Die Tragweite der EuGH-Vorlage des LG Münster
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Die Tragweite der EuGH-Vorlage des LG Münster
EWS Heft 1 Mrz 2015 1 Univ.-Prof. Dr. iur. Jrgen Khling, LL.M., Regensburg, und RA Dr. iur. Gerd Schwendinger, LL.M. (EUI), Hamburg/Brssel* Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht – Die Tragweite der EuGH-Vorlage des LG Mnster Mit Beschluss vom 17. 9. 2014 hat das LG Mnster im Verfahren 11O 334/12 (Klausner Holz Niedersachsen GmbH/Land NRW) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es das Unionsrecht verlangt, ein rechtskrftiges nationales Urteil, in dem das Fortbestehen eines gegen EU-Beihilfenrecht verstoßenden Vertrages festgestellt wurde, außer Acht zu lassen, wenn nach dem nationalen Recht die Vollziehung des beihilfenrechtswidrigen Vertrages nicht anders abgewendet werden kann. Dieses Vorabentscheidungsersuchen, ber das der EuGH in der Rechtssache Rs. C-505/14 zu befinden haben wird, ist von nicht zu unterschtzender Tragweite. Denn es betrifft die Problematik einer unionrechtlich geforderten Rechtskraftdurchbrechung mitgliedstaatlicher (unionsrechtswidriger) Gerichtsentscheidungen – und damit das Spannungsfeld von EU-rechtlichem effet utile und nationaler Verfahrensautonomie. Die mit dem Vorlagebeschluss aufgeworfene Frage, welche Grenzen das unionsrechtliche Effektivittsgebot dem Prinzip der Rechtssicherheit zieht, ist von grundstzlicher Bedeutung. Sie spielt letztlich nicht nur im beihilfenrechtlichen Zusammenhang eine Rolle, sondern auch in anderen Bereichen des Unionsrechts. Daneben ist der Beschluss von allgemeinem Interesse, weil hier ein nationales Gericht auf instruktive Weise verschiedene beihilfenrechtliche Probleme auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite „durchdekliniert“ und dabei seine – ihm im Zustndigkeitsgefge neben der Europischen Kommission und dem EuGH zugewiesene – Rolle bei der Durchsetzung des Beihilfenrechts mustergltig ausfllt. I. Einfhrung Der Vorlagebeschluss des LG Mnster vom 17. 9. 2014 erging in einem den Holzsektor betreffenden Rechtsstreit zwischen der zum sterreichischen Klausner-Konzern gehrenden Klgerin (Klausner Holz Niedersachsen GmbH) und dem beklagten Land NRW. Diesem Streit liegen eine Vereinbarung und ein Rahmenkaufvertrag (im Folgenden insgesamt: Vertrag) zwischen der Klgerin und dem beklagten Land zu Grunde, mit denen sich das Land Anfang 2007 verpflichtet hatte, der Klgerin bis Ende 2014 jhrlich eine bestimmte Menge Fichtenstammholz zu liefern bzw. zu vermitteln.1 In einem vorangegangenen zwischen den Parteien gefhrten Rechtsstreit hatte das LG Mnster2 (besttigt in der Berufungsinstanz durch das OLG Hamm3) im Jahr 2012 noch rechtskrftig durch Urteil festgestellt, dass der Vertrag wirksam ist, ohne sich hierbei jedoch mit dem Beihilfenrecht auseinanderzusetzen (im Folgenden auch: Feststellungsurteil).4 In dem nunmehr anhngigen Folgeprozess, in dem die Klgerin insbesondere die Zahlung von ca. 54 Mio. Euro Schadensersatz und die Lieferung von ca. 1,5 Mio. Kubikmeter Fichtenstammholz begehrt, ist das LG Mnster der Argumentation des beklagten Landes gefolgt: Das Gericht sieht in dem Vertrag eine unzulssige Beihilfe5 und geht – auch unter Bercksichtigung der neueren BGH-Rechtsprechung – von dessen Gesamtnichtigkeit nach § 134 BGB i.V. m. dem beihilfenrechtlichen Durchfhrungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV aus.6 Folglich wre die Klage aus Sicht des Gerichtes abzuweisen, woran es sich jedoch einstweilen wegen des rechtskrftigen Feststellungsurteils gehindert sieht, weil das deutsche Recht keine Mglichkeit vorsehe, das rechtskrftige Urteil abzundern oder aufzuheben.7 Das LG Mnster hat daher auf Anregung des beklagten Landes das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: „Verlangt das Europische Recht, insbesondere die Art. 107, 108 AEUV (bzw. Art. 87, 88 EGV) und der Effektivittsgrundsatz, in einem Zivilrechtsstreit ber die Vollziehung eines zivilrechtlichen Vertrages, der eine Beihilfe gewhrt, eine Außerachtlassung eines in derselben Sache ergangenen rechtskrftigen zivilrechtlichen Feststellungsurteils, welches das Fortbestehen des zivilrechtlichen Vertrages ohne Auseinandersetzung mit dem Beihilferecht besttigt, wenn nach dem nationalen Recht die Vollziehung des Vertrages nicht anders abgewendet werden kann?“8 * Univ.-Prof. Dr. iur. Jrgen Khling, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls fr ffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht an der Fakultt fr Rechtswissenschaft der Universitt Regensburg und war in dem zugrundeliegenden Fall als Gutachter fr das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) ttig. Dr. iur. Gerd Schwendinger, LL.M. (EUI), ist Rechtsanwalt und Partner der Soziett GvW Graf von Westphalen, die das Land NRW in dem betreffenden Rechtsstreit vor dem LG Mnster und dem EuGH sowie in den parallel anhngigen Verfahren vor der Europischen Kommission bert und vertritt. Dieser Beitrag bindet das Land NRW nicht. 1 Vgl. zum Sachverhalt ausfhrlich Rn. 1–20 des Vorlagebeschlusses. 2 LG Mnster, 17. 2. 2012 – 11 O 37/11, BeckRS 2012, 06359. 3 OLG Hamm, 3. 12. 2012 – I-2 U 52/12, BeckRS 2013, 00152. 4 Die jetzigen Prozessbevollmchtigten des beklagten Landes waren in dem vorangegangenen Rechtsstreit nicht ttig und wurden erstmals in dem Folgeprozess mit dieser Sache betraut. 5 Rn. 21–40 des Vorlagebeschlusses. 6 Rn. 41–48 des Vorlagebeschlusses. 7 Rn. 49–66 des Vorlagebeschlusses. 8 Zur Vorlagefrage s. Rn. 67–72 und den Tenor des Vorlagebeschlusses. 2 EWS Heft 1/2015 Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Losgelst vom konkreten Fall ist die dem EuGH vorgelegte Frage von grundstzlicher Tragweite, denn sie betrifft das Verhltnis zweier Fundamentalprinzipien: So streitet auf der einen Seite einer der wichtigsten Grundstze des EURechts, nmlich das Prinzip der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts (hier: des Beihilfenrechts). Auf der anderen Seite geht es um das Prinzip der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen, das sowohl im mitgliedstaatlichen Recht als auch in der Unionsrechtsordnung anerkannt ist und auf die Basis jeder Rechtsordnung zurckgeht, nmlich den Grundsatz der Rechtssicherheit.9 Der EuGH wird nun in der Rechtssache Rs. C-505/14 (Klausner Holz Niedersachsen) zu entscheiden haben, ob in einer Konstellation wie der vorliegenden die Rechtskraft eines mitgliedstaatlichen Gerichtsurteils zu durchbrechen ist.10 Nachfolgend soll zunchst auf das vom Gericht festgestellte Vorliegen einer rechtswidrigen Beihilfe und die Rechtsfolge der (Gesamt-)Nichtigkeit eingegangen werden (dazu II.). Im Schwerpunkt widmet sich dieser Beitrag sodann dem Kernproblem des Vorlagebeschlusses, d. h. der Frage der Rechtskraftdurchbrechung und der dazu bislang ergangenen Rechtsprechung des EuGH (dazu III.). Ein Fazit rundet den Beitrag ab (dazu IV.). II. Zum Vorliegen einer Beihilfe und zur Nichtigkeit 1. Feststellung der Beihilfe: konsequente Durchsetzung des Beihilfenrechts durch ein nationales Gericht Das Gericht konstatiert zunchst, dass der Vertrag Beihilfenelemente i. S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV enthlt und mangels Notifizierung gegen das Durchfhrungsverbot aus Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verstßt.11 Dabei liegt der Schwerpunkt der gerichtlichen Ausfhrungen auf der Feststellung einer Begnstigung der Klgerin am Maßstab des sog. Private-Investor-Tests,12 der hier konkret in der Variante des Private-Vendor-Tests zur Anwendung gelangt. Im Ergebnis sei bei einer Gesamtbetrachtung im Vergleich zu der Leistung des beklagten Landes die von der Klgerin zu erbringende Gegenleistung unangemessen und marktunblich, weil ein privater Holzverkufer sich auf vergleichbare Vertragsbedingungen zur berzeugung des Gerichts nicht eingelassen htte. Auch wenn die gerichtlichen Ausfhrungen zum Vorliegen einer Beihilfe durchaus lesenswert (und nach hiesiger Auffassung zutreffend) sind, so stellen sie doch lediglich eine einzelfallbezogene – und damit nur begrenzt verallgemeinerungsfhige – Analyse eines bestimmten Vertragswerks dar, die im Rahmen dieses Beitrags daher nicht weiter kommentiert werden soll. Bemerkenswert – und in der Tat von allgemeinerem Interesse – ist indes der Umstand, dass das Gericht sich insoweit bereits festlegte, als sich die Kommission in den bei ihr zu diesem Sachverhalt parallel anhngigen Verfahren13 noch nicht zum Vorliegen einer formell rechtswidrigen Beihilfe geußert hatte. Eine Antwort der Kommission auf eine entsprechende Frage des Gerichts, die dieses zuvor unter Anwendung der „Bekanntmachung der Kommission ber die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“14 (Bekanntmachung) an die Kommission gerichtet hatte, stand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung noch aus.15 Auch eine Entscheidung ber die Einleitung eines frmlichen Prfver- fahrens wurde von der Kommission bislang noch nicht gefllt. Diese Vorgehensweise des Gerichts ist nicht zu beanstanden. Im Gegenteil, sie entspricht einer pflichtgemßen und konsequenten Wahrnehmung seiner Rolle im Rahmen der Zustndigkeitsverteilung zwischen Kommission und nationalen Gerichten bei der Durchsetzung des EU-Beihilfenrechts, wie sie der EuGH beschrieben hat: Whrend fr die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt ausschließlich die Kommission (unter der Kontrolle der Unionsgerichte) zustndig ist, wachen die mitgliedstaatlichen Gerichte bis zur endgltigen Entscheidung der Kommission ber die Wahrung der Rechte der Einzelnen bei eventuellen Verstßen der staatlichen Behrden gegen das unmittelbar anwendbare Durchfhrungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV.16 Die Einzelheiten der Zusammenarbeit von Kommission und nationalen Gerichten sind insbesondere in der vorgenannten Bekanntmachung nher dargelegt. Hier hat die Kommission zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH auch die einzelstaatlichen Gerichte befugt sind, den Begriff der staatlichen Beihilfe zu interpretieren.17 Im brigen hat der EuGH zuletzt im Fall Flughafen Frankfurt-Hahn insoweit die Aufgaben der nationalen Gerichte noch einmal klargestellt und dabei danach differenziert, ob die Kommission bereits das frmliche Prfverfahren erffnet und sich dabei zur beihilfenrechtlichen Bewertung der fraglichen Maßnahme geußert hat.18 Solange dies – wie hier – nicht der Fall ist, mssen die nationalen Gerichte eine Auslegung des Art. 107 Abs. 1 AEUV vornehmen, um festzustellen, ob eine Notifizierung nach Art. 108 AEUV htte erfolgen mssen. Dabei knnen die mitgliedstaatlichen Gerichte (mssen aber nicht) die Kommission nach Abschnitt 3 der Bekanntmachung um eine Stellungnahme bitten, an die sie jedoch nicht gebunden 9 Dazu grundlegend Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europischen Union, 2009, S. 1 ff.; v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, 495 ff. und passim; aus der Rechtsprechung zuletzt etwa EuGH, 22. 12. 2010 – Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 59. 10 Im konkreten Fall hat das LG Mnster angekndigt, dass es die Klage wegen der Nichtigkeit des Vertrages abweisen wird, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass das rechtskrftige Urteil nicht zu beachten ist; Rn. 73 f. des Vorlagebeschlusses. 11 Rn. 21–40 des Vorlagebeschlusses. 12 Vgl. hierzu Khling, in: Streinz (Hrsg.), Kommentar zum EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 107 AEUV, Rn. 33 m. w. N.; Schwendinger, Gemeinschaftrechtliche Grenzen ffentlicher Rundfunkfinanzierung, 2007, 206 ff. m. w. N. 13 Der streitgegenstndliche Vertrag ist Gegenstand zweier laufender Verfahren der Kommission, die einerseits auf eine Mitteilung des Mitgliedstaats Deutschland – SA.37113 (2013/NN) – und andererseits auf eine Beihilfenbeschwerde von 25 Wettbewerbern der Klgerin – SA.37509 (2013/CP) – zurckgehen; vgl. auch Rn. 18 des Vorlagebeschlusses. 14 ABl. 2009 C 85/1. 15 Rn. 19 des Vorlagebeschlusses. 16 Vgl. EuGH, 21. 11. 2013 – Rs. C-284/12, Deutsche Lufthansa AG/Flughafen Frankfurt-Hahn, GmbH, ECLI:EU:C:2013:755, EWS 2013, 466, Rn. 28 f. m. w. N. 17 Rn. 10 der Bekanntmachung; vgl. in diesem Sinne auch EuGH, 22. 3. 1977 – Rs. 78/76, Steinike & Weinlig, ECLI:EU:C:1977:52, Slg. 1977, 595, RIW 1977, 282, Rn. 14 EuGH, 21. 11. 1991 – Rs. C-354/90, Fdration Nationale du Commerce Extrieur des Produits Alimentaires (FNCE) u. a./Frankreich, ECLI:EU:C:1991:440, Slg. 1991, I-5505, RIW 1993, 600, Rn. 10; EuGH, 11. 7. 1996 – Rs. C-39/94, SFEI u. a., ECLI:EU:C:1996:285, Slg. 1996, I-3547, Rn. 49, RIW 1996, 784, EWS 1996, 355; EuGH, 5. 10. 2006 – Rs. C-368/04, Transalpine lleitung in sterreich, ECLI:EU:C:2006:644, Slg. 2006, I-9957, Rn. 39, EWS 2006, 501, Rn. 39; EuGH Rs. C-284/12, Deutsche Lufthansa AG/Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 34 f. 18 EuGH Rs. C-284/12, Deutsche Lufthansa AG/Flughafen FrankfurtHahn GmbH, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 28 ff. Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Heft 1/2015 EWS 3 sind,19 solange (wie im vorliegenden Fall) noch keine Erffnung des frmlichen Prfverfahrens erfolgt ist.20 die Parteien des Vertrags bei Nichtigkeit der Preisvereinbarung verstndigt htten. Insofern war das LG Mnster hier nicht verpflichtet, die – ohnehin nicht verbindliche – ausstehende Stellungnahme der Kommission abzuwarten, die es fr seine Beurteilung nicht (mehr) bentigte. Da das Gericht im Ergebnis keinerlei Zweifel hatte, wie der Beihilfenbegriff auszulegen ist und dass eine Beihilfe zugunsten der Klgerin vorliegt, bestand (anders als bei der Frage der Rechtskraftdurchbrechung – dazu III.) insoweit auch keine Veranlassung fr das Gericht, den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV anzurufen.21 Die Gesamtnichtigkeit bleibt gleichwohl die Regelfolge und die Teilnichtigkeit nur in sehr begrenzten Fllen praktisch denkbar.32 Im konkret entschiedenen Fall CEPS hat der BGH zwar bei einem beihilfenrechtswidrig berhhten Kaufpreis theoretisch eine Teilnichtigkeit fr mglich gehalten, aber praktisch ausgeschlossen, da sich die Beihilfenrechtswidrigkeit mit dem Kaufpreis auf eine essentielle Vertragsbestimmung bezogen hat und ein hypothetischer Wille zur Beibehaltung des Vertrages mit einem angepassten Kaufpreis nicht erkennbar gewesen ist.33 Daran knne auch die durch die Ersetzungsklausel indizierte Beweislastumkehr, die im Zweifel fr eine Teilnichtigkeit spreche, nichts ndern. Fr sein entschlossenes und konsequentes Vorgehen gebhrt dem Gericht Anerkennung. Eine „fehlende Bereitschaft deutscher Gerichte zur Durchsetzung des Beihilferechts,“22 die im Schrifttum im Hinblick auf andere Flle (z. B. die Entscheidung des BVerwG im Fall Zweckverband Tierkrperbeseitigung23) zu Recht beklagt wird,24 braucht sich das LG Mnster jedenfalls nicht vorwerfen zu lassen. Von einer „teilweise offenen Verweigerungshaltung der deutschen Rechtsprechung gegenber dem Beihilferecht“25 oder einer „Unttigkeit der Justiz“, die den vom Unionsrecht postulierten effektiven Rechtsschutz nach Art. 108 Abs. 3 AEUV „ins Leere laufen lsst,“26 kann zumindest hinsichtlich der hier besprochenen Entscheidung des LG Mnster keine Rede sein. 2. Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit Instruktiv ist der Vorlagebeschluss zudem hinsichtlich der Anwendung der jngeren BGH-Rechtsprechung zur (Gesamt- bzw. Teil-)Nichtigkeit eines beihilfeninfizierten zivilrechtlichen Vertrages nach § 134 BGB i.V. m. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV.27 Nach einer umstrittenen Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 200328 ist die zivilrechtliche Konsequenz eines Verstoßes gegen das in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV enthaltene und unmittelbar anwendbare Durchfhrungsverbot grundstzlich die Gesamtnichtigkeit eines solchen Vertrages. In der Folge der Nichtigkeit sind derartige Vertrge rckabzuwickeln. Ziel dieser scharfen Sanktion ist es, die Wettbewerbsverzerrung, die mit einem Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV einhergeht, zu beseitigen.29 In der Literatur wurde dieser strenge Ansatz allerdings vielfach kritisiert.30 Der BGH hat auf diese Kritik reagiert und seine Rechtsprechung (unter nherer Analyse und Bercksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Judikatur) hinsichtlich der Nichtigkeit aus § 134 BGB mit Urteil vom 5. 12. 2012 im Fall CEPS31 dahingehend konkretisiert und letztlich wohl auch modifiziert, dass die Gesamtnichtigkeit eines Vertrages nach § 134 BGB nicht die zwingende Folge ist, wenn ein Vertrag nicht notifizierte Beihilfenelemente enthlt, sondern gegebenenfalls auch eine bloße Teilnichtigkeit nach § 139 BGB bzw. eine Vertragsanpassung in Betracht kommt. Dem BGH zufolge reicht es zur Beseitigung des rechtswidrigen Wettbewerbsvorteils aus, wenn vom Beihilfenempfnger die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten und dem hheren beihilfenfreien Preis zuzglich des bis zur Rckforderung entstandenen Zinsvorteils verlangt wird. Folglich knne ein Vertrag, der Beihilfen enthlt, durch Vereinbarung einer salvatorischen Klausel mit beihilfenrechtskonformem Inhalt gegebenenfalls aufrechterhalten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafr bestehen, worauf sich 19 Rn. 93 der Bekanntmachung. 20 Sofern die Kommission hingegen das frmliche Prfverfahren bereits erffnet hat und zu der vorlufigen Bewertung gelangt ist, dass die Maßnahme Beihilfenelemente enthlt, besteht nach der zitierten EuGHRechtsprechung eine Bindungswirkung, die die nationalen Gerichte verpflichtet, „alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem eventuellen Verstoß gegen die Pflicht zur Aussetzung der Durchfhrung dieser Maßnahme zu ziehen“; vgl. im Einzelnen EuGH Rs. C-284/12, Deutsche Lufthansa AG/Flughafen FrankfurtHahn GmbH, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 28 ff., insb. 42 ff.; besttigt durch EuGH, 4. 4. 2014 – Rs. C-27/13, Flughafen Lbeck GmbH/Air Berlin plc & Co. Luftverkehrs-KG, ECLI:EU:C:2014:240, EWS 2013, 466, Rn. 16 ff; zur Kritik an dieser Rechtsprechung Soltsz, NJW 2013, 3771 (3774); kritisch auch Engel, EnWZ 2014, 22 (22 ff.); Maier, BB 2014, 17; kritisch und relativierend ferner Traupel/Jennert, EWS 2014, 1 (2 ff.); ebenso Koenig, Die erste Seite, EWS 2014, Heft 1; sehr differenziert und zustimmend dagegen Martn-Ehlers, EuZW 2014, 247 (253: „konsequent und schlssig“). 21 Vgl. zu dieser Mglichkeit bzw. Verpflichtung Rn. 13 der Bekanntmachung; EuGH Rs. C-284/12, Deutsche Lufthansa AG/Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 45. 22 Martn-Ehlers, EuZW 2014, 721. 23 Dazu unten III. 24 Siehe etwa Khling, EuZW 2013, 641 f. 25 Martn-Ehlers, EuZW 2014, 247 (253). 26 Martn-Ehlers, EuZW 2014, 721 (722). 27 Rn. 41–48 des Vorlagebeschlusses. 28 BGH, 5. 7. 2007 – IX ZR 221/05, BGHZ 173, 103; BGH, 12. 10. 2006 – III ZR 299/05, WM 2006, 2274; BGH, 12. 10. 2006 – III ZR 299/05, EuZW 2003, 444 (445 ff.), BB 2006, 944; BGH, 20. 1. 2004 – XI ZR 53/ 03, EuZW 2004, 252 (253 ff.), BB 2004, 630 (Ls). 29 Dazu beispielsweise OLG Koblenz, 25. 2. 2009 – 4 U 759/07, OLGR Koblenz 2009, 491, Rn. 76 m. w. N. zur BGH-Rechtsprechung. 30 Siehe etwa Bartosch, EuZW 2008, 235 (239 f.); Fiebelkorn/Petzold, EuZW 2009, 323 und 598 m. w. N.; Wissel/Becker, EStAL 2008, 250 (254 f.); a. A. Heidenhain, EuZW 2008, 324 und grundstzlich auch Khling, ZWeR, 2004, 498 ff. 31 BGH, 5. 12. 2012 – I ZR 92/11, BGHZ 196, 254, RiW 2013, 557, Rn. 35 ff. – CEPS; vgl. auch BGH, WM 2012, 2024. 32 So kommt eine Teilnichtigkeit (1) prinzipiell dann nicht in Betracht, wenn sich die Beihilfe auf den gesamten Vertrag bezieht, wie dies z. B. bei Investitionszuschssen und Zinsvorteilen bei einem nicht darlehenswrdigen Schuldner der Fall ist. In einem solchen Fall ist die Gesamtnichtigkeit zwingende Folge. Weitere Voraussetzung einer bloßen Teilnichtigkeit ist sodann neben der Beschrnkung des Beihilfenelementes auf den Kaufpreis (oder auf vergleichbare individualisierte Vertragsbestandteile) (2), dass hinreichend erkennbar ist, worauf sich die Parteien des Kaufvertrags bei Kenntnis der EU-Beihilfenrechtswidrigkeit der Kaufpreisvereinbarung geeinigt htten. Auch die Vereinbarung einer Ersetzungsklausel fhrt insoweit nicht zu einer zwingenden Aufrechterhaltung des Vertrages, sondern lediglich zu einer Umkehrung der Vermutungswirkung aus § 139 BGB fr eine Gesamtnichtigkeit zugunsten der Annahme einer Teilnichtigkeit. 33 Siehe die Urteilsanmerkung von Bartosch, EuZW 2013, 753 (759): „Hier scheint dann das gesamte bisher errichtete Gedankengebude augenblicklich in sich zusammenzubrechen, wenn mit Hinweis auf die essentialia negotii-Figur des deutschen Vertragsrechts der Schluss gezogen wird, dass ein Gericht nicht einfach unterstellen drfe, dass die Parteien die entsprechende Vereinbarung auch zu einem hheren beihilfefreien Preis abgeschlossen htten.“ Bartosch relativiert jedoch, dass dann eine entsprechend substantiierte Darlegung eines ausnahmsweise erkennbaren entsprechenden hypothetischen Parteiwillens erforderlich ist. 4 EWS Heft 1/2015 Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Dieses BGH-Urteil wurde in der Literatur teils kritisch aufgenommen,34 teils als eine richtungweisende Entwicklung und wichtige Przisierung der bisherigen Nichtigkeitsjudikatur begrßt.35 Die praktischen Folgen dieser BGH-Entscheidung sind jedenfalls nicht unerheblich, denn nunmehr erscheint insbesondere die Aufrechterhaltung eines gegen das beihilfenrechtliche Durchfhrungsverbot verstoßenden zivilrechtlichen Vertrages im Wege einer salvatorischen Klausel grundstzlich mglich.36 Mithin muss der nationale Richter nun prfen, welche Teile eines derartigen Vertrages nichtig sind und welche Teile gegebenenfalls aufrechterhalten werden knnen, und dafr bei Vorliegen von Ersetzungsklauseln den hypothetischen Parteiwillen ermitteln.37 Dies hat das LG Mnster in seinem Vorlagebeschluss getan und dabei die neuere BGH-Rechtsprechung zwar nicht wirklich weiterentwickelt, aber zumindest folgerichtig auf den von ihm zu entscheidenden Sachverhalt angewandt, der mit dem vom BGH beurteilten Fall im Hinblick auf bestimmte vertragliche Elemente weitgehend vergleichbar ist. Dabei ist zunchst hervorzuheben, dass es sich bei der Ersetzungsklausel vorliegend um eine ganz allgemeine Klausel handelt, die derjenigen in dem vom BGH entschiedenen Fall sehr hnelt. Sie bringt insbesondere keinerlei Parteiwillen zum Ausdruck, wie mit dem Fall der Beihilfenrechtswidrigkeit konkret umzugehen ist. Darber hinaus besteht – wiederum wie in dem vom BGH entschiedenen Fall – vorliegend das Problem, dass ein Kaufpreis in unangemessener Hhe vereinbart wurde bzw. sich durch die Preisanpassungsklausel eine unangemessene Preisentwicklung ergibt, die – wie im BGH-Fall – eine Kernbestimmung des Vertrages betrifft. Im vorliegenden Fall kommt darber hinaus noch hinzu, dass nicht nur die Kaufpreisvereinbarung betroffen ist, sondern zahlreiche Begnstigungselemente im Vertrag enthalten sind, also der Vertrag als Ganzes betroffen ist.38 Aus Sicht des LG Mnster war ein hinreichend erkennbarer hypothetischer Parteiwille, welche Vereinbarung anstelle der vom Gericht fr nichtig gehaltenen Klauseln gewollt wre, nicht feststellbar, so dass eine Anpassung des Vertrags nicht erfolgen konnte.39 Dies erscheint konsequent: Der BGH hat eine richterrechtliche Vertragssubstitution auf der Basis nicht nher substantiierbarer berlegungen zum Parteiwillen schon im Fall einer bloß mit Blick auf den Kaufpreis beihilfeninfizierten Vereinbarung gerade abgelehnt. Das muss erst recht gelten, wenn – wie in dem vom LG Mnster zu entscheidenden Fall – mehrere essentielle Bestandteile des Vertrages beihilfeninfiziert sind und vollkommen offen ist, welche Regelung an deren Stelle htte treten sollen. Da mithin eine Teilnichtigkeit nach § 139 BGB nicht in Betracht kommt, gelangt der Vorlagebeschluss im Ergebnis zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags und illustriert dabei anschaulich die Umsetzung der neueren BGH-Rechtsprechung in der Praxis der Instanzgerichte. III. Zur Frage der Rechtskraftdurchbrechung Nach diesem Zwischenergebnis stellte sich das LG Mnster zu Recht die Frage, ob die Rechtskraft des im Jahr 2012 ergangenen Feststellungsurteils40 einer Klageabweisung aufgrund der Nichtigkeit des Vertrages gemß § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUVentgegensteht. Diese Frage ist bislang in der Rechtsprechung des EuGH nicht abschließend geklrt. Ausgangspunkt ist insoweit die Rechtskraftdurchbrechung im Falle EU-beihil- fenrechtlicher Verstße (dazu 1.), der jedoch in jngerer Zeit fr den Fall, dass Alternativen bestehen, die EU-beihilfenrechtlichen Ziele zu erreichen, von den Unionsgerichten ausdifferenziert wurde (dazu 2.), wobei insbesondere auch die neuere Rechtsprechung im Fall Zweckverband Tierkrperbeseitigung zu bercksichtigen ist (dazu 3.). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist der vorliegende Fall zu bewerten (dazu 4.). 1. Ausgangspunkt im EU-Beihilfenrecht: Durchbrechung der innerstaatlichen Rechtskraft Im Fall Lucchini41 hat sich der EuGH erstmals mit der Frage befasst, ob eine innerstaatliche Vorschrift, die auf die Sicherung der Rechtskraft eines Urteils abzielt, dem Gemeinschaftsrecht (jetzt: Unionsrecht) entgegensteht, wenn diese Vorschrift zur Folge hat, dass eine bestandskrftige EU-beihilfenrechtliche Rckforderungsentscheidung der Kommission (jetzt: Beschluss) behindert wird. Diese Frage hat der EuGH ohne weitere Konditionierung bejaht und dabei mit knappen Worten im Anschluss an die ausfhrliche Begrndung in den Schlussantrgen des Generalanwalts Geelhoed42 vor allem auf die „volle Wirksamkeit“ des EU-Beihilfenrechts (also die Sicherung des effet utile), die ausschließliche Zustndigkeit der Kommission zur Beihilfenkontrolle und den Vorrang des Unionsrechts abgestellt.43 In der Literatur wird angefhrt, dass gerade die ausschließliche Zustndigkeit der EU im Beihilfenrecht und die weitreichenden Exekutivkompetenzen der Kommission in diesem Bereich die scharfe Konsequenz der Rechtskraftdurchbrechung rechtfertigen.44 Auf diesen Aspekt weist im brigen auch das LG Mnster im Vorlagebeschluss ausdrcklich hin45 und lsst damit erkennen, dass es im vorliegenden Fall einer Rechtskraftdurchbrechnung zuneigt. Im brigen hat der EuGH auf die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Interpretation des innerstaatlichen Prozessrechts verwiesen,46 was gegebenenfalls auch dazu fhrt, dass entsprechende Normen auf Sachverhalte mit Unionsbezug nicht angewandt werden drfen. 34 Kainer, LMK 2013, 350127 (Ziff. 2.d: „im Ergebnis wenig befriedigend“). 35 Rdel, PharmR 2014, 141 (142); hnlich Bartosch, EuZW 2013, 753 (759). 36 So auch Kainer, LMK 2013, 350127 (Ziff. 3). 37 Rdel, PharmR 2014, 141 (142 ff.) mit Bezug auf entsprechende Klauseln fr Forschungs- und Entwicklungsvertrge; vgl. weiterfhrend zu beihilfenrechtskonformen Gestaltungsmglichkeiten und Vertragsklauseln in Auftragsforschungs- und Forschungskooperationsvertrgen Schwendinger, GRUR 2013, 447 (452 ff.); Schwendinger, EStAL 2013, 685 (693 ff.). 38 So weist das Vertragswerk u. a. asymmetrische Liefer- und Abnahmepflichten, vorteilhafte Qualittsvereinbarungen und einseitige Reduktionsmglichkeiten der Abnahmepflichten auf; vgl. Rn. 46 (und zum Vertragsinhalt im Einzelnen Rn. 3 ff.) des Vorlagebeschlusses. 39 Rn. 47 f. des Vorlagebeschlusses. 40 S. o. Fn. 2 und 3. 41 EuGH, 18. 7. 2007 – Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Slg. 2007, I-6199, EWS 2007, 405, EuZW 2007, 511, Rn. 59 ff. 42 GA Geelhoed, Schlussantrge v. 14. 9. 2006 – Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2006:576, Rn. 34 ff. 43 EuGH Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Rn. 59 ff., Rn. 61 f. 44 Siehe dazu – allerdings hinsichtlich der Voraussetzungen relativierend – insbesondere Kremer, EuR 2007, 470 (491); hnlich schon ders., EuZW 2007, 726 (729) und ebenso, auch unter Beachtung der Folgerechtsprechung seit Lucchini, Schmahl/Kber, EuZW 2010, 927 (930 ff.). 45 Rn. 72 des Vorlagebeschlusses. 46 EuGH Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Rn. 59 ff., Rn. 60. Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Dabei hatte schon GA Geelhoed in seinen Schlussantrgen im Kern auf dieselben Argumente abgestellt und zustzlich hervorgehoben, dass im innerstaatlichen Prozess die beihilfenrechtlichen Vorgaben schlichtweg außer Acht gelassen worden seien, so dass der (fehlende) Vertrauensschutz des Beihilfenempfngers allenfalls ergnzend von Bedeutung sei.47 Gleichwohl weist der Generalanwalt in diesem Zusammenhang abschließend ausdrcklich auf den verminderten Vertrauensschutz hin, den der EuGH in seiner berhmten Alcan-Rechtsprechung u. a. auch mit Blick auf die innerstaatliche Verfristung bei Rckforderungsfllen angenommen hat, so dass auch insoweit der Rckforderung nicht der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegengehalten werden kann.48 Der EuGH folgt den Schlussantrgen und hlt das von ihm erkannte zutreffende Ergebnis fr so eindeutig, dass er es – anders als der Generalanwalt49 – nicht einmal fr erforderlich hlt, auf die grundstzliche Bedeutung der Rechtskraft und seine insoweit (allerdings nicht im beihilfenrechtlichen Zusammenhang) ergangene ltere Rechtsprechung (u. a. in der Rechtssache Kapferer50) einzugehen. Stattdessen verweist er ausdrcklich auf seine stndige Rechtsprechung,51 dass das innerstaatliche Gericht, das im Rahmen seiner Zustndigkeit die Bestimmungen des Europarechts anzuwenden hat, gehalten ist, fr die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lsst.52 2. Alternative: anderweitige Mittel, EU-beihilfenrechtliche Ziele zu verwirklichen a) Rechtskraftdurchbrechung nicht stets als zwingende Folge des EU-Beihilfenrechts In einem spteren Urteil hat der EuGH verdeutlicht, dass eine Rechtskraftdurchbrechung – auch im EU-Beihilfenrecht – nicht zwingend erfolgen msse. Insoweit hat er in dem Fall eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen die Slowakische Republik darauf hingewiesen, dass dort – anders als im Fall Lucchini – die Kommissionsentscheidung ber die Rckforderung erst nach dem rechtskrftigen Urteil ergangen war.53 Angesichts dieses Umstandes hat der EuGH die besondere Bedeutung der Rechtskraft von Urteilen hervorgehoben, so dass „nicht in jedem Fall“ eine Rechtskraftdurchbrechung erforderlich sei.54 Diese Aussage des Gerichtshofs, der im brigen offen lsst, in welchen Fllen eine Rechtskraftdurchbrechung gegebenenfalls entbehrlich sein knnte, muss im Kontext seiner weiteren Ausfhrungen gesehen werden.55 So verzichtet der EuGH keineswegs auf die Notwendigkeit einer effektiven Absicherung des EU-Beihilfenrechts. Vielmehr ist der Mitgliedstaat im entschiedenen Fall im Ergebnis gerade wegen einer Verletzung des Unionsrechts verurteilt worden. Es bestanden nach innerstaatlichem Recht nmlich hinreichende – von der Slowakischen Republik jedoch augenscheinlich nicht konsequent genutzte – Mechanismen, dem Unionsrecht (trotz der Rechtskraft der betreffenden gerichtlichen Entscheidungen) zur Wirkung zu verhelfen, so dass ein Konflikt mit dem Grundsatz der Rechtskraft vermieden werden konnte. Mit anderen Worten kann aus Sicht des Unionsrechts durchaus ausnahmsweise auf die Durchbrechung der Rechtskraft verzichtet werden, wenn eine alternative (innerstaatliche) Mglichkeit besteht, eine effektive Durchsetzung des EU-Beihilfenrechts zu gewhrleisten. Eine Rechtskraft- Heft 1/2015 EWS 5 durchbrechung wrde dann nmlich ber das Ziel hinausschießen – hnlich wie auf der Rechtsfolgenseite des Beihilfenrechts eine Gesamtnichtigkeit von Vertrgen, wenn eine Teilnichtigkeit fr den effektiven Vollzug des Unionsrechts gengt.56 b) Mglichkeit anderweitiger Wege zur Herstellung eines EU-beihilfenrechtskonformen Zustands? Eine derartige Handlungsalternative besteht zunchst in der (bereits im Urteil Lucchini angefhrten) Variante, eine primrrechtskonforme Interpretation der innerstaatlichen Normen zur Rechtskraft zu erffnen.57 Sofern dies mglich ist, ergibt sich also schon gar nicht der Konflikt mit dem Grundsatz der Rechtskraft. Scheidet dies jedoch aus, ist sodann zu prfen, wie das Ziel des EU-Beihilfenrechts anderweitig (mglichst – aber nicht zwangslufig) unter Wahrung der Rechtskraft des Urteils zu erreichen ist. Wie ausgefhrt, gibt der EuGH das Ziel der effektiven Verfolgung des EU-Beihilfenrechts also keineswegs preis. Andernfalls wrde auch Umgehungen – vor allem in kollusiven Situationen (also Konstellationen, in denen Beihilfengeber und -empfnger zum Nachteil des fairen Wettbewerbs zusammenwirken) – Tr und Tor geffnet. Denn es hinge von einem entsprechenden beihilfenrechtlich relevanten Tatsachenvortrag der Parteien vor dem innerstaatlichen Zivilgericht ab, ob eine effektive Anwendung des Beihilfenrechts – einschließlich des damit verfolgten Schutzes des Wettbewerbs und der Wettbewerber des Beihilfenempfngers – erfolgt. Gerade der zuletzt genannte Aspekt ist besonders relevant, denn Wettbewerber sind an einem entsprechenden zivilgerichtlichen Verfahren regelmßig gar nicht beteiligt, wie es vorliegend auch in dem Verfahren, das dem Feststellungsurteil zugrunde liegt, der Fall war, das ausschließlich zwischen den Vertragsparteien stattfand. Wettbewerber werden oftmals von einem entsprechenden Verfahren nicht einmal Kenntnis haben. Daher knnte ein Verfahren ohne Beachtung des EU-Beihilfenrechts und ohne Beteiligung des geschtzten Personenkreises der Wettbewerber zu materiell rechtswidrigen Ergebnissen fhren, die dann eine Sperrwirkung gegenber einer spteren beihilfenrechtlich korrekten 47 GA Geelhoed Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2006:576, Rz. 75 f. 48 GA Geelhoed Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2006:576, Rz. 85, mit Hinweis auf EuGH, 20. 3. 1997 – Rs. C-24/95, Alcan/Deutschland, ECLI:EU:C:1997:163, Slg. 1997, I-1591, EWS 1997, 240, Rn. 34–37. 49 GA Geelhoed Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2006:576, Rz. 36 ff., 38. 50 EuGH, 16. 3. 2006 – Rs. C-234/04, Kapferer, ECLI:EU:C:2006:178, Slg. 2006, I-2585, EWS 2006, 171, Rn. 20 ff. 51 U. a. EuGH, 9. 3. 1978 – Rs.106/77, Simmenthal, ECLI:EU:C:1978:49, Slg. 1978, 629, RIW 1978, 533, Rn. 21–24; EuGH, 8. 3. 1979 – Rs. 130/ 78, Salumificio di Cornuda, ECLI:EU:C:1979:60, Slg. 1979, 867, RIW 1979, 859, Rn. 23–27; EuGH, 19. 6. 1990 – Rs. C-213/89, Factortame u. a., ECLI:EU:C:1990:257, Slg. 1990, I-2433, RIW 1991, 779, Rn. 19–21. 52 EuGH, Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’ Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Rn. 59 ff., Rn. 61. 53 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 57. 54 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 60. 55 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 61 unter Hinweis auf GA Cruz Villaln, Schlussantrge Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:507 (vgl. dort insb. Rz. 56 ff.). 56 Dazu oben II.2. 57 Diesen Ansatz betont auch Becker, EuZW 2012, 725 (729), der andernfalls eine Rechtskraftdurchbrechung fr geboten hlt. 6 EWS Heft 1/2015 Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Prfung durch innerstaatliche Gerichte – gegebenenfalls nach entsprechender Vorlage an den EuGH – begrnden wrde.58 In Ergnzung der soeben (siehe 1. am Ende) dargelegten Schlussantrge von GA Geelhoed wrde damit ohne Prfung der EU-beihilfenrechtlichen Vorgaben und im Wertungswiderspruch zur schrferen Alcan-Rechtsprechung59 im Ergebnis die praktische Wirksamkeit des EU-Beihilfenrechts einschließlich der Zustndigkeitszuweisung zugunsten der Kommission unterminiert.60 Auch wenn der EuGH im Fall Kommission/Slowakische Republik nicht nher ausfhrt, wann eine Rechtskraftdurchbrechung gegebenenfalls nicht erforderlich ist, gilt die Einschrnkung doch offensichtlich nur fr die Situation, dass anderweitig – also ohne Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils – ein EU-beihilfenrechtskonformer Zustand hergestellt werden kann. Ein Außerachtlassen der EU-beihilfenrechtlichen Vorgaben kommt im Ergebnis jedenfalls nicht in Betracht. Dies entspricht auch der zitierten Formulierung, dass die Rechtskraftdurchbrechung „nicht in jedem Fall“61 erforderlich sei. Gibt es keine effektiven Alternativen, um die Beihilfenrechtskonformitt zu gewhrleisten, ist demnach zum Ausgangspunkt der Rechtskraftdurchbrechung zurckzukehren. Dabei hatte in dieser Rechtsache schon GA Cruz Villaln in seinen Schlussantrgen auf die Bedeutung der „Rechtsicherheit und Gewissheit der Rechtskraft“ hingewiesen, die als Prinzip in Kollision geraten kann mit den wichtigen Unionsprinzipien des Vorrangs und der Effektivitt des Unionsrechts,62 im Ergebnis aber eine Mglichkeit gesehen, wie beide Prinzipien gewahrt werden. Idealiter wird im nationalen Recht nach Ansicht des Generalanwalts ein Verfahren der anschließenden gerichtlichen berprfung einer innerstaatlichen rechtskrftigen Entscheidung nach einer konfligierenden Entscheidung des EuGH oder der Kommission geschaffen, wie es in der betroffenen slowakischen Rechtsordnung zwischenzeitlich erfolgt sei.63 Jedenfalls stellt der Generalanwalt klar, dass das Ergebnis der Wiederherstellung eines EU-beihilfenrechtskonformen Zustands unumstßlich ist und nur hinsichtlich des Verfahrens ein mitgliedstaatlicher Spielraum besteht.64 So hat der EuGH auch im Urteil Fallimento Olimpiclub, das in der Rechtssache Kommission/Slowakische Republik sowohl vom Generalanwalt als auch vom Gerichtshof zitiert wird,65 keinen Zweifel daran gelassen, dass – insbesondere, wenn die bereits angefhrte primrrechtskonforme Interpretation der innerstaatlichen Normen zur Rechtskraft nicht zur Auflsung des (vermeintlichen) Konfliktes fhrt – im Ergebnis der Grundsatz der Rechtssicherheit (jedenfalls in der vorliegenden Konstellation) zugunsten der effektiven Anwendung des Unionsrechts zurckgedrngt wird.66 Bei Betrachtung der Auslegung des Grundsatzes der Rechtskraft im zu entscheidenden Fall ist nach Auffassung des EuGH im Ergebnis jedenfalls keine Behinderung des effet utile aufgrund von Rechtssicherheitserwgungen akzeptabel.67 Neben dem vorgenannten Urteil Fallimento Olimpiclub stellte der EuGH in der Rechtssache Kommission/Slowakische Republik68 im brigen auch den Bezug zu seiner lteren (wohlgemerkt nicht das Beihilfenrecht betreffenden) Kapferer-Rechtsprechung69 her, auf die auch das LG Mnster im Vorlagebeschluss kurz hingewiesen hatte70 und die in der Lucchini-Entscheidung71 noch unerwhnt geblieben war (dazu oben III. 1.). Dies ndert jedoch nichts daran, dass sich auch in der Rechtssache Kommission/Slowakische Republik die Rechtskraft im Ergebnis nicht durchsetzen konnte. 3. Neuere Parallelentwicklung im Fall Zweckverband Tierkrperbeseitigung Eine entsprechende Relativierung der Rechtskraft innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen ergibt sich auch vor dem Hintergrund eines anderweitigen Konflikts, der krzlich vom EuG entschieden wurde.72 Im Fall Zweckverband Tierkrperbeseitigung hatte sich ein privater Konkurrent gegen die Umlagefinanzierung durch einen entsprechenden Zweckverband gewehrt und zwar sowohl vor der nationalen Verwaltungsgerichtsbarkeit als auch mit einer Beschwerde wegen Vorliegens verbotener Beihilfen bei der Kommission. Innerstaatlich wurde seine verwaltungsgerichtliche Klage auf Rckzahlung der Umlagezahlungen fr die Vergangenheit und Feststellung fr die Zukunft, dass entsprechende Zahlungen der Genehmigung seitens der Kommission bedrften, in letzter Instanz vom BVerwG vollstndig abgewiesen. Eine Vorlage an den EuGH hielt das BVerwG in seinem rechtskrftigen Urteil vom 16. 12. 201073 trotz seiner Vorlagepflicht als letztinstanzliches Gericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht fr erforderlich. Die im Beschluss der Kommission vom 20. 7. 2010 zur Erffnung eines frmlichen Prfverfahrens zum Ausdruck gekommene gegenteilige Auffassung74 sah das BVerwG als unbegrndet an. 58 Dies ebenfalls ablehnend Becker, EuZW 2012, 725 (729). 59 EuGH Rs. C-24/95, Alcan/Deutschland, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 34 ff. 60 So wiederum auch Becker, EuZW 2012, 725 (729). 61 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 60. 62 GA Cruz Villaln Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:507, Rz. 48. 63 GA Cruz Villaln Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:507, Rz. 54; fr diesen Ansatz auch Germelmann, EuR 2010, 538 (553). 64 GA Cruz Villaln Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:507, Rz. 51, unter Hinweis auf die bereits zitierte Alcan-Rechtsprechung und die Entscheidung des EuGH, 3. 9. 2009 – Rs. C-2/08, Fallimento Olimpiclub, ECLI:EU:C:2009:506, Slg. 2009 I-7501, EWS 2008, 159, Rn. 24. 65 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 59 f. 66 EuGH Rs. C-2/08, Fallimento Olimpiclub, ECLI:EU:C:2009:506; in diesem Sinne auch Becker, EuZW 2012, 725 (729 f.). 67 EuGH Rs. C-2/08, Fallimento Olimpiclub, ECLI:EU:C:2009:506, Rn. 31. 68 EuGH Rs. C-507/08, Europische Kommission/Slowakische Republik, ECLI:EU:C:2010:802, Rn. 59 f. 69 EuGH Rs. C-234/04, Kapferer, ECLI:EU:C:2006:178, Rn. 20 f. 70 Rn. 70 des Vorlagebeschlusses. 71 EuGH Rs. C-119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Rn. 59 ff. 72 EuG, 16. 7. 2014 – Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Rheingau-Taunus-Kreis und im Landkreis Limburg-Weilburg/Kommission (Zweckverband Tierkrperbeseitigung), ECLI:EU:T:2014:676. Ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil wurde vom Zweckverband am 25. 9. 2014 eingelegt und ist beim EuGH als Rs. C-447/14 P anhngig (vgl. ABl. 2014 C 421/25). Die folgenden Ausfhrungen gehen teilweise zurck auf Khling, EuZW 2013, 641 f.; den Zusammenhang zwischen der Problematik der Rechtskraftdurchbrechung und der (bereits oben unter II. 1. a. E. angesprochenen) „teilweise offenen Verweigerungshaltung der deutschen Rechtsprechung gegenber dem Beihilferecht“ hebt auch ganz allgemein Martn-Ehlers, EuZW 2014, 247 (253), hervor; speziell wie hier den Zusammenhang zur BVerwG-Entscheidung zum Zweckverband Tierkrperbeseitigung herstellend Becker, EuZW 2012, 725 (729). 73 BVerwG, EuZW 2011, 269, mit abl. Anm. v. Donat. 74 Kommission, Beschl. v. 20. 7. 2010 ber die Staatliche Beihilfe C 19/ 2010 (ex NN 23/2010 (ex CP 21/08), Tierkrperbeseitigung – Staatliche Beihilfe fr den „Zweckverband Tierkrperbeseitigung“, ABl. 2010 C 289/8, passim und insbesondere Ziff. 117. Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Heft 1/2015 EWS 7 Die Kommission ging in ihrem Beschluss vom 25. 4. 201275 vom Vorliegen einer rechtswidrigen Beihilfe aus und ordnete die Rckzahlung der Beihilfen an. Dagegen wehrte sich der Zweckverband vor dem EuG. Auf der Grundlage des letztgenannten Kommissionsbeschlusses hat innerstaatlich das VG Trier am 8. 3. 2013 beschlossen,76 dem Eilantrag eines Umlagezahlers stattzugeben, der den Zweckverband verpflichtet, den geltend gemachten Rckzahlungsbetrag auf ein Sperrkonto einzuzahlen. Das OVG Rheinland-Pfalz besttigte dies am 10. 6. 2013.77 Sodann ist der Zweckverband mit einem Antrag auf vorlufigen Rechtsschutz gegen den Kommissionsbeschluss vom Prsidenten des EuG am 5. 7. 2013 abgewiesen worden.78 keit eines Verzichts auf die Rechtskraftdurchbrechung. Zwar bekrftigt das EuG die Rechtsprechung des EuGH, dass eine Durchbrechung der Rechtskraft angesichts der Bedeutung diese Grundsatzes nicht zwingend geboten sei, auch wenn dies eine Option zur Beseitigung des Unionsrechtsverstoßes darstellt.86 Unter Hinweis auf die Lucchini-Rechtsprechung gilt das laut EuG aber dann nicht, wenn bereits ein Erffnungsbeschluss der Kommission vorliegt.87 Außerdem verweist das EuG auf die Besonderheit im Fall Kommission/ Slowakische Republik, dass es dort um einen gerichtlichen Vergleich ging, der erst die Begnstigung begrndet hatte, was im Anschluss zur Feststellung einer rechtswidrigen Beihilfe durch die Kommission gefhrt hat. Mit Urteil vom 16. 7. 2014 hat das EuG festgestellt, dass die Rechtskraft des Urteils des BVerwG zu durchbrechen ist. Im Einzelnen weist das EuG zwar auf die spezifische Situation hin: Da ein Erffnungsbeschluss der Kommission bereits vorlag, htte das BVerwG entsprechende Maßnahmen einschließlich einer mglichen Vorlagefrage an den EuGH ergreifen mssen.79 Viel weiter greifend hebt das EuG jedoch die begrenzte Rechtskraft und auch den begrenzten Vertrauensschutz gegenber innerstaatlichen Urteilen hervor, wenn eine Maßnahme nicht notifiziert worden ist und daher keine beihilfenrechtliche Kontrolle erfolgt ist. In Bezug auf den Vertrauensschutz fhrt das EuG aus, dass dieser nur sehr begrenzt mglich ist, sofern nicht die Zehnjahresfrist nach Art. 15 Abs. 1 der Beihilfen-Verfahrensordnung der EU Nr. 659/199980 abgelaufen ist.81 Außerdem verweist das EuG auf die Alcan-Rechtsprechung und hebt hervor, dass ein sorgfltiger Gewerbetreibender kein schtzenswertes Vertrauen auf eine rechtswidrige Beihilfengewhrung hat, sofern kein Notifizierungsverfahren durchgefhrt wurde.82 Sodann hlt das EuG es zwar fr grundstzlich mglich, dass ein Vertrauensschutz im Rahmen der innerstaatlichen Beihilfenrckforderung geltend gemacht wird. Dies sei jedoch nur auf der Basis einer entsprechenden innerstaatlichen gerichtlichen Befassung unter gegebenenfalls erforderlicher Einschaltung des EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens mglich.83 Wichtig ist sodann die allgemeine und sehr weitreichende Feststellung, dass ein unionsrechtswidriges Verhalten durch eine zustndige Stelle keinen Vertrauensschutz begrnden knne. Denn diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die mitgliedstaatlichen Behrden, sondern auch auf die nationalen Gerichte.84 Schließlich verweist das EuG die Klger auch darauf, etwaige Rechtskrafteinwnde im Rahmen der Abwehr einer nationalen Rckforderungsentscheidung geltend zu machen, so dass dann wiederum die anschließend befassten nationalen Gerichte (gegebenenfalls nach Vorlage von Auslegungsfragen an den EuGH) alle Einzelfallumstnde bercksichtigen knnen88 – und insbesondere wohl auch andere Wege identifizieren knnen, die EU-Rechtskonformitt herzustellen, ohne die Rechtskraft eines Urteils zu durchbrechen. D. h. also, dass im Ergebnis kaum Fallkonstellationen denkbar sind, die letztlich dazu fhren, dass jenseits der Verjhrungsfrist und eines von der Kommission selbst evozierten Vertrauensschutzes mitgliedstaatliches Handeln durch Behrden und Gerichte einen Vertrauensschutz begrndet, der einen EU-beihilfenrechtswidrigen Zustand legitimiert. Das steht letztlich im Einklang mit der Alcan-Rechtsprechung des EuGH. Der anschließende Hinweis des EuG auf den bereits erfolgten Erffnungsbeschluss der Kommission mndet in die abermalige Feststellung, dass das BVerwGUrteil kein berechtigtes Vertrauen zu begrnden vermag,85 wobei angesichts der vorangegangenen Ausfhrungen der vorhandene Kommissionsbeschluss insoweit eher ein das Ergebnis bekrftigendes Element darzustellen scheint denn eine notwendige Bedingung. Weniger eindeutig sind die weiteren Hinweise zum Grundsatz der Rechtssicherheit und zur Frage der Rechtskraftdurchbrechung. Hier relativiert das EuG wohl die im Fall Kommission/Slowakische Republik vorgesehene Mglich- Dabei ist jeder Fall individuell zu betrachten, aber jedenfalls ein Verzicht auf die effektive Durchsetzung des EU-Beihilfenrechts ausgeschlossen. 4. Folgerungen aus der Rechtsprechung der Unionsgerichte im vorliegenden Fall Der EuGH geht im Ausgangspunkt nach wie vor davon aus, dass die Rechtskraft eines innerstaatlichen Urteils zur Vermeidung eines EU-beihilfenrechtlichen Verstoßes zu durchbrechen ist. Die Rechtsprechung des EuGH ist weiterhin so zu verstehen, dass ein Absehen von der Rechtskraftdurchbrechung eines innerstaatlichen Urteils letztlich nur dann mglich ist, wenn anderweitig ein EU-beihilfenrechtskonformer 75 Kommission, Beschl. v. 25. 4. 2012 ber die staatliche Beihilfe SA.25051 (C 19/2010) (ex NN 23/2010), die Deutschland zugunsten des Zweckverbands Tierkrperbeseitigung in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Rheingau-Taunus-Kreis und im Landkreis Limburg-Weilburg gewhrt hat, C(2012) 2557 endgltig. 76 VG Trier, 8. 3. 2013 – 1 L 83/13.TR. 77 OVG Rheinland-Pfalz, 10. 6. 2013 – 6 B 10351/13, DV 2013, 783. 78 Prsident des EuG, 5. 7. 2013 – Rs. T-309/12 R, Zweckverband Tierkrperbeseitigung/Kommission, ECLI:EU:T:2013:347. 79 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 234 und auch Rn. 239 f. 80 ABl. 1999 L 83/1; zuletzt gendert durch Verordnung (EU) Nr. 734/ 2013, ABl. 2013 L 204/15. 81 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 233. 82 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 236. 83 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 237. 84 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 238: „Jedenfalls kann das unionsrechtswidrige Verhalten einer fr die Anwendung des Unionsrechts zustndigen nationalen Stelle kein berechtigtes Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers darauf begrnden, in den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung zu kommen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 4. 10. 2007, Kommission/Italien, C217/06 … [ECLI:EU:C:2007:580], Rn. 23 und die dort angefhrte Rechtsprechung).“ 85 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 241. 86 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 243 f. 87 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 246. 88 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung, ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 247. 8 EWS Heft 1/2015 Khling/Schwendinger, Rechtskraftdurchbrechung durch EU-(Beihilfen-)Recht Zustand hergestellt werden kann. Ist dies nicht mglich, bleibt es bei der Rechtskraftdurchbrechung. Ein Außerachtlassen der EU-beihilfenrechtlichen Vorgaben angesichts der Rechtskraft eines innerstaatlichen Urteils ist jedenfalls aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht ableitbar. Mit diesen Grundstzen hat der Luxemburger Gerichtshof eine ausgewogene Rechtsprechungslinie entwickelt. In der Folge stellt sich die Frage, ob die Situation im Vorlageverfahren des LG Mnster eher vergleichbar ist mit der Entscheidung im ersten (Lucchini), im zweiten (Kommission gegen Slowakische Republik) oder im dritten Fall (Zweckverband Tierkrperbeseitigung). Fr eine Vergleichbarkeit mit der zweiten Entscheidung spricht der Umstand, dass das innerstaatliche Urteil vor einem etwaigen Beschluss der Kommission ergangen ist, der hier noch nicht vorliegt. Allerdings ist angesichts der Bedeutung der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts fraglich, ob der bloßen Reihenfolge entscheidendes Gewicht beizumessen ist.89 Zudem ist vorliegend wiederum die Besonderheit zu beachten, dass zwar schon der Vertrag gegen das EU-Beihilfenrecht verstßt, es aber gerade faktisch noch nicht zu einer umfassenden materiell-rechtlichen Begnstigung gekommen ist, da der Vertrag noch nicht vollstndig vollzogen wurde. Dies spricht fr eine Relativierung des Grundsatzes der Rechtskraft des innerstaatlichen Urteils im Sinne der ersten (Lucchini) und dritten Entscheidung (Zweckverband Tierkrperbeseitigung): Der weitere Vollzug des Vertrages vertieft den Beihilfenverstoß und es geht nicht nur um eine Beseitigung eines ohnehin schon eingetreten Verstoßes. Daher spricht die bisherige Luxemburger Rechtsprechung zunchst einmal grundstzlich dafr, vorliegend eine EUprimrrechtskonforme Interpretation des deutschen Prozessrechts90 dahingehend vorzunehmen, dass in Bezug auf das 2012 gefllte Feststellungsurteil eine Rechtskrafterstreckung auf die Frage einer Nichtigkeitsbeurteilung gemß § 134 BGB i. V. m. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV nicht erfolgt. Andernfalls msste der Mitgliedstaat – einschließlich seiner Gerichte – in allen weiteren Vorgehensweisen und anhngigen Gerichtsverfahren entweder eine Rechtskraftdurchbrechung zulassen oder andere Maßnahmen ergreifen, um einen Beihilfenverstoß in der Sache zu vermeiden. Es ist aber nicht erkennbar, wie Letzteres anders als dadurch erfolgen knnte, dass vom weiteren Vollzug des – wie angefhrt umfassend – beihilfeninfizierten Vertrags abgesehen wird, so dass wiederum die Rechtskraftdurchbrechung die Konsequenz wre. Das LG Mnster sah im vorliegenden Fall in einer EU-primrrechtskonformen Interpretation des deutschen Prozessrechts91 keinen gangbaren Weg. Hierbei ist zu bedenken, dass die Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte zur unionsrechtskonformen Auslegung ihre Grenze in der Auslegungsfhigkeit des nationalen Rechts findet. Die europarechtskonforme Auslegung muss nach mitgliedstaatlichem Recht eine vertretbare Lsung darstellen, da die Gerichte andernfalls rechtsschpferisch ttig und in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers eingreifen wrden. Sie findet damit ihre Begrenzung vor allem im Wortlaut einer deutschen Rechtsnorm, der – auch unter Beachtung der brigen Auslegungsregeln – nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf.92 Das LG Mnster prfte ausfhrlich die im deutschen Recht normierten Ausnahmen von der Rechtskraft, die in den §§ 578 bis 580,93 36 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6, 233, 321a, 323 und 324 ZPO sowie § 826 BGB geregelt sind. Dabei gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass diese Normen smtlich nicht geeignet seien, um in dem vorliegenden Verfahren zu einer Durchbrechung der Rechtskraft zu fhren, und hielt zusammenfassend fest, dass das deutsche Recht keine Mglichkeit vorsehe, das rechtskrftige Feststellungsurteil zwischen den Parteien abzundern oder aufzuheben.94 Dieser Befund basiert auf der Auslegung und Anwendung nationalen Rechts durch das mitgliedstaatliche Gericht. Er ist demgemß vom EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nicht zu berprfen, sondern muss vom Gerichtshof zwingend zugrunde gelegt werden bei der Beantwortung der ihm vorgelegten unionsrechtlichen Auslegungsfrage, ob das Gebot der effektiven Durchsetzung des EU-Beihilfenrechts in einem Fall wie dem vorliegenden eine Durchbrechung der Rechtskraft erfordert. Insgesamt bestehen vorliegend keine berzeugenden Grnde dafr, dass vor dem Hintergrund der EU-Beihilfenrechtswidrigkeit des noch nicht vollstndig vollzogenen Vertrages ein Vertrauensschutz auf einen nunmehr erfolgenden weiteren Vollzug des materiell unionsrechtswidrigen Vertrages greift. Das gilt gerade auch unter dem Blickwinkel eines effektiven Schutzes der Wettbewerber, die an dem vorangegangenen Zivilrechtsstreit nicht beteiligt waren. Ebenso wenig sind berzeugende Grnde dafr ersichtlich, dass das unionsrechtswidrige Verhalten der fr die Anwendung des Unionsrechts zustndigen mitgliedstaatlichen Stellen (ffentliche Hand als Vertragspartnerin beim Vertragsschluss; innerstaatliches Gericht im rechtskrftig abgeschlossenen Verfahren) „den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung“ (EuG95) bzw. ein unionsrechtswidriges Verhalten des zustndigen innerstaatlichen Gerichts im laufenden oder in knftigen Verfahren (unter Ausblendung des EU-Beihil89 Daran zweifelt auch das LG Mnster und fhrt aus: „Gewichtiger als die Reihenfolge der einzelnen Entscheidungen knnte aus Sicht der Kammer der Gegenstand des Rechtsstreits sein. Hier ist ein vollharmonisierter Bereich mit ausschließlichen Kompetenzen der Unionsorgane betroffen, nmlich das Europische Beihilfenrecht“, Rn. 72 des Vorlagebeschlusses. 90 Siehe dazu allgemein die entsprechende Aufforderung bei Germelmann, EuR 2010, 538 (553). 91 Darauf, dass diese grundstzliche Mglichkeit besteht, hatte das beklagte Land das LG Mnster ausdrcklich hingewiesen. 92 Vgl. EuGH, 16. 6. 2005 – Rs. C-105/03, Maria Pupino, ECLI:EU:C: 2005:386, Slg. 2005 I-5285, EWS 2005, 405, Rn. 60 f.; EuGH Rs. C119/05, Ministero dell’Industria, del Commercio e dell’Artigianato/ Lucchini SpA, ECLI:EU:C:2007:434, Rn. 59 ff., Rn. 60; BGH, 9. 4. 2002 – XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881 (1882 f.); v. Unger, NVwZ 2006, 46 (47 f.); Jarass, EuR 1991, 211 (217); Langenfeld, DV 1992, 955 (965); zuletzt Khling, JuS 2014, 481 (484 f.). 93 Der in der Literatur erwogene Weg einer primrrechtskonformen Auslegung des § 580 Nr. 6 (und gegebenenfalls Nr. 7) ZPO dahingehend, dass ein Restitutionsgrund angesichts eines Verstoßes gegen das Unionsrecht vorliegt, drfte jedenfalls in der vorliegenden Situation wenig zielfhrend sein, in der die Beihilfenverstße ja erst durch den weiteren Vertragsvollzug bzw. durch das Aussprechen von haftungsrechtlichen Sanktionen generiert werden; siehe dazu und zu weiteren Optionen allgemein Schmahl/Kber, EuZW 2010, 927 (932) m. w. N., die diesen Weg im Ergebnis als gangbar ansehen, aber auch auf die gegenlufigen Argumente und Literaturansichten verweisen; vgl. dazu auch den Hinweis bei Becker, EuZW 2012, 725 (730). Ganz allgemein spricht dabei einiges dafr, die fr eine vom EGMR festgestellte Verletzung der EMRK bereits vorgesehene Mglichkeit einer Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO unter engen Voraussetzungen auch auf das Unionsrecht zu bertragen (vgl. die vorgenannten Hinweise). Idealerweise sollte allerdings vom Gesetzgeber ein Verfahren der anschließenden gerichtlichen berprfung einer innerstaatlichen rechtskrftigen Entscheidung nach einer konfligierenden Entscheidung des EuGH oder der Kommission geschaffen werden. 94 Rn. 54–66 des Vorlagebeschlusses. 95 EuG Rs. T-309/12, Zweckverband Tierkrperbeseitigung ECLI:EU:T: 2014:676, Rn. 238 m. w. N. Frenz, TTIP, Klimaschutz und Beschftigungsprogramm fenrechts) rechtfertigt. Daher wre es auf der Basis der bisherigen Rechtsprechung konsequent, wenn der EuGH auf die Vorlagefrage hin antwortet, dass in der vorliegenden Situation eine Rechtskraftdurchbrechung zwingend erforderlich ist, wenn – wie das LG Mnster deutlich gemacht hat – keine anderweitigen Mglichkeiten bestehen, einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen. IV. Fazit Der EuGH hat fr die effektive Durchsetzung des Unionsrechts traditionell nicht vor scharfen Eingriffen in die Grundstze der nationalen Rechtsordnung Halt gemacht. Gerade das EU-Beihilfenrecht bietet dafr besonderes Anschauungsmaterial. Paradigmatisch ist insoweit wiederum die seinerzeit hoch umstrittene, inzwischen aber allseits anerkannte Alcan-Rechtsprechung zur Verdrngung nationalen Rechts, das einer effektiven Rckforderung unionsrechtswidrig vergebener Beihilfen entgegensteht. Vertrauensschutzgesichtspunkte konnten sich nicht durchsetzen. Europarecht hat man zu kennen und zu wahren! Im Ergebnis waren der Respekt vor dem Unionsrecht und sein effektiver Vollzug die Konsequenz der Judikatur. Betraf die AlcanRechtsprechung noch das Vertrauen in die Verwaltung, so betrifft eine etwaige Rechtskraftdurchbrechung die noch heiklere Frage des Vertrauens in vermeintlich rechtskrftige innerstaatliche Urteile. Unter Rechtssicherheitsgesichtspunkten ist eine Rechtskraftdurchbrechung ohne Zweifel eine problematische Konsequenz, deren genaue Reichweite sorgfltig determiniert werden muss. Aber auch hier gilt der Heft 1/2015 EWS 9 Grundsatz, dass die Gerichte das Europarecht zu kennen und zu wahren haben. Zu Recht hat sich das EuG im Fall Zweckverband Tierkrperbeseitigung daher selbst von einem rechtskrftigen Urteil des BVerwG nicht abschrecken lassen, das die Wirkkraft des Unionsrechts trotz gegenteiliger Einschtzung der bereits befassten Kommission zu unterminieren versuchte. hnliches muss in Konstellationen gelten, in denen innerstaatliche Zivilgerichte auch ohne eine Befassung der Kommission EU-beihilfenrechtliche Aspekte ausblenden. Ein Vollzug unionsrechtswidriger Vertrge kann nicht – auf derartige Urteile gesttzt – sehenden Auges das EU-Beihilfenrecht verletzen. Daher wre es konsequent, wenn der EuGH auch insoweit feststellt, dass eine Rechtskraftdurchbrechung erforderlich ist, wenn – wie vom LG Mnster fr den vorliegenden Fall ausdrcklich klargestellt – nach nationalem Recht kein alternatives Mittel zur Wahrung des Unionsrechts besteht. Zudem wre es wnschenswert, wenn der EuGH zugleich deutlicher macht, wie weit die Rechtsprechung zur Rechtskraftdurchbrechung den materiell-rechtlichen und kompetentiellen Besonderheiten des Beihilfenrechts geschuldet ist und wie weit sie auch fr andere Bereiche gilt.96 96 In der Entscheidung Fallimento Olimpiclub (EuGH Rs. C-2/08, ECLI:EU:C:2009:506, s. bei Fn. 63 ff.) ging es um eine steuerrechtliche Problematik. Insoweit drfte eher von der Tendenzaussage auszugehen sein, dass eine Rechtskraftdurchbrechung umso eher notwendig ist, je strker die europarechtliche berformung bzw. ein Zustndigkeitsbereich der Union betroffen ist; so zutreffend Wagner, ZEuS 2014, 211 (224 ff. und 227). Univ.-Prof. Dr. jur. Walter Frenz, Matre en Droit Public, Aachen* TTIP, Klimaschutz und Beschftigungsprogramm: Handels-, Industrie-, Arbeits- und Umweltpolitik in der Gemengelage Die aktuelle Diskussion um ein Beschftigungsprogramm in Hhe von 300 Mrd. Euro in der EU stellt die Frage nach der Reichweite der Industriepolitik. Schließlich sind es ja die Industrieunternehmen, deren Investitionen angestoßen werden sollen, um Arbeitspltze zu schaffen. Ein weiterer aktueller Bezugspunkt ist die Diskussion um TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership): Handelt es sich dabei, wenn die EU ratifiziert, um Handels- oder um Industriepolitik? Die Notwendigkeit der Abgrenzung zeigt sich nicht zuletzt im Vorgehen von Vattenfall, das im Hinblick auf seinen Rckzug aus dem Braunkohlentagebau in Ostdeutschland auch die Abgrenzung zur Umweltpolitik aktuell werden lsst. I. Der Fall Vattenfall und TTIP Vattenfall macht Ansprche gegen die Bundesrepublik Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht gelPowered by TCPDF (www.tcpdf.org) tend, nmlich dem ICSID-Schiedsgericht der Weltbank in Washington (International Centre for Settlement of Investment Disputes). Das Unternehmen verlangt Ersatzzahlungen fr frhzeitig stillgelegte Kernkraftwerke. Basis ist der Energiecharta-Vertrag, der seit 1998 gltig ist und auslndische Investoren im Energiesektor vor Diskriminierung schtzen will. Demgegenber sind die nationalen Unternehmen notwendig auf Klagen vor deutschen Gerichten beschrnkt. Damit nutzt Vattenfall die einem internationalen Konzern zustehenden Mglichkeiten. Genau dies ist der Kritikpunkt an TTIP: Statt die nationale Gerichtsbarkeit anzurufen, knnen sich international ttige Gesellschaften an eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit wenden. Daraus wird in der politischen Diskussion u. a. gefolgert: „Die Vattenfall-Klage zeigt erneut, dass Freihandelsabkommen mit weitreichen* Mehr ber den Autor erfahren Sie auf S. IV.