Schlierenzauers Feuer brennt noch

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Schlierenzauers Feuer brennt noch
Sport 33
Montag, 28. Dezember 2015 | Nummer 357
Schlierenzauers Feuer brennt noch
Der Ausstieg sei vom Tisch, erklärte Gregor Schlierenzauer gestern. Pünktlich zur Tournee (Quali heute)
ist der Star wieder heiß auf das Skispringen. Geholfen hat ihm Alex Pointners Ex-Trainer Marc Nölke.
Aus Oberstdorf: Susann Frank
Oberstdorf – Die Pressekonferenz der österreichischen
Skispringer wirkte wie ein gut
inszeniertes Theaterstück:
Den Vorspann lieferte gestern
Heinz Kuttin. Der Cheftrainer
leitete den Höhepunkt ein,
weil er zur ersehnten Rückkehr von Gregor Schlierenzauer bei der heutigen Qualifikation (17.15 Uhr/ORF
eins live) zur Vierschanzentournee sagte: „Ich bin überzeugt, dass Gregor wieder
stark in die Tournee starten
wird.“ Zu dieser Meinung sei
er durch das erste Wiedersehen in Oberstdorf mit dem
25-jährigen Fulpmer nach
dessen dreiwöchiger Pause
gekommen. „Er hat wieder
das leichte Funkeln in den
Augen“, erklärte Kuttin. Daran machte der Kärntner aus,
dass sich der zuletzt kraftund hilflos fühlende zweifache Tourneesieger wieder
„auf die Wettkämpfe freut“.
Nachdem Kuttin die Einleitung in das Thema geliefert hatte, Tournee-Titelverteidiger Stefan Kraft und der
derzeit beste ÖSV-Springer
im Weltcup, Michael Hayböck, über ihre Chancen bei
dem jährlichen Höhepunkt
gesprochen hatten, betrat
Hauptperson Gregor Schlierenzauer die Bühne im Raum
Seefeld des Hotels Oberstdorf.
Der zuletzt in der Krise
befindliche Rekordweltcupsieger nahm lächelnd und
ruhig in der Mitte des Tiroler Trios mit Manuel Fettner
und Manuel Poppinger Platz.
Nachdem die beiden berichtet hatten, dass sie sich eine
Verbesserung der Formkurve während der kommenden
zehn Tage wünschten, richtete ÖSV-Medienkoordinator
Florian Kotlaba das Wort an
den Hauptdarsteller – während Fettner und Poppinger
wie Statisten den Raum verließen.
„Ein herzliches Grüß Gott“,
sprach Schlierenzauer mit
fester Stimme zum gespannt
lauschenden Auditorium, be-
Gregor Schlierenzauer strahlte bei seiner Rückkehr. Skispringen zählt wieder zu seinem Leben wie Wasser.
Mit Marc Nölke als Co-Trainer von Alex Pointner feierte der junge Tiroler
Fotos (3): gepa
große Erfolge. Jetzt greift er wieder auf dessen Rat zurück.
vor er auf seine aktuelle Situation einging. Eben dass er eine gewisse Motivationsleere
empfunden habe und sich
deswegen die Auszeit genommen habe.
Er gestand, sich vor seiner
zehnten Tournee die Frage
gestellt zu haben, ob er noch
ein Top-Springer sein oder
aussteigen wolle. „Und, ob
ich noch genug Pfeffer im
Hintern habe, um ganz nach
vorne zu kommen. Die Antwort ist da: Das Feuer brennt
noch“, betonte Schlierenzauer mit Nachdruck. Immerhin
hatten seine zwei Auszeiten
in dieser Saison genug Anlass
für Spekulationen gegeben.
Wie die nach seinem gesundheitlichen Zustand.
Schlierenzauer erklärte jedoch auch, erst schrittweise
zurückgefunden zu haben:
„Schließlich sind mir die vergangenen zwei Jahre nicht
spielerisch von der Hand gegangen. Das ist ja kein Geheimnis.“
64. Vierschanzen-Tournee
OBERSTDORF:
Schattenberg-Schanze, Hillsize:
137 m, Schanzenrekord: Sigurd
Pettersen (NOR) 143,5 m (2003)
Montag: 17.15 Uhr: Qualifikation
Dienstag: 17.15: Eröffnungsbewerb
GARMISCH-PARTENKIRCHEN:
Olympia-Schanze, HS 140 m, SR:
Simon Ammann (SUI) 143,5 m
(2010)
31. Dezember: 14.00: Qualifikation
1. Jänner: 14.00: Neujahrsspringen
INNSBRUCK:
Bergisel-Schanze, HS 130 m, SR:
Stefan Kraft (AUT) 137 m (2015)
2. Jänner: 14.00: Qualifikation
3. Jänner: 14.00: Bewerb
BISCHOFSHOFEN:
Außerleitner-Schanze, HS 140 m,
SR: Daiki Ito (JPN) 143,0 m
(2005)
5. Jänner: 17.00: Qualifikation
6. Jänner: 17.00: Abschlussbewerb
TV: live auf ORF eins.
Die letzten zehn Sieger:
2005/06: Ahonen (FIN), Janda (CZE)
2006/07: Anders Jacobsen (NOR)
2007/08: Janne Ahonen (FIN)
2008/09: Wolfgang Loitzl (AUT)
2009/10: Andreas Kofler (AUT)
2010/11: Th. Morgenstern (AUT)
2011/12: G. Schlierenzauer (AUT)
2012/13: G. Schlierenzauer (AUT)
2013/14: Thomas Diethart (AUT)
2014/15: Stefan Kraft (AUT)
Gesamtsiege:
5 Janne Ahonen (FIN) 1998/99,
2002/03, 04/05, 05/06, 07/08
4 Jens Weißflog (DDR/GER)
1983/84, 84/85, 90/91, 95/96.
Lesen Sie zu diesem Thema den
Kopf des Tages auf Seite 2
Alles im grünen Bereich: Die Schanze in Oberstdorf ist bereit für den TourFoto: EPA/von Erichsen
neeauftakt, die Österreicher brennen auf den Start.
Mut zum Absprung
Chance ist nicht groß, aber sie ist da
Von Alexander Pointner
Janne Ahonen bei seinem ersten
Foto: gepa
Tourneesieg 1999.
Den entscheidenden Step
tat Schlierenzauer dabei sechs
Tage lang bei einem „Urlaubskurs in Lillehammer“. Dort
wohnte der zweifache Gesamtweltcupsieger in einer
Blockhütte, kochte selbst und
trainierte auf seiner Lieblingsschanze – mit Marc Nölke. Einem ehemaligen ÖSVCoach. Genauer gesagt, dem
Co-Trainer von Alex Pointner
zu Schlierenzauers erfolgreichsten Zeiten. Mittlerweile
leitet Nölke ein Fitness-Studio in Köln. „Marc ist einer,
der nicht in dem Hamsterrad
sitzt“, erklärte Schlierenzauer
seine Vorgehensweise.
Bei der Tournee will Schlierenzauer nun „Schritt für
Schritt nach vorne kommen.
Wie lange das dauert, steht in
den Sternen.“ Und wenn sich
keineVerbesserungen einstellen werden? „Dann wird sich
der Weg ergeben. Man muss
nicht immer alles planen“,
sagte der Hauptdarsteller und
trat von der Bühne ab.
W
enn Österreich
siebenmal in
Folge den Sieger
der Vierschanzentournee
stellt, könnte man meinen,
ein jeder erwartet sich
automatisch den achten
Streich. Nach dem bisherigen Verlauf des Winters
kann davon aber keine
Rede sein. Sagen wir so:
Die Erwartungen wachsen
dieser Tage nicht in den
Himmel. Und das ist auch
statistisch belegt. Noch
wartet Österreich auf den
ersten Saisonsieg. Und
wohl aussagekräftiger:
Erstmals seit zehn Jahren
ist kein ÖSV-Adler vor der
Tournee unter den Top drei
im Gesamt-Weltcup.
Michael Hayböck, der
Zweite der vergangenen
Tournee, demonstrierte
zuletzt immerhin mit zwei
Podestplätzen Aufwärtstendenz und ist Gesamtsechster. Stefan Kraft
nimmt die Mission Tournee-Titelverteidigung als
Neunter in Angriff. Eine
„Mission impossible?“
Nicht unbedingt.
So abgedroschen es klingen mag, auch die Tournee
hat ihre eigenen Gesetze.
Nur zwei Beispiele: In der
Saison 2006/2007 führte
im Tournee-Vorfeld ein
ÖSV-Quartett den GesamtWeltcup an, letztlich aber
schnappte Janne Ahonen
den Jung-Alphatieren
Morgenstern (2.) und
Schlierenzauer (12.) den
Titel weg. Und im Umkehrschluss segelte Thomas
Diethart 2013/14 mit nur
zwei Weltcup-Springen
in den Beinen vom 24.
Weltcup-Rang direkt zum
Tournee-Triumph. Morgenstern, der zwei Wochen
vor Tournee-Beginn in
Titisee-Neustadt schwer
gestürzt war, wurde ohne
Trainingssprung Gesamtzweiter.
Fakt ist aber auch, dass
erstmals – soweit ich mich
erinnern kann – nur fünf
Österreicher für die anstehende Tournee qualifiziert
sind und auch der Weg
über den Continentalcup
(einer als 13. unter den Top
15) erfolglos blieb.
Wie auch immer: Alles
beginnt bei null. Jetzt liegt
es an Michael und Stefan,
ihren Formanstieg weiter
zu festigen, an Gregor,
ausgerastet zu überraschen. Und auch Manuel
(Fettner, Anm.) bringt als
Tournee-Vierter 2010/11
reichlich Erfahrung mit.
Drauf haben sie es alle,
aber Favoriten sind freilich
andere. Allen voran der in
Überform agierende Peter
Prevc. Natürlich auch ein
Severin Freund und die
jungen, wilden Norweger.
Alexander Pointner (44),
erfolgreichster SkisprungTrainer aller Zeiten,
kommentiert für die
TT das SchanzenGeschehen.
alexanderpointner.at
Foto: Forcher