DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER

Transcrição

DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER
Alamode Film und Philippe Carcassonne
präsentieren
DAS ZWEITE LEBEN DES
MONSIEUR MANESQUIER
(L’homme du train)
Ein Film von Patrice Leconte
mit
Jean Rochefort Johnny Hallyday
Venedig Film Festival 2002
Im Wettbewerb
Publikumspreis
Filmstart: 24. November 2005
Verleih
Alamode Film
Nymphenburger Straße 36
80335 München
Tel. 089-17 99 92 11
Fax. 089-17 99 92 13
[email protected]
www.alamodefilm.de
Pressebetreuung
Wolfgang W. Werner PR
Leopoldstr. 35
80802 München
Tel. 089-38 38 67 0
Fax. 089-38 38 67 11
[email protected]
BESETZUNG
Manesquier
Milan
Luigi
Max
Sadko
Viviane
Manesquiers Schwester
Gärtner
Verlin
Jean ROCHEFORT
Johnny HALLYDAY
Jean-François STEVENIN
Charlie NELSON
Pascal PARMENTIER
Isabelle PETIT-JACQUES
Édith SCOB
Armand CHAGOT
Jean-Louis VEY
STAB
Regie
Drehbuch
Original-Musik
Kamera
Produktions-Design
Schnitt
Ton
Produzent
Ausführender Produzent
Ko-Produzent
Patrice LECONTE
Claude KLOTZ
Pascal ESTÈVE
Jean-Marie DREUJOU (a.f.c.)
Ivan MAUSSION
Joëlle HACHE
Paul LAINÉ
Jean GOUDIER
Dominique HENNEQUIN
Emmanuel CROZET
Philippe CARCASSONNE
Christophe AUDEGUIS
Carl CLIFTON
TECHNISCHE ANGABEN
Frankreich 2002
Länge: 90 Minuten
Tonformat: Dolby SR
Bildformat: 1:2,35 Cinemascope
2
KURZINHALT
Ein mysteriöser Fremder steigt als einziger Reisender in einem verschlafenen
französischen Dorf aus dem Zug. Sein Name ist Milan (Johnny Hallyday) und er hat
vor, die örtliche Bank zu überfallen. Kurz nach seiner Ankunft begegnet er zufällig
Manesquier (Jean Rochefort), einem pensionierten Lehrer, der kurz vor einer
Herzoperation steht. Zwischen den beiden unterschiedlichen Männern entsteht eine
Art Freundschaft. Während sie sich immer besser kennen lernen, wird klar, dass
jeder sich wünscht, er hätte das Leben des anderen führen können. Der Lehrer, der
davon träumt, ein Abenteurer zu sein, und der Abenteurer, der sich nach einem
friedlichen Leben sehnt. Die Frage, was gewesen wäre, wenn jeder der beiden den
Weg des anderen eingeschlagen hätte, wird für die beiden Männer immer
existentieller. Sie haben drei Tage Zeit, dies herauszufinden - drei Tage, um sich
vorzustellen, dass ein anderes Leben möglich gewesen wäre...
3
GESPRÄCH MIT PATRICE LECONTE
Wie kam es zu diesem Filmprojekt?
Wenn man einen Filmemacher mit dieser Frage konfrontiert, dann ist es ja im
Allgemeinen so, dass er gar nicht mehr so recht weiß, was eigentlich der erste
Impuls gewesen ist. Ausnahmsweise ist die Frage in diesem Fall aber ganz einfach
zu beantworten: Johnny Hallyday war es, der das Projekt angeregt hat. Wir sind uns
im Jahr 1998 bei der Verleihung der Césars begegnet. Er hat Godard einen César
überreicht, und ich tat das gleiche für den „besten Regisseur des Jahres“, bei dem es
sich damals um Luc Besson handelte. Hinter den Kulissen legte mir Johnny später
die Hand auf die Schulter, um mir zu sagen, dass er meine Filme sehr mochte. Er
würde sich nach der Zeremonie gerne mit mir zum Abendessen treffen. Ich dachte,
dass er mich sicher gleich wieder vergessen würde, doch dann kam jemand an den
Tisch, an dem ich gerade mit ein paar Freunden zu Abend aß, um mir zu sagen:
„Herr Hallyday erwartet Sie an seinem Tisch.“ Im Verlauf des Abends meinte er dann:
„Eines Tages würde ich gerne von Ihnen gefilmt werden“ – genau so, Wort für Wort.
Das hat mich tief berührt. Es hatte schon fast etwas Weibliches, wie er diesen
Wunsch äußerte. Ich habe mich allerdings nicht gleich um dieses Projekt gekümmert,
denn bei mir braucht es immer eine gewisse Zeit, bis die Ideen, die in irgendwelchen
Winkeln meines Hirns herumgeistern, schließlich Früchte tragen. Nach und nach
haben sich aber bruchstückhaft die Bilder zusammengefügt.
Und dann gab es ja noch einen zweiten Auslöser: Die Vorstellung, einen Film mit
Johnny Hallyday UND Jean Rochefort zu drehen.
Und was die Geschichte als solche betrifft?
Nachdem dieses etwas wunderliche Aufeinandertreffen der beiden Hauptdarsteller
feststand, habe ich damit angefangen, mir die Provinz auszumalen, den Zug, einen
Typen, der aus dem Nirgendwo kommt, eine eher unwahrscheinliche Begegnung...
An diesem Punkt angelangt, habe ich mich an Claude Klotz gewandt. Während ich
ihm von dem Projekt erzählte, fixierte ich ihn die ganze Zeit, um ihm von den Augen
abzulesen, ob er wohl Feuer fangen würde... Und wirklich, in seinen Augen flackerte
es ungemein! Er meinte, dass er das sehr aufregend fände, dass er zwar noch nicht
wisse, was er daraus machen könne, aber aufregend fände er es in jedem Fall. Drei
Wochen später rief er dann an: „Ich glaub, ich hab’s!“ Dann fing er an, mir seine
Geschichte zu erzählen, und ich fand sie phantastisch. Er schrieb sie nieder, und an
diese Vorlage habe ich mich bei den Dreharbeiten dann fast bis aufs i-Tüpfelchen
gehalten. Diesmal habe ich sein Drehbuch also mit größter Ehrfurcht behandelt, was
bei den früheren Filmen, bei denen wir zusammengearbeitet haben, nicht immer der
Fall gewesen ist, denn da hatte ich mir oft mehr Freiheiten gegenüber seiner Arbeit
herausgenommen. Als ich aber das Drehbuch zu DAS ZWEITE LEBEN DES
MONSIEUR MANESQUIER las, habe ich sofort gefunden, dass dies eine einfache,
gut gestrickte Geschichte sei, und dass der Film seine Darsteller bestens zur Geltung
bringen würde.
4
Unwahrscheinliche Begegnungen sind ja ein Motiv, das in Ihrem Kino zu einer
Konstante geworden ist...
Unwahrscheinliche Begegnungen kommen aber doch in rund der Hälfte aller
Filmhandlungen vor! Als wären die Filmemacher und Drehbuchautoren allesamt
Zauberlehrlinge oder vielleicht Alchimisten, die nichts besseres zu tun haben, als
Begegnungen zwischen Figuren einzufädeln, die sich sonst nie über den Weg
gelaufen wären – einfach um zu sehen, was dabei wohl herauskommt! In gewisser
Weise bildete das Aufeinandertreffen von Jean Rochefort und Johnny Hallyday den
Ausgangspunkt für das Drehbuch, mehr noch sogar als die Begegnung zwischen
den Figuren, die sie verkörpern. Da prallen zwei Welten aufeinander, die nicht
wirklich dafür geschaffen sind, in Einklang miteinander gebracht zu werden. Wenn
die beiden zusammen im selben Orchester spielen müssten, dann würden sie lange
brauchen, um die gleiche Melodie zu spielen. Genau das ist aber das Interessante.
Haben Sie auch Pascal Estève mit dieser Metapher konfrontiert, um ihn beim
Komponieren der Filmmusik entsprechend zu instruieren?
Ich habe tatsächlich zu Pascal Estève gesagt: „Johnny Hallyday, das ist Ry Cooder,
und Jean Rochefort, das ist Schubert. Wenn sie getrennt sind, dann hat jeder von
beiden seine eigene Begleitmusik, wenn sie aber beieinander sind, dann muss Ry
Cooder mit Schubert zusammenspielen.“ Das hat ihm genügt, um die Musik zu
komponieren. Doch nicht nur in diesem Punkt, sondern ganz generell wollte ich
erreichen, dass alles an der Verschiedenheit zwischen den Charakteren teilhat. Was
das Licht betrifft, so haben wir vereinbart, dass bei Milan, der von Johnny Hallyday
gespielten Figur, eine bläuliche, kalte und metallische Beleuchtung angebracht wäre,
wohingegen bei Manesquier, der von Jean Rochefort verkörpert wird, eher samtige
Beigetöne vorzuziehen seien. Wenn sie zusammen waren, dann sollte sich das ein
wenig mischen, aber sobald sie wieder getrennt waren, sollte jeder seine eigenen
Farben haben. Ich finde es schön, wenn ein Film solch eine Kohärenz zwischen den
verschiedenen Elementen aufweist, aus denen er sich zusammensetzt, wenn also
ein künstlerischer Plan dahinter steckt.
Und was hat es mit dem Ende des Films auf sich, das einen unversehens ins
Reich des Phantastischen oder zumindest ins Reich der Träume katapultiert?
Das ist eine Sache, die ursprünglich gar nicht so im Drehbuch stand. Eigentlich war
vorgesehen, dass Manesquier und Milan beide sterben sollten, beide auf ihre eigene
Weise, aber zur gleichen Zeit. Als ich dann aber noch einmal dieses Ende las, hat
mich das irgendwie fertig gemacht: schon wieder sollte ich also einen Film drehen,
der mit dem Tod der Hauptdarsteller endet. Es gibt nichts leichteres, als seine
Figuren am Ende einfach sterben zu lassen. Als müsste man sich ihrer entledigen,
um die Geschichte zu beenden. Heute finde ich aber, dass das Leben zu kurz ist, um
seine Filmfiguren sterben zu lassen! Ich habe also zu Klotz gesagt: „Hör mal, lass
uns doch einen Ausweg finden, damit die Figuren am Ende nicht vollständig
sterben!“ Und dann ist uns zusammen dieses Ende eingefallen, das zwar ein wenig
seltsam ist, aber zumindest den Vorzug hat, positiv zu sein. Ich wollte, dass die
Träume von Manesquier und Milan auf die eine oder andere Weise in Erfüllung
gehen.
5
Irgendwie ist das auch eine Form, gegen das Schicksal anzugehen – ein
anderes Motiv, das in ihren Filmen häufiger vorkommt...
Es stimmt, dass man in meinen jüngeren Filmen den Eindruck gewinnt, als würden
sich meine Protagonisten auf Gleisen befinden, die geradewegs zu einem fatalen
Ende führen. Ein wenig so, als würde man gleich zu Beginn der Geschichte das Bild
mit einem eingeblendeten Titel versehen, der da sagt: „Diese Geschichte wird
schlecht ausgehen!“ Bei DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER war
ich ganz glücklich darüber, dass es mir wie bei einer Art Zirkuspirouette gelungen
war, die Dinge umzukrempeln, um auf diese Weise dem Gewicht eines tragischen
Endes zu entgehen. Ich glaube, ich bin nicht bereit, wieder zu solch traurigen
Schlüssen zurückzukehren.
Bei der Szene in der Brasserie versucht Manesquier, der von Jean Rochefort
gespielt wird, gegen sein Schicksal als schüchterner Mensch anzugehen,
indem er sich bei den lärmenden jungen Leuten beschwert...
Manesquier und Milan hätten sich ebensogut niemals begegnen können. Von dem
Moment an jedoch, da der Prozess ihrer Annäherung einmal in Gang gesetzt war,
mussten sie beide Schritt für Schritt einen Fuß in das Universum des anderen setzen
und dabei das leise Gefühl empfinden, als würden sie sich in den jeweils anderen
verwandeln. Milan fängt an, Pfeife zu rauchen und probiert Pantoffeln an, während
Manesquier, durch Milans Blicke ermutigt, es wagt, sich mit den jungen Leuten
anzulegen. Wäre diese Lust auf Verwandlung nur einseitig, so wäre sie nicht
interessant. Da aber beide davon träumen, einmal der andere zu sein, herrscht ein
Einvernehmen zwischen ihnen. Das fand ich besonders bewegend am Drehbuch von
Claude Klotz, diese Lust, ein Leben zu leben, das man nicht gelebt hat, sich einfach
anders zu verhalten. Jeder hat seine eigene Art, wir sind alle Produkte unseres
eigenen Lebens. Und man sehnt sich immer nach den Dingen, die einem das eigene
Leben nicht geschenkt hat.
Haben Sie irgendwann die Versuchung verspürt, diesen Persönlichkeitstausch
noch weiter zu treiben?
Ein vollständiger Tausch war nicht möglich. Wenn Jean Rochefort in Lederkluft eine
Bank überfallen hätte, während Johnny Hallyday mit dem Gärtner palavert, dann
wäre das einfach lächerlich gewesen. Ich wollte nicht, dass die Figuren ihre eigene
Persönlichkeit vergessen, indem sie in die Welt des anderen eintreten. Wenn Sie das
ganze Leben ein kleiner Pimpf sind, dann können Sie nicht mit einem Mal Arnold
Schwarzenegger sein, der allen eins aufs Maul gibt, so etwas ist unmöglich. Oder
das wäre dann reinste Komik, ein Karneval. Ich misstraue dem Naturalismus zwar
sehr, aber ich wollte doch, dass der Film hinlänglich realistisch erscheint, um die
Figuren glaubhaft wirken zu lassen, so dass sie einen bewegen. Einen pensionierten
Französischlehrer, der seit Ewigkeiten nicht aus seinem Nest herausgekommen ist
und von Nevada träumt, den nimmt man einem ab. Und dass ein anderer Typ, der
fast überall herumgekommen ist und vom Leben ziemlich gezeichnet ist, davon
träumt, sein Gepäck einmal irgendwo abstellen zu dürfen, auch das ist glaubhaft.
Man kann das aber nicht auf die Spitze treiben, sondern muss im Rahmen dessen
bleiben, was man als eine Art möglichen Traum bezeichnen könnte.
6
Sie zeichnen da ein etwas verfremdetes Bild vom Leben in der Provinz. Man
bekommt fast den Eindruck einer toten Stadt.
Ich liebe es, Dinge zu verfremden und das „echte Leben“ zu stilisieren. Ich finde es
immer schrecklich fade, wenn es allzu sehr darum geht, das Leben so nachzustellen,
wie es wirklich ist. Tatsächlich spielt der Film zwar in Annonay, aber das wird nie
gesagt. Ich stamme selber aus der Provinz, daher mache ich mich nicht über sie
lustig. Andererseits wollte ich aber das Klischee von der reizenden, hübschen und
langweiligen Provinz vermeiden. Die Händler, die Märkte, die Bengel, die aus der
Schule kommen – alles, nur das nicht! Die Szene beim Friseur mit Maurice Chevit ist
ein beabsichtigter Clin-d’oeil auf LE MARI DE LA COIFFEUSE. Das wirkt vielleicht
wie ein prätentiöses Selbstzitat, aber das war mir egal. Ich hatte einfach Lust darauf
und mir machte das Spaß.
Die Verweigerung eines naturalistischen Ansatzes macht sich auch in der
Tonspur bemerkbar, wo sich reale Geräusche und Musik miteinander
vermengen.
Ich hatte zu Pascal Estève gesagt, dass ich eine Musik haben wollte, die man mit
Geräuschen befrachten könne, so dass sich Musik und Geräusche wechselseitig
durchdringen würden. Ein Sound-Design also, wie das heute ein wenig großspurig
genannt wird. Es gibt Filme, die schon durch die bloße Art des Projekts Klänge
heraufbeschwören. Das war hier nicht der Fall: ein Haus in einer kleinen Stadt,
Blätter an den Bäumen – was soll man damit schon anfangen? Jean Goudier, mein
Spezialist für den Tonschnitt – ein sehr sensibler und erfinderischer Typ, mit dem ich
schon seit langem zusammenarbeite und dem meine Werke viel zu verdanken haben
– hat sich als ungeheuer einfallsreich erwiesen. Auch hier war es notwendig, die
Dinge ein wenig zu verfälschen, den berühmten Naturalismus zu vermeiden und für
eine gewisse Verfremdung zu sorgen.
Geht Ihre Ablehnung des Naturalismus nicht mit jener nostalgischen
Atmosphäre einher, die Ihre Filme ausstrahlen?
Die hat nicht direkt etwas mit Nostalgie zu tun, wenngleich das tatsächlich ein wenig
aufs Gleiche herauskommt. Bewusst oder unbewusst strebe ich immer danach, Filme
zu drehen, die sich nicht so leicht einordnen lassen. Das Paradebeispiel dafür ist
wohl MONSIEUR HIRE, aber ich stelle fest, dass auch sonst viele meiner Filme
keine Angaben zu einer zeitlichen Einordnung enthalten: TANDEM, LE MARI DE LA
COIFFEUSE, FELIX ET LOLA, LA FILLE SUR LE PONT... Als Milan dem kleinen
Jungen eine Französischstunde erteilt, gibt er ihm folgendes Aufsatzthema: „Was
hätte Eugénie Grandet getan, hätte sie ein Telefon gehabt?“ Ein Handy wäre bei mir
niemals durchgegangen, weil das den Film zeitlich zu sehr festgelegt hätte. Es ist
nun nicht so, dass ich in besonderem Maße an der Vergangenheit hängen würde,
andererseits aber bin ich auch nicht besonders modern. Ich bin nicht wahnsinnig
vernarrt in die heutige Zeit. Falls meine Filme es erlauben sollten, sich in irgendein
„Anderswo“ zu flüchten, in eine nicht näher bestimmbare Zeit, wo man sich nur für
die Figuren statt für die Umstände interessiert, so bin ich ganz und gar zufrieden!
Außerdem entstehen auf diese Weise Filme, die nicht so schnell altern...
7
Zu Beginn des Films hat man wirklich den Eindruck, man befände sich in
einem Western. Ist auch das wieder ein Versuch, sich vom Naturalismus zu
distanzieren?
Ein Typ wie Johnny Hallyday ist von vornherein mit einem sehr stark ausgeprägten
Image behaftet. Es wäre ein wenig absurd gewesen, gleich zu Beginn des Films ein
anderes Bild von ihm zu zeigen. Man hätte zuviel Mühe gehabt, das zu verdauen.
Daraus ergab sich dieser Eindruck eines Western – wie er da so großartig die Bühne
einer leeren Stadt betritt, aller Illusionen beraubt, bewaffnet einzig und allein mit der
Sporttasche in seiner Hand. Am Anfang ist es eben ganz Johnny Hallyday, der da
aus dem Zug steigt: Er verkörpert das, was man sich von ihm erwartet, was dem Bild
von ihm am meisten entspricht. Der Film startet also recht komfortabel auf längst
vertrautem Terrain, um den Zuschauer dann ganz allmählich mit sonderbareren
Dingen zu konfrontieren. Ich glaube, ich habe das immer so getrieben: erst die
Wachsamkeit der Zuschauer einschläfern, um sie dann irgendwohin zu entführen.
Ein Freund von mir hat mir mit folgender Feststellung das schönste Kompliment
gemacht, das ich mir nur wünschen konnte: „Nach fünf Minuten hatte ich schon
vergessen, dass das Johnny Hallyday war.“ In gleicher Weise bin ich auch mit Jean
Rochefort verfahren. Zunächst bin ich von dem Bild ausgegangen, das man sich von
ihm erwartet, habe ihn also dabei gezeigt, wie er in Büchern versunken ist, zu Hause
herumhockt und in irgendeinem Kunstband blättert.
Wie verlief die Begegnung mit Johnny Hallyday?
Ich mag diesen Mann über alle Maßen und habe es wirklich genossen, mit ihm
zusammenzuarbeiten. Seltsamerweise habe ich auf Anhieb ein blindes Verständnis
zwischen uns verspürt – ganz so, als hätten wir schon zehn Filme miteinander
gedreht! Dieses Verständnis beruhte auf einem Zauberwort: Vertrauen. Ihm gefiel
das Projekt, außerdem war er begeistert von der Vorstellung, mit mir einen Film zu
drehen, also hat er mir blindlings vertraut. Und ich musste mich dieses Vertrauens
würdig erweisen, durfte ihn nicht enttäuschen. Hierdurch entstand ein großartiges
Vertrauensverhältnis zwischen uns. Auf diesem Gebiet gab es allerdings keinerlei
Kluft zwischen dem Verhältnis, das ich zu Johnny Hallyday hatte, und dem, das ich
zu Jean Rochefort hatte. Während der Dreharbeiten hat mich Johnny Hallyday durch
seine Präsenz beeindruckt. In der Szene mit dem Schüler spielt er überhaupt nicht
bewusst „komisch“, sondern ist ganz ehrlich. Das Gleiche gilt für die Szene, wo er die
Pantoffeln anprobiert und dann feststellt: „Ich habe an meinem Leben vorbeigelebt.“
Er hat eine Ehrlichkeit, die durch nichts zu erschüttern ist. An ihm ist nichts, was im
Hintergrund lauern würde, und das ist kein Mangel. Dabei ist er keineswegs einer,
der nur das Vordergründige kennt: Er hat einfach nur seit langem begriffen, dass
man sein eigenes Spiel nicht kommentieren sollte – im Gegensatz zu bestimmten
Darstellern, die manchmal ihre eigene Rolle mit dem aufgezeichneten Gelächter
einer Sitcom-Show bedenken.
Johnny Hallyday hat nicht dieselbe Erfahrung als Schauspieler wie Jean
Rochefort. Hat sich hierdurch etwas an Ihrer Arbeitsweise verändert?
Wenn ich von einer Person, die nicht zwangsläufig Schauspieler oder Schauspielerin
sein muss, den Eindruck habe, dass sie die Idealbesetzung ist, dann stelle ich mir
diese Frage erst gar nicht. Mir gelingt es sogar, zu vergessen, dass da „Anfänger“
am Werk sind, wobei das Wort „Anfänger“ hier mit allen Anführungszeichen der Welt
8
zu versehen ist. Ich habe dem Umstand, dass Johnny Hallyday weniger Erfahrung
als Jean Rochefort hatte, überhaupt keine Beachtung geschenkt. Damals, als wir LA
VEUVE DE SAINT-PIERRE drehten, war das mit Emir Kusturica genau dasselbe –
und dieser hatte sein ganzes Leben noch nie irgendetwas gespielt. Ich finde, dass
man die Anfänger nicht wie Anfänger behandeln sollte. Ausgenommen Kinder
vielleicht, die man notgedrungen mit etwas Liebe umhegen muss.
Dies ist nun der siebte Film, den Sie mit Jean Rochefort drehen. Wie gestaltete
sich dieses Wiedersehen?
Jean Rochefort und ich, wir funktionieren wie ein altes Ehepaar! Manchmal nörgeln
wir wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aneinander herum, wie das eben bei Leuten
ist, die schon zuviel zusammen gemacht haben. Dann darf man nicht lange murren:
Wichtig ist, dass es mir gelingt, ihn zu überraschen, und dass er mich noch verführt.
Und die Begegnung zwischen Rochefort und Hallyday?
Die verlief sehr gut, wobei allerdings zu Beginn jeder vorwiegend mit sich selbst
beschäftigt war. Johnny Hallyday war sehr beeindruckt von Jean Rochefort, und er
wollte diesem Meister seines Fachs ebenbürtig sein. Wir konnten die Szenen, in
denen sie gemeinsam auftreten, in chronologischer Reihenfolge drehen und somit
auch die Entwicklung ihres Verhältnisses zueinander einfangen. Dabei haben wir von
dem Umstand profitiert, dass sich Johnny Hallyday an der Seite von Jean Rochefort
immer wohler fühlte, und dass dieser umgekehrt auch jenen zunehmend schätzen
lernte, dass sie also Freunde und Arbeitskollegen wurden.
War es schwierig, die Charaktere zweier so unterschiedlicher Darsteller
miteinander in Einklang zu bringen?
Es hat zwei oder drei Tage gedauert, bis wir das richtige Gleichgewicht gefunden
haben, aber das hat sich dann ganz von alleine und völlig problemlos ergeben. Die
von Johnny Hallyday gespielte Figur sollte sich am Rande des Autismus bewegen,
dabei aber durchaus eine Persönlichkeit verkörpern, die ungeheuer viel erlebt hat.
Die von Jean Rochefort gespielte Figur wiederum sollte von einer unverbesserlichen
Redseligkeit geprägt sein, ohne allerdings pathologische Züge anzunehmen. Es ging
darum, die richtige Balance zu finden, ohne in Klischees oder in Extreme zu
verfallen.
In Ihren jüngeren Filme haben Sie sehr deutlich Ihre Liebe zu einem in formaler
Hinsicht stark stilisierten Kino zum Ausdruck gebracht. Hier jedoch kehren Sie
zu einer eher linearen Struktur und zu größerer Nüchternheit zurück...
Es wird oft gesagt, dass Regisseure im Lauf der Jahre zu einer immer größeren
Einfachheit bei ihren Filmen tendieren. Noch vor einiger Zeit dachte ich mir: „Wozu
vereinfachen? Man beherrscht doch in zunehmendem Maße seine Mittel, folglich
könnte man immer virtuoser werden.“ Heute wird mir klar, dass die Fragen, die mich
beschäftigen, eher folgendermaßen lauten: „Wie stellt man es an, zu größtmöglicher
Einfachheit zu gelangen, ohne langweilig zu werden?“ Ja, wie erreicht man denn
Einfachheit, ohne banal zu werden? Was dies betrifft, so bereitete mir die Szene in
der Brasserie das größte Kopfzerbrechen. Die machte mich richtig krank, ich hatte
Angst, dass sie am Ende so aussehen würde wie in einem Film von Claude Sautet.
9
Der war ja nun wirklich Virtuose, was Brasserie-Szenen betrifft, ich aber habe dieses
Talent nun einmal nicht. Zwei Leute, die ein Lokal betreten, die durch den Saal
gehen, die sich hinsetzen, die etwas bestellen, die sich unterhalten...– was soll man
damit schon anfangen? Angesichts dieses Drehbuchs von Klotz war meine Liebe
zum Kino zwar nicht weniger groß, ich habe jedoch den Figuren mehr Beachtung
geschenkt, sie mit größerer Ehrfurcht behandelt, vielleicht weil ich den Eindruck
hatte, mich dabei an Dinge zu halten, die greifbarer und weniger vergänglich sind.
Und die Szene, in der Viviane, die kleine Freundin von Jean Rochefort, zu
Besuch kommt?
Isabelle Petit-Jacques hat ihre Rolle als Partnerin von Johnny Hallyday und Jean
Rochefort auf vorbildliche Weise interpretiert. Mit einem Mal kommt da der Blick einer
dritten Person ins Spiel, um Licht in die Verhältnisse zu bringen. Viviane ist das
absolute Gegenteil von Manesquiers Schwester: sie hat keine Scheu, in
Fettnäpfchen zu treten, und spricht klar aus, was sie denkt. Sie ist eine Figur, die den
Zügen von Milan und Manesquier wieder klarere Konturen verleiht. Es ist ja fast ein
wenig so, als wären die beiden Protagonisten in ihrem wechselseitigen Interesse der
Tendenz verfallen, ihre eigenen Persönlichkeiten verschwimmen zu lassen, und als
würde Vivianes Gegenwart sie am Vorabend des Banküberfalls respektive der
Herzoperation nun wieder auf ihr angestammtes Terrain zurückverweisen. Übrigens
sieht man in der folgenden Szene, wie sich das Auto des Chirurgen mit demjenigen
von Milans Komplizen kreuzt. Als ich das Drehbuch las, erschien mir diese
Begegnung der beiden Autos an der Kreuzung wie ein Orgelklang, bei dem man alle
Register gezogen hätte.
Sind Sie wie Viviane der Ansicht, dass Milan nur Unheil in Manesquiers Leben
gebracht hat?
Nein. Ich glaube, dass Viviane sich täuscht, wenn sie sagt: „Mit Leuten wie Ihnen hat
man immer nur Scherereien.“ Milan ist nicht gekommen, um Scherereien zu bereiten.
Er ist sehr ehrlich und offen. Er und Manesquier fühlen sich wechselseitig zueinander
hingezogen. Gerade aber dadurch, dass sie sich täuscht, ist Viviane umso rührender.
Ein Film über ein Männerduo – haben Sie da an TANDEM zurückgedacht?
Nicht wirklich. Es stimmt aber, dass ich mich während der Dreharbeiten zu DAS
ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER in einer ähnlichen Stimmung
fühlte wie bei TANDEM: eine kleine Provinzstadt, ein nicht besonders großes Team,
zwei Männer... Nur dass das TANDEM unterwegs war, wohingegen dieser Film den
Ort nicht verlässt. Doch das tut wenig zur Sache: Die Atmosphäre und der Geist
erinnerten mich jedenfalls manchmal an die Zeit von TANDEM. Übrigens missfiel mir
das keineswegs, denn für mich waren das sehr gute Erinnerungen. Und für Jean
Rochefort auch.
10
FILMOGRAFIEN
JEAN ROCHEFORT
Jean ROCHEFORT hat in zahlreichen Filmen mitgewirkt, darunter:
1961 CARTOUCHE R: Philippe De Broca
1963 SYMPHONIE POUR UN MASSACRE (Sieben Tote hat die Woche)
R: Jacques Deray
1965 LES TRIBULATIONS D'UN CHINOIS EN CHINE (Die tollen Abenteuer des Mr.
L.) R: Philippe de Broca
QUI ÊTES-VOUS, POLLY MAGGOO? (Wer sind Sie, Polly Maggoo?)
R: William Klein
1968 LE DIABLE PAR LA QUEUE (Pack den Tiger schnell am Schwanz)
R: Philippe de Broca
1973 L'HORLOGER DE SAINT-PAUL R: Bertrand Tavernier
1974 LE FANTÔME DE LA LIBERTE (Das Gespenst der Freiheit) R: Luis Buñuel
QUE LA FÊTE COMMENCE (Wenn das Fest beginnt) R: Bertrand Tavernier
1975 CALMOS Bertrand Blier
1976 UN ÉLÉPHANT CA TROMPE ÉNORMÉMENT (Elefant irren sich gewaltig)
R: Yves Robert
1977 LE CRABE TAMBOUR R: Pierre Schoendoerffer
NOUS IRONS TOUS AU PARADIS (Wir kommen alle in den Himmel)
R: Yves Robert
1978 LE CAVALEUR (Edouard der Herzensbrecher) R: Philippe de Broca
1979 COURAGE FUYONS (Jetzt oder Nie) R: Yves Robert
1979 CHÈRE INCONNUE R: Moshé Mizrahi
1980 UN ÉTRANGE VOYAGE R: Alain Cavalier
1982 L'INDISCRÉTION (Flirt mit dem Tod) R: Pierre Lary
1986 TANDEM (Ein unzertrennliches Gespann) R: Patrice Leconte
1988 JE SUIS LE SEIGNEUR DU CHÂTEAU (Das Schloß gehört mir)
R: Régis Wargnier
11
1990 LE MARI DE LA COIFFEUSE (Der Mann der Friseuse) R: Patrice Leconte
AMOUREUX FOU (Eine verrückte Liebe) R: Robert Menard
1992 CIBLE ÉMOUVANTE (Der Killer und das Mädchen) R: Pierre Salvadori
1993 TOMBÉS DU CIEL Philippe Lioret
1994 READY TO WEAR (PRÊT-A-PORTER) Robert Altman
1995 LES GRANDS DUCS Patrice Leconte
1996 RIDICULE (Ridicule – Von der Lächerlichkeit des Seins) R: Patrice Leconte
BARRACUDA R: Philippe Haïm
1998 EL VIENTO SE LLEVO LO QUÉ (Le vent en a emporté autant / Das letzte
Kino der Welt) R: Alejandro Agresti
REMBRANDT R: Charles Matton
2000 HONOLULU BABY R: Maurizio Nichetti
LE PLACARD (Ein Mann sieht Rosa) R: Francis Veber
2002 L’HOMME DU TRAIN (Das zweite Leben des Monsieur Manesquier)
R: Patrice Leconte
BLANCHE R: Bernie Bonvoisin
JOHNNY HALLYDAY
1954 LES DIABOLIQUES (Die Teuflischen) R: Henri-Georges Clouzot
1961 LES PARISIENNES (Die Pariserinnen) R: Michel Boisrond
1963 D'OÙ VIENS-TU JOHNNY? (Wo kommst du her, Johnny?) R: Noël Howard
1970 LE SPÉCIALISTE R: Sergio Corbucci
POINT DE CHUTE R: Robert Hossein
1972 J'AI TOUT DONNÉ R: François Reichenbach
JOHNNY DAYS R: François Reichenbach
L'AVENTURE C'EST L'AVENTURE (Die Entführer lassen grüßen)
R: Claude Lelouch
12
1984 DÉTECTIVE R: Jean-Luc Godard
1985 CONSEIL DE FAMILLE (Ehrbare Ganoven) R: Costa Gavras
1987 TERMINUS R: Pierre William Glenn
1991 LA GAMINE R: Hervé Palud
1997 PAPARAZZI R: Alain Berbérian
1998 POURQUOI PAS MOI? R: Stéphane Giusti
1999 LOVE ME R: Laetitia Masson
2002 L’HOMME DU TRAIN (Das zweite Leben des Monsieur Manesquier)
R: Patrice Leconte
CRIME SPREE R: Brad Mirman.
PATRICE LECONTE
1975 LES VÉCÉS ETAIENT FERMÉS DE L'INTERIEUR
1978 LES BRONZÉS (Die Strandflitzer)
1979 LES BRONZÉS FONT DU SKI (Sonne, Sex und Schneegestöber)
1981 VIENS CHEZ MOI, J'HABITE CHEZ UNE COPINE
1982 MA FEMME S'APPELLE REVIENS
1983 CIRCULEZ Y'A RIEN A VOIR
1985 LES SPÉCIALISTES (Die Spezialisten)
1986 TANDEM (Ein unzertrennliches Gespann)
1988 MONSIEUR HIRE (Die Verlobung des Monsieur Hire)
1990 LE MARI DE LA COIFFEUSE (Der Mann der Friseuse)
1992 TANGO (Tango Mortale)
1993 LE PARFUM D'YVONNE (Das Parfüm von Yvonne)
1995 LES GRANDS DUCS (La Tournee – Bühne frei für drei Halunken)
1996 RIDICULE (Ridicule – Von der Lächerlichkeit des Scheins)
13
1997 UNE CHANCE SUR DEUX (Alle meine Väter)
1998 LA FILLE SUR LE PONT (Die Frau auf der Brücke)
1999 LA VEUVE DE SAINT-PIERRE
2000 FÉLIX ET LOLA
2001 RUE DES PLAISIRS
2002 L'HOMME DU TRAIN (Das zweite Leben des Monsieur Manesquier)
CLAUDE KLOTZ
Drehbuch
Claude Klotz hat folgende folgende Drehbücher für Patrice Leconte verfasst:
1990 LE MARI DE LA COIFFEUSE (Der Mann der Friseuse)
2000 FÉLIX ET LOLA
2002 L’HOMME DU TRAIN (Das zweite Leben des Monsieur Manesquier)
14

Documentos relacionados