Amerika gedenkt der Mondlandung vor 40 Jahren Das Apollo
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Amerika gedenkt der Mondlandung vor 40 Jahren Das Apollo
nzz 20.07.09 Nr. 165 Seite 5 al Teil 01 Amerika gedenkt der Mondlandung vor 40 Jahren Das Apollo-Programm als Ansporn für neue Herausforderungen Die Vereinigten Staaten feiern dieser Tage ihre Apollo-Helden. Das 40-JahreJubiläum der ersten Mondlandung ist Anlass für Nostalgie und Nationalstolz – und führt immer wieder zu der bangen Frage, ob ein solcher Kraftakt auch heute noch gelingen würde. Vor wenigen Wochen wurde in der amerikanischen Hauptstadt Washington eine eigentümliche Lotterie abgehalten. Verlost wurden Eintrittskarten für einen Vortragsabend im National Air and Space Museum. Zu der Veranstaltung am Vorabend des 40. Jahrestages der ersten Mondlandung wird die gesamte Apollo-11-Crew erwartet: Neil Armstrong, Edwin «Buzz» Aldrin und Michael Collins. Wie in der Hauptstadt zu hören war, gab es für die Veranstaltung fast einhundert Bewerbungen pro Eintrittskarte. Die Verehrung, die den allesamt in den Siebzigern stehenden Apollo-Astronauten entgegengebracht wird, ist immer noch immens; jeder öffentliche Auftritt der rüstigen Herren ist ein Publikumsmagnet. Ein Lichtblick in einer düsteren Epoche Rückblickend wird an diesen Veranstaltungen immer wieder auf die damalige Euphorie und – mit leicht nostalgischer Verklärung – auf den enormen Prestigegewinn hingewiesen, den die USA, aber auch Wissenschaft und Technologie, durch die erfolgreiche Mondlandung davontrugen. Zeitzeugen zeichnen die Apollo-Mission häufig als eine Art Lichtblick in einer von Krisen und Gewalt erschütterten Epoche. Der damalige Direktor der Bodenstation in Houston, Gene Kranz, sieht heute in der Mondlandung eine Demonstration der Kraft einer freien Gesellschaft; das Ereignis habe dazu beigetragen, den Kalten Krieg zu gewinnen und Amerika den Respekt der Welt zu verschaffen. Fakt ist aber auch, dass die allgemeine Begeisterung für die Apollo-Mission nicht von langer Dauer war. In den Hintergrund gedrängte Themen wie der Vietnamkrieg, die Rassenunruhen oder die sozialen Probleme in Amerika dominierten bald wieder die Schlagzeilen. Daher dürfte der britische Physiker Stephen Hawking bei der Beurteilung des Nutzens der Mondlandung breite Zustimmung finden. In einem Vorwort zu einem gerade erschienenen Buch über die Apollo-Mission schrieb er: «Sie hat die Zukunft der Menschheit auf eine Weise verändert, die wir jetzt noch nicht verstehen, und es mag mit darüber entschieden haben, ob wir überhaupt eine Zukunft haben. Die Mondlandung hat keines unserer direkten Probleme auf dem Planeten Erde gelöst, aber sie hat uns neue Perspektiven verschafft; wir blicken jetzt nach innen und doch auch nach aussen.» Diese neue Sichtweise auf die Erde ist die vielleicht nachhaltigste Wirkung der Apollo-Mission. Erst aus einer Entfernung von 385 000 Kilometern wurde der Menschheit bewusst, wie verletzlich die Erde ist. So wird mancher Astronaut heute in den Vereinigten Staaten nicht nur als historische Gestalt, sondern auch als Mahner wahrgenommen – wie Michael Collins, der erst jüngst in einem Interview düster urteilte: «Als wir zum Mond flogen, lag unsere Bevölkerung bei drei Milliarden, heute geht sie auf die acht Milliarden zu. Ich glaube nicht, dass dieses Wachstum vernünftig und gesund ist. Der Verlust von Lebensraum, die Verschmutzung der Ozeane, die Anhäufung von Abfall – das ist keine Art, einen Planeten zu behandeln.» Das Unternehmen Mondlandung wird bei Symposien, in Dokumentationen, aber auch in privaten Gesprächsrunden als eine Herausforderung eingeschätzt, die nur vor dem Hintergrund der damaligen Epoche zu verstehen ist. Daran schliesst sich oft die bange Frage an: Könnte Amerika heute etwas Vergleichbares leisten? Als Voraussetzungen für das Gelingen werden immer wieder drei Faktoren hervorgehoben, die in den 1960er Jahren das amerikanische Denken und Handeln dominierten: die Bereitschaft, immense finanzielle Mittel bereitzustellen, die hohe Motivation durch den Wettstreit mit einem ideologischen Erzrivalen und die charismatische Führungspersönlichkeit John F. Kennedys, die der Nation quasi den Weg zum Mond wies. Die Sowjetunion als Katalysator Der Faktor Geld erscheint bei näherem Betrachten relativ: Umgerechnet auf die Kaufkraft des Dollars im Jahr 2008 verschlang das ganze Apollo-Programm so viel Geld wie 540 Tage der Kriegführung im Irak. Oft nicht gebührend gewürdigt wird in den Festreden die Katalysatorenrolle, die die Sowjetunion spielte. Der ideologische Wettstreit mit dem Gegner des Kalten Krieges war eine wesentliche Triebfeder der nationalen Kraftanstrengung. Ein Rivale von solch motivierender Bedrohlichkeit ist den USA nach allgemeinem Empfinden abhandengekommen. Auch China mit seinen beneidenswerten wirtschaftlichen Wachstumsraten kann der Sowjetunion in dieser Hinsicht nur bedingt das Wasser reichen. Schliesslich wird die Mondlandung als Frucht des Wirkens eines Mannes empfunden, der sie gar nicht mehr hat miterleben können. Präsident John F. Kennedys berühmte Reden, einmal vor dem Kongress, einmal vor der Rice University in Texas, die in einem «We choose to go to the moon!» gipfelten, gelten heute als die Geburtsstunden des siegreichen Wettrennens zum Mond. Yes, we can! Doch gerade in puncto «leadership» liegt das Amerika des Jahres 2009 gar nicht so weit von jenem der krisengeschüttelten 1960er Jahre entfernt. Charisma sprechen auch politische Gegner Barack Obama nicht ab. Der hat die Nation auf epochale Ziele eingeschworen, die in der nächsten Dekade erreicht werden sollen: Krankenversicherung für alle, Unabhängigkeit (endlich) von Öl aus dem Nahen Osten und der Schutz des Klimas unseres verletzlichen blauen Planeten. Der Direktor des National Air and Space Museum in Washington bemerkte kürzlich: «Ich glaube, darin liegt eine Lektion für uns. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Finanzsystem wackelt und wir machen uns Sorgen wegen der Zukunft. Aber wenn wir zurückblicken und sehen, was unsere Vorgänger unter unglaublich schwierigen Bedingungen bewältigen konnten, dann erkennen wir, dass Amerikaner heute wieder die nzz 20.07.09 Nr. 165 Seite 5 al Teil 02 Gelegenheit zu etwas haben, worin wir in der Vergangenheit so gut waren: innovativ sein, die Augen fest auf ein Ziel gerichtet, und dann den Job erledigen. Apollo bezeugt, dass Amerikaner alles schaffen können, was sie sich in den Kopf gesetzt haben.» Der «can-do spirit» Amerikas, dieses ureigene Credo einer Nation, scheint quicklebendig. Nur zeigt es etwas weniger bestimmt gen Himmel als in jener heissen Julinacht vor 40 Jahren. Ronald D. Gerste