Einleitung
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Einleitung
思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Einleitung Die Jagd und intensive Land- und Viehwirtschaft boten den Menschen seit jeher die Gelegenheit zu täglichem Umgang mit Tieren und zu deren genauen Beobachtung. Fabeltiere – Drache und Phönix, sind zwar keine realen Lebewesen, jedoch sind sie schon seit Jahrtausenden Teil des Volkslebens und der Kultur. Sie sind aus Legenden, Märchen, Mythen, Sagen und Metaphern bekannt. Sprachbenutzer übertragen unterbewusst ihre Emotionen und Denkweise auf Tiere. Beim Vergleich von Tiermetaphern lassen sich kulturelle Unterschiede und Denkweise der Sprachbenutzer feststellen. Durch den Vergleich von Tiermetaphern lassen sich kulturelle Unterschiede feststellen. Sprache und Denkweise wirken aufeinander ein. Dabei ist der Einfluss verschiedener Denktraditionen, Mentalitäten, Gewohnheiten und Wertschätzungen relevant. Wenn z.B. ein Deutscher zu einer Chinesin sagt „Du bist ein Hausdrache“ und die Chinesin nicht weiß, was Hausdrache bedeutet und auch nicht weiß, dass der Drache für die Deutschen eigentlich ein böses Tier ist, wird sie sich geschmeichelt fühlen. Die chinesische Drachen-Metapher beinhaltet nämlich positive, sogar göttliche semantische Merkmale. Der Deutsche denkt also in seiner Sprache und benutzt eine deutsche Redewendung „Hausdrache“, die negativ gemeint ist, und die Chinesin denkt in ihrer Sprache und in ihrer Kultur, in der der Drache ein göttliches Symbol ist und gelangt aufgrund dessen zu einer ganz anderen Interpretation. Im Folgenden werden die Denktraditionen und Kulturen der Chinesen und Deutschen mit Hilfe von Drachen- und Phönix-Metaphern analysiert. Eine Fabeltier-Metapher (FM) ist hier ein Ausdruck mit einem bis mehreren Fabeltiernamen, z.B. Hausdrache und long2fei1feng4wu3 龍 飛 鳳 舞 (wie Drachenflug und Phönixtanz – schwungvolle und kunstvolle Pinselführung in der Kalligraphie). Es wurden Ausdrücke sowohl der Schrift- als auch der Umgangssprache untersucht. Mit Deutsch ist Hochdeutsch gemeint. Chinesisch bezieht sich hier auf das Mandarin. Die chinesischen Schriftzeichen sind die in Taiwan verwendeten traditionellen Schriftzeichen. Der Transkription der chinesischen Zeichen liegt pinyin zugrunde, die hochgestellte Zahl (1-4) hinter der Silbe gibt den Ton 1-4 an. Die Methoden des Sammelns und Übersetzens der chinesischen Metaphern wurden von Hsieh (2001) beschrieben. Die Bedeutungen der deutschen Metaphern werden als bekannt vorausgesetzt. Die umgangssprachlich verwendeten Tiermetaphern wurden aus Medien, wie Radio und Fernsehen, entnommen und im Verlauf von Alltagsgesprächen gesammelt. Für die 109 淡江人文社會學刊【第二十九期】 im Schriftbereich üblichen Tiermetaphern wurden hauptsächlich folgende Bücher verwendet. Chinesisch: Zhongguo chengyu da cidian (Shiyi shuju 1980), Zhongguo suyu xuanshi (Cao 1985), Guoyu ribao cidian (He 1994). Deutsch: Deutsches Wörterbuch (Grimm & Grimm 1854-1960), Duden (Band 11). Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (Drosdowski & Scholze-Stubenrecht 1992) und Deutsche Redensarten und was dahintersteckt (Krüger-Lorenzen 1996). Ausgewählte FMn werden entsprechend der ihnen zugrunde liegenden Konzepte gruppiert. Dabei wird zwangsläufig ein Teil der FMn mehreren Konzepten gleichzeitig zugewiesen und dadurch mehrfach genannt. Grundsätzlich ist ein Konzept nur dann definiert, wenn ihm mindestens drei FMn zugeordnet sind. Lakoff & Johnson stellten 1980 die Theorie der konzeptuellen Metapher (kM) auf. Dieser Ansatz beinhaltet die These, dass Metaphern durchgängig im Alltagsleben gebraucht werden, d.h. nicht nur in der Sprache, sondern auch in Gedanken und Handlungen. Die kM spiegelt sich in einer Gruppe von Tiermetaphern systematisch wider. Diese kMn beeinflussen sich gegenseitig, gehen ineinander über und drücken unsere Gedanken und Wertvorstellungen aus. Lakoff (1987) stellten auch heraus, dass sich Metaphern von einer prototypischen Bedeutung in einer radialen Form zu Metaphern mit verschiedenen Bedeutungen entwickeln. D. h. die weiteren Bedeutungen haben jeweils ihre semantischen Merkmale, hängen aber miteinander nicht unbedingt zusammen. Sie sind Erweiterungen der prototypische Bedeutung, deshalb haben sie einen gemeinsamen Sinngehalt – die prototypische Bedeutung. Die vorliegen Arbeit wird zeigen, dass das gleiche auch für FMn gilt. Fabelwesen in den Sprachen Hier werden Drache und long unterschieden und nicht a priori gleichgesetzt, desgleichen Phönix und fenghuang. Im Sinne eines besseren Verständnisses und der einheitlichen Wortwahl gelten ansonsten die Übersetzungen Drache = long und Phönix = fenghuang. Die Radialstruktur wird nach den vielfältigen metaphorischen Bedeutungen des Fabeltiernamens bzw. Metapherspenders konzipiert. Danach werden einige FMn vertieft diskutiert sowie die Radialstruktur vorgestellt. 110 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Long und Drache Der chinesische long 龍 hat wenig mit dem deutschen bzw. europäischen Drachen gemeinsam, außer dass beide mythologischen Ursprungs sind. Dennoch sind die Übersetzungen von long als Drachen und umgekehrt seit langem geläufig. Chinesisch Die ältesten archäologischen Darstellungen sind Malereien von Schlangen oder Salamandern mit Menschenköpfen auf neolithischen Tongefässen mit einem Alter von 7000 Jahren (Li 1989, S. 32, Li & Wen 1984, S. 160). Auf die weibliche Göttin Nügua werden die Erhaltung der Erde, die Erschaffung des Menschen aus Lehm und die Einführung der Ehe zurückgeführt, auf den männlichen Gott Fuxi, der meistens zusammen mit Nügua genannt wird, Jagd und Fischfang sowie die Acht Trigramme als kosmisches Ordnungsprinzip (Li 1989, S. 27). Beide Gestalten können die Urkultur Chinas verkörpern und wurden als Menschen dargestellt, deren Unterleib aus einem Schlangenkörper besteht oder als Schlangen mit Menschenkopf (Li 1989, S. 28). Long ist als chinesisches Wappentier Sinnbild der Fruchtbarkeit und Naturkraft. Jiao1long2 ist nach der Legende ein Drache, der Überschwemmungen verursachen kann. Chinesen nennen sich long2zhong3 龍種 (Drachenrasse – Chinesen) und long2de’chuan2ren2 龍的傳人 (Nachwuchs des Drachen – Chinesen). Nach einer Theorie ist die Gestalt des Drachens durch die Vereinigung der Stammestotems verschiedener Volksstämme zu einem chinesischen Volk entstanden, wobei das Totem der Schlange die Grundlage bildete (Qian 1993). Es gibt Drachen noch in vielen anderen Gestalten (Qiao 1990, S. 149, Eberhard 1983, S. 62, Qian 1993, S. 28 ff., Huang 1994, S. 254, 258, Cao 1995, S. 55, Xiang 1998, S. 13). Fast alle Metaphern, die mit long zusammenhängen, haben eine positive Bedeutung, wie folgende Beispiele (1) – (4) zeigen. Sie stehen für den besten Menschen und sind dem Menschen sogar überlegen, wie z.B. ren2zhong1zhi1long2 人中之龍 (der Drache unter den Menschen). Der chinesische Drache symbolisiert Macht und Glück im Volksmund. „Das Fabelwesen drückt vor allem ‚abstrakte’ Werte wie Erhabenheit, Vitalität und Ästhetik aus“ (Chang 2003). Bei keinem realen Tier findet sich eine so hohe Wertschätzung. Mit diesen Metaphern werden also menschliche Erwartung und Idealbild ausgedrückt. (1) Der Drache steht für Heiligkeit 111 淡江人文社會學刊【第二十九期】 hai3long2wang2 海 龍 王 (Drachenkönig; Regengott der chinesischen Mythologie); shen2long2jian4shou3bu2jian4wei3 神龍見首不見尾 (sieht man den Kopf des göttlichen Drachen, sieht man seinen Schwanz nicht – mysteriöse Person); long2zhong3 龍 種 (Drachenrasse – Chinesen); long2teng2hu3yue4 龍騰虎躍 (Drachen steigen, Tiger springen – eine Szenerie emsiger Aktivität; lebhaft); cang2long2wo4hu3 藏龍臥虎 (wo sich Drachen und Tiger verbergen; es gibt viele noch nicht entdeckte Talente); long2mai4 龍 脈 (Drachen-Blutadern – Königliche Abstammung; Drachenadern {Feng Shui-Fachbegriff}) (2) Der Drache steht für Stärke meng3hu3gui1shan1 jiao1long2ru4hai3 猛 虎 歸 山 蛟 龍 入 海 (der starke Tiger kehrt ins Gebirge zurück, der starke Drache taucht ins Meer ein – Geniale Menschen sind in ihrem Element); yu2long2hun4za2 魚龍混雜 (Fische und Drachen vermischen sich miteinander – Gutes und Schlechtes ist miteinander vermischt); yun2cong2long2 feng1cong2hu3 雲從龍 風 從虎 (die Wolken folgen den Drachen, der Wind folgt den Tigern – stark); si4xiao3long2 四 小龍 (vier- klein-Drachen – die „vier Drachen“ Asiens; Vier Tiger: Hongkong, Singapur, Taiwan, Südkorea); long2zheng1hu3dou4 龍爭虎鬥 (Kampf zwischen Drache und Tiger – heftiger Kampf zwischen zwei gleich starken Gegnern); long2teng2hu3yue4 龍 騰 虎 躍 (Drachen steigen, Tiger springen – eine Szenerie emsiger Aktivität; lebhaft); cang2long2wo4hu3 藏龍臥虎 (wo sich Drachen und Tiger verbergen; es gibt viele noch nicht entdeckte Talente) (3) Der Drache steht für die besten Menschen yi4tiao2long2 一條龍 (ein Drache – ein ausgezeichneter Mensch); ren2zhong1zhi1long2 人 中之龍 (der Drache unter den Menschen – der beste Mensch); huo2long2huo2xian4 活龍 活現 (lebende Drachen, lebende Erscheinungen – etw. sehr anschaulich, bildhaft, lebendig darstellen; wirklichkeitsgetreu); cheng2long2kuai4xu4 乘 龍 快 婿 (besteigen-Drache- Glück-Schwiegersohn – ausgezeichneter Schwiegersohn); qun2long2wu2shou3 群龍無首 (eine Drachenherde ohne Drachenkönig – eine Gruppe ohne Leiter; führerlos); du2yan3long2 獨 眼 龍 (einäugiger Drachen – Einäugiger; auf einem Auge blind); 112 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 bian4se4long2 變 色 龍 (farbenwechselnder Drachen – Chamäleon – jemand, der sich ständig wandelt); long2zi3 龍 子 (Drachensohn – Kaiser; ein ausgezeichneter Sohn); long2nü3 龍 女 (Drachentochter – eine ausgezeichnete Tochter); long2zhong3 龍 種 (Drachenrasse – Chinesen); sheng1long2huo2hu3 生龍活虎 (Lebendige Drachen und Tiger; ungestüm wie ein Drache, wild wie ein Tiger; voller Lebenskraft; sehr lebhaft; überschäumend vor Energie; frisch und munter); long2zheng1hu3dou4 龍爭虎鬥 (Kampf zwischen Drache und Tiger – heftiger Kampf zwischen zwei gleich starken Gegnern); long2pan2hu3ju4 龍 蟠 虎 踞 (eingerollter Drache und kauernder Tiger – an einem strategisch wichtigen Ort gelegen; strategische Schlüsselstellung); cang2long2wo4hu3 藏龍 臥虎 (wo sich Drachen und Tiger verbergen; es gibt viele noch nicht entdeckte Talente); qiang2long2nan2ya1di4 tou2she2 強龍難壓地頭蛇 (Ein starker Drache unterdrückt keine Schlange in ihrem gewohnten Versteck – Auch wenn der neu gekommene stark ist, misst er sich nicht mit den örtlichen Despoten); long2she2hun4za2 龍 蛇 混 雜 (Drachen und Schlangen vermischen sich miteinander – Gutes und Schlechtes ist miteinander vermischt); long2sheng1long2 feng4sheng1feng4 lao3shu3sheng1de’er2zi’hui4da3dong4 龍生龍 鳳生鳳 老鼠生的兒子會打洞 (Von Drachen kommen Drachen, von Phönixen kommen Phönixe; die Söhne von Mäusen können Löcher graben – die Kinder sind wie ihre Eltern; Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm); long2feng4pei4 龍鳳配 (Drache und Phönix bilden ein Paar – ein passendes Paar); pan1long2fu4feng4 攀龍附鳳 (Beziehungen zum Drachen suchen und sich an den Phönix anhängen – gute Beziehungen zu einflussreichen Personen anstreben; gestützt auf einflussreiche Personen aufzusteigen suchen); shang4ke4xiang4tiao2chong2 xia4ke4xiang4tiao2long2 上課像條蟲 下課像條龍 (im Unterricht wie ein Wurm, nach dem Unterricht wie ein Drache - Vorher feige, später tapfer; im Moment schwach, später stark) (4) Der Drache steht für (starke) Männer yi4tiao2long2 一條龍 (ein Drache – ein ausgezeichneter Mensch); ren2zhong1zhi1long2 人中 之龍 (der Drache unter den Menschen – der beste Mensch); cheng2long2kuai4xu4 乘龍快婿 (besteigen-Drache-Glück-Schwiegersohn – ausgezeichneter Schwiegersohn); qun2long2 113 淡江人文社會學刊【第二十九期】 wu2shou3 群龍無首 (eine Drachenherde ohne Drachenkönig – eine Gruppe ohne Leiter; führerlos); du2yan3long2 獨眼龍 (einäugiger Drachen – Einäugiger; auf einem Auge blind); bian4se4long2 變色龍 (farbenwechselnder Drachen – Chamäleon – jemand, der sich ständig wandelt); long2zi3 龍子 (Drachensohn – Kaiser; ein ausgezeichneter Sohn); long2sheng1 long2 feng4sheng1feng4 lao3shu3sheng1de’er2zi hui4da3dong4 龍生龍 鳳生鳳 老鼠生的兒子 會打洞 (Von Drachen kommen Drachen, von Phönixen kommen Phönixe; die Söhne von Mäusen können Löcher graben – die Kinder sind wie ihre Eltern; Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm); long2feng4pei4 龍鳳配 (Drache und Phönix bilden ein Paar – ein passendes Paar); pan1long2fu4feng4 攀龍附鳳 (Beziehungen zum Drachen suchen und sich an den Phönix anhängen – gute Beziehungen zu einflussreichen Personen anstreben; gestützt auf einflussreiche Personen aufzusteigen suchen) Eine andere Gruppe bezieht sich nur morphologisch auf die äußerliche Ähnlichkeit zwischen einem Tier oder einer Sache mit einem Drachen, wie bei pai2chang2long2 排長龍 für „Schlange stehen“. Viele chinesische Namen für Reptilien enthalten das Element long: bian4se4long2 變 色 龍 (farbenwechselnder Drachen – Chamäleon), kong3long2 恐 龍 (Schreck-Drachen – Dinosaurier) etc. Bemerkenswert ist die Bedeutung von bian4se4long2 變 色龍 (farbenwechselnder Drachen – Chamäleon) für jemanden, der sich ständig wandelt. Die Wandlung ist nicht unbeding positiv, ein Gangster, zum Beispiel, wandelt sich ständig und kann gut bian4se4long2 genannt werden. Jedoch, derjenige, der als bian4se4long2 genannt wird, freut sich, dass er ein long (Drache) sein soll. Diese Metapher ist deshalb pragmatisch positiv, obwohl sie semantisch negativ sein kann. Bei der Benennung mancher Nahrungsmittel unter einer Bezeichnung mit long wird nicht nur auf die äußere Ähnlichkeit hingewiesen, sondern es soll auch ein positiver Bezug vermittelt werden. Z.B. long2yan3 龍 眼 (Drachenaugen – das Obst Longan) und huo3long2guo3 火龍果 (Feuerdrachen-Früchte – essbare Früchte einer Kaktusart). Interessanterweise werden die „vier kleinen Drachen“ Asiens (si4xiao3long2 四小龍) – Hongkong, Singapur, Taiwan, Südkorea zu Vier Tigern im Deutschen. Hier sehen wir gemeinsame semantische Merkmale [+stark, +energisch] des Drachen und des Tigers im Chinesischen und im Deutschen, und außerdem auch die negative Konnotation von „Drachen“ im Deutschen. Eine Übersetzung als ‚vier Drachen’ würde für im Deutschen eine 114 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 negative Bedeutung haben, die im Deutschen mit diesen Ländern jedoch nicht verbunden wird(1). Die negative Bedeutung des Drachen im Deutschen wird im nächsten Abschnitt diskutiert. Andererseits werden im modernen Chinesischen Fabeltiernamen bzw. Tiernamen als phonetische Elemente bei der Übersetzung von Fremdwörtern benutzt, z.B. sha1long2 沙龍 (Salon) und ni2long2 尼龍 (Nylon). In diesem Fall haben die Tiernamen mit dem Sinn des jeweiligen Fremdwortes nichts zu tun, sie dienen lediglich einer phonetischen Übertragung. Vom semantischen Gesichtspunkt aus sind sie willkürlich gebraucht. Das semantische Element long 龍 wird als Nachsilbe ohne konkrete Bedeutung gebraucht. Durch diese Abschwächung der semantischen Funktion und Stärkung der grammatischen erfährt das semantische Element long eine Grammatikalisierung. Während die konzeptuellen Metaphern für Eigenschaften eine lange Tradition haben und entsprechende Metaphern in großer Zahl in der Umgangssprache verbreitet sind, sind die Verwendungen von long als morphologische und phonetische Elemente großenteils erst in neuerer Zeit entstanden und/oder Teil einer Fachsprache. Die Radialstruktur von Drache-Metaphern im Chinesischen lässt sich wie folgt darstellen (Abb. 1): stark, mächtig Führer, König, bester Mensch Eigenschaften Drachenaugen Schlange stehen Aussehen Drache Lautü Lautübertragung Salon Abb. 1. Radialstruktur von Drachen-Metaphern im Chinesischen. Deutsch Der Drache ist auch im Deutschen ein Fabeltier, sein Aussehen unterscheidet sich jedoch 115 淡江人文社會學刊【第二十九期】 von dem des chinesischen Drachen. Dem Wort Drachen im Deutschen liegt die griechische Bezeichnung Drakon zugrunde (Schubart-Stumpfe 1999). Die deutschen Vorstellungen vom Drachen gehen wiederum auf ältere Vorbilder in den Kulturen Mesopotamiens zurück. Zuerst stellte man ihn sich als riesige Schlange vor. Aus den Erfahrungen von Überschwemmungen formte sich um 3000 v. Chr. die Vorstellung einer chaos-hervorbringenden Wasserschlange (Tiamat), die durch einen Helden oder Gott (Enlil oder Marduk) besiegt werden muss, damit das Land vom Wasser getrennt bleibt und die Ordnung über das Chaos siegt (Schubart-Stumpfe 1999). Das Motiv vom Sieg eines Gottes oder Helden über den Drachen findet sich in der griechischen und mittel- und nordeuropäischen Mythologie (Gallmeister 1988, Schmidt & Schmidt 1984, Schubart-Stumpfe 1999). Das Motiv des Drachenkampfs ist so alt wie die Vorstellung vom Drachen selbst; es steht für den Kampf zwischen Gut und Böse, Hell und Dunkel, Bewusstsein und Unbewusstem (Drewermann 1992, S. 398). Über die Vermittlung hauptsächlich durch die christliche Tradition gelangten der Name Drachen und die stark negativ besetzte Vorstellungen aus der Antike in den germanischen Sprachraum. Die nordische Drachenmythologie ist erst in nachchristlicher Zeit mit bildlichen Zeugnissen v. a. aus dem 7. und 8. Jahrhundert (Cotterell 2004, S. 245, 250) und schriftlicher Abfassung des Nibelungenlieds im 12./13. Jahrhundert nachweisbar. Auch hier ist der Drache an das Wasser (Midgardschlange, Jörmungand) oder Höhlen in der Erde (Lindwurm, Neiddrache, Fafnir der Siegfriedssage) gebunden und muss von den Göttern oder Helden getötet werden (Stamer & Zingsem 2001, S. 19 ff.). Der Drache verkörpert das Böse in animalischer Gestalt, das es zu bekämpfen und zu besiegen gilt. Die Bibel berichtet an mehreren Stellen vom Drachen, er wird hier weitgehend mit dem Teufel gleichgesetzt (1. Mose, Daniel, Hiob, Apokalypse). Röhrich (1991, S. 330) berichtet: „Die Idee der ‚Verdrachung‘ (entsprechend der ‚Verteufelung‘) des Gegners ist beliebig modernisierbar. Noch Zeitungskarikaturen der Gegenwart beweisen, dass ein politisches Problem zum ‚Drachen‘ werden kann (der Drache der Arbeitslosigkeit, der Inflationsdrache etc.).“ Während also die Drachen-Metapher im Chinesischen durchaus mit vielen positiven Konzepten besetzt ist, wird sie im Deutschen dagegen für negative Konnotationen eingesetzt, wie das Konzept (5) zeigt. (5) Der Drache steht für Bosheit Hausdrache; Drachenbrut; Drachensaat; mit Basiliskenblick 116 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Unter den hier aufgeführten Beispielen ist die Metapher Hausdrache besonders bemerkenswert, weil sie kulturelle Unterschiede feststellen lässt. Hausdrache dient zur Beschreibung zänkischer Frauen. Wenn ein Deutscher zu einer Chinesin sagt, „Du bist ein Hausdrache“ und die Chinesin nicht weiß, was Hausdrache bedeutet und auch nicht weiß, dass der Drache für die Deutschen eigentlich ein böses Tier ist, wird sie sich geschmeichelt fühlen. Wie im vorigen Abschnitt schon beschrieben, beinhaltet die chinesische Drachen-Metaphern nämlich positive, sogar göttliche semantische Merkmale. Der Deutsche denkt also in seiner Sprache und benutzt eine deutsche Redewendung „Hausdrache“, die negativ gemeint ist, und die Chinesin denkt in ihrer Sprache und in ihrer Kultur, in der der Drache ein göttliches Symbol ist, und hat aufgrund dessen eine ganz andere Interpretation. Die Tiermetapher, die Chinesen für eine böse Ehefrau verwenden, ist mu3lao3hu3 母老 虎 (Tigerin). Im Dn ist die Tiger-Metapher positiv besetzt. Eine Deutsche würde sich nicht darüber ärgern, wenn ein Chinese „mu3lao3hu3 母老虎 (Tigerin)“ zu ihr sagen würde. Sie würde sich vielmehr darüber freuen – bis man ihr die Tiermetapher mu3lao3hu3 母老虎 (Tigerin – böses oder zänkisches Weib; Xanthippe) erklärt. Noch einmal sehen wir die gemeinsamen semantischen Merkmale [+stark, +energisch] des Drachen und des Tigers im Chinesischen und im Deutschen. Der Tiger ist zwar auch ein Metaphernspender, zu dem die Chinesen viele positive Tiermetaphern haben. Die semantischen Merkmale der chinesischen Tiger-Mn sind [+ stark, +wild, +gefährlich]. Wenn man diese jedoch bei einer Frau verwendet, liegt der Fall anders, da eine Frau in der chinesischen Gesellschaft nicht stark sein soll (siehe Hsieh 2006, S. 2216). Hier sehen wir, dass Deutsche und Chinesen manchmal dieselbe Form von Tiermetaphern haben, diese jedoch nicht analoge, sondern verschiedene Bedeutungen besitzen. Aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes assoziieren sie andere Konzepte, wie in diesem Beispiel mit der Drachen- und Tiger-Metapher. In seltenen Fällen liegt nur eine äußerliche Ähnlichkeit der Metapher mit Drachen zugrunde: Drachenfliegen, Drachen als Spiel- bzw. Sportgeräte (Drachenballon, Papierdrachen), Drachendollar (eine chinesische Münzform mit Drachenprägung, die gegen Ende der Kaiserzeit die über 2000jährige Lochmünze ablöste). Ähnlich wie im Chinesischen enthalten auch im Deutschen einige Tier- und Pflanzennamen Drachen als Bestandteil, z. B. „Drachenbaum“ (Dracaena draco), aus dessen rotem Harz, dem „Drachenblut“, Lacke und 117 淡江人文社會學刊【第二十九期】 Polituren hergestellt wurden, und „Drachenkopffisch“, ein bizarr geformter Meeresfisch mit giftigen Stacheln (Lexikon der Biologie 1984). Die Radialstruktur von Drache-Metaphern im Deutschen sieht wie folgt aus (Abb. 2): böse, streitsüchtig böse, streitsüchtig Eigenschaften Eigenschaften Papierdrachen Papierdrachen Drachenkopffisch Drachenkopffisch Aussehen Aussehe Drache Drache Abb. 2. Radialstruktur von Drachenmetaphern im Deutschen. Fenghuang und Phönix Chinesisch Der chinesische feng 鳳 oder fenghuang 鳳 凰 hat ebenfalls wenig mit dem deutschen oder europäischen Phönix gemeinsam, außer dass beide Fabelwesen sind. Im Hanshi waizhuan 韓詩外傳 (Äußerer Kommentar zum Buch der Lieder von Han Ying, 2. Jahrhundert n. Chr.) wird fenghuang folgendermaßen beschrieben: Kopf wie der der Schwanengans, Hals wie der der Schlange, Schwanz wie der des Fisches, Schuppen wie die des Drachen, Leib wie der der Schildkröte, Kinn wie das der Schwalbe und Schnabel wie der des Hahns (Xue 1993, S. 12). Über die Beschreibungen von fenghuang siehe auch Eberhard (1983, S. 62), Qian (1993, S. 28ff.), Shao & Zheng (1994, S. 402) und Xiang (1998, S. 13). Möglicherweise entwickelte sich der Phönix aus dem Vogel-Totem eines mächtigen Stammes, das dem Drachentotem untergeordnet, aber nicht ganz verdrängt wurde (Li 1989). Als der rote Vogel wurde der Phönix dem Feuer, dem Sommer und dem Süden zugeordnet (Gerlach 1998) und lässt sich daher vermutlich aus einem Symbol für die Sonne ableiten. (6) Fenghuang steht für Schönheit feng4yan3 鳳 眼 (Phönix-Augen – Mandelaugen); feng4guan1 鳳 冠 118 (Kaiserinkrone, 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Phönixkappe {Kopfputz einer Braut in Form eines Phönix im alten China}); long2fei1feng4wu3 龍 飛 鳳 舞 (wie Drachenflug und Phönixtanz – schwungvolle und kunstvolle Pinselführung in der Kalligraphie); cai3feng4sui2ya1 彩鳳隨鴉 (einem bunten Phönix folgt ein Rabe – einer hübschen Frau folgt ein hässlicher oder schlechter Mann); wu1ya1pei4feng4huang2 烏 鴉 配 鳳 凰 (Ein Rabe geht zusammen mit dem Phönix– ein hässlicher, schlechter Mann geht zusammen mit einer hübschen oder guten Frau); long2sheng1long2 feng4sheng1feng4 lao3shu3sheng1de’er2zi’hui4da3dong4 龍 生 龍 鳳 生 鳳 (Von Drachen kommen Drachen, von Phönixen kommen Phönixe – die Kinder sind wie ihre Eltern; Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm) (7) Fenghuang steht für Glückverheißung luan2feng4he2ming2 鸞 鳳 和 鳴 (männlicher Phönix und weiblicher Phönix singen harmonisch zusammen – in der Ehe miteinander harmonieren); long2feng4cheng2xiang2 龍鳳 呈 祥 (Drache und Phönix bieten Glück dar – Drache und Phönix bringen Glück); long2feng4pei4 龍 鳳 配 (Drache und Phönix bilden ein Paar – ein passendes Paar); feng4huang2yu2fei1 鳳 凰 于 飛 (Phönixe fliegen zusammen – als Liebespaar glücklich zusammen sein); wei1feng4xiang2lin2 威鳳祥麟 (die Macht des Phönix, das Glück des Qilin – seltenes Talent) luan2feng4he2ming2 鸞 鳳 和 鳴 (männlicher Phönix und weiblicher Phönix singen harmonisch zusammen – in der Ehe miteinander harmonieren); long2feng4cheng2xiang2 龍鳳 呈 祥 (Drache und Phönix bieten Glück dar – Drache und Phönix bringen Glück); long2feng4pei4 龍 鳳 配 (Drache und Phönix bilden ein Paar – ein passendes Paar); feng4huang2yu2fei1 鳳 凰 于 飛 (Phönixe fliegen zusammen – als Liebespaar glücklich zusammen sein); wei1feng4xiang2lin2 威鳳祥麟 (die Macht des Phönix, das Glück des Qilin – seltenes Talent) Wie die Konzepte (6) und (7) illustrieren, haben alle Metaphern, die mit fenghuang zusammenhängen, ebenso wie long, eine positive Bedeutung und spielen in der chinesischen Kultur eine wichtige Rolle. Fenghuang steht als weibliche Ergänzung zu long und stellt einen göttlichen Vogel dar. Damals war long das Symbol des Kaisers, fenghuang das der Kaiserin. Laut Eberhard (1983, S. 63) „Drache und Phönix verkörpern die männliche und die weibliche 119 淡江人文社會學刊【第二十九期】 Natur und sind Symbol des Ehepaares.“ In vielen Fällen unterscheidet man auch feng von huang 凰 und luan 鸞, dabei ist feng männlich, huang und luan sind weiblich, z. B. feng4qiu2huang2 鳳求凰 (Männlicher Phönix macht dem weiblichen Phönix den Hof – ein Mann macht einer Frau den Hof) und luan2feng4he2ming2 鸞 鳳 和 鳴 (männlicher Phönix und weiblicher Phönix singen harmonisch zusammen – in der Ehe miteinander harmonieren). Nachdem die Tochter von Qinmugong 秦 穆 公 (659–621 v. Chr.) gestorben war, wurde der fengnüci 鳳 女 祠 (Phönix-Frau-Tempel) errichtet. Seitdem steht feng für weibliche Personen. Ansonsten wurde feng im Zuozhuan 左傳 (Fraser 1930) und Ciyuan 辭源 (Das Lexikon Ciyuan 1993) als männlich vermerkt. Die Radialstruktur von fenghuang-Metaphern lässt sich wie folgt darstellen (Abb. 3): Wertvoll, Wertvoll,glückverheißend glückverheiβend Frau Frau Eigenschaften Eigenschaften Mandelaugen Mandelaugen schön schön Aussehen Aussehen Phönix Phönix Abb. 3. Radialstruktur von Phönix-Metaphern im Chinesischen. Deutsch Im Gegensatz zu fenghuang spielt der Phönix, wie auch der Drache, in deutschen FMn keine bedeutende Rolle. Es gibt nur eine geläufige Metapher – wie ein Phönix aus der Asche steigen/erstehen. Wir werden diese Phönix-Metapher trotzdem diskutieren, weil sie eine der seltenen FMn ist und oft benutzt wird. Sie sagt außerdem etwas über die deutsche Mentalität aus und deutet darauf hin, dass die deutsche Sprache eine starke Aufnahmefähigkeit hat, um Fremdwörter zu integrieren. Die älteste Variante des Phönix entstand in der ägyptischen Kultur. Dort wurde der Reiher als Benu-Vogel verehrt. Das Wort Benu leitet sich von dem ägyptischen Wort für „aufgehen“ und „leuchten“ ab (Gerlach 1998). Im Kultzentrum Heliopolis (Beginn ca. 2900 v. Chr.) verkörperte 120 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 er den Sonnengott Re. Im Unter- und Aufgehen der Sonne sahen die Ägypter eine Hoffnung für ein Weiterleben nach dem Tod. Ursprünglich war also der Phönix ein Symbol für die Sonne und wurde damit, noch ohne die Vorstellung der Selbstverbrennung, bei den alten Ägyptern zu einer Erscheinungsform des Gottes Re und später Osiris, der im Untergang in die Unterwelt hinabsteigt, um danach wieder aufzuerstehen (Schmidt & Schmidt 1984). Die Griechen übernahmen die ägyptische Vorstellung vom Phönix in ihre Denk- und Sprachwelt, wobei aus benu zuerst boine wurde und schließlich phoinix (Gerlach 1998). Nach Schulte (1997, S. 647) sind der Name Phönix und die Redewendung griechischen Ursprungs: „Nach der griechischen Vorstellung verbrannte er (der ägyptische mythologische Vogel) sich zu den Jubiläen (alle 500 oder 1461 Jahre) selbst, stand verjüngt aus der Asche wieder auf und versinnbildlichte damit ewige Erneuerung, Unsterblichkeit und Auferstehung.“ Diese Übernahme des Phönix in die griechische Antike wurde zuerst durch Hesiod (ca. 700 v. Chr.) dokumentiert, der die Langlebigkeit des Phönix erwähnte (Gerlach 1998). Am Anfang der christlichen Kunst scheute man sich, Christus als Menschen darzustellen und wählte stattdessen verschiedene Tiersymbole, darunter den Phönix (Schmidt & Schmidt 1984, S. 18). Die prominenteste literarische Quelle für den Phönix als Christussymbol ist der Physiologus (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), der in verschiedenen Übersetzungen im Mittelalter und der Renaissance allgemeines Bildungsgut war (Schönberger 2001). Durch diese Vermittlung des Christentums ging die Metapher vom Phönix aus der Asche in die deutsche Sprache ein (Schmidt & Schmidt 1984, S. 97). Die ursprünglich tiefgreifende religiöse Symbolik wurde in der weiteren Tradition „säkularisiert“. Bücher über den Wiederaufbau einer Stadt oder eines Landes nach einem Krieg oder ähnlichen Ereignissen tragen häufig den Titel Phönix aus der Asche. In den Medien erscheint die Metapher, manchmal als Wortspiel verfremdet, ebenfalls in einer säkularisierten Bedeutung. Ein Beispiel ist der Überschriftentitel „Phoenix aus der Staupe“ für einen Artikel über die Erholung der Seehundbestände in der Nordsee nach der Verbreitung des Staupe-Virus (Kosmos, September 2003, S. 74). Verschiedene Firmen und Produkte in Deutschland enthalten den Namen Phönix (Gerlach 1998). So bedeutet diese Metapher: nach scheinbar vollständigem Niedergang neu aufzuerstehen (Abb. 4). 121 淡江人文社會學刊【第二十九期】 W iederauferstehung Wiederauferstehung Eigenschaften Eigenschaften Phönix Phönix Abb. 4. Radialstruktur von Phönix-Metaphern im Deutschen. Kulturelle Unterschiede und Denkweisen In diesem Abschnitt werden die Unterschiede in der Kultur und Denkweise der Chinesen und Deutschen, die sich in FMn widerspiegeln, skizziert. Die Vorstellungen über die Fabelwesen Drachen und Phönix sind älteren Ursprungs als die überlieferten Weltreligionen, die jedoch die bestehenden Metaphern aufgegriffen und weitertradiert haben. Sowohl in China als auch in Mesopotamien gab es verheerende Überschwemmungen, die in Form von gigantischen Schlangen oder Drachen verbildlicht wurden. Danach entwickelten sich diese Bilder jedoch in entgegen gesetzten Richtungen. In Europa und Westasien war die Vorstellung eines Drachens unmittelbar mit dem Kampf und dem Sieg über den Drachen verbunden. Das Motiv des Drachenkampfs steht für den Kampf zwischen Gut und Böse, Hell und Dunkel, Bewusstsein und Unbewusstem (Drewermann 1992, S. 397, 398). Eine Versöhnung oder Integration beider Ebenen ist in diesem Denken nicht möglich. Obwohl es auch im Chinesischen Sagen und Legenden über böse Drachen gibt, die Überschwemmungen verursachen und von einem Helden oder einer Heldin besiegt werden (Wang 2001), schlugen sich in den Metaphern nur die glücksverheißenden und positiven Vorstellungen über Drachen nieder. Der Grund besteht darin, dass der Drache das Volkssymbol der Chinesen ist. Bis heute sehen die Chinesen sich als Nachkommen des Drachen. Sie nennen sich long2zhong3 龍種 (Drachenrasse – Chinesen) und long2de’chuan2ren3 龍的傳人 (Nachwuchs des Drachen – Chinesen). Sie wünschen sich einen Sohn wie ‚Drache’ zu haben (wang4zi3cheng2long2 wang4nü3cheng2feng4 望子成龍 望 女成鳳 der Sohn werde wie ein Drache und die Tochter wie ein Phönix – Segenswunsch für 122 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Kinder). Die Legenden, Märchen und andere Literatur können verschiedene Aspekte darstellen, dennoch bleibt das Volkssymbol nicht verändert. Obwohl die Kuh in Indien als heiliges Tier angesehen wird, gibt es auch Literatur in Indien, in der die Kuh eine negative Bedeutung hat (Dubois 1995, S. 315). Der Adler ist das Nationaltier der Deutschen, dennoch kann man auch deutsche Märchen finden, in denen der Adler negativ dargestellt wird. Anders als andere Tiermetaphern, die oft negative Beutungen beinhalten oder sogar als Schimpfwörter verwenden werden, haben chinesische FMn fast nur positive Konnotationen. Viele davon drücken Lob und Glückwünsche aus, wie long2feng4cheng2xiang2 龍鳳呈祥 (Drache und Phönix bieten Glück dar) bei Hochzeiten. Huo2long2huo2xian4 活龍活現 (lebende Drachen, lebende Erscheinungen) bescreibt eine lebendige Vorstellung. Drachen und Phönix sind zwei von den chinesischen si4ling2 四靈, vier Wesen mit übernatürlichen Kräften. Auf der einen Seite drücken die Glückwünsche mit Fabeltieren den Glauben der Chinesen an übernatürliche Kräfte aus, mit denen menschliches Glück realisiert werden soll. Auf der anderen Seite zeigen diese Glückwünsche auch an, welche zwischenmenschlichen Beziehungen in der chinesischen Gesellschaft besonders hervorgehoben sind. Die Fabelwesen waren so positiv oder sogar heilig, dass sie man früher nur mit Respekt erwähnte. Heutzutage entwickeln sich auch scherzhafte FMn. Mit shang4ke4yi4tiao2chong2 xia4che1 ke4yi4tiao2long2 上課一條蟲 下課一條龍 (im Unterricht wie ein Wurm, nach dem Unterricht wie ein Drache) verspottet man Schüler, die während des Unterrichts träge, aber nach dem Unterricht umso lebhafter sind. Bereits Ku Hung-Ming analysierte Ende des 19. Jahrhunderts die Unterschiede im chinesischen und westlichen Denken (Debon & Speiser 1987, S. 294). Nach ihm hat sich das Denken des westlichen Menschens einseitig in Richtung Analyse und Logik entwickelt, in China jedoch herrschte eine Synthese von Kopf und Herz oder Seele und Verstand (Debon & Speiser 1987, S. 298). Diese Analyse wird durch die archäologischen Funde der ältesten Chinesischen Drachendarstellungen bestätigt, nämlich Malereien von Drachen mit Menschenköpfen, und dadurch, dass Götter am Anfang der chinesischen Geschichte ebenfalls als Mischwesen mit Menschenköpfen und Drachenkörpern dargestellt wurden (Li 1989). Im chinesischen Denken bestand offenbar kein Bedürfnis einer dualistischen Trennung der beiden Pole, Mensch und Natur, Differenzierung und Vereinheitlichung, Bewusstsein und Unbewusstes, die durch den Drachenkampf symbolisiert werden, sondern die durch den 123 淡江人文社會學刊【第二十九期】 Drachen symbolisierten Aspekte konnten in einen größeren Zusammenhang integriert werden und erhielten darin eine positive Bedeutung. Die kreative Bildsprache ging soweit, dem Drachen buchstäblich „ein menschliches Gesicht“ zu geben. Dadurch konnte auch das Totem der Schlange bei der Vereinigung verschiedener Volksstämme zum chinesischen Volk die Merkmale der Totemtiere der anderen Stämme in sich aufnehmen und sich so im chinesischen Selbstverständnis als Symbol für das chinesische Volk selbst etablieren. „Der Drache steht für das Yang-Element bzw. die männliche, schöpferische Naturkraft. Im Kaisertum galt er als Sinnbild des Kaisers, des Himmelssohns“ (Chang 2003). Die bleibende Verbindung mit der Natur und mit den Kräften des Unbewussten, so wie die Metaphern hai3long2wang2 海 龍 王 (Drachenkönig; Regengott der chinesischen Mythologie) und shen2long2jian4shou3bu2jian4 wei3 神龍見首不見尾 (sieht man den Kopf des göttlichen Drachen, sieht man seinen Schwanz nicht – mysteriöse Person) deuten, erklärt auch, dass im Chinesischen viel mehr Metaphern mit geheimnisvollen Phantasiewesen verwendet werden als in der deutschen Sprache. Phönix ist in beiden Sprachen positiv besetzt, kommt jedoch im Vergleich zu Drachen seltener in Metaphern vor. Während die Symbolik des Drachen in Ost und West ursprünglich mit dem Element Wasser verbunden war, bestand ein Zusammenhang zwischen dem Phönix und der Sonne bzw. dem Feuer. Während sich im Westen diese Vorstellung des Phönix vor allem mit dem Unter- und Aufgehen der Sonne und dem Weiterleben nach dem Tod verband, wurde er auch als Metapher für die Dauerhaftigkeit und zyklische Erneuerung monarchischer Herrschaftsformen herangezogen. In China wurde die Vorstellung vom Unter- und Aufgehen des Phönix als Sonnensymbol nicht entfaltet. Der Phönix wurde dort jedoch zu einer Metapher für Schönheit sowie Seltenheit und für Kaiser sowie Kaiserin und im Zusammenhang damit zu einer Metapher für Glück und Harmonie in der Ehe. Schlussfolgerungen Betrachtet man die Verwendung von Fabeltiermetaphern im Chinesischen und im Deutschen, so stellt man fest, dass die Unterschiede der Kulturen in den mythischen Kreaturen ihren Ausdruck finden. FMn gehen auf konzeptuelle Ebenen zurück: Der chinesische long (Drache) steht für Heiligkeit, Stärke, die besten Menschen, Männer und für Glück. Der chinesische fenghuang (Phönix) steht für Schönheit und Glück. Der deutsche 124 思維與文化─漢語和德語中的龍和鳳 Drache steht dagegen für Bosheit, für Phönix ist im Deutschen die geläufige M auf Wiederauferstehung zu beziehen. Während die chinesischen Metaphern innerhalb der chinesischen Sprache und Kultur entstanden, wurden die Konzepte für die Metaphern mit Drachen und Phönix im Deutschen durch Vermittlung des Christentums aus anderen Kulturkreisen importiert (Antike, Mesopotamien). Die Ausgangspunkte bzw. die Vorstellungsverknüpfungen bei der Bildung der FMn werden mit der Radialstruktur deutlich gemacht. Metaphern, die von realen Tieren abgeleitet sind, haben meistens als eine reale Grundlage Aussehen und Eigenschaften des Tieres oder das Verhältnis von Mensch und Tier (Wierzbicka 1985, Hsieh 2004), die FMn entstehen dagegen meistens willkürlich bzw. reflektieren in höherem Maß psychische Gegebenheiten. Sie spiegeln die religiösen und psychologischen Grundeinstellungen wider: ein Denken in sich gegenseitig ausschließenden Gegensätzen im Westen, ein Denken, das auf Integration und Synthese ausgerichtet ist, im Osten. Die jeweiligen Konzepte wurden innerhalb der chinesichen Sprache kontinuierlich tradiert, ins Deutsche gelangten sie erst hauptsächlich durch die Einführung des Christentums, das seinerseits ältere Motive aus der Antike übernommen hat. Ein auf Synthese gerichtetes Denken, wie es sich in China entwickelte scheint eher geeignet zu sein als Basis für einen Frieden in der Welt als das spaltende dualistische Denken in der westlichen Tradition (Drewermann 1984, S. 112, Ku Hung-Ming in Debon & Speiser 1987, S. 298). Die vorliegende Analyse belegt allerdings, dass diese grundlegenden Unterschiede bis in frühgeschichtliche Anfänge zurückgehen. Seit der Begegnung beider Kulturen jedoch findet eine gegenseitige Durchdringung statt. Vor allem im Zusammenhang mit der Globalisierung kommt es zu immer mehr Sprachkontakten zwischen den Kulturen. In deutschen Kinderbüchern finden sich z.B. Erzählungen von Drachen, die eindeutig vom chinesischen Vorbild inspiriert sind, z.B. ähnelt der Drache „Fuchur“ in Michael Endes Die unendliche Geschichte sowohl als freundliches Reittier als auch von der morphologischen Beschreibung her viel mehr dem chinesischen als dem deutschen Drachen. Das zeigt, dass unterschiedliche kulturelle Konzepte trotz Jahrtausenden getrennter Entwicklungen in sehr kurzer Zeit ausgetauscht und übernommen werden können. 125 淡江人文社會學刊【第二十九期】 Anmerkungen: (1) Diese Arbeit ist Teil der Forschungsresultate des zweijährigen Projekts „Cognitive Semantic Explorations of Life-form Fixed Expressions in Mandarin Chinese, German and English“ das durch die finanzielle Unterstützung des National Science Council (NSC 95-2411-H-006-032) in Taiwan ermöglicht wurde. (2) Die Autoren danken einem/r anonymen Gutachter/in für diesen Hinweis. 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