Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in El Salvador

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Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in El Salvador
Hubertus Freisinger
Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in El Salvador elf Jahre
nach Ende des Bürgerkriegs
Am 16. Januar 1992 wurden die Friedensverträge unterschrieben, die
einen blutigen, mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg in El Salvador beendeten und auf deren Verwirklichung man sowohl im Land selbst
wie auch international große Hoffnungen setzte. Gemeinhin gilt der
bereits Ende der 80er Jahre eingeleitete Friedensprozess in El Salvador als eine der großen Erfolgsgeschichten der Vereinten Nationen bei
der Befriedung innerstaatlicher Konflikte. Die Erfolge dieses Prozesses – Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen, weitgehendes
Verschwinden staatlich gedeckten oder aktiv unterstützten Terrors gegen die Zivilbevölkerung, weit reichende Neustrukturierung der staatlichen Sicherheitskräfte, erfolgreiche Beteiligung der linken Opposition an den demokratischen Wahlprozessen auf allen Ebenen etc. –
werden auch vom Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN), der ehemaligen Guerilla-Bewegung und heute führenden
Oppositionspartei, weitgehend anerkannt.
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Dennoch sah sich der FMLN veranlasst, auf eine Teilnahme an den
Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der Friedensabkommen 2002 zu verzichten, da für ihn die Abkommen bislang
noch nicht ausreichend umgesetzt worden sind. Dieser Verzicht wiederum führte dazu, dass auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, seine Teilnahme absagte. Als Kofi Annan im Januar 2003 der rechtsgerichteten Regierung El Salvadors die zwar noch
nicht hundertprozentige, im wesentlichen aber doch erfolgreiche Umsetzung des Friedensabkommens schriftlich bestätigte, kommentierte
die rechtsgerichtete Presse dies hämisch: „La noticia cayó como un
balde de agua fría sobre el FMLN.“1 Kommentare dieser und
schlimmerer Art sind nicht ungewöhnlich in der von rechtsgerichteten
Kräften beherrschten Presse El Salvadors. Dieser Umgangston unter
den politischen Gegnern wurde im Dezember 2002 auch vom Generalsekretär der Vereinten Nationen in einem offiziellen Bericht kritisiert.2 Im folgenden Beitrag soll nun untersucht werden, welche
konkreten Vereinbarungen aus den Friedensverträgen nach Ansicht
des FMLN nur mangelhaft oder gar nicht erfüllt wurden und wie diese
zweifellos mangelhafte Umsetzung aus Sicht der Menschenrechte zu
bewerten ist.
Die konkreten Kritikpunkte des FMLN waren das Ausbleiben einer
echten Landreform in dem übervölkerten Land, die Mängel beim Auf* Alle Internetquellen wurden am 13.12.2003 letztmalig überprüft.
1
El Diario de hoy vom 7. Januar 2003.
2
Vereinte Nationen: La situación en Centroamérica: procedimientos para
establecer la paz firme y duradera, progresos para la configuración de una región
de paz, libertad, democracia y desarrollo, Bericht des Generalsekretärs vom 20.
Dezember 2002, Anhang; Aktenzeichen A/57/384/Add. 1.
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bau einer neuen zivilen Polizei sowie die nach wie vor nur sehr zögerlichen Reformen im Justizwesen und beim Wahlrecht. Dass dies auch
der Generalsekretär der Vereinten Nationen ähnlich sieht, zeigt der
bereits erwähnte Bericht an die Generalversammlung der Vereinten
Nationen vom Dezember 2002, in dem er sich über die fehlende vollständige Demokratisierung, die mangelnde Rechtssicherheit, das Fehlen einer wirtschaftlich ausgeglichenen Gesellschaft und die ebenfalls
fehlende Konsolidierung des Friedens beklagt. Da die Zeit hier nicht
ausreicht, um auf jeden der genannten Punkte ausführlich einzugehen,
werde ich im folgenden nur kurz auf einige der beanstandeten Mängel
kommen, um sie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten näher zu
betrachten. Die mangelnde Umsetzung einer wie auch immer gearteten Landreform wird dabei ebenso außen vor bleiben wie die mangelnden Reformen beim Wahlrecht.3 Der Beitrag konzentriert sich somit auf einige Aspekte der Sicherheitslage, die Situation im Justizwesen sowie das Verhalten der salvadorianischen Regierung bezüglich
der Aufarbeitung der Vergangenheit; Themen, die beispielsweise auch
für die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, ein Organ der Organisation Amerikanischer Staaten, während des gesamten
Friedensprozesses von besonderer Bedeutung waren.
Dass es noch eine Reihe weiterer Artikel der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte (AEMR) gibt, gegen die in El Salvador verstoßen
wird und die man daher in die Betrachtungen mit einbeziehen könnte,
macht der Bericht des Bureau of Democracy, Human Rights and La3
Bezüglich des Wahlrechts besteht nach einem im April 2003 gefällten
grundlegenden Urteil des obersten Gerichts El Salvadors für die Zukunft Anlass
zu Hoffnung, vgl. hierzu El diario de hoy vom 9. und 10. April 2003.
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bor der US-Regierung für 2002 deutlich.4 Der Bericht, der sich an der
1948 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte orientiert, stellt – ohne dies allerdings
explizit zu erwähnen – Verletzungen von 12 der 30 Artikel der AEMR
fest. Zieht man von den 30 Artikeln dieser Erklärung die fünf allgemeinen einleitenden und abschließenden Artikel ab, so bedeutet dies,
dass nahezu 50% aller für das Individuum relevanten Menschenrechte
in El Salvador auch über zehn Jahre nach Ende des Bürgerkrieges
weiterhin mehr oder weniger systematisch verletzt werden. Als Beispiele für hier ebenfalls nicht näher diskutierte Menschenrechte, in
denen es laut dem US-amerikanischen Bericht ernsthafte Probleme
gibt, seien nur der Artikel 4, Sklaverei und Sklavenhandel, sowie der
Artikel 23 der AEMR, gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen; Recht auf Gründung und Mitgliedschaft in Gewerkschaften, genannt.
Sicherheitslage
Im Bereich der öffentlichen Sicherheit sind es, trotz unzweifelhafter
Erfolge gerade in diesem Bereich, vor allem drei Aspekte, die nachdenklich stimmen. Zunächst ist jedoch positiv zu vermerken, dass die
Auflösung einiger durch Menschenrechtsverletzungen schwer belasteter Polizeieinheiten zugunsten der neuen Policía Nacional Civil
(PNC) rasch und zügig erfolgte; die Armee verkleinert wurde, und
4
Bureau of Democracy, Human Rights and Labor: El Salvador. Country Reports
on Human Rights Practices 2002, 31. März 2003 (http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2002/18331pf.htm; im Folgenden: Country Report on Human
Rights).
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sich während der 1990er Jahre weitgehend aus dem politischen Leben
zurückgezogen hat, und die berüchtigten paramilitärischen Todesschwadronen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre praktisch nicht
mehr in Erscheinung getreten sind.
All diesen positiven Entwicklungen ist jedoch gerade in jüngster Zeit
ein „ja aber“ beizufügen. Die PNC – auf der unmittelbar nach Ende
des Bürgerkrieges so viele Hoffnungen ruhten – verlor ihren guten
Ruf sehr schnell, und noch immer werden Jahr für Jahr Beamte aus
ihren Reihen einer ganzen Reihe von Straftaten und Übergriffen gegen
die Zivilbevölkerung und Richter beschuldigt. So kam es in den Jahren 1999-2002 laut Berichten nationaler wie internationaler Menschenrechtsorganisationen zu willkürlichen oder irrtümlichen Verhaftungen, Misshandlungen und in jedem der genannten Jahre auch zu
durch Polizeibeamte verursachten Todesfällen von Verhafteten oder
sogar völlig Unbeteiligten. Laut amnesty international (ai) wurden
1998 zudem mehrere Richter mit dem Tod bedroht, nachdem sie Ermittlungen gegen Angehörige der PNC aufgenommen und Durchsuchungen von Polizeidienststellen verfügt hatten.5
Mittlerweile – und das ist eine deutliche Verbesserung zu Bürgerkriegszeiten – kommt es aber auch regelmäßig zu Verurteilung von
Polizeibeamten, die im Dienst Straftaten begangen haben sollen. So
wurden in den letzten Jahren ca. 1.000 der insgesamt 21.000 Beamten
5
amnesty international Deutschland (ai): ai Jahresbericht El Salvador 1999
(Berichtszeitraum 1998; http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/43ef7042209de74ec1256aa00042d0f9?OpenDocument.
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wegen krimineller Machenschaften entlassen und angeklagt. Allerdings ist nach wie vor zu beobachten, dass die Strafen meist relativ
mild ausfallen oder die überwiegende Mehrzahl der Angeklagten,
trotz nachgewiesener Beteiligung an den Verbrechen, freigesprochen
wird. Ebenso hatten im Jahr 2002 502 Beschwerden der nahezu 900
entlassenen oder disziplinarrechtlich belangten Beamten Erfolg. In
diesem Zusammenhang ist der Umstand ganz besonders pikant, dass
offenbar etliche Vorgesetzte versuchten, über den Weg der Anklage
missliebige Beamte oder schwangere Polizistinnen aus dem Dienst zu
entfernen.6
Als einer der großen Erfolge bei den strukturellen Reformen nach
Ende des Bürgerkrieges gilt die Armeereform. Die Armee wurde dabei verkleinert, entpolitisiert, in ihren Aufgaben auf die Landesverteidigung beschränkt und bis zu einem gewissen Grad sogar von besonders belasteten Offizieren „gesäubert“. 2002 wurde jedoch ein Gesetz
verabschiedet, dass es der Armee wiederum ermöglicht, innenpolitisch
aktiv zu werden. Diese Ley de Defensa Nacional löste in Teilen der
salvadorianischen Gesellschaft Ängste vor einer erneuten Militarisierung der Gesellschaft aus, zumal das Gesetz unter anderem damit begründet wurde, dass es den Staat vor außen- und vor allem innenpolitischen Bedrohungen der nationalen Sicherheit zu schützen gelte. Die
Zeitschrift Proceso der renommierten Jesuitenuniversität San Salvadors sieht in dem Gesetz folgerichtig Tendenzen hin zu einer Rückkehr zur „alten“ Regierungsform. Das Gesetz biete die Möglichkeit,
6
Vgl. hierzu die Jahresberichte von ai für die Jahre 1997ff (http://www2.amnesty.de/ internet/deall.nsf/WnachLand?OpenView&Start=1&Count=200&Expand=38#38).
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kritische Stimmen zu neutralisieren, wenn sich diese der Erfüllung
„nationaler Ziele“ entgegenstellen. Im Urteil von Proceso gefährdet
die Ley de Defensa Nacional ganz klar den „wahren Frieden, die Demokratie und den Rechtsstaat“.7
Die Todesschwadronen, die auch noch nach Abschluss der Friedensverträge eine reelle Gefahr für den Frieden in El Salvador darstellten,
traten seit Ende der 90er Jahre nicht mehr durch spektakuläre Morde
in Erscheinung. Dennoch stellen sie auch weiterhin eine potentielle
Bedrohung für das friedliche Zusammenleben in El Salvador dar, da
es begründeten Anlass zu der Vermutung gibt, dass ihre Strukturen
nach wie vor fortbestehen. Bereits 1994 veröffentlichte eine von der
salvadorianischen Regierung und ONUSAL8 eingesetzte Untersuchungskommission ihren Abschlussbericht unter dem Titel Informe
Grupo Conjunto para la Investigación de Grupos Armados Ilegales
con Motivación Política und zeigten darin die engen Verbindungen
zwischen Mitgliedern der Todesschwadronen, Politikern der Regierungspartei ARENA, Geheimdienst und Militär auf.
Wie wir weiter unten sehen werden, kam es jedoch nie zu einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen der Todesschwadronen und somit
auch nicht zu ihrer Zerschlagung. Alles was momentan über sie und
ihre Hintermänner gesagt werden kann, ist, dass sie sich zurzeit relativ
ruhig verhalten. Relativ ruhig deshalb, weil es bei den monatelangen
7
Vgl. hierzu Proceso, Jg. 23/Nr. 1012, August 2002 (http://www.uca.edu.sv/publica/proceso/proc1012.html#ind).
8
Überwachungsmission der Vereinten Nationen für den Friedensprozess in El
Salvador.
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Streiks im Gesundheitswesen von September 2002 bis April 2003 zu
Übergriffen auf Gewerkschaftsführer kam und in diesem Zusammenhang sofort Befürchtungen laut wurden, dass es sich hierbei erneut um
das Auftauchen der während des Bürgerkrieges berüchtigten Todesschwadronen handeln könnte. Wie bei Übergriffen gegen Menschenrechtsaktivisten oder die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung
weigerte sich die Staatsanwaltschaft auch in diesem Fall, Untersuchungen aufzunehmen.9
In einem Interview, das amnesty international im November 2002 mit
María Julia Hernández, der Leiterin des Menschenrechtsbüros der
Erzdiözese von San Salvador, führte, sagte diese bezüglich der Bedrohung von Menschenrechtsaktivisten durch die Regierung:
„Zurzeit ist die persönliche Bedrohung nicht so groß, sie ist sozusagen
auf ‚stand-by’ geschaltet. Es gibt vielmehr einen Krieg gegen unsere
Arbeit. Einigen Menschenrechtsorganisationen wurden die Büros geplündert, wir werden verunglimpft [...] und man versperrt uns den Zugang zu den Medien. [...] Derzeit kann es sich die Regierung nicht
leisten, Menschenrechtlern direkt mit dem Tod zu drohen, aber wenn
sich die Situation zuspitzt, kann sich das schnell ändern.“10
Zu einem weiteren aktuellen Problem in Zusammenhang mit den Todesschwadronen wurde eine Reihe von Morden an Personen die kri-
9
Country Report on Human Rights.
El Salvador. Titanischer Kampf. In: ai-journal vom 1. Januar 2003
(http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/7bb762ee2a98973dc1256c95004768b1?OpenDocument)
10
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mineller Taten verdächtigt wurden. Amnesty international spricht in
diesem Zusammenhang von „Schwadronen zur sozialen Säuberung“.11
Justizwesen
Im Justizwesen beklagt Kofi Annan, in seinem Bericht an die Vollversammlung der Vereinten Nationen, vor allem die Langsamkeit, mit
der dasselbe funktioniert; überlange Untersuchungshaftzeiten bilden
eher die Regel als die Ausnahme. Weitere Probleme ergeben sich
durch Mängel in der Ausbildung und Auswahl von Richtern und
Staatsanwälten sowie der mangelnden politischen Unabhängigkeit
dieser Richter. Dies alles hat eine weit verbreitete – mitunter politische motivierte oder von den finanziellen Möglichkeiten der Angeklagten abhängige – Straflosigkeit zur Folge. Auf der anderen Seite
bleibt vielen Salvadoreños der Zugang zu einer freien Rechtsprechung
aus ökonomischen Gründen versperrt, da sie nicht über die nötigen
Mittel verfügen, um sich juristischen Beistand leisten zu können.
Laut dem Bureau of Democracy, Human Rights and Labor wurden
2002 – und dies ist natürlich positiv zu vermerken – 38 Richter entlassen, da sie zumeist die formalen Kriterien für die Ausübung ihres
Amtes nicht erfüllten.12 Interessant ist der Fall des Richters Canales,
der der Aufhebung seiner richterlichen Immunität freiwillig zustimmte, um durch das Gerichtsverfahren seine Unschuld zu beweisen. Canales wurde daraufhin kurzer Hand vom Obersten Gerichtshof
11
ai Jahresbericht 2000: El Salvador (http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/ee527bc060ef8f97c1256aa00045d516?OpenDocument).
12
Country Report on Human Rights.
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– zuständig für derartige Verfahren – auf Dauer von seinem Posten
entfernt, da er es als Interner gewagt hatte, öffentlich über Probleme
innerhalb des Justizapparates zu sprechen.13 Normalerweise stellt sich
das Oberste Gericht schützend vor seine Kollegen, um die von der
Staatsanwaltschaft beantragte Aufhebung der richterlichen Immunität
zu verhindern.
Vergangenheitsbewältigung
Auf der Homepage des salvadorianischen Außenministeriums kann
man zum Thema reconciliación der ehemaligen Konfliktparteien folgende Sätze lesen: „Uno de los logros más importantes fue la reconciliación nacional. Sin embargo, este proceso encontró muchos retos.
Uno de los más importantes era la cantidad de recursos materiales
que se necesitaban para implementar el proceso.“14
Auch insgesamt betrachtet ist der Beitrag zu den Friedensabkommen
auf der Homepage des Außenministeriums nicht sehr ausführlich,
doch findet sich zu jedem anderen aufgeführten Punkt mehr als zum
Thema „Versöhnung“. Zu diesem Punkt findet sich jedoch nicht mehr
als der soeben zitierte nichts sagende Kommentar. Es ist dies auch
kein Wunder, gehört dieser Punkt doch zu den umstrittensten des gesamten Friedensprozesses. Und dabei geht es nicht nur um die zögerliche Errichtung von Entschädigungsfonds für Kriegsversehrte beider
Konfliktparteien – dies sind in der salvadorianischen Auslegung im
13
14
Ebd.
Vgl. hierzu: http://www.rree.gob.sv/sitio/sitio.nsf/pages/finacuerdosdepaz.
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Wesentlichen Angehörige der verschiedenen Kampfeinheiten, die den
Grund dafür bildete, dass sich die Vereinten Nationen erst in diesem
Jahr endgültig aus El Salvador zurückzogen. Nationale wie internationale Menschenrechtsorganisationen jeglicher Art beklagen, dass es
bisher de facto nicht zu einer Versöhnung der ehemaligen Bürgerkriegsparteien gekommen sei und es insbesondere an einer juristischen
Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit mangelt, da
die Regierung mit ihrem 1993 verabschiedeten Amnestiegesetz jegliche juristische Aufarbeitung verhindert bzw. jeglichen Versuch internationaler Gerichte, dieses Gesetz für nicht gültig zu erklären, abblockt.15
Die Regierung El Salvadors vertritt den Standpunkt, diese „Ley de
Amnistía [...] respondió [...] a la necesidad de proveer a la población
civil de una reconciliación nacional, con el fin de sustentar una paz
duradera.“16 Die Regierung hat insofern Recht mit dieser Behauptung,
als dass ihre Anhängerschaft – und sie selbst wohl auch – den Friedensprozess ohne dieses Gesetz schon längst beendet hätte.
Auf der anderen Seite stehen die Teile des Volkes, die immer noch auf
Versöhnung und Wahrheit warten und deren Beweggründe Victoria de
Avilés, die ehemalige staatliche Menschenrechtsbeauftragte, auf den
15
ai Jahresbericht 2001: El Salvador (http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/d0a4f1aa5c4bd380c1256aa000463e2b?OpenDocument).
16
Zitiert nach: Frieden gibt es nur mit Gerechtigkeit! Sechs Jesuitenpater, Julia
Elba Ramos, Celina Ramos, Fußnote 9 des Texts (http://home.t-online.de/home/koala.ue/casa2/elsalvador/casa0101/casa0101_amr290101_jesuiten.htm).
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Punkt gebracht hat, als sie auf das Schicksal während des Krieges zerrissener Familien aufmerksam machte:
„Podemos en estas circunstancias, cuando cientos de niños y niñas,
fueron arrancados de los brazos de sus padres, desconociendo, aún su
destino, hablar de reconciliación social? Estoy convencida que no, la
posibilidad de una reconciliación [...] pasa por saber la verdad de lo
que ocurrió [....].“
Übersetzt heißt das in etwa: „Können wir unter diesen Umständen,
wenn Hunderte von Jungen und Mädchen aus den Armen ihrer Eltern
gerissen wurden, und wir ihr Schicksal noch immer nicht kennen,
über soziale Versöhnung sprechen? Ich bin sicher, wir können es
nicht; zu der Möglichkeit von Versöhnung [...] gehört, zu erfahren,
was wirklich passiert ist […].“17
Wenn in der Öffentlichkeit das Thema Versöhnung angesprochen
wird, sind es immer wieder drei Fälle, die exemplarisch herangezogen
werden. Bei dem bekanntesten Fall handelt es sich um die Ermordung
des Erzbischofs von San Salvador – Oscar Arnulfo Romero, des weiteren geht es um die Aufklärung einer Reihe von Massakern an der
Zivilbevölkerung – oft zusammengefasst unter dem Namen des Dorfes
El Mozote sowie die Ermordung von sechs Jesuiten und ihres Hauspersonals während der Kämpfe in San Salvador 1989. Das letzte Beispiel soll hier kurz näher erörtert werden, da bei diesem Fall die bis
17
Eigene Übersetzung, Amnistía Internacional, El Salvador. El camino hacia la
paz pasa por la justicia, abril de 2001, indice ai: AMR 29/001/2001/s (http://web.amnesty.org/library/Index/ESLAMR290012001?open&of=ESL-SLV).
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heute andauernde Verstrickung höchster politischer Kreise am deutlichsten zu Tage tritt.
Im Juni 1989 kam die bis heute regierende ARENA-Partei unter ihrem
damaligen Präsidenten Alfredo Cristiani erstmals an die Macht. Bis
heute sind es daher vor allem Politiker dieser Partei, die seit 1989 dafür sorgen, dass dieser Fall vor einheimischen Gerichten – wenn überhaupt – nur sehr zögerlich verhandelt wird und internationale Gerichtshöfe – wie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte – unter fadenscheinigen Begründungen von El Salvador in diesem Fall nicht anerkannt werden, obwohl das Land alle in Frage
kommenden internationalen Verträge seit langem unterzeichnet hat.
Es dauerte folglich bis in den Oktober 2002, bis der Oberste Gerichtshof El Salvadors beschloss, das Ergebnis eines Verfahrens vor dem
Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof von 1999 im Wesentlichen anzuerkennen, in dem letzterer unter anderem feststellte,
dass der salvadorianische Staat bisher alles getan hat, um das Verfahren zu verzögern.
Analog zur Nichtanerkennung der interamerikanischen Rechtsprechung für diesen und ähnliche Fälle durch die ARENA-Regierung
kam es bisher auch nicht zu einer Unterzeichnung der Verträge über
die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes für Menschenrechtsverbrechen durch die Regierung El Salvadors. Denn die bis
heute regierende ARENA ist sich sehr wohl bewusst, dass etliche ihrer
Parteimitglieder durch die Anerkennung des internationalen Strafge-
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richtshofs Gefahr liefen, vor diesem Gerichtshof wegen Verbrechen
gegen die Menschlichkeit angeklagt zu werden.
Im Rückblick auf die jüngste Vergangenheit hat sich die Menschenrechtslage in El Salvador seit Ende des Bürgerkrieges trotz der genannten Probleme ohne Zweifel gebessert. Die nach wie vor vorkommenden Verstöße gegen die Menschenrechte müssen jedoch äußerst
nachdenklich stimmen, zumal wenn man eine langfristige Perspektive
anlegt – und einen Blick in die Zukunft wagt.
Würde man sich einige Fälle – beispielsweise von Polizeiwillkür –
noch etwas genauer ansehen, so würde man aus historischer Perspektive feststellen, dass die Fälle von heute denen stark ähneln, die Patricia Alvarenga in ihrem Buch Cultura y ética de la violencia für den
Zeitraum von 1880-1932 eindringlich beschrieben und analysiert hat.18
Aus der Sichtweise des Historikers haben wir es bei der heutigen Situation also nicht mit einer verbesserten Lage zu tun. Wir müssen uns
den Bürgerkrieg vielmehr als eine Zeit der Extreme vorstellen, nach
der das Land wieder in seine unbefriedigende Ausgangslage zurückgekehrt ist.
Für die Zukunft bleibt daher die Frage, wie sich die seit Generationen
herrschenden und gesellschaftlich dominierenden Gruppierungen der
traditionellen Eliten bei einem möglichen Wahlsieg des FMLN bei
den Präsidentschaftswahlen 2004 verhalten werden. Bisher war es für
sie nämlich schlicht nicht nötig, mit Gewalt oder anderen unlauteren
18
Patricia Alvarenga, Cultura y ética de la violencia, San José 1996.
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Methoden gegen die demokratische Opposition vorzugehen, da ihre
Position innerhalb der salvadorianischen Gesellschaft bislang nicht
ernsthaft in Frage gestellt wurde. Denn solange „ihre“ Regierung sie
deckt, müssen sie keine wirkliche strafrechtliche Verfolgung wegen
ihrer Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder einen
realen Machtverlust befürchten.
Noch können sie sich auf die Strukturen der Angst stützen, haben aber
bereits durch die Ley de Defensa Nacional für den Fall vorgesorgt,
dass diese Angst einmal nachlässt: Im Zweifelsfall lässt sich die Armee auch heute schon wieder gegen Feinde im Inneren einsetzen. Und
wer diese Feinde in ihren Augen sind, daran lassen Äußerungen der
die Presselandschaft El Salvadors dominierenden rechtsgerichteten
und ARENA nahe stehenden Medien spätestens seit dem 11. September 2001 keinen Zweifel mehr. Nur wenige Tage nach diesem mittlerweile emblematischen Datum begann eine Hetzkampagne gegen
eine von einer breiten Koalition sozial engagierter Gruppierungen und
dem FMLN am 15. September 2001 – dem Nationalfeiertag El Salvadors – organisierte Demonstration, die sogleich als „vom FMLN organisierter Marsch zur Unterstützung des Terrorismus im allgemeinen
und der Attentate in den USA im besonderen“ bezeichnet wurde.19 Es
darf daher alles in allem nicht verwundern, dass in der Bevölkerung
die noch immer weit verbreitete Angst vor staatlich unterstütztem Terror wieder hochkam, zumal die Terrorstrukturen des Bürgerkrieges
noch immer existieren.
19
Zitiert nach Kai-Uwe Haase: Platonisches Verhältnis zur Wahrheit. El
Salvadors Medien nach dem 11. September 2001, S. 5. In: ila 258/Sept. 2002, S.
4-7.

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