Aussteiger wollen Islamisten bekehren

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Aussteiger wollen Islamisten bekehren
DIE SEITE DREI
Donnerstag, 24. April 2008
Nummer 96
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Aussteiger wollen Islamisten bekehren
Britische Ex-Radikale gründen Stiftung gegen muslimischen Extremismus – Unterstützung durch Politiker und Prominente
Die Quilliam-Stiftung bekämpft
muslimische Fundamentalisten.
Die Organisation hat prominente
Unterstützer und macht auch Vorschläge – wie für ein Rehabilitierungszentrum für Extremisten.
rüher haben sie den Aufstand gegen
alle Nichtgläubigen geplant, haben gegen den Westen gehetzt und Männer rekrutiert, die bereit waren, in den Heiligen
Krieg zu ziehen. Jung, aus der Mittelschicht,
aber hasserfüllt: Ed Husain und Maajid Nawaz verführten in Großbritannien eine
ganze Generation verlorener Muslime, bis
zum Äußersten zu gehen. Jetzt haben sich
die Ex-Fundamentalisten zusammengeschlossen, um genau die Ideologie zu
bekämpfen, die sie einst verbreitet haben.
F
Von unserer Korrespondentin
JASMIN FISCHER, London
„Wir wollen unseren Glauben vor jenen retten, die ihn gekapert haben“, sagt Ed Husain bei der Eröffnung der Quilliam-Stiftung, einem Netzwerk von Aussteigern der
britischen Islamistenszene, das nun Radikale bekehren soll. Das einzigartige Projekt
ist der sichtbarste Versuch der muslimischen Gemeinschaft, Extremisten in ihrer eigenen Mitte zu bekämpfen. „Es geht nicht
um einen Kampf gegen den Terror, sondern
um einen Kampf der Ideen“, sagt Husain,
„wir müssen die islamistische Denkweise
angreifen, nicht nur ihre Organisationen.“
Es ist kaum vorstellbar, dass der wortgewandte Intellektuelle, der da von der Notwendigkeit spricht, westliche Werte mit den
moderaten Lehren des Islam zu verbinden,
noch in den 90er Jahren zu den Topstrategen der in Deutschland verbotenen
Hizbut-Tahrir-Partei gehörte. Die Rhetorik
dieser Extremisten, so gesteht Husain ein,
ist die „Präambel“ zu den Londoner Terroranschlägen vom 7. Juli 2005 gewesen. Doch
auch die Kofferbomber, die ein Jahr später
Züge in Deutschland in die Luft sprengen
wollten, werden mit Hizb-ut-Tahrir in Beziehung gesetzt. Nur durch einen technischen Fehler am Sprengsatz entging
Deutschland der Katastrophe.
Kaum einer atmete jedoch erleichtert auf,
denn die Attentäter provozierten in Deutschland wie in London dieselben beunruhigenden Fragen: Warum greifen gut situierte,
muslimische Studenten mit einer rosigen Zukunft ausgerechnet Länder an, in denen sie
oft seit der Geburt zu Hause sind? Warum
hat ihnen keiner vorher was angemerkt?
Stiftung hat vor allem junge
Muslime im Blick
Gespräche mit Aussteigern wie Ed Husain oder Maajid Nawaz sind seitdem heiß
begehrt – weil sie das Rätsel des „hausgemachten Terrorismus“ aufzulösen helfen.
Hizb-ut-Tharir habe ihm gefallen, weil die
globale Extremistenorganisation „elitär, exklusiv, zielgerichtet und konfrontativ“ sei,
erinnert sich Husain, der seinen Weg im
Buch „The Islamist“ beschreibt.
Seine Radikalisierung begann mit dem
Balkankrieg: „Wenn man blonde, blauäugige Muslime in Europa angreift, wie sollten
Nebentätigkeiten
von Abgeordneten
Alle Bundestagsabgeordneten sind
dazu verpflichtet, dem Parlamentspräsidenten ihre Nebentätigkeiten
und zusätzlichen Einkünfte anzuzeigen. Seit dem Sommer 2007 werden
die Angaben im Internet veröffentlicht.
Anzeigepflichtig: entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat; Funktionen in Unternehmen sowie in Körperschaften und in Anstalten des öffentlichen Rechts; Funktionen in Vereinen, Verbänden und Stiftungen; Beteiligungen an Kapital- und Personengesellschaften; Vereinbarungen
über künftige Tätigkeiten oder Vermögensvorteile.
Einkünftestufen: Die Einkünfte für
jede einzelne Tätigkeit müssen angezeigt werden, sofern sie mehr als 1000
Euro im Monat beziehungsweise
10 000 Euro im Jahr betragen. Die Angaben erfolgen nicht genau in Euro
und Cent, sondern in drei Stufen, die
die Dimension der Einkünfte verdeutlichen sollen. Die erste Stufe reicht
von 1000 bis 3500 Euro, die zweite bis
7000 Euro und Stufe drei gilt für alle
Einkünfte darüber.
Bußgeld: Bei Verstößen gegen die
Veröffentlichungspflicht kann das
Bundestagspräsidium ein Bußgeld in
Höhe der halben Jahresentschädigung für Abgeordnete verhängen.
Das entspricht 44 034 Euro. Der
SPD-Abgeordnete Otto Schily ist der
erste Parlamentarier, gegen den ein
solches Bußgeld verhängt wurde. Der
Sanktionsrahmen wurde dabei aber
nur zur Hälfte ausgeschöpft. Schily
muss 22 017 Euro zahlen.
AP
Eine verletzte Frau wird nach
den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005
fortgebracht (gr. Foto). Jemima
Khan (kl. Foto, o.) unterstützt
mit anderen britischen Prominenten die Stiftung. Ex-Islamist Ed Husain (kl. Foto, u.) ist
Gründer der Quilliam-Foundation.
Fotos: AP/dpa/Archiv
wir uns da noch integrieren?“ Er fällt auf
jene jungen, selbstbewussten und schlagfertigen Aktivisten herein, die jedes Alltagsproblem mit der politischen Weltlage verbinden und den Muslimen einimpfen, dass man
sie so lange herumschubst, bis sie sich zu einem Pan-Islam zusammenschließen und die
Weltherrschaft übernehmen. Erst als ein
Mord passiert, wacht Husain auf. Für den
Co-Gründer von Quilliam kommt die
Wende in einem ägyptischen Foltergefängnis, in dem er einige Jahre für seine Mitgliedschaft bei Hizb-ut-Tahrir verbringen muss.
Husain und Nawaz wollen anderen diese
schwere Reise zum politischen Islamismus
und zurück ersparen. Quilliam hat jugendliche Muslime im Blick, die auf der Suche
nach einer eigenen Identität zwischen gläubig-konservativem Elternhaus und britischem Lebensstil vom Weg abkommen. In
Schulen und Brennpunktvierteln wollen Husain und Nawaz über ihre Erfahrungen sprechen. Die Szenekenner fordern jedoch Entradikalisierungszentren für Aussteiger und
Präventionen gegen eine weitere Radikalisierung von Muslimen in Gefängnissen.
In Großbritannien, wo viele Integrationsversuche ebenso gescheitert sind wie in
Deutschland, ist die Idee höchst willkommen, eine Trendwende aus dem Inneren der
muslimischen Gemeinschaft statt von
außen anzutreiben. Man ist nicht nur froh,
durch Husain und Nawaz an Namen und
Strukturen der abgeschotteten Islamistenszene heranzukommen, sondern hofft, dass
sie die moderate Stimme der Muslime im
Land werden. Quilliam jedenfalls hat sich
schon kampflustig positioniert. Nach den
Bauherren einer neuen Megamoschee in Ostlondon gefragt, entgegnet Ed Husain: „Die
Strenggläubige sollen
Kleidungsvorschriften ändern
Tablighi Jamaat gelten nicht gerade als progressiv – und überhaupt: Haben wir nicht
schon genug Moscheen?“
Kritik übt er auch an den rigiden Kleidungsvorschriften Strenggläubiger: „Ich
mache mir Sorgen, wenn ich kleine Mädchen sehe, manche jünger als acht Jahre, die
den Hidschab, einen Ganzkörperschleier,
zur Grundschule tragen. Wenn der Schleier
sexuelle Schicklichkeit zeigen soll, dann gehört er in den Kleiderschrank der Erwachsenen. Muslimische Eltern, die ihre Kinder so
zur Schule schicken, zeigen mir, dass der
Schleier seine religiöse Bedeutung verloren
hat und stattdessen ein Symbol separatistischer Gruppenpolitik ist.“
Husain appelliert an andere Muslime,
ihm zu folgen: „Es ist unsere Verantwortung, aufzustehen und unseren Glauben zu
verteidigen. Wir Muslime sind es, die islamische Extremisten am leichtesten erkennen.
Bevor sie auf dem Radar des Sicherheitsdienstes auftauchen, sehen wir die Veränderung an ihren Gebeten, an den Moscheen,
die sie besuchen, im Wandel ihrer Kleidung,
im Verhalten, in der zunehmenden Härte in
ihrer Haltung und in der verachtenden Rhetorik.“
Prominente Intellektuelle wie der Historiker Timothy Garton Ash sowie britische Politiker und internationale Islamgelehrte stehen der europaweit vernetzten Stiftung als
Berater zur Seite. Zur Eröffnung liehen
auch einige Überlebende der London-Anschläge sowie die glamouröse Unicef-Botschafterin Jemima Khan – eine Muslima, die
sich gern im Mini zeigt – dem Vorhaben ihre
Stimme. Bezeichnend: Khan konnte nach
Morddrohungen von Islamisten nur mit Personenschutz nach London reisen.
Geläuterte
Islamisten
Maajid Nawaz: Der 30-Jährige war
Mitglied im britischen Führungskomitee der Hizb-ut-Tahrir, einer islamistischen internationalen Partei.
Dafür wurde er zu einer fünfjährigen
Haftstrafe im ägyptischen MazraTora-Gefängniskomplex verurteilt.
Er hat Rechtswissenschaft, Politik
und Arabisch studiert.
Ed Husain: Der 32-Jährige ist CoGründer der Quilliam-Stiftung und
engagierte sich fünf Jahre lang bei islamischen Radikalen in London.
Nach seinem Ausstieg hat der heute
32-Jährige in dem Buch „The Islamist“ über seine Erfahrungen geschrieben. Er ist heute Mitglied der
Labour-Partei und unterstützt den
Irak-Krieg. Er promoviert zurzeit in
Politikwissenschaft.
jas
Bundestag greift gegen Schily durch
Nebentätigkeit: Früherer Bundesinnenminister will gegen Bußgeld klagen
Berlin – Der Vorhang zu und alle Fragen
offen. Mit einem effektvollen Schlussakkord endet am Mittwoch ein weiterer Akt eines bemerkenswerten Schauspiels auf der
Berliner Politikbühne. Hauptdarsteller:
Ex-Innenminister Otto Schily.
VON NORBERT WALLET
Berliner Redaktion
Denn das Präsidium des Deutschen Bundestags greift gegen den SPD-Abgeordneten
Schily hart durch. Ein Ordnungsgeld von
22 017 Euro wird dem 75-Jährigen, der
heute als einfacher Parlamentarier im
Reichstagsgebäude sitzt, verhängt. Das entspricht der Höhe von drei Monatsdiäten. Damit wird Schilys höchst beharrliche Weigerung geahndet, dem Bundestagspräsidenten
gegenüber – wie vom Bundestag beschlossen
– die genaue Höhe seiner Nebeneinkünfte
offenzulegen.
Ganze neun Zeilen zählt die offizielle Mitteilung des Bundestagspräsidenten. Darin
teilt Norbert Lammert mit, die Entscheidung
im Präsidium sei „einvernehmlich“ gefallen,
also auch mit der Stimme von Vizepräsidentin Susanne Kastner von der SPD. Was zeigt:
Schily steht allein. Er ist der erste Abgeordnete des Bundestags, der aufgrund eines Verstoßes gegen die Verhaltensregeln für Parlamentarier mit einer Sanktion belegt wird.
Dass es nun ausgerechnet den Alterspräsidenten des Bundestags und ehemaligen Bundesinnenminister trifft, der sich zudem so
gerne mit dem Etikett „Verfassungsminister“ schmückte, macht die ganze Angelegenheit pikant. Eine besondere Note erhält die
Auseinandersetzung zwischen Schily und
Lammert auch dadurch, dass die beiden Kontrahenten in der Sache gar nicht so weit
auseinanderliegen.
Um das zu verstehen, muss man die Vorgeschichte der Angelegenheit kennen. Die gibt
es in einer Kurzfassung und einer erweiterten Version. Zuerst die Kurzfassung: Die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages sehen eine Anzeigepflicht für Nebentätigkeiten vor. Sie müssen dem Bundestagspräsidenten in Heller und Pfennig angegeben werden. Dieser veröffentlicht sie dann in generalisierter Form: Die Klassifizierung unter
Stufe 1 bedeutet eine Zuwendung bis zu
3500 Euro, Stufe 2 liegt zwischen 3500 und
7000 Euro. Was darüber liegt fällt unter
Stufe 3. Lammert hatte bei Schily schriftlich
nachgefragt, was es mit einer Pressemeldung auf sich habe, wonach der Ex-Minister
für einen Beratervertrag mit der Firma
Siemens 140 000 Euro kassiert haben soll.
Schily berief sich auf seine Verpflichtung
zur anwaltlichen Vertraulichkeit und teilte
dem Christdemokraten Lammert erst nach
längerem Hin und Her mit, dass er seit 2006
in sieben Mandaten tätig geworden sei.
Sechs seien unter Stufe 3 einzuordnen, eine
unter Stufe 2. Der Rest ist Schweigen.
Präsidium ist recht milde
mit Schily umgegangen
Jetzt die Vorgeschichte: Das entsprechende Gesetz wurde in der Schlussphase
der rot-grünen Koalition verabschiedet –
gegen die Stimmen zahlreicher Unions- und
FDP-Abgeordneter. Auch Lammert hatte dagegen gestimmt, weil er die Regelung für
ziemlich nutzlos hielt. Ganz auf einer Wellenlänge mit Schily. Der aber wollte seiner siechenden Regierung keine Schwierigkeiten
bereiten – und stimmte artig zu.
Andere fügten sich nicht und reichten
beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Klage ein, darunter der Anwalt und CDU-Abgeordnete Friedrich Merz. Der sprach sogar
von einem Anschlag auf das grundgesetzlich
verbürgte freie Mandat. Der bürgerliche
Beruf des Abgeordneten werde durch die
Veröffentlichungspflichten in die Nähe
der Korruption gerückt.
Lammert wurde also wegen eines
Gesetzes verklagt, das er selbst zwar
gar nicht wollte, das er in seiner
Rolle als Bundestagspräsident aber
zu exekutieren hat. Die Veröffentlichung der Angaben hielt er folglich zurück, bis das Urteil gesprochen war. Vier Verfassungsrichter gaben der Klage statt, vier
wiesen sie ab. Ein Patt. Damit
war die Klage gescheitert. Lammert veröffentlichte umgehend,
und die klagenden Abgeordneten
kamen ihrer Verpflichtung zur
Angabe ihrer Nebeneinkünfte
nach. Alle. Bis auf Schily. Der will
nun gegen das Ordnungsgeld klagen.
Bis der Fall durch alle Instanzen verhandelt sein wird, dürfte eine lange
Zeit vergehen.
Dabei ist das Präsidium des Bundestags recht milde mit Schily umgegangen. Das Ordnungsgeld hätte auch doppelt so hoch ausfallen können. Da aber
zum ersten Mal ein solcher Fall zur Beratung anstand, wollte sich das Gremium
offenbar noch „Luft nach oben“ lassen.
Hinzu kommt, dass man Schily „keine
aggressive Verschleierungstaktik“ vorwerfe, wie es im Umkreis des Präsidiums heißt. Er
vertrete eben offen eine andere
Rechtsauffassung.
Lammert aber beharrt darauf, lediglich geltendes Recht
zu vollziehen. Er lege Wert darauf, sagt er am Mittwoch,
„dass das Gesetz und die Verhaltensregeln von allen Abgeordneten angewendet werden,
ganz gleich, wie sie inhaltlich
dazu stehen“.
Otto Schily
will es nochmal wissen
und den Beschluss des
Bundestagspräsidiums
anfechten.
Foto: ddp

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