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Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie Bewusstsein und Wille Hirten und Könige Der Weg des Wissens durch die Nacht Esoterischer Mut 2 | 2013 Editorial «Das gemeinsame, wertschätzende Betrachten und Wahrnehmen» ist gleichsam die komplementäre Seite zur künstlerischen Produktion und ein wichtiges Prinzip nicht nur im Kunstunterricht, sondern der Pädagogik überhaupt. Claudia Fabisch-Pieper beschreibt es als ein zentrales Geschehen ihres Unterrichts. Die Bilder ihrer Schüler geben diesem Heft Gestalt und Farbe. Auch die Beiträge sind keineswegs Grau in Grau. Von Bente Edlund lesen sie die schriftliche Fassung ihres Vortrags an der Internationalen Tagung für Heilpädagogik und Sozialtherapie im letzten Oktober am Goetheanum. Einen Farbtupfer aus dieser Tagung steuert auch Heiner Priess mit seinem Beitrag «Esoterischer Mut - Liebevolle Hingabe - Andacht zum Kleinen» bei. Auch der Beitrag von Bernd Kalwitz «Der Weg des Wissens durch die Nacht» ist die Frucht einer Tagung, nämlich der Internationalen Ausbildertagung 2012 in Kassel. Jan Göschel schreibt unter dem Titel «Hirten und Könige» über Phänomene aus den Autismus-Spektrum-Störungen. Es ist Zeit, wieder aus dem Arbeitsfeld der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie zu berichten. Kein leichtes, aber am Ende doch gelungenes Arbeitsjahr. Einige Berichte aus der internationalen Szene der Heilpädagogik und Sozialtherapie finden sicherlich ebenfalls Ihr Interesse. Wir wünschen Ihnen einige Mussestunden um diese interessanten Beiträge in Ruhe zu lesen. Inhalt Seite 6 Bewusstsein und Wille im Heilpädagogischen Kurs Rudolf Steiners Bente Edlund Seite 16 Aus dem Kunstunterricht der Mittelstufe Claudia Fabisch-Pieper Seite 27 Jahresbericht 2012 Rüdiger Grimm Seite 37 Die Sozialtherapeutische Arbeitsgruppe Andrea Kron-Petrovic Meditative Menschenkunde – der Weg des Wissens durch die Nacht Bernd Kalwitz Seite 38 Seite 18 Hirten und Könige – ein Weihnachtsbild zur Autismusforschung Jan Göschel Solange man mit einer solchen Eigenschaft des Kindes, dass es zum B pathie oder Antipathie hat, wenn es in gelindem Masse auftritt, solan lich noch nicht wirksam erziehen. Erst dann, wenn man es so weit ge wird, dass man sie mit einer gewissen Gelassenheit als objektives B die im astralischen Leib befindliche Seelenverfassung da, die in rich er alles übrige mehr oder weniger richtig besorgen. Denn, meine lie genommen ist, was man als Erzieher oberflächlich redet oder nicht re Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie Bewusstsein und Wille Hirten und Könige Der Weg des Wissens durch die Nacht Esoterischer Mut 4 2 | 2013 Herausgeber: Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie in der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften am Goetheanum Dornach (Schweiz) Redaktion: Rüdiger Grimm Bernhard Schmalenbach Gabriele Scholtes Seite 44 Esoterischer Mut – liebevolle Hingabe – Andacht zum Kleinen Heiner Priess Seite 50 Nachruf Wilhelm Uhlenhoff Rüdiger Grimm Seite 53 Berichte: Ausbildung in Thailand Angelika Gäch Arbeitsbericht der Ärzte Christoph Wirz Seite 54 Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Istok Hans Gammeter Seite 56 Rezensionen: Andreas Fischer Zur Qualität der Beziehungsdienstleistung in Institutionen für Menschen mit Behinderungen Thomas Schoch (Rezension) Beispiel gehen will und nicht gehen kann (...) solange man damit Symnge man in Erregung kommen kann dabei, so lange kann man eigentebracht hat, dass einem eine solche Erscheinung zum objektiven Bild Bild nimmt und nichts anderes dafür empfindet als Mitleid, dann ist htiger Weise den Erzieher neben das Kind hinstellt. Und dann wird eben Freunde, Sie glauben gar nicht, wie gleichgültig es im Grunde edet, und wie stark es von Belang ist, wie man als Erzieher selbst ist. Rudolf Steiner im Heilpädagogischen Kurs Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 5 Bente Edlund Bewusstsein und Wille im Heilpädagogischen Kurs Rudolf Steiners Die Frage nach dem ‹guten Handeln›1 entfaltet sich im Übergang zwischen Bewusstsein und Willen. Die folgenden Ausführungen möchten diesen Bezug unter pädagogischer und heilpädagogischer Perspektive beleuchten, unter Berücksichtigung von Ausführungen Rudolf Steiners in der Allgemeinen Menschenkunde und im Heilpädagogischen Kurs. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Thema des Willens. Von dort ausgehend werden einige das Bewusstsein betreffende Aspekte behandelt. 6 Beiträge Zum Konzept des Willens in der Gegenwart Der Begriff des Willens findet in der heutigen Diskussion nur wenig Beachtung. Im Rahmen der Waldorfpädagogik und der anthroposophischen Heilpädagogik wiederum kann ‹Wille› als ein komplexes und dynamisches Konzept gelten; die Waldorfpädagogik ist die einzige Richtung der Pädagogik in Skandinavien, welche mit einem genuinen Willensbegriff operiert. Dabei geht es zum einen um das Konzept und zum anderen um das Erleben einer konkreten seelischen Kraft, welche wir Wille nennen können. Es stellt sich die Frage, ob das einstmals zentrale philosophische Konzept des Willens in unserer digitalisierten und intellektualisierten Gegenwart an Aktualität und Gültigkeit verloren hat, oder ob nicht im Gegenteil der Frage nach dem Willen heute eine besondere Bedeutung zukommt. In seinem Heilpädagogischen Kurs erwähnt Rudolf Steiner im Zusammenhang mit der Frage des Willens die Geschichte eines hier namentlich nicht genannten jungen Mannes, der später als der Sohn des Philosophen Franz Brentanos identifiziert wurde. Nach Steiner litt dieser Mann unter einer Art Willensstörung, die sich in der folgenden Situation manifestierte: Er wollte mit der Strassenbahn fahren und stand auf dem Bahnsteig, konnte jedoch seinen Körper nicht in Bewegung bringen, sodass die Bahn letztendlich ohne ihn abfuhr. Im weiteren Verlauf seiner an dieser Stelle knappen Ausführungen bringt Steiner diese Willenshemmung in einen Zusammenhang mit der philosophischen Position des Vaters, dessen Seelenlehre zwar die Existenz von Vorstellen, Urteilen und den Erscheinungen von Antipathie und Sympathie vertrat, aber nicht den Willen als solchen. Steiner sieht hier eine Parallele zum Willensproblem des Vaters: Was bei diesem gedankliches Konzept, Inhalt des Bewusstseins war, wird bei dem Sohn zu einer konkreten Wirklichkeit. Wilhelm Uhlenhoff ist in seinen Untersuchungen zu den im Heilpädagogischen Kurs beschriebenen Kindern (Uhlenhoff 2007) der Geschichte Brentanos nachgegangen und schreibt zusammenfassend über ihn, der eine Karriere als bedeutender Physiker absolvierte: «Anscheinend hatte er seine angeborene Willensschwäche soweit überwunden, dass sie seinen Lebensberuf nicht behindert hat.» (ebd. S. 254). Ob nun eine angebliche Willensschwäche vorlag oder nicht – die Geschichte von Brentano und seinem Sohn kann heute als Bild einer besonderen pädagogisch-psychologischen Situation gesehen werden. Wir erleben auf der einen Seite Kinder, denen ein deutlicher Willenszugriff zu fehlen scheint, die lethargisch wirken und wenig Energie zeigen. Andererseits finden wir Kinder, die Herausforderungen annehmen und die dadurch willensbezogen agieren, aber eine Art Überschuss an Willen zeigen, der sich nicht selten in Aggressivität entlädt. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 7 Beiträge Eine geistige Dimension der menschliche Seele als solcher wird von vielen Zeitgenossen angenommen. Dass aber im Willen eine geistige Kraft erscheint, welche den Körper ‹ergreift›, ist weit weniger selbstverständlich. Insofern sind wir in einem gewissem Sinne alle ‹Kinder› Brentanos: Es ist eine Aufgabe unserer Zeit, die Realität des Willens wieder wahrzunehmen. Die Psychologie und Pädagogik Rudolf Steiners können hier eine Hilfe sein. Der Begriff des Willens in Alltagssprache und Alltagspsychologie In der wissenschaftlichen Psychologie wird die Vorstellung einer geistigen Substantialität der Seele abgelehnt: man spricht auch weniger von ‹Bewusstsein› als von bewussten oder mentalen Prozessen und ihrer neurologischen Grundlage. Dennoch glauben, einer Studie von Teigen zufolge (Teigen 2005), mehr als 90% der Befragten, dass der Mensch eine Seele hat. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass die Mehrheit auch an einen Willen glaubt. Fragt man Studierende nach ihrem Verständnis für diesen Begriff, dann entsteht eine Liste mit Bedeutungen wie Willenskraft, Motivation, Ausdauer, Entschlossenheit; gelegentlich werden auch Bewegung und motorische Potentiale genannt. Damit handelt es sich um Fähigkeiten, die der Mensch in der Begegnung und AusADHDeinandersetzung mit den konkreten Aufgaben des Daseins in der Welt entwickelt und realisiert. Angesprochen sind damit zunächst zwei verschiedene Aspekte: die Eigenschaft zur Durchführung eines Vorhabens und die Kraft, die man benötigt, um sich etwas gegenüber zu widersetzen. Aspekte des Willens nach Rudolf Steiner Der Begriff des Willens bei Rudolf Steiners hat sehr viele Dimensionen: als seelische Kraft in der Interaktion mit den anderen Elementen des Seelenlebens wie in der komplexen Beziehung zur Leiblichkeit. Hier ist der Wille im Stoffwechsel-Gliedmassensystem verankert und in allen Bewegungen und Handlungen aktiv. In unseren Gefühlen und Gedanken spielt er jedoch ebenfalls eine grosse Rolle. In der Allgemeinen Menschenkunde beschreibt Steiner den Willen in sieben Stufen: Durch Instinkte, Triebe und Begierde drückt sich der Wille auf der körperlichen Ebene aus; auf der Gefühlsebene transformiert er sich zum Motiv; in Wunsch, Vorsatz und Entschluss zeigt sich die geistige Seite des Willens. An dieser Stelle wird auch das Bewusstsein in seinen verschiedenen Aspekten mit einbezogen, insofern das Unbewusste als die schlafende Seele im Willen gekennzeichnet wird, während diese in den Gefühlen halbbewusst, träumend erscheint und erst in den Gedanken zu vollem Bewusstsein kommt. Von 8 Beiträge den Instinkten und Trieben im Willen auf der leiblichen Stufe kommen wir über einen gefühlsmässigen, träumenden Bewusstseinszustand zu einem bewussten Niveau des Geistigen, zu Vorsatz und Entschluss (Steiner 1992, S. 66 ff.). Elemente des Willens in gegenwärtigen Konzepten Wenngleich heute kaum Theorien des Willens gefasst werden, findet sich die Realität des Willens in verschiedenen Konzepten, wie etwa dem der Motivation und der Kompetenz. Motivation, in einem pädagogischen Sinn verstanden, hat eindeutig mit Willen und Initiative zu tun. Sie ist eine Verbindung aus Kraft, innerem Engagement, Sinn und Zielbewusstsein. Es braucht Motivation, um sich Ziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen. Im Zusammenhang mit den komplexen Anforderungen beispielsweise im Beruf verwenden wir den Begriff Kompetenz. Um situationsentsprechend handeln zu können braucht es Kompetenzen in der Verbindung von Kenntnissen, Haltungen und Fähigkeiten. Es handelt sich hier um einen erweiterten Begriff des Wissens und Könnens inklusive der Fähigkeit, Theorie und Einsicht praktisch und sozial anwenden zu können. Dies ist aber auch das Merkmal von Haltungen und Einstellungen: Steiner hat bereits in seinem Heilpädagogischen Kurs die Frage der Moral direkt in Beziehung zu dem menschlichen Willen gesetzt (Steiner 1995, S. 55 ff.). Die Entwicklung des Willens in Waldorfpädagogik und Heilpädagogik Eine eindringliche Erkenntnis der Erziehungspraxis für Kinder im Allgemeinen bildet die Grundlage der Erziehung von Kindern mit besonderen Entwicklungsbedingungen. Heilpädagogik in diesem Sinne kann auch verstanden werden als eine Pädagogik, die sich in Richtung Medizin vertiefen lässt. In Bezug auf die Entwicklung des Willens und des Bewusstseins gibt Steiner folgende Darstellung: Bei der Geburt ist der Kopf des Kindes – leiblich gesehen – relativ vollständig ausgebildet. Das Bewusstsein selbst ist noch unausgebildet, der Geist ‹schläft› im Kopf. Das Kind ist ein nachahmendes Wesen, welches in einem unbewussten Prozess schlussfolgernd die Eindrücke der Umwelt miterlebt und verarbeitet. Im Willen wiederum ist das Kind in einem noch verhältnismässig unausgebildeten Zustand, aber gleichsam ‹wach›. Man kann dies beim Strampeln des Säuglings sehen: Er ist lebendig und glücklich in der Bewegung, gleichzeitig aber chaotisch und unwillkürlich tätig. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 9 Beiträge Der wache, aber doch unvollkommene Willensmensch hat die Aufgabe, den Kopf zu ‹wecken›. Hier lässt sich ein Entwicklungsprozess von unten nach oben feststellen. Steiner führt dazu aus, dass wir als Pädagogen eigentlich nur den Gliedmassen- und Brustmenschen zu entwickeln brauchen; die Ausbildung des Kopfes ergibt sich dann in der Konsequenz von selbst (Steiner 1992, S. 160 ff.). Mit dem siebten Lebensjahr ungefähr entsteht eine grössere Wachheit für die Umwelt; das Kind lernt nun nicht in erster Linie nachahmend, sondern ist auch in der Lage, über die sprachliche Vermittlung zu lernen. Auf dieser Grundlage baut die Waldorfpädagogik auf, indem sie – bildhaft gesprochen – den Weg vom ‹Greifen lernen›, über das ‹Ergriffen werden› bis zum ‹Begreifen› begleitet. Auf diese Weise bildet sie eine ausgezeichnete heilpädagogische und sonderpädagogische Unterrichtsmethode, da sie nicht primär auf den Intellekt wirkt, sondern stets konkrete Erfahrungen ermöglicht. Gleichzeitig lässt sich eine andere, gegensätzliche Entwicklung beobachten: eine formende und kontrollierende Gestaltungsbewegung von oben nach unten. Hier lernt das Kind allmählich seinen Körper zu kontrollieren und zielbewusst einzusetzen; willensgesteuerte Bewegungen entwickeln sich und das Kind lernt mitunter die Augenmuskeln zu kontrollieren oder den Kopf hoch zu halten. Karl König beschreibt diese Bewegungsrichtung als eine strukturierende, formende Bewegung, welche vom Kopf in Richtung Gliedmassen verläuft (vgl. König 1998). Dieser Prozess trägt den Charakter der Kontrolle, das Beherrschen der Glieder, der Motorik, man könnte zugleich von einem Einschlafen in dem Willen sprechen, einer Automatisierung. Erst wenn eine Bewegung in diesem Sinne unbewusst geworden ist, hat sich eine echte Fähigkeit herausgebildet. Das spielende Kind Nehmen wir folgende Situation: Ein kleines Kind sitzt auf dem Boden und hat eine Schüssel und einen Schneebesen zum Spielen bekommen. Es untersucht und experimentiert mit den Utensilien, allmählich bekommt seine Bewegung einen Charakter der Rührbewegung. Einige Monate später ist es bereits sicherer in der Bewegung und ahmt die ‹vollständige› Rührbewegung der Erwachsenen nach. Mit der Zeit entsteht ein Kochspiel. Dann, mit ungefähr sechs Jahren, kann das Kind ein komplexes Rollenspiel inszenieren und leiten; es kocht, trägt vielleicht dabei eine Puppe, die es tröstet, es unterhält sich mit anderen Kindern. Dabei kann es zwischen den Rollen als Mutter oder Regisseur wechseln. Der gesamte Vorgang ist nun verinnerlicht. Das Bild dieses spielenden Kindes kann uns vieles zeigen: Das Kind verhält sich in dieser Situation motiviert und kompetent; es kann sich konzentrieren, ist aufmerksam, folgt dem Spiel einer Idee, hat ein Motiv und ist fähig, sprachlich, sozial und praktisch zu agieren. 10 Vase mit Tulpen, Armin Kellermann Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 11 Beiträge Ihren Ausgang nahm die Entwicklung in einer einfachen Bewegung, die weiter an eine Vorstellung geknüpft wurde und zu einem komplexen Geschehen aus Bewegung und Kommunikation erwuchs. Eine ‹wache› Aufmerksamkeit im Kopf ist somit ein Resultat der Willensentwicklung, die von unten nach oben gewirkt hat. In den Gliedern ist das Gegenteil passiert: ein Automatisierungsprozess, der zu einem geschickten Handeln geführt hat. Wille und Bewusstsein im Heilpädagogischen Kurs In Steiners Darstellung der menschlichen Seele hat das Zusammenwirken der hauptsächlichen Elemente des Denkens, Fühlens und Wollens eine zentrale Bedeutung. In der heilpädagogischen Betrachtung werden darüber hinaus leibliche Aspekte in den Vordergrund gerückt. Zur Dreigliederung kommt die Polarität von oben und unten, das Physisch-Ätherische auf der einen und Ich-organisation sowie Astralleib auf der anderen Seite. In der Heilpädagogischen Diagnostik finden wir häufig Situationen, bei denen dieser ‹Integrationsprozess› offensichtlich gestört ist, etwa in der Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit auf die Aussenwelt zu richten und sich gedanklich zu konzentrieren. Konzentration bedeutet das Vermögen, den Willen im Denken aktivieren zu können. Auf der anderen Seite haben viele Schüler Mühe, Bewegungen zu erlernen und als Handlungen zu automatisieren. Im ersten Vortrag des Heilpädagogischen Kurses führt Steiner (1995) aus, dass die meisten Störungen bei Kindern im Grunde genommen Willensstörungen sind. Das scheint einleuchtend, wenn man die Bedeutung des Willens in der Entwicklung des Kindes in Betracht zieht, denn der Wille ist die wichtigste Triebkraft innerhalb der kindlichen Entfaltung überhaupt. Auch kognitive Beeinträchtigungen sind ihrem Wesen nach als Beeinträchtigungen des Willens zu verstehen. Eine Ausnahme bilden jedoch Sinnestäuschungen, auch Halluzinationen bei Psychosen. Wille im Bereich des Denkens bedeutet, seine Vorstellungen gezielt zu bewegen, beispielsweise einer Aufgabe entsprechend. Es bedeutet ferner, einen Gegenstand zu fokussieren und sich nicht ablenken zu lassen. All dies verlangt Willenskraft. Im pädagogischen Alltag hängt Motivation eng mit Aufmerksamkeit und Konzentration zusammen. In diesen Fähigkeiten, wie sie auch von der Pädagogik und Psychologie beschrieben werden, finden wir die Kraft des Willens, welche die anthroposophische Menschenkunde beschreibt. Unter den Kindern und Jugendlichen mit Konzentrationsund Aufmerksamkeitsstörungen finden wir sowohl solche, welche mit ADHD (ADHS) diagnostiziert sind, wie Kinder, die als lernbehindert oder geistig behindert gelten. Die zentrale therapeutische und pädagogische Massnahme ist meines Erachtens das Wecken von Interesse, ein Interesse für die Welt. Gespräche und handlungsbeglei12 Beiträge tende Dialoge wirken dabei unterstützend. In der Psychologie wird hier der Begriff der gemeinsamen Aufmerksamkeit verwendet (joint attention). Diese ermöglicht erst die sprachliche und kognitive Entwicklung, und sie schafft eine Verbindung zwischen der Innen- und der Aussenwelt. Damit erfolgt diese Verbindung nicht im direkten Umgang mit der Umwelt, sondern vermittelt und begleitet durch andere Menschen. Joint Attention – begleitet und unterstützt durch Sprache – ist demnach eine grundlegende pädagogisch-therapeutische Massnahme. Ihr zugrunde liegt eine Einstellung, die Steiner als ‹geistiges Dabeisein› beschrieb: Sie bedeutet, sich durch Wille und Bewusstsein mit jeder Aktivität zu verbinden. Heilpädagogische Aspekte des Willens Eine grundlegende heilpädagogische Bestrebung besteht darin, das Kind zu unterstützen, Bewusstsein und Wille in die richtige Verbindung zu bringen. Diese beiden Qualitäten sollten nicht für sich isoliert gesehen, sondern als eine Ganzheit in der Entwicklung impulsiert und unterstützt werden. Eine Aktivität, die beides vermag, ist zum Beispiel das Stricken. Dieses führt zu einer Geschicklichkeit und Automatisierung der Bewegung und zugleich zu einer Stärkung des wahrnehmenden Bewusstseins. Steiner hat im Heilpädagogischen Kurs sechs Zustände oder Tendenzen beschrieben, welche bei Kindern mit Entwicklungsstörungen auftreten können. Drei von ihnen lassen sich mit Unruhe und Labilität verbinden, drei weitere beinhalten eine Tendenz zu Passivität und Rigidität und sind demnach mehr mit intellektuellen Behinderungen verknüpft. Unter der Bezeichnung Maniakalie beschreibt Steiner einen Zustand, den wir heute unter dem Begriff Hyperaktivität kennen: konstante Unruhe und ziellose Aktivität. In Kombination mit Konzentrationsschwäche und Aufmerksamkeitsstörungen beschreibt Steiner die Impulsivität. Er sieht diese Störung im Zusammenhang mit einer fehlenden Balance im Stoffwechsel. Als dritten Zustand nennt er die Hysterie, verbunden mit Labilität und Unruhe. Es zeigt sich hier eine erhöhte Reizbarkeit der Sinne. Steiner spricht von einem seelischen Wundsein, das auf ein erhöhtes Bewusstsein in den Sinnen selbst beruht. Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Reizbarkeit ergeben die Diagnose ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder). Kinder und Jugendliche mit dieser Diagnose können ihre Sinneseindrücke nicht richtig filtern. Oben wurde beschrieben, dass sich in der Entwicklung der ersten Jahre der Wille mit den Gedanken verbindet, damit Aufmerksamkeit und Konzentration entstehen. Gleichzeitig muss sich der denkende Mensch mit dem Willensmenschen verbinden, damit Handlungen von Gedanken und Motiven gesteuert werden können. Bei Kindern mit ADHDZeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 13 Beiträge Diagnose können wir beobachten, dass die Integration von Denken und Willen nicht oder nur eingeschränkt stattgefunden hat. Die Kraft des Willens ist nicht in der Lage, sich im Gedankenmenschen als eine fokussierende Kraft zu behaupten. Bei den mehr klassischen Entwicklungsstörungen sehen wir die Ursache oft nicht in kognitiven Problemen im engeren Sinne, sondern in Bewegungs- und Willensproblemen. Der Willenspol bei Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten erscheint zu schwach, sie sind oft körperlich passiv. Um hier entgegenzuwirken, gilt es so früh wie möglich, das Kind – körperlich und seelisch – in Bewegung zu bringen. Impuls und Kontrolle sind hier die Schlüsselbegriffe und müssen als Qualitäten gefördert werden. Als zweiten Zustand beschreibt Steiner das Problem der Zwangserscheinungen in Verbindung mit Verschlossenheit und Rigidität. Sie stellen ebenfalls eine Problematik des Willens und des Bewusstseins dar: Die aufgenommenen Eindrücke können nicht richtig vom Willen aufgenommen werden und schlagen ständig ins Bewusstsein zurück. Schliesslich sei noch der Zustand der Epilepsie angesprochen. Damals gehörte sie zu einer der klassischen Diagnosen in der Heilpädagogik; verbunden mit dem Aufmerksamkeitsproblem handelt es sich um einen zentralen Begriff bei Steiner. Er empfiehlt Sinnesübungen, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führen sollen. So könnte man Steiners Aufgaben für Epilepsie auch als Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen im Allgemeinen verwenden. Zuletzt sei noch ein weiterer Aspekt zur Aufmerksamkeit in Verbindung mit der sogenannten Kleptomanie genannt. Steiner zufolge muss man im Kopf eine Art ‹Dieb› sein, sonst bekommt man Lernprobleme. Diese Eigenschaft des Aneignens gehört aber nicht in die Willensregion. Wenn diese Funktion in die Willensregion ‹herunterrutscht›, wird man tatsächlich zum Dieb. Steiner behandelt im Heilpädagogischen Kurs die Kleptomanie als ein Aneignen von Dingen ohne konkretes Bewusstsein. In diesem Fall sollte man therapeutisch das Bewusstsein für die eigenen Hände wecken und durch moralische Erzählungen die Empathie fördern. Wir wissen, dass durch Erziehung, Nachahmung und Autorität allmählich ein Sinn für Moral und für die Gemeinschaft mit anderen Menschen entwickelt werden kann. Steiner betont entgegen der wissenschaftlichen Theorien seiner Zeit, dass Moral im Zusammenleben mit anderen Menschen erlernt werden muss und nicht auf angeborene Anlagen beruht. Dies ist ein wesentlicher Standpunkt, der dazu beiträgt, dass seine Ausführungen auch nach bald neunzig Jahren immer noch relevant sind. 14 Beiträge Ausblick Heilpädagogische Aufgabenstellungen sind Herausforderungen an den Willen. Man könnte folgernd leicht annehmen, dass eine der wichtigsten Eigenschaften im pädagogisch-therapeutischen Zusammenhang die Willenskraft selbst sei. An diesem Punkt aber favorisiert Steiner genau das Gegenteil: Er spricht von einer inneren Gelassenheit, mit der man der Willensschwäche beim Kind gegenüberstehen soll. Es ist hier also vor allem an das Bewusstsein des Heilpädagogen appelliert. Seine Geste ist unterstützend: Der Willensimpuls – die Initiative – muss vom Kind selbst kommen, nicht von uns. Dort, wo die Waldorfschule die ‹Erziehung zur Freiheit› zum Motto hat, ist die Heilpädagogik vielmehr von einer Frage der ‹Verantwortung› für das Schicksal geprägt. Hier müssen wir uns fragen: Wage ich die Verantwortung auf mich zu nehmen? Die Möglichkeit des Scheiterns ist stets gegeben, und auch beim grössten Erfolg gibt es ein Versagen. Ich wünsche uns daher Mut und möchte abschliessen mit den Worten Samuel Becketts: «Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.» Heilpädagogin (Eckwälden), Master in Sonderpädagogik (Spezialpädagogik) Universität in Oslo. Langjährige Praxis/Tätigkeit als Sonderlehrerin/Spezialpädagogin in Heilpädagogischen Schulen und Waldorfschule. Phd (UiO) Entwicklung/Geschichte der Anthroposophischen Heilpädagogik in Norwegen. Dozentin (Assistant Professor) an der Rudolf Steiner Hochschule (R. Steiner University College/Rudolf Steinerhøyskolen) in Oslo. Ab 2012 verantwortlich für ein neues BA-Programm in Sozialpädagogik an der Rudolf Steiner Hochschule. Anmerkungen (1) Vortrag vom 9.10.2012 auf der ‹Internationalen Tagung für Heilpädagogik und Sozialtherapie› in Dornach. Literatur König, K. (1998). Die ersten drei Jahre des Kindes. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart. Steiner, R. (1992). Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik. GA 293, 9. Aufl. Rudolf Steiner Verlag, Dornach. Steiner, R. (1995). Heilpädagogischer Kurs. GA 317, 8. Aufl. Rudolf Steiner Verlag, Dornach. Teigen, K.H. (2005). En psykologihistorie. Fagbokforlaget, Bergen. Uhlenhoff, W. (2007). Die Kinder des Heilpädagogischen Kurses. Krankheitsbilder und Lebenswege. Freies Geistesleben, Stuttgart. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 15 Claudia Fabisch-Pieper Aus dem Kunstunterricht der Mittelstufe Titelbild: ‹Baumhaus› Die fünf Bilder, die in dieser Ausgabe und auf der Titelseite zu finden sind, wurden von Schülerinnen und Schülern der sechsten und siebten Klasse der Sonnenhellweg Schule in Bielefeld, einer Waldorfförderschule mit den Förderschwerpunkten ‹Lernen› und ‹Geistige Entwicklung›, im letzten Schuljahr gemalt. In dieser Schule wird in der fünften bis achten Klasse das Fach ‹Kunst› mit jeweils einer Doppelstunde wöchentlich unterrichtet. In Ergänzung der künstlerischen Ausdrucksformen des Hauptunterrichts, die vorrangig der Vertiefung und Festigung des behandelten Themas dienen, stehen hier die individuellen Interessen und Befindlichkeiten der Kinder und Jugendlichen im Zentrum des künstlerischen Arbeitens. Kleine Gruppen von ca. fünf Schülerinnen und Schülern unterstützen dieses Ziel. In angeleiteten und freien Themenstellungen sollen die malerischen Möglichkeiten erweitert und eigenen Ausdrucksweisen Raum gegeben werden. Neben dem Malen ist das gemeinsame wertschätzende Betrachten und Wahrnehmen jedes einzelnen Bildes von erheblicher Bedeutung. In vielen Variationen nehmen jahreszeitliche Bezüge der Bildthemen einen breiten Raum ein, aber auch spezielle Interessen der Kinder und Jugendlichen werden aufgegriffen und mit Hilfe von zusätzlichen Informationen oder Abbildungen vertieft und weiterentwickelt. So wird über den Zeitraum des Mittelstufenunterrichts hin je nach Entwicklungsstand mehr oder weniger angeleitet gemalt und der wachsenden Individualisierung Gestaltungsund damit Entwicklungsräume eröffnet. 16 Sowohl das Bildthema als auch Zeichenmaterial konnten frei gewählt werden. Armin, siebte Klasse, zeichnete sein Bild mit Buntstiften auf Zeichenpapier im Din A3-Format. Es erzählt vom Plan in der Gemeinschaft, in der er lebt, ein Baumhaus zu bauen. Man sieht dem Bild an, dass er sich für das Vorhaben begeistert. Das zentrale Schild mit dem Namen der Lebensgemeinschaft umgibt Armin mit aufmerksam beobachteten Details. Bild Seite 11: ‹Vase mit Tulpen› Nachdem das Bild ‹Rote Tulpen in weisser Vase› von August Macke gemeinsam in der siebten Klasse angeschaut und besprochen wurde, malten die Schülerinnen und Schüler es mit Ölkreide auf hellblauen Tonkarton grossformatig ab. Die Bilder wurden sehr individuell, besonders in Bezug auf die Grössenverhältnisse. Es kam beim Abzeichnen nicht auf Ähnlichkeit an, sondern auf die persönliche Auseinandersetzung mit dem Vorbild. Bild Seite 17: ‹Baum mit Wiese› Der Unterricht in der siebten Klasse begann mit einem gemeinsamen Gespräch über die Jahreszeit und ihre besonderen Merkmale. Dann sollte ein Bild mit einem oder mehreren Bäumen im Din-A3 Format gemalt werden. Can benutzte für sein Bild Buntstifte und Ölkreiden. Die lichte und fröhliche Frühlingsstimmung bekam auf seinem Bild durch den Vogelschwarm eine heitere Dynamik. Baum mit Wiese, Can Joost Bild Seite 20: ‹Katzen› Bild Seite 49: ‹Gelbe Blüten in grüner Wiese› Sonja aus der sechsten Klasse hatte von zu Hause zwei Plüschtiere mitgebracht, die sie mit Aquarellfarben abmalen wollte. Das Din-A3formatige Aquarellpapier durfte nur leicht feucht sein, damit die Gestaltungen nicht zu sehr verlaufen konnten. Sonja wählte und mischte ihre Farben selbst und entwickelte ihr Bild spielerisch in innerer Kommunikation mit den Farben und den mitgebrachten Vorbildern. Die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse tupften verschiedenen Gelbtöne auf nasses Aquarellpapier, auf dem die Farbe stark auseinanderlief und so fast von alleine leuchtende Blüten bildete. In die Zwischenräume wurden dann grüne Blättchen, Stängel und Gräser getupft, die das satte Leuchten der Gelbtöne noch verstärken. Hier tauchte die ganze Gruppe gemeinsam in ein frühlingshaftes Farberlebnis ein. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 17 Jan Göschel Hirten und Könige – ein Weihnachtsbild zur Autismusforschung und eine Anregung zu einer imaginativen Menschenkunde Der britische Autismusforscher Simon Baron-Cohen arbeitet schon seit einiger Zeit mit einer Theorie des Autismus, die im Wesentlichen das Verhältnis zweier grundlegender Bewusstseinsleistungen thematisiert: der ‹Empathie› einerseits und des ‹Systematisierens› andererseits.1 Unter ‹Empathie› versteht Baron-Cohen die Fähigkeit, die Gefühle, Gedanken und Absichten anderer Menschen wahrzunehmen, zu verstehen und das eigene Verhalten an ihnen auszurichten. Zum ‹Systematisieren› gehören all diejenigen Bewusstseinsleistungen, die sich auf das Erfassen von Ordnungsprinzipien, Gesetzmässigkeiten, Zahlenverhältnissen und Mustern richten. Während die Empathiefähigkeit also Golemans (2005) Begriff der emotionalen Intelligenz nahesteht, sind die kognitiven 18 Beiträge Leistungen des Systematisierens qualitativ mehr dem klassischen Intelligenzbegriff verwandt. Nach Baron-Cohen stellen diese beiden Fähigkeiten zwei grundlegende Dimensionen des psychologischen Profils dar, deren jeweilige individuelle Ausprägung sich mittels geeigneter Tests als EQ (Empathy Quotient) und SQ (Systemizing Quotient) quantifizieren lässt. Die Verteilung von EQ und SQ in der Bevölkerung etabliert dabei in etwa die Normalkurve, das heisst, die meisten Menschen erzielen im EQ-Test und im SQ-Test einen Quotienten, der in der Nähe des statistischen Mittels liegt, während bedeutend höhere oder niedrigere Werte mit abfallender Häufigkeit auf dem Spektrum auftreten.2 Baron-Cohen sieht diese Variation als überwiegend neurobiologisch verankert. Dabei fällt ein systematischer Unterschied zwischen den Geschlechtern auf: Während Frauen tendenziell höhere EQ-Werte erzielen, überwiegt bei Männern im statistischen Mittel eher der SQ-Faktor. Obwohl natürlich beide Gruppen auch eine grosse Anzahl von Individuen enthalten, die nicht in dieses Muster passen, scheint die unterschiedliche Verteilung von EQ und SQ statistisch stabil. Bei Menschen, die den klinischen Kriterien für eine Autismus- oder Aspergerdiagnose entsprechen, liegt zumeist eine extrem ausgeprägte Version des ‹typisch› männlichen psychologischen Profils vor: Sie haben einen auffallend geringen Empathie-Quotienten, gepaart mit einem ungewöhnlich hohen Systematisierungs-Quotienten (Wheelwright et al. 2006). Dies führt Baron-Cohen (2008) zu der Annahme, dass es sich beim Phänomen des Autismus im Wesentlichen auch neurobiologisch um eine stark ausgeprägte Form des männlichen Profils handelt. Er sieht dies unter anderem darin bestätigt, dass die Zahl der männlichen Autismus- und Aspergerdiagnosen diejenige der weiblichen weit übersteigt. Aufgrund anderer Untersuchungen schliesst er zudem, dass die beiden Fähigkeiten, Empathie und Systematisieren, obwohl sie zu einem gewissen Grad unabhängig voneinander variieren, doch nicht völlig getrennt sind, sondern als Elemente eines individuellen neurobiologischen und psychologischen Profils auch miteinander im Wettstreit stehen, sodass ein überdurchschnittlicher EQ-Wert tendenziell eher einen unterdurchschnittlichen SQ-Wert bedingt (und umgekehrt)( Goldenfeld, Baron-Cohen & Wheelwright, 2006). Nun beruht ein solches Verständnis der Variation im individuellen Persönlichkeitsprofil selbst eher auf einem systematisierenden Ansatz. Das sich ergebende Bild ist sicher nicht ganz falsch, verstellt aber durch seine relativ statische Struktur vielleicht auch den Blick auf die feineren und beweglicheren Aspekte des Phänomenzusammenhanges, den Baron-Cohen und seine Mitarbeiter zu erfassen suchen. Interessant wäre die Beobachtung, wie sich derselbe Zusammenhang darstellt, wenn er an Stelle eines einseitig systematisierenden Zuganges auch mit den Mitteln der Empathiefähigkeit erschlossen werden sollte. Dazu müssen die abstrakte Begrifflichkeit und das Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 19 Beiträge Denken in statistischen Mustern in offene und dynamische Bildvorstellungen umgestaltet werden, welche als blicklenkende Imaginationen geeignet sind, die entsprechenden Wesenszüge der betrachteten Erscheinungen hervorzuheben und dadurch sichtbar und begreifbar zu machen. Als ‹Motivbilder› (Göschel 2012) hierzu eignen sich die Bilder der Hirten und der Könige, die an beiden Enden der Weihnachtsnächte stehen und diesen ihren Rahmen geben, so wie sie auch beispielsweise in den Oberuferer Weihnachtsspielen dargestellt sind (vgl. Martin, 1995). Die Hirten sind bei ihren Schafen in der Nacht. Sie suchen nicht mit bewusster Absicht nach dem Kind; die Verkündigung des Engels kommt ihnen im Traum zu. Durch ihre offenen Herzen haben sie die Möglichkeit, diese Offenbarung aufzunehmen, ohne sie aber zunächst begrifflich fassen zu können. Sie spüren dann, nach wie vor mehr träumend als wachend, diesem Erlebnis, das sie tief ergriffen hat, nach. Ihre ‹Hellfühligkeit› führt sie schliesslich zur Geburtsstätte des Christkindes, wo ihr inneres Erlebnis seine äussere Bestätigung erfährt. Die Hirten des Oberuferer Spieles machen auf diesem Weg eine Verwandlung durch. Vor dem Traum und der anschliessenden Begegnung mit dem Christkind sind ihre Gefühle und Seelenregungen noch wie eine freilaufende Schafherde, die den ihnen entgegenkommenden Eindrücken relativ schutzlos ausgeliefert ist. Das macht sie zwar sehr sensibel für alles, was sich in den Feldern und Büschen regt, aber eben auch verletzbar. Auf mögliche Bedrohungen reagiert die Herde unmittelbar aus subjektiver Befindlichkeit, ohne dass sie im Hirten ein sicheres Zentrum findet, das ihren Bewegungen Intentionalität, Richtung und Geschlossenheit geben könnte. Erst nach ihrer Verwandlung treten die Hirten mit einer neuen inneren Sicherheit auf. Sie haben die Fähigkeit erhalten, mit den durch ihre Herzensoffenheit und Empfindsamkeit an sie herantretenden Wahrnehmungen souverän und mit neuen Verständnismöglichkeiten umzugehen, ohne dass ihre Sensibilität dazu auch nur im Geringsten abgestumpft wäre. Im Gegenteil – ihre Gabe, die Bedürfnisse und Nöte der Menschheit fühlend mitzuerleben, hat durch die neue innerlich aufrechte Haltung und Stabilität eine Vertiefung erhalten, aus der sich der tiefere Sinn des erlebten Geschehens allmählich zu klären beginnt. Der Weg der Könige ist ein anderer. Sie erfassen denkend die kosmischen Zusammenhänge, haben die Bewegungen der Himmelskörper studiert, ihre Gesetzmässigkeiten und Ordnungsprinzipien nach Mass und Zahl erfasst, und können aus ihren Einblicken in diese komplexen Zusammenhänge klare Vorhersagen und Fragestellungen ableiten. Sie begeben sich aus bewusst gefasstem Entschluss auf eine Suche, deren Ziel ihnen klar vor Augen steht. Dabei wird ihnen der Weg gewiesen von dem Stern, dem sie mit ihren Instrumenten und ihren astronomischen und mathematischen Kenntnissen folgen. Auf ihrem Weg begegnen sie dem Gegenbild des weisen Königs, dem Herodes. Anstatt aus dem Einblick in die Weltgesetze so zu regieren, dass auch 20 Beiträge Katzen, Sonja Schürholz in der menschlichen Gemeinschaft alles in seine rechte Ordnung kommt, missbraucht er seine Intelligenz zur Untermauerung seiner eigenen persönlichen Macht. Alles, was höhere, überpersönliche Wirklichkeit ist, erlebt er als Bedrohung. Zunächst verkennen die drei Weisen jedoch die tyrannischen Mächte, denen er zum Instrument geworden ist. Sie grüssen ihn als König, als Ihresgleichen, und lassen sich auf das Versprechen ein, ihm das Ergebnis ihrer Suche auf dem Rückweg mitzuteilen. Erst nach der Begegnung mit dem Kind, dem sie ihre Geistesgaben opfern, sie also der höheren Wirklichkeit und der Menschheitszukunft zur Verfügung stellen, werden sie der drohenden Gefahr durch Herodes gewahr – und zwar diesmal im Traum! Ähnlich, wie bei der Verkündigung an die Hirten vor ihrer Begegnung mit dem Kind, erscheint den Königen nun im Schlaf der Engel, der sie einen anderen Rückweg suchen lässt, ohne Herodes die Nachricht vom Geburtsort des Jesuskindes zu überbringen. Es ist nicht die Sternenweisheit, sondern die Offenbarung aus den halbbewussten Seelentiefen, in denen die Hirten beheimatet sind, die sie davor bewahrt, ihre neu gewonnenen Erkenntnisse unwillentlich der paranoiden Herrschaftssucht des Herodes zu überlassen. Sowohl das Bild des Hirten als auch das des Königs trägt in sich potentiell den ganzen Menschen – allerdings jeweils unter anderem Vorzeichen. Vollständig sind beide Bilder jedoch nur, wenn sie miteinander in innerer Beziehung stehen; das heisst, Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 21 Beiträge wenn in der Herzensoffenheit des Hirten die Bewusstseins- und Geisteskräfte des Königs angelegt sind und wenn die systematische Verstandestätigkeit des Königs von der seelisch-geistigen Aufnahmefähigkeit des Hirtenherzens durchdrungen wird. Die unterschiedlichsten menschlichen Einseitigkeiten lassen sich als Variationen dieser beiden Bilder und ihres Zusammenklanges auffassen. Dabei lässt sich zum Beispiel an die polaren Konstitutionsbilder denken, die Steiner (1990) im ‹Heilpädagogischen Kurs› in drei sich jeweils gegenüberstehenden Paaren entwickelt. Nach ihren klassischen Bezeichnungen sind diese in der anthroposophischen Heilpädagogik bekannt als der ‹epileptische› Typus, der dem ‹hysterischen› gegenübersteht; der ‹eisenreiche› (bzw. ‹schwefelarme›) Typus, im Gegensatz zum ‹schwefelreichen›; und der ‹schwachsinnige› Typus als Gegenpol des ‹manischen› (siehe dazu auch Holtzapfel 2003). In ihrem Versuch, diese Konstitutionsbilder zu systematisieren und ein Messinstrument für ihre Erfassung zu entwickeln, prägen Niemeijer und Baars (2004) für diese drei Polaritätspaare folgende neue Begriffe und klären gleichzeitig, in welchem Organsystem und auf welcher damit verbundenen psychologischen Funktionsebene das jeweils bezeichnete Spannungsverhältnis seinen Schwerpunkt hat: Überwiegen des zentripeda- Organsystem len Formprinzips Psychologische Ebene Überwiegen des zentrifugalen Auflösungsprinzips zwanghaft/eisenreich (‹schwefelarm›) Nerven-Sinnessystem Denken vergesslich/schwefelreich (‹schwefelreich›) geschlossen/gestaut (‹epileptisch›) Rhythmisches System Fühlen offen/ausfliessend (‹hysterisch›) schwer/träge (‹schwachsinnig›) Stoffwechsel-Gliedmassen- leicht/überbeweglich (‹manisch›) system Wollen Abb. 1: Spannungsverhältnis zwischen Organsystem und Funktionsebene Das erste Polaritätspaar steht auf der psychologischen Ebene mit jener Bewusstseinsleistung im Zusammenhang, die Baron-Cohen als Systematisieren bezeichnet. Dies ist die Ebene, auf der die Könige ihre Tätigkeit entfalten. Ein weiser König überschaut sowohl Details als auch grosse Ordnungszusammenhänge und kann deren Gesetze und Prinzipien so handhaben, dass um ihn herum Ordnung, Klarheit und ein harmonisches Zusammenspiel der verschiedenen Elemente seines Herrschaftsbereiches entstehen und aufrechterhalten werden. Der zwanghaft/eisenreiche König aber wird zum Tyrann, beziehungsweise von seiner eigenen Tyrannei beherrscht.3 Sein Umgangsstil ist fest und vorhersehbar. Er verhakt sich in einmal erfassten Formen und Gedankenmustern, die starr und unflexibel wei22 Beiträge tergeführt werden, weil er das Gefühl hat, ohne sie den Grund unter den Füssen zu verlieren. Er ist übergenau, pingelig und neigt stark zur Kontrolle des eigenen Tuns, was bis zur Zwanghaftigkeit führen kann. Er ist oft launisch und gereizt und erinnert sich selbst an fern zurückliegende Ereignisse, als ob sie gestern stattgefunden hätten. Der ständig um seine Kontrolle fürchtende, machtbesessene und paranoide Herodes gehört sicher diesem Typus an. Am anderen Ende des Spektrums findet sich der vergesslich/schwefelreiche König. Im Gegensatz zum herrschaftssüchtigen Herodes ist er der Thronfolger, der sich zwar gerne im Palast vergnügt, aber für seine eigentliche Herrschaftsaufgabe wenig übrig hat. In Gesprächen mit seinen Beratern hat er Schwierigkeiten, beim Thema zu bleiben. Er lässt seine Gedanken leicht fahren und es fällt ihm schwer, sich zuverlässig an Vergangenes zu erinnern. Daher hat auch sein Handeln wenig Kontinuität; er ist unvorhersehbar im Kontakt mit Anderen und unsicher, wenn er mit Entscheidungssituationen konfrontiert wird. Seiner Nachlässigkeit wegen müssen seine Höflinge ständig hinter ihm aufräumen und seine Geschäfte in Ordnung bringen. Wenn alles zu viel wird oder auch unter dem Einfluss von starkem Druck kommt es zu plötzlichen, explosionsartigen Wutausbrüchen, die aber ebenso schnell wieder vergessen sind. Mit dem zweiten Polaritätspaar wird die Bewusstseinsebene des Fühlens und der rhythmischen Prozesse angesprochen, in der die Empathiefähigkeit angesiedelt ist. Das ist der seelische Bereich der Hirten. Der gute Hirte steht mit seinem Stab inmitten seiner Schafe und breitet sein Bewusstsein kontinuierlich über die gesamte Herde aus. Er nimmt jede von aussen angeregte Bewegung wahr und kann der Herde selbst kontrollierte und gezielte Bewegungsimpulse und Richtungen geben. Seine Schafe bewegen sich frei auf der Weide, kommen aber auf seinen Ruf hin jederzeit zu ihm zurück. Er kennt sie und ihre Befindlichkeiten so gut, dass jede Störung, jede unerwartete oder ungewohnte Regung ihm unmittelbar Aufschluss gibt über das eigene Wohlbefinden der Herde und über deren Wahrnehmungen und Begegnungserlebnisse in der Peripherie – sei es ein kommender Wetterumschwung, ein herannahender Fremder oder gar ein aggressiver Wolf. Anstatt in Panik zu geraten wissen die Schafe, dass sie immer bei ihrem Hirten sichere Zuflucht finden können. Deshalb können sie sich mit Vertrauen frei auf der Weide bewegen. Der geschlossen/gestaute Hirte behält seine Schafe zumeist im Stall. Selbst wenn er die Stalltür öffnet, fällt es ihm schwer, sie durch die Öffnung ins Freie zu treiben. Daher ist seine Herde zwar relativ sicher und unempfindlich, kommt sie doch kaum je mit der Aussenwelt in unmittelbaren Kontakt. Andererseits hat aber auch der Hirte im engen Innenraum keine Möglichkeit, die Bewegungen seiner Herde genauer kennenzulernen, sich mit ihr zu bewegen und durch sie die Umgebung wahrzunehmen. Kommt die Herde doch einmal in Gang, kann er sie dann nicht mehr zurückhalten, Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 23 Beiträge sondern sie bricht unkontrolliert durch die Stalltür nach aussen und der Hirte hat mit seiner in der Enge unterentwickelten Beweglichkeit alle Mühe, ihr nachzukommen und sie wieder einzusammeln. Wie steht es aber nun um das dritte Polaritätspaar? Ein freies, selbstbestimmtes Handeln im Einklang mit der Wirklichkeit und mit den Bedürfnissen der Welt erfordert das richtige Zusammenwirken von König und Hirten, von erkennender, ordnungsschaffender Geistesklarheit und mitfühlender, seelensorgender Herzensoffenheit. Das ist das Bild, in das Rudolf Steiners ‹Grundsteinmeditation› mündet (Martin 1995): In der Zeiten Wende Trat das Welten-Geistes-Licht In den irdischen Wesensstrom; Nacht-Dunkel Hatte ausgewaltet; Taghelles Licht Erstrahlte in Menschenseelen; Licht, Das erwärmet Die armen Hirtenherzen; Licht, Das erleuchtet Die weisen Königshäupter. Göttliches Licht, Christus-Sonne Erwärme Unsere Herzen; Erleuchte Unsere Häupter; Dass gut werde, Was wir Aus Herzen gründen, Was wir Aus Häuptern Zielvoll führen wollen. Zur Entfaltung von Initiativkraft müssen im Handeln der Beginn und das Zu-Ende-Bringen in das richtige Verhältnis kommen. Dazu braucht es Enthusiasmus auf der einen Seite und Geduld auf der anderen. Der Hirte, der in sich den König trägt, entwickelt Geduld – die Souveränität, auszuharren und dabeizubleiben, komme, was wolle. Sie schöpft aus der Möglichkeit grosse Zusammenhänge und lange Zeitspannen zu 24 Beiträge überblicken. Der König, der in sich das Hirtenherz gefunden hat, entfaltet Enthusiasmus – die Begeisterung, die aus der Liebe zum Dienst am Anderen und an der Welt erwächst. Im schweren/trägen Typus überwiegen Stetigkeit und Geduld, ohne dass sie mit entsprechendem Enthusiasmus gepaart sind. Das Ergebnis ist Bewegungsarmut, ein schwerer Gang mit schwacher Muskelspannung, wenig Initiative bei gleichmässiger Stimmung, kaum Aufmerksamkeit und wenig Reaktion auf Begebenheiten in der Umgebung. Im leicht/überbeweglichen Typus fehlt diese Stetigkeit; stattdessen herrscht bei wechselhafter Stimmung ein ungezügelter und richtungsloser Enthusiasmus bis mitunter zu Hyperaktivität vor, der ständig neue Initiativen findet, sich aber dann wieder leicht von äusseren Reizen und inneren Regungen ablenken lässt und letztlich nichts zu Ende führt. Eine heilpädagogische Menschenkenntnis sollte selbst dahin führen, dass sie im Pädagogen sowohl Geduld als auch Enthusiasmus erweckt, sodass sie ihn zum handlungsfähigen Menschen mit Initiativkraft und Durchhaltevermögen macht. Darin liegt der Wert eines lebendig-bildgestaltenden Blickes auf menschliche Situationen. Als ‹Motivbilder› oder handlungsleitende Erkenntnismittel können menschenbildliche Imaginationen wie die der Hirten und der Könige dynamische Zusammenhänge, Spannungsverhältnisse und innere Widersprüchlichkeiten fassen, die in formalisierten Begriffskonstrukten verloren gehen. So misst Baron-Cohens Empathie-Quotient Symptome der Empfindsamkeit für die seelische Befindlichkeit anderer Menschen, kann aber den Umgang damit nicht richtig fassen. Der Blick bleibt verschwommen, wenn es um den differenzierten Einblick geht, ob diese Sensibilität vor allem als Verwundbarkeit auftritt und zu Selbstverlust führt oder ob sie mit einer inneren Sicherheit gepaart ist, aus der sie als Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeit für menschliche Situationen erschlossen werden kann, ohne dass der so Empfindende von seinen Eindrücken überwältigt wird und ihnen zum Opfer fällt. Auch rechnet der linear definierte EQ-Begriff nicht mit der Möglichkeit, anstelle der Ermittlung eines Gleichgewichts in einem statischen Durchschnitt eine seelische Beweglichkeit zu erlangen, sich je nach Bedarf und Situation ganz zu öffnen oder sich auch aus eigenem Entschluss zurückzuziehen und zeitweilig von äusseren Eindrücken abzuschliessen. Eine ähnliche Beweglichkeit liesse sich auch im Bereich des Systematisierens anstreben, wo es ebenfalls darum ginge, sich von der eigenen Tendenz zur Einseitigkeit durch Ausbildung der Fähigkeit zu emanzipieren, sich zwischen beiden Polen situationsgemäss frei zu bewegen. In den statistischen Konstrukten, mit denen BaronCohens Forschung diese beiden Dimensionen erfasst, kommt diese differenzierte Anschauungsweise zu kurz, da sie jene innere Beweglichkeit und die Sicherheit, mit welcher der Einzelne diese Bewegungen intentional beherrschen und durchführen kann, nicht erfassen können. Werden konkrete Einzelsituationen aber mit Hilfe lebendiger Bilder beleuchtet, die deren Wesensstruktur entsprechen, so lassen sich in den Variationsmöglichkeit die jeweils relevanten dynamischen Prozesse, SpanZeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 25 Beiträge nungsverhältnisse und die in ihnen angelegten Entwicklungsmöglichkeiten auffinden und sichtbar sowie mitteilbar machen. Darin liegt der qualitative Vorzug einer imaginativ-bildgestaltenden Menschenkunde, die in sich die systematische Klarheit des Königsbewusstseins mit der Empathiefähigkeit der Hirten vereinigt. Aus einem solchen gleichermassen liebe- und verständnisvollen Blick können der Wille und die richtungsweisende Inspiration für (heil-)pädagogisches Handeln fliessen. Vielleicht kann hierzu auch dieses Weihnachtsbild einen kleinen Beitrag leisten. Jan Christopher Göschel wurde an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Fach Heilpädagogik und Rehabilitationswissenschaften promoviert. Er ist Mitglied des Leitungskollegiums der Schulgemeinschaft Camphill Special School in der Nähe von Philadelphia (Pennsylvania) und Leiter des Ausbildungsnetzwerkes der Camphill Gemeinschaften in Nordamerika. Anmerkungen (1) Baron-Cohen, 2008; Baron-Cohen & Wheelwright, 2004; Goldfeld, Baron-Cohen & Wheelwright, 2006; Wheelwright, Baron-Cohen, Goldenfeld, Delaney, Fine, Smith, Weil & Wakabayashi, 2006; Baron-Cohen, Richler, Bisarya, Gurunathan & Wheelwright, 2003. (2) Die aufgeführten Artikel und Fragebogeninstrumente von Baron-Cohen und seinen Mitarbeitern sind auf der Website des Autism Research Centre der Universität Cambridge (www.autismresearchcentre.com) zugängig. (3) die folgenden Charakteristiken der sechs Konstitutionstypen mittels ihrer psychologischen Symptomatologie sind weitgehend Niemeijer und Baars (2004) entnommen. Literatur Baron-Cohen, S. (2008): Autism and Asperger Syndrome. OUP, Oxford. Baron-Cohen, S., Richler, J., Bisarya, D., Gurunathan, N. & Wheelwright, S. (2003): The systemizing quotient (SQ): An investigation of adults with Asperger syndrome or high functioning autism and normal sex differences. Philosophical Transactions of the Royal Society, Series B, Special issue on ‹Autism: Mind and Brain› 358. p. 361-374. Baron-Cohen, S. & Wheelwright, S. (2004): The empathy quotient (EQ). An investigation of adults with Asperger syndrome and high functioning autism, and normal sex differences. Journal of Autism and Developmental Disorders, 34. p. 163-175. Goldenfeld, N., Baron-Cohen, S. & Wheelwright, S. (2006): Empathizing and systemizing in males, females and autism. Clinical Neuropsychiatry 2(6). Goleman, D. (2005): Emotional Intelligence: Why it can matter more than IQ (Tenth Anniversary Edition). Bantam Books, New York. Göschel, J.C. (2012): Der biografische Mythos als pädagogisches Leitbild: Transdisziplinäre Förderplanung auf Grundlage der Kinderkonferenz in der anthroposophischen Heilpädagogik. Verlag am Goetheanum & Athena Verlag, Dornach/CH & Oberhausen. Holzapfel, W. (2003): Seelenpflegebedürftige Kinder (Band I und II). Verlag am Goetheanum, Dornach/CH. Lawrence, E.J., Shaw, P., Baker, D., Baron-Cohen, S. & David, A.S. (2004): Measuring empathy: reliability and validity of the empathy quotient. Psychological Medicine, 34. p. 911-919. Martin, M. (1995): Hirten und Könige in den Oberuferer Weihnachtsspielen. Verlag am Goetheanum, Dornach/CH. Niemeijer, M. & Baars, E. (2004): Bild-gestaltende Diagnostik der kindlichen Konstitution: Die Entwicklung eines Messinstruments. Louis Bolk Instituut, Driebergen/NL. Steiner, R. (1990): Heilpädagogischer Kurs. Rudolf Steiner Verlag, Dornach/CH. Wheelwright, S., Baron-Cohen, S., Goldenfeld, N., Delaney, J., Fine, D., Smith, R., Weil, L. & Wakabayashi, A. (2006): Predicting autism spectrum quotient (AQ) from the systemizing quotient-revised (SQ-R) and empathy quotient (EQ). Brain Research, 1079. p. 47-56. 26 Medizinische Sektion Freie Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie Jahresbericht 2012 Was bedeutet Repräsentation? Die Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie ist eine Organisation von Repräsentantinnen und Repräsentanten, von Menschen also, die in den Zusammenkünften nicht um ihrer selbst willen zusammen kommen, sondern als Vertreter von Ländern und Arbeitsgruppen. Gleichwohl haben sie ihre Mitarbeit in diesem Kreis zu ihrer persönlichen Aufgabe gemacht und ihr Gelingen beruht gerade darauf, dass sie ein überpersönliches Anliegen auf persönliche Art und Weise – individuell – vertreten. Damit sind verschiedene Aufgaben und Anforderungen verbunden: Als Repräsentant muss man die «Lebensprozesse» einer Organisation abbilden können, d. h. dasjenige, was sich in der Zeit prozessual ereignet und vollzieht «ins Bild» setzen und die Ideen und Gedanken, die in den Prozessen leben, in ihrer Komplexität erkennen und ins Wort bringen können. Dann bringt man nicht nur ein totes Bild des Bestehenden mit, sondern ist Träger der Willensprozesse und Intentionen, die in einem Zusammenhang lebendig sind und ist fähig diesen zu vertreten sowie bevollmächtigt, an Entschlüssen in seinem Sinn mitzuwirken. Im Austausch mit den anderen Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 Repräsentanten kann man mit den eigenen Erfahrungen an gemeinsamen Erkenntnissen und Lösungen mitwirken. Um das zu ermöglichen, muss man das Mitgebrachte loslassen und zurückstellen können, damit im Gespräch etwas Neues, noch Unbekanntes, vielleicht Unerwartetes entstehen kann. Kommt man zurück, kann man bemerken, dass man das Eigene nun im Licht eines grösseren Ganzen zu betrachten vermag. Der eigene Hintergrund, auf dem man Alltagshandeln und Entwicklungsprozesse verstehen kann, ist reicher und tiefer geworden. Im Zurückkommen ist man nicht nur Repräsentant der eigenen Organisation oder Gemeinschaft, sondern man ist Repräsentant des Kreises, in den hinein man delegiert worden ist. Die Brücke zwischen dem einen und dem anderen zu finden ist eine weitere Aufgabe: weniger eine Sache von Berichten und Protokollen, sondern mehr eine Frage, ob die prozessualen Wandlungsprozesse der Repräsentationsaufgabe den jeweiligen Menschen in veränderter (erweiterter) Weise in das jeweilige Ganze stellen. Dann wirkt nicht mehr nur ein Bild oder ein Gedanke, sondern eine lebendige Willensbeziehung. 27 Aufgaben Was hier eher schlicht und ohne die zahlreichen Implikationen und Probleme solcher Prozesse angesprochen ist, gehört zu den grundlegenden Fragen einer gelingenden und verbindlichen Sozialkultur. Insofern ist es von zentraler Bedeutung, dass Repräsentation in ein Kollegium oder eine Gemeinschaft zurückgebunden ist. Als Repräsentant ist man nicht selbsternannt, sondern man hat ein Mandat auf Zeit und muss selbst prüfen, ob man dieses Mandat noch besitzt oder nicht. Dieser Selbstwahrnehmungsund Prüfungsaspekt ergänzt die kollegialen Wahlmodalitäten, durch die ein Repräsentant benannt wird. Der Auftrag der Repräsentanz erfüllt sich aufgrund mehrerer Bedingungen, die sein Gelingen erfordert. Zwei davon sind Verbundenheit und Interesse. Der Prozess der Abbildung eines sozialen Ganzen ist letztlich nur zu leisten, wenn man damit innerlich verbunden ist, mit Interesse und Liebe Anteil 28 nimmt. Ein Bild zu schaffen heisst indes auch, einen Prozess der Distanznahme zu vollziehen, Abstand zu gewinnen, «von Ferne» auf das Eigene zu schauen, ein Prozess der mit Zunahme an Freiheit und Unabhängigkeit verbunden ist. In seinem «Motto der Sozialethik» hat Rudolf Steiner diese polare Geste der Sozialgestaltung in ihrer reziproken Wirksamkeit formuliert: «Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft». Die Aufgaben der Konferenz Die Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie ist ein Organ der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, die ihren Sitz am Goetheanum in Dornach, Schweiz hat. Sie ist ein Netzwerk, in dem nationale Verbände und Einrichtungen aus fast 50 Ländern zusammenarbeiten. Sie sieht ihre Aufgabe in der Arbeit an den auf der Anthroposophie beruhenden geisteswissenschaftlichen Grundlagen der Heilpädagogik und Sozialtherapie, der Wahrnehmung aktueller Fragestellungen der heilpädagogischen und sozialtherapeutischen Arbeit, der Begegnung, Wahrnehmung, Unterstützung von Initiativen und Angeboten für Menschen mit Hilfe- und Unterstützungsbedarf im Sinne von deren Integration und Inklusion in die Lebensfelder der Gesellschaft und Gemeinschaft in einer kulturellen Vielfalt sowie der Gemeinschaftsbildung von Menschen, die an gemeinsamen spirituellen, kulturellen, wissenschaftlichen und praktischen Aufgaben über Ländergrenzen hinweg zusammenwirken. Die Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie wurde im Jahr 1979 gegründet, um ein gemeinsames Organ für die international wachsende Bewegung der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie zu bilden. Arbeitsgruppen Zusammenarbeitsstrukturen Zur Erfüllung ihrer selbstgewählten Aufgaben arbeitet die Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie in einer jährlichen Plenarversammlung zusammen sowie in einer Reihe von Arbeitsgruppen, die sich mit speziellen Themen befassen. Die jährliche Klausurtagung aller Konferenzmitglieder dient insbesondere der Arbeit an grundlegenden Fragen und der Wahrnehmung einer Bewegung, die sich in vielen Ländern und auf allen Kontinenten findet. Nach Jahren einer fast sprunghaften Erweiterung im Anschluss an den Fall des «Eisernen Vorhangs» ist sie in einen langsameren, aber stetigen Prozess der Erweiterung und Differenzierung getreten. So war im vergangenen Jahr das Land Armenien erstmals in der Konferenz vertreten. Vor allem im asiatisch-pazifischen Raum sind anthroposophische Initiativen, darunter auch für Heilpädagogik, im Entstehen und in der Entwicklung begriffen. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 Die meisten Arbeitsgruppen der Konferenz arbeiten permanent und treffen sich meist ein bis dreimal pro Jahr. Ergänzend gibt es auch ad-hocArbeitsgruppen, die zeitlich begrenzte Aufgaben wahrnehmen. Derzeit arbeiten folgende Gruppen: - Sozialtherapeutische Gruppe - Internationaler Ausbildungskreis mit Ausbildungsrat und Anerkennungsgruppe - Ärzte im Feld Heilpädagogik und Sozialtherapie - Europäische Kooperation für Heilpädagogik und Sozialtherapie - Wissenschaftskreis - Koordinationsgruppe Die Repräsentanten der Konferenz werden aus den jeweiligen Ländern, respektive den Arbeitsgruppen, für die Zeit von drei bis fünf Jahren entsandt. Der genaue Wahlmodus ist den dortigen Verhältnissen überlassen. Die Konferenz unterhält ein Sekretariat in Dornach, dessen Aufgabe in der Koordination der internationalen Zusammenarbeit besteht. In ihrem nunmehr über 30-jährigen Bestehen hat sich die Arbeitsweise der Konferenz mehrfach geändert. Ursprünglich wurden ihre Mitglieder durch die Leitung der Medizinischen Sektion in ihr Amt berufen. Mit dem zunehmenden Wachstum der Bewegung und der zu respektierenden Autonomie der Länder wurde der Auswahlmodus der Entsendung als adäquater empfunden. Ein weiterer Markstein bestand in der Entwicklung eines solidarischen Finanzierungsinstruments, mit dem die Länder einen ihren Verhältnissen entsprechenden Beitrag zur wirtschaftlichen Deckung der Arbeit geben können. Inzwischen zeigt sich, dass aufgrund der Entwicklungen in den Ländern, der wirtschaftlichen Bedingungen und von zunehmenden Differenzierungsprozessen die Struktur der Konferenz weiterentwickelt werden muss, damit sie ihren Aufgaben weiterhin gewachsen bleibt. In welche Richtungen diese gehen kön29 Tagungen nen, ist Gegenstand der Beratungen im kommenden Jahr. Die Konferenz im Jahr 2012 Einer der Höhepunkt des Jahres war die «Internationale Tagung für Heilpädagogik und Sozialtherapie», die von mehr als 800 Menschen aus fast 30 Ländern besucht wurde. Unter dem Titel: «Initiativ werden – Die Kunst des guten Handelns» gab es die Möglichkeit, interessante Vorträge zu hören, sich in Arbeitsgruppen weiter zu bilden, ein Kulturprogramm wahrzunehmen und nicht zuletzt Menschen aus anderen Ländern und Kulturen kennen zu lernen. Nach der Tagung «Bewusstseinsbildung» des Jahres 2010 und der diesjährigen Tagung mit der Frage des Willens könnte die Tagung des Jahres 2014 mit dem Thema «Heilpädagogik und Sozialtherapie als Kultur der Anteilnahme, Achtsamkeit und Empathie» gestaltet werden. Einmal im Jahr treffen sich die Verantwortlichen der Ausbildungsstätten in Kassel zu 30 einer Tagung, an der aktuelle Themen von Ausbildung im Bereich Heilpädagogik und Sozialtherapie sowie Fragen des Netzwerks der Ausbildungsstätten behandelt werden. In diesem Jahr war es die Frage der Vertiefung geisteswissenschaftlicher Inhalte im Hinblick auf eine zeitgemässe und fähigkeitsorientierte Ausbildungskultur. Der Ausbildungsrat des Ausbildungskreises traf in diesem Jahr auch zu einer Konferenz mit allen Ausbildungsstätten des Vereinigten Königreichs in Edinburgh zusammen, um die eher lose gewordene Zusammenarbeit mit ihnen neu zu festigen. Die alle drei Jahre stattfindende Internationale Tagung in Lateinamerika erfolgte diesmal in Quito (Ecuador), wo sich erste heilpädagogische Initiativen auf anthroposophischer Grundlage bilden und den internationalen Zusammenhang in den spanisch und portugiesisch sprechenden Ländern von Süd- und Mittelamerika suchen. Es ist sehr erfreulich zu beobachten, dass diese Tagungen immer mehr in einer Solidaritätsgeste mit allen anderen Ländern – Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, El Salvador, Peru wie auch einigen anderen Ländern, in denen es bisher noch keine eigenen Einrichtungen gibt – stattfinden. In einem weiteren Land Südamerikas gibt es ebenfalls seit vielen Jahren anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie: in der Republik Suriname, in der als einem der ganz wenigen Ländern Lateinamerikas weder spanisch noch portugiesisch gesprochen wird, sondern die Sprache der ehemaligen Kolonialherrschaft der Niederlande. Neben den öffentlichen Tagungen gibt es regelmässige Tagungen für Heilpädagogen und Sozialtherapeuten, die Mitglieder der Ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft sind und insbesondere an der Frage der esoterischen Aspekte des Heilpädagogischen Kurses Projekte Rudolf Steiners arbeiten wollen. Neben den Dornacher Zusammenkünften fand auch eine Tagung für die skandinavischen Ländern in Marjatta (Dänemark) statt. Die Zusammenarbeit mit den Landes- und Angehörigenverbänden auf Tagungen und in Arbeitskreisen gehört zu den prägenden Aufgaben der Konferenz. Im letzten Jahr standen vor allem die Themen Inklusion von Menschen mit Behinderung, Fragen des religiösen Lebens, der Gewaltprävention und der Lebensgestaltung Erwachsener im Vordergrund. Laufende Projekte Das Projekt «Geschichte der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie» konnte zum Ende des Jahres abgeschlossen werden. Es wurde vor mehreren Jahren von Rüdiger Grimm und Brigitte Kaldenberg mit dem Aufbau eines Archivs und der Dokumentation wichtiger Ereignisse und Persönlichkeiten der Heilpädagogik und Sozialtherapie begonnen und in den letzten Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 Jahren durch Rüdiger Grimm und Volker Frielingsdorf für die Publikation vorbereitet, die im Lauf des Jahres erfolgen wird. Ein markantes Ereignis auf dem Weg dieses Projekts zum Buch war ein Kolloquium, an dem eine Reihe prominenter Forscher aus dem Bereich der Fachwissenschaft und der Anthroposophie einen Teil der Ergebnisse diskutierten. Ein Schwerpunkt besteht in der Arbeit am «Heilpädagogischen Kurs» Rudolf Steiners. Dazu wurde die Arbeit an den Kolloquien der letzten Jahre fortgeführt. Auch für das Jahr 2013 sind Veranstaltungen und Publikationen zu diesem Thema in Planung. In Zusammenarbeit mit dem Verband für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie in der Schweiz wurde ein Projekt zur Darstellung der anthroposophischen Sozialtherapie auf den Weg gebracht, das im Jahr 2013 zum Abschluss kommen soll. Das Kernanliegen dieses Projekts liegt darin, die Sozialtherapie als aktuellen Beitrag zur Lebensgestaltung für Menschen mit Behinderung einem Kreis von Fachpersonen wie auch der Öffentlichkeit darzustellen. Als Grundlage dieser Arbeit wurden bereits mehrere Kolloquien und Expertengespräche durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit der Alanus Hochschule findet zum einen durch die Mitarbeit Rüdiger Grimms am Institut für Heilpädagogik und Sozialtherapie und dem dort angebotenen Masterstudiengang «Leitung, Forschung und Bildung in heilpädagogischen und sozialtherapeutischen Aufgabenfeldern» statt. Im Auftrag des deutschen Verbandes für Heilpädagogik, Sozialtherapie und Soziale Arbeit auch durch die Mitarbeit an einem Projekt zur Entwicklung eines Studiengangs zum Master of Education im Bereich Sonderpädagogik, mit dem ein staatlich voll anerkannter Ausbildungsgang für Lehrer in der Heilpädagogik konzipiert werden soll. 31 Publikationen Publikationen Die Zeitschrift Seelenpflege stellte ihrer Leserschaft Material zu den Themen «Biografie» und «Biografiearbeit» zur Verfügung, über Fragen der Ausbildung und über die Anwendung der rhythmischen Massage in der Heilpädagogik. Weiter wurden Fragen der heilpädagogischen Schule, über Religion und Spiritualität und Beiträge zu vielen anderen Themen bearbeitet. An dieser Stelle sei den Autorinnen und Autoren sehr herzlich für ihre interessanten und weiterführenden Beiträge gedankt. Die Internetseite der Konferenz erscheint seit einiger Zeit in einem neuen Gewand und wird nunmehr hauptsächlich in deutscher und englischer Sprache betrieben. Für spanisch und russisch wird es künftig ein reduziertes Angebot mit den wichtigsten Informationen geben, da mittlerweile auch in diesen Ländern eigene Websites über die anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie existieren. 32 Sekretariat Die bereits angekündigte neue Buchreihe «Anthropos», die in einer Kooperation des Verlags am Goetheanum und des Athena Verlags in Oberhausen erscheint, konnte einen sehr erfolgreichen Start mit den folgenden Büchern verzeichnen: Pim Blomaard: Beziehungsgestaltung in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen. Andreas Fischer: Zur Qualität in Institutionen für Menschen mit Behinderungen. Jan Göschel: Der biografische Mythos als pädagogisches Leitbild. Alle drei Bücher, ursprünglich als Dissertationen vorgelegt, stellen einen wichtigen Beitrag zum Diskurs zwischen anthroposophischer Heilpädagogik und anderen Richtungen innerhalb der Fachwissenschaft dar. Im Lauf des kommenden Jahres sind bereits weitere Titel zur Publikation vorgesehen. Vor allem für Menschen in Ausbildung, aber auch für Praktiker fehlen im Augenblick Publikationen, die einführenden Charakter haben. Diesem Mangel soll in nächster Zeit durch die Einführung einer weiteren Schriftenreihe abgeholfen werden, deren erste Titel derzeit in Arbeit sind. Dienstleistungen des Sekretariats Die Mitarbeitenden im Dornacher Sekretariat der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie stehen zur Verfügung für Information und Beratung. Das Sekretariat führt eine Adressdatenbank mit allen Angeboten und Organisationen der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie (internetbasiert unter www.khsdornach.org). Sie führt eine regelmässig annotierte Bibliographie der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie, die nach einer Pause nun im Frühjahr 2013 wieder online gehen wird, ergänzt durch die Möglichkeit jetzt auch Texte direkt durch Download zu beziehen. Alle erfassten Titel sind auch als physischer resp. digitaler Bestand vorhanden. Darüber hinaus existiert ein Archiv zur Geschichte der Heilpädagogik und eine wachsende Anzahl von Fotografien. Leider ist es aus Kostengründen bisher nicht möglich gewesen, ein erschliessbares Fotoarchiv aufzubauen, da die dafür notwendigen Personal- und Infrastrukturmittel nicht vorhanden sind. Aus dem gleichen Grund kann auch das Archiv derzeit nicht regelmässig aktualisiert werden. Darüber hinaus werden die Unterlagen und Dokumente über die internationale Zusammenarbeit der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie archiviert. Über die Inhalte und Wege der Zusammenarbeit der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie gibt es Leitbilder und Reglemente, die auch auf der Internetseite der Konferenz eingesehen werden können. Ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt besteht in der inhaltlichen und administrativen Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von TagunZeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 gen, vor allem den zweijährlich stattfindenden Internationalen Kongressen am Goetheanum, aber auch einer Reihe von regelmässig stattfindenden kleineren Tagungen. Grössere Tagungen werden mit Hilfe der Tagungsabteilung des Goetheanum durchgeführt. Vor allem für die Zusammenarbeit bei den Internationalen Tagungen möchten wir den Kolleginnen und Kollegen dort sehr herzlich danken! Ausserdem erreichen das Sekretariat Anfragen und Bitten um Zusammenarbeit bei Tagungen und Vortragsveranstaltungen, zur Mitwirkung bei Arbeitsgruppen und um schriftliche Beiträge. Einen nicht geringen Teil stellt die Mitarbeit und Repräsentation der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie in anderen Organisationen dar, z.B. in IKAM, der «Internationalen Koordination Anthroposophische Medizin» oder im Kuratorium des «Instituts für Mensch, Ethik und Wissenschaft» in Berlin. Mitarbeitende In der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie arbeiten derzeit mit: Prof. Dr. phil. Rüdiger Grimm, Leitung Gabriele Scholtes, Redaktion Zeitschrift Seelenpflege Angela Wirth, Sekretariat Nach vielen Jahren ihrer Mitarbeit ist Regina Denzler Mitte des letzten Jahres in den Ruhestand getreten. Wir haben sie herzlich und mit grosser Dankbarkeit verabschiedet. Mit der Beendigung ihrer Mitarbeit ist sie auch als Vorstandsmitglied unseres Trägervereins ausgeschieden. Honorarkräfte Roland Maus, Grafik und Layout Zeitschrift Seelenpflege, Tagungsprogramme Prof. Dr. Bernhard Schmalenbach, Redaktion Zeitschrift Seelenpflege Ehrenamtliche Mitarbeit Dr. Peter Arni, Redaktion Internetseite www.khsdornach.org 33 KHS 2012 Aufwand Personalaufwand 66.441; 15% Beitrag an Medizinische Sektion 38.945; 8% 43.254; 9% 276.372; 61% 30.000; 7% Jahresrechnung Die Mittel, über welche die Konferenz verfügen kann, stammen zum überwiegenden Teil aus Solidarbeiträgen der Länder respektive Organisationen. Jedes Land leistet seinen Beitrag nach eigener Einschätzung in Relation zu den Beiträgen der anderen Länder. Für die Erstellung von Budget und Jahresabschluss ist der Trägerverein «Fonds für Heilpädagogik und Sozialtherapie» zuständig. Jahresrechnung und Budget werden den Konferenzmitgliedern zur Verfügung gestellt und an den jährlichen Klausurtagungen besprochen. Zusammen mit den übrigen Einnahmen, auch den Spendenmitteln für die Durchführung von Projekten, stehen der Konferenz bei einer sparsamen Wirtschaftsführung ausreichende Mittel zur Verfügung. Leider bewirkte der Kurseinbruch des Euro in den beiden Vorjahren erhebliche Kursverluste und damit Verluste in der Jahresrechnung. Die Festschreibung des Verhältnisses von Euro und Franken auf 1:1,2 hat dieses Problem, dass bei gleichem Mitteleinsatz der Länder fast zehn Prozent weniger Einnahmen für die Konferenz zustande kommen, nicht beseitigen können, 34 Spesen (Sekretär/Konferenzmitglied er) Zeitschrift (Druck/Versand/Honorare) Sekretariatskosten Bilanz Aktiven 31.12.2012 31.12.2011 Liquide Mittel 337‘242.37 332‘251.13 kurzfristige Forderungen 61‘192.25 3‘441.25 6‘088.10 4‘560.31 Studiendarlehen 31‘981.03 27‘693.71 Anlagevermögen 11‘589.29 14‘132.24 448‘093.04 382‘078.64 12‘895.46 6‘658.78 185‘204.06 12‘612.81 Transitorische Aktiven Total Aktiven Passiven Kreditoren Projekte und Tagungen Transitorische Passiven 0.00 2‘608.00 Zweckgebundene Spenden 0.00 109‘270.72 120‘000.00 120‘000.00 5‘000.00 5‘000.00 Eigenkapital 125‘928.33 167‘017.09 Verlust 2012 934.81 41‘088.76 448‘093.04 382‘078.64 Studienfonds Rückstellungen Total Passiven KHS 2012 Ertrag 1.636; 0% 935; 0% 25.534; 6% 61.749; 14% Länderbeiträge 45.177; 10% 319.982; 70% Zeitschrift (Abonnemente, Inserate) Honorare / Spesenrückvergütungen Übrige Erträge Erfolgsrechnung Aufwand 2012 2011 276‘372.18 267‘032.07 Beitrag an Medizinische Sektion 30‘000.00 40‘000.00 Spesen (Sekretär/Konferenzmitglieder) 43‘254.23 46‘650.09 Zeitschrift (Druck/Versand/Honorare) 38‘945.35 43‘805.36 0.00 1‘200.00 66‘441.14 78‘915.46 455‘012.90 480‘315.94 319‘981.96 333‘565.82 Zeitschrift (Abonnemente, Inserate) 45‘176.79 48‘201.97 Honorare / Spesenrückvergütungen 25‘534.30 28‘441.44 Übrige Erträge 61‘748.96 29‘017.95 1‘636.08 2‘712.96 934.81 41‘088.76 455‘012.90 480‘315.94 Personalaufwand Öffentlichkeitsarbeit Sekretariatskosten Total Aufwand Ertrag Länderbeiträge Währungsdifferenzen Verlust 2012 Total Ertrag Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 aber zumindest die Unsicherheit weiterer Schwankungen und Verluste gemindert. Durch Spenden und Solidarbeiträge konnten die Defizite ebenso in einem überschaubaren Rahmen gehalten werden wie durch den wirtschaftlichen Erfolg der letzten Internationalen Tagungen. An dieser Stelle sei allen von Herzen gedankt, die unsere Arbeit mit ihrer Zuwendung ermöglicht haben und uns durch ihre besondere Unterstützung auch in schwierigen Zeiten die Gewissheit gegeben haben, dass die Arbeit der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie geschätzt wird. Trägerschaft Die Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie versteht sich als ein Arbeitsbereich innerhalb der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule am Goetheanum in Dornach, die von Dr. med. Michaela Glöckler geleitet wird. Die Rechtsträgerschaft der Konferenz liegt im «Fonds für Heilpädagogik und Sozialtherapie», einem nicht im Handelsregister eingetragenen Verein nach Schweizer Recht. Handlungsbevollmächtigte Vorstände sind Michael Dackweiler, Tennental und Rüdiger Grimm, Dornach. 35 Konferenzmitglieder 2012 Argentinien Myriam Orrillo (A) Doris Unger Armenien Zaruhi Manoukyan Australien Martin Porteous Belgien Bart Vanmechelen Brasilien Paula Cardoso Mourao Bettina Happ Dietrich Chile nn Dänemark Renate Gregersen Lars Svendsen Deutschland Manfred Barth Wolfgang Dahlhaus (A) Johannes Denger Rainer Dormann Anette Gischler (N) Stephan Göbel Peter Keuschnigg Andrea Kron-Petrovic Helmut Pohlmann Stefan Siegel-Holz Elke Stanglow-Jorberg Manfred Trautwein Andrea Woorts Cornelia Zimber-Braemer Estland Dr. Anne Daniel Finnland Ilkka Kuusisto Leni Knutar Frankreich Magali Bourcart Jessie Delage Claude Stoehr 36 Georgien Dr. Marina Schostak Griechenland Thomas Prange Grossbritannien England Paul Bradford Brigitte van Rooij Nordirland nn Schottland Angela Ralph Indien Liane da Gama Irland (Republik) Tony Whittle Israel Yftach Ben-Shalom Italien Elena Nardini Kirgisien Igor Schälike Kolumbien Anne Mordhorst Lettland Stella Mutule Neuseeland Russell Carter (A) Raymond Eberhardt (N) Niederlande + Surinam Pim Blomaard (N) Hans Lap Merlijn Trouw Norwegen Rigmor Skälholt Österreich Leonardo Schmidt Christine Thomas Pakistan Shaheeda Hanessen Peru Victor Cordova Polen Ewa Wasniewska Portugal Bert ten Brinke Rumänien Roxana Byrde Russland Dr. Tamara Isaeva Schweden + Island Katharina Karlsson Mats-Ola Ohlsson Cecilie Raeder Dick Tibbling Schweiz Didier Emery (A) Kathrin Fichtmüller (N) Dr. Andreas Fischer Udi Levy Frieder Recht Andreas Schutter Matthias Spalinger Spanien Fidel Ortega Dueñas Angelines Martinez- Cuencas Südliches Afrika + Botswana Halina Rubisz Thailand Anchana Soontornpitag Tschechien Dr. Anezka Janatova Ukraine Valeriya Medvedeva Ungarn Prof. Dr. Zsusza Mesterhazy USA + Kanada Kimberley Dorn Bay Gäste Hans Dackweiler Koordinationsgruppe Magali Bourcart Michael Dackweiler Brigitta Fankhauser Andreas Fischer Dr. Michaela Glöckler Prof. Dr. Rüdiger Grimm Mats-Ola Ohlsson Brigitte van Rooij Dr. Andrea Seemann Bart Vanmechelen Ausbildung Andreas Fischer ECCE Béatrice Cussac Christian Gaegaf Bernard Heldt Sabine von der Recke (N) Adrienne Thier Wissenschaftskreis Dr. Götz Kaschubowski Sozialtherapie Brigitta Fankhauser Ärzte Dr. Ulla Bremme (A) Dr. Andrea Seemann Thomas Kraus (ausserordentliches Mitglied Kongresse ‹In der Begegnung leben›) Medizinische Sektion Dr. Michaela Glöckler Prof. Dr. Rüdiger Grimm Gabriele Scholtes N - Neues Mitglied A - Ausgeschieden Berichte Die Sozialtherapeutische Arbeitsgruppe – ein Organ der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie Andrea Kron-Petroviv Zweimal im Jahr trifft sich die Sozialtherapeutische Arbeitsgruppe (STAG) zu einem mehrtägigen Arbeitstreffen. In der Regel liegt bei einer der Zusammenkünfte der Schwerpunkt auf der Wahrnehmung und Vernetzung sozialtherapeutischer Initiativen und Einrichtungen in Europa, das andere Mal findet intensive inhaltliche Arbeit an den Grundmotiven der Sozialtherapie statt. Die Gruppe setzt sich zurzeit zusammen aus zwölf BereichsvertreterInnen verschiedener Arbeitsfelder (z.B. Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, Werkstätten, Hofgemeinschaften, Einrichtungen der Sozialpsychiatrie und der Ausbildung), die in sechs europäischen Ländern tätig sind. Weitere drei Menschen sind der Arbeitsgruppe verbunden und stehen schriftlich im Austausch. Darüber hinaus gibt es einige intensive kollegiale Kontakte zu Nordund Südamerika und zum asiatischen Raum. Ende 2011 initiierte die STAG ein inklusives Symposium in Berlin (‹Im Gespräch›). Im Frühjahr 2012 gestaltete die STAG eine Tagung mit der ECCE und den Vertretern des iberischen Verbandes in San Juan auf Teneriffa zum Thema ‹Producing or Creating?›. In verschiedenen Beiträgen wurde die ‹Produktivität und Kreativität› von Menschen mit Hilfebedarf konkret geschildert. Dabei wurde noch einmal deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit der Angehörigen von Menschen mit Behinderungen und den professionellen Begleitern ist, um mit den betroffenen Menschen eine individuell hilfreiche Lebens- und Arbeitsgestaltung zu entwickeln. Das im Herbst 2012 durchgeführte Arbeitstreffen bei ‹Porta e.V.› in Wuppertal bot die Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 Gelegenheit zu einem Gespräch mit einigen BewohnerInnen der Einrichtung. Das Thema war: «Wie kann ich mit einer chronisch-psychischen Erkrankung ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen? Was/wer hilft mir dabei? Was/wer ist eher hinderlich?» Das grosse Thema der STAG in den letzten Jahren war und ist die Umsetzung des Inklusionsgedankens. Es ist erkennbar, dass es dafür keine allgemeingültige Form gibt. Aber es scheint ‹Haltungen› zu geben, die diesen Prozess fördern oder behindern. Diese Haltungen und ihre strukturellen Rahmenbedingungen wahrzunehmen, aufzuzeigen und zu reflektieren stellt eine wesentliche Aufgabe der Arbeitsgruppe dar. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in Form von Dokumentationen, Weiterbildungen und Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit KollegInnen, Angehörigen und Menschen mit Hilfebedarf möchten wir an den unterschiedlichen Orten darüber ins Gespräch kommen und Ideen und Impulse entwickeln, aus denen interessante und tragfähige Formen der Begegnung, der Gemeinschaftsgestaltung und der Arbeitsmöglichkeiten entstehen können. So wird gerade für den Herbst 2013 ein zweites Symposium vorbereitet, um ‹das Gespräch› des ersten fortzuführen. Die STAG wird am jährlichen Treffen der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie durch eine/n SprecherIn vertreten, wodurch eine wechselseitige Wahrnehmung möglich wird – auch für die Kolleginnen und Kollegen der Länder, die nicht direkt in der Arbeitsgruppe vertreten sind. 37 Bernd Kalwitz Meditative Menschenkunde – der Weg des Wissens durch die Nacht Die moderne Neurobiologie bestätigt durch ihre Befunde eindrucksvoll, worauf bereits Rudolf Steiner wiederholt hingewiesen hat (Spitzer 2007, S. 121 ff.): Wir lernen am meisten, wenn wir schlafen. Womit wir uns tagsüber gedanklich beschäftigt haben, eignen wir uns im Durchgang durch die Nacht erst wirklich an, um es dann am nächsten Tag schöpferisch und kreativ anwenden zu können. Insbesondere für den Umgang mit der Menschenkunde hat Rudolf Steiner diesen Dreischritt, der ja auch die Grundlage für die Didaktik der Waldorfpädagogik bildet, beschrieben und den Lehrern empfohlen (vgl. Steiner 1993, S. 41 ff.). Was aber geschieht beim zweiten Schritt dieses Weges? 38 An dem Beispiel eines jungen Mannes mit Epilepsie, den ich mehrere Jahre begleitet habe, ist mir einmal bewusst geworden, in welcher Dramatik unser Weg durch die Nacht verläuft. Der Mann durchlitt morgens im Prozess des Aufwachens jedes Mal solche Qualen, dass ich es kaum übers Herz brachte, ihn zu wecken. Das aufdämmernde Bewusstsein bereitete ihm heftige körperliche Schmerzen, und nur unter Winden und Stöhnen konnte er sich aus dem Schlaf in die Gegenwart des Tages kämpfen. Ein erfahrener Heilpädagoge, mit dem ich über diese Situation sprach, wies mich darauf hin, dass wir uns von dem, was jeden Morgen tatsächlich mit uns geschieht, vermutlich eine viel zu einfache Vorstellung machen. Er versuchte, dies anhand eines Vergleiches zu charakterisieren: Man stelle sich vor, es würde ein glühender Eisenstab in ein Wasserglas getaucht. Dies entspräche der Situation, wenn unser geistig-seelisches Wesen morgens wieder in unsere Leiblichkeit eintaucht. Dieses Bild hat mich tief beeindruckt und lange Zeit begleitet. Dieser Umstülpungsprozess liegt auch dem Lernen zugrunde. So stellt sich die Frage, wie man diesen Vorgang näher beschreiben kann und auf welche Weise man ihn in der Gestaltung von Lern- und Ausbildungssituationen möglichst gut anregen kann. Eine Orientierung können hier Vorgänge geben, welche diesem Prozess verwandt sind. Umstülpungsprozesse in der Ernährung Wir finden in der Welt an wesentlichen Stellen ähnliche Umstülpungen oder Durchgänge durch eine Art Nullpunkt, in denen Verwandlung möglich wird. Rudolf Steiner selbst vergleicht den Schritt der Aneignung von gedanklich erarbeiteten Inhalten mit der Verdauung eines Butterbrotes (ebd. S. 51). Wie lässt sich dies nachvollziehen? Im Prozess der Ernährung nehmen wir nicht nur Substanzen aus unserer Umgebung auf. Wann immer etwas in uns eindringt, was nicht zu unserem eigenen Wesen gehört, wird es von unserem Immunsystem sofort als etwas Fremdes erkannt und bekämpft. Sollte doch einmal etwas Körperfremdes dieser Abwehr entgehen und es schaffen, in unserem Organismus seine eigene Dynamik zu entfalten, dann entsteht hieraus immer ein Krankheitsherd, der unsere gesundheitliche Integrität bedroht. Das gilt natürlich nicht nur für physische Substanzen, sondern in ähnlicher Weise für Sinneswahrnehmungen und Erlebnisse. Damit wir etwas aus der Aussenwelt aufnehmen und in unser Wesen integrieren können, müssen wir es durch unser Verdauungssystem erst so weit abbauen, dass es seiner Eigenschaften völlig entkleidet wird. Alle Nahrungsbestandteile werden in ihre kleinsten Bestandteile an Fetten, Kohlenhydraten und Aminosäuren zerlegt. Diese Prozesse, die zu der Zeit, als Steiner auf sie aufmerksam machte, durchaus noch nicht vollständig erforscht waren, sind heute Grundlage jeder Ernährungslehre. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 39 Beiträge Was sich der Biochemie jedoch noch zu verbergen scheint und worauf Steiner ebenfalls hingewiesen hat, ist die Tatsache, dass der Verdauungsprozess noch weiter reicht: In unserem Innern folgen die aufgenommenen Substanzen nicht mehr den ihnen in der Aussenwelt innewohnenden Kräfte, sondern sie gliedern sich – oft entgegen ihren stofflichen Eigenschaften – dem lebendigen menschlichen Organismus ein. Hier geschieht etwas, was diese Stoffe grundlegend verändert, so dass beispielsweise Mineralien dazu fähig werden, sich lebendigen Prozessen einzugliedern und sich nicht ihren ursprünglichen Eigenschaften gemäss verhalten. Die hier wirksame Kraft im lebendigen menschlichen Organismus wird uns im Grunde erst dann bewusst, wenn der Mensch stirbt und sein Leib sofort zerfällt. Kann der lebendige Körper eine mineralische Substanz nicht in seine Bildekräfte integrieren, dann werden wir krank, etwa wenn die sich nun selbst überlassenen, mineralisierenden Substanzen unsere zarten Blutgefässe in Kalkrohre verwandeln. Im gesunden Organismus dagegen sind diese mineralischen Stoffe gebändigt, so dass sie die lebendige Substanz von Knochen und Zähnen bilden können. Welche Prozesse ermöglichen es, dass die Stoffe bei der Aufnahme aus dem Darm so grundlegend verwandelt und den Lebenskräften aufgeschlossen werden? Die Passage von Stoffen durch biologische Membranen wie die Darmwand ist für Physiologen oft immer noch rätselhaft. Denn es gibt hier eine Phase, in der die Stoffe an komplizierte Transportproteine gebunden und als solche sehr schwer zu verfolgen sind. Der Augenblick des Durchtrittes durch die Darmschleimhaut entzieht sich teilweise der Beobachtung. Man kann nur verfolgen, was sich auf der einen Seite der Membran anlagert und was sich auf der anderen Seite von ihr löst. Der Zwischenschritt kann im Grunde nur hypothetisch erschlossen werden. Rudolf Steiner beschrieb am Beispiel der Mineralien, wie Nahrungssubstanzen bei ihrem Durchtritt durch die Darmwand nicht nur bis in ihre Einzelbausteine zerlegt werden, sondern materiell komplett verschwinden, weil sie bis in den Zustand des Wärmeäthers abgebaut werden (vgl. Steiner 1958, S. 187 ff.). Die physische Substanz als solche existiert dann nicht mehr. Angesichts der beschriebenen komplexen Verbindung, die Nährstoffe biochemisch mit den Carrier-Proteinen der Darmwand eingehen, kann man ein solches Stadium auch physiologisch beinahe nachvollziehen – auch wenn die physiologische Forschung dies bisher so nicht beschreibt. Steiners Darstellung zufolge nehmen auf diese wärmeätherische Substanz nun kosmische Wirkungen Einfluss, Kräfte des Tierkreises und der Planeten. Diese bereiten die Substanz darauf vor, sich in den Organismus einzugliedern. 40 Beiträge Der ‹Durchgang durch den Nullpunkt› in der Entwicklung des Menschen Ein zweites Beispiel eines Durchganges durch einen Nullpunkt betrifft die ontogenetische Entwicklung des Menschen. In der genetischen Forschung zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der DNA-Strang, auf dem das Erbgut des Menschen gespeichert ist, gar nicht die entscheidende Rolle für die menschliche Existenz spielt, welche man der DNA zugeschrieben hat. In den weitaus meisten Anteilen scheint sich das Erbgut zwischen den menschlichen Individuen, ja sogar zwischen verschiedenen Säugetieren nur in geringem Mass zu unterscheiden. Eine ungleich grössere Bedeutung haben diejenigen regulierenden Faktoren, welche den Abruf der gespeicherten Information steuern. Diese können Sequenzen des DNA-Stranges mit Methylgruppen «abdeckeln» und damit blockieren oder diese Methylierung entfernen und damit die entsprechenden Bezirke ‹freigeben›, so dass sie abgelesen werden können. Diese Steuerungsvorgänge scheinen die entscheidende Rolle in der Regulierung unseres Stoffwechsels zu haben. Damit wird jeweils nur ein winziger Bruchteil der gesamten Erbinformation zu einem bestimmten Moment aktiviert und beeinflusst die Entwicklung unseres Organismus. Diese Regulation wird sehr stark von Umwelteinflüssen moduliert, und da ihre Funktionsweise manchmal sogar vererbt werden kann, spricht man inzwischen wieder von ‹Epigenetik›, von der Vererbung erworbener Eigenschaften – lange Zeit ein Tabu infolge der Forschungen und Theorien Darwins. Nur in einer ganz kurzen Phase, etwa vom ersten bis zum dritten Tag nach der Befruchtung sind alle diese Erbinformationen demethyliert, d.h. ‹unblockiert› (Haaf 2003). Davor und danach ist dies während des gesamten Lebens nie wieder der Fall. In diesem kurzen Moment, während das Ei in wundervollen Kreiselbewegungen durch den Eileiter wandert, liegt das Erbgut der sich gerade verschmelzenden mütterlichen und väterlichen Zellkerne offen da: offen für die Einflüsse des Kosmos. Kosmische Kräfte können nun in ein völlig undifferenziertes genetisches Material hineinwirken und es für die Aufnahme der Individualität vorbereiten, die aus der geistigen Welt kommt und sich mit diesem leiblichen Keim verbinden will. Auch hier haben wir einen Durchgang durch einen Prozess, den Steiner ‹Chaotisierung der Eiweisssubstanz› bezeichnet: ein Zustand tiefster Dunkelheit für die irdische Beobachtung, aber grösster Offenheit für das Einwirken kosmischer Kräfte, die den Stoff befruchten und verwandeln. In diesem Sinne lassen sich auch in der menschlichen Biografie Phasen finden, in denen sich etwas ‹verdunkelt› und für die äussere Beobachtung undeutlich wird, während auf der anderen Seite eine Offenheit für kosmische Einflüsse entsteht. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 41 Beiträge Innere Verwandlungsprozesse In seiner Darstellung seelisch-geistiger Schulungswege regt Rudolf Steiner oft an, ein intensives inneres Bild, eine Imagination aufzubauen. Darauf folgt dann ein Schritt, bei dem man sich dieses Bild wieder ‹absuggerieren› (sic!) solle, um sich mit einem leeren Bewusstsein dem zu öffnen, was in diesen nun ‹vorbereiteten inneren Raum› hereintreten will (vgl. Steiner 1986, S. 162 f.). So haben wir auch auf dem meditativen Weg diesen Durchgang durch eine Leere, eine Passage durch die Nacht. Etwas Ähnliches spielt sich beim Lernen ab. Ich möchte dies am Beispiel einer Situation schildern, welche ich einmal erlebt habe. Ein Mensch mit Behinderungen stellte mich immer wieder vor ein tiefes Rätsel. Er kam nach der Schule im Alter von 18 Jahren zu uns in die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Zu der Zeit wog er knapp 30 kg und hatte einen Körper, der seiner Gestalt nach kindlich wirkte, während sein Antlitz dem eines alten Mannes glich, wenngleich ohne Falten. Er war durch eine massive Tetra-Spastik vollständig gelähmt, konnte nicht sprechen und wurde stündlich mehrfach von heftigen Krampfanfällen durchgeschüttelt. Nur im Blick konnte man Kontakt mit ihm herstellen: dann wurde man von dunklen, grosse Augen wie aus einer unendlichen Ferne heraus angeschaut. Der junge Mann hatte sich bis zu seinem dritten Lebensjahr ganz normal entwickelt, Fotos aus seiner Kindheit zeigten ihn als einen pausbäckigen, strahlenden Jungen. Er hatte auch zunächst Laufen und Sprechen gelernt. Im dritten Lebensjahr hatte sich dann plötzlich sein Blick eingetrübt, er war wie in sich zusammengesunken und kurz darauf setzte ein dramatischer körperlicher Verfall ein. Er hörte auf zu sprechen, Krampfanfälle traten auf und es entwickelte sich eine massive Spastik der Arme und Beine, die ihn bald völlig lähmte. Der Aspekt seiner kindlichen Frische schwand völlig dahin, er wurde aufgezehrt, wie man dies sonst nur bei konsumierenden Krankheiten kennt. Obwohl natürlich alles Mögliche an Ursachenforschung betrieben wurde, fand man keinen wirklichen Grund für diese Entwicklung, man konnte dem Verlauf nur hilflos zusehen. Der allgemeine Abbau verlangsamte sich dann während seiner Schulzeit zwar etwas, aber sein Leben schien oft wie an einem seidenen Faden zu hängen. Nach der Schule lebte er noch zwei Jahre bei uns, machte in dieser Zeit einen zaghaften Schritt ins Erwachsenenleben und starb dann im Alter von zwanzig Jahren. Sein Tod wirkte auf uns, als würde er nur einen kleinen Schritt tun, von diesseits nach jenseits der Schwelle. Während er mit uns lebte, beschäftigte uns sein rätselhaftes Schicksal natürlich intensiv. Immer wieder stellten wir uns die Frage, wie wir seinen Lebensimpulsen unter den Bedingungen dieser besonderen Situation am besten entgegenkommen könnten. In vielen Konferenzen versuchten wir, die menschenkundliche Signatur dieser Biografie zu enträtseln. Mir stand dabei immer die Vorstellung vor Augen, der Prozess seiner 42 Beiträge Inkarnation sei im Verlauf des dritten Lebensjahres ins Stocken geraten, und er habe sich damals wieder weitgehend aus dem Körper, den er nie ganz ergreifen konnte, zurückgezogen. Nach einer intensiven abendlichen Konferenz, in der wir uns vorgenommen hatten, das Besprochene durch die Nacht zu nehmen und am nächsten Tag noch einmal aufzugreifen, begegnete ich auf dem Weg in meine Wohnung dem oben beschriebenen Mann, der noch vor der Tür sass und mir eine gute Nacht wünschte. So tauchte plötzlich halbbewusst das Bild des glühenden Eisenstabes wieder in meinem Inneren auf, den man unter Zischen und Brodeln in ein Glas mit Wasser taucht. Am nächsten Morgen nun stand mir eine ganz andere Vorstellung von der menschenkundlichen Situation vor Augen als die gemeinsam Erarbeitete am Abend zuvor. Es ergab sich mir das Bild eines Menschen, der von einem viel zu tief in die Leiblichkeit hineingestauchten, seelisch-geistigen Wesen wie ‹aufgezehrt› wird, ähnlich wie ein glimmender Eisenstab alles Wasser verdampfen kann, wenn er zu tief eingetaucht wird. Die Übermacht der Ich-Organisation und des Astralleibes trugen, so schien es mir, ihr verzehrendes Feuer und die Spannung von Spastik und Krämpfen in den wie zu Asche verbrennenden Leib hinein. Durch dieses neue Bild ergaben sich uns dann neue Möglichkeiten, auf die konstitutionellen Bedingungen dieser ganz besonderen Lebenssituation einzugehen. Vieles hatte in dem Durchgang des im Laufe des Tages Erarbeiteten und Erlebten durch die Nacht hineingespielt, um zu dieser Intuition zu führen. Sie selbst mag ‹richtig› oder ‹falsch› gewesen sein, aber sie öffnete die Tür für ein neues Sehen und für neue Handlungsmöglichkeiten. Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Vortrags auf der Internationalen Ausbildungstagung 2012 in Kassel. Dr. med. Bernd Kalwitz, Jahrgang 1956, langjährige Einrichtungs- und Seminarleitung der sozialtherapeutischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Vogthof in Ammersbek bei Hamburg, heute stellvertretende Schulleitung der Fachschule Nord in Kiel und Dozent an der Fachhochschule Ottersberg; Schularzt der Rudolf Steiner Schule Bergstedt/Hamburg. Literatur Haaf, Thomas (2003): Geschlechterkonflikt im frühen Embryo. Deutsches Ärzteblatt 100:A 2300–2308 [Heft 36]. Spitzer, Manfred (2007): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. Steiner, Rudolf (1958): Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenworts (GA 230). Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Basel. Steiner, Rudolf (1977): Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung (GA 302a). Rudolf Steiner Verlag, Dornach/ Basel. Steiner, Rudolf (1986): Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung (GA 211). Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Basel. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 43 Heiner Priess Esoterischer Mut – liebevolle Hingabe – Andacht zum Kleinen Resümee einer Arbeitsgruppe der Internationalen Tagung für Heilpädagogik und Sozialtherapie Worte und Bewegungen sind durchdringende Wirkfaktoren im Erziehungsprozess «Sie glauben gar nicht, wie gleichgültig es im Grunde genommen ist, was man als Erzieher oberflächlich redet oder nicht redet, und wie stark es von Belang ist, wie man als Erzieher selbst ist», sagt Rudolf Steiner im zweiten Vortrag des Heilpädagogischen Kurses (Steiner 1985, S. 35). Auch in anderen pädagogischen Vorträgen kann man ähnliche Äusserungen finden. Redekunst und Fachwissen brauchen wir für die staatliche Prüfung und Qualifikation – in unserem Berufsleben jedoch werden wir anders geprüft: Hier könnte man auch von einer ‹Prüfung auf Herz und Nieren› sprechen. 44 Beiträge Im ersten Vortrag des Heilpädagogischen Kurses geht es um die Leber, um das «Organ, das dem Menschen die Courage gibt», so dass aus seinen Ideen Taten werden (ebd. S. 22). Wie tief die Erziehung in die Organbildung eingreift wird dem folgend an einem konkreten Beispiel erläutert: Der Philosoph Franz Brentano hatte einen Sohn, dem er wohl physisch-organisch eine gute Leber vererbt hat; aber Brentano hatte eine ganz besondere Art, sich zu bewegen. Rudolf Steiner beschreibt seine Bewegungsgestalt in dem Artikel ‹Philosophenhände›. Einleitend stellt er zunächst fest: «Es verursachte mir immer einen tiefen Eindruck, wenn ich vor vielen Jahren in Wien als Zuhörer Franz Brentano, den hervorragenden Seelenforscher, dem Rednerpult sich nahen, dann seine Konzeptblätter entfalten und seine Gesten während des Vortrags machen sah. All dies sagte eben so viel wie die Worte, die der Philosoph sprach; ja, ich möchte fast das Paradoxon aussprechen: es sagte mehr.» (Steiner 1966, S. 166) Die Reden des Philosophen konnten seinen Sohn noch nicht beeindrucken, denn der Vater hatte eine Vorstellung vom Seelenleben, in dem der Wille nicht vorkam. Sein inneres Bild vom Menschen äusserte sich jedoch auch in seinem Blick, in seiner Haltung, in seinen Bewegungen und seiner Sprache und beeinflusste somit die Leibbildung seines Sohnes. Die Bewegungsgestalt wirkte solchermassen auf ihn, dass er über die Nachahmung seine eigene Leber nicht richtig ausbilden konnte und an einer Willensschwäche litt, die er allerdings später offensichtlich überwinden konnte. Mit liebevoller Hingabe beobachtet der Student Rudolf Steiner die Gestik seines Lehrers, eine Kleinigkeit, eine Nebensache, die üblicherweise übersehen wird oder über die man sich als Schüler lustig macht wenn die Stunde langweilig ist. Liebevolle Hingabe und esoterischer Mut Um in der Weise aufmerksam beobachten zu können, dass die Phänomene mehr aussprechen als sie oberflächlich zeigen, sind bestimmte Voraussetzungen nötig. Eine wird gleich am Anfang des Heilpädagogischen Kurses genannt: die Beobachtung des sogenannten normalen Seelenlebens, in dem irgendwo in einer Ecke eine «sogenannte Unnormalität» sitzt (Steiner 1985, S. 11). Das sogenannte normale Seelenleben mit seinen Einseitigkeiten ist ja zunächst das, was ich von mir selbst kenne. Betrachte ich rückblickend in dieser Hinsicht mein eigenes Leben, dann muss ich feststellen, dass ich als Student die Gesten meiner Lehrer nur bemerkt habe, wenn sie mich abgelenkt haben. Dann fühlte ich mich gestört und eventuell belustigt. Ich habe damals jedenfalls versäumt, mehr über meine Lehrer zu erfahren, als Worte sagen können. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 45 Beiträge Was den liebevollen und genauen Blick hindert, wird im zehnten Vortrag des Heilpädagogischen Kurses geschildert. Zu dem Blick in die Aussenwelt muss der mutige Blick in die eigene Innenwelt als ein notwendiges Mittel gegen die Einseitigkeit der Betrachtung getan werden. Rudolf Steiner äussert dort: «Sie dürfen eigentlich nie die Ausrede gebrauchen: Ja, um solche Dinge wahrzunehmen, muss ich erst hellsehend sein. Das ist eine innere Faulheit, die derjenige, der einen Erzieherberuf ergreift, eigentlich gar nicht haben darf. Sondern es handelt sich darum (…) dass Sie durch die liebevolle Hingabe in sich die Fähigkeit erzeugen, hinzublicken einfach auf das, worauf es ankommt. Sie sagen sich in dem Moment selber das Richtige. Natürlich gehört dazu der esoterische Mut. Dieser esoterische Mut wird entwickelt, wenn ihm nicht eines gegenübersteht.» (ebd. S. 151 f.) Das ist die Eitelkeit, wie Steiner in den darauf folgenden Sätzen weiter ausführt. Die Eitelkeit, die an der Oberfläche bleibt, weil keine Veranlassung da ist oder weil es an Mut fehlt, in sich selbst zu gehen und zu erkunden, was in den Seelentiefen verborgen ist; und was wirksamer ist als das, «was man als Erzieher oberflächlich redet oder nicht redet» (ebd. S. 35). Ein anschauliches Beispiel für die Eitelkeit und seelische Befangenheit, wie sie vor allem auch durch wissenschaftliche Standards geprägt sein können, kommt im zweiten Vortrag des Heilpädagogischen Kurses zur Sprache: Rudolf Steiner liest einen Zeitungsartikel vor, in dem der Autor sich mit spöttischer Konnotation über den Vortrag eines Staatsanwalts äussert. In diesem Vortrag über Friedrich Schiller und dessen Dichtkunst schliesst der Staatsanwalt letztlich unter anderem auf Schillers grausame Veranlagung und seinen Minderwertigkeitskomplex, womit er auch noch latente Verbrecherqualitäten des Publikums bedient. Der Staatsanwalt «hat natürlich ein reiches Gebiet von abnormem Seelenleben kennengelernt (…) lässt sich dann wohl in reiferem Alter darauf ein, allerlei medizinische Dinge kennenzulernen, verbindet dann das, was er in seinem Berufe erfahren hat, mit dem, was er sich dann auf diese Weise später erlesen hat und bildet sich daraus eine Theorie (...)» (ebd. S. 24). Zur Untermauerung dieser Theorie erschliesst sich der Anwalt, was ihm – auch auf dem Hintergrund damaliger wissenschaftlicher Standards – in den Sinn kommt und seinem Selbstgefühl gut tut. Er sperrt Schiller in das Gefängnis seiner eigenen Befangenheit. Übungen zur Überwindung innerer Befangenheit Um solchen Fehlschlüssen zu entgehen, gibt Rudolf Steiner im zwölften Vortrag eine Übung an, durch die die Heilpädagogin/der Heilpädagoge die persönliche Voreingenommenheit überwinden und den subjektiv eingeschränkten Blick erweitern kann: 46 Beiträge «Nicht wahr, da ist nun einmal dasjenige als ein Hindernis angegeben für eine solche Entwickelung, was menschliche Egoität in dem Sinne ist, dass der Mensch zu sehr sein Urteil auf das eigene Ich konzentriert.» (ebd. S. 183) Den Hinweis, dass das Ich im Vergleich zu den anderen Wesensgliedern das am wenigsten entwickelte ist, verdeutlicht er mit dem folgenden Bild: «Das Ich ist erst das Baby. Und wer die Dinge durchschaut, hat, wenn jemand so richtig schwimmt in seinem Egoismus, die Imagination einer wollüstigen Kinderfrau (…) Der heutige Mensch trägt sein Ich auf dem Arm und herzt es zärtlich. Dieses Bild zu vergleichen mit dem, was man als tägliche Handlung tut, ist wiederum eine ausserordentlich nützliche Meditation für den Erzieher.» (ebd. S. 183 f.) Diese vergleichende Gegenüberstellung hat mich zu einer Übung angeregt, die in der Begegnung mit einem herausfordernden Schüler entstanden ist. Dieser durch traumatische Erlebnisse belastete Schüler sagte mir einmal: «Heilpädagoge, das ist ein Schimpfwort für mich. Ich brauche keinen Heilpädagogen, ich bin doch nicht krank!» Er wollte nichts mit dem zu tun haben, was ich (für die Prüfungen) gelernt habe, also meine ‹Fachqualifikation›. Er suchte die Begegnung mit mir selbst, eine ‹Ich-Begegnung› forderte er heraus. Manchmal war ich schwach und habe diese ‹Prüfungen auf Herz und Nieren› nicht bestanden und die Beherrschung verloren. Dann konnte eine schlaflose Nacht folgen, in der ich mich immer wieder gefragt habe, wie kann ich mein Fehlverhalten wieder gut machen. Nachdem es wieder einmal zu einem solchen Vorfall gekommen war, ging ich mit diesem Vorsatz der Verbesserung am nächsten Morgen auf meinen Schüler zu. Aber der schaute mir so frei in die Augen, als habe er alles vergessen. Ich sah Freiheit in ihm und in mir erlebte ich Befangenheit! Wie kann ich auch so frei werden, wie kann ich mein Seelenleben selbst wieder in ein Gleichgewicht bringen? Diese Frage hat mich lange beschäftigt und angeregt durch den zwölften Vortrag habe ich folgende Übung für mich gefunden: Gegen den drängenden Wunsch, sie ungeschehen und ungesehen zu machen, stelle ich mir die schlimme Situation mit meinem Schüler noch einmal so konkret wie möglich vor. Ich versuche, das Ereignis objektiv zu sehen und von meinem subjektiven emotionalen Erlebnis zu trennen. Bei dieser seelischen Tätigkeit habe ich bemerkt, wie durch die dafür aufgewendete Anstrengung wieder eigene Kraft in mein Gefühlsleben einzieht. Ich kann den Vorgang noch verstärken, indem ich nach einer guten Situation mit dem Kind, in zeitlicher Nähe zu dem ersten Ereignis, suche. Dabei muss ich mich vom ersten Ereignis innerlich entfernen, das ist eventuell gar nicht leicht, aber sehr hilfreich. Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 47 Beiträge Nach einigem Suchen fällt mir eine Situation beim Mittagessen ein, bei der er etwas fragte und wir für einen Moment einen kurzen unbeschwerten Blickkontakt hatten, wie ein Sonnenstrahl durch schwarze Wolken. Ich hätte ihn auch spontan etwas fragen können, ‹aus heiterem Himmel›, wie man so schön sagt, weil für einen Moment unser Konflikt vergessen war. Aber dann konnte ich mich doch nicht äussern als ich bemerkte, wie sich mir wiederum meine Gefühle in den Weg stellten. Diesen Moment der Unbeschwertheit vor dem Anstossen an meine ‹seelische Behinderung› versuche ich mir nun intensiv vorzustellen und mich so fest in ihn hineinzuversetzen, bis ein gleichwertiges Gegenbild zu dem ersten, belastenden Ereignis entstanden ist. Im Laufe der Übung kann ich erleben, wie sich mein seelisches Gleichgewicht zwischen den Gegenbildern langsam wieder herstellt, wie das Ich seinen Platz in der Mitte wieder einnimmt. Ich fühle mich mehr und mehr befreit für eine unbefangenere Begegnung mit meinem Schüler. Würde man diesen Vorgang auf Rudolf Steiners Bild vom ‹Ich-Baby› übertragen, so könnte man hier vielleicht sagen: es hat eine kleine Neugeburt des Ich stattgefunden. Rudolf Steiner gibt im Heilpädagogischen Kurs sehr viele Anregungen für Übungen im Bereich der Seelenpflege. An einem Beispiel wollte ich zeigen, wie sie mir geholfen haben, mich selbst und meine Schüler besser zu verstehen und wie sie mir immer wieder neue Kraft für die tägliche Arbeit geben konnten. Auch die mich als Heilpädagogen herausfordernden Kinder haben mir geholfen, weil sie mich immer wieder auf den Weg gebracht haben, wenn ich stehen bleiben wollte. Heiner Priess war 25 Jahre Lehrer an der Rudolf-Steiner-Schule für Seelenpflege-bedürftige Kinder in Kiel, die er auch mit aufgebaut hat. Danach war er Dozent am Rudolf Steiner Institut in Kassel und ist noch an weiteren Ausund Fortbildungsinitiativen in der Heilpädagogik im In- und Ausland tätig. Literatur Steiner, Rudolf (1985): Heilpädagogischer Kurs (GA 317). Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Basel. Steiner, Rudolf (1966): Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze aus der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› 1921-1925 (GA 36). Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Basel. 48 Gelbe Blüten in grüner Wiese, Sonja Schürholz Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 49 Wilhelm Uhlenhoff, 15. Juli 1922 – 14. August 2012 Wilhelm Uhlenhoff wurde am 15. Juli 1922 in Bremen geboren. Er war das älteste von vier Geschwistern. Seine Eltern – der Vater war Rechtsanwalt – lernten in diesen Jahren die «Christengemeinschaft» und die Waldorfpädagogik kennen und so kamen die Kinder schon früh in den Genuss von Baby-Eurythmie, später von Religionsstunden. Eine Waldorfschule gab es Wilhelm Uhlenhoff, er habe in seinem Elternhaus und in Salem wichtige soziale Impulse und Verantwortungsbereitschaft gewonnen. Mit 19 Jahren wurde er zunächst zum Reichsarbeitsdienst und später zur Wehrmacht einberufen. Er erlebte den Ostfeldzug, gelangte mit seiner Truppe bis zum Kaukasus, wo diese – von den Russen aufgehalten – den Winter 1942/43 Wilhelm Uhlenhoff Ende der 50er Jahre und 2004 zu dieser Zeit in Bremen noch nicht, so besuchte Wilhelm eine Reformschule. Kurz nach der «Machtübernahme» Hitlers zog die Familie nach Überlingen, um zu «siedeln», d. h. auf dem Land ein kleines Bauernanwesen zu übernehmen, das die Eltern im Lauf der Zeit zu einem biologischdynamischen Gärtnerhof ausbauten. Wilhelm ging in diesen Jahren als externer Schüler in die bekannte reformpädagogische Schule «Schloss Salem». Er wurde 1936 von Friedrich Rittelmeyer, dem Begründer der «Christengemeinschaft» persönlich konfirmiert. Rückblickend bemerkte 50 im Wald verbringen musste. Nach weiteren unsäglichen Kriegserlebnissen und einem Intermezzo mit dem Befehl zum Medizinstudium in Freiburg geriet Wilhelm Uhlenhoff in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wo er den späteren anthroposophischen Arzt Adolf Küstermann traf, der mit einer Gruppe Mitgefangener die Vorträge Rudolf Steiners über das Johannesevangelium las. Die Begegnung mit Gerhard Kienle veranlasste ihn, das Medizinstudium nach seiner Entlassung in Tübingen fortzusetzen, in einem Kreis junger Menschen, die schon Nachruf früh den Impuls ins Auge fassten, eine Klinik auf anthroposophischer Grundlage aufzubauen und damit die anthroposophische Medizin in einen gesellschaftlichen Brennpunkt zu rücken. Es waren der Priester und Anthroposoph Diether Lauenstein und der Arzt Herbert Siewecke, denen die Studenten eine gründliche Einführung in die Anthroposophie und eine nach geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten erweiterte Medizin verdankten. Für das Dissertationsthema «Die Metamorphose des Ätherleibs vom Organischen ins Seelische» fand Uhlenhoff jedoch keinen Betreuer, so dass er den Plan einer Promotion wieder fallen liess. Die Begegnung mit der Heilpädagogik kam 1952 durch Anna Luise Heder, der Gründerin des «Heil- und Erziehungsinstituts für Seelenpflegebedürftige Kinder Lauterbad» bei Freudenstadt im Schwarzwald. Uhlenhoff sollte die ärztliche Betreuung der Kinder für ein Jahr übernehmen, woraus letztlich eine sein Leben prägende, intensiv ergriffene Aufgabe wurde, welcher er über 32 Jahre treu blieb. In Tübingen hatte er seine spätere Frau Lioba Laubis kennengelernt, mit der er 1952 die Ehe schloss und eine grosse Familie mit fünf Kindern gründete. Im Jahr 1959 wurde die gesamte Einrichtung mit fast allen Kindern von Freudenstadt nach Kassel verlegt, wo sie sich auch heute noch befindet. Wilhelm Uhlenhoff gehörte in Deutschland bald zu den führenden Heilpädagogen. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit war er über Jahrzehnte als Lehrer und Dozent über anthroposophische Heilpädagogik und Medizin tätig, eine Tätigkeit, die er z. B. in der Heilpädagogischen Lehrerbildung in Herne ausübte und ihn schliesslich bis Südamerika führte. Auch das Geschehen in den Netzwerken der anthroposophischen Heilpädagogik in Deutschland und auf internationaler Ebene bestimmte er mit. Mehr als zehn Jahre wirkte er im Vorstand der «Vereinigung der Heil- und Erziehungsinstitute» in Deutschland mit, später im Verbandsrat des «Verband für anthroposophische HeilpäZeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 dagogik, Sozialtherapie und Soziale Arbeit». Von 1961 bis zum Jahr 2000 war er Mitglied im internationalen «Initiativkreis» für Heilpädagogik innerhalb der Medizinischen Sektion am Goetheanum und in deren Nachfolgeorgan, der «Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie». Für Wilhelm Uhlenhoff war es immer wichtig zu betonen, dass er im «Heil- und Erziehungsinstitut» in Lauterbad nicht nur eine heilpädagogische Aufgabe gefunden habe, sondern auch ein Modell des sozialen Miteinanders, das – zu seiner Zeit noch ungewöhnlich für die Heilpädagogik – keine direktorale sondern eine kollegiale Leitung hatte. Zu seinen sozialen Intentionen gehörte auch, dass er 1966 Mitbegründer des «Lauenstein-Sozialfonds e.V.» wurde, einer Einrichtung der Altersvorsorge für die Mitarbeiter aus den Einrichtungen der Heilpädagogik und Sozialtherapie, in der er 40 Jahre lang im Vorstand mitarbeitete. Nach seinem Ausscheiden aus dem Institut in Lauterbad und der Rückkehr nach Überlingen waren es vor allem zwei Initiativen, die ihn bewegten: Seit 1984 hatte er sich – angeregt durch Gespräche mit Siegfried Pickert – schon mit den Lebensläufen der Kinder beschäftigt, die Rudolf Steiner im «Heilpädagogischen Kurs» des Jahres 1924 behandelt hatte, Kinder, die teils am «Klinisch-Therapeutischen Institut» in Arlesheim, teils in dem neuen «Heil- und Erziehungsinstitut» auf dem Lauenstein bei Jena lebten. Fast ausnahmslos waren ihre weiteren Schicksale, nachdem sie diese Einrichtungen verlassen hatten, dem Vergessen anheim gefallen, bis Uhlenhoff die Fäden ihrer Biographien wieder anzuknüpfen versuchte und an biographischem Material zusammentrug, was noch zu finden war. Sein 1994 erschienenes Buch «Die Kinder des Heilpädagogischen Kurses» gehört zu den Marksteinen und ersten Grundpfeilern einer Historiographie der anthroposophischen Heilpädagogik. Wenn er über diese Kinder sprach oder über Personen, welche die frühen Epochen geprägt hatten, bemerkte man, wie tief er sich 51 Nachruf innerlich mit ihnen verbunden hatte, als habe er mit ihnen gelebt. In seinen Untersuchungen zu den Schicksalen der Kinder erlebte er nicht nur Forscherinteresse, sondern eine Art von geistiger Führung, in der immer wieder glückliche Umstände zu bedeutsamen Entdeckungen führten. Seit der «Wende» 1989 engagierte er sich auch erfolgreich bei der Rückgewinnung und Wiederbegründung des ersten anthroposophischen «Heil- und Erziehungsinstitutes», das von Jena über Altefeld in Thüringen schliesslich durch die Zeitumstände nach Seewalde in Mecklenburg verlegt worden war, wo es den Krieg überdauert hatte, aber 1949 durch die DDR-Behörden geschlossen und enteignet worden war. Der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig, die abgelegene Einrichtung in einem der strukturärmsten Landstriche fand zunächst wenig Resonanz bei einer eventuellen Bewohnerschaft und verschiedene Probleme und Konflikte führten letztlich zu Wilhelm Uhlenhoffs Ausscheiden aus dem dortigen Vorstand. Und doch entstand aus der Seewaldener Initiative noch eine weitere Aufgabe, die ihn bis in seine allerletzte Lebenszeit in Anspruch nahm: Im Keller von «Ückermünde», einer Anstalt, die nach den Wendejahren zu trauriger Berühmtheit gelangt war, weil dort das Elend der Menschen, die während der DDR-Zeit in Anstalten leben mussten auf eine erschreckende Weise öffentlich geworden war, waren die Akten der Kinder des Lauenstein-Seewalde gefunden worden. Auf undurchsichtigen Wegen waren sie jedoch nicht dem rechtmässigen Besitzer ausgehändigt worden, sondern gelangten in die Fachhochschule Neubrandenburg, wo sie einer wissenschaftlichen Auswertung unterzogen werden sollten. Erst nachdem der zuständige Lehrstuhlinhaber das Interesse an diesen Dokumenten verloren hatte, wurden sie dem «Verein Lauenstein» zurückgegeben. Uhlenhoff hat sich intensiv mit den schwer lesbaren – z. T. in Sütterlin geschriebe52 nen – Dokumenten beschäftigt und die Grundlagen für eine weitergehende Auswertung gelegt, indem er zu jeder Akte ein Dossier erstellte. Sein Archiv mit Dokumenten aus der Geschichte der anthroposophischen Heilpädagogik, seine biographischen Anmerkungen zu Mitarbeitenden dieser Bewegung und die Kommentare zu den Kindern des «Lauenstein» übergab er noch auf dem Sterbebett an das Archiv der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie. Mit Wilhelm Uhlenhoff ist ein wichtiger Mitgestalter und Zeitzeuge der Entwicklung der anthroposophischen Heilpädagogik und der anthroposophischen Bewegung hochbetagt kurz vor seinem 90. Geburtstag in die geistige Welt gegangen. Ihm ist vieles zu verdanken. Sein Denken für die Heilpädagogik und Sozialtherapie war genuin und kompromisslos, von keinen Zweifeln angekränkelt. Besonders im Alter war er auch knorrig. Er hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg und es kam ihm nicht darauf an, sie vornehm zu verpacken. Es ging ihm um die Sache und er stand für sie ein, wobei er in den letzten Jahren auch anderen gegenüber gelassener und milder wurde. Persönlich war er bescheiden und liess sich durch die körperlichen Einschränkungen des Alters nicht aufhalten, auch nicht, als sein Augenlicht immer weiter nachliess, so dass in den letzten Jahren schliesslich seine treue Gattin Lioba für ihn las, schrieb und innersten Anteil an den Dingen, die ihn so intensiv beschäftigten, nahm. Er starb am 14. August in Überlingen, an seiner Bestattung nahmen seine grosse Familie und viele Kolleginnen und Kollegen aus der Heilpädagogik teil, aber auch Menschen aus seinem lokalen Überlinger Umkreis, in welchem Wilhelm Uhlenhoff gerade in den letzten Lebensjahren noch tiefe Eindrücke hinterlassen hatte. Rüdiger Grimm Berichte Heilpädagogik und Sozialtherapie in Thailand Angelika Gäch Nach den grundständigen Ausbildungskursen konnten sich die verschiedenen Initiativen in Bangkok, Khon Kaen, Chiang Mai und anderen Orten weiter vernetzen, und im Februar 2012 hat in Zusammenarbeit mit Thomas Kraus, Berlin, ein erster Kongress für Menschen mit Begleitungsbedarf in Thailand stattgefunden. Eine Vertiefung durch regionale Fortbildungen fand an zwei Wochenenden im Herbst 2012 statt, in denen neben weiterer Grundlagenarbeit eigene Erfahrungen vertieft werden sollten. Themen für die etwas 35 teilnehmenden Eltern, Studierende und Berufspraktiker waren neben der Bedeutung von Behinderung für den Betreffenden selbst, seine Familie, die Gesellschaft und unsere Zeit das Kind, Jugendliche und Erwachsene als Akteure ihrer eigenen Entwicklung unter dem salutogenetischen Gesichtspunkt von Bewegung und Sinnesbetätigung. Das Programm wurde ergänzt durch künstlerische Arbeit im Bereich der Eurythmie und der plastischen Kunst. In den freien Arbeitsgruppen wurden einerseits ein spirituelles Grundverständnis des Menschen auf der Basis des Buddhismus und andererseits viele praktische Fragen nach heilpädagogisch-sozialtherapeutischen Alltagsproblemen deutlich. Die Folgeveranstaltung in Khon Kaen hatte einen offizielleren Charakter, da sie unter der Koordination von Professorin Orasa Kongtaln, Leiterin der Fakultät für ‹Community Nursing› in den Räumen und mit organisatorisch-personeller Unterstützung der Universität stattfand. Auch hier entwickelte sich unter den etwa 60 Teilnehmenden eine intensive Zusammenarbeit. Rückblickend hoffe ich, dass die Heilpädagogik und Sozialtherapie in Thailand mit den beiden Veranstaltungen ein kleines Wegstück weiter geZeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 hen konnte. Persönlich bin ich dankbar für viele lebendige Menschenbegegnungen und für ein kurzes Eintauchen in die andere Kultur mit ihrer reichen Geschichte, ihrer bewegten Gegenwart und ihren vielen zukünftigen Aufgaben. Bericht vom Arbeitstreffen der heilpädagogisch tätigen Ärzte Christoph Wirz Die jährlich im Frühjahr stattfindenden Treffen der in Heilpädagogik und Sozialtherapie tätigen Ärzte und Ärztinnen sind nicht mehr von Vorträgen geprägt, sondern von Referaten aus dem Teilnehmerkreis zum Tagungsthema und dem gegenseitigen Austausch. Der Charakter ist also intimer geworden und die Mitarbeit jedes einzelnen ist wichtig. Dieses Jahr stand der vierte Vortrag des heilpädagogischen Kurses und damit die ‹kindliche Hysterie› im Vordergrund. Ausserdem beschäftigte uns die Nomenklatur der drei Polaritäten: Martin Niemeijer stellte die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen hinsichtlich der neuen beschreibenden Begriffe vor, die nun auch in Buchform vorliegen. Mit Rüdiger Grimm tauschten wir uns über die Bezeichnungen im heilpädagogischen Kurs aus, die infolge der Prägung durch das Zeitkolorit heute teilweise diskriminierend anmuten (minderwertige Kinder, kindliche Hysterie, schwachsinnig). Ein anderes Lebenswerk und seine Beziehung zur umweltoffenen Konstitution stellte uns Carla Papke-Hesse vor: ihre Bearbeitung des fragilen X-Syndroms. Die Heil-Eurythmie mit Frau Romero – dieses Mal die seelischen Übungen – halfen uns in die richtige Arbeitsstimmung zu kommen und waren eine grosse Bereicherung. Die Arbeitsgruppe ist offen für weitere Mitarbeitende. Wir treffen uns wieder im 2014 vom 5. bis 9. März in Wuppertal. 53 Berichte Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ‹Istok› in Irkutsk Sibirien Hans Gammeter In der ostsibirischen Irkutsker Region besteht seit dem Jahre 2000 eine kleine Lebensgemeinschaft für Menschen mit einer Behinderung. Der Name Istok entstammt der russischen Sprache und bedeutet ‹Quelle›. In der Weihnachtsnacht 2012 wurde diese Gemeinschaft von einer verhängnisvollen Brandkatastrophe getroffen. Das neue grossräumige Wohnhaus, welches über die letzten vier Jahre entstanden ist und seit eineinhalb Jahren bewohnt werden konnte, ist abgebrannt. Dabei kam für zwei Bewohnerinnen jede Hilfe zu spät. Die zwei jungen Frauen haben das soziale Leben in dieser Gemeinschaft mit ihrer Fröhlichkeit geprägt. Elena 32-jährig, gehörte von Anfang an dazu und die 24-jährige Aljessa kam vor sechs Jahren nach Istok. Für die beiden Frauen war Istok eine wirkliche Heimat geworden. Die Lebensgemeinschaft Istok ist aus der heilpädagogischen Tagesschule Talisman entstanden. Die Behörden stellten zu diesem Zwecke ein verlassenes Raketen-Übungsgelände des Militärs zur Verfügung. Auf einer leichten Anhöhe, umgeben von Birkenwäldern und Wiesen, liegt dieser landschaftlich ansprechende Platz. In den ersten Jahren musste das Gelände von riesigen Mengen militärischem Abfall gesäubert werden, um diesen vergangenheitsbelasteten Ort einer neuen Bestimmung zuzuführen. Die Pioniergruppe, bestehend aus den Eltern der Jugendlichen, war von der Camphill Gemeinschaftsidee inspiriert und traten an mich mit der Bitte heran, die Aufbauarbeit zu begleiten. So habe ich dieser Gruppe am Anfang zwei mal sechs Monate vor Ort geholfen und die russischen Mitarbeitenden beim Aufbau begleitet. Daraus wurde über die letzten 13 Jahre eine intensive Zusammenarbeit, da ich ein bis zweimal jährlich nach Irkutsk reise. Die Gemeinschaft 54 hat sich langsam entwickelt und heute leben 16 Menschen mit einer Behinderung mit den Mitarbeitern zusammen und teilen das Leben und die Arbeit. Das einfache Leben ist geprägt von Landwirtschaft mit fünf Kühen und deren Jungtieren, Garten, Holzwerkstatt, Kreativwerkraum und Hauswirtschaft. Mit Stolz können wir erleben, wie über die Jahre eine kleine Oase in dieser Wildnis aufgebaut wurde. Eine Wildnis, die geprägt ist von klimatischen Extremen. Die lang andauernden kalten Winter mit Temperaturen bis zu -40 Grad Kälte sind für die Gemeinschaft ein grosser Prüfstein, um das Leben aufrecht zu erhalten. Die kurze, heisse Sommerzeit entschädigt sie mit einer überwältigenden Blumenpracht und dem enormen Wachstum im Gemüsegarten. Dieser Ort wird mit grosser Liebe von den Bewohnerinnen und Bewohnern geprägt und zu ihrem neuen Lebensinhalt gestaltet. Ein reges Kulturleben hat sich entwickelt. Die Jahresfeste, meist verbunden mit Theaterspielen, sind besondere Höhepunkte, die mit geladenen Gästen gefeiert werden. Übers Jahr finden regelmässig Malkurse statt. Immer wieder kommen Freunde und neue Menschen, welche die Gemeinschaft erleben wollen. Es scheint, als ob an diesem Ort die Zeit eine andere Dimension entwickle. Da regelmässig junge PraktikantInnen aus verschiedenen Ländern in Istok gelebt und mitgearbeitet haben, ist eine intensive Beziehung dieser Gemeinschaft zu Menschen aus anderen Kulturen entstanden. Daraus hat sich ein jährlich stattfindendes Sommercamp mit Studenten aus Russland und aus europäischen Ländern entwickelt. Es entstanden verschiede Bauprojekte über die letzten Jahre. Das neue Haus wurde in den vergangenen drei Jahren wärmegedämmt und mit einem Eingangsbereich vergrössert. Bei solchen Projekten wird die Gemeinschaft unterstützt von einer Initiativgruppe ‹West-Ost› aus Deutschland und der Schweiz. Diese begleitet und fördert seit den Anfängen die heilpädagogische und sozialtherapeutische Arbeit in Irkutsk. Berichte Ein junger Praktikant aus Deutschland, Tim Mergelsberg, der in Istok seinen Zivildienst leistete, konnte sich für die Idee der Herstellung von Gefässen aus Birkenrinde begeistern. Dies ist ein traditionelles Handwerk in Sibirien. Mit seinem Freund Jakob Steigerwald, der ebenfalls in Istok seinen Freiwilligendienst absolvierte, bauten sie eine Werkstatt für Birkenrindenverarbeitung auf. Tims Idee war, die Werkstatt an einem Wertschöpfungsprozess zu beteiligen. Damit sollte Istok ermöglicht werden, sich langsam von der Spendenabhängigkeit aus dem Westen zu befreien. Heute wird ein Teil der Produkte von Dosen über die Firma ‹Sagaan› in Deutschland verkauft, welche Tim Mergelsberg zu diesem Zweck gegründet hat. (www.sagaan.de) Durch den Bau des neuen Hauses hatte die Gemeinschaft sich vergrössert und ein wichtiger Entwicklungsschritt in die Zukunft konnte gemacht werden. Nach dem Brand sind nun viele Fragen offen hinsichtlich der Zukunft. Bis jetzt Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 wurde die Gemeinschaft nur von Elternbeiträgen und von Spenden finanziert. Von den Behörden kam selten finanzielle Unterstützung. Die Gemeinschaft steht nun vor einer grossen Herausforderung. Spenden oder Daueraufträge In Deutschland Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. Weinmeisterstrasse 16, 10178 Berlin E-Mail: [email protected] Postgirokonto Stuttgart Stichwort für die Dorfinitiative: BLZ 60010070, Kto. 39800704 Istok 6362 In der Schweiz Hans Gammeter –Talisman Freie Gemeinschaftsbank BCL Zugunsten von 2.488.0 ACACIA 8392 ACACIA Fonds für Entwicklungszusammenarbeit Konto 40-963-0 IBAN: CH13 0839 2000 0000 2488 0 Vermerk: Istok 55 Andreas Fischer Zur Qualität der Beziehungsdienstleistung in Institutionen für Menschen mit Behinderungen Eine empirische Studie im Zusammenhang mit dem QM-Verfahren «Wege zur Qualität» Edition Anthropos Verlag am Goetheanum & Athena Verlag Dornach 2012 Euro: 32,00 / CHF: 42,90 Rezension: Thomas Schoch Neue Bücher 56 Das Buch erscheint in der neuen Reihe ‹Anthropos›, die von Rüdiger Grimm, KHS Dornach, herausgegeben wird. Einleitend stellt der Autor in der als Dissertation verfassten Studie die Ausgangsfragen: «Kann der spezielle Charakter der Beziehungsdienstleistung in Institutionen für Menschen mit Behinderungen mit Hilfe eines Qualitätsverfahrens adäquat erfasst (...) werden? Wird die fachliche Arbeit für die betreuten Menschen dadurch besser oder werden die Mitarbeitenden von ihrer Kernaufgabe abgezogen?» (S. 16). Fischer klärt zunächst im zweiten Kapitel den Begriff der ‹Qualität› und bringt diesen in Kapitel vier in Zusammenhang mit der anthroposophischen Ausrichtung. In einer wohltuend klaren Sprache beleuchtet er die Kernaufgabe heilpädagogischer und sozialtherapeutischer Arbeit aus verschiedenen Perspektiven, verweist auf unterschiedlichste Fachleute und verknüpft deren Aussagen mit eigenen Erkenntnissen und Erfahrungen. Dabei arbeitet er das für praktisch Tätige tagtäglich erfahrbare Erleben heraus, dass unser Han- deln innerhalb eines offenen, weil dialogisch bestimmten Prozesses erfolgen muss. Kenntnisreich weist Fischer auf viele Spannungsfelder hin, welche diese Offenheit gefährden, wie beispielsweise der sensible Umgang mit Macht und Ohnmacht im sozialen Feld. Denn «während früher eindeutig die Seite der Machtausübung im Vordergrund stand, ist heute in Institutionen bei vielen Mitarbeitenden sehr oft eine grosse Verunsicherung – ‹was darf ich überhaupt noch?› – spürbar“ (S. 25). Dies führt auf der anderen Seite «wieder in eine Dilemmasituation: ich kann meine berufliche Aufgabe nur dann wahrnehmen, wenn ich sie mit meiner Persönlichkeit, also subjektiv, ergreife. Gleichzeitig muss ich Ansprüche höchster Objektivität stellen, muss mein Handeln doch durch Motive, die in der Biographie meines Gegenübers zu finden sind, geleitet und bestimmt werden“ (S. 175). Fischer verzichtet auf vorschnelle Lösungsansätze. Vielmehr lotet er im zweiten und vierten Kapitel das Kerngeschehen heilpädagogischer und sozialtherapeutischer Arbeit bis zu Grundfra- gen des menschlichen Lebens aus. Umfassend und praxisnah reflektiert er ethisches Handeln, welches letztlich nur in einem dialogischen Entwicklungsverständnis gründen kann. Daraus ergibt sich die zentrale Bedeutung der menschlichen Beziehung und inneren Begegnung. Wie an vielen andern Stellen, unterstreicht Fischer diese Erkenntnis durch pointierte Aussagen direkt Betroffener: «ICH KONNTE NUR MIT MENSCHEN KONTAKT HABEN DIE MIR INNERLICH BEGEGNET SIND» (zit. nach Riesen/Stärkle, S. 61). Mitarbeitende als BeziehungsGestaltende sind nicht nur zentral für die heilpädagogische und sozialpädagogische Arbeit. Ebenso sind sie Ausgangs- und Bezugspunkt des Qualitätsverfahrens ‹WZQ›. Der Qualitätsbegriff dieses Verfahrens ist die Frage nach der jeweils adäquaten ‹Beziehungsdienstleistung›. Aufbauend auf diesen Qualitätsbegriff beschreibt Fischer übersichtlich im zweiten Teil der Arbeit im fünften Kapitel das Verfahren ‹Wege zur Qualität› und nennt als Grundanliegen, dass Soziales «nicht organisiert werden (kann), es können aber offene und transparente Strukturen geschaffen werden, damit Soziales möglich wird, (…)» ( S. 124). Hilfreich in der Darstellung des Verfahrens wirkt sich aus, dass Fischer die Fragestellungen und Indikatoren, welche er für die breit abgestützte Evaluation des Verfahrens angewendet hat, gleich am Schluss jedes Kapitels aufführt. Dadurch wird offensichtlich, welche praktische Relevanz die Gesichtspunkte von ‹WZQ› in der konkreten Umsetzung haben können. In Kapitel 5.7.2 ‹Aspekte zur Entwicklungsbegleitung oder Förderplanung› weitet Fischer den Zeitschrift Seelenpflege 2 | 2013 Gegenstand des Qualitätsverfahrens auf ein spezifisch heilpädagogisches Thema aus. Wer dieses fundierte und anregende Kapitel durchliest, gewinnt nicht nur vielfältige thematische Impulse. Vielmehr lässt sich exemplarisch der individualisierende Umgang mit ‹WZQ› erkennen, welcher für die Umsetzung des Verfahrens ebenso notwendig ist, wie für die mögliche Bearbeitung von Fachfragen. Voraussetzung dazu sind ein offener Sinn für reale Fragestellungen und ein lebensgemässes Denken mit umfassender Sachund Fachkenntnis gekoppelt. Im achten Kapitel fasst Fischer das Ergebnis seiner umfassenden Evaluation zusammen: Einführung und kontinuierlicher Umgang mit ‹WZQ› steigern eindeutig die Wirksamkeit der realen Betreuungsund Begleitarbeit. Dieses Ergebnis führt Fischer zurück auf die enge Verknüpfung des Ansatzes von ‹WZQ› mit den Grundlagen der Begleitung von Menschen mit Behinderung als «(...) Versuch, die neuen Paradigmen wie Selbstbestimmung, Autonomie, Teilhabe und Empowerment im Hinblick auf die Beziehungsdienstleistung für die Mitarbeitenden einer Institution umzusetzen» (S. 265). Das Verdienst von Fischer liegt darin, diese Gemeinsamkeit zwischen dem Verfahren ‹WZQ› und der Heilpädagogik, Pädagogik und Sozialtherapie früh erkannt, unterstützt und mit seinem Buch empirisch nachgewiesen zu haben. Dem Buch wünschen wir eine weite Verbreitung. Praktiker und Lehrende finden darin für sich, aber vor allem auch für gemeinsame Grundlagenarbeit zu heilpädagogischen oder sozialen Themen eine Fülle von Anregungen. Termine 03./04. Mai 2013 und 21./22. Juni 2013 Fachwissen, Diagnostik der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie Einführungskurs der gahs | Modul 2 CH-Zürich Info: www.fortbildung-gahs.ch 30.05. und 01.06.2013 Vorbereitungswochenende für Klassenlehrer in der Heilpädagogik Mit Vortrag ‹Die Bedeutung von Grenzen für die seelische Entwicklung› DE-Hannover-Bothfeld Info: [email protected] 30./31.08. und 20./21.09.2013 Berufshygiene, Umgang mit mir – Umgang mit uns Einführungskurs der gahs | Modul 3 CH-Zürich Info: www.fortbildung-gahs.ch 03. bis 05. Oktober 2013 Erde – Mensch – Kosmos 7. Fachtagung für HeileurythmistInnen und ÄrztInnen CH-Arlesheim Info: www.heileurythmie.ch und www.berufsverband-heileurythmie.de 31. Oktober bis 05. November 2013 8. Internationale Musikwoche für Heilpädagogik und Soziale Arbeit DE-Brachenreuthe Info: www.musikwoche-heilpaedagogik.de 57 Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie 32. Jahrgang 2013 Heft 2 Impressum Herausgegeben von der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie in der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum, Dornach (Schweiz) Layout Roland Maus Redaktion Dr. Rüdiger Grimm Dr. Bernhard Schmalenbach Gabriele Scholtes Druck Uehlin Print und Medien GmbH Hohe-Flum-Strasse 40 DE-79650 Schopfheim Administration Angela Wirth Anschrift Zeitschrift Seelenpflege Ruchti-Weg 9, CH-4143 Dornach Telefon: +41 61-701 84 85 Telefax: +41 61-701 81 04 eMail: [email protected] Website: www.khsdornach.org Die Zeitschrift erscheint viermal jährlich. Abonnementspreise Abonnement Studierende/Senioren Einrichtungsabonnement Einzelheft (zuzügl. Porto) CHF Euro 42.--32.00 27-- 20.00 34--25.50 15.-- 10.00 Satz Rüdiger Grimm, Gabriele Scholtes Verlag der Konferenz für Heilpädagogik und Sozialtherapie, Dornach ISSN 1420-5564 Das Abonnement ist mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende kündbar. Einrichtungsabo: Preis bei Bestellung ab 10 Ex. Mediadaten: www.khsdornach.org ---------------- ------------------------------------------------------------------ Ich abonniere jetzt! die Zeitschrift Seelenpflege in Heilpädagogik und Sozialtherapie zum Preis von CHF 42.00 / Euro 32.00 (Studierende und Senioren 27.00 / 20.00) pro Jahr. Das Abonnement ist mit einer Frist von sechs Wochen zum Jahresende kündbar. Mein Abonnement beginnt mit der nächsten Ausgabe. Name Strasse Land | PLZ | Ort Telefon Email Datum, Unterschrift