Eisspur bis zum Tisch

Transcrição

Eisspur bis zum Tisch
Weltcup Klingenthal
Seite 10 − Freie Presse
anzeige
C„ddÓ C„ddÓ
†X^^%ñ
Donnerstag, 12. Februar 2009
bis
Zuletzt lacht wieder Schlierenzauer Eisspur
zum Tisch
Skispringen: Österreicher feiert vierten Sieg in Klingenthal – Norweger zurück in der Weltspitze – Schmitt Vierter
Ein Windsegel ist in Planung
Von Thomas Prenzel
und Claudia Nolte
sXZ
Z„ddj j„ý†Z
V^‰\\jñ
C_OÈÈ
UUU͌^„d^\\Í’ËZgdÈÈ
2690648-10-1
E RG E BN ISS E
Skispringen, Weltcup in Klingenthal im
Rahmen der Team-Tournee: 1. Schlierenzauer (Österreich) 261,2 Punkte
(131,5+135 m), 2. Jacobsen (Norwegen)
260,3 (135+131), 3. Loitzl (Österreich)
257,1 (134+130,5), 4. Schmitt (Furtwangen) 247,7 (128,5+130,5), 5. Küttel
241,1 (129,5+127,5), 6. Ammann (beide
Schweiz) 238,9 (125,5+130), 7. Olli
(Finnland) 238,4 (124,5+131), 8. Koudelka (Tschechien) 236 (126+129), ... 14.
Neumayer (Berchtesgaden) 226,3 (125+
126), 18. Hocke (Schmiedefeld) 219,6
(123,5+123,5), 21. Schoft (Partenkirchen) 216,0 (120,5+124,5), 25. Freund
(Rastbüchl) 210,2 (122,5+119). Nicht im
Finale der besten 30: 31. Bodmer (Meßstetten) 103,8 (121), 34. Ulmer (Wiesensteig) 102,5 (120).
Stand im Gesamtweltcup: 1. Schlierenzauer 1620 Punkte, 2. Ammann 1368, 3.
Loitzl 1242, 4. Morgenstern (Österreich)
672, 5. Schmitt 651. Stand Team-Tournee: 1. Österreich 1920,7, 2. Norwegen
1889,2, 3. Finnland 1707,7, 4. Japan
1697,3, 5. Deutschland 1694,6, 6.
Tschechien 1643,2.
Klingenthal. Was lange währt. In
letzter Sekunde zeigte der WetterGott doch noch Einsicht mit den
Klingenthalern. Und das lange Ausharren hat sich für die 12.750 Fans
gelohnt. Nach einer tollen Flugshow hieß gestern Gregor Schlierenzauer zum vierten Mal beim seinem vierten Start in der VogtlandArena der Sieger. Im Tollhaus am
Schwarzberg reckte der 19-jährige
Schlaks seine Ski in den Flockenwirbel und genoss das Bad in der
Menge. Mit Bestweite im Finalsprung setzte sich der Österreicher
noch von der dritten Position an die
Spitze. Nach seinem zehnten Saisonsieg konnte Schlierenzauer sein
Glück kaum fassen: „Die Schanze
hier taugt mir einfach. Und die Leute haben sich ein Extralob verdient,
wie sie bis zum Schluss geduldig geartet haben. Klingenthal und ich
sind Freunde“, lobte der Überflieger
die Zuschauer, die am späten Abend
ihre Idole ausgiebig gefeiert hatten.
Schlierenzauer verwies den Norweger Anders Jacobsen, der noch
nach dem ersten Durchgang geführt
hatte. Dritter wurde Tourneesieger
Wolfgang Loitzl. Damit bauten die
Österreicher auch ihre Führung in
der Team-Tour gegenüber Norwegen aus. Auf dem undankbaren vierten Rang landete Martin Schmitt.
Der Schwarzwälder zeigte sich wieder in guter Verfassung und ballte
nach seinem 130,5-Meter-Satz im
zweiten Versuch sogar die Faust, als
er – von den Massen bejubelt –
durch den Schanzenauslauf fuhr.
Trotz der undankbaren Platzierung
wollte der 30-Jährige danach nicht
Trübsal blasen. „Die anderen waren
heute einfach besser. Das muss man
akzeptieren. Ich hatte zwei gute
Sprünge“, schätzte Schmitt ein. Sein
Trainer Werner Schuster verließ
Gregor Schlierenzauer ließ sich in seiner „Wohnstube“ nicht die Butter vom Brot nehmen.
auch zufriedener als in Willingen
die Schanzenanlage. Fünf deutsche
Adler hatten das Finale erreicht.
Und mit Schmitt schnupperte sein
bester Athlet wieder am Treppchen.
„Ihm hat kein Wind geholfen. Das
waren zwei qualitativ starke Sprünge von Martin“, erklärte Schuster,
der Felix Schoft als fünften Mann
für die WM nominierte. „Bei ihm
sehe ich noch die größten Reserven“, begründete Schuster seine
Entscheidung. Der Österreicher
kann wieder zuversichtlich in Richtung Weltmeisterschaft, die kommende Woche im Riesengebirge be-
ginnt, blicken. „Wir reisen in jedem
Fall mit breiter Brust nach Liberec.
Was wir in dieser Saison bereits
geschafft haben, kann uns sowieso
keiner mehr nehmen“, meinte der
39-Jährige. Bei der WM liebäugeln
die deutschen Adler vor allem mit
einer Medaille im Teamwettbewerb.
Die war zu Jahresbeginn mit den
guten Tournee-Ergebnissen von
Martin Schmitt und Co. schon in
greifbare Nähe gerückt. Doch bekamen die Ambitionen zum Auftakt
der Team-Tour in Willingen einen
leichten Dämpfer. Zumal sich auch
die Norweger nach einer Auszeit in
–Foto: Wolfgang Schmidt
der Weltspitze zurückmeldeten und
diesen Trend gestern in Klingenthal
fortsetzten. Dass Trainer Mika Kojonkoski im Trainingslager in Lillehammer jeden Tag Flugente servieren ließ, ist ausgeschlossen. Anders
Jacobsen jedenfalls wandelte gestern auf schmalem Grat. In der Probe stürzte er nach einem völlig verkorksten Absprung noch auf dem
Vorbau ab. Im ersten Wertungssprung aber segelte er mit 135,0 Metern auf die Bestweite. Letztlich
stahl ihm nur einer die Show. Es
war – wie immer in Klingenthal –
Gregor Schlierenzauer.
Klingenthal. Gegen den Wind
noch machtlos, dem Schneefall aber
getrotzt. Als hilfreich erwies sich
beim anfänglichen Wetterchaos im
Vogtland das neue Anlaufspur-System, das im Spätherbst auf der
Großschanze am Schwarzberg montiert wurde. Dabei handelt es sich
um eine im Winter und Sommer
gleichfalls nutzbare Keramik-Eisspur. „Im Herbst lässt sich das System leicht umstellen. Mit Hilfe eines integrierten Kühlsystems bildet
sich in drei Tagen eine Eisspur. Die
bleibt bei Temperaturen bis 15 Grad
stabil“, erläuterte gestern Rainer
Steven von der Firma CeramTecEtec die erstmals bei einem Weltcup praktizierte Weltneuheit.
Das Eis wird mit einer Spezialfräse geschliffen. Vor die Fräse ist ein
Bürstensystem integriert, das wie
gestern bei Schneefall zum Einsatz
kommt. Mit dieser Aloslide-Eisspur
kann es nicht wie beim Kombinierer-Weltcup an gleicher Stelle im
Vorjahr passieren, dass die Schneespur aufgrund warmer Witterung
einbricht und mit Chemikalien behandelt werden muss. Klingenthal
besitzt die erste kombinierte Spur
für Sommer und Winter. Der Hersteller bietet außer Anlaufspuren
noch Hochleistungskeramik wie
künstliche Hüftgelenke oder Dichtringe für Sanitäranlagen an.
„Wir können jetzt zu 95 Prozent
den Witterungsbedingungen trotzen. Nur bei nassem Neuschnee gibt
es noch Probleme“, schätzte
FIS-Renndirektor Walter Hofer ein.
Im Frühjahr soll zudem eine Plattform am Schanzentisch hinzukommen, die den Absprungimpuls des
Springers messen kann. Im Plan ist
laut Vogtland-Landrat Tassilo Lenk
auch noch ein Windsegel. Das allerdings müsste ziemlich hoch sein,
um auch noch dem größten Feind
des Skispringens trotzen zu können.
(TP)
NACH R ICH TE N
Klingenthal jetzt
Bundesstützpunkt
Klingenthal. Klingenthal hat
gestern den Status eines Bundesstützpunktes Ski nordisch im
Deutschen Ski-Verband (DSV)
erhalten. Am Rande des Skisprung-Weltcups verlieh DSVVizepräsidentin Sabine Reuß
dem Präsidenten des VSC Klingenthal die Auszeichnung. Damit würdigt der DSV die Entwicklung des Skisports im Vogtland nicht erst seit dem Bau der
modernen Großschanze. Bisher
hatte Klingenthal den Status als
Bundesstützpunktes Kombination. (TP)
Team-Wettbewerb
ersatzlos gestrichen
Val d’Isere. Der Team-Wettbewerb im Rahmen der alpinen
Ski-Weltmeisterschaften in Val
d’Isere ist gestern wie erwartet
abgesagt und ersatzlos gestrichen worden. Starker Wind, vor
allem aber der seit Montag in
großen Mengen gefallene Neuschnee zwangen die Renn-Jury
zu der Entscheidung. Die Piste
„Face de Bellevarde“ konnte
nicht in einen rennfertigen Zustand versetzt werden. Wegen
des dicht gedrängten Programms
bis Sonntag ist kein Ausweichtermin für den „Nations Team
Event“ frei. (sid)
Vonn will erneut
nach Gold greifen
Val d’Isere. Doppel-Weltmeisterin Lindsey Vonn will bei der
alpinen Ski-WM in Val d’Isere
trotz ihrer Daumenverletzung
ein weiteres Mal nach Gold greifen. Die Amerikanerin wurde
vorgestern in Hochrum bei Innsbruck in Österreich erfolgreich
am rechten Daumen operiert
und kann beim Slalom am Sonntag antreten. Auf einen Start
beim Riesenslalom heute will sie
jedoch verzichten. „Ich freue
mich auf meine Rückkehr zur
WM und darauf, um eine weitere Medaille kämpfen zu dürfen“,
sagte Vonn. (sid)
Mit Roster, Glühwein und Tanzeinlagen die Vorfreude genossen
Tausende begeisterte Fans harren im Schneetreiben aus – Stimmung „unbeschreiblich, ansteckend und zum Genießen“ – Ein Feiertag für die ganze Familie
Klingenthal. Auch beim fünften
Skisprung-Höhepunkt in Klingenthal bleibt die Euphorie ungebrochen: Weder Schneetreiben noch
eisiger Wind konnten die Fans in
der Vogtland-Arena davon abhalten,
ihre Idole anzufeuern.
Gegen
halb zehn trudelten die ersten Skisprungbegeisterten ein. Sie trotzten den widrigen
Bedingungen, als
der Start viermal
Paulus Mädler. verschoben wurde
–Foto: Wolfgang Schmidt (5) und harrten tapfer
aus, bis 18 Uhr der
erste Adler in die Lüfte ging. Dabei
hatte jeder sein Geheimrezept um
sich die gute Laune zu bewahren.
Paulus Mädler aus Schönheide: Das könnte mein tollstes Ferien-
erlebnis werden. Sogar meine kleine Schwester findet es super. Zusammen mit unserem Papa sind wir
zum ersten Mal
beim Skispringen
und ich finde es
richtig
Klasse.
Wir sind zwar
schon um ein Uhr
hier
angekommen, aber es war
kein
bisschen
langweilig. Und
Mike Lis.
gefroren
haben
wir auch nicht, wir sind immer
ganz kräftig gehüpft und haben uns
so aufgewärmt.
Mike Lis aus Geyer: Meine Frau
Silke und ich interessieren uns
schon lange fürs Skispringen, aber
heute sind wir zum ersten Mal live
dabei – und es ist noch besser als
gedacht. Ein toller Ferientag für
unsere Töchter Finja und Chelsea,
obwohl wir schon seit zwölf Uhr
warten. Gegen die Kälte haben wir
ein gutes Mittel gefunden: Wir haben einfach kräftig getanzt. Gerade
diese Atmosphäre vor heimischer
Kulisse ist schon etwas Besonderes.
Veit Okrei aus Claußnitz bei
Mittweida: Meine Frau Silke ist
eigentlich der Fan und ich nur der
Fahrer. Aber die
gute Stimmung
hier ist einfach
ansteckend. Wir
sind eingefleischte Skisprungfans,
haben
Martin
Schmitts Karriere
verfolgt und früher schon mit
Veit Okrei.
Jens
Weißflog
mitgefiebert. Auch live waren wir
schon oft dabei, aber hier in Klin-
genthal ist es besonders schön, man
hat von überall gute Sicht und das
Publikum macht
super mit. Und
das lange Warten
geht schon in Ordnung, wenn dafür
ein guter Wettkampf folgt. Außerdem haben unsere Styropor-UnMarlen Schubert. terlagen und schöner heißer Glühwein das Warten leicht gemacht.
Marlen Schubert aus Auerbach: Das ist mein zweiter Besuch
in der Vogtland-Arena und ich bin
wieder begeistert. Viel heißer Tee,
Glühwein und Roster waren ein guter Trost beim Warten, immerhin
bin ich seit ein Uhr in der Arena.
Aber das ist mir sowieso nicht
schwer gefallen. So etwas muss man
schon aushalten, wenn man seine
Lieblingsspringer sehen will.
Kati Müller aus Fraureuth:
Seit ewigen Zeiten bin ich ein Riesenfan dieser Sportart und heute
habe ich es endlich live in die Arena
geschafft.
Mit
meinen Kolleginnen genieße ich
die Stimmung –
wir haben uns
extra Urlaub genommen. Das hat
sich absolut gelohnt, denn es ist
einfach
unbeKati Müller.
schreiblich. Seit
halb eins sind wir schon hier, aber
es ist nicht schlimm, dass wir so lange warten mussten. Mit Roster und
Glühwein haben wir die Vorfreude
auf einen spannenden Wettbewerb
genossen. (CNO)
Exoten aus dem Himalaya
Wie ein gebürtiger Magdeburger das Ski-Team von Nepal zur WM brachte
Val d’Isere. Shyam Dhakal und
Subas Khatri stammen aus Nepal.
Derzeit halten sie sich in Val d’Isere
auf. Dort haben sie es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Denn
zu alpinen Ski-Weltmeisterschaften
hat es noch kein Bürger aus der asiatischen Republik geschafft. Shym
Dhakal und Subas Khatri sind die
ersten. Sie wollen auch teilnehmen,
aber erst mal wurde ihnen gesagt:
Ihr habt keine regelkonformen Skier.
Die Spuren des nepalesischen
Ski-Teams führen nach Deutschland. Richard Morley wurde in der
Nähe von Magdeburg geboren, als
Sohn einer deutschen Mutter und
eines englischen Vaters. 1961, „als
die Mauer gebaut wurde, sind wir
geflüchtet“. Morley wuchs in England auf, in wohl behüteten Verhältnissen, fuhr leidenschaftlich
Ski, diente von 1971 bis 1977 in der
Royal Navy und machte später Millionen mit Computern.
Dass es dieses Ski-Team gibt, ist
die Folge eines Versprechens. Im
Jahre 1984 erlitt Morley bei einer
Expedition im Himalaya eine Lungenembolie. Basu Khadka, Sherpa
und Polizist, marschierte 60 Kilometer, um Hilfe zu holen. Der Engländer überlebte, sein Retter bat ihn
um einen Gefallen: „Ich sollte mich
um seinen Sohn kümmern, falls
ihm selbst etwas zustoßen sollte.“
Als Morley 1990 nach Nepal
kam, war Basu gestorben. Er suchte
nach dem Sohn und fand Jayaram
Khadka, der als Küchengehilfe für
drei Dollar im Monat schuftete. Sieben Jahre lang kämpfte er, um den
Jungen nach England zu holen, er
verkaufte ein Schloss, um die
250.000 Euro für den Rechtsstreit
aufbringen zu können. Erst 1997
wurde ihm die Adoption gestattet –
auch dank der Mithilfe des damaligen nepalesischen Königs Birenda.
Der nahm Morley das Versprechen
ab, er möge aus seinem Sohn Nayaragan, der 1996 bei Olympia in Atlanta als Schwimmer am Start war,
einen olympia-tauglichen Wintersportler machen.
Morley schlug ein – und gründete eine Trainingsgruppe, der sich
sein Adoptivsohn anschloss. Als erster nepalesischer Athlet überhaupt
nahm Jayaram Khadka 2002 in Salt
Lake City an Winter-Olympia teil –
im Langlauf. Er belegte Rang 69 im
Sprint. Der Königssohn war damals
schon tot: Prinz Nayaragan wurde
beim Staatsstreich 2001, der dem
König und seiner gesamten Familie
das Leben kostete, ermordet. Jayaram hörte 2005 mit dem Sport auf.
Morley selbst machte weiter. Schon
seit 2002 organisiert er im unweit
von Val d’Isere gelegenen Les Arcs
Trainingscamps für nepalesische
Skifahrer. „Das sind Jungs vom Berg
mit jeder Menge Mut, Hingabe und
Potenzial“, sagt der 56-Jährige. Dhakal, 27 Jahre alt, stammt aus Yaku-G
Bhospur, einem Ort im Himalaya
auf 5023 Metern Höhe.
Dhakal und Khatri (22) müssen
im Riesenslalom und im Slalom in
die Qualifikation – auch bei den
Alpinen gibt es eine ZweiklassenGesellschaft. „Warum gibt es keine
Subash Khatri unterwegs auf der Piste.
WM für die Dritte Welt? Im Fußball
gibt es ja auch eine zweite Liga“,
sagt Morley. Doch größere Sorgen
haben die Skier bereitet. Die Bretter
entsprechen nicht den Vorschriften,
und Geld, um neue zu kaufen, hatte
das Team nicht mehr. Der Verband
angeblich auch nicht. Die Fördergelder des Ski-Weltverbandes FIS oder
des Internationalen Olympischen
–Foto: Denis Balibouse/Reuters
Komitees (IOC) würden „direkt in
die Taschen korrupter Funktionäre“
wandern, behauptet Morley. Seine
Jungs müssten in der Qualifikation
heute unter die ersten 25 kommen,
um am Rennen am morgen teilnehmen zu dürfen. Und was die Skier
angeht: Eine französische Skifirma
hat rechtzeitig regelkonforme Bretter gestiftet. (sid)

Documentos relacionados