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Kilians Plattenecke März 2014 (Kommentare: 1) Wenn man Gitarristen wie Duke Robillard, Junior Watson, Alex Schultz oder Rusty Zinn fragt, wer sie zu den jazzigen Licks inspiriert hat, die sie immer wieder in ihre Griffbrettkunst einfließen lassen, dann fallen neben den „üblichen Verdächtigen“ wie T-Bone Walker, Lonnie Johnson oder Kenny Burrell häufig auch die Namen Billy Butler (u. a. Gitarrist von Bill Doggett), Tiny Grimes und Bill Jennings. Nachdem das spanische Fresh-Sound-Label auf seinem Unterlabel Blue Moon schon vor vielen Jahren die kompletten frühen Aufnahmen von Tiny Grimes herausgebracht hat (und schleunigst nachpressen sollte), ist nun eine Doppel-CD von Bill Jennings mit dem Titel „Architect Of Soul Jazz: The Complete Early Recordings 1951–1957“ erschienen. Zusammengestellt haben die Compilation der Bassist und R&B-Sammler/-Experte Dani Gugolz sowie Rusty Zinn, der auch die Liner Notes beigesteuert hat. Die 12-seitige Sideman-Diskografie, die das schön gestaltete 24-seitige Booklet abrundet, stammt wahrscheinlich von Dani. Enthalten sind hier alle Titel, die Jennings im besagten Zeitraum für Gotham und King Records unter eigenem Namen eingespielt hat, darunter Kollaborationen mit dem Baritonsaxofonisten Leo Parker, der Sängerin Nita Lore, dem Vibrafonisten Albert Jennings (Bills Bruder), dem Saxofonisten Willis Jackson und dem Organisten Bill Doggett (der jedoch nur als Begleitmusiker fungiert). Für Bluesfans essenziell sind Bills heiße erste Aufnahmen für Gotham 1951 sowie die King-Sessions mit Doggett und Jackson und die acht Aufnahmen vom 24.7.55. Unter diesen King-Aufnahmen befinden sich sogar vier bislang unveröffentlichte Titel! Jazzig wird es auf der LP-Session mit Leo Parker, obwohl auch hier ein paar lupenreine R&B-Honker dabei sind – nur die LP mit seinem Bruder ist selbst für mich als Jazzfan schwer verdaulich: 12 Balladen bzw. getragene Standards nur mit Gitarre und Vibrafon (ohne Rhythmusgruppe). Reine Bluesfans wären sicher mit einem bluesigen Querschnitt als Einzel-CD besser dran, aber Fresh Sound ist ein Sammler-Label, also heißt es hier: alles oder nichts. Gitarrenfans sollten das Überspringen einiger Titel in Kauf nehmen, denn der Großteil des Materials ist ebenso rar wie hervorragend. Robert Wilkins, 1896 in der Nähe von Hernando, Mississippi geboren, war ab 1915 Teil der regen Bluesszene von Memphis und machte von 1928 bis 1935 für Victor, Brunswick und Vocalion 18 Aufnahmen, darunter das treibende, wahrscheinlich nur wegen seiner Thematik erst im LP-Zeitalter veröffentlichte „Old Jim Canan’s“, der zweiteilige Blues „Rollin’ Stone“ und „That’s No Way To Get Along“. Wilkins wurde 1964 wiederentdeckt (ganz einfach, indem die beiden Personen dieses Namens im Telefonbuch von Memphis gefragt wurden, ob sie früher mal Bluesaufnahmen gemacht hätten), aber er spielte nur noch religiöse Musik. Für seine erste (und einzige) LP baute Wilkins den letztgenannten Song mit seinem markanten melodischen Refrain zum epischen, fast 10 Minuten langen „The Prodigal Son“ um und erzählte darin die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn. Die Rolling Stones coverten den Song für ihr „Beggars Banquet“-Album, das bereits Ende Mai 1968 im Kasten war, aber erst Monate später erschien, weil ihre Plattenfirma es ablehnte, die LP mit dem von den Stones fertig abgelieferten Cover zu veröffentlichen, das ein runtergekommenes Klo mit Graffiti an der Wand zeigte. Man einigte sich dann auf ein simples weißes Cover mit dem Albumnamen und der „Um Anmeldung wird gebeten“-Abkürzung im Stil einer Einladungskarte. Auf dem Original-Cover war Wilkins als Komponist von „Prodigal Son“ angegeben, aber im Zuge der neuen Covergestaltung wurde „Jagger/Richards“ daraus. Allerdings wurde – anders als bei vielen anderen Plagiatsfällen – die falsche Angabe schnell entdeckt und die Stones zahlten ohne Murren die fälligen Tantiemen, die Wilkins gut gebrauchen konnte (und die noch heute seinen Erben zufließen). Bear Family hat nun auf „Reverend Robert Wilkins – Prodigal Son“ die kompletten Studioaufnahmen wiederveröffentlicht, die Dick Spottswood (der auch für die CD-Reissue die Liner Notes verfasst hat) am 13. und 16. Feb. 1964 mit ihm gemacht hat. Das ist „Guitar Evangelist“-Musik vom Feinsten mit exquisitem Fingerpicking und emotionalem Gesang. Ganz so rar, wie Bear Family uns weismachen will, sind die Aufnahmen nicht; die 8 Titel der original Piedmont-LP wurden auf Origin wiederveröffentlicht und waren in der LP-Ära lange verfügbar. Vier weitere Titel der Session erschienen später auf Biograph, wurden auf Private LP PR4 gebootet und sind (waren?) auch auf CD verfügbar; hier wurde „Holy Ghost Train“ in den textlich zutreffend(er)en Titel „It Just Suits Me“ umbenannt. Bislang unveröffentlicht ist das abschließende „biographical statement“, in dem Robert Timothy Wilkins knapp 5 Minuten über sein Leben erzählt. Eine willkommene Ergänzung. Die CD ist also musikalisch höchst empfehlenswert und wird jeden Fan des akustischen Blues begeistern. Aber es gibt einen Wermutstropfen: Ich bin nicht von ungefähr so ausführlich auf die Stones-Coverversion des Wilkins-Titels und die Geschichte der LP-Hülle eingegangen, denn irgend jemand hat sich gedacht, dass man die Verkaufszahlen durch den Stones-Bezug sicher beträchtlich erhöhen kann, und damit das auch wirklich jeder mitkriegt, wurde für diese CD das Klo-Cover kopiert und mit anderer Graffiti, dem CD-Titel und einem kleinen Foto von Wilkins versehen. Das ist weit hergeholt, wird der wunderbaren Musik von Robert Wilkins in keiner Weise gerecht und passt auch überhaupt nicht zur ansonsten immer geschmackvollen Gestaltung der Bear-Family-Produkte. 02.03.2014 | Klaus Kilian Einen Kommentar schreiben Kommentar von CrazyMama | 24.03.2014 eine gelungene Rezension, die ich voll und ganz teilen kann - allerdings wäre ich ohne das Cover vielleicht nicht auf den Gedanken gekommen, mir diese Scheibe anzuhören...und das wäre sicherlich ein Verlust gewesen - nicht nur wegen des Originals von "Prodigal Son"... CrazyMama Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)