleben kommen kann, muissenwir naturgemal die Gegenseite, das heiRt die rein rhythmischen Geriuschmomente, so viel als m6glich ausschaltens. Bei verschieden starken, verschieden langen Tonen, die von verschiedenen Gerauschen stammen und die vielleicht noch obendrein innerhalb der Oktave (dieser machtigsten Siule des Horens) innerhalb des Zirkels nicht gleichmlf3ig verteilt, nicht wohltemperiert sind, bei solchen Voraussetzungen wird sich die rein melische Spannung, das Gleichgewicht, das rein melische Erleben im H6rer begreiflicherweise schwer oder gar nicht einstellen. Die ,a'tonale Musik ist eben auch eine ,a'rhythmische, und wir dtirfen strenggenommen weder von einer rein tonalen noch von einer rein atonalen Musik reden, sondern nur von den beiden Polen der Musik. War bei dem einen Pol nur Rhythmus, so ist nun beim anderen nur Melos"a. ,,Atonal"im Sinne Hauers kann Musik nur sein, ,,wenn sie auf engstem Raum zwolft6nig, rhythmisch indifferent und auch in Dynamik und Klangfarbe mogWenn es auch strenggenommen keine atonale lichst wenig differenziert ist"'. Musik geben kann', so kann man sich doch auf den rein melischen Pol konzentrieren: ,,reinigend und bereinigend wirkt der lingere Aufenthalt in diesen luftigen SphAren, in dieser ,Hdhensonne'. Ganz besonders der Aufenthalt auf dem melischen Pol der Musik ist eine Ubung, eine Stirkung in der musikalischen Tugend. Ein Musiker, der sich lange Zeit darin tibt, einstimmige Melodien mit den zwilf wohltemperierten T6nen zu singen, ein solcher Musiker kommt weit ab vom Banalen, Trivialen und von falscher Sentimentalitit. Er ist ' Eine andere Kennzeichnungvon ,,Melos"liefert Hauermit der folgendenBeschreibung: ,,Melosist die Bewegung zwischenden Tonen, die Spannungvon Ton zu Ton"(vgl. Musik16, 1923/24,S. 105). Hierbei handeltes sich um die physischebzw. akustischeSpannungan sich, vom Erleben ihr Dasein haben kann und hat. Oberhauptverweist Stephan die unabhi•ngig auf die mangelndeEindeutigkeitvon Hauers Begriffen. a.a.O. ' Als Konsequenzergab sich fiir Hauer darauszunAchsteine reservierte Einstellung zu den Schlaginstrumentengenerell. Aber schon seit 1925 betont er sein nicht krampfhaftes Verharrenam melischenPol, sein Entgegenkommendem Horer gegeniber: ,,Im Orchester gibt es bekanntlichauchPauken,Trommelnund andereLarminstrumente.Bis zu den Pauken bin ich schon gekommen, well sie noch stimmbar sind. Ich verwende sie zwar sparsam, behandle sie aber doch nicht stiefmiitterlich"(vgl. Hauer, Vom Melos zur Pauke, a.a.O., S. 22). ? Vgl. Hauer, VomMelos zur Pauke, a.a.O., S. 9/10. 2 Vgl. R. Stephan, UberJosef MatthiasHauer, a.a.O., S. 268/69. a Hauersprichtdennochan mehrerenStellenvon ,,reinatonalerMusik"(vgl. die Hinweise von Stephan, a.a.O., S. 269). Aber nicht die grundsAtzlicheM6glichkeiteiner rein atonalen Musikwird von Hauergeleugnet, sonderndie praktischeRealisation,das standigeVerbleiben in der ,,Eiswiiste". ZellulareVerbandsstrukturen 171 diesen GefahrenentronnenfUralle Zeit, auchwenn er sich dannim Pers6nliundPolychen, Rhythmischen,Ideenhaften,in Stimmungen,im Harmonischen phonen noch so sehr ,auslebt"'27 Hauernennt seine Musikatonal, weil er beim Komponierenvom atonalen, demtonalen melischenPol der Musikausgehtund sich im Kompositionsprozef3 Pol in der annAhert. meine Musik steht rhythmischen ,,Praktischgenommen Mitte zwischenden beidenPolen, sie kannweder als rein atonalnochals rein tonalangesprochenwerden.Da ich abervomatonalen,rein melischenErlebnis der zwolf Tone ausgehe, sozusagendie andere Hemisphire nur bertihre,so nenneich meine Musikwohl mit Recht eine atonale,eine melische"2.Es wird also beim Erstellen einer Komposition(nachden KriterienHauers)im wahrsten Sinne, wie der Titel der Schriftbesagt, ein Weg ,,vomMeloszur Pauke" bzw. vom Melosaus in RichtungPaukezuriickgelegt. An mehrerenStellenseinertheoretischenSchriftenliefertHauereine tabelder Merkmaledes polarenVerhiltnisses ,,tonal"larischeGegenuiberstellung ,,atonal"anhandeiner Tafel von Begriffspaaren2. Ton Intervall Geriusch Klang Rhythmus Melos absoluteTonhohe relativeTonhohe be,,ton"t wohltemperiert tonal atonal Obertonspektrum Klangfarbentotalitit Geige, Horn,... Klavier, Orgel, ... jodeln, briillen,... singen, sprechen,. Regeln, Konvention Gesetz, Nomos Gegenstand Bewegungsmoment Bemerkungenzur Verwendungdes Terminus,,Atonalitit"allgemein Bei allgemeinerenBetrachtungen,die zur Sachbestimmung von ,,Atonalitait" vom Hauers) (losgelist Gedankengut uiberhaupt fiihren sollen, werden - in in nicht formaler Hinsicht zwei materialer, generell Grundvoraussetzungen angefiihrt: 1. Die Verfuigbarkeit des chromatischenTotals 2. Die Emanzipationder Dissonanz Vgl. Hauer, VomMelos zur Pauke, a.a.O., S. 10. a27 Vgl. Hauer, ebenda. * Vgl. Hauer, Musikalisches Denken, Musikblitter des Anbruch, 1923, ebenso Atonale Musik, Die Musik 16 (1923), und Vom Wesendes Musikalischen, a.a.O., S. 5. 172 Klaus Lagaly Diese beiden Grundvoraussetzungen unter materialem Aspekt erfiillt Hauers ,,atonale" Musik in Theorie und Praxis; denn sie kommt von der Totalitit her, was sich praktisch im Zw6lftontechnischen realisiert, und Dissonanzen weist sie gar nicht mehr auf, sondern lediglich die zwalf Intervalle der gleichschwebenden Temperatur, die in der Konstellation des groi3enSeptakkords als Schluf3klangvieler Zw6lftonspiele auftreten. Vom historischen Standpunkt aus lassen sich wenigstens drei Entwicklungen zur Atonalitat angeben, die sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich tiberschneiden: 1. Die Neutralisierung der Tongeschlechter 2. Die Aufl6sung bzw. Aul3erkraftsetzungder tonalen Funktionen 3. Die Emanzipation der Dissonanz zu 1.: ,,Wie alle harmonischen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts mundete auch die Neutralisierung von Dur und Moll folgerichtig im chromatischen Total, oder genauer, im chromatischen Geschlecht. Die Zweigeschlechtigkeit wurde aufgehoben im ,Ubergeschlecht' "30. Fur Hauer ist es in erster Linie nicht der geschichtliche ProzeB, der zur Verwendung des chromatischen Totals gefiihrt hat, sondern er nimmt dieses als ein dem Geiste gegebenes bzw. zugingliches Startkapital an. Von einer v6lligen Neutralisierung der Tongeschlechter kann man in der Theorie Hauers nicht sprechen, da er Dur als reinen Ausdruck des Nattirlichen, Moll dagegen bereits als Stufe der Vergeistigung deutet31. zu 2.: Sieht er auch die traditionelle Funktionalitat in der atonalen Musik nicht mehr als gegeben an (,,In der atonalen Musik gibt es keine Toniken, Dominanten und Subdominanten... mehr"), so heif3tdies noch nicht, daB seine Musik v6llig von diesen Beziehungen und Wirkungen frei ist (vgl. die Beispiele und Nachweise von R. Stephan). Die Frage nach der Emanzipation der Dissonanz deckt sich mit Punkt 2 der obigen allgemeinen Untersuchung aus materieller Sicht. ,,Melodieist eine gltickliche Verschmelzung des Rhythmischen mit dem Melischen"32;das rein atonale Melos wird durch die rhythmische Gliederung zur atonalen Melodie. ,,Ftir die atonale Melodie gelten die Gesetze der Konsonanz und Dissonanz, wie sie in der Diatonik mit den ,Auflasungen' in die Dreiklinge ihren Ausdruck finden, nicht mehr; sie schafft sich ihre Spannungs- und Ent' Vgl. M. Lichtenfeld,Untersuchungenzur TheoriederZw6lftontechnikbeiJ. M. Hauer, S. 32; der Ausdruck,,Obergeschlecht"stammt von Anton Webern, Wegezur Neuen Musik, Wien (1960), S. 39. und Mollals ,,gebrochene"Physis 31 Die Gegentiberstellungvon Dur als ,,ungebrochene" erscheintdurchdie unmittelbareAbleitungdes Durdreiklangsaus der Obertonreihein Hauers System logisch und gerechtfertigt. 2 Hauer, Vom Melos zur Pauke, S. 8. Zellulire Verbandsstrukturen 173 spannungsmomente ganz von selbst, aus sich heraus, und unabhaingigvon den physikalisch-physiologischen (,natuirlichen')Verhiltnissen der Obertonreihe, ihrer Dreiklinge, Konsonanzenund Dissonanzen, denen ja das physische (nicht aber das geistige) Ohr, das an der Obertonreihe, an der Natur klebt - jenes Ohr, in dessen ,objektivem' Gegensein der elan vital gleichsam in der Materie steckengeblieben ist - in einem gewissen Sinne unterworfen ist. Die atonale Melodie ist gewif3 von der ,Natur' weit entfernt, dafuiraber, wenn sie echt ist, etwas rein Geistiges, Musikalisches - die ,Melodie' kat exochen ... Aus der atonalen Melodie, die dem heutigen Musikschaffen als Formprinzip zugrundeliegt, aus ihr heraus muf3alles (Formen, Ausdruck, Klangmittel) neu geboren werden"'. ,,Wer nur einmal in seinem Leben eine atonale Melodie deutet, ...der wird sich der geradezu unheimlichen Gesetze der Intuition, des rein Musikalischen bewul3t werden; die tote Materie gewinnt Leben, das Ruhige im Nebeneinander des Raumes bekommt Bewegung im Nacheinander der Zeit. Die atonale Melodie singt das Leben der Sprachen, der bildenden Ktinste, aber auch das der Natur - des Universums. Sie ist die reinste, klarste Quelle der Erkenntnis und des Wissens, die Form, die Bewegung selbst"'. ,,Die atonale Musik aber nimmt ihren Ausgangspunkt nicht von den ,nattirlichen', ,sinnlichen' Verhiltnissen der Obertonreihe z.B. des Horns, der Geige usw., sondern vom Intervall an und fuirsich in seiner rein geistigen, d.h. eben ,musikalischen' Bedeutung. Jedem der Intervalle liegt (abgesehen von ihren ,nattirlichen' Beziehungen zueinander, wie sie aus der ,Natur', dem ,Gegenstindlichen' der Obertonreihe hervorgehen) ein nur dem betreffenden Intervall eignendes farbiges und rhythmisches Moment zugrunde, das eben die ,geistige', ,urmusikalische' Bedeutung dieses Intervalls in sich begreift"35.Hieraus wird deutlich, welche wesentliche Rolle dem Intervall in Hauers Denken zukommt: ,,Im Intervall liegt nicht nur der Kern der Klangfarbe (das Melos), sondern auch der des Rhythmus. ... Das Intervall ist eine ,Melodie', eine ,Musik' - gleichzeitig aber auch etwas physikalisch Mef3bares.Alles rein Musikalische steckt im Intervall, alles"36.Man erkennt und spuirtaus dieser Formulierung die Nahe der Begriffe ,Melodie' und ,Musik' deutlich. Hauer verwendet haufig die Begriffe ,atonale Melodie' und ,atonale Musik' synonym. ,,Das Wesen des Intervalls ist Bewegung. Das Intervall ist eine GebArde. Jede Gebirde bedeutet etwas; dadurch, daBfeine Bewegung etwas bedeutet, ist sie Gebirde. Die Bedeutung einer Bewegung liegt im Geistigen. Das Intervall ist eine geistige Bewegung (Bewegung des Geistes), darum bedeutet es an und 33 Hauer, Vom Wesendes Musikalischen, S. 23. des Melos, S. 38. *4 Hauer, Deutung Hauer, Vom Wesendes Musikalischen, S. 25. 36 Hauer, ebenda, S. 13. 174 KlausLagaly ffir sich etwas. Im Intervallist der Ton, der KlangnichtsBewegtes, sondern die Bewegung selbst. Ftir die Physiker ist die Bewegung in einem Klang bewegte Materie(Schwingungstheorie)"3". Warder Tonnochtote Materie,so ist das Intervallbereitsbewegtes Leben. Unter der Voraussetzung,dafBlaut Hauer die musikalischeFarbenlehre (Klangfarbenlehre) ganz in der Lehre von den Intervallenaufgeht und der Bemerkung:,,JedegleichschwebendeTemperaturist also eine Klangfarbentotalitat"wird auch Hauers Aussage verstiindlich,dafBsich die atonaleMusik keineranderenKunstannihert:,,dasGanzekannsich nichteinemseinerTeile, das Bewegliche,Lebendigenichtdem ruhenden,Toten'... unterordnen"'. HauerfMigt beim Komponieren verschiedeneBausteinezusammen;in seiner Romantischen Fantasie beispielsweise spricht er von 288 solchen Bausteinen, die eng miteinanderverwandtsind. An andererStellebezeichneter den einzelnen Bausteinals ,,Fall"bzw. ,,Melosfall". ,Jeder Bausteinist also ein kleinesin sichgeschlossenesMusiksttick,eine Zelle im Organ,undaus Organenbautsich der Karperauf"'39. Eigentlichist bereitsdas Intervalleine Zelle,in derenKernsowohlMelosals auchRhythmusverankertsind,wodurchder Baustein,d.h. der einzelneMelosBeschreifall schonzumZellverbandwird. Die Untersuchung,Kennzeichnung, ist ihrer und und Zellverbande Verwandtschaftsgrade solcher bung ErklArung der Lehre von den Tropen. Aufgabe III. HauersLehre von den Tropen Zwolftonignoranten, lernet die Tropen! J. M. Hauer4 In der atonalen Melodie, in der die traditionellen Gesetze von Konsonanzund Dissonanzkeine Giiltigkeitmehrhaben,,,ist sowohldas rein Physische,Sinnliche, als auchdas TrivialeundSentimentalesoweitwie nurm6glichausgeschaltet und ihr Gesetz,ihr Nomos besteht darin, daB innerhalbeiner gewissen Tonreihesich kein Tonwiederholenundkeinerausgelassenwerdendarf.1.... ihr Nomos besteht darin, dafBimmerund immerwieder alle zwalf Tone der Hauer, ebenda, S. 13/14. Hauer, Deutung des Melos, S. 41. 3 Hauer, VomMelos zur Pauke, S. 22. Hauer sein Zwolftonspiel-mani40 Mit dieser Aufforderungbzw. ErmahnungbeschlieJ3t fest, vgl. H. Pfrogner,Die Zwolfordnungder Tbne,Wien 1953, S. 232. 41' Diese Aussage deckt sich, bezogen auf die Zwolftonreihe,mit der Forderung Sch6nbergs. 37 ' ZellulareVerbandsstrukturen 175 So formuliertHauerkonsequenterTemperaturabgespieltwerdenmUissen"4. weise: ,,DerSchwerpunktmeinerArbeitliegt darin,daBich immerwiederalle unserertemzwolfT6nedes in sichgeschlossenenQuinten-undQuartenzirkels bei umfanginsbesondere Da oder periertenHalbtonleiterabspiele anbringe"'3. in nicht reicherenKompositionen zwolf T6ne simtliche stindig gleicherReihenfolge, in einerArt Dauer-Ostinato, angebrachtwerdenk6nnen,benitigt Hauer ,,ein Verfahren..., das eine sinnvolle Veranderungder TonfolgenermigDazu entwickelter seine ,,Lehre von den Tropen",an die sich ,,die licht""44. hat klammert45. gesamteSatztechnikder Zwolftonmusik" ,,DieZwilftonleiter46 nennt anderer bekanntlich479001600[= 12!]Melosm6glichkeiten Stelle er [an sie ,,Melosffille" nur oder ,,Melosreihen"]. Um diese M6glichkeiten einigermaBen iiberschauenzu k6nnen,habeich sie schonim Jahre 1921in Tropen(Wendungen)eingeteilt,undzwarso:jede MelosreihewirddurcheinenTaktstrichin zwei Halftenzerlegt, derenjede sechs T6neumfafit.Die Toneder einen Halfte stehen nunzueinanderund zu den T6nender anderenHilfte in ganzbestimmten Intervallverhiiltnissen, und auf diese Weise erhaltenwir 44 solcherMog44 also lichkeiten, Tropen'"47 Wie H. HeiBrichtigbemerkt,sind,,beiderGestaltungeinerReihedieersten sechs Tone entscheidend,da ihre intervallischeZusammensetzung auchdiejenige der zweiten sechs Tonebestimmt"48. Aber diese Einteilungin 44 Tropenreduziertdie Gesamtzahlder Melosmoig= 10886400 lichkeitennicht, und fir jede Tropebestehenimmernoch 12!":44 in der Durch Permutation der Tone beiden Halfm6glicheAnordnungen. jeder ten erhilt man6! x 6! = 720 x 720 = 518400m6glicheKombinationen. Es gilt: 12! = 924 x 6! x 6!;der Multiplikator 924bezeichnetdie Anzahlallerm6glichen ZwolfUmkehrungenbzw.Tongeschlechterergebensich, inTongeschlechter49. 42 Hauer, VomWesendes Musikalischen,hier zit. nach R. Stephan,a.a.O., S. 272 FuBnote 1 mit Hinweis auf Stuckenschmidt. a Hauer, Zur Einfithrungin meine Zwblftonmusik,NMZ45, 1924,S. 194;abgedrucktin M. Rieple, Musik in Donaueschingen,Konstanz1959. " R. Stephan, a.a.O., S. 272. 4 Hauer, VomMelos zur Pauke, S. 12. 46 Hauer spricht hier nicht von ,,Zw6lftonreihe",sondernvon ,,Zw6lftonleiter"und meint damitdie AnzahlallerAnordnungsm6glichkeiten bzw. allerPermutationender zwilf verschiedenen temperiertenHalbtone. 47 Hauer, Die Tropenund ihre Spannungenzum Dreiklang, Musik17, 1924/25,S. 258;und Vom Melos zur Pauke, S. 12/13. 48 H. HeilB,Elemente der musikalischenKomposition,1949. 49 Der Ausdruck ,,Tongeschlecht"wird in mehrfacherBedeutung und dementsprechend auch in verschiedenerAnzahlin der Theorieder atonalenMusikgebraucht: 1. Das eine chromatischeGeschlecht(,,Ubergeschlecht"),in das die beidenGeschlechter,,Dur" und ,,Moll"einmuinden. 2. Die verschiedeneAnzahlder Tongeschlechtereiner Trope (variabelvon minimal2 bis zu maximal24). 3. Zwolf Umkehrungen,genanntTongeschlechter,durchjeweiliges Setzen des tiefsten Tones als h6chsten. 176 Klaus Lagaly dem elfmalder tiefste Tonals hochsterinnerhalbeinerTropegesetzt wird. Bei 35 der 44 Tropen,,lassensich die beidenHalftenso umstellen,daBdie erste zur zweitenundumgekehrtdie zweite zur ersten wird"', wodurchsich die Anzahl der M6glichkeiteninnerhalbeiner Tropeverdoppelt.Insgesamt8 der 44 Tropen (die ,,widergleichen" Tropen)liefernbei Umstellungder beidenHilften die gleichen Intervallverhailtnisse(10, 80, 170, 190, 240, 340, 410 und 44o)51.AuBer bei 4 Tropenergeben sich durchUmkehrungin die zwolf Tongeschlechterauch zwalf verschiedeneMelosgruppen. Die vier Ausnahmen sind: - 6 Tongeschlechter - 4 Tongeschlechter 380 - 12 Tongeschlechter 440 - 2 Tongeschlechter 80 340 Bei Trope38 ergibt sich die Zahl 12 aus 2 x 6; also 6 Tongeschlechterpro Umstellung.Sie nimmtunterden4 genannteninsoferneine Sonderstellungein, als sie die einzigenicht-widergleiche ist. Somitergibt sich die Gesamtzahlder Tongeschlechterfolgendermal3en: 35 x 24 = 840 + 5 x 12 = 60 (10, 170, 190, 240, 410) + 1 x 24 = 24 (80, 340, 380, 440) 924 der vierAusnahmen Der Wert24 ergibtsichals Summeder Tongeschlechter (80, 340, 380, 440: 6 + 4 + 12 + 2 = 24). zu konnen(wiefriiherdie Modulationen), ,,Umdie TropengehSrigausnUitzen ist dasmusikalische,gefiihlsmAifige AusarbeitenvonBeispielennotwendig.Die musikalischeVorstellungskraftim Verein mit dem System muf3(genau wie friiherbei den sieben T6nen)am Werkesein, damiteine ordentliche,anstandige Musikherauskommt,die Handund FuBhat"52 der einzelnenTropenbesteht in der Angabe Eine weitere Chrakterisierung ihrer,,Tritonusspannung". Die zwolfstufigetemperierteLeitererm6glichteine Teilung in zwei Hilften mit gleicher Tonzahl(von der Hauer ausgeht);das Intervall,das 6 Halbtonschritteumfal3t,der Tritonus,teilt die Oktavein der Mitte. In eineraus zwalfHalbtanenbestehendenSkalaergebensich6 in Bezug auf Tonh6heverschiedeneTritonuspaare: 4. Nach Stephan,,entsprechendie Tropenin gewisser Weise den traditionellenTongeschlechtern", a.a.O., S. 272. 5. Die 924 Tongeschlechteraller Melosm6glichkeitendes chromatischenTotals. 50Hauer, VomMelos zur Pauke, S. 13. Die Abkiirzung10 steht ffir Trope Nr. 1; entsprechenddie fibrigen. 51 ' Hauer, VomMelos zur Pauke, S. 14. ZellulareVerbandsstrukturen T1: c - fis T2: cis -g T3: d - gis 177 T4: dis - a T5: e T6: f -b - h Teilt man eine beliebige Zw6lftonreihein zwei Hilften zu je 6 T6nen, so k6nnenin einerHiilftemaximaldreiTritonuspaarevorkommen.Die Anzahlder Tritonuspaarein jeder der beidenHilften ist gleich. Dies liiBtsich folgendermal3enbegriinden: 1. Fall: Kommenin der ersten Hilfte drei Tritonuspaarevor (ohneBeschrinkung der Allgemeinheitdie Paare T1-T3, andernfallswird umnumeriert), so bleibendie Paare T4-T6 fuirdie zweite Hilfte ibrig. 2. Fall: Weist die erste Hilfte zwei Tritonuspaareauf, so sind die beidenfibrigen T6nedieser Hilfte aus zwei verschiedenender verbleibendenvier Tritonuspaarezu wAhlen,womitnochzwei unberiihrteTritonuspaare fiir die zweite Tropenhilfteubrigbleiben. 3. Fall: Enthilt die erste Hilfte nur ein Tritonuspaar,so sind die restlichen T6nevon Hilfte 1 aus vier verschiedenender fiinfverbleibendenTritonuspaareentnommen,so daBfiir Hilfte zwei noch ein Tritonuspaar ibrigbleibt. 4. Fall: Kommtin der ersten Hilfte kein Tritonuspaarvor, so stammenalle sechs T6nedieser Hiilfteaus sechs verschiedenenTritonuspaaren und damitauchdie verbleibendensechs, d.h. auchdie zweite Hilfte enthalt kein Tritonuspaar. Die Tritonusspannung der einzelnenTropen(von HeiBals ,,Gegentonspannung"bezeichnet),liBt sich tabellarischerfassen: Tabelleder ,,Tritonusspannungen" in den einzelnenTropen: 10 0:0, 100 2:2, 190 0:0, 280 2:2, 370 1:1, 20 1:1, 110 2:2, 200 2:2, 29? 1: 1, 380 3:3, 301:1, 1201:1, 2101:1, 3002:2, 3902:2, 40 1:1, 13 2:2, 220 2:2, 310 2:2, 400 2:2, 50 1:1, 140 1:1, 230 2:2, 320 1:1, 410 0:0, 60 2:2, 150 1:1, 240 0:0, 330 2:2, 420 2:2, 70 2:2, 160 1:1, 250 1:1, 340 0:0, 430 1:1, 803:3, 1700:0, 2601:1, 3501:1, 443:3, 90 1:1, 180 1:1, 270 1:1, 360 1:1, Verteilung:3:3 (3x) 2:2 (15x) 1:1 (20x) 0:0 (6x) 178 Klaus Lagaly Alle Tropenmit Tritonusspannung die Umkehrung 0:0 sind ,,widergleich"; dieser Aussage kannaufgrundder Anzahlnichtgelten. Um eine beliebige Zwolftonmelodieeiner bestimmtenTrope zuordnenzu k6nnen, werden die sechs T6ne jeder der beiden Hilften ,,in die Vertikale undin enger Lageso notiert,daBdie TonemitHalbtonabzusammengeschoben standnebeneinander,die TSnemit gr6f3erem Abstanduntereinanderzu stehen kommen.Es ergibt sich dadurchein tibersichtlichesTropenbild,das in der Tropentafelaufgesuchtwerden kann. Hauerhat die ursprfinglicheNumerierung der Tropenspiter geindert, so daB fuirdie friiheren,mit Opuszahlen versehenenWerkeim allgemeinendie BezeichnungenderTropentafelvon 1925 (in der SchriftZwolftontechnikpubliziert)gelten, fUrdie Zw6lftonspieledie Numerierungder Tropentafelvon 1948zu verwendenist"". Den folgendenBetrachtungenliegt die Tropentafelvom 11. August 1948 zugrunde. Bereits die Bemerkung,daBT6ne mit griB3eremals Halbtonabstand(also beispielsweisegroB3eSekunden)nicht nebeneinander,sondernuntereinander notiert werden, weist auf eine spezielleNotationhin. ,,ZumAufschreibender atonalenMusik"ist nachMeinungHauerseine Notenschriftgeeignet, die fiir jeden temperiertenTon:c des d es e f fis g as a b h, ,,eineigenesZeichen(Punkt) hat". Eine solche,,atonaleNotenschrift"hat er laut Vermerk5selbst entwikkelt, und er bezeichnetsie als einfacherals die ,,tonale"und speziell fuirdie Zwolftonmusikals wesentlicheArbeitserleichterung.In der handschriftlichen Erlauterungheil3tes: ,,Die Zw6lftonschriftist die anschauliche,leicht erlernbare Notenschriftfuirdas Volk. Sie ist demBildder Klaviaturentnommen.Die Noten auf den Linien bedeutendie Tone der schwarzenTasten, die in den Mit diesemHinweisund der Zwischenraumen die Tine der weil3enTasten"55. eine der eindeutigeintuitivverstindlicheNotaFestlegung Schltisselentsteht tion. Als Beispiel einer ,,reinatonalen"Melodiegibt Hauer einen ,,Baustein"in alter und neuer Notation"an: ' Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 51. Durchdie Anderungder Numerierungwird am Wesen der der beidenNumerierungenhat Szmolyanin Tropennichts verandert.Eine Gegenuiberstellung einer Tabelle dargestellt. Acht der 44 Tropen haben ihre Nummer beibehalten (10, 20, 360, 370, 410, 440). 50, 90, " Vgl. Hauer, Vom Wesendes Musikalischen,Berlin-Lichterfelde1966, S. 41/42. Auf das Setzen der verschiedenen Vorzeichenzur Tonh6henbestimmungkann bei dieser Notation ganzlichverzichtet werden, da mittels der gewahlten Schreibweisejeder Ton des chromatischen Totals a priorieindeutigfestgelegt ist. ' Vgl. Hauers Anhang zum oben genanntenWerk, S. 48. Allerdingskommtman ohne Kenntnisder den KlaviertastenzugeordnetenTonhihen nicht aus. 6 Hauer, a.a.O., S. 42. Der hier in der Zwolftonschrift verwendeteSchlissel unterhalbdes ZellulAre Verbandsstrukturen 179 1 I.) Die Kompositionenop. 15 bis op. 19 lieI3Hauerin seiner 1919erfundenen ,,Zwolftonschrift"drucken und verwendete zur Lagebezeichnungebenfalls einen d-Schliissel:der Punktdes Schliisselsbezeichnetdas eingestrichened. Danach erschien keine seiner Kompositionenmehr in dieser ,,Zwclftonschrift".,,Er benitzte die Zwolftonschrift dannnur for das Konzipierenseiner den Werke, fiir sogenannten,melischenEntwurf',der es ihm gestattete, die aus der gewahlten Zwolftonreiheabgeleiteten Harmonien,Rhythmen und Stimmfiihrungen ibersichtlichdarzustellenund zu verfolgen"57. Notiert man die Tonejeder Hilfte der 44 Tropenvertikal(wie Hauerempfiehlt und es mit seiner speziellenNotenschrifteinfachdurchfiihrbarist), so entstehen verschiedeneSechstonakkordebzw. SechsklAngemit individuellen Strukturen.Hauernenntsie nachder entsprechendenTrope,aus der sie gebildet sind, ,,z.B. die Sechstonklingeder 5. Tropeusw.".,,DieUmkehrungen(wie bei den Dreiklingen:Sextakkord,Quartsextakkord) unddie Transpositionen in die zwolf Tonlagen"Andernnichts,,amWesen der Akkorde"'. Ein voreiligerRechnerbestimmtdie Gesamtzahlder verschiedenenSechsklinge mit 88 (2 in jeder der 44 Tropen),allerdingssind dabeidie Ausnahmen die sich bei den ,,widergleichen" (Wiederholungen), Tropenergeben, nicht beriicksichtigt. In 10entstehtderdemWesennachgleicheAkkorddurchTritonustransposition In 80 In 170 In 190 In 240 In 340 In 410 In 440 ... ... ... ... ... ... ... durch Transposition um eine kleine Terz durch Transposition um eine kleine Terz durch Tritonustransposition durch Tritonustransposition durch Tritonustransposition (oder um einen Ganzton) durch Tritonustransposition durch Transposition um einen Halbton zueinandersteDiejenigendieserTropen,derenHilften im Tritonusabstand hen (10, 170, 190, 240, 340, und 410), haben Tritonusspannung 0:0; die beiden Liniensystemsbezeichnetdie Lage von d', woraufder Herausgebernochmalsgesondert hinweist; dies ist aber unmittelbareinsichtig,wenn beide Notationenidentisch,d.h. gleichbedeutend sein sollen. S. 36. '57 Szmolyan,a.a.O., Vgl. Hauer, Die Tropenund ihre Spannungen zum Dreiklang, S. 258. KlausLagaly 180 anderen(8"und 440) sind zwei der insgesamt3 Tropenmit Tritonusspannung 3:3 (vgl. die Tabelleder Tritonusspannungen dereinzelnenTropen).Somitgibt es in der Zwblftonmusik 80 (vomWesen her) verschiedeneSechsklAnge. Wenn auch ,,die Transpositionender Skala in die zwilf Tonlagenftir das Bedeutung Melische,also fiir die Intervallverhiltnissekeineausschlaggebende so sind sie bei Notierungund Bestimmungder Tropenunerlai3lich. haben"59, Hauer beginntbei seiner Numerierungder Tropentafelnmit dem Ton es als Ausgangston(TafelI auf es) undendet mit seiner ZAhlungentsprechendbei d (TafelXII auf d). Diese Numerierung,auf die nichteigens hingewiesenwird, l•iBtsich etwa darausersehen, da3 eine auf fis basierendeTafel als Tafel IV gekennzeichnet?ist oderan andererStelle die Tafelaufa (siehedie beigeffigte Ubertragung)als TafelVII. Wird eine Zwolftonfolgeoder Zwolftonmelodie(z.B. die von Hauer selbst angegebene):f e d h c as I b a es cis fis g, d.h. Trope31, Tafel IV auf fis, zweimalnacheinandernotiert, so lAit sichjede ihrer,,Phasen"einer bestimmten Tropeundeinerder zwilf Tafelnzuordnen;die 6. Phaseist wiederidentisch mit der Ausgangstrope,d.h. mit der Grundgestalt,da sich (G)und (6)61lediglich durchdie Vertauschungder beidenHilften unterscheiden. Die sechs Tropeneiner Zwilftonreihesind laut Hauer,,melischgebunden". Die Bestimmungder Tropender Grundgestaltund der einzelnenPhasenmit der jeweils zugeharigenTafel liefert eine eindeutigeCharakterisierung jeder Zwalftonmelodie. beliebigen Tropenschema: (G): f e d h c as I b a es cis I II I g [ f e d h c as I I I [ I I I I I I I I III S fis II 1 "9 Hauer, VomMelos zur Pauke, S. 13;berticksichtigtmanzusatzlichzu den 12! verschiedenen Permutationeneiner Reihe noch die 12 Transpositionen,so ergeben sich 12 x 12! = 5749207200m6glicheAnordnungen. in J. Sengstschmid,Zwischen Tropeund Zwblftonspiel,S. 31, abgedruckte 6 Vgl. die Version. 61 Hierbei bezeichnet (G) die Grundgestaltund (6) die 6. Phase der zugrundeliegenden Reihe, die beziiglichder Tropewiedermit der Grundgestaltidentischist unddahernichtmehr explizit auftritt.(1)bedeutet die erste Phase der zugrundeliegendenZwolftonreihe,entsprechend (2) die zweite Phase usw. bis (5). ZellulareVerbandsstrukturen 181 (G): (31/IV)62 (1): (40/VIII) (2): (2/VI) (3): (5/X) (4): (15/VI) (5): (35/IX) kannes vorkommen,daBzwei undmehrPha,,Beigewissen Konstellationen sen in der gleichenTropestehen, aber:jede Zwolftonmelodie bewegt sich (mit ihren Phasen!)in hochstenssechs Tropen"'. HauerbevorzugtsolcheReihen, bei denenmehrerePhasender gleichenTropeangehorenkeineswegs;ganzim Gegenteilbezeichneter sie als wenig abwechslungsreich. Dennochhat er auchZwilftonmelodienbearbeitet,die eine solchespezielle Konstellationaufweisen: 2 Mit gelben Blumen haenget und voll mit wilden Rosen6' Tropenschema: (G): a h b cis 'I S d c III I II I I I I I dis e g fis gis ' a h b cis dc I III I I I ' I ' I I (G): (1/VII) (1): (5/I) (2): (17/II) (3): (1/X) (4): (17/X) (5): (3/VI) Die beiden widergleichenTropen1' und 170 kommenin dieser Anordnung jeweils zweimalvor. 62 Die arabischenZahlenin der Klammerbezeichnendie Nummerder Trope (1-44), wAhrend die romischenZahlendie jeweilige Tropentafel(I-XII) kennzeichnen. 6 Hauer, Zwblftontechnik.Die Lehre von den Tropen. TheoretischeSchriften II, Wien, 1926, S. 5. 6 Der originaleAnfangvon H61lderlins Hilfte des Lebenslautet: ,,Mitgelben Birnen ...". 182 KlausLagaly Als Demonstrationder eindeutigenCharakterisierung einer Zwalftonreihe durchdas Tropenschemamit Angabeder Tropentafelnseien zwei Allintervallreihen betrachtet, deren erste Halfte auch in der Reihenfolgeder einzelnen Tonetibereinstimmt; es handeltsichum eine symmetrischeundeine nichtsymmetrischeAllintervallreihe. Tropenschemader symmetrischenAllintervallreihe(AIR): I (G) 1I I Ii It I III II I t c d dis ais I I I I I I I r TI1 I f cis h g e a gis I 1I I t I I I SI I I I cis II c d dis ais f is It I I f I II I Die Symmetriebezuiglichdes Tritonuswird deutlich durchden Unterschiedvon 6 Halbtonschritten(Tafel VIII und Tafel II) im 1. und 2. Phasentripel. (G): (17/VIII) (1): (16/VIII) (2): (42/VIII) (3): (38/II) (4): (42/II) (5): (16/II) Tropenschema der nichtsymmetrischen AIR: (G): c d dis I II I ais h gis f cis I I I I ' I I [~ _ (G): (17/VIII) (1): (16/VIII) (2): (43/VI) (3): (33/XII) II I I I ' L c d dis e a g fis I I I _ _ ' ais cis II I f I I I __ Schondie Folge der Tafeln103thier erkennen,daJ3bei dieser ReihekeineIntervallspiegelung vorliegt.Phase 2 bis Phase 4 sindhinsichtlichder Tropenkonstellation verschiedenvon den entsprechendenPhasender sym- ZellulareVerbandsstrukturen 183 metrischenAIR, obwohlnur die Tone g und gis der zweiten Tropenhilfte der Grundgestaltvertauscht sind. (4): (32/II) (5): (16/II) IV. Schaffensperioden im kompositorischen WerkHauers Trotz der verschiedenartigstenSchwierigkeiten,die sich bei der ErforundgenetischenEntschungvon HauersSatztechnikin ihrerchronologischen wicklungergeben,lassen sich deutlichdrei vom Wesenher verschiedenePhasen seines kompositorischen Schaffensunterscheiden. 1. Periode: Diese erste Periodekannals Phase ,,freierAtonalitat"bezeichnetwerden;sie erstrecktsichbis op. 18:DergefesseltePrometheusundist orientiertanHauers selbst entwickelterKlangfarbenlehre. 3 Q . z 60 .1 . -oo 1: NTomo (2 Ouf A LA, ,o J7.o J._o Opus 1: Nomos (1912/13) . so 'o~~~~ Bei dieser Kompositionhandeltes sich um ein im Februar1913vollendetes, urspriinglichvon Hauer selbst instrumentiertes Orchesterwerkmit der das allerdingsin dieser Bezeichnung1. Symphonie(sieben Orchesterstiucke), Form erst am 8.3. 1987im Rahmeneiner Veranstaltungder GalerieSt. Barbara des ORF und des InnsbruckerBrenner-Archivzur Urauffiihrunggelangte. 184 KlausLagaly Im Werkverzeichnis findetmandie Angabe:,,Opus1:Nomosin siebenTeilen zu zwei und vier Handen(Harmonium),FerdinandEbner gewidKlavier fiur met".Die Uraufffihrung in dieserBesetzung,die am9. 5. 1914stattfand(ausgefiihrt von RudolfReti und Hauerselbst), war nochals ,,1. Symphonie(sieben angekiindigt. Orchesterstuicke)" Der Titel ist angelehntan Platonsv6oog, woruntersowohlGesetzals auch Weise (Melodie,Lied) verstandenwerden kann. Mit Hauers spiterem Verstindnis des ,,Nomosder atonalenMelodie"(demGesetzescharakter zukommt) in der nicht 1 auch deckt sich das von jedenfalls Ergebnis Opus keineswegs, Ton sich kein Tonreihe schwicherenVersion, ,,daa innerhalbeiner gewissen wiederholenund keinerausgelassenwerdendarf'. Es liegt somit,,freie"Atonalitathinsichtlichdes von Hauerin seinentheoresowiehinsichttischenSchriftenbesondershervorgehobenen Ganzheitsaspekts lich der Anordnungdes chromatischen vor. Ebensolassen Materialsuiberhaupt Musikauffassich zumindestdie FrUhwerkeHauersnichtals ,,geschichtsfreie" des zur Welt sen, da beispielsweisein Nomos op. 1 standig,,Bezlige geschmiihten Wagner"festzustellensind und allgemeinergesehen:,,trotzaller ,Kurzatmigkeit'von HauersMusik- auchauf kleinstemRaum- die groBeGeste der spitromantischenTraditionuberallprasentist"65. 0J . s2 (40). p Ir- r ., A -j .• A A A "AAl A A A A A ;k . 16.9. - 23. 10. 1913 Opus5:ApokalyptischePhantasiefiir Kammerorchester ' Vgl. G. Crepaz,J. M. Hauer NOMOSop. 1, Melos, 1988, S. 31. Zellulire Verbandsstrukturen 185 In Hauers Theorie der Klangfarbe wurde die Apokalyptische Phantasie als Demonstrationsobjekt zur Verifizierung seiner Thesen herangezogen. Ferdinand Ebner (1882 - 1931), der bei der Abfassung der Arbeit iiber die Klangfarben mitgewirkt hatte', ,,schrieb im Juni 1919 eine auf Hauers Klangfarbenlehre aufbauende ,Analyse der apokalyptischen Phantasie', die im ersten Band der Neuausgabe seiner gesammelten Schriften (1963) erstmalig abgedruckt wurde:,Tatsichlich ist die Apokalyptische Phantasie die vollkommene kiinstlerische Konkretion der abstrakten Theorie der Klangfarbenlehre des Komponisten. Man achte aber auf eines: sie wurde im Herbst 1913 komponiert, die grundlegenden Gedanken fir die Klangfarbenlehre entwickelten sich, langsam und zunichst verworren genug, erst in den Jahren 1915/16. Davon kann also gar nicht die Rede sein, daf3die Apokalyptische Phantasie auf Grundabstrakter Spekulationen, etwa nach farbigen Prinzipien, die am Ende mit der Musik gar nicht zu tun haben, mfihsam zusammenkonstruiert wurde'. Ebner war es iibrigens auch, der das - dem Komponisten zunAchstunbekannt gebliebene - Gesetz des formalen Aufbaus dieses fuirHauer so bedeutsamen Werkes entdeckte"". Ein Gesetz der,,atonalen Melodie"weist dieses Werk aber ebensowenig auf wie Nomos op. 1, nicht einmal wenn man sich die ,,gewisse Tonreihe" nur aus den vier T6nen c-es-g-h bestehend denkt, wie sie harmonischgesehen in Form des groBen Septakkordes in Hauers Spatwerk (in den Zw6lftonspielen) zentrale Bedeutung erlangen. Als Kompositionsprinziplassen sich hier neben den klangfarbenspezifischen eher gewisse symmetrische Anordnungen von Intervallen und Akkorden feststellen. 2. Periode: Beginnend mit Opus 19 und seither erstmals bewui3t und konsequent auf das von ihm entdeckte ,,Zw6lftongesetz", die ,,panchromatischeRegel" Bezug nehmend, bildet fir Hauer die Lehre von den Tropen die theoretische Grundlage der folgenden Kompositionen. Mag man einerseits von einer noch unentwickelten, primitiven Kompositionstechnik sprechen, so handelt es sich bei der dritten mit ,,Nomos" bezeichneten Komposition Hauers doch im wahrsten und strengsten Sinne um das von ihm als Idealfall propagierte Zw6lftongesetz: ,,Zu Beginn bringt Hauer fiinfmal dieselbe Zwilftonreihe unisono in Oktavparallelen, wobei die Lagen der Tone stindig gewechselt werden. Die linearen zwilftinigen Figuren werden schlief3- 66Der von Ebner stammendeText ist in der Schriftbesondersgekennzeichnet;im ubrigen war Ebner Hauer mehrfachbehilflich,insbesonderebeim Abfassen theoretischerSchriften. 67Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 20. 186 KlausLagaly ............................................ .. ............................ •........................... . .. . . ...... .. ....... 42 8.. p VP ?q 1 FU .1 .. .............. .................. .................. ............. • I ' --I- --- ,,4 Opus 19: Nomos fiir Klavier (Harmonium)(25.8. - 29.8. 1919) lich durch Begleitakkorde und -tone gestiitzt, die den linearen Zwolftonkomplexen entnommen sind"'. Dieses in der Zwolftonschrift gedruckte Werk weist folgende Zwolftonmelodie auf: b es f cis g e a c fis d h as ' Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 36. 187 ZellulareVerbandsstrukturen 6 10. Doch, wie Rosea, verginglich war das fronune Leben tr , , jr r , Id* r "r"r r ke . .. . ,T - ' . . U in: F war das frommeLeben",aus Opus25 Nr. 10:,,Dochwie Rosen, vergainglich nachFriedrichHilderlin (22.8. 60 kleineStitckefitr Klaviermit Uberschriften - 11. 10. 1923) Der Anfang dieses Beispiels eignet sich besondersgut fir eine ,,tropale" Analyse, weil die verwendeteZwolftonmelodiedurcheinen wirklichenTaktstrich in zwei Gruppenzu je sechs Tonengeteilt ist69. mit ihren5 Phasenhat folgendeGeDie zugrundeliegendeZwolftonmelodie stalt: (G):c h b ges a f d cis g dis gis e c h b ges a f 69 Genausogeht Hauer in der Lehre von den Tropen vor, indem er die zw61lfT6ne der gleichschwebendenTemperaturin zwei gleichgrole Hilften zu je sechs T6nen teilt. Andere Sttickedieses Opusenthaltenalle zw61lfT6ne in einem Takt (vgl. Nr. 6) oder weisen durchdie Taktteilungdas Verhiltnis 7:5 auf (vgl. etwa Nr. 16). 188 Klaus Lagaly (G): (6/XI) (1): (25/X) (2): (34/III) (3): (21/XI) (4): (39/XI) (5): (10/XI) Aus der Grundgestalt und den 5 Phasen lassen sich verschiedene Grade ,,melischer" Verwandtschaft der darin auftretenden Tropen erkennen. So hat die erste Hailfte der Phase 1 zugeordneten Trope ftinf T6ne mit der ersten Halfte der Grundgestalt gemeinsam; dieser Verwandtschaftsgrad nimmt ab bis zu einem gemeinsamen Ton in der ersten Hilfte (und dementsprechend auch in der zweiten Halfte) der Grundgestalt und der 5. Phase. Auf diese Weise lassen sich melische Bindungen von beliebigem Verwandtschaftsgrad konstruieren, ohne daBman die Tropentafel zu Rate zieht. Analog ergeben sich auch verschiedene Verwandtschaftsgrade innerhalb der einzelnen Phasen (nicht mehr notwendig ausgerichtet auf die Grundgestalt). Das vorliegende Beispiel la13tsich auf mehrere Arten deuten: 1. Durch Verbindung melisch verwandter Tropen, wie sie sich aus obigem Tropenschema ersehen lassen. 2. Im Obergang vom ersten zum zweiten Taktpaar (und damit im Wechsel von der ersten zur zweiten Trope) ergibt sich folgendes Schema: (G):h b a f gis e I des c fis I ' I d g es Hh b a f gis e j j I (G): (6/X) (2): (34/II) (3): (21/X) (4): (39/X) (5): (10/X) - also einfach eine Transposition um einen Halbton tiefer. 3. Durch horizontale Oberlagerung von Fiinf-, Vier- und Dreitongruppen, wie sie von Sengstschmid70beschrieben wird. 70 Vgl. J. Sengstschmid,Zwischen Tropeund Zw6lftonspiel,J. M. Hauers Zwalftontechnik in ausgewdhltenBeispielen, Regensburg1980, S. 46f. ZellulireVerbandsstrukturen 189 4. In traditioneller Dur- Moll- tonaler Betrachtung ergeben die Auflosungen auf den Schluf3zeiten der einzelnen Takte folgende Klangsequenz: F cis E c B fis A f Ges d C gis H g D b es G e As Des; dadurch wird zwar das chromatische Total ausgesch6pft, aber nicht mehr im Sinne eines Nomos. 3. Periode: Nach der Zw61lftonmusikfilr Orchester op. 89, die 1939 entstand, hat Hauer keines seiner Werke mehr mit einer Opuszahlversehen. Von diesem Zeitpunkt an ,,liJ3tsich eine dritte und letzte Phase seines Schaffens konstatieren, die im sogenannten ,Zw61lftonspiel'gipfelt. Fuir diese dritte Periode ist eine strenge und totale Organisierung und Determinierung aller Komponenten der Musik charakteristisch. Diese Determinierung kiindigt sich bereits in den frtiheren Werken Hauers an; sie ist auch das Kennzeichen mancher sogenannter serieller Techniken der Gegenwartsmusik"''7. Die insgesamt annihernd 1000 ,,Zw6lftonspiele", die Hauer bis zu seinem Tode schuf72, lassen sich rein schematisch einteilen in solche mit und ohne Entstehungsdatum. Eines der letzten datierten stammt vom September 1958. In seinen Untersuchungen spezieller Zwalftonspiele gelingt Sengstschmid73 anhand eines exakt formulierten Regelsystems eine ,,auf die Note genaue" Rekonstruktion des datierten Zw6lftonspiels vom 11. 6. 1955. Sein Aufsatz Anatomie eines Zwolftonspiels74(,,Anatomie"kann hier verstanden werden als mikroskopische Anatomie, d.h. Lehre von feinem Gewebs- und Zellaufbau ,,lebender" Klinge) befal3t sich mit Hauers Zw6lftonspiel vom 30. Januar 1957; unter Anwendung von 11 Spielregeln werden die verschiedenen kompositorischen M6glichkeiten dargestellt, was sich, eingeschrankt auf die Tonh6henAus einer struktur, zusammenfassend so charakterisieren lAB3t: Zw6lftonreihe, deren Potential mit Hilfe der Tropenuntersuchung bestimmt und erkannt werden kann, ,,mit dem Ambitus einer grof3en Septim wird eine vierstimmige Klangreihe abgeleitet, die sich nach der dazugehcrigen Dreitongruppen-Kombination orientiert. Der formale Ablauf des Zw6lftonspiels ergibt sich, indem man diese Klangreihe in zweifacher Weise modifiziert: zum einen erzielt man durch Oktavversetzung der Dreitongruppen drei ,Umkehrungen' der Klangreihe (so wie die ,Umkehrung' eines Septakkords zum Quintsextakkord, zum Terzquartakkord sowie zum Sekundakkord fUhrt);andererseits lAf3tsich jede ist demnachdie Musikaus der Mitte 71 Vgl. Szmolyan,a.a.O., S. 9; mit Gegenwartsmusik der sechzigerJahre gemeint. 7 Neben den Zw6lftonspielenhat Hauer in dieser Phase nur wenig andersartigeMusik geschrieben. 7 Vgl. J. Sengstschmid,KreativesSpielen mit T6nen, Regensburgo.J. J. Sengstschmid, Anatomie eines Zw6lftonspiels. Ein Blick in die WerkstattJosef 74 Matthias Hauers, ZfMth1971, S. 14-34. 190 Klaus Lagaly dieser vier Erscheinungsformen der Klangreihenochrtickliufigim Sinne des Akkordkrebsesverwenden.Somiterhaltenwir insgesamt8 zusammengehorige aneinanKlangreihen,und sie werden nachdem Prinzipder ,Terrassenform' hinterdreimal in dieser Die 8 treten Komposition Klangreihen dergefiigt""75. einanderauf. Hauersieht die gewahlteZwolftonreiheals in sich geschlossene Ganzheitan: 9 a es f as d b des c h ges e mit ihrenPhasenunterscheidetsich Der Tropenplandieser Zwolftonmelodie nur in der Anordnung,je nachdem,ob man die Reihe im oder gegen den Uhrzeigersinnliest: (G):g a f b des I I I (18/) iii(G): I I ges e h c d as es ' I (13/XI II I I g a (3): t f b des I lI ll I)I I I (1):(26/V) (2): (23/V) IG (4): (9/IX) (5):(42/IX) Die Anordnung der Tropen im Gegenuhrzeigersinn: 5 Vgl. J. Sengstschmid,Zwischen Tropeund Zw(lftonspiel, S. 130. ges ZellulareVerbandsstrukturen as d c h I e ges des b f a (G):g.es I'I I II I I i1i I tI III I 191 II g es as d c h I I I II ' ' II I I I1 (G):(26/V) (3):(9/IX) (1): (18/III) (4): (13/XII) (2): (42/IX) (5):(23/V) Dieser Zw6lftonreiheentsprichtnachAnwendungder Regeln die ebenfalls in sich geschlosseneHarmonisierung(Klangreihe)(Beispiel7): 7 4• 4-- -IV- Der groBeSeptakkordas-c-es-g erhilt eine Sonderstellungin der KomposisowieObergangselementzwischenvertion;er ist Anfangs-undSchluBakkord schiedenenAbschnitten.Es fallt auf, daf3die T6nedieses Septakkordesin der gegen den UhrzeigersinngelesenenZwolftonreihenahe beieinanderliegen. Trotz der strengen Regeln und der damit verbundenenDeterminiertheit liegt bei den fertigen Zwolftonspielenkeine wirklicheAtonalitAtim Sinne Hauersvor, geschweigedenn ein Nomosder atonalenMelodie. So gesehenerscheintauchdie dritte Schaffensperiode Hauersebensowie die erste wieder als eine Phase ,,freier"Atonalitat. (Fortsetzung und Schlufl im ndchsten Heft)