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Graf Recke Stiftung
2013
3
Grußwort
von Dr. Reinhard Frhr. v. Dalwigk,
Präses des Kuratoriums der Graf Recke Stiftung.
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Attraktivität weiterentwickeln
Vorwort des Vorstands.
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Zahlen und Fakten
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Spenden- und Förderbericht
22»Wir müssen die Menschen befähigen!«
Ein Podiumsgespräch mit leitenden Mitarbeitenden.
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Was ist ein guter Arbeitgeber?
Ein Impulsreferat von Prof. Christian Schrapper
beim Neujahrs­empfang 2014.
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Adieu und vielen Dank!
Pfarrer Ulrich Lilie verlässt die Graf Recke Stiftung.
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»Mein Chef sieht super aus!«
An dieser Antwort auf die Frage nach der Arbeitgeberattraktivität lässt sich der Kern des Themas wunderbar erkennen.
Erziehung & Bildung
»Hier fühle ich mich als Mensch«
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Die Integrationshelfer des Familien
unterstützenden Dienstes (FuD).
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Vorbild Graf Recke
Karrieren gehen oft eigenartige Wege.
»Bei uns gibt es reale Aufstiegschancen«
Gabriele Trojak-Künne über den Arbeitsmarkt Jugendhilfe.
Den großen Schatz genießen
Der Quellengrund in Wuppertal ist der östlichste Standort
der Graf Recke Erziehung & Bildung.
»Wir sind immer die, die weit reisen müssen.«
Die Intensivwohngruppe Waisenhausstraße
in Mönchengladbach-Rheydt.
Ein alter Recke
Wolfgang Richter ist seit 26 Jahren bei der Stiftung.
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»Es ging mir immer um Gerechtigkeit.«
Die Sonderschullehrerin Barbara Murakami
­erzählt von ihren Erfahrungen.
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Eine Rückkehr voller Stolz
Stefan Heil kehrt auf ungewöhnliche Weise
in seine Wohngruppe zurück.
Auf dem Weg in die Leitung
Ein neuer Studiengang in der Jugendhilfe.
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
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Ein gutes Team
Wie sich Mitarbeiter im Sozialpsychiatrischen
Verbund vor Burn-Out schützen.
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Neues lernen, Haltung reflektieren
Wie Mitarbeiter berufliche Fort- und
Weiterbildung sehen.
Wohnen & Pflege
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Ein gutes Beispiel für Integration
Ida Nikolenko ist mit 60 Jahren noch einmal
Auszubildende geworden.
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»Das Haus Berlin ist mein Paradies«
Ein Haus, drei Mitarbeitende,
drei ganz individuelle Geschichten.
Die zweite Chance
Über Umwege in den Traumberuf.
Dr. R. Frhr. v. Dalwigk, Präses des Kuratoriums der Graf Recke Stiftung
Grußwort
Liebe Leserinnen und Leser,
Arbeitgeberattraktivität ist der Schwerpunkt
unseres Jahresberichtes 2013. Dieses Thema entwickelt sich vor dem Hintergrund der aktuellen
demografischen Entwicklung und des allerorten
konstatierten Fachkräftemangels zu einer immer
drängenderen Frage. Denn attraktive Arbeitgeber
finden leichter passende Bewerber und erzielen
eine hohe Verbundenheit ihrer Mitarbeitenden
und können sich auf einem hart umkämpften Arbeitsmarkt so besser positionieren.
Und auch und gerade für die bereits in unserem Unternehmen
tätigen Mitarbeitenden ist die Arbeitgeberattraktivität von
hoher Wichtigkeit. Denn nur motivierte Mitarbeitende, die mit
Überzeugung für ihren Arbeitgeber einstehen, können die anspruchsvollen und manchmal auch schwierigen Aufgaben der
Stiftung wirklich gut meistern.
Vorstand und Aufsichtsgremien sind dazu da, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, permanent zu überprüfen und
stetig weiter zu entwickeln. Gerade in Zeiten von Veränderungen, die mit unseren Plänen für die Neuentwicklung der beiden
großen Areale in Wittlaer und Hilden einhergehen, ist es wichtig, Vertrauen und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden spürbar werden zu lassen. Denn vor dem Hintergrund der
auf gesellschaftlicher und politischer Ebene viel diskutierten
neuen Konzepte und Rahmenbedingungen für unsere großen
Geschäftsfelder Erziehung & Bildung, Wohnen & Pflege und
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik dürfen wir nicht vergessen,
welche von hoher Kompetenz und Fachlichkeit geprägte engagierte Arbeit unsere Mitarbeitenden jeden Tag in unseren Einrichtungen leisten. Ich möchte es an dieser Stelle deshalb nicht
versäumen, den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden
unserer Stiftung noch einmal ausdrücklich Dank zu sagen für
ihre unverzichtbare Arbeit.
Der Jahresbericht würdigt dieses Engagement auch vor
dem Hintergrund der Frage: Was erwarten die Mitarbeitenden
von uns als Arbeitgeber? Ich wünsche Ihnen eine anregende
Lektüre und grüße Sie, liebe Leserinnen und Leser, herzlich im
Namen des Kuratoriums der Graf Recke Stiftung.
Graf Recke Stiftung
3
Ulrich Lilie, Theologischer Vorstand
Attraktivität
weiterentwickeln
Liebe Leserinnen und Leser,
in einer kleinen internen anonymen Abfrage zu
Beginn dieses Jahres haben wir einige leitende
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stiftung
gefragt, welche Kriterien sie zur Beurteilung der
Attraktivität eines Arbeitgebers anlegen würden.
Mehrheitlich entschieden sich die Mitarbeitenden
für diese Gesichtspunkte: Auf Platz eins landete
das Kriterium »selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten«, der verständliche Wunsch
nach einem unbefristeten Arbeitsplatz sowie das
durchgängig für erforderlich gehaltene »Vertrauen
der Vorgesetzten« markierten die Plätze zwei und
drei.
»Soft Skills« wie Arbeitsatmosphäre, Kommunikation und das förderliche Verhalten von Vorgesetzten sind Mitarbeitenden in der sozialen Arbeit
offensichtlich genauso wichtig, wie die sogenannten »harten Kriterien« tarifliche Entlohnung und
Altersvorsorge (Platz sieben).
In diesem Jahresbericht stellen wir Ihnen unsere Überlegungen und Initiativen vor, mit denen
wir die Attraktivität der Graf Recke Stiftung als
Arbeitgeber stärken und weiter entwickeln wollen. Dabei leitet uns eine Grundüberzeugung: In
der täglichen Begleitung, der Pflege und Beratung
unserer Bewohnerinnen und Klienten prägen
unsere motivierten und gut qualifizierten haupt-
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Graf Recke Stiftung
Petra Skodzig, Finanzvorstand
und ehrenamtlichen Mitarbeitenden mit ihrem tagtäglichen
Einsatz das Gesicht der Graf Recke Stiftung. Mit der gerade neu
gewählten Gemeinsamen Mitarbeitervertretung, den Geschäftsbereichsleitungen, externen Fachleuten und nicht zuletzt unseren Mitarbeitenden selber wollen wir dafür Sorge tragen, dass
Wertschätzung, Fehlerkultur und Vertrauen die durchgängigen
Erfahrungen sind, die Mitarbeitende mit der Führungskultur in
unserer Stiftung sammeln können.
Selbstverständlich sind bei uns trotz längst nicht mehr kostendeckender Erlöse ein kirchlicher Tarif inklusive einer Jahressonderzahlung und eine entsprechende Alterszusatzversorgung.
Wir setzen uns sehr dafür ein, dass das so bleiben kann. Nicht
zuletzt stehen hier die öffentlichen Kostenträger in einer Mitverantwortung dafür, dass Berufe in der sozialen Arbeit und in
der Pflege die Anerkennung und Attraktivität erhalten, die sie
nicht nur bei Sonntagsreden verdienen. Angesichts des demografischen Wandels, der Zunahme von psychischen Erkrankungen sowie der ständig steigenden Bedarfe in der Begleitung von
Kindern und Jugendlichen mit besonderen Förderungsbedarfen
liegen hier große gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Aber auch
unsere Anstrengungen und Ideen sind gefragt.
Gute Weiterbildungs-, Aufstiegs- und Qualifizierungschancen,
familienfreundliche Arbeitszeiten und eine Arbeitsplatz­gestaltung
zum Beispiel in der Pflege, die eine lange Erwerbsbiografie im
­Pflegeberuf erst möglich macht – dafür treten wir ein, daran ar­
beiten wir.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und freuen uns
über Ihre Anregungen und Ideen!
Mit herzlichen Grüßen aus der Graf Recke Stiftung
Graf Recke Stiftung
5
603
Mitarbeiter
Erziehung & Bildung
372
Mitarbeiter
Wohnen & Pflege
28
55
Mitarbeiter Kitas
Mitarbeiter
Graf Recke Schulen
135
Mitarbeiter
Haus Berlin
gGmbH
237
Mitarbeiter
Sozialpsychiatrie &
Heilpädagogik
35
6
1.544
79
Gesamtzahl
der Mitarbeiter
Mitarbeiter
DIFS GmbH
Graf Recke Stiftung
Mitarbeiter
Stiftungsverwaltung
Alle Werte basieren auf der durchschnittlichen
Zahl der Arbeitnehmer im Jahr 2013.
Dennis Fröhlen, Leiter der Stabsstelle Fundraising, berichtet:
Spenden- und Förderbericht
der Graf-Recke-Gruppe für das Jahr 2013
Im Geschäftsjahr 2013 wurde die erfolgreiche Entwicklung in der Graf Recke Stiftung im Bereich des Fundraising
fortgesetzt. Die Stiftung konnte erfolgreich Spenden, Zuwendungen und Fördermittel von Privatpersonen, Firmen,
fördernden Stiftungen, Banken und Sparkassen und Soziallotterien einwerben.
Mit Fundraising will die Graf Recke Stiftung die Arbeiten ermöglichen, die weit über die Erstattung von Kostenträgern hinausgehen und somit das Besondere und Einzigartige schaffen.
In der gesamten Stiftung konnten im Jahr 2013 159.811,14 Euro
eingeworben werden und direkt den Projekten zufließen.
Dabei entfielen auf den Geschäftsbereich Erziehung & Bildung­ 72.775,43 Euro, den Geschäftsbereich Wohnen & Pflege
76.752 Euro und auf den Geschäftsbereich Sozialpsychiatrie &
Heilpädagogik 350 Euro. Auf die Stiftungsverwaltung entfielen
6.236,30 Euro. Für die Graf-Recke-Kindertagesstätten gemeinnützige GmbH konnten 3.697,41 Euro eingeworben werden. ­
Der Wert der Sachspenden summiert sich auf 2.701,49 Euro.
Im Bereich des gesellschaftlichen Engagements von Firmen
sind insbesondere das Engagement der Ford Werke aus Köln und
der Provinzial Versicherung Rheinland mit dem Programm »Pro
Ehrenamt« hervorzuheben. 14 Mitarbeiter aus den Ford Werken
in Köln haben mit hohem Engagement im September 2013 das
Freizeitcafé auf dem Campus Hilden wieder auf Vordermann
gebracht. Die Provinzial Versicherung Rheinland hat im Jahr 2013
der Graf Recke Stiftung zwei Torwände gespendet und sich mit
drei Ehrenamtstagen engagiert. Dabei strichen die Versicherungsmitarbeitenden unter anderem den Pferdestall in Hilden, darüber
hinaus installierten sie einen Sinnesparcours in der Kita an der
Graf Recke Kirche sowie eine Zahlenstrecke für Jung
und Alt für die Kita im Walter-Kobold-Haus.
Dank der Förderung der Aktion Mensch mit dem
Programm »miteinander gestalten« konnte im DGSTreff im Jahr 2013 ein Inklusion Dance Challenge
veranstaltet werden. Hier tanzten hörende und hör­
eingeschränkte Jugendliche und junge Erwachsene
im Hauptbahnhof in verschiedenen Kategorien um
die Wette. //
Spendenkonto
KD-Bank eG Dortmund, BIC GENODED1KDB
IBAN DE44 1006 1006 0022 1822 18
Dennis Fröhlen, Leiter der Stabsstelle Fundraising:
Telefon 0211. 940 08-184
[email protected]
Graf Recke Stiftung
7
»Hier
8
Erziehung & Bildung
Stefan Pannenbecker sagt:
»Die Arbeit mit behinderten Menschen
hat mich schon immer fasziniert.«
fühle ich mich
als Mensch«
Sie arbeiten an Schulen, Kindergärten oder in Familien.
Sie begleiten ihre Schützlinge durch den Alltag und helfen
ihnen über die vielen Hürden des Lebens: die Integrationshelfer des Familien unterstützenden Dienstes (FuD) der Graf
Recke Stiftung. Mit wem identifizieren sie sich? Mit ihren
Kindern oder Jugendlichen? Mit der Schule oder dem Kindergarten, an dem sie arbeiten? Oder doch mit ihrem Arbeitgeber? Wie nehmen sie ihn wahr und was bedeutet er ihnen?
Eine Rundreise auf der Suche nach der Antwort auf die Frage
Von Roelf Bleeker-Dohmen und Greta Buschhaus
Tanja Arndt war erschrocken. Darüber, »wie groß die Graf Recke
Stiftung ist«. Eine Freundin, die bereits beim Familien unterstützenden Dienst der Graf Recke Stiftung arbeitete, hatte ihren
Arbeitgeber weiterempfohlen. »Ich kannte die Stiftung vorher
nicht und habe sie dann gegoogelt«, berichtet die 40-jährige
gelernte Arzthelferin. Aber der Schreck wich sehr schnell der
positiven Überraschung: »Als ich auf der Internetseite gesehen
habe, wie viele Bereiche die Stiftung abdeckt, fand ich das klasse
und superinteressant.«
Erziehung & Bildung
9
Tanja Arndt meint:
»Es ist ein absoluter Luxus,
so gern zur Arbeit zu gehen«
Großer Träger – große Auswahl
Tanja Arndt begleitet den sechsjährigen Ardian
durch seinen Alltag im Kindergarten der Lebenshilfe in Düsseldorf, einem heilpädagogischen
Kindergarten. Ardian ist Autist. Seine Betreuerin
erzählt mit großem Engagement, wie er langsam
Vertrauen zu ihr aufbaute, wie er anfing, sich auch
für andere Kinder zu interessieren, und dass sie
hofft, dass wenn er nächstes Jahr zur benachbarten Schule wechselt, sie ihn auch dorthin begleiten
wird. Tanja Arndt ist Integrationshelferin mit Leib
und Seele und das seit letztem Jahr im Familien
unterstützenden Dienst (FuD) der Graf Recke
Stiftung. Zuvor hat sie auch schon in anderen sozialen Bereichen Erfahrungen gesammelt und eine
Zusatz­ausbildung als Heilpraktikerin gemacht. Als
sie nach einigen Jahren Kinderpause wieder beruflich einsteigen wollte, hatte die dreifache Mutter
zwei Jobs in Aussicht – wieder als Arzthelferin
einzusteigen oder aber als Integrationshelferin.
Auf Empfehlung ihrer Freundin entschied sie sich
für letzteren. Tanja Arndt wusste, was sie wollte,
und der Familien unterstützende Dienst mit seinen über 300 ambulanten Betreuungen bot eine
ganz breite Palette. »Die Arbeit mit Ardian macht
mir großen Spaß«, sagt seine Betreuerin. »Und
das ist ein absoluter Luxus, so gerne zur Arbeit zu
gehen!«
10
Erziehung & Bildung
Soziale Berufe sind oft mehr Herzensangelegenheit als andere.
Auch Stefan Pannenbecker sagt: »Die Arbeit mit behinderten
Menschen hat mich schon immer fasziniert.« Heute betreut er
in der LVR-Schule am Volksgarten in Düsseldorf den zehnjährigen Elias. Zur Graf Recke Stiftung kam er über Karin Springob,
Leiterin des FuD Nord mit Sitz in Hilden. Die war schon beim
Trägerverein am Düsseldorfer Hauptbahnhof seine Vorgesetzte
und wechselte dann zur Graf Recke Stiftung. »Ich habe sie zufällig getroffen, erzählt, dass ich auf der Suche nach einer neuen
Aufgabe sei. Da hat sie mich gefragt, ob ich mich nicht bei der
Graf Recke Stiftung bewerben möchte.«
Auch Stefan Pannenbecker musste erst »googeln«, um herauszufinden, wie umfangreich das Angebot der Stiftung ist.
Die Bandbreite der Angebote seines Arbeitgebers findet der
gelernte Sozialarbeiter auch für sich persönlich attraktiv. »Ich
werde bestimmt nicht immer hier an dieser Schule in diesem
Job arbeiten«, sagt der 29-Jährige. Und vielleicht gibt es dann
auch innerhalb der Stiftung eine neue Herausforderung für ihn.
Auch deshalb sei ein großer Arbeitgeber attraktiv, findet Stefan
Pannenbecker, weil innerhalb des eigenen Unternehmens die
Bandbreite der Karrieremöglichkeiten einfach größer sei.
Bezahlung und Zusatzversorgung
Für Heike Göpel bedeutet ein großer Träger »Sicherheit«. Das
Motiv der 55-Jährigen ist dabei ähnlich: »Wenn ich mal nicht
mehr in der Schule arbeiten will oder kann, möchte ich gern
woanders reinschnuppern.« Größe sorge für Vielfalt, meint
Heike Göpel, die schon seit Jahren an der Helen-Keller-Schule
in Ratingen arbeitet, aber erst seit zwei Jahren für den FuD der
Graf Recke Stiftung. Der Schulleiter hatte sie angesprochen
und den Kontakt vermittelt, denn zu diesem Zeitpunkt waren
schon zahlreiche Kolleginnen und Kollegen der Graf Recke
Stiftung dort unterwegs und Heike Göpel wusste: »Hier gibt
es viel mehr Fortbildungsangebote, die wir für unsere Arbeit
dringend benötigen.« In gemeinsamen Fortbildungen lernte
die gelernte Kauffrau, die ihre berufliche Laufbahn bei einer
Bank begonnen hatte, auch Kolleginnen und Kollegen aus ganz
a­ nderen ­Bereichen kennen. »Dieser Austausch ist sehr spannend.« Und dann gab es noch einen ganz wesentlichen Aspekt:
die ­Bezahlung.
Die, so ihr Kollege Sergey Romanov, sei für ihn sogar der
ausschlaggebende Grund gewesen, den Träger zu wechseln. Die
Integrationshelfer der Graf Recke Stiftung werden nach dem
kirchlichen Tarifrecht bezahlt – keine Selbstverständlichkeit,
weiß Romanov, der auch noch die Zusatzversorgung der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse erwähnt. »Uns geht es gut hier«
sind sich die beiden einig. »Es gibt wenig, das nicht gut läuft«,
sagt Heike Göpel. Und wenn doch mal ein Problem bestehe,
dann sei die Chefin regelmäßig vor Ort und immer ansprechbar.
Professionell und ansprechbar
Die Wichtigkeit der Erreichbarkeit der Vorgesetzten oder zentralen Mitarbeiter zieht sich ebenso durch die Argumentation
aller Kolleginnen und Kollegen wie die Professionalität und
Transparenz. Stefan Pannenbecker schwärmt geradezu: »Es
wird genau abgerechnet, jede Stunde wird bezahlt, wir werden
über alles, was uns zusteht, gut informiert.« Rund 60 Kräfte
der Graf Recke Stiftung sind alleine schon an der LVR-Schule
am Volksgarten tätig, FSJler und BuFDis nicht mitgerechnet.
Die FuD-Kollegen sind regelmäßig vor Ort, um sich mit ihnen
auszutauschen. So sieht es auch Kia Shabdiz, ebenfalls an der
Volksgartenschule tätig. Sie betreut drei schwerstmehrfachbehinderte junge Menschen, ein höchst anspruchsvoller Job. Aber
sie fühlt sich gut bezahlt, gut begleitet und ist froh, 2008 den
Träger gewechselt zu haben: »Früher habe ich mich mehr als
reiner Helfer gesehen, hier fühle ich mich als Mensch!«
//
Erziehung & Bildung
11
»Wir haben gerade aufgrund
unserer oft bunten Lebensläufe
schon viel im Leben geschafft.«
Karrieren gehen oft eigenartige Wege. Die berufliche Laufbahn von Silke Offschinski-Lansen
ist ein gutes Beispiel. Heute macht sie das, was
sie gern macht, auch wenn sie sich etwas mehr
Anerkennung dafür wünscht.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
Eine Altbauwohnung in Neuss. Vor der Tür ­stehen­
aufgereiht sieben Paar Kinderschuhe. »Es hat ­
sich rumgesprochen, dass ich den Kindern auch
über die Schulzeit hinweg helfe«, stellt Silke
­Offschinski-Lansen lakonisch fest. Deshalb kommen jeden Nachmittag bis zu sieben Kinder, meist
mit »Migrationshintergrund«, zu ihr zur inoffiziellen Hausaufgabenbetreuung in ihre Wohnung. Für
die gelernte Zahntechnikerin ist das ganz normal,
ebenso wie für ihren leiblichen Sohn. Denn der
war die ganzen Jahre mit dabei, in denen seine
Mutter insgesamt sieben Pflegekinder aufnahm
und sie alle bis zum Abitur begleitete.
Die berufliche Laufbahn von Silke Offschinski-­
Lansen ist keine gradlinige. In ihren Beruf als
Ausbilderin in einem Zahntechniklabor kehrte sie
nach ihrer Elternzeit nicht zurück. Eines Tages
las sie einen Zeitungsbericht über »Eltern als
Beruf«. Für sechs Jungs und ein Mädchen war das
ein Glücksfall: Sie erhielten bei Silke Offschinski-­
Lansen ein Zuhause, das ihnen nicht in die Wiege
gelegt worden war. »Mein Jüngster wird im Juni 19
und hat grad sein Abi.«
Als eben dieser Jüngste in die Schule kam, ging
Silke Offschinski-Lansen wieder arbeiten. In der
Wertpapierabteilung einer Bank blieb sie zehn
Jahre. Dann konzentrierte sie sich darauf, zwei
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Erziehung & Bildung
ihrer Kinder durchs Abitur zu bringen. Da aber daneben noch
Zeit genug war, gab die achtfache Mutter Kunstunterricht an
einer Realschule und an einem Gymnasium. Kurz darauf wurde
sie gefragt, ob sie nicht an der Realschule als Integrationshelferin arbeiten möge. Sie mochte, aber die Arbeitsbedingungen und
die finanzielle Ausstattung gefielen ihr überhaupt nicht. »Ich
mache diesen Beruf sehr gerne«, sagt sie, »aber ich möchte auch
ein ausreichendes Gehalt dafür«.
Es war purer Zufall, dass Silke Offschinski-Lansen, die damals noch für einen anderen Träger arbeitete, dem Grafen von
der Recke begegnete: Eines ihrer Pflegekinder wollte seine Facharbeit über den Grafen und seine Rettungsanstalt schreiben.
Als die Unzufriedenheit von ihr und sieben anderen Integrationshelfern wuchs, entdeckte Silke Offschinski-Lansen die Graf
Recke Stiftung als Arbeitgeber. Der Graf ist für Silke Offschinski-Lansen ein wichtiges Vorbild. Sein Wirken und seine Bereitschaft abzugeben, hat sie überzeugt. Nun galt es für sie, die
Kolleginnen zu überzeugen. Die tarifliche Bezahlung sei dabei
ein ganz wichtiges Argument gewesen für den Wechsel, aber
auch die Professionalität des neuen Arbeitgebers. Gemeinsam
mit der Leitung des Familien unterstützenden Dienstes der Graf
Recke Stiftung organisierte sie innerhalb kurzer Zeit den Wechsel. »Die Kolleginnen sind mir wie einer Entenmutter hinterhergelaufen!« Bereut hat es niemand: »Natürlich machen wir hier
immer noch Überstunden, aber die werden ganz transparent
und professionell in Leistungsnachweisen aufgeführt und sind
jederzeit überprüfbar.« Und wenn es doch mal hake, seien die
Mitarbeitenden der Graf Recke Stiftung jederzeit ansprechbar
und lösungsorientiert.
Einen Wunsch hat Silke Offschinski-Lansen aber noch:
»Mehr Anerkennung für uns Integrationshelfer, mehr Rechte
und mehr Rückendeckung. Als Bankerin hatte ich das Gefühl, viel angesehener zu sein als jetzt. Wir werden gerade
von den Lehrern oft kritisch beäugt, dabei haben wir gerade
aufgrund unserer oft bunten Lebensläufe schon viel im Leben
geschafft.« //
Vorbild
Graf Recke
Erziehung & Bildung
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Ida Nikolenko, geboren in Kasachstan.
Ein gutes Beispiel
Ida Nikolenko (60) kam aus Kasachstan, hat
unsere Sprache gelernt und mit 60 Jahren eine
weitere Ausbildung gemacht
Von Gabriele Vaquette
Für Ida Nikolenko war es keine Frage: Sie wollte
sich auch mit 60 Jahren noch einmal der Herausforderung stellen und eine Ausbildung machen.
Die Frau aus Kasachstan kam 2002 nach Deutschland und arbeitet seit 2003 im Senioren- und
Pflegeheim Haus Berlin am Pestalozziweg als Pflegehelferin; 2012 startete sie dann eine Ausbildung
zur examinierten Altenpflegerin. Sie ist für ihre
Kollegen und ihren Arbeitgeber ein Vorbild und
Beispiel für eine gelungene Integration.
»Das ist eine besondere Leistung, sich nach
so vielen Berufsjahren noch einmal fortzubilden.
Wir sind schon stolz auf sie«, sagt Geschäftsführer
Jürgen Büstrin. Er und seine Kollegen zollten Ida
Nikolenko die allergrößte Wertschätzung, denn
an Pflegekräften herrsche ein Mangel. Das Team
habe die Ausbildung mitgetragen: »Das ist gelebte
Solidarität und spricht für das Arbeitsklima«, sagte
Büstrin. Das sieht Ida Nikolenko, die sich ganz
­bescheiden gibt, auch so: »Es war schwer, aber
ich fühle mich hier wohl, das liegt am Team.«
Die Entscheidung, 6000 Kilometer nach
Deutschland umzuziehen, fiel vor elf Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Wladimir, mit dem sie
seit 1974 verheiratet ist, und ihren Kindern Julia
(36), Alexej (31) und Anna (25). Ida Nikolenko hatte
als Krankenschwester an der Berufsschule in Semipalatinsk gearbeitet. Die Stadt und die Region
400 Kilometer östlich der Hauptstadt Astana ist als
ehemaliges russisches Atomwaffen-Testgelände in
14
Wohnen & Pflege
für Integration
der Welt bekannt. Fast 400 Atomwaffen wurden dort von 1949
bis 1989 über- und unterirdisch gezündet. »Die politische und
alltägliche Lage war unsicher«, sagt Ida Nikolenko, deren Mutter Erika Bangert, geborene Müller, deutschstämmig war; die
Wurzeln der Familie sollen in Mitteldeutschland oder Schwaben
liegen. In Kasachstan arbeitete Ida Nikolenko als Röntgenlaborantin im Krankenhaus. »Des öfteren landeten Patienten
mit Messerstichen und Schusswunden bei uns«, erzählt sie.
Angesichts dieser schwierigen Umstände beschloss die Familie
einmütig auszuwandern: »Mein Bruder war auch schon nach
Deutschland gegangen und sagte, dass es dort einfach besser ist.«
Ida Nikolenko absolvierte ein sechsmonatiges Praktikum
im Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster und einen
neunmonatigen Sprachkurs. Aus einer Notwohnung an der
Wittorfer Straße zogen sie und ihre Familie 2006 nach Ruthenberg um. Nach einem Praktikum im Haus Berlin stand es fest:
»Das hat mir hier gleich gefallen.« Von Juni bis November 2012
absolvierte sie dann die Altenpfleger-Ausbildung am Bildungszentrum für Gesundheit und Pflegeberufe in Uetersen. Ihr Chef
stellte sie dafür frei, genehmigte ihr bezahlten Urlaub und engagierte sogar eine Ersatzarbeitskraft – eine Investition, die alle
mittrugen. Pflegedienstleiter Norbert Borchert bekräftigt das:
»Sie ist ein Gewinn für das Haus.«
Die agile 60-Jährige arbeitet im Wohnbereich 7, der Abteilung für Demenzkranke. Sie legt Infusionen, sorgt für die richtige Medikamentierung, überprüft Blutdruck und Blutzucker,
stellt Diabetiker richtig ein und überwacht auch die Bewohner,
die an anderen chronischen Krankheiten leiden. Vor allem hat
sie für alle ein freundliches Wort und ein offenes Ohr. ›Ihre‹ Bewohner hat sie ins Herz geschlossen: »Es sind viele persönliche
Bindungen entstanden. Ich bin froh, in Deutschland zu sein«,
sagt Ida Nikolenko. //
Der Artikel erschien ursprünglich im
Holsteinischen Courier. Wir drucken ihn mit
freundlicher Genehmigung nach.
»Bei uns gibt es reale
Demografischer Wandel und Fachkräftemangel sind allgegenwärtige Schlagworte und Herausforderungen, mit
denen alle Branchen mehr oder weniger
schwer zu kämpfen haben. In der Kinder- und Jugendhilfe kommen einige
besondere Fragen hinzu, wie Gabriele
Trojak-Künne, Fachbereichsleiterin im
Geschäftsbereich Erziehung & Bildung,
im Interview mit Roelf Bleeker-Dohmen
erläutert.
Aufstiegschancen«
Soziale Berufe sind immer noch verstärkt Frauenberufe. Ist das ein Problem, Frau Trojak-Künne?
Zumindest bringt das Probleme mit sich: Zum einen fallen
Frauen – bei allen Bestrebungen hinsichtlich Ganztagsschulen
und Rechtsansprüchen auf Betreuungsplätze für Unter-Dreijährige – immer noch ganz oder teilweise aus, wenn sie Kinder
bekommen. Zum anderen müssen wir uns aber auch auf den
verstärkten Ausfall von Frauen vorbereiten, wenn die längere
Lebensdauer von Menschen und die steigende Überalterung
der Gesellschaft immer mehr Familien zwingt, sich um einen
zu pflegenden Angehörigen im Rahmen häuslicher Pflege zu
kümmern. Auch hier sind es in der Regel die Frauen, die beruflich kürzer treten und uns dann in den Einrichtungen fehlen.
Dadurch trifft uns der allgemeine Fachkräftemangel noch
härter. Ein fachliches Problem des deutlichen Übergewichts an
Frauen im Pädagogischen Berufsfeld führt dazu, dass Kinder
zunehmend nur von Frauen erzogen werden. So gibt es Kinder,
die über ihre alleinerziehende Mutter, die Kindergärtnerinnen
und die Grundschullehrerinnen in ihren ersten Jahren fast
ausschließlich auf weibliche Bezugspersonen treffen. Das stellt
insbesondere für die Jungen ein Problem dar, denen das Rollenvorbild fehlt.
Was muss getan werden, um soziale Berufe für
Männer attraktiver zu machen?
Zum einen ist das eine Frage der gesellschaftlichen und
politischen Haltung gegenüber sozialem Engagement. Die
Anerkennung des Sozialen war meines Erachtens schon
mal deutlich ausgeprägter. Zum anderen ist das natürlich
auch eine Frage der Vergütung. Die spielt für Männer eine
größere Rolle. Die Tarifumstellung hat hier zu gravierenden
Einschnitten geführt, die kaum mehr Anreiz bieten, dieses
Berufsfeld zu wählen – zumal, wenn davon mal eine Familie ernährt werden soll. Aber auch die Optionen, Teilzeit
zu arbeiten, um berufbegleitende Zusatzqualifikationen zu
erwerben, reduzieren sich, wenn man dann seine Miete nicht
mehr zahlen kann. Aber hier hilft kein Jammern, sondern wir
Erziehung & Bildung
15
»Der Zyklus von Ausbildung,
Arbeiten und Rente gilt ja schon
längst nicht mehr.«
müssen berufliche P
­ erspektiven und Angebote
schaffen. Bei uns gibt es reale Aufstiegschancen,
weil wir in unseren Systemen Teamleitungen,
stellvertretende Teamleitungen haben, die tariflich durchaus attraktiv eingestuft sind und weitere Karriereoptionen eröffnen.
Das setzt zunächst mal eine
­vernünftige Ausbildung voraus…
…und da haben wir mit Einführung der BachelorStudiengänge weitere Aspekte, welche die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aktuell beschäftigen: Die Studieninhalte sind uneinheitlich
und somit weniger vergleichbar geworden, zudem
hat die Verkürzung der Ausbildungszeit meist
den Praxisanteil getroffen. Für uns bedeutet das
sehr viel mehr Aufwand in der Einarbeitung von
Mitarbeitenden, die gleichwohl von Anfang an als
Fachkräfte gewertet und bezahlt werden müssen.
Auch kommen die Studierenden früher in den Job,
was in der Jugendhilfe nicht ganz unproblematisch ist: Der Alters- und damit Rollenunterschied
zwischen den Pädagogen und Betreuten hat sich
verringert, was sich je nach Betreuungsform mehr
oder weniger stark auswirkt. Die jungen Pädagogen
haben insbesondere den Jugendlichen in den Intensivgruppen weniger entgegenzusetzen und zeigen nicht selten, dass die Fähigkeit zu Krisen- und
Stressbewältigung noch nicht genügend ausgeprägt ist, um die Anforderungen selbstständig und
eigenverantwortlich zu bewältigen. Früher gab es
das Anerkennungsjahr, das ich für absolut sinnvoll
halte, weil es genügend Zeit zur Verfügung stellt,
um mit anleitender Begleitung an den Aufgaben
zu wachsen. Wir bieten unseren Berufseinsteigern deshalb die Möglichkeit, ein freiwilliges
16
Erziehung & Bildung
­ nerkennungsjahr zu absolvieren. Dieses Angebot wird oft gern
A
angenommen, weil es den Berufsanfängern einfacher macht,
Unsicherheiten zuzugeben und Rückfragen zu stellen, als wenn
sie als Fachkraft direkt auf Augenhöhe mit den Kolleginnen und
Kollegen sein müssen. Weil uns bewusst ist, dass für junge Erzieher und Pädagogen der Austauschbedarf hoch ist, haben wir
schon seit Jahren eine sich auf dem Campus in Hilden einmal im
Monat treffende »Einsteigerrunde«, wo sich die neuen Mitarbeitenden unter Anleitung einer erfahrenen Kollegin untereinander kennenlernen, austauschen und Kontakte knüpfen können.
Gleichzeitig hilft es uns, strukturelle Probleme zu erkennen und
zu beseitigen.
Einstiegshilfen als Attraktivitätsmerkmal?
Auf jeden Fall! Wir arbeiten in unseren Gruppen teilweise mit
schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Das kann
nur funktionieren, wenn wir unsere Mitarbeitenden eng begleiten, zum Beispiel in Mitarbeitenden-, Team- und Supervisionsgesprächen, in denen wir gemeinsam unsere Arbeit reflektieren
und Stärken und Schwächen von Mitarbeitenden herausarbeiten. Darüber hinaus ist der Bildungsweg unserer Mitarbeitenden mit Berufseintritt ja nicht abgeschlossen! Fort- und
Weiterbildung, eine weitere Ausbildung oder eine Fortsetzung
des Studiums bis zum Master versetzen unsere Kolleginnen und
Kollegen in die Lage, sich auch im weiteren Berufsleben den
fachlichen Anforderungen zu stellen. Um ihnen das zu ermöglichen, bemühen wir uns um flexible Arbeitszeitmodelle. Aber
auch zur Gestaltung verschiedener Lebenszeitmodelle sind solche Modelle interessant. Der Zyklus von Ausbildung, Arbeiten
und Rente gilt ja schon längst nicht mehr. Heute sind Modelle
gefragt, die Lern-, Arbeits- und Ruhephasen in einem Zeitraum
ermöglichen. Große Konzerne versuchen schon länger unter der
Überschrift »lebensereignisorientierte Personalentwicklung«,
ihren Mitarbeitenden Flexibilität und Entlastung zu verschaffen.
Wir als großer Träger haben da ganz sicher auch Möglichkeiten.
Gabriele Trojak-Künne sieht gute Aufstiegschancen bei der Graf Recke Erziehung & Bildung.
Welche Rolle spielt dabei die strukturelle
Veränderung der Bevölkerung?
Demografisch werden wir mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur hin zu immer mehr älteren Menschen selbstverständlich auch innerhalb unserer Mitarbeiterschaft diesem
Phänomen begegnen. Nach Vorausberechnungen des statistischen Bundesamtes wird das Potenzial an »Erwerbspersonen«
schon zwischen 2017 und 2024 zu jeweils 40 Prozent aus 30- bis
50-Jährigen und 50- bis 65-Jährigen bestehen – die Verschiebung der Renteneintrittsgrenze nach hinten mal ganz außer
Acht gelassen. So haben wir neben der erschwerten Neugewinnung von Fachkräften auch die Aufgabe, ältere Fachkräfte
fit und leistungsfähig zu erhalten, zumal wir im Schicht- und
Gruppendienst Arbeitsbereiche haben, die nur in bestimmten
Lebensphasen attraktiv und leistbar sind. Betriebliche Gesundheitsförderung wird immer wichtiger und findet sich in Projekten wie aktuell der Kooperation mit dem Sportzentrum Hilden
wieder. Darüber hinaus sind wir dazu übergegangen, den älteren
Kolleginnen und Kollegen Arbeitsplatzalternativen anzubieten,
da Mitarbeitende in den Wohngruppen in den seltensten Fällen
bis zum Ende ihrer Lebensarbeitszeit in der Jugendhilfe bleiben,
wenn ihnen nicht Anreize zum Stellenwechsel auf weniger
belastete Arbeitsplätze – ohne Gehaltseinbußen – angeboten
werden. Sie hierzu durch Fort- und Weiterbildung zu qualifizieren, ermöglicht ihnen eine adäquate Weiterbeschäftigung
und gibt uns die Chance, das Wissen und die Erfahrungen der
älteren Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel als Therapeuten, weiter zu nutzen. Diese Angebote gelten übrigens nicht nur
für langgediente Mitarbeitende, sondern sind gerade auch für
Frauen attraktiv, die die erste berufliche Phase dazu nutzen,
Zusatzqualifikationen zu erwerben, um finanzielle Einbußen bei
späterer Teilzeitbeschäftigung während der Familienphase zu
verringern.
Das klingt, als müsse man in der Jugendhilfe erst mal den Knochenjob
machen, um dann Jahre später vielleicht attraktive Perspektiven entwickeln zu können…
Nein, das ist eine falsche Sicht der Dinge. Gerade
für jüngere Mitarbeitende ist der Gruppen- und
Schichtdienst durchaus interessant – nicht nur
wegen der entsprechenden Zulagen! Die Arbeitszeiten ermöglichen ihnen viel Freizeit auch
innerhalb der Woche, was viele Mitarbeitende als
Vorteil empfinden. Sogar für junge Familien kann
Schichtarbeit von Vorteil sein, weil die Betreuung
der Kinder dadurch besser gewährleistet ist, als
wenn zum Beispiel beide Partner von acht bis fünf
aus dem Haus sind. Und viele junge Väter sagen
mir, dass sie durch den Schichtdienst oft schon
mittags zu Hause sind und viel mehr Zeit für ihre
Kinder haben als Väter mit den klassischen Büroarbeitszeiten.
Dieses Gespräch ist eine aktualisierte Version eines
Interviews, das in der recke:in 3/2012 erschienen ist.
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Erziehung & Bildung
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18
Erziehung & Bildung
Den großen Schatz
Raus aufs Land fährt, wer den Quellengrund besuchen
möchte. Genauer gesagt: raus ins Bergische Land. Am Rande
Wuppertals, idyllisch gelegen zwischen Wiesen und Wäldern, muss der Ortsunkundige ein wenig suchen, um das
Wohn- und Schulgebäude von Haus Quellengrund zu finden.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
Der Quellengrund ist – zusammen mit der Gruppe Emmichstraße in Wuppertal – der östlichste Standort der Graf Recke
Erziehung & Bildung. Eine halbe Autostunde entfernt von Düsseldorf leben 14 Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen und besuchen am gleichen Ort zwei Klassen, in denen
sie von je zwei Lehrern betreut werden. »Hier ist man selten allein im Dienst«, sagt Marian Reineke, Erzieherin im Haus Quellengrund. »Bei meinem vorherigen Arbeitgeber musste ich oft
allein klar kommen. Hier kann man sich im Team absprechen
und gemeinsam entscheiden.«
Marian Reineke wurde in Wuppertal geboren, lebte bis vor
Kurzem dort und zog dann nach Velbert. »Ich kenne mich aus
hier in der Gegend!« Er arbeitete nach seiner Erzieherausbildung
bei einem katholischen Jugendhilfeträger in Velbert und bewarb
sich dann gezielt bei der Wohngruppe Haus Quellengrund. Ein
Bekannter, der damals schon dort tätig war, hatte ihm von dort
berichtet und wie zufrieden er dort sei.
»Ich habe mich nicht bei der Graf Recke Stiftung beworben, sondern beim Haus Quellengrund«, sagt der 37-Jährige,
der im Sommer seit neun Jahren hier arbeitet. »Aber ich habe
die Graf Recke Stiftung als Arbeitgeber sehr schnell schätzen
genießen
gelernt.« Die Größe des Unternehmens hält er für
einen Vorteil: »Das sorgt schon für eine besondere Professionalität in der Organisation, in der
Fachlichkeit; es gibt einen Austausch zwischen
den Gruppen und dadurch wächst der Erfahrungsschatz innerhalb des Unternehmens.«
Die räumliche Entfernung zur Stiftung ist da
kein Problem. »Wir arbeiten eng mit den Gruppen
an den anderen Standorten zusammen«, berichtet
Reineke. Jetzt am Wochenende komme die Gruppe
Achilles aus Wittlaer im Quellengrund zu Besuch.
»Das sind alles ehemalige Quellengrund-Bewohner, die Kontakt halten!« Er selbst ist immer mal
wieder in den anderen Gruppen, vor allem wenn
es um Anschlussmöglichkeiten für die jungen
Heranwachsenden geht. Aufgenommen werden
Kinder im Quellengrund bis höchstens zwölf Jahre,
mit spätestens 16 muss ein Anschluss gefunden
werden. »Da ist es natürlich auch gut, wenn dies
innerhalb der Stiftung möglich ist«, meint Reineke.
»Dazu stehen wir mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Gruppen im engen Austausch.«
Schon ganz zu Anfang seiner Tätigkeit wurden
die neuen Mitarbeitenden nach Düsseldorf in die
Geschäftsbereichszentrale zum geselligen Kennenlernen eingeladen. »Da fühlte ich mich direkt willkommen«, sagt Marian Reineke. »Und je mehr ich
von dort mitbekam, desto mehr konnte ich mich
mit der Graf Recke Stiftung identifizieren.«
Dabei hat alles zwei Seiten. Auch die Größe.
Mit den beiden anderen großen Geschäftsbereichen hat Reineke fast keine Berührungspunkte.
Und in einem großen Unternehmen kann nicht
alles gleich gut laufen. Und als vor fünf Jahren
die Misshandlungsvorwürfe gegen die Gruppe
Lernfenster in Hilden aufgedeckt und sie ein
paar Monate später ein großes Thema in den
Erziehung & Bildung
19
»Die Bereichsleitung
hat uns den Rücken
gestärkt.«
Medien waren, da waren auch die Mitarbeiter im
Quellengrund sehr verunsichert, erinnert sich
Marian Reineke. Aber auch hier, findet er, habe
die Stiftung sehr gut reagiert: »Frau Schreiber als
Bereichsleitung hat uns den Rücken gestärkt, uns
versichert, dass wir unsere Arbeit gut machen.
Gleichzeitig wurden von der Leitung Maßnahmen
wie Antigewalt-Training oder Dokumentationsund Meldeverfahren eingeführt. Es wurde schnell
und verantwortungsvoll gehandelt.«
Dass gerade die Dokumentation oft viel Zeit in
Anspruch nimmt und Marian Reineke findet, dass
das Verhältnis von Dokumentation und eigentlicher Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen
»immer mehr auseinanderklafft«, das ist etwas,
das die Leitenden im Blick behalten sollten, sagt er:
»Ich sehe die Notwendigkeit, aber manchmal habe
ich das Gefühl, dass ich dadurch nicht so viel Zeit
für die Kinder habe, wie ich bräuchte.« Doch auch
hier findet der Erzieher, dass seine Vorgesetzten
und die Leitungsverantwortlichen im fernen Düsseldorf ein offenes Ohr für solche Anliegen haben.
Und so genießt Marian Reineke die Professionalität und den Erfahrungsschatz eines großen
Arbeitgebers und den guten Teamgeist im Quellengrund. Und sollte es ihn, aus welchen Gründen
auch immer, einmal von dort wegziehen, sagt
Marian Reineke mit einem dezenten Grinsen, dann
gebe es ja – nur für den Fall – innerhalb der Graf
Recke Stiftung noch viele andere Arbeitsmöglichkeiten. //
20
Erziehung & Bildung
Der Quellengrund
Das Haus Quellengrund ist eine
Wohngruppe für 14 Mädchen und
Jungen im Alter von 6 bis 16 Jahren
mit geistigen Behinderungen und
Verhaltensauffälligkeiten (SGB XII
und SGB VIII). Sie gehen alle in die
Schule Quellengrund auf dem
gleichen Gelände. Hier werden
Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die im Grenzbereich von
Lernbehinderung zu geistiger
Behinderung liegen und zusätzlich
verhaltensauffällig sind. Das Haus
liegt in einem Naturschutzgebiet und
setzt mit naturnahem Lernen neben
den lebenspraktischen Übungen
einen besonderen Schwerpunkt.
Erziehung & Bildung
21
Birgit Kleekamp ist Leiterin der
beiden Düsseldorfer Einrichtungen
der Graf Recke Wohnen & Pflege.
Michael Mertens ­ist
Geschäftsbereichsleiter
der Graf Recke
Erziehung & Bildung.
Jan Dubbel ist Bereichsleiter
im Sozialpsychiatrischen
Verbund.
Frank Schwanz ist Einrichtungsleiter
des Heilpädagogischen Wohnhauses
Haarbachhöfe in Ratingen.
Das Gespräch wurde moderiert
und aufgezeichnet von
Dr. Roelf Bleeker-Dohmen, Leiter
der Unternehmenskommunikation.
22
Graf Recke Stiftung
»Wir
müssen die
Menschen
befähigen!
«
Zwei Mal im Jahr werden die neuen
Mitarbeitenden der Graf Recke Stiftung
zu einer zentralen Einführungsveranstaltung eingeladen. Ein Bestandteil der
Veranstaltung ist ein Podiumsgespräch
mit leitenden Mitarbeitenden aller
Geschäftsbereiche zum jeweiligen
Jahresthema. Das Vorgespräch dazu
haben wir aufgezeichnet und hier
zusammengefasst.
Was ist ein attraktiver Arbeitgeber?
mertens Einer, dessen Mitarbeitende nicht gehen wollen.
Wir finden hier bei der Graf Recke Stiftung eine hohe Verweildauer von Mitarbeitenden vor. Allerdings nehme ich gleichzeitig als Widerspruch wahr, dass das oft gerade die sind, die ein
sehr hohes Unzufriedenheitspotenzial formulieren.
Weil sich gerade langjährige Mitarbeitende
bei ihrem Arbeitgeber wie zu Hause fühlen
und benehmen?
kleekamp Vielleicht steckt dahinter die Tatsache, dass Menschen sich an alles gewöhnen – auch an das Gute. Wenn ich 2­ 0
Jahre lang irgendwo tätig bin, nehme ich die Vorteile irgendwann als selbstverständlich wahr. Oft wird mir die Qualität
meines Arbeitgebers erst wieder klar, wenn ich mich um einen
alternativen Arbeitgeber bemühen muss.
Aber einen Grund zum Klagen findet wohl jeder.
kleekamp Manche jammern bestimmt nicht zu Unrecht. Die
Herausforderungen an die Menschen in unserem Arbeitsbereich fordern die ganze Person – körperlich, seelisch und geistig. Oft leiden wir aber auch unter Rahmenbedingungen, die
der Arbeitgeber gar nicht selbst setzt.
dubbel Auch bei uns im Geschäftsbereich ist die Verweildauer relativ hoch. Ein Grund dafür ist sicherlich ganz einfach
die Vergütung. Wer seinen Arbeitsplatz nach langen Jahren
wechselt, muss ja gehaltsmäßig wieder weiter unten anfangen.
Vergütung und unbefristeter Vertrag sind zwei
wesentliche Faktoren. Aber welche Anforderungen
formulieren Arbeitnehmer noch an ihren Arbeitgeber?
kleekamp Mitarbeiter wollen gern Handlungsspielräume
haben, Kreativ- und Gestaltungsräume. Haben sie diese, ist ihr
Arbeitgeber für sie ein guter.
mertens Dieses Bedürfnis ist sicherlich berufsgruppenabhängig. Viele Mitarbeitenden möchten auch bei uns ihre KreaGraf Recke Stiftung
23
»Viele Köpfe aus unterschiedlichen
Berufsfeldern erweitern die Kompetenz
eines jeden einzelnen Teams.« Birgit Kleekamp
tivität größtmöglich ausleben, und das ist ja völlig
in Ordnung, so lange das Wohl der Kinder und
Jugendlichen gesichert ist. Dabei verfügen Mitarbeitende durchaus über eine hohe Identifikation
sowohl mit der diakonischen Zugehörigkeit ihres
Arbeitgebers als auch dem Grafen von der Recke
als einem der ältesten diakonischen Arbeitgeber
überhaupt. Aber dieses Bild ist diffus.
dubbel Unsere Mitarbeitenden benötigen Handlungsspielräume, sie wollen sich nicht ständig
beim Vorgesetzten rückversichern, sondern eine
gewisse Selbstverwirklichung schaffen.
Gleichzeitig wollen sie das Gefühl
einer guten Struktur haben.
Kleekamp In Vorstellungsgesprächen höre ich
immer wieder die Frage: Macht Ihr auch Fortbildungen? Wie ist die Ausstattung? Sind genug Leute
da? Die Ausstattung ist wichtig und dass ich dort
nicht allein die Verantwortung tragen muss, sondern noch andere da sind.
schwanz Neue Anforderungen erfordern auch
ein gutes Maß an geeigneten Fortbildungen. Wichtig hierbei ist die Auslese an guten Dozenten und
Fortbildungsangeboten, um unsere Mitarbeiter für
diese Anforderungen zu rüsten. Dazu zählen auch
Auffrischungsseminare und ein guter Informationsfluss.
kleekamp Wichtig ist, dass die Angebote auch
beim Mitarbeiter ankommen. Wir orientieren uns
bei den Mitarbeiterentwicklungsgesprächen auch
am Fortbildungsbedarf. Damit verbinden sich
gerade in der Pflege auch Aufstiegsmöglichkeiten.
Die Aufstiegsmöglichkeiten in der Pflege durch
Fort- und Weiterbildung sind schon sehr gut, ob
ich mich nun spezialisiere oder auch weiterbilde
24
Graf Recke Stiftung
für Wohnbereichs- oder Pflegedienstleitung. Allerdings überlegen sich viele, die sehen, wie viel so eine Leitung zu tun und
zu verantworten hat, ob sie das für 50 Euro mehr im Monat machen möchten. Manche haben aber einfach Spaß daran, mehr
Verantwortung zu übernehmen.
Ist das im Sozialpsychiatrischen Verbund auch so?
dubbel Da sind die Hierarchien eher flach. Wir haben eigentlich nur Mitarbeiter im Gruppendienst und Bereichsleiter. In
meinem Bereich haben wir außerdem gerade mal drei Ergänzungskräfte, also Quereinsteiger. Die meisten Mitarbeitenden
haben einen ihrer Ausbildung und ihrem Studium entsprechenden Tätigkeitsbereich und daran ändert sich in der Berufskarriere nicht mehr viel.
schwanz Wir halten in den Bereichen multiprofessionelle
Teams vor, welche gleichberechtigt ihren Dienst verrichten.
Viele Köpfe aus unterschiedlichen Berufsfeldern erweitern die
Kompetenz eines jeden einzelnen Teams. Die flache Hierarchie
sorgt für Transparenz und klar geregelte Verantwortlichkeiten.
mertens Im Geschäftsbereich Erziehung & Bildung ist das
sehr funktionsgebunden, wer möchte, kann als Teamleitung
einer Gruppe oder über eine Zusatzqualifikation, zum Beispiel
therapeutische Ausbildung, eine höhere Gehaltsklasse erreichen.
Ist es für die Identifikation der Mitarbeitenden
eigentlich von Vorteil, bei einem solch großen
Träger zu arbeiten?
kleekamp Ja, aber das beziehen die Mitarbeitenden eher auf
ihren Geschäftsbereich, also bei uns auf Wohnen & Pflege mit
seinen fünf Einrichtungen, weniger auf die Graf Recke Stiftung
insgesamt.
schwanz Steht ein Arbeitgeber gut in der Öffentlichkeit dar
und hält dieser seine vorab versprochenen Rahmenbedingungen
ein, so identifizieren sich die Mitarbeiter gerne mit ihm. Unsere
Geschäftsbereiche sind meist nicht miteinander zu verknüpfen
»Für viele unserer Erzieher und Pädagogen ist Arbeit
auch ein ›Beheimatetsein‹, weil ihre Arbeit eben in
­zentraler Weise auch Beziehungsarbeit ist..« Michael Mertens
und haben wenige Schnittstellen. Interessiert schauen
Mit­arbeiter aber auch über den Tellerrand und verfolgen
im Intranet veröffentlichte Beiträge und aktuelle Geschehnisse aus anderen Bereichen.
mertens Die Arbeitgeberstudie des Teams um Professor Schrapper hat bei uns sehr deutlich gezeigt, dass
unsere Mitarbeitenden sich oft als Inseln verstehen.
Dieses Inseldenken hat mehrere Aspekte. Zum einen
bringt es eine hohe Autonomie und auch Gestaltungsspielraum für die Mitarbeitenden mit sich. Einflüsse der
Zentrale werden da als Reglementierung erlebt. Wenn
ein Team funktioniert, dann ist es für die Kolleginnen
und Kollegen ein toller Arbeitsplatz. Die Arbeit in unseren Gruppen geht ja oft weit über das hinaus, was Arbeit
normalerweise ist, es ist für viele Erzieher und Pädagogen ein »Beheimatetsein«, auch ein viel zitiertes Wort
aus der Studie, weil ihre Arbeit eben in zentraler Weise
auch Beziehungsarbeit ist. Wir haben in unseren Arbeitsfeldern nun mal Menschen, die sozial engagiert sind und
hierfür gute Arbeitsbedingungen benötigen. Ich habe
Ausstiegsgespräche geführt, in denen die Mitarbeitenden klar gemacht haben, dass sie dann aussteigen, wenn
die Teamstrukturen zu konfliktbeladen werden. Wenn
die Anforderungen überfordern, der Krankheitsstand
steigt, das Miteinander im Schichtbetrieb leidet und nur
durch Doppelschichten aufgefangen werden kann, dann
müssen beim Arbeitgeber die Alarmglocken klingeln. Das
halten die Mitarbeitenden nur eine Zeitlang aus.
kleekamp Wenn. Natürlich kann es zeitweise notwendig sein, dass Mitarbeitende solche Entwicklungen
auffangen müssen, dann muss es eine Perspektive geben,
ein Ende in Sicht sein. Und diese Perspektive muss dann
auch greifen, da darf man die Mitarbeitenden nicht enttäuschen. Unsere Strukturen und Anforderungen müssen so sein, dass diese Mitarbeitenden ihnen gewachsen
sein können.
Wie stellt man als großer Träger sicher, dass
die von Ihnen hier formulierten Ansprüche
flächendeckendfunktionieren?
mertens Durch unsere Struktur. Wir haben unsere
Systeme kegelförmig aufgebaut und Bereichsleitungen
und Fachaufsichten über die Teams gesetzt, die auf die
Einhaltung achten.
dubbel Der Wunsch nach Transparenz von Seiten der
Unternehmensspitze ist da. Aber die Mitarbeitenden
wollen selbst bestimmen, ob sie zum Beispiel das Intranet lesen oder nicht.
kleekamp Ich empfinde vieles, was wir hier tun, schon
als höhere Weihen. Dass es solche Veranstaltungen wie
diesen zentralen Einführungstag gibt, ist überhaupt
schon positiv. Wir sind daran interessiert, ein guter Arbeitgeber zu sein. Aber wir können nicht alle Wünsche
erfüllen. Wir sind nicht zuständig dafür, dass der Mitarbeiter glücklich ist. Aber wichtig ist die Fehlerkultur, es
muss eine Offenheit geben, Fehler einzugestehen. Fehler
zuzugeben, kann Sicherheit schaffen. Und auch als Chef
muss ich es aushalten, dass Fehler passieren. Wichtig ist
hier, was man aus den Fehlern macht, was man aus ihnen
lernt! Wir müssen die Menschen befähigen. Habe ich das
getan und sie ausreichend informiert, kommt dann aber
auch als nächster Schritt eine Sanktion, wenn Mitarbeitende nicht angemessen agieren, obwohl sie es hätten
tun können. Dass es da eine Konsequenz gibt, ist ja auch
eine Sicherheit für die Kollegen. Man kann nicht alles
durchgehen lassen. Ich muss als Chef gucken, wie Fehler
passieren konnten und was zu tun ist, damit es nicht wieder passiert.
//
Graf Recke Stiftung
25
»
Wir sind
immer die,
die weit
reisen
müssen
«
Sabine Koslowski schaut gern über den Tellerrand.
Ihr Kollege Alexander Sanchez konzentriert sich
lieber auf die Gruppe. Wenn der Geschäftsbereichsleiter zu Besuch kommt, freut er sich aber darüber.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
26
Erziehung & Bildung
Sabine Koslowski und ihr Kollege Alexander Sanchez arbeiten in Wuppertal.
Man bekommt schon einiges mit, wenn man möchte. Sagt Sabine Koslowski, seit vier Jahren Erzieherin in der Wohngruppe
Rheydt in Mönchengladbach. Sie ist seit Mai des letzten Jahres
stellvertretende Teamleitung, nimmt an Teamleiter-Sitzungen
auf dem Campus in Wittlaer teil, hat dort das PART-Training zur
Gewaltprävention mitgemacht und war Mitglied im Deeskalationsteam, das geschäftsbereichsweit agiert. Die Zentrale ihres
Geschäftsbereiches ist für sie kein abstraktes Wesen.
Ihr Kollege Alexander Sanchez war nur einmal in der zen­
tralen Verwaltung des Geschäftsbereiches Erziehung & Bildung,
um seinen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Sogar das Bewerbungsgespräch zuvor hat in der Gruppe stattgefunden. Über die
Graf Recke Stiftung habe er sich natürlich kundig gemacht, als
er sich dort bewarb, sagt Alexander Sanchez. Aber ansonsten
geht er morgens von seinem Wohnort Kempen nach Rheydt in
den Gruppendienst und danach wieder nach Hause. Sein Bild
von der Stiftung? »Die Graf Recke Stiftung ist für mich vor allem
Herr Neunzig; mit dem telefoniere ich öfter«, lacht Alexander
Sanchez. Herr Neunzig ist die für die Gruppe zuständige Fachaufsicht.
Beworben haben sich beide bei der Graf Recke Stiftung,
nicht speziell für eine Gruppe. Beide haben eine weite Anreise
–A
­ lexander Sanchez aus Kempen gut 30 Kilometer, Sabine Koslowski aus Wuppertal sogar fast 60 Kilometer! Sie fährt also vom
äußersten Osten des Verbreitungsgebietes der Graf Recke Erziehung & Bildung in den äußersten Westen. Aber das Konzept der
Gruppe habe sie von Anfang an überzeugt, sagt sie.
Auch ihr Kollege fühlt sich in der Gruppe wohl. Aber die Stiftung ist für ihn weit weg. Intranet? Wird meistens überlesen. »Da
steht für uns wenig Interessantes drin.« »Wir werden hier schon
leicht mal vergessen«, pflichtet ihm Kollegin Koslowski bei. Wenn
aber der Geschäftsbereichsleiter das Frühlingsfest der Gruppe
besucht, freuen sich die Mitarbeiter darüber. Die Neuauflage des
zentralen Mitarbeiterfestes im ZAKK Düsseldorf im September ist
für ihn dagegen nicht von Interesse. »Die Mitarbeiter der Außenwohngruppe sind halt immer die, die weit reisen müssen«, meint
der 28-jährige Sozialpädagoge. Das sei ihm zu ­aufwendig.
Das sieht Sabine Koslowski wiederum anders. ­
Den zentralen Einführungstag für neue Mitarbeiter in Wittlaer, an dem auch sie teilgenommen
hat, findet sie toll. Und schon seit Jahren ist die
Gruppe beim Sommerfest in Hilden mit einem
Getränkestand vertreten. Über den Tellerrand zu
schauen, das hat ihr schon ihr alter Teamleiter
mit auf den Weg gegeben, sagt Sabine Koslowski. Obwohl auch sie festgestellt hat, dass die
neuen Mitarbeitenden – und dazu zählt sie auch
den ­Kollegen Sanchez – dazu gar nicht mehr so
den Bezug haben. Sie selbst will weiter über den
­Tellerrand schauen. //
Die Mitarbeiter der Intensivwohngruppe Waisenhausstraße in Mönchengladbach-Rheydt betreuen
Jugendliche und junge Erwachsene von 12 bis 18.
In der benachbarten Wohngemeinschaft Waisenhausstraße leben Jugendliche
zwischen 18 und 21 Jahren
auf der Basis von Fachleistungsstunden. Von dort aus
werden weitere Jugendliche
und junge Erwachsene im
Raum Mönchengladbach
betreut.
Erziehung & Bildung
27
Ein alter Recke
Was ist ein guter Arbeitgeber? »Warum fragen
Sie ausgerechnet bei mir nach?« entgegnet
­Wolfgang Richter, 55, im 26. Jahr in der Graf
Recke Stiftung als Heimerzieher tätig. Von ihm
könne man keine glatten Antworten erwarten,
aber die sind auch nicht gefragt, sondern eben
das, was ein alter Recke nach jahrzehntelanger
Erfahrung zum Thema zu sagen hat.
Von Beate Simon
»Wenn ich nicht zufrieden wäre, wär’ ich schon
lange weg. Es geht um eine lange Zeit, da gab es
gute Phasen und weniger gute«, meint er diplomatisch und beginnt bei seinen Anfängen.
Begonnen hat der gelernte Kaufmann und Versicherungsfachmann als Erziehungshelfer. Dann
ergriff er die Chance, in einer Familiengruppe eine
berufsbegleitende dreijährige Ausbildung zum
Heimerzieher zu machen. Als er vor 26 Jahren mit
seiner Frau überlegte, wo sie denn nun gemeinsam beginnen könnten, entschieden sie sich nach
einem Jahr Prüfzeit für die Graf Recke Stiftung,
die als christlich-diakonische Einrichtung im Ver28
Erziehung & Bildung
gleich zu anderen Einrichtungen am besten abgeschnitten hatte:
Beide waren sie erstaunt, wie gepflegt und geordnet die Arbeitsstätten anzutreffen waren und wie kompetent sie die Leitungsmitglieder empfanden.
Die Richters blieben bis heute. Wolfgang Richter hat seit dem
Herbst 2010 die Teamleitung der Villa Rundweg. Die Gruppe hat
vier Mitarbeiter für acht Plätze; davon fünf bis sechs klassische
Plätze in der Gruppe, zwei Wohngemeinschaftsplätze und einen
Apartmentplatz. Alle Bewohner von neun bis 21 Jahren werden
von der Gruppe aus betreut.
Bei der Frage nach dem Arbeitgeber unterscheidet Wolfgang
Richter verschiedene Phasen: Anfangs gab es noch die Residenz­
pflicht; man war bekannt in der Einrichtung auch mit seiner
Lebensgeschichte. Der Direktor der damaligen Düssel­thaler Anstalten, Pfarrer Salzmann, kannte und grüßte jeden mit Namen.
»Man war Teil des Ganzen, der Dienstgemeinschaft«, sagt
Richter. Die nächste Phase war geprägt von notwendigen einschneidenden Entscheidungen: der Trennung vom Dreiflügelhaus, dem großen alten Kinderheim an der Einbrunger Straße,
die Gründung der Altenhilfe. Es gab auch Entscheidungen, die
nach Auffassung von Wolfgang Richter zum »Verlust der Bodenhaftung« führten, zahlreiche Umzüge der Verwaltung und
die Übernahme anderer Häuser, all dies verknüpft mit vielen
neuen Problemen. Besonders die Ausgliederung der Jugendhilfe
in eine Tochtergesellschaft führte bei den Mitarbeitenden zu
Verunsicherungen in Fragen der Wirtschaftlichkeit und der
Arbeitsplatzsicherheit. 2011 wurde die Jugendhilfe wieder in die
Stiftung zurückgeführt.
Wolfgang Richter bekennt sich zum Dritten Weg, zum
Konzept der Dienstgemeinschaft: Jeder ist Teil einer Gemeinschaft, wirkt darin an seiner Stelle zum gemeinsamen Zweck,
Menschen zu helfen. Danach haben die Mitarbeiter zwar zum
Beispiel kein Streikrecht, aber in der Graf Recke Stiftung einen
Dienstherrn, »dem man vertrauen kann, Vorstand und Leitung,
die sich um Mitarbeiter kümmern.«
Und wenn es doch Probleme gibt? »Ich würde immer einen
Weg suchen und finden, auch wenn dieser nicht unbedingt über
»Man muss mir nicht
den ganzen Tag auf die
Schultern klopfen.«
den nächsten Vorgesetzten führt.« Die Mitarbeitervertretung,
bei der er auch selbst mitwirkt, hält er für eine gute Einrichtung, die Konflikte »mit Augenmaß« aufgreift und angeht. Er ist
davon überzeugt, dass eine Gesamtmitarbeitervertretung, die im
März erstmals gewählt wurde, erstrebenswert ist als Einrichtung
für die gesamte Stiftung.
Fühlt er sich gewertschätzt? Er zögert: »Man muss mir nicht
den ganzen Tag auf die Schultern klopfen«. Aber gefreut hat
ihn doch die Jubilarsehrung nach 25 Jahren »für lange und
nicht immer einfache Arbeit«. Eine freundliche Geste auch die
persönliche Einladung zum Essen und die persönliche Ansprache vom Theologischen Vorstand, der bei den Feierlichkeiten
­»mehrere hundert Jahre Graf Recke Stiftung versammelt« sah.
Und heute? Es gilt, Zeichen zu setzen in Hilden und Wittlaer,
grundlegende Neuerungen in die Wege zu leiten. Als notwendig
sieht er diese bei der Bausubstanz und in den pädagogischen
Konzepten, die mittlerweile wettbewerbsfähig sind. Dies sind
für ihn die Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens, auch dass
man sich von Immobilien trennt und sich auf das Kerngeschäft
besinnt. Wolfgang Richter verweist darauf, dass die Graf Recke
Stiftung vor Jahren drittgrößter Wohnungsgeber in Düsseldorf
war, Landwirtschaft betrieb und Jagdrechte hatte.
Fühlt er sich bei diesem Strukturwandel als Mitarbeiter denn
mitgenommen? Wolfgang Richter: »Ich brauche dieses dauernde ›Was sagst du denn dazu?‹ nicht.« Er vertraut Vorstand
und Leitung, die richtigen Entscheidungen zum Wohl des Ganzen und der Einzelnen zu treffen.
Ist die Graf Recke Stiftung denn nun ein guter Arbeitgeber?
»Ja, ganz sicher«, lautet die prompte Antwort, und es fallen
Wolfgang Richter spontan viele Beispiele ein: Verlässlichkeit,
gute Rahmenbedingungen, wirtschaftliche Sicherheit in einem
Unternehmen, das noch Ende der 80er Jahre etwa 300 Mitarbeitende umfasste und heute über 1.500, soziale Absicherungen
wie die kirchliche Zusatzversorgung und die Tarifbindung…
Und deshalb ist Wolfgang Richter auch nach 26 Jahren
noch da. //
2013 erhielt Wolfgang Richter aus der Hand des
Theologischen Vorstands seine Urkunde für
25-jährige Mitarbeit
Erziehung & Bildung
29
33 Jahre bei der Graf Recke Stiftung:
Barbara Murakami, Sonderschullehrerin,
­erzählt von ihren Erfahrungen.
Von Beate Simon
»Die Schularbeit liegt mir in den Genen«, sagt
­Barbara Murakami. Ihr Vater war Grundschullehrer und Schulleiter. Sie selbst erweiterte ihre
Grundschullehrerausbildung mit dem Studium
Sonderpädagogik, in Köln. Warum sollte es ein
sozialer Beruf sein? Als Vorbild galt ihr Albert
Schweitzer, nach dem auch ihre Grundschule benannt war.
Als Elfjährige fasste sie den Entschluss: »Wenn
ich groß bin, mach ich auch ein Kinderheim auf
wie Albert Schweitzer!« Und sie begann schon
einmal, Dinge zu sammeln, die man dafür braucht,
30
Erziehung & Bildung
Teller, Eierbecher, Löffel, und hortete das künftige Mobiliar auf
dem Speicher.
Nach einem Aufenthalt in England, wo auch die erste
Tochter geboren wurde, entschied sich Barbara Murakami mit
ihrer Familie für die Graf Recke Stiftung. Dort lebte die Familie
zunächst im alten Pfarrhaus der Einrichtung. Später zog die Familie in den Bergesweg und lebt dort bis heute. Hier kamen die
beiden anderen Kinder zur Welt.
Die heute 62-Jährige war ab 1981 im Schuldienst der Schule
II mit dem Schwerpunkt Lernbehinderung tätig, die damals
noch nicht Privatschule war. Sie begann ihre Arbeit erst mit den
älteren Schülern in einer sechsten Klasse mit 14 Kindern und in
einer achten Klasse. »Damals waren die Klassen riesengroß, alles
bunt gemischt, und Förderklassen gab es nicht.«
33 Jahre Graf Recke Stiftung – wie bewertet Barbara Murakami ihr Vierteljahrhundert als Lehrerin dort? »Wenn man
eine Idee hat, kann man etwas Neues einführen, auch etwas
Ungewöhnliches, und wird dabei unterstützt. Eine Privatschule eignet sich da sehr gut, weil die Gesetzeslagen mehr
Förderschullehrerin Barbara Murakami fühlt den Sinn ihrer Arbeit.
»Es ging mir immer um
Gerechtigkeit«
Freiraum geben. Der Vorteil: Man kann neue Wege gehen
und wird nicht so eingeengt.« So bekam sie die Möglichkeit,
eine Montessori-Ausbildung zu machen, gefördert von der
damaligen Schulleiterin Lotte Brune. Sie hat dann Elemente
der Montessori-­Pädagogik an der Schule eingeführt, die fester
Bestandteil des Arbeitens in der Primarstufe wurde – angepasst
an die dortigen Bedingungen. Der Grundgedanke der Montessori-Pädagogik leitete sie bei ihrer Arbeit: »Respektvoll sein«,
»jeder hat einen eigenen inneren Bauplan« – eine gute Vorbereitung auf die später immer mehr raumgreifende Inklusion, wo
es um individuelle Förderung geht. Aktuell stieß Murakami bei
ihrem Arbeitgeber auch mit der Idee, schon im Kindergarten das
Thema Inklusion anzugehen, um keine Chancen zu vergeben,
auf Unterstützung bei der Umsetzung.
»Gut war immer die Flexibilität der Einrichtung und die
große Unterstützung, die ich erfuhr. Ich lernte, in Grenzen zu
jonglieren. Da habe ich gute Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel wurde der Stundenplan darauf abgestellt, dass ich meine
Kinder vom Kindergarten abholen konnte oder wegen meiner
Stillzeit erst um viertel vor neun arbeiten musste. Dafür war ich
dann mittags länger da. Auch Ausbildungen wurden durch ein
solches Entgegenkommen möglich. Natürlich war es ideal, auf
dem Gelände zu wohnen, um die verschiedenen Lebensbereiche
verknüpfen zu können.«
Was wurde zuviel manchmal? »Ich habe ja mit Verhaltensauffälligen gearbeitet, das war auch rein körperlich sehr
anstrengend, wenn einem alles um die Ohren fliegt. Da war es
immer wichtig, dass da andere Dinge waren, die einen Ausgleich
geben konnten, Familie, Freunde, Fortbildung.«
Welche Bedeutung hat der diakonische Hintergrund? »Ich
gehe aus von der Gottesebenbildlichkeit der Menschen egal wie
der Mensch ist. Das baut einen hohen Anspruch auf, innerlich
als fordernder Selbstanspruch, der auch leicht in den Burnout
führt. Und von außen gesehen: Der Anspruch wird vor sich
hergetragen, aber die bereit gestellten Rahmenbedingungen
­machen es oft schwierig, den im Alltag immer umzusetzen.«
Die vielen Herausforderungen führten Barbara Murakami 1997
zum neuen Lebensschwerpunkt der Körper- und
Therapiearbeit mit Shiatsu neben ihrer Arbeit als
Lehrerin, Ziel war dabei: Sich selbst wahrnehmen,
Abstand finden und weiter lebenslang an der eigenen Haltung arbeiten – zunächst für sich selbst,
später in einer Therapie- und Lehrerausbildung,
eine Psychosynthese Ausbildung kam später dazu.
Alles fließt heute ein in die Schularbeit, die Arbeit
in der Inklusion oder in Fortbildungen, die sie anbietet für Prophylaxen und Burnout-Vermeidung.
Seit 2007 arbeitet sie im Schulstandort Ratingen, in der Inklusion ist sie nun im dritten Jahr,
­aktuell mit drei Tagen an der Paul Maar Schule,
vier Stunden im Kindergarten und ein bis zwei
Tagen in der Schuletage. Auch ehrenamtlich ist sie
tätig und wirkt mit beim neu geschaffenen Oasentag für die Mitarbeitenden der Graf Recke Stiftung.
»Ich möchte einbringen, was ich kann«, sagt sie.
Insgesamt findet Barbara Murakami, wird die
Arbeit etwas unpersönlicher. Ihr Grundgefühl bei
der Arbeit ist aber heute nach wie vor: »Du kannst
dich so einbringen, wie du bist, das ist sinnstiftend
und beugt einem Ausbrennen vor.« //
»Du kannst dich so einbringen,
wie du bist, das ist sinnstiftend
und beugt einem Ausbrennen
vor.«
Erziehung & Bildung
31
32
Wohnen & Pflege
»Das Haus Berlin
ist mein Paradies«
Ein Haus, drei Mitarbeitende, drei ganz individuelle
Geschichten. Gemeinsam ist Enver Mirena, Haustechnik,
Melanie Hartz, Küchenhilfskraft, und Silke Kaufhold,
Leitung Sozialdienst: Sie fühlen sich wohl im Haus Berlin
in Neumünster.
enver mirena, haustechnik,
facility manager
Als Enver Mirena kurz vor Silvester 1993 in Itzehoe
ankam, hatte er keine Perspektiven. In Deutschland durfte er nicht arbeiten, 15 Jahre lang. »Ich
saß nur zu Hause und ab und zu ging ich zum
Sozialamt.« Eine Gesetzesänderung bot ihm dann
endlich die Chance, ein Visum zu erhalten und arbeiten zu dürfen.
»In der Ausländerbehörde habe ich gesagt:
Ich suche eine Arbeit, auch ohne Geld. Ich will
arbeiten.« Enver Mirena wurde ›Hilfshausmeister‹
im Haus Berlin. Von der 400-Euro-Kraft arbeitete
sich Mirena vor zu einem Halbzeitjob – »mit allen
Papieren und als Hausmeister«. Inzwischen hat der
Mann aus dem Kosovo eine Dreiviertelstelle.
»Ich habe viel Unterstüzung durch meinen
Arbeitgeber erlebt«, sagt Mirena heute. Mit seiner
Familie ist er trotzdem weiterhin von der Abschiebung bedroht. Dabei wünscht er sich nur, dass es
einfach so weiter geht: »Ich bin sehr glücklich und
zufrieden, das Haus Berlin ist mein Paradies.«
Wohnen & Pflege
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»Man ist hier keine
Personalnummer,
sondern eine
geschätzte Mitarbeiterin – und diese
Wertschätzung kann
ich auch an meine
Kollegen und an die
Bewohner weiter­
geben.«
melanie hartz ,verantwortliche küchenhilfskraft,
verantwortliche schichtleitung im spätdienst
Seit sieben Jahren ist Melanie Hartz Mitarbeiterin im Haus Berlin. Angefangen hat sie als 400-Euro-Kraft. Schon immer wollte
sie »mit Menschen arbeiten«, also im sozialen Bereich. »Der
diakonische Hintergrund ist eigentlich nicht so wichtig«, sagt
Melanie Hartz, um dann nachzuschieben: »Aber die christlichen
Grundwerte sind mir doch auch wichtig – die Menschen stehen
hier im Vordergrund!«
Mit ihrem Arbeitgeber ist Melanie Hartz sehr zufrieden. Sie
hat regelmäßige Mitarbeiterentwicklungsgespräche. »Da werde
ich gefördert, da kann ich auch einfordern, dass ich gerne mehr
machen will, mehr Verantwortung übernehmen möchte und die
auch bekomme.«
Im Haus gehe es sehr familiär zu, findet Melanie Hartz. »Da
kommt der Chef und fragt auch mal: Frau Hartz, wie gefällt’s
Ihnen denn hier? Man ist hier keine Personalnummer, sondern
eine geschätzte Mitarbeiterin – und diese Wertschätzung kann
ich auch an meine Kollegen und an die Bewohner weitergeben.«
Melanie Hartz würde gerne noch weiter aufsteigen. Dazu
nutzt sie das Weiterbildungsangebot des Hauses. Trotz ihrer
ehrgeizigen Pläne ist sie schon jetzt sehr zufrieden: »Und wenn
mich was stört, kann ich es direkt sagen.«
34
Wohnen & Pflege
silke kaufhold,
leitung sozialdienst
In zehn Jahren ist Silke Kaufhold im Haus Berlin
von der Aushilfe in der Pflege über eine Weiterbildung Sozialmanagement bis in die Leitung des
Sozialdienstes aufgestiegen. Fachlich ist sie damit
sogar zur Einrichtungsleitung befähigt. In die
Pflege ist sie gleich nach dem Abitur eingestiegen.
»Der soziale Bereich ist meine Berufung!«, sagt
sie. Was braucht es dafür? »Geduld und Sozial­
kompetenz. Ich bin Mitglied der Kirche, aber
keine regelmäßige Kirchengängerin«, bekennt sie.
Christ sein bedeute für sie, menschlich sein, wie
im Leitbild und der Goldenen Regel der Graf Recke
Stiftung beschrieben. »Gut ist es, dass die goldene
Regel verschriftlicht ist, gelegentlich müssen wir
uns gegenseitig an die Inhalte erinnern! Aber das
gilt nicht für die Pflege«, betont Kaufhold, da dürfe
es keine Kompromisse geben.
»Mir sind ganz viele Möglichkeiten hier im
Haus gegeben worden, daher bin ich hier und fühle
mich wohl«, sagt Silke Kaufhold. »Ich freue mich
auf neue Herausforderungen.«
//
Wohnen & Pflege
35
Was ist ein guter Arbeitgeber?
Gekürzte Version des Impulsreferats von
Professor Christian Schrapper beim Neujahrs­
empfang 2014 der Graf Recke Stiftung am ­
14. Februar 2014.
Ein guter Arbeitgeber ist ein Arbeitgeber, bei dem
die beschäftigten Frauen und Männer gute Arbeit
gut machen können. Was für ein Satz! Ein guter
Arbeitgeber, wer möchte das nicht sein und wer
möchte dort nicht arbeiten? Ein Wunschtraum,
eine Illusion oder doch eher ein Widerspruch in
sich: Gute Arbeitgeber? Kann, wer Arbeit gibt,
überhaupt gut sein?
An den drei zentralen Begriffen Arbeit, gute
Arbeit und gut gemachte Arbeit will ich mich abarbeiten und versuchen, Antworten auf die Frage zu
suchen: Was ist ein guter Arbeitgeber?
Also zuerst zur Arbeit: Auf, zur Arbeit: Das hört
sich schon wenig lustvoll an, mehr nach Pflicht
und Plage, sicher auch nach Anstrengung und
Mühe. Was wir unter Arbeit verstehen, entspringt
wesentlich zwei gegensätzlichen Erfahrungen und
Ideen: Zum einen Arbeit als schöpferische Tätigkeit, in der wir uns im doppeltem Wortsinne selbst
verwirklichen, uns Wirklichkeit aneignen, so wie
36
Graf Recke Stiftung
wir sie vorfinden und unsere Wirklichkeit erschaffen, so wie wir
sie sehen wollen. Zum anderen Arbeit als Pflicht, Notwendigkeit
und Zwang, die wir tun müssen, um unsere Existenz überhaupt
sichern zu können. Und den allermeisten von uns bleibt dafür
nur unsere »nackte Arbeitskraft«, die wir auf einem Marktplatz
mit mehr oder weniger Konkurrenz zu einem möglichst guten
Preis verkaufen müssen.
Zum einen wird Arbeit also als die menschliche Tätigkeit
begriffen, mittels derer wir uns die natürliche Umwelt so zu
eigen machen, dass wir gut in und mit dieser Welt leben können. Arbeit ist hier also vor allem Selbsttätigkeit des Menschen,
notwendig zwar, aber doch selbstbestimmt und selbstwirksam
– wie wir heute sagen würden. Der doppelt freie Lohnarbeiter,
in dieser Figur spitzte Karl Marx die Widersprüche der historischen Umwälzungen zu, an deren Beginn vor gut 150 Jahren
er die Arbeitswelt erlebte und zu verstehen suchte. Einerseits
befreit von den Zwängen der Leibeigenschaft und ständischen
Gesellschaft, andererseits aber nur noch im Besitz der eigenen
Arbeitskraft, die der Arbeiter an die Besitzer der Arbeitsmittel,
die Kapitaleigner – als Schimpfwort: die Kapitalisten – verkaufen muss, um überhaupt existieren zu können.
»Ob die Dienstgemeinschaften ohne Arbeitskämpfe
auskommen können, ob dem Arbeitgeber nicht alles
Gute abgetrotzt werden muss, ist strittig.«
Was war geschehen? Vor allem dreierlei:
1. Die so positive Sicht auf die Arbeit als menschliche Tätigkeit
war schon zu Zeiten der alten Griechen Illusion und Privileg.
Für die existenzsichernde Arbeit – die Praxis – waren vor
allem Sklaven und Frauen zuständig; die freien Bürgermänner
waren mit politischem Palaver und Nachdenken über die Welt
ausgelastet. So war auch der Päd-Agoge, ein Knaben-Führer,
so die direkte Übersetzung, ein Sklave, der die Knaben zur
Schule führte.
2. Für die Christenmenschen des Mittelalters war Arbeit vor
allem Mühsal und Plage, Anstrengung und Entbehrung,
fremdbestimmt und abhängig, im besten Falle die untrennbar andere Seite eines frommen Lebens: ora et labora, so die
benediktinische Mönchsregel.
3. Und nun betritt Martin Luther die Weltbühne und bringt auf
den Punkt, was die fleißigen Bürger schon immer wussten
und fühlten: Arbeit ist keine Schande, sondern Dienst am
Menschen, an der Welt und somit auch an Gott. Entscheidend ist, dass diese neue Wertschätzung für jede Arbeit gilt,
egal ob die Magd die Stube ausfegt oder der Kaiser sein Reich
regiert: In der Arbeit sind die Menschen gleich vor Gott. Hier
wird vorbereitet, was Max Weber später als protestantische
Arbeitsethik ausmacht und zu einem Fundament der Industriealisierung erklärt, ohne die unsere moderne Welt nicht
vorstellbar wäre.
Der mit viel Konflikt und Kampf errungene gesellschaftliche
Fortschritt seit Luther und Marx liegt hier in Westeuropa vor
allem darin, die unkalkulierbaren Risiken dieser existenzsichernden Arbeit mehr und mehr gebändigt und abgesichert
zu haben. Arbeiterbewegung, Arbeitsverträge, Arbeitsrecht
sind die Stichworte, aber auch Arbeitskampf – ein bis heute
kontroverses Thema bei kirchlichen Arbeitgebern, die einen
dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus suchen,
die Dienstgemeinschaft. Ob diese Gemeinschaften ohne Arbeitskampf auskommen können, um angesichts strukturell
ungleicher Positionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
die konkreten Arbeitsbedingungen auszuhandeln, ob es einen
guten Arbeitgeber überhaupt geben kann, oder
ob dem Arbeitgeber nicht alles Gute abgetrotzt
werden muss, genau das ist strittig und genau
an dieser Frage unterscheiden sich bis heute die
Sichtweisen auf die Arbeitswelt grundlegend.
Damit komme ich zu den beiden anderen Stichworten meiner Definition vom guten Arbeitgeber:
hier können beschäftigte Frauen und Männer gute
Arbeit gut machen.
Zuerst zur »Guten Arbeit«. Was ist »Gute
Arbeit« in den Arbeitsbereichen der Graf Recke
Stiftung: Erziehung & Bildung, Sozialpsychiatrie
& Heilpädagogik sowie Wohnen & Pflege? Hier
ist die besondere Qualität der Arbeit bedeutsam:
Nicht technische Produkte oder Waren stellen
sie her, sondern mit und für Menschen erbringen
sie Dienstleistungen der Erziehung und Bildung,
Pflege und Versorgung, der Behandlung und Heilung. Aus den Untersuchungen im Arbeitsbereich
Erziehung und Bildung im letzten Jahr ist mir noch
sehr gegenwärtig, welche fundierten und präzisen
Vorstellungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Arbeitsbereiches darüber haben, was
gute Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausmacht, aber auch, was sie daran hindert.
Gute Arbeit machen können, macht Sinn,
ermöglicht die Erfahrung, etwas bewirken zu können, aber auch, dass die Mühe lohnt – die beiden
Seiten von Arbeit.
Ein guter Arbeitgeber lässt nicht nur zu, sondern
seine gesamten Organisationsleistungen sind
darauf gerichtet, gute Arbeit möglich zu machen.
Denn mehr kann der Arbeitgeber hier nicht tun,
er kann gute Arbeit nicht erzwingen. Gute Arbeit
setzt auf Seiten der Arbeitnehmer voraus, dass sie
eigene Vorstellungen und Kompetenzen haben,
gute von schlechter Arbeit zu unterscheiden.
Graf Recke Stiftung
37
»Führung, Förderung und Fürsorge
sind hier die drei großen F moderner
Unternehmensleitung«.
Ein guter Arbeitgeber schätzt und fördert diese
Vorstellungen und Kompetenzen für gute Arbeit,
alleine durchsetzen kann er sie nicht. Ein guter
Arbeitgeber fördert daher auch die unvermeidbar
kontroversen Auseinandersetzungen darum, was
denn als gute Arbeit angesehen werden kann.
Qualitätsentwicklung ist dafür das manchmal
sehr technokratisch verkürzte Konzept. Ein guter
Arbeitgeber sorgt auch dafür, dass die Menschen,
um die es dabei geht, zentrale Akteure und Bezugspunkt guter Arbeit bleiben. Keine einfache
Aufgabe.
Damit komme ich zum letzten Aspekt: der gut
gemachten Arbeit: Ein guter Arbeitgeber sorgt
dafür, dass die Menschen, die er beschäftigt, ihre
Arbeit gut machen können. Hier sind zum einen
die klassischen Bedingungen für einen guten Arbeitsplatz zu nennen, auf den Punkt gebracht mit
dem eingängigen Motto: Gutes Geld für gute Arbeit, also angemessene und existenzsichernde Entlohnung, bei uns üblicherweise in Tarifverträgen
vereinbart, aber leider nicht für alle und für jede
Arbeit. Gerade ein großer Arbeitgeber der Wohlfahrtspflege wie die Graf Recke Stiftung wird mit
einer Fülle besonderer Arbeitsverhältnisse konfrontiert sein, die auch besondere Antworten der
Entlohnung verlangen. Ein guter Arbeitgeber zeigt
sich hier ebenso flexibel wie prinzipientreu.
Bedingungen für gut gemachte Arbeit sind w
­ eiter­
organisatorische Arbeitsbedingungen, das Zeitmanagement, Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Auch hier sind gerade in einer großen Organisation immer wieder die Besonderheiten des
einzelnen Falles zu berücksichtigen, ohne in die
Beliebigkeit abzugleiten.
38
Graf Recke Stiftung
Die Arbeitskultur zählt ebenfalls zu den wichtigen Bedingungen
für gut gemachte Arbeit: eine Atmosphäre der Anerkennung
und Unterstützung, kollegial ebenso wie zu den Vorgesetzten.
Führung, Förderung und Fürsorge sind hier die drei großen F
moderner Unternehmensleitung.
Und nicht zuletzt sind hier die materiellen Bedingungen zu
nennen, die Ausstattung der Wohnungen und Stationen, der Projekte und Arbeitsplätze. Hier soll sich ja Grundlegendes ändern
durch den völligen Umbau der Wohngebäude für junge Menschen auf dem Campus in Wittlaer. Die Bedingungen, gute Arbeit
auch gut machen zu können, müssen immer wieder der Maßstab
sein, wenn solche Pläne geschmiedet und umgesetzt werden.
Zu gut gemachter Arbeit zählt aber auch die Art und Weise,
wie Kindern, Kranken oder alten Menschen begegnet wird. Aufgaben der Erziehung, Pflege oder Behandlung sind immer anfällig
für schlechte Abhängigkeiten, da sie fast »natürlich« Abhängigkeit herstellen. Respekt, Transparenz und Beschwerden für
wertvoll halten, dies sind wichtige Bedingungen, um die so sehr
gewollte Teilhabe, die Inklusion, konkret zu leben. Respekt vor
den Lebensvorstellungen und Lebenserfahrungen der Menschen,
die auf Hilfe angewiesen sind, Transparenz aller Entscheidungen
und Maßnahmen, die in ein anderes Lebens eingreifen, und die
Bereitschaft, sich kritisieren zu lassen, Beschwerden als wertvollen Beitrag im ständigen Kampf um etwas Unabhängigkeit in von
Abhängigkeit so sehr geprägten Verhältnissen.
Auch dies gehört zu gut gemachter Arbeit, für die zuerst jede
Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer verantwortlich sind,
für die der Arbeitgeber die erforderlichen Voraussetzungen und
Anreize schaffen muss und die er immer wieder in geeigneter
Weise kontrollieren und reflektieren muss.
Fazit: Ein guter Arbeitgeber? Wer ist das? Die Graf Recke Stiftung
will es sein, ein guter Arbeitgeber, daher dieses Jahresmotto 2014.
Neben den üblichen drei F (Führung, Förderung und Fürsorge)
sehe ich die großen S, die einen guten Arbeitgeber auszeichnen:
Selbstwirksamkeit ermöglichen, die immer wieder neue Erfah-
rung, das eigene Leben in den eigenen Händen zu haben, Einfluss
nehmen zu können auf die wichtigen und die alltäglichen Entscheidungen, die ein Leben prägen. Das Besondere ist, dass nur,
wenn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich in ihrer
Arbeit selbstwirksam erleben, mit ihrer Arbeit etwas bewirken
können, Einfluss haben auf Bedingungen und Prozesse ihrer Arbeit, nur dann haben sie überhaupt eine Chance, diese so lebenswichtige Erfahrung trotz aller Widernisse auch jungen, alten und
kranken Menschen zu ermöglichen.
Sicherheit ist die zweite zentrale Anforderung an einen
guten Arbeitgeber: die Sicherheit des Arbeitsplatzes mit angemessener Bezahlung ebenso wie mit Entwicklungschancen.
Wenn Unsicherheit nur noch Angst macht, gelingt kaum noch
etwas, droht die verhängnisvolle Spirale aus mangelndem Zutrauen und Misserfolg. Die Menschen, die hier erzogen und
betreut werden, kennen diesen Sog nach unten nur zu gut,
brauchen viel Kraft und Ermutigung, dagegen zu halten. Wer
hier arbeitet, braucht daher viel Zutrauen, dass es auch diesmal
wieder geschafft werden kann. Dafür brauchen Mitarbeiter die
Sicherheit ihres Arbeitgebers, der ihnen zutraut und vertraut,
aber auch der kritisch fragt und zu kritischen Fragen ermutigt.
Soziale Verantwortung meint das dritte S: als ein großer Arbeitgeber hat die Stiftung auch große Verantwortung für das
Soziale, hier in Wittlaer, in der Stadt Düsseldorf, in Diakonie
und evangelischer Kirche. Mit sozialer Verantwortung meine ich
nicht soziale Wohltaten verteilen, sondern die aktive Gestaltung
des Sozialen, der Ideen und Bedingungen, die unser Zusammenleben prägen und ermöglichen. Das Entwicklungsprojekt für
ein inklusives Leben im Quartier kann Ausdruck aktiver Verantwortung sein, sich darin zuständig erklären für Kinder, die
besonderen Schutzes bedürfen, ohne damit ausgeschlossen zu
werden. Soziale Verantwortung für das Ganze und den Einzelnen wird dabei zum Kompass, in jeder Zeit die richtige Antwort
zu suchen, vor 100 Jahren in den beeindruckenden Anstaltsbauten hier vor der Türe dieser Kirche, wie in dem neuen inklusiven
Quartier.
Alle drei S (Selbstwirksamkeit, Sicherheit und soziale Verantwortung) kann ich in einem S zusammenfassen, das einen guten Arbeitgeber auszeichnet: Es
macht Sinn, es ist sinnvoll, hier zu arbeiten.
Ein guter Arbeitgeber ist also ein Arbeitgeber,
bei dem es Sinn macht zu arbeiten, weil er ermöglicht und herausfordert, dass gute Arbeit gut gemacht werden kann. //
Prof. Dr. Christian Schrapper ist
Professor am Institut für Pädagagogik der Universität Koblenz-Landau.
Schwerpunkte seiner Arbeit und
Forschung sind die Geschichte,
Theorie, Planung, Organisation und
Methoden sozialer Arbeit sowie
sozialpädagogische Handlungsfelder
der Kinder- und Jugendhilfe. Mit
seinem Team hat er vor einem Jahr
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aller Systeme des Geschäftsbereiches Erziehung & Bildung interviewt.
In über sechzig Gesprächen wurden
anhand eines umfangreichen Leitfadens mit den Mitarbeitenden-Teams,
der Mitarbeitervertretung sowie in
zahlreichen Einzelgesprächen Fragen
zu den Aufgabenbereichen der Mitarbeitenden, der aktuellen Situation
des Geschäftsbereichs und der
Stiftung, zu fachlichen Stärken und
Schwächen, zur Leitungstätigkeit
und den erforderlichen Entwicklungen konstruktiv diskutiert.
Graf Recke Stiftung
39
»Ich wollte auf eigenen Füßen stehen.«
40
Erziehung & Bildung
Stefan Heil ist stolz auf seine Rückkehr und findet sie auch »lustig«.
Eine Rückkehr voller Stolz
Als Stefan Heil damals in einer, wie er sagt, »Nacht- und Nebelaktion« seine Sachen packte und die Wohngruppe der Graf
Recke Stiftung verließ, wäre eine freiwillige Rückkehr für ihn
undenkbar gewesen. Zehn Jahre später ist er wieder tagtäglich
hier, aber, sagt er selbst, »mit einem ganz anderen Wertgefühl«.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
Stefan Heil lernt die Graf Recke Stiftung kennen, als er aus dem
Franz-Sales-Haus in Essen in die Außenwohngruppe Duis­burgBissingheim der Jugendhilfe der Graf Recke Stiftung, wechselt.
14 Jahre alt ist er da und er bleibt fünf Jahre. Nach zwei Jahren
wechselt er von der Außenwohngruppe in die Wohngruppe
Düsselthal auf dem Campus Wittlaer, dann hat er genug: »Ich
wollte schneller auf meinen eigenen Beinen stehen. Ich habe es
als negativ empfunden, überhaupt in so einer Einrichtung sein
zu müssen. Ich hatte das Gefühl, ich gehöre da gar nicht hin!«
Also entlässt er sich selbst. Im Schutze der Dunkelheit fährt er
mit seiner Freundin vor, sie räumen sein Zimmer aus und fahren
davon. Dass die für ihn zuständigen Mitarbeitenden darüber
nicht erfreut sein würden, war dem Flüchtling klar, und die
nachfolgenden Diskussionen sind für beide Seiten anstrengend
und unangenehm. Aber Stefan Heil ist fest entschlossen, seinen
Weg zu gehen.
Und das tut er. Ohne zu wissen, dass dieser ihn später wieder
nach Wittlaer zur Graf Recke Stiftung zurück führen wird.
Der heute 29-Jährige, damals 19, bezieht eine Wohnung in
Düsseldorf-Wersten. Er arbeitet weiterhin in den Werkstätten
für angepasste Arbeit (WfaA), wie schon während seiner letzten
Monate in der Jugendhilfe der Graf Recke Stiftung. Stefan Heil
lässt sich als Elektriker anlernen und macht verschiedene »Zielpraktika« bei Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes. Und
plötzlich taucht die DiFS GmbH auf. Ob er dort ein Praktikum
machen wolle, fragt seine Betreuerin bei der WfaA. Die DiFS
habe ihren Sitz in Einbrungen auf dem Gelände der
Graf Recke Stiftung in Wittlaer…
Und Stefan Heil? Sagt ja. Auch wenn Freunde
ihn fragen, ob er denn »bescheuert« sei. Schließlich ist er mit den Mitarbeitenden der Stiftung
damals nicht gerade einvernehmlich auseinander
gegangen. Aber Stefan Heil sagt: »Ich bin mir für
mich klar. Ich werfe der Graf Recke Stiftung ja
nichts vor. Ich wollte damals einfach nicht mehr
dort sein, wollte auf eigenen Füßen stehen.«
Stefan Heil hat ein Hobby: »Ich bastle Mountainbikes zusammen, fahre sie – und setze sie
nachher wieder zusammen…« Regelmäßig geht es
für ihn ins Sauerland; »downhill, da zerlegt es die
Räder eigentlich früher oder später immer«. Stefan
Heil ist pragmatisch, anpackend, gelassen. Und
deshalb lässt er sich die Gelegenheit nicht entgehen, einen Fuß in die Tür zum ersten Arbeitsmarkt
zu bekommen. Dass es die Tochtergesellschaft
der Graf Recke Stiftung sein würde, die ihm diese
Tür öffnet, findet er »lustig«. Vor allem aber sieht
er seine Chance: Im Herbst 2013 tritt er sein drei­
monatiges Praktikum in der Hausmeisterei der
DiFS ­an.­
Dass die DiFS-Geschäftsführerin Daniela
Baumann bereits ihr Unternehmen ins Zuverdienst-Modellprojekt des Landschaftsverbandes
Rheinland (LVR) geführt hat, weiß Stefan Heil zu
Erziehung & Bildung
41
»Das macht mich stolz, dass
ich das Vertrauen für diese
Aufgabe bekommen habe.«
diesem Zeitpunkt noch nicht. Seit Juli 2011 erprobt
der LVR die Förderung von Beschäftigungsverhältnissen als Zuverdienst für behinderte Menschen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Als Stefan
Heil in seinem Praktikum bei der Haustechnik
mit seinen Fähigkeiten und seiner Art überzeugt,
greift das eine ins andere und Geschäftsführerin
Baumann bietet Stefan Heil im Rahmen des Modellprojekts einen Arbeitsplatz in der Haustechnik
der DiFS an.
Stefan Heil, der Downhill-Mountainbiker,
zögert nur einen kurzen Moment. Weder die
Rückkehr in die Graf Recke Stiftung noch die Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes machen
ihm Angst. Die Vorbereitung in den WfaA und die
Praktika haben ihm das notwendige Rüstzeug verschafft, »ich
weiß, wie der Hase läuft«, sagt Stefan Heil selbstbewusst. Seit ­
1. Januar 2014 ist er Hausmeisterhelfer der DiFS, im Moment
mit Einsatzort Seniorenzentrum Zum Königshof in Unterrath.
»Das macht mich stolz, dass ich das Vertrauen für diese Aufgabe
bekommen habe.«
Stefan Heil ist als Hausmeisterhelfer auch in Wohngruppen
der heutigen Graf Recke Erziehung & Bildung unterwegs, um
dort »Leuchtmittel zu tauschen, Technikräume zu kontrollieren und das Außengelände zu pflegen«. Dabei trifft er auch
Mitarbeitende, die früher für ihn zuständig waren. Was sagen
die ihm? »Die finden’s toll und freuen sich!« Geschäftsführerin
Baumann hat diese Reaktionen auch schon gehört: »Für seine
ehemaligen Betreuer ist es eine echte Überraschung, dass er in
den Jahren so konsequent seinen Weg gegangen ist, viel gelernt
hat und heute auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert werden
kann.«
Das LVR-Modellprojekt soll die Anforderung der UN-Behindertenrechtskonvention des Rechts aller Menschen auf Teilhabe am Arbeitsleben fördern. Stefan Heil, der junge Mann, der
damals die Wohngruppe der Jugendhilfe so fluchtartig verlassen
hat und nun am gleichen Ort den Schritt auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft hat, ist der ebenso eindrucksvolle wie lebendige
Beweis dafür, dass Teilhabe keine reine Theorie ist. Wenn er
heute übers Gelände geht und alte Bekannte trifft, spürt Stefan
Heil die fragenden Blicke: Wie hat der das denn jetzt geschafft?
Das macht ihn stolz: »Ich bin wieder hier. Aber mit einem ganz
anderen Wertgefühl als damals!«
//
42
Erziehung & Bildung
Ihre zweite
Chance
Als Claudia Maibauer 22 Jahre alt war, stand sie auf dem
Schlauch. Sagt sie heute, sieben Jahre später. Ihr Examen
zur Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegerin
hatte sie nicht bestanden. »Drei Jahre Ausbildung in den
Sand gesetzt«, sagt sie kopfschüttelnd. Heute kann sie das
gelassen sehen, denn Claudia Maibauer hat einen Weg gefunden – es läuft beruflich wieder rund für sie.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
Claudia Maibauer ist 29 und in der Ausbildung zur examinierten
Pflegefachkraft. Eigentlich war der Zug schon abgefahren, »ich
habe eine eigene Wohnung und würde mit einem Ausbildungsgehalt nicht weit kommen«, sagt sie. Aber Claudia Maibauer
merkte, dass sie in eine Sackgasse geriet: Mit 22 hatte sie die
Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin »in den
Sand gesetzt« und anschließend jahrelang als Pflegeassistentin gearbeitet. »Da habe ich alles an Fort- und Weiterbildung
mitgenommen, was ich konnte«, berichtet sie. Aber bei aller
Motivation fehlte ihr der richtige Abschluss. Ihr war klar: »Ohne
Ausbildung komme ich da nicht weiter.«
Seit zwei Jahren arbeitet Claudia Maibauer im Haus Linde
des Dorotheenpark Seniorenzentrums. Als die dortige Pflegedienstleitung ihr »fachliches Potenzial« bescheinigte, wuchs ihr
Wunsch, das Thema Ausbildung doch noch einmal anzugehen.
Als dieselbe Pflegedienstleitung ihr dann auch noch vom »Wegebau-Programm« der Bundesagentur für Arbeit berichtete, sah
die Düsseldorferin ihre Chance und packte sie beim Schopfe:
»Unter bestimmten Umständen kann man in diesem Programm
ein Ausbildungsjahr überspringen und man bekommt während
der Ausbildung weiter das Pflegehelfergehalt«, berichtet Claudia
Maibauer. Jetzt musste nur noch das DIP, das Deutsche Institut
für Pflegeforschung in Köln, ihre fachliche Eignung bescheinigen, mit der sie ein Jahr überspringen konnte. »Ich war für einen
Claudia Maibauer
weiß jetzt, was
sie will.
Tag zur Prüfung in Köln und dann hieß es warten…«, erinnert sie sich. Als das Ergebnis vorlag,
war die Freude groß und Claudia Maibauer trat am
1. Oktober 2013 ihre Ausbildung im Haus Linde an.
»Beim Programm Wegebau übernimmt die
Arbeitsagentur 50 Prozent der Kosten, den Rest
tragen wir als Arbeitgeber«, erklärt Sandra Hübner, die in der Graf Recke Wohnen & Pflege die
Ausbildung koordiniert. »So wird den Mitarbeitenden die Möglichkeit geboten, einen qualifizierten
Abschluss zu machen und nicht dauerhaft auf der
Helferebene zu bleiben. Diese Möglichkeit haben
sie sonst wahrscheinlich gar nicht.« Die Graf Recke
Wohnen & Pflege bildet auf dieser Grundlage derzeit drei Kräfte aus, ab September 2014 kommt ein
weiterer Auszubildender hinzu.
Claudia Maibauer ist glücklich mit ihrer zweiten Chance, die sie unbedingt nutzen möchte.
Warum es dieses Mal mit dem Examen klappen
wird, kann sie ziemlich genau sagen: »Ich bekomme hier von meinem Arbeitgeber alle Unterstützung. Die Kolleginnen und Kollegen fragen
mich immer wieder, was ich brauche, ob ich noch
etwas wissen will. Die Arbeitsatmosphäre ist hier
ruhig und gelassen, ich fühle mich einfach wohl
und gut aufgehoben.« In der Pflegeschule der Kaiserswerther Diakonie habe sie derzeit einen Notendurchschnitt von 1,2, es sieht also sehr gut aus.
»Jetzt mache ich nächsten Herbst mein Examen
und dann sehe ich weiter, welche Möglichkeiten es
gibt. Ich weiß aber schon jetzt, ich möchte die Graf
Recke Stiftung nicht verlassen, weil sie mir so viel
gegeben hat.« //
Wohnen & Pflege
43
Ein gutes Team
Wie sich Mitarbeiter im Sozialpsychiatrischen
Verbund der Graf Recke Stiftung vor Burn-Out
schützen
Von Petra Welzel
Zunehmende Arbeitsbelastung durch mehr Aufgaben, eine angespannte Finanzierungslage und
höhere Anforderungen: Wer kennt das nicht?
Diese Entwicklung wird quer durch alle Berufsgruppen schon seit langer Zeit beklagt. Doch wie
sieht das konkret bei einzelnen Mitarbeitern aus?
Wie schätzen sie selbst ihre Lage ein und welche
Umstände spielen dabei eine Rolle? Fragen, die
sich jeder ab und an mal stellen sollte, um seine
Arbeitssituation zu reflektieren. Die Antworten
sind natürlich auch für den Arbeitgeber von großem Interesse, weshalb Nicole Paulussen, Leiterin
des Geschäftsbereichs Sozialpsychiatrie & Heilpä44
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
dagogik, eine entsprechende Untersuchung von Studierenden
in ihrem Bereich von Anfang an unterstützte.
Eine der fünf Studenten und Studentinnen ist Özlem Kaya,
die im Betreuten Wohnen des Sozialpsychiatrischen Verbundes
erst als Praktikantin, mittlerweile als Sozialarbeiterin arbeitet.
Zum Thema ihrer Untersuchung im Rahmen des Studiums
an der Hochschule Nijmegen machte sie die eigene Arbeitssituation sowie die ihrer Kollegen und Kolleginnen. Zentrale
­Fragestellung war: Wie nehmen sie die Arbeitssituation wahr
und welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Die Studierenden bedienten sich der qualitativen Sozialforschung. Das bedeutet: Das Subjekt und seine subjektiv
konstruierte Welt stehen im Fokus des Interesses. Nicht an die
Naturwissenschaften angelehnte Laborbedingungen waren das
Maß, sondern die berufliche Situation sollte mittels natürlicher
Kommunikationsprozesse untersucht werden. Die Alltagsnähe war durch das Setting der Untersuchung gegeben, die
im Arbeitsumfeld stattfand. Als Interaktionsprozess angelegt,
unterlag die Untersuchung einer laufenden Veränderung und
Anpassung.
Özlem Kaya hat Arbeitssituationen bei der Graf Recke Stiftung analysiert.
Grundsätzliche Annahme war, dass der Bedarf an ambulanter
Betreuung, also Betreuung in der eigenen Wohnung oder in
einer Wohngemeinschaft, aus verschiedenen Gründen zunimmt. So gehen die Kostenträger davon aus, dass ambulante
Versorgung im Vergleich zur stationären preiswerter ist. Und
die Klienten selbst, Menschen mit psychischer Erkrankung,
ziehen es oft vor, in der eigenen Wohnung oder in einer Wohngemeinschaft anstatt stationär betreut zu werden. Bedeutet
nun eine erhöhte Nachfrage mehr Arbeitsbelastung für die
Mitarbeiter? Und wie gut aufgestellt ist der Sozialpsychiatrische
Verbund, um mit steigenden oder wechselnden Anforderungen
zurecht zu kommen?
Die Diversitätsplanung innerhalb des Verbundes wurde mit
Hilfe des so genannten 7-S-Modells analysiert. Zusammengefasst ging es dabei darum, ob der Sozialpsychiatrische Verbund
eine lernende Organisation ist und ob Würdigen und Wertschätzen eine zentrale Stellung einnehmen. Das Funktionieren
von Teams und Netzwerken wurde genau wie die Ablaufplanung und die Selbststeuerung des Einzelnen untersucht. Der
Führungsstil und seine ­Auswirkungen­auf die Entscheidungsfindung waren von Bedeutung, das Stammpersonal und seine
Spezialisierung ebenso.
In halbstrukturierten und problemzentrierten Interviews
gingen die Studenten den einzelnen Punkten auf den Grund.
Der Personalschlüssel wurde überwiegend als relativ positiv
eingeschätzt, auch die Kommunikation funktioniert auf den
unterschiedlichen Ebenen. Das Team des Betreuten Wohnens
wird als sehr stark und gefestigt beschrieben. Als Manko wurde
erlebt, dass die Größe des Teams Fallbesprechungen schwierig
macht. Der Wunsch nach teilweisem Bilden von Kleingruppen
wurde geäußert. Sehr positiv wurde die Möglichkeit zur Teilnahme an Fortbildung und Supervision erlebt, was auch weitere
Maßnahmen der Psychohygiene zur Zeit verzichtbar macht.
Insgesamt zeigten die Interviews ein überraschendes Ergebnis:
Eine Überlastung der Mitarbeiter wird zwar wahrgenommen,
aber nicht als übermäßig bedrohlich angesehen. Alles deutete
darauf hin, dass das Team hierbei eine wichtige Rolle spielt. Die
Teamstruktur erlaubte es, die Arbeitsbelastung
einzelner aufzufangen und in diesem Sinne als
erste Anlaufstelle zu fungieren.
Um dieses Ergebnis zu verifizieren, wurden
Fragebögen an zehn Mitarbeiter unterschiedlichen
Alters, Geschlechts und beruflicher Grundausbildung vergeben. Hierbei wurden Selbstaussagen
zu verschiedenen Fragestellungen getroffen, zum
Beispiel »Das Gefühl ausgebrannt zu sein…« oder
Die Hälfte der ­Mitarbeiter
beklagt eine steigende
­Arbeitsbelastung.
»Ich fühle mich im Unternehmen und an meinem
Arbeitsplatz…«. Bei der Auswertung stellte sich
heraus, dass lediglich die Hälfte aller Mitarbeiter
eine Zunahme der Arbeitsbelastung beklagte. Aber
auch nur die Hälfte der Mitarbeiter fühlte sich in
der Arbeit angemessen geschätzt. Hier wäre es
notwendig, qualitativ die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und die Motivation der Mitarbeiter zu untersuchen, um zu genaueren Ergebnissen
zu kommen.
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
45
»Umso besser, dass sich hier die
Interessen von Mitarbeitern und
Arbeitgeber treffen.«
Interessant ist, dass 80 Prozent der Mitarbeiter bekunden, dass sich ihre Arbeit gut mit dem Familienleben vereinbaren lasse. Diese Antwort ist umso
erstaunlicher, als das Betreute Wohnen Schichtund Wochenenddienste mit sich bringt. Aber augenscheinlich sind die Arbeitszeiten trotzdem so
gestaltet, dass sie selbst für Mitarbeiter mit Familie
tragbar sind. Vermutet werden kann, dass auch
hier Rückhalt im Team besteht, der eine gewisse
Flexibilität ermöglicht.
Die Selbstaussage zur Weiterbildung brachte
zu Tage, dass 70 Prozent der Mitarbeiter innerhalb
des letzten Jahres an einer Fortbildung teilgenommen haben und 20 Prozent in den letzten drei
Jahren. Damit scheint sich zu bestätigen, dass im
Sozialpsychiatrischen Verbund – wie übrigens
auch im anderen Teil des Geschäftsbereichs, dem
Heilpädagogischen Verbund – der Anspruch, Fortund Weiterbildung auf einem hohen Niveau zu
gewährleisten, in der Praxis umgesetzt wird. Allerdings kennen auch 80 Prozent der Mitarbeiter das
Gefühl, hin und wieder ausgebrannt zu sein. Stellt
man dieser Zahl die Aussage gegenüber, dass eine
Zunahme der Arbeitsbelastung von den allermeisten nicht als übermäßig bedrohlich empfunden
wird, kann man wohl zu dem Schluss kommen
– und das taten auch die Verfasser der Untersuchung –, dass das Team des Betreuten Wohnens
viele Schwierigkeiten auffangen kann.
46
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
Die Empfehlung von Özlem Kaya und den anderen Studenten
ist es demzufolge auch, hier weiter zu investieren: in Teambuilding, in Supervision, in Fortbildung. Gerade Maßnahmen,
die die Zusammenarbeit der Kollegen und Kolleginnen fördern,
scheinen für die Arbeitszufriedenheit bedeutsam zu sein. Und
im Grunde ist es auch nur logisch, dass eine Haltung, die aus
Einzelkämpfern Teamplayer macht, die beste Burn-Out-Prophylaxe ist. Umso besser, dass sich hier die Interessen von
Mitarbeitern und Arbeitgeber treffen: Von interessanten Arbeitsplätzen, bei denen Wertschätzung und die Möglichkeit der
Weiterentwicklung gegeben sind, profitieren letztendlich alle.
Ambulant Betreutes Wohnen im
sozialpsychiatrischen Bereich
Bei dieser Form der Betreuung erfahren die Klienten Unterstützung in der
eigenen Wohnung bei allem, was sie
aufgrund der psychischen Erkrankung
nicht mehr allein bewältigen können,
sei es, den Kontakt zur Außenwelt
zu halten oder den Tag sinnvoll zu
strukturieren. Die Mitarbeiter helfen
auch bei der Wohnungssuche, falls
Klienten noch keine eigene Wohnung
haben oder vermitteln einen Platz in
einer betreuten Wohngemeinschaft.
Vor allem für Leute, die gern mit anderen zusammen leben möchten, um
Kontakte zu haben oder gemeinsam
den Alltag zu gestalten – zum Beispiel
beim gemeinsamen Kochen – ist das
eine geeignete Wohnform. Das Team,
das die Klienten betreut, ist multiprofessionell zusammengesetzt, d. h.
jeder bringt ganz unterschiedliche
Kompetenzen und Erfahrungen sowie
hohes Fachwissen in die Arbeit, die
von Klient zu Klient sehr unterschiedlich aussehen kann, ein.
//
Judith Jäger versucht, das Studium neben ihrem Vollzeitjob zu absolvieren.
Auf dem Weg
in die Leitung
Judith Jäger nimmt als eine von zwei Mitarbeitenden der ­
Graf Recke Erziehung & Bildung am Master-Studiengang
Leitung in der Erziehungshilfe teil. Den bietet die Bochumer
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
in ­Kooperation mit vier diakonischen Trägern an. Einer
davon ist die Graf Recke Stiftung.
Von Roelf Bleeker-Dohmen
Als Judith Jäger im Intranet der Graf Recke Stiftung vom Master-Studiengang »Leitung in der Erziehungshilfe« las, war ihre
Entscheidung schnell getroffen. »Ich war schon seit Längerem auf der Suche nach einem Master-Studiengang«, sagt die
29-Jährige. Das berufsbegleitende und berufsintegrierende
Angebot der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Kooperation mit der Graf Recke Stiftung und drei
weiteren diakonischen Partnern erschien der Mitarbeiterin der
Wohngruppe Quellengrund in Wuppertal als genau das richtige.
Ihr Studium der Sozialpädagogik und Management hatte sie
mit dem Bachelor abgeschlossen, »aber nur mit dem Bachelor
sind die Karrierechancen in der Jugendhilfe nicht gerade groß.
Viele Stellenausschreibungen fordern den Master.« Zielgruppe
des Studienangebotes sind berufserfahrene Fachkräfte aus
der Erziehungshilfe wie Judith Jäger, die nach ihrem Anerkennungsjahr seit 2008 in der Gruppe für 14 Jungen und Mädchen
von 6 bis 16 mit geistigen Behinderungen und Verhaltensauffälligkeiten in Wuppertal arbeitet, die eine Leitungsfunktion
anstreben – sowie an Träger, die ihre Mitarbeitenden gezielt auf
Leitungsfunktionen in diesem Feld vorbereiten wollen. Wie die
Graf Recke Stiftung.
Die verpflichtet sich im Rahmen der Weiterbildungsvereinbarungen zwischen Mitarbeitenden
und den beteiligten Arbeitgebern zur hälftigen
Kostenübernahme der Teilnahmegebühr von 5.925
Euro. Darüber hinaus erhalten die beteiligten Mitarbeitenden eine Freistellung unter Fortzahlung
der Vergütung, maximal 25 Arbeitstage für drei
Studienjahre. Weitere Absprachen werden individuell vereinbart.
Judith Jäger wird zunächst versuchen, das
Studium neben ihrem Vollzeitjob zu machen. »So
habe ich auch schon den Bachelor gemacht«, sagt
sie. Ob das auf Dauer funktioniert, will sie dann
sehen. »Das geht dann eben auf Kosten meiner
Freizeit«, sagt sie. »Ich lass das erst mal auf mich
zukommen.«. //
Erziehung & Bildung
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Neues lernen,
Über den eigenen Tellerrand schauen – wie
Mitarbeiter des Geschäftsbereiches Sozial­
psychiatrie & Heilpädagogik berufliche Fortund Weiterbildung sehen
Von Janet Eales und Petra Welzel
Zu Beginn direkt etwas Positives: Zum Thema Fortbildungen kann man eigentlich jeden der rund 230
Mitarbeiter des Geschäftsbereiches Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik befragen, da die Teilnahme
an Seminaren, Kursen und Workshops jedem offen
steht und auch von den meisten genutzt wird.
Rede und Antwort standen dann letztlich drei
Mitarbeiter. Silvia Harguth, die seit 19 Jahren im
Sozialpsychiatrischen Verbund beschäftigt ist,
beschreibt die Themenvielfalt bei den Fortbildungen als sehr groß: Es geht beispielsweise um den
Umgang mit jungen psychisch erkrankten Erwachsenen, um Persönlichkeitsstörungen, Psychopharmaka, aber auch um rechtliche Themen wie die
Zusammenarbeit mit einem gesetzlichen Betreuer.
Neben der reinen Wissensvermittlung geht es auch
immer wieder um die Reflektion der eigenen Haltung, zum Beispiel beim Thema Aggression. Und
zum Stichwort Psychohygiene fallen der gelernten
Sozialarbeiterin Workshops ein, die sich um die
Grenzen der eigenen Belastbarkeit drehen, um
das Abgrenzen und um Achtsamkeit mit sich und
anderen.
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Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
Haltung reflektieren
Kai Dietzmann, der seit 14 Jahren im Heilpädagogischen Verbund­Menschen mit geistiger oder Schwerstmehrfachbehinderung betreut, erwähnt vor allem Fortbildungen zum Thema
Autismus oder geistige Behinderung und Sexualität.
Auch Christian Schattling, der als Ergotherapeut im Sozialpsychiatrischen Verbund arbeitet, betont die Vielfalt der
Themen. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Schulungen zu
manual basierten Gesprächsgruppen, die vorher eher den Kliniken vorbehalten waren, wie zum Beispiel STEPPS. Mit Hilfe dieses Programmes können emotional instabile Menschen Vieles
zum Umgang mit Gefühlen lernen, MKT (Metakognitives Training) vermittelt vor allem Menschen mit Psychosen eine bessere
Einschätzung der Realität.
Christian Schattling findet es sinnvoll, sowohl an Inhousewie an externen Fortbildungen teilzunehmen. »Bei den Inhouse-­
Kursen bildet man sich zusammen mit Kollegen weiter, was
zur Bildung von Netzwerken innerhalb des Geschäftsbereiches
beiträgt.« Beim Besuch von externen Fortbildungen kann man
was »gegen die eigene Betriebsblindheit« tun, wie Silvia Harguth
findet, da man dort eben erfährt, wie Mitarbeiter bei anderen
­Trägern arbeiten und welche Fragestellungen sie haben.
»Anstrengend wird es, wenn sich nach der Fortbildung noch
ein Spätdienst anschließt«, weiß der Heilpädagoge Kai Dietzmann. »Trotzdem nehmen in ›meinem‹ Wohnhaus Haarbach
Höfe die Mitarbeiter sehr gern an Fortbildungen teil.« Silvia
Harguth findet es kritisch, wenn die Fortbildung mal nicht zur
Praxis passt, was aber eher selten vorkommt. Genauso sieht es
Christian Schattling: »Je konkreter es in der Fortbildung wird,
desto besser kann man das Wissen auch umsetzen.«
Auf jeden Fall bleiben Fortbildungen spannend, mit zunehmender Berufserfahrung wählen die Mitarbeiter die Themen
gezielter je nach eigenen Talenten oder erfolgter Spezialisierung
aus. Großer Wert wird auch darauf gelegt, den anderen Kollegen
das neu erworbene Wissen weiterzugeben. »Beim theoretischen
Teil klappt das auch meist recht gut«, betont Kai Dietzmann.
»Schwieriger wird das bei den Übungen.«
Apropos Übungen: Den meisten Mitarbeitern fällt es
auch nach vielen Seminaren immer noch schwer, Rollenspiele vor der Videokamera zu absolvieren. Umso schöner ist dann das Gefühl, es geschafft zu haben. Und umso
besser kann man sich dann in Klienten hinein versetzen,
mit denen man dann vielleicht auch ähnliche Übungen
durchführt.
Nach Wünschen zu Fortbildungen befragt, kam der
Vorschlag, sich öfter gemeinsam mit Klienten weiterzubilden, wie das bereits bei Erste-Hilfe-Kursen oder
Brandschutzübungen stattgefunden hat.
Durch die vielfältigen Weiterbildungsangebote ist
im Laufe der Jahre ein großer Pool an Fachwissen, Erfahrungen und Erkenntnissen entstanden, der ständig
zunimmt. Einig sind sich alle Befragten, dass Fortbildungen motivieren. Sie helfen dabei, sich selbst und die
eigene Arbeit immer wieder neu zu hinterfragen, anders
wahrzunehmen und letztendlich auch zu verändern.
Und umgekehrt gehen dann auch von der Praxis wieder
Impulse in die Fortbildungen: Was bewährt sich, was
muss nochmal neu überdacht werden? Fortbildungen
regen Diskussionen an und helfen, mit der ständigen
Weiterentwicklung Schritt zu halten oder diese manches
Mal sogar ein bisschen voran zu treiben. Fortbildung ist
ein wesentlicher Faktor, um die Qualität der Arbeit zu sichern, was man im Geschäftsbereich Sozialpsychiatrie &
Heilpädagogik früh erkannt und umgesetzt hat.
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Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
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Graf Recke Stiftung
Adieu und vielen Dank!
Drei Jahre und sieben Monate war Pfarrer Ulrich Lilie
­Theologischer Vorstand der Graf Recke Stiftung, zuvor
schon Mitglied des Kuratoriums der Stiftung. Zum Ende
Juni 2014 verlässt Pfarrer Ulrich Lilie die Graf Recke Stiftung, um am 1. Juli sein Amt als Präsident der ­Diakonie
Deutschland in Berlin anzutreten. Im Interview mit
­Unternehmenssprecher Roelf Bleeker-Dohmen zieht der
neue Diakonie-Präsident Bilanz.
Sie haben für die Graf Recke Stiftung das Amt des
Superintendenten des Kirchenkreises Düsseldorf
aufgegeben. Warum eigentlich?
Diese Entscheidung ist mir damals – übrigens genauso wie
meine Entscheidung jetzt – überhaupt nicht leicht gefallen.
Der Kirchenkreis Düsseldorf war auf einem unumkehrbar
guten Weg. Und er ist es bis heute. Mein Vertrauen in die
Personen, die damals Führungsverantwortung trugen, war so
groß, dass ich den Reiz, eine so vielseitige und traditionsreiche
Einrichtung wie die Graf Recke Stiftung mit zu leiten, als eine
große Herausforderung gerne angenommen habe.
Wie groß war die Umstellung zwischen der Leitung eines Kirchenkreises und einer operativ tätigen
diakonischen Einrichtung?
In meiner Lebenslinie gibt es ja einen diakonischen wie einen kirchlichen Erzählfaden. Mit
dieser Entscheidung habe ich mich noch einmal
für die diakonische Seite entschieden. Ich habe
meine Leitungsaufgabe im Kirchenkreis in einem
wohlverstandenen Sinne immer auch als eine
unternehmerische Aufgabe verstanden. Selbstverständlich habe ich gerade bei Finanz- und sozialrechtlichen Fragen noch Mal einiges dazugelernt.
Ich habe auch noch einmal nachdrücklich erfahren, dass sich unternehmerische und anwaltliche
Diakonie überhaupt nicht ausschließen. Im Gegenteil, sie ergänzen sich.
Was waren die schwierigsten Momente Ihrer Amtszeit?
Dazu gehören sicherlich einige Personalentscheidungen, die wir im Rahmen der wirtschaftlichen
Konsolidierung der Stiftungsverwaltung, aber
auch in der inzwischen vollumfänglich gelungenen
fachlichen Neuaufstellung des Geschäftsbereiches
Erziehung & Bildung auf Vorstandsebene treffen
mussten. Zu den schwierigen Situationen gehören
plötzliche Todesfälle von Mitarbeitenden, schwierige Personalgespräche und manchmal auch die
Erfahrung, dass manche Medien immer noch eine
Neigung verspüren, zum Beispiel Mitarbeitende
in der Pflege und deren tagtäglichen Einsatz eher
zu skandalisieren als zu würdigen. Jeden Tag wird
hier eine hoch anerkennenswerte Arbeit geleistet,
die bei den geringsten Anzeichen oder Anlässen zu
Kritik unter den abenteuerlichsten Überschriften
skandalisiert wird.
Graf Recke Stiftung
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»Sehr gern hätte ich zumindest
noch die Grundsteinlegung der
ersten Häuser mitgefeiert.«
Was war der schönste Moment als
Theologischer Vorstand der Graf
Recke Stiftung?
Es gab eine Fülle von sehr schönen Momenten,
die ich dankbar und bereichert mit nach Berlin
nehmen kann. Dazu gehören manche Besuche und
Gespräche in Gruppen und Einrichtungen vor Ort.
Viele Begegnungen und Gespräche mit haupt- und
ehrenamtlichen Mitarbeitenden sowie mit Klienten und BewohnerInnen. Aber auch die motivierende Erfahrung, dass sich Hartnäckigkeit bei der
Umsetzung von als richtig erkannten Projekten
auszahlt. Nicht zuletzt habe ich die sehr vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit
meiner Vorstandskollegin und vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht zuletzt in unserem
Vorstandsbüro, immer als eine Bereicherung erlebt.
Ein Projekt, das Sie sehr vorangetrieben haben und
das Ihnen sehr am Herzen liegt, ist das Demenzquartier in Hilden, in dem Menschen mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen ein möglichst
selbstbestimmtes Leben führen können. Sie hätten
die Umsetzung des Projekts sicher noch gerne weiter begleitet. Was hätten Sie außerdem gern noch
vor Ihrem Wechsel nach Berlin zu Ende gebracht?
Sehr gerne hätte ich zumindest noch die Grundsteinlegung
der ersten neuen Netzwerkkegelhäuser unserer Kinder- und
Jugendhilfe mitgefeiert. Und selbstverständlich hätte ich gerne
auch noch die neue Tagespflege in Unterrath oder den ersten
Bauabschnitt für das Dorotheenquartier in Hilden eröffnet.
Vielleicht laden Sie mich dazu dann ja ein. Ich komme – damit
müssen Sie rechnen!
Sie erhalten dieser Tage Glück- und Segenswünsche für Ihre neue Aufgabe. Welche Wünsche
geben Sie der Graf Recke Stiftung und ihren Mitarbeitenden mit auf den Weg?
Ich wünsche allen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden
in der Stiftung weiterhin die Anerkennung, die ihre hoch engagierte und qualifizierte Arbeit jeden Tag verdient. Ich wünsche
ihnen verlässliche Rahmenbedingungen und jedem einzelnen
Klienten, den Bewohnerinnen und Bewohnern und jeder Mitarbeiterin und allen Mitarbeitern auch persönlich Gottes Segen
und alles erdenklich Gute. Ich bin sicher, die Graf Recke Stiftung
ist – und das ist zuallererst auch ein Verdienst von vielen, die
hier ihre tägliche Verantwortung wahrnehmen – nach manchen
schwierigen Jahren wieder auf einem sehr guten Weg und mit
ihren Zukunftsprojekten wie mit ihrer fachlichen Ausrichtung
bestens für die zukünftigen Herausforderungen aufgestellt.
Adieu und vielen Dank!
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Graf Recke Stiftung
Marcus Guttmacher-Jendges ist Leiter des Referats Personal & Organisationsentwicklung der Graf Recke Stiftung.
»Mein Chef sieht super aus!«
Bei näherer Betrachtung dieser Antwort einer Mitarbeiterin
auf die Frage nach der Arbeitgeberattraktivität lässt sich der
Kern des Themas wunderbar erkennen, meint Marcus Guttmacher-Jendges, Leiter des Referats Personal & Organisationsentwicklung.
Von Marcus Guttmacher-Jendges
Ein schönes, triviales Missverständnis erlebten wir in einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin, als wir uns nach der Arbeitgeber­
attraktivität erkundigten. Die Antwort – »mein Chef sieht super
aus!« – machte uns neugierig. Bei näherer Betrachtung lässt sich
aus dieser Aussage der Kern des Themas wunderbar erkennen:
Was attraktiv ist, bestimmt zunächst einmal ganz sicher jeder
Mitarbeitende für sich selbst.
Es wurde schnell deutlich, was sie meint: Sie fühlt sich sehr
wohl an ihrem Arbeitsplatz. Viele Bedingungen, die ihr wichtig
sind, stimmen. Sie kennt ihre Kollegen gut, im Team hilft man
sich. Der Teamleiter hat immer ein offenes Ohr und ist präsent.
Die Arbeit mit ‚ihren‘ Kindern ist eine tägliche Herausforderung,
aber gut zu bewältigen. Die Arbeitszeiten sind in Ordnung.
Unter Berücksichtigung ihrer familiären Situation konnte die
Kollegin ihre Arbeitszeit im vergangenen Jahr um einige Stunden reduzieren und so allen Anforderungen gerecht werden.
Alles nur eine Momentaufnahme, aber für diese Mitarbeiterin die perfekte Situation und die Basis für eine positive Bewertung ihres Arbeitgebers, nach innen wie nach außen. Der Chef
– der sie unterstützt – sieht »super« aus. Alles das trägt zu einer
sehr guten Reputation, einem der wichtigsten Kriterien bei der
Bewertung von attraktiven Arbeitgebern, bei.
In diesem Beispiel führen alle Aspekte und Betrachtungsweisen zum Ziel: Die von Professor
Schrapper herausgearbeiteten Faktoren Selbstwirksamkeit, Sicherheit und soziale Verantwortung und die eingangs dieses Jahresberichts vom
Vorstand zitierten hard facts und soft skills stehen
in einem guten Miteinander. Klar ist, dass die diakonische Vergütung überdurchschnittlich attraktiv, die Einsatzbereiche im Vergleich mit anderen
Branchen verhältnismäßig krisensicher sind und
dass für Mitarbeitende attraktive Nebenleistungen
bestehen, wie Jahressonderzahlung, Kirchliche Zusatzversorgung und Kinderzuschläge.
Aber aktuelle Studien zum Personalmanagement belegen, dass nur die Unternehmen attraktiv
sind, die zu allen wichtigen Faktoren – materielle
Werte, Unternehmenskultur, Unternehmensreputation, Arbeitsinhalte, Work-Life-Balance sowie
Personalentwicklung – bedarfsgerechte und passgenaue Maßnahmen für das Unternehmen, die
Bereiche und den einzelnen Mitarbeiter entfalten.
Wesentliche Faktoren dabei sind Glaubwürdigkeit
und Nachhaltigkeit. Das bedeutet: Das alles muss
umsetzbar sein in besseren wie auch in schlechteren Zeiten.
Dies ist ein hoher Anspruch, doch sich dem zu
stellen, ist heute notwendiger denn je. Wir werden
also weiter fragen müssen. Denn »super« aussehen
ist Verantwortung und Pflicht, täglich neu in allen
Einrichtungen und allen Geschäftsbereichen der
Graf Recke Stiftung. //
Graf Recke Stiftung
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Es gibt immer wieder
gute Gründe, sich geschäftsbereichsübergreifend
zu feierlichen, sportlichen oder informativen Anlässen zu treffen. In der Graf Recke Stiftung
gehören dazu:
…der Neujahrsempfang,
zu dem alle Mitarbeitenden der Stiftung jedes
Jahr eingeladen sind…
…die feierliche Ehrung der
Jubilare, die seit 25, 30, 35 oder
gar 40 Jahren im Dienst der
Stiftung stehen…
…die zentrale Einführungsveranstaltung für neue Mitarbeitende, die zwei
Mal im Jahr stattfindet…
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Graf Recke Stiftung
…das Sommerfest
für alle Auszubildenden und
Jahrespraktikanten
der Graf Recke
Stiftung…
…das Mitarbeitendenfest im ZAKK
in Düsseldorf.
…die Teilnahme an den Deutschen
Firmenlaufmeisterschaften…
…zentrale Informationsveranstaltungen des Vorstands…
Herausgeber
Vorstand der Graf Recke Stiftung
Einbrunger Straße 82, 40489 Düsseldorf
Redaktionelle Leitung
Dr. Roelf Bleeker-Dohmen,
Unternehmenskommunikation der Graf Recke Stiftung
Konzept und Layout
Claudia Ott und Nils-Hendrik Zündorf
Fotos
Alle Graf Recke Stiftung, außer Nils-Hendrik Zündorf (Umschlag, Seite 5),
­Fylkesarkivet/Flickr (Seite 15), Danka Peter/Unsplash (Seite 18, 21), Dominik
Martin/Unsplash (Seite 30), Sharpneil/Flickr (Seite 40), Forrest Cavale/
Un­splash (Seite 44), Little Visuals (Seite 49), Laurenz Berges (Seite 50, 52).
Stand
Juni 2014
Auflage
1.250 Exemplare
Die Graf Recke Stiftung ist Mitglied des
Diakonischen Werkes der Ev. Kirche im Rheinland e.V.
Graf Recke Stiftung
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