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Dezember 2007
DAS MAGAZIN DER ALEXIANER-EINRICHTUNGEN
Worauf es ankommt, ist die
richtige Balance zwischen
Leistung und Entspannung
Menschen „lesen“ lernen
Gestik und Mimik sind für Autisten
eine Fremdsprache
Diagnose Brustkrebs
Die immer bessere Frühdiagnostik
kann Leben retten
Anzeigen
E D I T O R I A L / I N H A LT
THERAPIE
4 Menschen „lesen“ lernen · Gestik und Mimik sind für
Autisten eine Fremdsprache
28 Gewalt, Unfall, Angst · Wenn schon ein junger Mensch
Schlimmes verkraften muss. Hilfe für Kinder und Jugendliche nach traumatischen Erlebnissen
SEITENWECHSEL
4
6 Stottern. Das Schlimmste ist die Angst davor
MEDIZIN
Liebe Leserinnen und Leser,
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, da
sind sich Arbeitgeber und Politiker oft
einig. Zumal Zeit Geld ist … Keine Sorge,
ich werde jetzt keinen Monolog über
effizientes Zeitmanagement halten. Im
Gegenteil: Das Thema Zeitmangel oder
Zeitdruck spielt gerade heutzutage eine
große Rolle. Wer permanent auf Hochtouren läuft, nonstop arbeitet und soziale
Kontakte vernachlässigt, läuft Gefahr, auszubrennen. Immer mehr Menschen unterschiedlicher Berufssparten leiden unter
dem sogenannten Burnout-Syndrom. Und
dann? Nur Auszeiten und Atempausen
schaffen ein Gleichgewicht zwischen Leistung und Entspannung. Lesen Sie mehr
dazu in unserer Titelgeschichte.
Der Kommunikationswissenschaftler und
Psychoanalytiker Paul Watzlawick stellte
wichtige Grundregeln der Kommunikation
auf. Eine seiner Thesen: „Man kann nicht
nicht kommunizieren …!“ Gilt das auch für
Menschen, die an Autismus leiden und in
ihrer eigenen Welt leben? Einer Welt, die
es dem Betroffenen schwer oder unmöglich macht, soziale Kontakte aufzubauen?
Beschäftigt man sich mit Autismus, wird
deutlich, dass Autisten ihr Gegenüber wie
eine „Fremdsprache“ lernen müssen.
„Menschen lesen lernen“ – so lautet deshalb auch der Titel des interessanten Artikels über Hintergründe des Autismus auf
Seite 4.
Mit der letzten Ausgabe für dieses Jahr
wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr 2008.
Und denken Sie daran: Gönnen Sie sich
Atempausen. Ihr Körper, Ihr Geist und Ihre
Seele werden es Ihnen danken!
7 Diagnose Brustkrebs · Die immer bessere Frühdiagnostik
kann Leben retten
ORDENTLICHES
10 Freiräume schaffen · Welche Aufgabe hat die Seelsorge
heute? Was ist anders als früher? Und wie wird Seelsorge
in Einrichtungen wie denen der Alexianer in Zukunft gelebt
werden?
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TITEL
12 Auszeit · Burnout vermeiden: Worauf es ankommt, ist die
richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung
IM BLICK
18 Kein Dach über dem Kopf · Das Wohnhotel der Alexianer
in Aachen
BRENNPUNKT
19 Kinder haben große Ohren · Streit und Missstimmung in
12
der Familie gehen selten ungehört an Kinderohren vorbei.
Bei einer Trennung benötigen Kinder klare Botschaften
– und viel Verständnis
GESUND BLEIBEN
22 Placebos – Ein Wundermittel? · Wie positive Erwartungen die Selbstheilungskräfte unseres Körpers in Gang
setzen
RÄTSEL
19
24
K U R Z N O T I E RT
25 Aufge-lesen · Seelische Erkrankung, Religion und
Sinndeutung
Online-Sucht ist weit verbreitet
Immer mehr Menschen sind auf Lebensmittelspenden
angewiesen
V O R O RT
26 Modellhaftes Altenhilfe-Projekt in dörflicher Struktur · ·
28
Hilfen bündeln: Die Integrierte Versorgung · ·
Medizinische Zentren auf dem Vormarsch · ·
Trainingsprojekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ · ·
REHA vernetzt · · Gemeinsam mehr erreichen
Ihr
V O R G E S T E L LT
30 Auf den Geschmack gekommen · Ein Alexianer-Projekt
mit Pfiff: Buffetservice „Culinaria“ integriert psychisch
behinderte Menschen in die Arbeitswelt
Bruder Benedikt M. Ende C.F.A.
Provinzial der St. Alexius-Provinz
IMPRESSUM
31
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THERAPIE
ie Alexianer-Klostergärtnerei in
Köln-Porz ist ein angenehmer
Arbeitsplatz. Liebevoll dekorierte
Verkaufsräume voller Menschen, bunte
Gewächshäuser und helle Hallen, in
denen Mitarbeiter Pflanzen und Gefäße
vorbereiten. Dirk Hofmanns Lieblingsaufgabe dort ist es, Flüssigdünger in Kunststoffflaschen abzufüllen. Dazu arbeitet
er in einer abgelegenen Ecke, „wo nicht
so viele Leute sind“. Während er uns
mit den Abläufen des Betriebes vertraut
macht, möchte ich ihm Fragen stellen.
Doch das muss warten, weil wir erst
alle Hallen in aufsteigender Zahlenfolge
besichtigen. Dirk Hofmann ist 38 Jahre
alt und Autist.
D
Fremdsprache Körpersprache
Autismus ist keine Erkrankung im
üblichen Sinne. Es gibt keine Blut- oder
Hirnuntersuchungen, mit deren Hilfe
die Diagnose eindeutig gestellt werden
kann. Die Symptome sagen dem Experten, dass eine Störung aus dem autistischen Formenkreis vorliegt. Das kann
vieles heißen: Frühkindlicher Autismus,
Menschen
„lesen“ lernen
Gestik und Mimik sind für Autisten eine Fremdsprache
autistische Störung, autistisches Syndrom, Asperger-Syndrom, High-functioning-Autismus und atypischer Autismus sind mögliche Bezeichnungen für
eine Behinderung, die vor allem bedeutet, dass es dem Betroffenen schwer
bis unmöglich ist, in engen, gefühlsbetonten sozialen Kontakt mit seiner
Umwelt zu treten. „Autismus ist keine
leichte Behinderung, sondern eine tief
greifende Entwicklungsstörung mit massiven Beziehungs- und Kommunikationsdefiziten“, erklärt die stellvertretende
Leiterin des Autismus-Therapiezentrums
Köln, Ursula Franke. Der Erkrankung liegen komplexe Störungen des zentralen
Nervensystems zugrunde, insbesondere
im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Mit 16 Kollegen arbeitet Franke in
einem interdisziplinären Team, das Klienten ab dem Alter von drei Jahren therapiert. Elterngespräche nehmen einen
großen Teil davon ein. „Die Eltern sind
der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie, die zu Hause weitergeht“, weiß
Franke.
Leben in Grenzen
Dirk Hofmann leidet am Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus, bei der
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die sprachlichen Fähigkeiten des Betroffenen weder eingeschränkt noch verzögert vorhanden sind. „Asperger“ können bis zu 60 verschiedene Symptome
zeigen, ein typisches Krankheitsbild gibt
es aber nicht. Hofmann weiß, dass er
„im Zwischenmenschlichen Schwierigkeiten“ hat, wie er sagt. „Ich kann
die Körpersprache anderer Menschen
schwer einschätzen.“ Das erlebt er täglich: „Ich hätte gern eine Ausbildung
als Computerelektroniker gemacht. Da
wurde leider nichts draus. Im ersten
Modul waren soziale Kompetenzen
gefragt. Auf einmal sagte man mir, dass
ich dort nicht bleiben könne. Wie ein
Blitz aus heiterem Himmel kam das.“
Seit zehn Jahren arbeitet Hofmann jetzt
auf einem Dauerarbeitsplatz bei den Alexianer-Service-Betrieben. Am liebsten
arbeitet er im Technischen Dienst, wird
aber auch in der EDV und in der Gärtnerei eingesetzt. Er möchte eine ruhige
Tätigkeit, zu monoton darf sie aber nicht
Kontakt & Info
THERAPIE
Autismus-Therapiezentrum
Köln
www.autismus-koeln.de
sein. Ganz am Anfang falzte er in der Verpackungsabteilung Kartons und beklebte
eine „Herzuhr“ im Auftrag des Bayer
Werks Leverkusen. Die Zeit verging nur
langsam, und er ließ sich leicht ablenken.
Zum Beispiel vom Radio. „Das ist nichts
für mich, dann komme ich auf dumme
Gedanken und werde laut. Ich habe viel
über Hitler-Filme aus dem Geschichtsunterricht an der Abendschule erzählt“,
erklärt er pragmatisch und unbewegt,
während er abwechselnd rechts und
links an mir vorbeischaut. Hofmann mag
Radfahren, Musik, Sauna und Elektroteile löten, hört die Doors, die Rolling
Stones und die Beatles. Er lebt allein in
seiner Wohnung in Wuppertal und legt
den Weg zur Arbeit jeden Tag mit Bahn
und Bus zurück. Viele Umgangsformen
und soziale Gesten beherrscht er perfekt
und versucht, Schwierigkeiten aus dem
Weg zu gehen. Was das im Alltag heißt,
erklärt er kurz und knapp: „Manchmal
stoße ich direkt an meine Grenzen.
Manchmal ist ein bisschen Luft.“ Ganz
am Ende unseres Gesprächs lacht er
einmal laut und wirkt nicht mehr so
„anders”. Man könnte ihn fast für nur
schüchtern halten.
„Schüchterne Menschen verstehen die
sozialen Regeln aber und trauen sich nur
nicht, sie anzuwenden“, erklärt Ursula
Franke. „Menschen mit Asperger-Syndrom würden sich trauen, sie anzuwenden, verstehen sie aber nicht. Für sie ist
es viel Arbeit, durchs Leben zu kommen.
Von außen betrachtet wirken sie häufig
sozial verarmt, sind es aber nicht. ‚Ich
muss dich lernen wie eine Fremdsprache’, sagte mir ein Kind mal. Tatsächlich
ist Kommunikation bei Autisten immer
auffällig. Bei manchen Störungsformen
fehlt sie auch ganz.“
Ursache und Wirkung
Weshalb das Asperger-Syndrom vermehrt bei Männern auftritt, ist nicht
bekannt. Möglicherweise äußert es sich
bei Frauen durch ihre andere Sozialisation
teilweise unauffälliger oder sie können
es aufgrund sozialerer Verhaltensmuster,
Nachahmung oder Schauspielerei besser überspielen. Auch über die Ursachen
der Störung sind sich die Experten im
Unklaren. Vermutet wird unter anderem, dass ein hoher Testosteronspiegel
Selbsthilfeorganisation von
Menschen im AutismusSpektrum
www.aspies.de
im Mutterleib ein extrem männliches
Gehirn verursacht, was auch die große
Zahl betroffener Männer erklären würde.
In jedem Fall wird davon ausgegangen,
dass mehrere Faktoren zusammenspielen. Für genetische Ursachen sprechen
familiäre Anhäufungen von Autismus.
Ein höheres Alter des Vaters könnte ein
Auslöser sein. Manche Autisten weisen
von der Norm abweichende Hirnstrukturen auf. Ob die aber Ursache oder
Folge sind, weiß niemand. Die ebenfalls
von der Norm abweichende autistische
Wahrnehmung hat jedenfalls ein „seltsames“ und oft verschroben wirkendes Verhalten zur Folge. „Da sitzen oft
ganz nette Menschen vor mir, deren Hilflosigkeit einem manchmal selbst weh
tut“, sagt Ursula Franke. „Hier braucht
es keine neuen Sozialgesetze, sondern
Integration.“ Dirk Hofmann sieht das
ähnlich. Er wünscht sich mehr Toleranz
von seinen Mitmenschen. Und Geduld.
(ck)
Was ist Autismus?
Mehr als ein Prozent der Bevölkerung
leiden an einer Störung aus dem autistischen Formenkreis. Jungen sind dreibis viermal häufiger betroffen als Mädchen.
Autismus tritt in verschiedenen Schweregraden und oft in Kombination mit anderen Behinderungen und Krankheiten auf,
zum Beispiel dem Tourette-Syndrom
oder einer Epilepsie, mit Chromosomenanomalien und Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungen.
Etwa 70 Prozent der autistischen Menschen sind geistig behindert. Rückschlüsse auf die Intelligenz von Autisten aufgrund der Störung können aber
nicht ohne Weiteres gezogen werden.
Je nach Ausprägung sind sie ebenso
normal, über- oder unterdurchschnittlich
begabt wie andere auch.
Das Vollbild der Störung zeigt sich nach
den internationalem Klassifikationssystemen ICD 10 und DSM IV in einer qualitativen Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen, schwerer
Beeinträchtigung der Kommunikation und
der Fantasie, deutlich eingeschränkten
Interessen sowie dem Entwickeln von
stereotypen Verhaltensmustern (wie
viele es aus dem Film „Rain Man“ mit
Dustin Hoffman kennen) sowie einem
Auftreten der Symptome im Verlauf der
ersten 36 Lebensmonate.
Lesetipp:
Charlotte Moore: Sam, George und
ein ganz gewöhnlicher Montag. Mein
Leben mit zwei autistischen Kindern,
Goldmann Verlag 2004
Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing:
Das Asperger-Syndrom aus der Sicht
einer Betroffenen, Weidler Buchverlag
Berlin 2007
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SEITENWECHSEL
Stottern. Das Schlimmste
ist die Angst davor
Marilyn Monroe, Winston Churchill,
Bruce Willis – wer stottert, ist in bester
Gesellschaft. Doch das Schlimmste am
Stottern ist die Angst davor. Da bestellt
jemand im Bäckerladen vier Brötchen,
obwohl er nur drei will, aber die „Vier”
besser aussprechen kann. Doch Wortvermeidungen wie diese erzeugen statt
Erleichterung beim Betroffenen eher
Selbstvorwürfe, Scham und Resignation. Schlimmstenfalls führt das Verhalten in die soziale Isolation.
Rund fünf Prozent aller Kinder und
Jugendlichen sind zumindest zeitweise
von der Sprechbehinderung betroffen.
In Deutschland stottern 800.000 Männer und Frauen. Stottern besteht aus
Unterbrechungen des Redeflusses in
Form von Blockaden, Wiederholungen
von Wortteilen und Dehnungen. Häufig ist das Sprechen mit einer übermäßigen Anstrengung verbunden, die in
Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder in zusätzlichen Bewegungen
von Kopf, Arm oder Oberkörper sichtbar
wird. Im Moment des Stotterns weiß der
Stotternde genau, was er sagen möchte,
ist aber nicht in der Lage, es störungsfrei
herauszubringen. Keine zwei Menschen
stottern auf dieselbe Art und Weise, die
Sprechbehinderung ist individuell sehr
unterschiedlich ausgeprägt.
Im Gespräch mit Stotternden gelten
die gleichen „Spielregeln“ wie für jede
andere Unterhaltung: Ausreden lassen,
zuhören, Blickkontakt halten. Nicht, wie
gesprochen wird, sondern was gesagt
wird, ist wichtig.
Von Vorurteilen und Missverständnissen
Leider kursieren noch immer zahlreiche
Vorurteile über das Stottern. Von mangelnder Intelligenz und psychischen Störungen ist dabei die Rede. Missverständnisse, die den Leidensdruck verstärken,
den viele stotternde Menschen tagtäglichen erleben. Stottern ist eine organisch bedingte Sprechbehinderung und
hat nichts mit Dummheit, neurotischem
Verhalten oder falscher Erziehung zu tun.
Forschungsergebnisse führen Stottern
unter anderem auf eine neurophysiologische Störung in der linken Gehirnhälfte
zurück. Die Sprachregionen, die für Planung und Ausführung des Sprechens
zuständig sind, arbeiten nicht richtig miteinander.
Für Stotternde selbst sind die Ursachen
weniger wichtig. Entscheidender ist
für sie, die Angst vorm Sprechen abzubauen und den souveränen Umgang mit
dem Stottern zu lernen, beispielsweise
in einer Selbsthilfegruppe. Hier können
sie Sprechtechniken üben und Erfahrungen austauschen. Die Teilnahme an
einer Gruppe verbessert die Kontaktfähigkeit, stärkt das Selbstvertrauen und
macht Mut, Stottern als eine „andere
Art des Sprechens“ zu akzeptieren. Die
wöchentlichen Treffen können eine professionelle Behandlung begleiten und
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dazu beitragen, Therapieerfolge zu stabilisieren. Eine Therapie kann in jedem
Alter begonnen werden und führt fast
immer zu einer Besserung.
Sofort reagieren
Besonders Kinder und Jugendliche
haben gute Chancen, das Stottern zu
überwinden, wenn rechtzeitig eine qualifizierte Behandlung einsetzt. Beim Auftreten von Sprechunflüssigkeiten sollten
Eltern daher nicht abwarten, sondern
sich informieren, ob und wann weitere
Schritte angezeigt sind.
Um die Lebenssituation stotternder
Menschen zu verbessern und dem Entstehen von Stottern entgegenzuwirken,
wurde 1979 die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e. V. ins Leben gerufen.
Zu ihr gehören heute acht Landesverbände sowie rund 60 Stotterer-Selbsthilfegruppen. Neben der Förderung
der Selbsthilfe fungiert die Institution
auch als einzige zentrale Informationsund Beratungsstelle zum Stottern in
Deutschland.
Text: Bundesvereinigung StottererSelbsthilfe e.V.
Kontakt & Info
Informations- und
Beratungsstelle Stottern
Bundesvereinigung StottererSelbsthilfe e.V.
Zülpicher Straße 58
50674 Köln
Tel. (02 21) 1 39-11 06
E-Mail: [email protected]
www.bvss.de
MEDIZIN
nung und Aufklärung ist das A und O.
Mit gezielten und weniger belastenden
Behandlungsmethoden sind die Aussichten, einen bösartigen Tumor erfolgreich zu behandeln, heute wesentlich
höher als früher“, erklärt Dr. Hippach.
In den meisten Fällen ertasten die
Frauen eine auffällige Brustveränderung
selbst und gehen zu spät oder gar nicht
zum Arzt. Diese Vogel-Strauß-Mentalität kostet wertvolle Zeit – und manchmal auch das Leben. Hippachs Rat: Je
früher die Behandlung, desto besser die
Prognose.
Um Brustkrebs zu erkennen, sind drei
Methoden wichtig: Das Abtasten der
Brust, die Ultraschalluntersuchung und
die Mammografie.
Das Abtasten der Brust nach der Menstruation ist für Frauen eine Möglichkeit, neben den ärztlichen Routineuntersuchungen, Auffälligkeiten selbst zu
bemerken. Auch die Ultraschalluntersuchung kann Aufschluss über einen möglichen Tumor geben.
Bewährt: Die Mammografie
Diagnose
Brustkrebs
Die immer bessere
Frühdiagnostik kann
Leben retten
rustkrebs ist kein Tabuthema
mehr. Prominente Frauen wie
Rita Süssmuth übernehmen gern
die Schirmherrschaft für Brustkrebsaktionen. Und die Pop-Sängerinnen Anastacia und Kylie Minogue, die selbst an
Brustkrebs erkrankten, tragen dazu bei,
dass sich auch junge Frauen mit dem
Thema auseinandersetzen. Neue wissenschaftliche Studien und moderne
Operationstechniken, die nicht zwangs-
B
läufig auf eine Brustamputation hinauslaufen müssen, machen Hoffnung im
Kampf gegen den Brustkrebs.
Früherkennung ist das A und O
Dass Brustkrebs nicht tödlich verlaufen
muss, weiß auch Dr. Michael Hippach
(41) vom Brustzentrum Bassum des St.
Ansgar Klinikverbundes im Landkreis
Diepholz. Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe behandelt seit
Jahren Brustkrebspatientinnen in der
eigenen Praxis und betreibt gemeinsam mit dem St. Ansgar Klinikverbund
das Brustzentrum Bassum. „Früherken-
Die Mammografie ist ein sehr sicheres
Instrument. Diese Röntgenaufnahme
hilft, auch sehr frühe Stadien zu erkennen, etwa wenn der Knoten nicht tastbar
ist oder winzige Kalkpartikel ein Vorbote
für Krebs sein können. Vor den Wechseljahren (circa vor dem 50. Lebensjahr) ist
eine Mammografie nur in besonderen
Situationen sinnvoll, ab dem 50. Lebensjahr ist eine Mammografie alle zwei
Jahre empfohlen. Frauen, die familiär
vorbelastet sind, sollten auch vor dem
40. Lebensjahr zur Kontrolle gehen. Seit
2007 läuft bundesweit das sogenannte
Mammografiescreening, eine kostenlose Reihenuntersuchung für Frauen
zwischen 50 und 69 Jahren.
In der aktuellen Diskussion steht der
Einsatz des Kernspintomographen als
sicherstes Diagnoseverfahren. Das
Dilemma: Die Kosten von 300 bis 400
Euro je Untersuchung werden von den
gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Dr. Michael Hippach ist zudem
skeptisch: „Diese Aufnahmen zeigen
jegliche Veränderungen – auch unbedenkliche. Die Patienten werden unnötig geängstigt, und manche Operationen
sind unnötig.“
Bei einer Krebserkrankung geht es um
die unkontrollierte Teilung von Zellen
7
MEDIZIN
eines Organs oder Gewebes. Daraus
entsteht dann mit der Zeit ein Tumor
(Knoten), der bei einer Brustkrebserkrankung „Mammakarzinom“ heißt, wenn
er „bösartig“ wird. „Bösartig“ sind
Tumore, die ihre natürlichen Gewebegrenzen überschreiten und in das Nachbargewebe eindringen. Dadurch besteht
die Gefahr, dass sie umliegendes
Gewebe zerstören, in Blutbahnen und
Lymphgefäße und so unter Umständen
auch in andere Organe eindringen. Im
ungünstigsten Fall entstehen Tochtergeschwülste, also Metastasen.
Die weibliche Brust besteht aus Drüsen-,
Fett- und Bindegewebe. Die MuskulaVorbereitung auf die Operation:
Bildgebende Verfahren geben einen
Hinweis auf den Tumor.
tur liegt hinter der Brustdrüse auf dem
Brustkorb auf. Bösartige Tumoren gehen
fast immer vom Drüsenanteil der Brust
aus.
Die Ursachen für eine Brustkrebserkrankung sind nicht immer eindeutig. „Man
muss das Krankheitsbild sehr differenziert betrachten“, erklärt Dr. Hippach,
denn „jeder Tumor ist anders.“ Bei rund
50 Prozent aller Fälle sei die Ursache
unklar, bei 10 Prozent gehe man von
einer genetischen Disposition aus, die
restlichen 40 Prozent führe man auf Faktoren wie Rauchen, Übergewicht, Alkohol, Bewegungsarmut und ungünstige
Ernährung zurück. Diskutiert wird auch,
inwieweit die Einnahme von Hormonen
in den Wechseljahren das Brustkrebsrisiko beeinflussen kann.
Brustzentren: Neue Wege der
Versorgung
Dass der St. Ansgar Klinikverbund mit
dem Brustzentrum Bassum eine wichtige Versorgungslücke im Landkreis
Diepholz schließt, steht fest. Die Zertifizierung, die sich an den Anforderungen
der Deutschen Krankenhausgesellschaft
(DKG) und der Deutschen Gesellschaft
für Senologie* (DGS) orientiert, ist für
2008 geplant.
Anforderungen, die ein zertifiziertes
Brustzentrum erfüllen muss, sind zum
Beispiel jährlich eine hohe Anzahl an
Brustkrebsoperationen insgesamt (über
100 primäre/neue Mammakarzinomfälle)
und jährlich mindestens 50 Operationen
je Operateur. Aber auch die enge Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten aus
Radiodiagnostik, Pathologie, Strahlentherapie oder Onkologie ist ein Muss für
die Zertifizierung. „Wir sind auf einem
guten Weg“, meint Dr. Hippach und
betont neben der Wichtigkeit der medizinischen Betreuung auch die psychosoziale Komponente. Jede Patientin wird
im Bassumer Brustzentrum während der
gesamten Behandlungszeit von einer
„eigenen“ Krankenschwester („breast
nurse“) begleitet – auf allen Wegen
innerhalb des Krankenhauses oder bei
wichtigen Arztgesprächen. Benötigt eine
Patientin psychologische Hilfe, gibt es in
Bassum eine Psychoonkologin.
Patientin Edelgard Heinze (64) fühlt sich
gut aufgehoben im Brustzentrum: „Ich
bin rundum gut aufgeklärt. Ich könnte
hier auch gleich einen Brustaufbau
* Senologie = Lehre von der weiblichen Brust
Psychoonkologie: Hilfe für die Seele
Die Psychoonkologie befasst sich mit
den psychischen und psychosozialen
Belastungen und deren Bewältigungsmöglichkeiten bei Krebserkrankungen.
Sie unterstützt die Patienten beim Prozess der Krankheitsbewältigung; es
geht also um Entlastung und Anleitung
zur Um- und Neuorientierung. Die vielfältigen Belastungen und Gefühle, die
eine Krebsdiagnose auslöst, zum Beispiel Angst, Wut und Trauer, müssen
bewältigt werden. Auch Angehörige und
Freunde, die sich durch die Diagnose
ebenfalls in einem Ausnahmezustand
befinden, benötigen Unterstützung.
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Das Besondere bei einer Brustkrebserkrankung ist, dass – zusätzlich zur
Krebserkrankung – weitere Belastungen durch die Bedrohung der weiblichen
Identität hinzukommen. Wenn die Brust
als „Teil“ der weiblichen Identität verletzt wird oder durch eine Amputation
verloren geht, hat dies Auswirkungen
auf das Körperbild und Körperempfinden. Oft wird das Selbstwertgefühl
berührt. Konkret kann dies so aussehen,
dass Patientinnen sich nicht mehr als
„vollwertige“ Frauen fühlen. Die seelische Verarbeitung ist immer ein längerer Prozess.
„Besondere Momente in der Bewältigung sind der letzte Abend vor der Operation, das Abschiednehmen von der
unversehrten Brust, der erste Kontakt
mit der veränderten Brust, das Spüren
des Verlustes, sich mit der verletzten
Brust zu zeigen“, sagt Angelika Wilkening-Scheck, Psychoonkologin im Brustzentrum Bassum. In den Gesprächen
geht die Psychoonkologin mit den Patientinnen in die Situation zurück, als sie
ihre Diagnose bekommen haben. Wichtig ist dabei die Konzentration auf die
Gegenwart und die aktuelle Situation.
„Mir ist es wichtig herauszufinden, wo
MEDIZIN
machen lassen, aber mein Mann und ich
haben uns dagegen entschieden. Eine
weitere Operation wäre mir einfach zu
viel“, erzählt sie.
Dr. Norbert Grieb (57) ist Chefarzt für
Plastische und Ästhetische Chirurgie
in der Klinik Bassum. Mit seinem Kollegen Hippach arbeitet er beim Brustaufbau Hand in Hand: „Nicht immer ist ein
zusätzlicher Eingriff nötig. Wenn jedoch
ein Großteil der Brust entfernt werden
muss, ist für viele Frauen ein plastischer Wiederaufbau wichtig.“ In manchen Fällen kann Dr. Grieb direkt nach
dem Eingriff des Kollegen weiteroperieren, das erspart eine weitere Narkose.
Die Angst, dass Silikonimplantate für
Krebspatientinnen gefährlicher sind als
für gesunde Frauen, kann Chefarzt Grieb
nehmen: „Die Gefahr eines Rückfalls ist
nicht höher, wenn Implantate eingesetzt
werden.“
Möglichkeiten der Therapie
Mithilfe der Biopsie (Gewebeprobe), die
der Arzt nach örtlicher Betäubung ambulant entnimmt, kann eindeutig festgestellt werden, ob es sich um einen gutoder bösartigen Tumor handelt. „Die
optimale Therapie muss man individuell bestimmen. Häufig besteht sie aus
einer Kombination von Chemotherapie,
Bestrahlung, Immuntherapie und Hormontherapie“, sagt Hippach. Die lokale
Therapie (Chirurgie und Strahlentherapie)
beschränkt sich auf ein bestimmtes Körpergebiet, in dem Tumorzellen zerstört
oder entfernt werden. Die systemische
Therapie (Chemo-, Immun- und Hormontherapie) verteilt sich im ganzen Körper,
meist über den Blutkreislauf.
Eines steht für den Frauenarzt und onkologisch verantwortlichen Arzt Hippach
fest: „Es gibt nie nur den einen Weg.
Man darf den Kopf nicht in den Sand
stecken. Wir haben Patientinnen, die
trotz Metastasen noch nach Jahren
leben.“ Für Patientin Elke Hinze** ist
das ein großer Trost. Sie ist erst zum
Arzt gegangen, als die Tumoren schon
äußerlich sichtbar waren. „Du kannst
es nur schaffen, wenn Du Unterstützung in der Familie hast und die Chemie
zwischen Arzt und Patient stimmt. Bei
beidem hatte ich Glück“, resümiert sie.
(bel)
Nachricht aus der Pathologie:
Zehn Minuten nach dem Eingriff erfährt
Dr. Hippach, ob noch restliches Gewebe
befallen ist oder der Tumor komplett
entfernt wurde.
Kontakt & Info
Deutsche Krebshilfe
Tel. (02 28) 7 29 90-0
www.krebshilfe.de
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
www.krebsinformationsdienst.de
St. Ansgar Klinikverbund
Brustzentrum Bassum
Tel. (0 42 41) 81-0
www.brustzentrum-bassum.de
** Name von der Redaktion geändert
Zahlen und Fakten
die Kräfte herkommen können, um die
Krankheit bewältigen zu können“, verdeutlicht sie.
Auch Selbsthilfegruppen sind ein wichtiger Bestandteil der psychologischen
Betreuung.
Die Begleitung der Patientinnen dauert unterschiedlich lange. Einige Patientinnen nutzen die Therapie nur während
der Chemotherapie und während der
Bestrahlung. Vereinzelt geht die Behandlung aber auch weit über die Anschlussheilbehandlung hinaus.
(beu)
Brustkrebs ist in Deutschland und anderen Industrienationen die häufigste
Krebserkrankung bei Frauen. In den letzten 20 Jahre stieg in Europa die Häufigkeit der Erkrankungen an, dabei sank
jedoch gleichzeitig die Sterblichkeitsrate.
Etwa 40 Prozent der erkrankten Frauen
sind jünger als 60 Jahre. Dass auch bei
jüngeren Frauen heute häufiger Brustkrebs entdeckt wird, liegt unter anderem
an einer besseren Frühdiagnostik.
Laut aktueller Studien von 2002 erkranken in Deutschland rund 55.100 Frauen
jährlich an Brustkrebs, davon haben etwa
70 Prozent eine gute Prognose, den
Krebs zu überleben. Dank differenzierter
Frühdiagnostik steigt die Tendenz, den
Brustkrebs erfolgreich zu behandeln,
weiter an.
Rund drei Viertel aller Brusttumoren sind
gutartig.
Auch Männer können erkranken, pro
Jahr gibt es rund 400 Fälle.
Quellen: Deutsches Krebsforschungszentrum
Heidelberg (2006), DAK Hamburg (2005)
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ORDENTLICHES
Freiräume schaffen
Welche Aufgabe hat die Seelsorge heute? Was ist anders als früher?
Und wie wird Seelsorge in Einrichtungen wie denen der Alexianer in
Zukunft gelebt werden?
ls Mitarbeitende in der Seelsorge müssen wir uns Gedanken
machen, wie Glaube und Spiritualität auch heute in unseren Häusern
erfahrbar werden können“, formuliert
Peter van Elst die zentrale Anforderung. Gemeinsam mit Provinzial Bruder
Benedikt, Georg Edelbrock und Pfarrerin
Sabine Mentzel kümmert sich der 45jährige Diplom-Theologe seit vielen Jahren um den Bereich Seelsorge am Alexianer-Krankenhaus Münster.
A
Ähnlich wie an den anderen AlexianerStandorten nehmen Patienten, Bewohner und auch Mitarbeiter das Wirken
der Seelsorger auf eine sehr vielschichtige Art und Weise wahr. Die Seelsorger
gestalten Gottesdienste und Kirchenfeste, begleiten Patienten und Bewoh-
10
ner in Krisen und Glaubensfragen, sind
der erste Ansprechpartner bei Sterbefällen und Trauer oder kümmern sich um
die Belange der Bewohner und deren
Integration in die Gemeinde.
Blick zurück …
„Doch dies ist eben nur eine Seite
unserer Arbeit“, sagt van Elst. Denn
genauso habe die Seelsorge auch die
Einrichtung als Ganzes im Blick. Warum
gerade dieser elementaren Ausrichtung
in der heutigen Zeit eine besondere
Bedeutung zukommt, erklärt er insbesondere mit einer Rückschau in die Vergangenheit: „Früher – bis weit in das
letzte Jahrhundert hinein – prägte in
besonderer Weise das Gebetsleben der
Alexianer-Brüder den Alltag in unseren
Häusern: die Messe am Morgen, das
Mittagsgebet, der Rosenkranz. Die Brüder mussten sich nicht ständig darüber
verständigen, wie sie es in ihrem Alltag
mit dem Beten und anderen spirituellen
Elementen hielten. Ganz selbstverständlich bewegten sie sich in ihren ‚Regenerationsräumen des Glaubens’. Die Zuversicht, die sie dort schöpften, gab ihnen
die Kraft im Umgang mit den Bewohnern
und Patienten.“ Heute ist die Situation in
den Alexianer-Einrichtungen wie auch in
vielen anderen kirchlichen Einrichtungen
etwas anders. Die kleiner gewordene
Zahl der Brüder pflegt nach wie vor ihre
spezifische Gebetstradition. „Und dort,
wo noch Alexianer-Brüder in den Einrich-
ORDENTLICHES
tungen leben, sind Patienten, Bewohner
und Mitarbeiter auch selbstverständlich
zum Mitbeten im Kloster eingeladen“,
betont Provinzial Bruder Benedikt. In
anderen Einrichtungen sind die Ordensbrüder jedoch nicht mehr so sichtbar
und prägend wie in früheren Zeiten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der die
Ordensmitglieder früher ihren Alltag aus
der Kraft verbindender Rituale gestaltet
haben, hat stetig abgenommen.
… Blick nach vorn
Doch genau dieser Wandel eröffnet
auch Chancen für neue Wege. „Heute
arbeiten in den Abteilungen der Alexianer viele hoch qualifizierte und engagierte Menschen. Die Frage, ob es für
sie eine spirituelle Verbundenheit im
Glauben gibt, lässt sich nicht mehr so
einfach beantworten wie früher“, sagt
van Elst. „Gleichzeitig darf davon ausgegangen werden, dass viele nicht nur
deshalb bei den Alexianern beschäftigt
sind, weil sie hier einen fachlich ansprechenden Arbeitsplatz finden. Für manche sind die Alexianer darum erste Wahl,
weil sie hier einen Arbeitsplatz erwarten,
an dem sie auch ihre religiösen Werte
und Überzeugungen einfließen lassen
können.“ Ein Mitarbeiter brachte dies in
einer Gesprächsrunde so auf den Punkt:
„Hier muss ich das, was ich in der Morgenandacht im Radio gehört habe, nicht
an der Tür vergessen.“ – Er hatte zuvor
in einem handwerklichen Betrieb gearbeitet.
Die Glaubensüberzeugungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihr Vertrautsein mit kirchlichen Ritualen sind
vielfältig und vielschichtig, doch nicht
mehr so einheitlich wie in früheren
Zeiten, als die Kirche noch für alle sichtbar mitten im Dorf stand. „Gleichzeitig
steckt in dieser Vielfalt ein lebendiges
Potenzial“, ist van Elst davon überzeugt,
dass dieses Potenzial in Zukunft mehr
und mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Doch genau dafür brauche man eben die
nötigen Freiräume. „Und diese anzubieten ist heute eine wichtige Aufgabe der
hauptamtlichen Seelsorger“, ergänzt
van Elst.
Praktisch zeigt sich das zum Beispiel
im Rahmen von Besinnungstagen und
beim Austausch für Mitarbeitende, so
etwa im Gästehaus der Benediktiner
im Kloster Gerleve, in der Klausur der
Mönche von Meschede oder im Aus-
Das Team der Seelsorge am Alexianer-Krankenhaus Münster: (v. l.): Provinzial Bruder
Benedikt, Peter van Elst, Sabine Mentzel und Georg Edelbrock.
tausch über Musik in Haus Altenberg.
An diesen Orten entstehen Freiräume,
in denen Menschen dem auf die Spur
kommen können, was sie im Tiefsten
bewegt und anspornt, was sie glauben
und hoffen. Sie werden dabei angeregt
durch biblische Texte, meditativen Tanz
oder Bogenschießen, in Gottesdiensten
und Gesprächen.
Solche Freiräume werden auch angefragt, wenn Mitarbeiter besondere
Lebensereignisse feiern oder in Ritualen
gestalten wollen: Wenn sie heiraten,
ihre Kinder taufen lassen oder um einen
lieben Menschen trauern. Auch da steht
die Kirche für viele nicht mehr im Dorf,
sondern eher dort, wo sie arbeiten: in
den Einrichtungen der Alexianer.
Seelsorge geht alle an
Mitarbeiter sind nahe dran an den
Bedürfnissen der Patienten, Bewohner,
Beschäftigten oder Gäste, die sie im Alltag begleiten, auch an deren religiösen
Bedürfnissen. „Genau darum sollten wir
als hauptamtliche Seelsorger nicht auf
die Erfahrungen der Mitarbeiter verzichten“, unterstreicht van Elst. Und längst
gehen seine Kollegen und er diesen
Weg:
Einmal im Jahr laden die Münsteraner
Seelsorger Kollegen aller Abteilungen
zum Gespräch mit der Seelsorge ein.
Gemeinsam wird geschaut, in welche
Richtung Angebote für Klienten entwickelt werden können: Wäre es nicht
gut, Patienten regelmäßig zu einem
offenen Gespräch über Glaubensfragen
einzuladen? Wie können junge Bewohnerinnen angesprochen werden, für die
Kirche „uncool“ und der regelmäßige
Gottesdienstbesuch alles andere als
selbstverständlich ist? Welchen Herausforderungen in Verbindung mit Tod und
Sterben müssen wir uns künftig stellen?
Die gemeinsam erarbeiteten Lösungsansätze auf diese Fragen gehen in die
Planungen der Hauptamtlichen ein.
Dabei wird deutlich, dass Seelsorge eine
Facette aller Arbeitsbereiche werden
kann.
Fest steht dabei für Peter van Elst auch,
dass die Anforderungen im beruflichen
Alltag auf allen Ebenen stetig wachsen.
Die Versuchung sei deshalb groß, auf
Freiräume zu verzichten, die nicht unmittelbar für die Ziele der Einrichtung vereinnahmt werden können. Freiräume,
die aber in der Tradition der geistlichen
Regenerationsräume stehen, welche
sich die Alexianer-Brüder seit Jahrhunderten gönnen, um daraus die Kraft für
ihren Dienst zu schöpfen. Freiräume, die
auch den Menschen unserer Zeit Gelegenheit bieten, Geschmack an der Sache
Gottes zu bekommen. Ein Geschmack,
der sich im Alltag – auch jenseits des
Berufsalltags – positiv auswirken kann.
(agw)
11
Worauf es ankommt, ist die
richtige Balance zwischen
Leistung und Entspannung
12
TITEL
Wie ein Hamster im Laufrad
Höher, schneller, weiter: Wer unter einem Burnout-Syndrom leidet, kennt
das Gefühl, nicht aufhören zu können. Und das, obwohl der Körper und
die Seele längst Grenzen setzen
ie Zeiten ändern sich: Alles wird schneller, hektischer,
stressiger. Die Arbeit im Job stapelt sich, der Terminkalender platzt aus allen Nähten, und selbst soziale Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern müssen heute
„gemanagt“ werden. Kein Wunder, dass bei so viel Stress die
Puste ausgehen kann. Wer seinem Körper und seiner Seele zu
viel zumutet und atemlos auf Hochtouren läuft, kann auf Dauer
Gefahr laufen, unter einem Burnout-Syndrom zu leiden.
D
Doch was steckt hinter dem Begriff Burnout, der gerade in den
letzten Jahren in aller Munde ist? Burnout, das Phänomen des
Ausgebranntseins, bezeichnet einen stressbedingten Zustand,
der mit extremer körperlicher und seelischer Erschöpfung einhergeht. „Hucky sickness“ (die Hetzkrankheit) nennen es die
Amerikaner, „Karoshi“ (Tod durch Überarbeitung) die Japaner.
Burnout ist also wohl ein Phänomen der Industrienationen.
Auch wenn es keine eindeutigen statistischen Daten gibt,
gehen Experten davon aus, dass zehn Prozent der Bevölkerung unter einem Burnout-Syndrom leiden. Wachsende Anforderungen, gerade in beruflicher Hinsicht, hinterlassen auf
Dauer Spuren.
Reine Nervensache?
Experten streiten sich: Ist das Burnout-Syndrom nun eine
Erkrankung oder ein Modetrend? Fest steht, dass Versicherungen heute im Fall einer attestierten Berufsunfähigkeit das
Burnout-Syndrom als Diagnose anerkennen müssen.
Burnout oder chronischer Disstress, wie Mediziner es nennen,
gehen einher mit einer Überreizung des Nervensystems. Die
Folgen sind vielfältig: Magenschmerzen, Migräne, Bluthoch-
druck, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Müdigkeit gehören beispielsweise zu den körperlichen Symptomen. Hinzu
kommen allmählich psychische Beschwerden wie Gereiztheit, Schlafstörungen, Angstgefühle, Abgeschlagenheit oder
depressive Verstimmungen. Problematisch wird es dann,
wenn die Beschwerden chronisch werden.
Dr. Klaus Telger, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, ist Leitender Arzt des Alexianer-Krankenhauses in Münster. Er warnt
vor einer oberflächlichen Betrachtung: „Schwere Formen des
Burnouts sehen wir auch in der Klinik. Oft steckt jedoch mehr
dahinter als nur Stresskumulation und Erschöpfung, zum Beispiel eine schwere neurotische Entwicklung, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder der Beginn einer Demenz.
Wenn wir nur die Oberfläche sehen und behandeln, haben wir
auch nur begrenzte und keine dauerhaften Erfolge.“ Und wen
trifft eher ein „einfaches“ Burnout? Telger ergänzt: „Dann sind
häufig gesunde Tat- und Kopfmenschen betroffen.“
Ehrgeiz, Perfektionismus, Umgang mit Stress und die Suche
nach Anerkennung sind einige persönliche Faktoren, die beim
Ausbrennen eine Rolle spielen können. Nicht jede Erschöpfung muss gleich ein Burnout-Syndrom sein, vielmehr geht es
um ein Zusammenspiel äußerer und innerer Faktoren.
Der Erfolg gab ihr recht – anfänglich …
Bei Hanna Greive* sprachen alle Anzeichen für ein Burnout-Syndrom. Seit drei Wochen ist die 49-Jährige im Alexianer-Krankenhaus in Münster. Mehrere ambulante Therapien
reichten nicht aus, der Leidensdruck war enorm. Ein Schlüsselerlebnis rettete ihr das Leben: „Eines Tages habe ich
*Name von der Redaktion geändert
13
TITEL
gedacht, dass ich drei Möglichkeiten habe. Entweder fahre ich
zur Tagung, vor einen Baum oder sofort in eine Klinik“, erinnert
sich Greive. Glücklicherweise wählte sie die dritte Lösung. Bis
dahin war es ein jahrelanger Weg.
Zehn Jahren arbeitete Greive als Pharmareferentin. Sie erinnert sich noch gut an die ersten Worte ihres Chefs: „Wetten
wir, dass Sie in sechs Monaten nur die Hälfte des Umsatzes
schaffen, den ihr Vorgänger gebracht hat?“ Das ließ Hanna
Greive sich nicht zweimal sagen. „Jetzt erst recht“, dachte
sich die alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und kniete
sich voll in die Arbeit. Der Erfolg gab ihr recht – zunächst.
Mindestens zwölf Stunden tägliche Arbeitszeit standen auf
dem Programm, anschließend die Hausarbeit und die Beschäftigung mit ihren Söhnen, von denen einer noch mitten in der
Pubertät steckte. „Ich dachte, mit meiner Energie kann es so
die nächsten Jahre weitergehen. Ich fühlte mich gut, mein
Selbstbewusstsein wuchs mit dem beruflichen Erfolg.“ Und
auch die Sorge um den Erhalt des eigenen Hauses löste sich
allmählich in Luft auf, schließlich stimmte das Einkommen.
Dass Hanna Greive keine Zeit für die schönen Dinge im Leben
hatte und Freundschaften im Sande verliefen, merkte sie nicht.
„Solange ich in Betrieb war, lief das Rad auch“, erinnert sie sich.
Wer ausbrennt, muss einmal gebrannt haben!
Ein Burnout-Syndrom ist kein Strohfeuer. Bis es zum völligen
körperlichen und seelischen Zusammenbruch kommt, schwelen die Konflikte erst noch an der Oberfläche. Nur schleichend
merken die Betroffenen, dass etwas anders ist als sonst. Meistens dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Matthias Burisch, Diplom-Psychologe an der Universität Hamburg, erforscht das Phänomen des Burnouts seit Jahren. Er
geht von einem Phasenverlauf aus, der in einen Teufelskreis
mündet. Aller Anfang ist leicht: Das hohe Engagement für die
Sache, oft also für den Beruf, puscht weiterzumachen. Der
Beruf wird zum Lebensinhalt, private Belange rücken in den
Hintergrund – schließlich fühlt man sich unentbehrlich und
stark. Das Selbstbewusstsein wird durch die enorme Leistungsfähigkeit genährt.
14
Doch irgendwann holt die Wirklichkeit den Betroffenen ein.
Allmählich streikt der Körper und sendet Signale, die vom
Betroffenen zunächst nicht ernst genommen werden. Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen und Ruhelosigkeit sind
dann zum Beispiel die Folge. Oft führt die Überforderung zu
aggressivem Verhalten, aber auch zu eigenen Schuldzuweisungen – schließlich hat man bislang noch alles geschafft.
Fazit: Augen zu und durch. Weitermachen. Bis zur völligen
Erschöpfung.
Wollen, aber nicht können
Für Dr. Klaus Telger steht fest, dass der Grundkonflikt des Burnout-Syndroms die Diskrepanz zwischen eigener Leistungserwartung und dem Leistungsvermögen ist. Telger bringt es auf
den Punkt: „Irgendwann kommt das Können dem Wollen nicht
mehr hinterher.“
Die berufliche Praxis zeige, dass gerade Männer sehr spät
Hilfe in Anspruch nehmen, denn „sie wollen häufig erst einmal
mit dem Kopf durch die Wand“, erklärt der Psychiater. Und
nicht selten wünschen sie sich nichts sehnlicher, als schnell
wieder für den Alltag fit gemacht zu werden – damit es weitergehen kann. „Hier braucht man viel Fingerspitzengefühl in
der Behandlung und eine gute Aufklärung. Wir nehmen die
Bedürfnisse des Patienten ernst. Als Behandler muss man aufpassen, dass man nicht gemeinsam mit dem Patienten dem
Effizienzgedanken hinterherläuft. Viel wichtiger ist es, Begriffe
wie Effizienz und Funktionalität infrage zu stellen. Viel gewonnen ist, wenn der Patient feststellt: ‚Ich bin keine Maschine!
Warum behandele ich mich dann so?‘“
Letzter Ausweg: Kündigung
Sven Handke* (43) hatte Glück im Unglück. Sein Gefühl von
Ausgebranntsein stand im unmittelbaren Zusammenhang mit
seiner beruflichen Tätigkeit. Der gelernte Pfleger ist ein alter
Hase in seinem Beruf. 25 Jahre lang pflegte und betreute er
Kinder, Jugendliche, Familien, kranke und alte Menschen. „Die
Abwechslung hat mir gefallen. Man lernte immer neue Menschen kennen. Viele Jahre hat mir mein Beruf Spaß gemacht“,
erinnert sich Handke.
TITEL
Problematisch wurde es erst, als der Druck bei der Arbeit in
einem Altenheim immer größer wurde. Nicht die Alten waren
das Problem, sondern die Rahmenbedingungen im Pflegealltag. Ständiger Schichtwechsel, Zeitdruck, Überstunden und
Personalmangel waren an der Tagesordnung. „Bis ich nervlich am Ende war, hat es ein paar Jahre gedauert. Ich fühlte
mich ständig schlapp, habe immer seltener Freunde getroffen und meinen Haushalt vernachlässigt. Alles war mir zu viel.
Zum Schluss habe ich nachts Schreie von den Bewohnern
gehört. Ich konnte überhaupt nicht mehr abschalten“, sagt
Handke. Auf die Krankschreibungen reagierte die Heimleitung
mit Druck und attestierte dem Pfleger „mangelnde Belastbarkeit.“ Halt fand Sven Handke bei seinem Lebenspartner, seinem Hausarzt und einem befreundeten Psychologen. Nach
vielen Gesprächen und einem langen Urlaub stand sein Entschluss fest: Er kündigte.
Es kann viele treffen
Wer hat „Schuld“ am Burnout-Dilemma? Die Meinungen der
Experten gehen auseinander. Während die einen die Arbeitsbedingungen in Organisationen verantwortlich machen, sind
andere Fachleute der Ansicht, dass die eigene Persönlichkeitsstruktur dazu beiträgt. Gefährdet seien insbesondere eher
narzisstische Persönlichkeiten und Menschen, die ihre Kräfte
nicht dosieren können.
Fest steht aber, dass sich das Burnout-Phänomen durch alle
Berufssparten zieht. Aktuelle Studien, wie etwa die der Technischen Universität Berlin zeigen, dass sich zum Beispiel immer
mehr Ärzte körperlich und emotional erschöpft fühlen. Aber
auch Lehrern, vor allem an Berufsschulen, wachse die Erziehungsarbeit immer mehr über den Kopf. Im Dienstleistungsbereich, etwa bei Banken und Versicherungen, ist Burnout
schon längst kein Fremdwort mehr, gerade in den Bereichen,
in denen viel Kundenkontakt verlangt wird. Und dann gibt es
noch die Angestellten der mittleren Führungsebene, die häufig eine Pufferfunktion haben, die also die Vorstellungen des
Chefs in die unteren Ebenen transportieren müssen.
hen, dass sogar Langeweile und Unterforderung im Job zu
vergleichbaren Stresssymptomen führen können. Gegenüber dem Nachrichtensender n-tv berichtete Rothlin im Oktober 2007: „Gefährlich ist die Feststellung, ich bin abends
müde und ausgepumpt, weil ich so wenig gemacht habe.“
„Boreout“ statt Burnout, so die Wortschöpfung der Unternehmensberater.
Viele Wege führen nach Rom
Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie sich ausgebrannte Mitarbeiter nicht leisten können und setzen auf Präventionsprogramme. Gespräche am Arbeitsplatz über realistische
Ziel- und Leistungsanforderungen, das Erstellen individueller
Leistungsprofile und die Möglichkeit zur Supervision können
den Grundstein legen. Benötigen Betroffene psychotherapeutische Hilfe, setzen die Alexianer bei der Behandlung in ihren
Einrichtungen neben therapeutischen Einzelgesprächen auf
ein vielfältiges Angebot: Entspannungstraining, Physiotherapie, Kreativ- und Sporttherapie sollen einen Ausgleich zum
Leistungsgedanken schaffen. Besonders Sinnfragen haben bei
den Alexianern ihren Platz und können auf Wunsch besprochen werden. Denn gerade das Burnout-Syndrom zwingt
Betroffene oft, ihre Lebenseinstellung neu zu überdenken.
Das spürt auch Patientin Hanna Greive. „Ich muss erst einmal lernen, einen Gang zurückzuschalten. Und irgendwann
finde ich dann hoffentlich die Durchschnittsgeschwindigkeit
für mein Leben.“
Das ist es, worauf es ankommt: Die richtige Balance zwischen
Leistung und Entspannung. Eine Wohltat für Köper, Geist und
Seele …
(bel)
Interessant ist auch die These der Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder, die davon ausge-
15
TITEL
Lieber vorher an später denken
Wie Unternehmen dem Burnout ihrer Mitarbeiter vorbeugen können
Ein Burnout, ausgelöst durch psychische Belastungen am
Arbeitsplatz, ist keine Seltenheit mehr. Gerade in den letzten
Jahren ist die Zahl der Frühberentungen in diesem Bereich
stark angestiegen. 1982 waren psychische Krankheiten
bei Männern und Frauen in knapp sieben Prozent der Fälle
Ursache für den Rentenzugang; 2003 waren sie es schon in
über 24 Prozent der Fälle bei den Männern und in knapp 36
Prozent bei den Frauen.
Was sind die Ursachen der psychischen Belastung am Arbeitsplatz? Zum einen sind es Zeitdruck und strenge Leistungsvorgaben. Beispielsweise arbeiten 80 Prozent aller deutschen
Manager mehr als 50 Stunden in der Woche, wie die Unternehmensberatung Kienbaum bei einer Untersuchung 2007
herausgefunden hat.
Aber auch Unterforderung, Monotonie in den Arbeitsabläufen
und wenig Handlungsspielraum können zum Burnout führen.
So klagen 54 Prozent von 6.000 Beschäftigten, die Infratest
Selbstprävention
Tipps gegen den Stress im Job
Bewusste Pausen, wie kleine Spaziergänge, helfen
dabei, wieder klare Gedanken zu fassen. Der Kopf
kann sich ausruhen und die Bewegung aktiviert
Muskeln und Kreislauf. Die Luft von draußen kann
zudem wie eine erfrischende und belebende Sauerstoffdusche wirken.
Vorausschauend planen, heißt die Devise. Notieren,
was am nächsten Tag erledigt sein muss, hilft beim
Zeitmanagement und vermeidet unnötiges „Verzetteln“. Freiräume für unerwartete Aufgaben, wie
unangekündigte Telefonate, sollten mit eingeplant
werden.
Arbeitnehmer haben auch das Recht, „Nein“ zu
sagen, wenn ihnen die Arbeit über den Kopf hinauswächst. Mit Überforderung ist keinem geholfen. Lieber sorgfältig und gewissenhaft arbeiten, als unter
Zeitdruck ein mittelmäßiges Ergebnis erreichen.
Genussmittel wie Fast Food, Kaffee, Alkohol und
Nikotin helfen vielleicht im ersten Augenblick. Sie
rauben dem Menschen aber wichtigen Schlaf und
geben dafür dem Stress Nährboden. Lange Konzentrationsphasen sind zudem unter Stress auch nicht
mehr möglich.
16
im Frühjahr 2007 befragte, über eine „mittelmäßige Arbeit“,
die sie nicht genügend auslastet. Mangelnde Motivation, ausgelöst durch geringe Aufstiegsmöglichkeiten und ein unzureichendes Einkommen können ebenfalls zum Burnout führen.
34 Prozent der Befragten beurteilen ihre Stelle sogar als mangelhaft: Die Belastungen sei zu hoch, ohne dass sich Perspektiven böten.
Vermeidbare Kosten
Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Belastungen – für
die Unternehmen und die Volkswirtschaft resultieren daraus
Kosten, die vermeidbar wären. Die arbeitsbezogene Frühinvalidität, deren größte Ursache psychische Erkrankungen sind,
kostet die deutsche Volkswirtschaft jährlich mehr als zehn
Milliarden Euro! Insgesamt beziffert die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die durch Arbeitsunfähigkeit
bedingten Produktionsausfallkosten allein für das Jahr 2005
mit circa 38 Milliarden Euro.
Qualifizierte und gesunde Mitarbeiter ersparen aber nicht
nur der Volkswirtschaft unnötige Kosten. Ihre Arbeit ist auch
entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Das erkennen auch
immer mehr Betriebe und setzen auf Präventivmaßnahmen,
um die Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten zu verbessern.
Hierbei sind die Unternehmen nicht unbedingt auf sich allein
gestellt.
Seit 2006 gibt es das Projekt PARGEMA, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. PARGEMA steht
für PARtizipatives GEsundheitsMAnagement. Verbunds- und
Kooperationspartner in diesem Projekt sind unter anderen das
ISF München (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung),
die Universität Freiburg und die Universität Jena sowie die
IG Metall. PARGEMA führt beispielsweise Mitarbeiterbefragungen in Betrieben durch. Die Initiative versucht, auf dieser
Grundlage ganz individuelle Lösungen für bessere Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Betrieben zu finden. Das
geschieht gemeinsam in Gesprächen mit den Beschäftigten,
den Betriebsräten sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzexperten.
Zahlreiche Lösungen bieten sich an: Die Arbeitnehmer können
etwa durch ein besseres Zeitmanagement, gesündere Ernährung oder auch körperliche Aktivitäten, die im Ausgleich zum
Job stehen, einem Burnout vorbeugen. Auf Seiten der Arbeitgeber können Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, wie
realistische Zeitvorgaben oder flexible Arbeitszeitmodelle und
Abwechslung in der Aufgabenstellung zu positiven Veränderungen führen.
TITEL
TÜV für den Arbeitsplatz
Ein Gespräch mit Klaus Pickshaus von der IG Metall
Herr Pickshaus, was sind die häufigsten Dinge, über die
sich Arbeitnehmer beklagen und die letztendlich zum Burnout führen können?
Am häufigsten beklagen die Arbeitnehmer den zunehmenden
Arbeits- und Leistungsdruck in den Betrieben. Übergreifend.
Arbeiter in der Montage genauso wie Verwaltungsmitarbeiter oder Forscher. Der Druck der Märkte wird an die Mitarbeiter weitergegeben. Die Hamstermühle des „Arbeitens ohne
Ende“ führt zur psychischen Ermüdung und Erschöpfung.
Und was macht hier das Projekt „Gute Arbeit“?
Unser zentrales Thema ist die „menschengerechte Gestaltung
von Arbeit“. Ziel ist es, dem wachsenden Arbeitsdruck, der
zunehmenden Leistungsverdichtung etwas entgegenzusetzen. Es geht um eine Humanisierung der Arbeitswelt, darum,
Arbeit alternsgerecht und lernförderlich zu gestalten (also so,
dass auch ältere Arbeitnehmer die Anforderungen gesund
bestehen können) und darum, prekäre Beschäftigungen, die
den Arbeitnehmer nicht ernähren, einzudämmen.
tatsächliche Lage durch Fragebögen und werten sie mit einer
speziellen Software aus, die gesetzliche und tarifliche Vorgaben ebenso berücksichtigt wie wissenschaftliche Erkenntnisse
etwa zur Frage, welche Auswirkungen die Lage der Arbeitszeiten auf den Organismus hat.
Werden präventive Maßnahmen in Zukunft Voraussetzung
für ein erfolgreiches Unternehmen sein?
Das hängt davon ab, was ein Unternehmen unter Erfolg versteht. Wenn es auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung setzt, die langfristig die Gesundheit der Mitarbeiter
erhalten will, dann auf jeden Fall. Wenn aber nur die Börsennotierung und die Rendite im nächsten Quartal zählen, dann werden solche Bemühungen nur als Kostenfaktor gesehen. Dazwischen läuft der Konflikt. Die Ökonomie der kurzen Fristen ist
einfach das Dilemma, in dem Unternehmen heute stecken.
Zur Person
Klaus Pickshaus (58)
ist Leiter des Projekts
„Gute Arbeit“ der IG
Metall und Leiter des
Ressorts Arbeits- und
Gesundheitsschutz beim
Vorstand der IG Metall.
Das Projekt „Gute Arbeit“
ist Kooperationspartner
von PARGEMA.
Wie kann ein Betrieb am besten vorbeugen, um psychische
Belastung bei den Arbeitnehmern zu vermeiden?
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet alle Arbeitgeber, menschengerechte Arbeit zu gestalten und alle möglichen Gefährdungen zu ermitteln. Damit sind nicht nur die klassischen
Gefährdungen durch Maschinen oder Lärm gemeint, sondern
auch durch die Arbeitszeit oder durch Mängel in der Ablauforganisation, also all der Faktoren, die den ganzen Komplex
psychischer Fehlbelastungen bis hin zum Burnout betreffen.
Wenn diese Gefährdungen erhoben sind, geht es darum, helfende Maßnahmen zu ergreifen, etwa in der Personalbesetzung, durch eine veränderte Arbeitsorganisation oder auch
Qualifizierungsmaßnahmen. Es gibt eine ganze Palette von
Möglichkeiten. Wichtig ist, sie betrieblich spezifisch anzupassen. Sie werden in der Pflege anders aussehen als in der
Automobilindustrie. In einem Unternehmen, das wir begleitet
haben, klagten die Monteure über hohen Stress. Die Erhebung
zeigte, dass die Ruhezeiten zwischen den Dienstreisen zu kurz
waren. Das ist jetzt anders geregelt.
Wie vielversprechend sind denn präventive Maßnahmen?
Manche Arbeitgeber sagen, das eigentliche Problem sei, die
Belastungslage überhaupt zu ermitteln. Dazu gibt es aber gute
Instrumente. Im Projekt „Gute Arbeit“ haben wir den Arbeitszeit-TÜV und das Stressbarometer entwickelt. Sie erheben die
Kontakt & Info
Projekt „Gute Arbeit“
Klaus Pickshaus
Tel. (0 69) 66 93 28 26
E-Mail: [email protected]
www.igmetall.de/gutearbeit
PARGEMA
www.pargema.de
(Texte: nj/mw)
17
IM BLICK
Kein Dach
über dem
Kopf
Das Wohnhotel der
Alexianer in Aachen
lles im grünen Bereich: Franz Meiners* ist stolz auf den von ihm
begrünten Innenhof. Meiners ist
einer von 18 Bewohnern des Wohnhotels für psychisch kranke Obdachlose in
Aachen. Neben dem sichtbaren Erfolg
zählt hier vor allem das wiedergewonnene Selbstbewusstsein, etwas leisten
zu können.
A
Seit Anfang 2005 gibt es das Wohnhotel
in Aachen. Es liegt mitten in der Stadt
in einer Fußgängerzone. In dem ehemaligen Hotel erhalten die Betroffenen
nicht nur eine Unterkunft, sondern auch
individuelle sozialarbeiterische Betreuung im Sinne des Case-Managements.
Die Sozialarbeiterinnen prüfen mit dem
Betroffenen gemeinsam, welche bestehenden Hilfesysteme für ihn infrage
kommen können, planen mit ihm den
Ablauf und organisieren die entsprechenden Hilfeleistungen.
Das Wohnhotel wendet sich besonders an Menschen, die in anderen Hilfesystemen nicht erreichbar sind. „Diese
Gruppe wird häufig als ‚schwierige Klientel’ bezeichnet. Es sind oft Menschen,
die nicht in Notunterkünften zurechtkommen, weil die Strukturen und Gegebenheiten sie massiv überfordern, aber
auch Menschen, die Probleme haben,
einfachste soziale Umgangsformen zu
beachten und für ihr Leben realistische
Ziele zu entwickeln“, beschreibt Sozialarbeiterin Daniela Heift die Zielgruppe
des Wohnhotels. „Sie müssen erst lernen, mit eigenen und fremden Aggressionen umzugehen, und sie müssen auch
lernen, professionelle Hilfe in Anspruch
zu nehmen – sowohl in Bezug auf ihre
psychische Erkrankung als auch auf eine
möglicherweise vorhandene Suchterkrankung.“
Kleine Schritte führen
zum Ziel
Im Wohnhotel erarbeiten zwei Sozialarbeiterinnen, Daniela Heift und ihre Kollegin Birgit Jansen, gemeinsam mit den
Bewohnern neue Perspektiven. Sie helfen den Bewohnern, ihr Leben zu organisieren, etwas Struktur in den Alltag
zu bekommen, und versuchen, sie in
die Gemeinschaft im Haus zu integrieren. Dabei werden die Wünsche der Klienten soweit wie möglich berücksichtigt und Alltagskompetenzen gefördert.
Die Kontakte zu den Sozialarbeiterinnen
werden nach persönlicher Verabredung
getroffen. Offizielle Sprechstunden gibt
es nicht. „Fest strukturierte Hilfeplangespräche mit engem zeitlichem Rahmen
würden unsere Bewohner massiv überfordern und zu keinen Ergebnis führen“,
erklärt Daniela Heift dieses Vorgehen.
Alle Bewohner haben einen Schlüssel zu ihrem kleinen Appartement, das
mit einem Bett, einem Schrank, einem
Tisch, sowie einem Badezimmer mit
Waschbecken, Dusche und WC ausgestattet ist. Die Bewohner dürfen selbstverständlich Besucher empfangen, auch
gelegentlicher Übernachtungsbesuch ist
nach Absprache möglich.
Täglich bietet das Wohnhotel für einen
Euro ein gemeinsames Frühstück im Aufenthaltsraum an. Einmal in der Woche
trifft sich die Kochgruppe. Der Aufenthaltsraum ist immer offen und für alle
zugänglich. Hier erleben die Bewohner,
dass ein ungezwungenes Beisammensein auch ohne Alkohol oder Drogen
möglich ist.
Das Erlernen sozialer Fähigkeiten und
das Erledigen einfacher Alltagsaufgaben in der Gemeinschaft sind erste
Schritte auf dem langen Weg zurück in
die Gesellschaft, zurück zu einem selbstbestimmten Leben – und weg von der
Straße.
(kv)
*Name von der Redaktion geändert
Im Überblick: Das Wohnhotel
Abgekürzt heißt das Wohnhotel auch „WBG“:
Wohnen, Begleiten und Gesellschaftliche Integration.
Aktuell wohnen 18 psychisch erkrankte Männer
und Frauen mit Psychosen aus dem schizophrenen
Formenkreis und überwiegend zusätzlichem Alkoholoder Drogenmissbrauch im Wohnhotel.
Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei etwa neun
Monaten. Ziel ist die Vermittlung in eine eigene Wohnung des Betreuten Wohnens.
Zum Mitarbeiterteam gehören zwei Sozialarbeiterinnen, ein Hausverwalter und zwei Kräfte im hauswirtschaftlichen Bereich.
Das Wohnhotel ist dem Sozialamt angegliedert. Es
wird von der Stadt Aachen finanziert und wurde per
Leistungsvereinbarung an das Alexianer-Krankenhaus
Aachen übertragen.
Kontakt:
E-Mail: [email protected]
Alexianer-Mitarbeiterinnen Daniela Heift und
Birgit Jansen (v. l.).
BRENNPUNKT
Streit und Missstimmung in der Familie
gehen selten ungehört
an Kinderohren vorbei.
Bei einer Trennung
benötigen Kinder klare
Botschaften – und viel
Verständnis
eit 1977 hat sich viel verändert:
Seit damals werden Ehen nicht
mehr nach dem Schuldprinzip
geschieden, sondern nach dem sogenannten Zerrüttungsprinzip: Die Voraussetzungen für die Scheidung selbst,
wie auch die Scheidungsfolgen (insbesondere die Unterhaltsansprüche) werden seither losgelöst von der Frage
der Scheidungsschuld entschieden.
Die ersten Hilfsangebote für betroffene
Familien entstanden Ende der siebziger
Jahre. Gleichzeitig wuchs allmählich das
Bewusstsein für die Situation der Kinder
bei einer Trennung. „Und dabei liebe ich
euch beide“, sang Andrea Jürgens herzzerreißend in die Kameras des Deutschen Fernsehens und traf mit ihrem
Schlager den Kern eines Problems, das
getrennt lebende Elternpaare heute
S
Kinder haben
große Ohren
noch haben: Gehen Ehen oder Beziehungen auseinander, sind die Kinder
nicht gemeint – aber betroffen.
Traurig, aber nicht traumatisch
Bevor die Ergebnisse erster Langzeitstudien vorlagen, wurden oft beinahe
zwangsläufig Entwicklungsstörungen
und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern aus gescheiterten Ehen erwartet. Und tatsächlich dürfen die Auswirkungen einer familiären Trennung auf die
kindliche Entwicklung nicht unterschätzt
werden. Die weltweit größte Studie zum
Thema „Scheidungskinder“, für die von
der Universität von Virginia in den USA
1.400 Familien 30 Jahre lang begleitet
wurden, weist aber ermutigende Ergebnisse vor: Zwar sind betroffene Kinder in
den ersten beiden Jahren nach der Trennung hohen emotionalen Belastungen
ausgesetzt, langfristig gehen die meisten von ihnen aber ungewöhnlich belast-
bar, reif und zielstrebig durchs Leben.
Entscheidend für ihr Wohlergehen sei,
stellt die Studie fest, dass der Elternteil,
bei dem sie leben, sich fürsorglich um
sie kümmere.
Wie Mavis Hetherington, inzwischen
emeritierte Professorin für Psychologie an der Universität von Virginia und
damals verantwortliche Expertin der
amerikanischen Studie, betonte, haben
75 Prozent aller Scheidungskinder nicht
mehr oder weniger Probleme in ihrem
Leben als andere Menschen auch. Das
„Zentrum Bayern Familie und Soziales“
bestätigt dies (www.elternimnetz.de):
Wie Kinder langfristig mit der Trennung
ihrer Eltern zurechtkommen, hängt
hauptsächlich von den Bedingungen
vor und nach der Trennung ab. Die gute
Nachricht lautet also: Wenn eine Ehe
nicht mehr funktioniert, muss das keine
traumatischen Folgen für die gemeinsamen Nachkommen haben. Eine
schlechte Nachricht für zerstrittene, aber
„komplette“ Familien gibt es ebenfalls:
19
BRENNPUNKT
Wer in einer solchen Atmosphäre aufwächst, zeigt mit Bindungsängsten oder
einem geringen Selbstwertgefühl im
späteren Leben häufig die klassischen
Symptome eines Scheidungskindes.
Scheiden oder bleiben?
Alle noch so guten Aussichten für die
kindliche Psyche ändern nichts daran,
dass sich Eltern schwer tun mit der Entscheidung, ihren Kindern das gewohnte
Umfeld zu nehmen. Als Birgit Mertes
(33) sich von ihrem Mann trennte, war
ihr schon seit mehr als einem Jahr klar,
der Situation war er sich sicher im Klaren“, sagt sie. „Er ist ganz offen damit
umgegangen und hat unbefangen
erzählt, dass er und sein Bruder jetzt
zwei Wohnungen haben.“ Heute, über
zwei Jahre danach, haben sich beide
Kinder an die Situation gewöhnt und
kommen mit ihren Eltern, im Kindergarten und in der Schule gut zurecht.
Bis eine Umgangsregelung gefunden
war und man sich auf ein gemeinsamgeteiltes Leben geeinigt hatte, war es
jedoch schwierig, berichtet Mertes. „Sie
haben sehr unter unserer Uneinigkeit
gelitten, vor allem der Ältere. Gerade in
der Zeit, als die elterlichen Betreuungs-
er eine Affäre begann und sein bisheriges Leben infrage stellte. Als Tochter
Sara vier Monate alt war, zog er endgültig zur neuen Freundin. „Sara kennt es
nicht anders, deshalb kam sie bislang
immer gut mit der Situation zurecht. Bis
auf wenige schwierige Phasen, in denen
sie extrem an einem von uns klammerte.
Aber das haben ja auch Kinder aus heilen Familien“, erzählt Johanna Paul. „Ab
dem Tag seines Auszugs ist ihr Vater alle
zwei bis drei Tage zu Besuch gekommen
und hat sich um sie gekümmert. Für
mich war es unglaublich schwer, ihn mit
unserem Baby zu sehen und zu wissen,
dass er gleich wieder geht“, erinnert
sie sich. „Aber ich wollte immer, dass
meine Tochter engen Kontakt zu ihrem
Vater hat. Also habe ich es irgendwie
ausgehalten.“ Sie blieb noch mehr als
zwei Jahre in der Stadt, in die sie für ihn
gezogen war. Dann zog es sie wieder in
die Nähe ihrer Familie. Saras Vater zog
mit seiner neuen Partnerin nach. Damit
bleibt es dabei, dass Sara, die gerade
drei Jahre alt geworden ist, zwar bei
ihrer Mutter lebt, ihren Vater aber regelmäßig jede Woche sehen kann und auch
oft bei ihm übernachtet.
Das typische Scheidungskind
gibt es nicht
dass ihre Beziehung nicht zu retten war.
„Es hat einfach so lange gedauert, bis
ich mich getraut habe, die Verantwortung für alles Kommende zu übernehmen.“ Eine Eheberatung zuvor war nicht
im Geringsten hilfreich. „Mein ehemaliger Mann hatte ein klares Bild von mir,
in das ich mich nicht fügen wollte. Und
ich habe ihm das nicht früh genug klar
gemacht.“ Ihre Söhne waren damals
zwei und vier Jahre alt.
So sehr sie den Eindruck hatte, dass
ihr Jüngster die Entwicklungen um ihn
herum nicht begriff, ist sie sicher, dass
der ältere Sohn genau wusste, was
geschah. „Natürlich konnte er das alles
nicht reflektieren, aber über die ‚Essenz’
20
zeiten gerichtlich festgelegt werden
mussten, waren sie verunsichert. Die
beiden haben ganz genau gespürt, wie
nah ihrem Vater und mir dieses Thema
ging. Leider war der Große gerade erst
in die Schule gekommen und bekam
dort Probleme. Ich denke, er fühlte sich
unglücklich und überfordert. Seit ich für
mich Ruhe und Klarheit habe, hat es sich
deutlich gebessert. Für die Kinder ist es
gut, viel Zeit ‚in Ruhe’ zu verbringen und
mit beiden Elternteilen auch Spaß zu
haben und entspannen zu können.“
Johanna Paul (34) machte ähnliche
Erfahrungen. Nach zwölf gemeinsamen
Jahren hatten sie und ihr Mann geheiratet. Das erste Kind war unterwegs, als
„Natürlich werden Fragen kommen, und
bestimmt gibt es auch noch Schwierigkeiten. Aber ich denke, wir haben das
Schlimmste hinter uns. Die erste Zeit,
in der ich seinen Anblick kaum ertragen konnte, war unsagbar schwer, und
Sara hat meine Anspannung bestimmt
oft gespürt. Die eigene Wut zurückzuhalten, hat viel Disziplin verlangt. Auch jetzt
tut es noch manchmal weh, dass mein
ehemaliger Mann sich benimmt, als ob
er mich nie gekannt hätte. Aber ich bin
endlich darüber hinweg, und seitdem
das so ist, ist alles ruhiger geworden.“
So unterschiedlich wie die Trennungsgründe der Eltern sind die Reaktionen
ihrer Kinder darauf. Dennoch gibt es
alterstypische Verhaltensweisen, die
die Kleinsten in der Familie häufig zeigen, wenn ihr bisheriges Lebensgerüst
einstürzt. Kinder im Klein- und Vorschulalter haben häufig Angst, verlassen zu
werden, und reagieren mit Trennungsängsten, verlangen ihren Schnuller
zurück oder nässen wieder ein, sind
in einem Moment besonders aggressiv und trotzig, dann wieder traurig und
BRENNPUNKT
Einigung erzielt werden, wird sie schriftlich festgehalten und als gültiger Vertrag
unterzeichnet. Vor Gericht bietet er die
Basis für weitere Entscheidungen. Und
den zerstrittenen Parteien gibt er ein
wenig Seelenfrieden zurück.
Keine faulen Kompromisse
ganz „klein“. Geschieht die Trennung in
den ersten Schuljahren, reagieren Kinder
ebenfalls oft weinerlich und launisch, sie
fühlen sich zurückgewiesen und nehmen die elterliche Scheidung vielfach als
Kampf wahr, in dem sie Stellung beziehen müssen. Je älter die Kinder sind,
desto mehr Verständnis können sie für
die Entscheidung ihrer Eltern aufbringen.
Trotzdem sind sie auch als verständigere
Menschen noch wütend, machen sich
Sorgen, fühlen sich manchmal überfordert und bekommen mit zunehmendem
Alter möglicherweise auch Angst, die
gleichen Fehler zu begehen. Zudem gibt
es in jeder Altersklasse Kinder, die völlig
unbeeinträchtigt und gefasst erscheinen.
Ob die schwierige Zeit wirklich spurlos
an ihnen vorbeigegangen ist, wird sich
später zeigen.
nehmliche Lösungen für Streitpunkte
gewollt sind – bevor ganz viel Geschirr
zerschlagen wird“, erklärt Annette
Löring, Rechtsanwältin und Mediatorin aus Bonn ihre Tätigkeit. Gesucht
wird nach einer sogenannten „win-winLösung“ (bei der beide Seiten gewinnen) ohne faule Kompromisse für Ein-
Birgit Mertes nahm die Hilfe eines Mediators an. Ihr Mann war nicht bereit, sich
auf einen solchen Lösungsversuch einzulassen. So mussten erst das Jugendamt
und dann ein Familiengericht eingeschaltet werden, welches das Umgangsrecht
der Eltern regelte. Ein solcher Weg ist
für alle Familienmitglieder anstrengend,
schwierig und für die Kinder meist sehr
belastend. „Mediation ist nicht immer
der Königsweg“, weiß Löring. „Aber in
gut 70 Prozent der Fälle erzielen wir für
alle Beteiligten gute Ergebnisse, gerade
was die Kinder betrifft.“ Mediatoren kön-
Krieg und Frieden
In jedem Fall brauchen die Kinder altersgerechte Erklärungen, so ehrlich wie
möglich. Und die Versicherung ihrer
Eltern, dass nur diese für die Trennung
verantwortlich sind. Reibungspunkte
sollten ausschließlich zwischen den ehemaligen Partnern geklärt werden, nicht
mit den gemeinsamen Kindern oder
über sie als Vermittler. Zudem unerlässlich: Zeit und Verständnis. Für Eltern wie
für Kinder gilt, dass nicht angenommen
werden darf, mit der Trennung seien alle
Probleme beseitigt. Wer das glaubt, wird
von seiner Scheidung womöglich ähnlich
„enttäuscht“ wie zuvor von der Beziehung. Meist dauert es etwa zwei Jahre,
bis alle Beteiligten in ihrem neuen Leben
angekommen sind. Hierbei kann neben
speziellen Familien- und Scheidungsberatern auch ein Mediator helfen.
„Mediation ist dann ein guter Ansatzpunkt, wenn im Trennungsfall einver-
zelne. Dabei werden gemeinsam mit
den Beteiligten möglichst viele Optionen
erarbeitet, die weit kreativerer ausfallen
können, als das im Gerichtsverfahren
möglich wäre. „Wenn Positionen sehr
festgefahren sind, wenn zum Beispiel
ein Elternteil darauf besteht, seine Kinder aber an jedem einzelnen Wochenende bei sich zu haben, versuchen wir,
die eigentlichen Beweggründe für seine
Kompromisslosigkeit zu erfahren“,
erzählt Löring. „Da es einerseits oft um
heftige Emotionen geht und andererseits
die juristische Ebene zu berücksichtigen
ist, ist es ideal, wenn Mediatoren mit
psychologischem und juristischem Hintergrund anwesend sind.“ Kann eine
nen Eltern helfen, sich auf eines der letzten verbleibenden gemeinsamen Ziele
zu besinnen: „Das Wohlergehen der Kinder ist meist in beider Interesse.“ (ck)
Kontakt & Info
www.familienhandbuch.de
www.vaeter-nrw.de
Bundesarbeitsgemeinschaft
für Familien-Mediation
www.bafm-mediation.de
21
GESUND BLEIBEN
ls Kind waren große Schmerzen oft wie von Zauberhand verschwunden, wenn Mama oder
Papa einen magischen Spruch murmelten und kurz über das Wehwehchen
pusteten. Das Geheimnis dieser „Wunderheilung“ liegt vermutlich im PlaceboEffekt.
A
Placebo-Effekte treten dann auf, wenn
bei therapeutischen Maßnahmen allein
die positiven Erwartungen des Patienten zu seiner Heilung führen. Oft wird
dies durch die Einnahme von Placebos
begünstigt.
Doch was genau sind Placebos? Placebos sind Scheinmedikamente. Ob als
Tabletten, Tinkturen oder Säfte – sie enthalten keine pharmazeutischen Wirkstoffe und bestehen oft nur aus Milchzucker, Geschmacks- und Färbemitteln.
Dennoch können sie dem Kranken zur
Genesung verhelfen. Voraussetzung
ist, dass dieser in Unwissenheit über
das Placebo gelassen wird und glaubt,
in Wirklichkeit ein „echtes“ Präparat zu
schlucken.
Von der Antike bis zur
Gegenwart
Placebos gibt es schon seit Menschengedenken. Im Mittelalter beispielsweise erhielten Menschen mit
Gelenkschmerzen einen Umschlag
aus Geierfett, Geiergalle und Geiersehnen verordnet. Die Ärzte waren davon
überzeugt, dass sich die wendige und
bewegliche Kraft des Geiers auf die Patienten übertragen würde.
22
Placebos
Ein Wundermittel?
Wie positive Erwartungen die Selbstheilungskräfte unseres Körpers in Gang setzen
Wissenschaftlich hoffähig wurde der
Placebo-Effekt aber erst durch eine
zufällige Entdeckung. Weil dem amerikanischen Anästhesiologen Henry Beecher
im Zweiten Weltkrieg hinter der Front in
Italien das Morphin ausging, spritzte er
den Verwundeten in seiner Verzweiflung einfache Kochsalzlösung, ließ sie
aber weiterhin in dem Glauben, Morphin zu erhalten. Und siehe da: Auch die
Kochsalzlösung verschaffte Schmerzlinderung. Die positive Erwartung der
Verwundeten führte dazu, dass sie sich
besser fühlten.
Neben dem Placebo-Effekt gibt es ein
weiteres Phänomen, das mindestens
genauso erstaunlich ist: der NoceboEffekt. So wie positive Erwartungen zur
Genesung des Patienten führen können,
kann eine negative Grundeinstellung
den Genesungsprozess verlangsamen
oder sogar verhindern. Negative Gedanken können sich schon durch das Lesen
eines Beipackzettels und der aufgeführten Nebenwirkungen einstellen. Oft sind
es aber auch die Worte des Arztes, die
den Heilungsprozess enorm beeinflussen können. So stärkt positives Zure-
den das Selbstbewusstsein und damit
den Heilungsprozess. Fatalerweise können negative und entmutigende Bemerkungen die Heilung aber auch behindern.
Placebo – Nocebo
Ob Placebo oder Nocebo. Die Existenz
beider Phänomene steht außer Frage.
Wie genau sie funktionieren, ist noch
unklar. Bewiesen ist jedoch, dass die
Placebo-Wirkung nicht auf bloßer „Einbildung“ beruht, sondern dass die Einnahme eines Placebos im Körper tatsächlich zu Reaktionen führt, obwohl,
streng genommen, nichts passieren
dürfte, da ja kein Wirkstoff eingesetzt
wird …
Vielleicht kann die Forschung hier ansetzen und einem großen Geheimnis der
Menschheit ein Stückchen näher rücken:
dem Zusammenhang zwischen Körper,
Geist und Seele.
GESUND BLEIBEN
Placebos – nur zu
Forschungszwecken?
Herr Professor Enck, warum sind
Placebos interessant?
Zunächst einmal sind Placebos sehr
wichtig für die medizinische Forschung.
Wenn ein neues Medikament auf den
Markt kommen soll, testen Forscher
seine Tauglichkeit erst im Vergleich mit
Placebos. Freiwillige Teilnehmer, Patienten oder Gesunde, erhalten in kontrollierten Studien das neue Mittel, eine
andere Gruppe Freiwilliger ein Placebo
zum Vergleich. Ist das Medikament dem
Placebo nicht überlegen, gehört das
Mittel nicht auf den Markt. Besonders
interessant neben den Placebos selbst
ist aber auch der Placebo-Effekt. Uns
beschäftigt die Frage: Wie kann es sein,
dass Placebos, die keinerlei Wirkstoffe
enthalten, beim Patienten wirken?
Zur Person
Prof. Paul Enck (58) ist
Forschungsleiter der
Abteilung für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie an
der Uni Tübingen. Er
beschäftigt sich intensiv
mit dem Placebo-Effekt
und den Selbstheilungskräften des Körpers.
Werden Placebos nur in der
Forschung eingesetzt?
In Deutschland kann ein Patient davon
ausgehen, dass Placebos nur in kontrollierten Studien mit freiwilligen Teilnehmern zum Einsatz kommen, er also
nicht beim Arzt ein Placebo verschrieben bekommt. Es kann Ausnahmefälle
geben, in denen ein Arzt seinem Patienten ein Placebo verordnet. Das passiert aber nur, wenn der Arzt um die
Gesundheit des Patienten besorgt ist,
aber überzeugt ist, im Sinne des Patienten zu handeln. So kann er ihm zum
Beispiel anstatt eines unnötig starken
Antibiotikums, Schmerz- oder Schlafmittels ein Placebo verschreiben. In der
Regel verordnen Ärzte in Deutschland
aber keine Placebos. Selbst in Studien
brechen die Forscher
oft Placebo-Tests
sofort ab, wenn das
Medikament eindeutig wirkt und das
Placebo nicht. Die
Teilnehmer erhalten
dann umgehend das
richtige Medikament.
Können Placebos Krankheiten
heilen?
Nein! Grundsätzlich muss ganz klar
unterschieden werden: Placebos wirken
in der Regel auf die Symptome, selten
und sehr viel geringer aber auf die biochemischen Parameter der Krankheit.
In Placebo-Tests besserten sich zum
Beispiel bei Patienten mit einer Darmentzündung die Bauchschmerzen, ohne
dass die eigentliche Entzündung tatsächlich abheilte. Tut sie es dennoch,
sprechen wir eher von einer Spontanheilung als von einer Placeboheilung.
Wo liegt die Grenze der zu
behandelnden Krankheiten durch
Placebos?
Placebos kommen in der Forschung
bei ganz unterschiedlichen Krankheiten
zum Einsatz. Ein Beispiel: Bei der Parkinsonschen Krankheit sollte Patienten
durch die Verpflanzung von embryonalen Stammzellen geholfen werden.
Dazu wurden die Stammzellen in einer
Operation direkt in das Gehirn der Patienten verpflanzt. Dies geschah auch in
einer amerikanischen Placebo-Studie:
Die Ärzte verpflanzten aber nur einem
Teil der Gruppe Stammzellen. Die anderen Teilnehmer erhielten lediglich den
chirurgischen Eingriff. Dennoch zeigte
sich bei beiden Gruppen eine positive
Wirkung. So verschwand zum Beispiel
das für Parkinson-Patienten typische Zittern. Die Wirkung bei der einen Gruppe
entstand daher vor allem durch den Placebo-Effekt, das heißt durch den Glauben, dass Stammzellen implantiert worden wären.
Gibt es Menschen, die stärker auf
Placebos reagieren als andere?
Das ist eine gute Frage. Psychologisch
gesehen gibt es keine Placebo-Persönlichkeit an sich. Aber die Unterschiede
sind da! Tests zeigen, dass Kinder
oft sehr stark auf Placebos reagieren.
Frauen glauben oft an das, was ihnen
erfahrungsgemäß am besten geholfen hat. Demnach reagieren sie eher
auf Lernen und Konditionierung. Männer hingegen sprechen mehr auf Fakten und Beweise an, also auf Suggestion. Die positive Reaktion auf Placebos
kann auch genetisch vererbt sein. Stellen sie sich vor: Zwei kranke Neandertaler, denen nur wenige Kräuter und ein
Schamane zur Verfügung stehen. Nicht
vielversprechend aus heutiger Sicht.
Wer wird wohl eher gesund? Der mit
dem stärksten Glauben! Wenn das über
mehrere 1.000 Jahre passiert, pflanzen sich nur die Glaubensstärkeren fort
und geben somit auch ihre Veranlagung
genetisch weiter.
Die kleine
Placebo-Fibel
• Zwei Pillen helfen besser als eine,
aber kleine Pillen helfen besser
als große, weil die Patienten
glauben, die Wirkung der Inhaltsstoffe müsse in den kleinen Pillen
besonders stark sein.
• Bei Kindern wirken Säfte besser
als Tabletten. Hier gilt auch: Je
bitterer, umso wirkungsvoller.
• Die Spritze gilt als das stärkste
Placebo, hilfreich gegen so gut
wie jede Krankheit. Wahrscheinlich ist das so, weil die Patienten
eine sofortige und schnelle
Wirkung unterstellen.
• Blaue Pillen beruhigen, rote
muntern auf.
(Texte: nj/mw)
23
RÄTSEL
Saugröhre,
Stechheber
Versehen,
Fehlschluss
ApothekenAssistentin
(Abk.)
eigenartig,
kurios
lautmal.: GespensSchuss teraus einer
treiben
Waffe
Teil der
Scheune
Abk.:
Unterhitze
englisch:
Osten
Abk.:
Teil des BartscherSommerBogens gerät
semester
ugs.
für
heran
Abk.:
Wort
Europ.
Gemein- der Ablehnung
schaft
Näschereien
Abk.:
Riesentorlauf
überlieferte
Erzählung
letzter
Abschnitt
Einstufung der
Bonität
(engl.)
sehr
kleines
Teilchen
Standbild
Vergeltung
für eine
Wohltat
Hauptstadt i.
Europa
ärztl.
Behandelter
Abk.:
Arbeitskreis
griech.
Weichkäse
Zeichen
für
Tellur
Verkaufsausstellung
Luft der
Lungen
Südstaat
der USA
Strom
zur
Nordsee
Nebenfluss d.
Rheins
franz.
männl.
Vorname
Ziel,
das nie
erreicht
wird
französisch:
Freund
Währungscode für
Euro
einfetten,
schmieren
englische
Prinzessin
Weltorganisation
(Abk.)
Fürwort
mit
Artikel
Tropenbaum
andernfalls
Normeninstitution
(Abk.)
Hptst.
der Republik
Irland
franz.
Mehrzahlartikel
Währung
in der
Schweiz
spanische
Anrede:
Frau
ital.:
tausend
griech.
Götterbote
unfreier
Mensch
estn. Insel
(Hiiumaa)
Kf.: ohne
Obligo
Abk.:
Landrat
Mittelmeerwinde
vormals
junger
Mensch
(ugs.)
Speisefisch
Fischfett
oberhalb
von
sehr
aktuell,
explosiv
handfester
Mann
Hauptstadt
Österreichs
Bruder
Kains
(A. T.)
Satellit
Hauptkirche
ugs.:
Verstand
Hautausschlag
nicht beachtet,
weggeschoben
amerik. Erfinder † 1931
Abk.:
betreffend
Ruhemöbel,
Couch
Stammmutter,
Vorfahrin
Abk.:
Minute
Zuckerrohrschnaps
Kraftfahrzeug
(Kurzw.)
Länder
Vorderasiens
Mediziner,
Dentist
Wort des
Einwandes
Schiffsküche
Mastspitze
Schleppnetzfahrzeug
Ruhepause
Hauptstadt in
Nahost
Windrichtung
Possenreißer;
Tor
Empfehlung
eine
Tonart
Name
Gottes
im
Islam
Ältestenrat
ungebraucht
Kurzschrift
(Kurzwort)
Kniegeige
Anstrengung,
Mühe
Wandverzierung
franz.:
Frau
Zugmaschine
a. Schienen/Kw.
Intern.
Luft- u.
Raumfahrtausst./Abk.
Hauptstadt
Norwegens
Wiedergabe
(Kurzw.)
Untereinarmstudieren
knochen
Kfz-Z.
Niederlande
ugs.:
zeitgemäß
Stoßwaffe
im MA.
französisch:
Liebe
schlaff,
lässig
Abscheu
empfinden
Registrierung
Kohleprodukt
chin.
Schlaginstrument
zweckbeabstimmtes
brechen
Verhalten
falscher
Weg
Augenflüssigkeitstropfen
Kartenspiel
Seemann
Mutter/
Kosename
kleiner,
lichter
Wald
®
Augenblick
s1825.1-3
K U R Z N O T I E RT
Online-Sucht ist weit
verbreitet
Aufge-lesen
Seelische Erkrankung,
Religion und Sinndeutung
Norbert Mönter (Hrsg.), PsychiatrieVerlag 2007
Religiöser Glaube, Weltanschauungen
und Sinnsuche gehören unabhängig von
gelebter Kultur und Tradition zu den zentralen Elementen des Lebens.
Sinn des Buches ist, hilfreiche Überlegungen zu bieten, bewusster mit individuellen Grundüberzeugungen psychisch kranker Menschen umzugehen,
Ressourcen eines spirituellen Selbstverständnisses zu entdecken und diese
im Behandlungsprozess konstruktiv zu
nutzen. Es ist gewiss nicht die Intention
der Autoren, konkrete psychiatrische
Arbeitshilfe zu leisten.
Es erstaunt nicht, dass Religion und
Spiritualität eingangs vor wissenschaftlichem Hintergrund als Phänomene
beschrieben werden, die ein hochkomplexes Zusammenspiel der Hirnareale
und Neurotransmitter auslösen, andererseits aber auch zu neurobiologischen
Wechselwirkungen führen können, die
sich in psychopathologischen Erlebensund Handlungsweisen äußern. In weiteren Beiträgen berichten Betroffene
und Angehörige von religiös-spirituellen
Erfahrungen zur persönlichen Sinnfindung. Betrachtet werden außerdem
Aspekte des Krankseins und Gesundseins anhand von Transzendenzvorstellungen sowie Welt- und Menschenbildern anderer religiöser Kulturen und
Traditionen. Schlussendlich kommt auch
die Psychiatrieseelsorge mit ihren Konzeptionen von Sinndeutung und -findung
im psychiatrischen Alltag nicht zu kurz.
Ein überaus sinniges Buch, objektiv wissenschaftlich und subjektiv individuell
begründet, lesenswert für Menschen mit
religiös-spiritueller Orientierung, unabhängig von ihrer Ausrichtung, und für
Menschen, die sich keiner bestimmten
religiösen Weltanschauung und philosophischen Sinndeutung zugehörig fühlen.
Egal ob Chats, Online-Spiele oder Filme:
Wer seinen Tagesablauf nach dem Internet ausrichtet, soziale Kontakte vermeidet und unruhig wird, wenn keine Zeit
für die virtuelle Welt bleibt, kann süchtig werden. Der Berufsverband Deutscher Neurologen e. V. berichtet, dass
etwa zehn Prozent der Internet-Nutzer
gefährdet seien. Nicht selten seien Enttäuschungen, Identitätskrisen, Ängste
oder Depressionen Gründe für die Flucht
aus der Realität in die Scheinwelt. Eine
Psychotherapie kann helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken und Strategien
zu entwickeln, um Bedürfnisse im wirklichen Leben umzusetzen.
Kontakt: www.onlinesucht.de
Immer mehr Kinder sind von Armut
betroffen. Das Hilfsprojekt „Die Arche“ in
Berlin sorgt auch für das leibliche Wohl
der Minderjährigen.
Immer mehr
Menschen sind auf
Lebensmittelspenden
angewiesen
In einem Industrieland von Armut zu
reden, lässt bei manchem sicherlich ein
mulmiges Gefühl aufkommen … Dennoch, die Zahlen sprechen für sich: Laut
der Organisation „Die Tafeln“ hat sich
die Zahl der Empfänger von Lebensmittelspenden in Deutschland in den letzten
fünf Jahren mehr als verdoppelt. Aktuell
sind es rund eine halbe Millionen Menschen, die niedrigschwellige existenzsichernde Hilfen in Anspruche nehmen.
Der Ansturm auf Sozialkaufhäuser, Tafeln
und Kleiderläden wird auch in Zukunft
ansteigen. Einer der wesentlichen
Gründe, warum das Geld nicht einmal
zur ausgewogenen Ernährung reicht, ist
der Anstieg von Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Mehr als 2,1 Millionen Menschen sind sogenannte HartzIV-Empfänger. Durchschnittlich stehen
einkommensschwachen Bürgern 4,50
Euro für den gesamten Tagesbedarf zur
Verfügung. Susanne Lexa, Sprecherin
des Bundesverbandes Deutscher
Tafeln e. V., äußerte im Oktober 2007
gegenüber dem ARD-Magazin-Plusminus: „Gerade diese Menschen werden
immer stärker auf die Hilfe der Tafeln
angewiesen sein.“
Heike Christmann, Köln
25
V O R O RT
Stellten mit der Unterzeichnung des
Erbbauvertrages die Weichen für ein
neues Pflege- und Wohnangebot in
Rinkerode: Ludger Jutkeit (2. v. l.), Notar
Michael Kaven (r.) und Vertreter der
Kirchengemeinde.
Modellhaftes
Altenhilfe-Projekt in
dörflicher Struktur
Münster. Mit einem neuen Pflege- und
Wohnprojekt im Süden von Münster
(Kreis Warendorf) will die Alexianer-Krankenhaus Münster GmbH erstmalig ein
Altenhilfeangebot in dörflicher Umgebung etablieren. In der Gemeinde Rinkerode sollen ab Frühjahr 2008 eine
Wohngemeinschaft für demenzkranke
Menschen und weitere zehn Appartements für das Betreute Wohnen entstehen. Je nach Bedarf ist in den Folgejahren eine drittes Gebäude für Senioren
geplant.
Vor wenigen Wochen stellten Ludger
Jutkeit, Geschäftsführer der Alexianer
Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH, sowie Ulrich Beerwerth,
Leiter der Alexianer-Wohngemeinschaften, das neue Projekt mit dem Titel
„Wohnen am Pröbstinghof“ in einer
öffentlichen Veranstaltung den Bürgerinnen und Bürgern vor.
Während die Alexianer die neue Einrichtung erbauen und auch später betreiben
werden, stellte die Rinkeroder Kirchengemeinde per Erbbauvertrag das denkmalgeschützte Grundstück im Ortskern bereit. Ein weiterer Partner dieses
Gemeinschaftsprojektes ist die Stadt
Drensteinfurt. „Das neue Projekt im
Ortskern von Rinkerode integriert die
Bewohner und ältere Menschen auf
optimale Weise in das dörfliche Gemeindeleben“, sieht Ludger Jutkeit diesem
neuen Schritt in eine Dorfgemeinde sehr
positiv entgegen.
26
Hilfen bündeln: Die
Integrierte Versorgung
Medizinische Zentren
auf dem Vormarsch
Köln. Integrierte Versorgung (IV), so lautet seit 2004 das Schlagwort im Gesundheitswesen. Gemeint ist die Verbindung
von Schnittstellen unterschiedlicher
medizinischer Angebote. Krankenkassen können also ihren Versicherten eine
abgestimmte Versorgung anbieten.
Krefeld. Zum 1. Oktober hat die Krankenhaus Maria-Hilf GmbH Krefeld ihr
Zentrenkonzept für die somatischen
Patienten weiter ausgebaut. Dazu gehört
auch ein umfangreicher Chefarztwechsel. Auf die zwei in den Ruhestand wechselnden Chefärzte der Inneren Medizin und der Chirurgie folgten vier neue
Spezialisten. Im Herz-/Lungenzentrum
und im Darmzentrum behandeln jeweils
hoch spezialisierte konservativ und operativ tätige Fachärzte gemeinsam ihre
Patienten, ohne dass Verlegungen notwendig werden. In naher Zukunft wird
es auch ein Zentrum für Altersmedizin
geben, in dem das Know-how der Inneren Medizin und der Gerontopsychiatrie
dem Patienten gebündelt zugutekommen wird.
Ein Zukunftsmodell, das auch die Alexianer in Köln begrüßen. Seit dem
1. Dezember 2007 besteht zwischen
der Techniker Krankenkasse (TK) und
der Alexianer-Krankenhaus Köln GmbH
ein Integrierter Versorgungsvertrag für
Menschen mit einer Alkoholerkrankung.
Während es die Integrierte Versorgung
bislang häufiger im somatischen Bereich
gab, ist sie mittlerweile auch für den
psychiatrischen Sektor interessant.
Peter Scharfe, Geschäftsführer der Alexianer-Krankenhaus Köln GmbH, ist
überzeugt, dass Patienten von der Integrierten Versorgung profitieren: „Die
fließenden Übergänge der Behandlungsarten ermöglichen eine komprimierte und effiziente Versorgung.“ Drei
Module stehen für das Konzept: Von der
ambulanten Behandlung und Diagnostik
(Modul 1) geht es weiter zur voll- oder
teilstationären Behandlung (Modul 2) bis
hin zur ambulanten Nachsorge (Modul
3). Finanziert wird die IV über eine Fallpauschale von 1.800 Euro. Und damit
der Patient immer einen Ansprechpartner hat, wird ein Fallmanager die Hilfen
koordinieren.
Professor Dr. Uwe Peters (3. v. l.) und
Privatdozent Dr. Horst Krieg (2. v. r.)
wechselten in den Ruhestand. Neu dabei
sind: Dr. Andreas Schwalen, Dr. Martin
Borger, Dr. Bernhard Mallmann und
Dr. Andreas Leischker (v. l.).
In den Zentren bündelt das Krankenhaus alle Kapazitäten zur Behandlung
bestimmter Krankheitsgebiete. Jeder
Patient soll von der Arbeit eines Teams
aus den verschiedenen medizinischen
Fachrichtungen profitieren. Mit dabei
sind auch die niedergelassenen Kollegen, um die gesamte Behandlung ohne
Qualitätsbrüche sicherstellen zu können.
Versorgungslücken sind passé – dank der
Integrierten Versorgung.
V O R O RT
REHA vernetzt
Das Kreativatelier am Löhergraben in
Aachen.
Trainingsprojekt
„Arbeit nach Maß
– Maßarbeit“
Aachen. Am 16. November wurden die
neuen Räumlichkeiten des Kreativ-Ateliers der Alexianer-Krankenhaus Aachen
GmbH in der Aachener Innenstadt eingeweiht.
Krefeld. Das Zentrum für ambulante
neurologische Rehabilitation des Alexianer-Krankenhauses Krefeld beteiligte
sich am vierten deutschen Reha-Tag
mit einem Tag der offenen Tür für die
ganze Familie. Das Motto des Tages
lautete „Reha vernetzt“. Die Fachkräfte
der unterschiedlichen Disziplinen veranschaulichten, wie diese Vernetzung
in der Praxis funktioniert. Die Ärzte,
Therapeuten, Pflegekräfte und Kooperationspartner des Alexianer-Krankenhauses informierten über die Vielfalt der
Möglichkeiten, veranschaulichten sie
mit Demonstrationen, boten Mitmachmöglichkeiten und die Gelegenheit, die
eigene Gesundheit und die eigenen
Fähigkeiten zu testen.
Das von der Europäischen Union (durch
den Europäischen Sozialfonds), durch
das Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales des Landes NordrheinWestfalen sowie die Ar.ge der Stadt
Aachen geförderte Projekt „Arbeit nach
Maß – Maßarbeit“ ist jetzt zum Teil hier
beheimatet.
Das Projekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ ist ein modulares Trainings- und
Qualifizierungsprojekt und bietet 24
Menschen mit psychischer Beeinträchtigung die Möglichkeit, sich wieder auf
dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren.
Ziel der Maßnahme ist die Herstellung
oder Wiederherstellung wesentlicher
Grundarbeitsfähigkeiten sowie die Vermittlung fachspezifischer Kenntnisse
in den angebotenen Arbeitsbereichen.
Dieses individuell abgestimmte Förderkonzept in einem realitätsbezogenen
Umfeld soll schrittweise (zurück) in
die Arbeitswelt führen. Außerhalb der
Räumlichkeiten bietet das Projekt außerdem Trainingsangebote an – im hauswirtschaftlichen Bereich, im Café Kontakt, in
der Wäscherei oder in der Großküche, in
einem Stehcafé und im Café Sozialpunkt
an der Katholischen Fachhochschule
Aachen sowie der Begegnungsstätte
Maria-Haus auf dem Kronenberg.
Kooperationspartner sind die Prodia
Aachen, Werkstatt für Menschen mit
Behinderung, die FRW Hygieneberatung
GmbH, Peper GmbH, der Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker e. V.
sowie die Katholische Fachhochschule
NRW/Abteilung Soziale Arbeit, Aachen.
Rehabilitation mit neuen Therapieansätzen: Die Spiegeltherapie.
Einen neuen Therapieansatz zeigten die
Ergotherapeuten: die Spiegeltherapie.
Sie dient der Rehabilitation nach Schlaganfall. Die Spiegeltherapie zeichnet sich
aus durch die Kombination der vom Patienten selbst initiierten Bewegung mit
der visuellen Stimulation über einen
Spiegel, durch die der betroffene, in der
Bewegung eingeschränkte Körperteil
aktiviert werden kann.
Gemeinsam mehr
erreichen
Landkreis Diepholz. Ein Rehabilitationszentrum für suchtkranke Menschen wird
in der Bassumer Klinik im August 2008
eröffnet. Die erforderlichen Umbauarbeiten haben bereits begonnen. Träger
der neu entstehenden Einrichtung sind
die Diakonie Freistatt und der St. Ansgar
Klinikverbund, die gemeinsam mehr für
die Gesundheit und das Wohl der Menschen erreichen wollen.
„Wir realisieren ein bisher einmaliges
Projekt in der Bundesrepublik“, sagt
Martin Hoppe, Leiter des Fachzentrums
Suchthilfe in Freistatt. Das neue Konzept sieht eine enge Verzahnung zwischen Entgiftung und qualifiziertem
Entzug vor. 36 stationäre und 18 tagesklinische Plätze werden in der neuen Klinik vorhanden sein, die in einer neuen,
gemeinsamen GmbH betrieben werden
soll. „Mit dem neuen Konzept liegen die
Diakonie Freistatt und der St. Ansgar Klinikverbund voll im Trend“, sagt St. Ansgar-Geschäftsführer Thomas Pilz.
In enger Zusammenarbeit zwischen
den somatischen Kliniken des St. Ansgar Klinikverbundes, welche die oftmals
vorhandenen Begleiterkrankungen der
Patienten behandeln, und der Rehabilitationsklinik wird – und das ist der
große Vorteil für die Patientinnen und
Patienten – an einem Ort eine ganzheitliche Behandlung angeboten und von
verschiedenen Spezialisten gemeinsam
durchgeführt werden.
Gründliche Umbauten sind notwendig,
wie Thomas Pilz (l.) und Martin Hoppe in
den Zeichnungen der neuen Klinik sehen.
27
THERAPIE
Gewalt, Unfall,
Angst
Wenn schon ein junger Mensch Schlimmes verkraften muss. Hilfe für
Kinder und Jugendliche nach traumatischen Erlebnissen
in schwer belastendes Ereignis kann jeden treffen, seien es
Gewalterfahrungen – als Opfer
oder Zeuge – oder das unmittelbare
Erleben von Natur- oder Unfallkatastrophen bis hin zu Kriegserlebnissen. Das
Verarbeiten solch schwerwiegender
Erfahrungen erfolgt unterschiedlich.
Erst wenn das Trauma oder mehrere
Traumata zu verschiedenen dauerhaften psychischen Symptomen führen, liegt eine sogenannte „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS)
vor. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Interessenverlust, Abstumpfung,
bestimmtes Vermeidungsverhalten,
sozialer Rückzug (Selbstisolation), aber
auch Depressionen, aggressives oder
selbstverletzendes Verhalten und Persönlichkeitsveränderungen sind mögliche Merkmale einer solchen PTBS.
Letztlich sind die Symptome der Erkrankung als Versuche zu begreifen, wieder
Kontrolle über den eigenen Alltag und
Sicherheit zu gewinnen.
E
28
PTBS bei Kindern und
Jugendlichen
Eine besondere Herausforderung ist das
Erkennen und Behandeln der PTBS bei
Kindern und Jugendlichen. Nach den
Ergebnissen der „Bremer Jugendstudie“ des Zentrums für Rehabilitationsforschung der Universität Bremen aus
dem Jahre 1999 berichteten 22,5 Prozent aller Jugendlichen zwischen zwölf
und siebzehn Jahren von mindestens
einem traumatischen Ereignis in ihrem
Leben. Am häufigsten wurden körperliche Angriffe, Verletzungen und schwerwiegende Unfälle erlebt. Aber auch der
Tod eines Elternteils oder die Trennung
der Eltern können eine PTBS verursachen. 7,3 Prozent derjenigen Jugendlichen, die von einem traumatischen
Erlebnis berichten, entwickeln laut der
Studie eine PTBS.
Die posttraumatische Symptomatik hat
weit reichenden Einfluss auf die spezifischen Lebensbereiche der Kinder und
Jugendlichen. PTBS führt bei ihnen zu
Entwicklungsbehinderungen oder gar
-blockaden. Eine Folge von Traumata bei
Kindern und Jugendlichen kann auch der
Rückzug auf einen früheren Entwicklungsstand sein. Unter anderem können
dann Sprachstörungen oder erneutes
Einnässen als Folge auftreten. Dies
macht es notwendig, den jungen Menschen und ihren Familien angemessene
Hilfe anzubieten.
Dr. Susanne Crome, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Zentrum
für Psychotraumatologie des AlexianerKrankenhauses Krefeld, beschreibt die
Vorgehensweise: „In einem offenen,
Vertrauen fördernden Gespräch versuchen wir zunächst, Kontakt aufzubauen.
Das Gespräch ist das wichtigste Instrument der Diagnostik.“
Häufig ist es sinnvoll, die Familie des Kindes oder Jugendlichen in die Diagnostik
und Therapie einzubeziehen. Vieles an
Symptomen erschließt sich zum Beispiel
erst im Gespräch mit den Eltern. Die
Therapie ist auch immer Entwicklungsförderung. Zudem soll in der Therapie
THERAPIE
über Lösungsstrategien die Möglichkeit
gegeben werden, die eigene Geschichte
zu ordnen und selbst aktiv zu werden.
Das geschieht mit altersgerechten,
spielerischen Mitteln, zum Beispiel mit
Handpuppen oder verschiedenen Maltherapieformen, wodurch auch die eigenen Emotionen besser beschreibbar
werden.
Anlaufstelle Ambulanz
Seit über fünf Jahren besteht am Alexianer-Krankenhaus Krefeld das Zentrum für Psychotraumatologie. Schrittweise konnte das Behandlungsangebot
erweitert werden. Das Konzept bringt
die Behandlung, die Rehabilitation, die
Prävention sowie die Lehre und Forschung institutionell auf einen Nenner.
Im Mittelpunkt stehen Betroffene, die
als Folge von sexualisierter Gewalt, von
häuslicher Gewalt, von Arbeitsunfällen,
Natur- und Kriegskatastrophen und ähnlichen Lebensereignissen eine schwerwiegende (posttraumatische) Belastungsstörung entwickelt haben.
Das Behandlungsangebot des Zentrums
für Psychotraumatologie ist seit zwei
Jahren um eine Sprechstunde für Kinder und Jugendliche erweitert. Damit
ist in Kooperation mit Opferhilfeeinrichtungen auch für Kinder und Jugendliche
im Krefelder Raum eine psychotraumatologische Versorgung gewährleistet.
Zu diesem Zweck wurde mit dem Ver-
sorgungsamt Düsseldorf ein Vertrag
geschlossen, der die Erstberatung und
gegebenenfalls die Behandlung von Kindern und Jugendlichen regelt.
Einbezug der Familien
Im Zentrum für Psychotraumatologie
in Krefeld kümmern sich Dr. Susanne
Crome als Fachärztin für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Bettina Baldauf,
Diplom-Pädagogin und approbierte Kinder- und Jugendlichentherapeutin, um
die betroffenen jungen Menschen. Im
Erstkontakt finden eine erste diagnostische Einschätzung, eine Beratung und
gegebenenfalls eine Krisenintervention
mit Stabilisierungsübungen statt, in die
gegebenenfalls Eltern und Bezugspersonen einbezogen werden. Gehört das
betroffene Kind zur Risikogruppe zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung, können Behandlungsangebote nach Terminabsprache gemacht
werden. „Erst nach Aufbau eines guten
Arbeits- beziehungsweise Therapiebündnisses kann ganz langsam und vorsichtig
eine Traumabearbeitung begonnen werden“, sagt Bettina Baldauf.
Am Anfang stehen traumazentrierte,
auch familientherapeutische, Kurzzeittherapien. Drei bis fünf Therapiegespräche erzeugen in der Regel bereits
einen positiven Effekt. Erst dann sind
längerfristige Behandlungen bis hin zu
stationären Behandlungen zu erwägen.
Ziel der Therapie ist, dass die Kinder und
Jugendlichen mit dem Erlebten besser
umzugehen lernen und dass besonders
Kinder in ihrer Entwicklung durch das
Trauma nicht weiter beeinträchtigt werden. Die Familie wird in die Therapie mit
einbezogen, da Eltern und Geschwister
einerseits mit betroffen sind und andererseits wichtige Unterstützer für das
betroffene Kind sein können.
Das Wohl des Kindes kann in seiner
sozialen Umgebung gefährdet sein.
Dann kann das Zentrum für Psychotraumatologie Kinder und Jugendliche für
drei Tage zur Sachverhaltsaufklärung
stationär aufnehmen. Dies dient der Einschätzung, ob mit Hilfe der psychosozialen Vernetzung in Krefeld eine Entlastung herbeigeführt werden kann oder
ob eine längerfristige kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung erforderlich
ist, die dann in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilung durchgeführt wird.
Die Einrichtung einer Sprechstunde für
Kinder und Jugendliche kann nur ein
Anfang sein, eine angemessene Versorgung der Opfer von Gewalterfahrung
und Unfällen sicherzustellen. Aus diesem Grunde pflegt das PsychotraumaZentrum die Kooperation mit niedergelassenen Therapeuten, Kollegen aus
anderen Krankenhäusern, dem Kinderschutzbund, der Jugendhilfe, dem Weißen Ring sowie allen weiteren Institutionen, die mit traumatisierten Kindern
und Jugendlichen in Berührung kommen, um die psychosoziale Versorgung
zu verbessern.
(fj)
Kontakt & Info
Alexianer-Krankenhaus
Zentrum für Psychotraumatologie
Ambulanz für Kinder und Jugendliche
Oberdießemer Straße 136
47805 Krefeld
Telefon (tagsüber):
(0 21 51) 34 72 00
Notfalltelefon (rund um die Uhr):
(0 21 51) 34 72 27
Ambulanzsprechstunde
für Kinder und Jugendliche:
mittwochs von 9 bis 10 Uhr
29
V O R G E S T E L LT
Küchenchef Frank Ziegert (l.) schaut auf
die Fähigkeiten der Teilnehmer, um ihr
Engagement und Selbstvertrauen zu
fördern.
Auf den
Geschmack
gekommen
Ein Alexianer-Projekt mit Pfiff: Buffetservice
„Culinaria“ integriert psychisch behinderte
Menschen in die Arbeitswelt
o muss es in der Antarktis sein:
Eiseskälte, minus 30 Grad Celsius,
dichter Nebel, der den fröstelnden
Körper umhüllt. Der Atem wird nach einigen Minuten flacher.
S
„Willkommen in meiner Welt“, scherzt
Michael Partl*. Der 23-Jährige kennt
sich zwar nicht in der Antarktis aus,
dafür aber im Kühlhaus des AlexianerKrankenhauses in Köln. Gern fachsimpelt der quirlige junge Mann darüber, wie
wichtig es ist, verderbliche Lebensmittel
umgehend im Kühlhaus unterzubringen,
um Frische zu gewährleisten. Beiläufig
erwähnt er: „Gefrorene Stickstoffwürfel müssen immer aus dem Tiefkühlhaus
entfernt werden, sonst droht man zu
ersticken.“
Arbeit: Das Salz in der Suppe
Gemeinsam mit neun Kolleginnen und
Kollegen ist Michael Partl Teilnehmer
an einem Modellprojekt der AlexianerKrankenhaus Köln GmbH, dem Buffetservice „Culinaria“. Finanziell gefördert
wird „Culinaria“ vom Europäischen Sozialfonds, vom Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes
NRW, der ARGE Köln und vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum
Köln.
*Name von der Redaktion geändert
30
Das zunächst auf anderthalb Jahre befristete Projekt, das sowohl theoretische
Kenntnisse als auch praktische Fertigkeiten vermittelt, soll psychisch kranken
Menschen einen Einstieg in das Arbeitsleben ermöglichen. Eine gute Sache,
denn gerade psychische Erkrankungen
wie Depressionen, Sucht, Schizophrenie oder Borderlinestörungen erschweren oder verhindern die Berufstätigkeit
in Krisenzeiten.
Culinaria bietet unter Echtbedingungen
die schrittweise Eingliederung in den
ersten Arbeitsmarkt oder andere weiterführende Maßnahmen. Das bestätigt
auch Michael Partl: „Wir werden hier
wie auf dem ersten Arbeitsmarkt behandelt, aber wenn wir wieder in die Krise
rutschen, erfahren wir mehr Verständnis.“ Sein Kollege Conny Beltz* (39)
ergänzt: „Es spielt keine Rolle für unser
Team, was man hat. Hier geht es um die
Arbeit und um das, was wir können.“
Für Alexianer-Küchenchef Frank Ziegert
ist eines besonders wichtig: „Wir müssen schauen, welche Fähigkeiten die
Teilnehmer mitbringen, und sie dann in
passenden Arbeitsbereichen einsetzen.
Das fördert Selbstvertrauen und Engagement.“ Teilnehmerin Jana Baltung*.
ist froh, dass sie schon einige Einsätze
im Altenheim Haus Monika hatte: „Bei
einem Fest war ich zuständig für die
Vor- und Nachbereitung, zum Beispiel
das richtige Eindecken. Die Buffetherstellung überlasse ich lieber meinen Kollegen.“ Besonders der Kontakt zu den
Senioren war für die 28-Jährige eine
positive Erfahrung: „Mit alten Menschen
kann ich gut, ich habe mal eine Ausbildung als Altenpflegerin angefangen.“
Nicht nur für hausinterne Veranstaltungen wird der Buffetservice gebucht.
Immer mehr Porzer Bürger, Kölner Firmen und Institutionen sind begeistert
vom großen kulinarischen Angebot und
unterstützen das soziale Projekt.
Michael Partl hat sich mittlerweile hochgearbeitet. „Im Lager habe ich das Kommando, aber in der Küche ordne ich mich
schon unter“, erzählt er. Conny Beltz*
strebt nach häufigeren Einsätzen als Servicekraft. Das Traumziel des gelernten
Restaurantfachmanns ist die Rückkehr
in den alten Job.
Keine Extrawurst
Küchenchef Ziegert kennt die Schwierigkeiten: „Für manche ist es schwer, morgens hier pünktlich zu erscheinen und
einen Arbeitstag durchzuhalten. Kennt
man die ‚Marotten’ des Einzelnen, kann
man sich besser darauf einstellen.“
Doch trotz des Verständnisses für die
Situation der Culinaria-Leute, muss der
Laden laufen. Der Kunde will schließlich
zufrieden sein. „Es gibt hier keine Käseglocke“, betont Ziegert.
Vielleicht ist es genau das, was die Culinaria-Mitarbeiter so an ihrem Chef und
dem Hauswirtschaftsteam schätzen.
„Auch wenn ich hier nicht fest angestellt
bin, habe ich nicht das Gefühl, weniger
Wert zu sein“, bilanziert Michael Partl.
(bel)
Nähere Informationen
zum Konzept und Angebot:
Frank Ziegert
Tel. (0 18 03) 88 00-1 18 51
IMPRESSUM
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Anschrift der Redaktion:
Alexianer Beteiligungs- und
Verwaltungsgesellschaft mbH
Redaktion „Alexianer“
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Büro für Text, Redaktion und PR
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(verantwortliche Redakteurin, bel)
Georg Beuke (beu)
Kristof von Fabeck-Volkenborn (kv)
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Claudia Keller (ck), Kerstin Deeken, Nadine
Jungblut (nj)
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(S. 30), mauritius images/Stock 4b (S. 7), mauritius images/Simon Katzer (S. 21/22 große Bilder),
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Auflage: 7.000
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