Politische Systeme im Vergleich

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Politische Systeme im Vergleich
POWI_Politische Systeme im Vergleich (C3)
WiSe 2007/08
© Gerald Kühberger
Prof. Herbert Gottweis
Politische Systeme
im Vergleich
Inoffizielles Script zur Vorlesung
bei
Prof. Herbert Gottweis
Institut für Politikwissenschaft
WiSe 2007/08
verfasst von:
GERALD KÜHBERGER
1
POWI_Politische Systeme im Vergleich (C3)
Prof. Herbert Gottweis
WiSe 2007/08
© Gerald Kühberger
1 Allgemeine Einführung
Inhalt und Ziele der Lehrveranstaltung:
□
vergleichende Einführung in die historisch und kulturell differierenden Entstehungsformen und Artikulationsmuster von Politik
□
was ist unter Politik zu verstehen?
□
was unter Vergleichender Politikwissenschaft?
□
Grundstrukturen unterschiedlicher sozio-politischer Ordnungssysteme in der westlichen
Welt, in den kommunistischen Ländern und in den Entwicklungsländern
Kontakt
□
Homepage: http://www.univie.ac.at/politikwissenschaft/herbert.gottweis
□
Forschung: http://www.univie.ac.at/LSG/
□
Kontakt: [email protected] (Studienassistent)
Literatur
□
*Almond, Gabriel A. et al.: Comparative politics: a theoretical framework. New York, NY: Harper Collins,
2004.
□
*Berg-Schlosser, Dirk/Müller-Rommel, Ferdinand (Hg.): Vergleichende Politikwissenschaft: ein einführendes
Studienbuch. Opladen: Leske + Budrich, 2003.
□
*Budge, Ian et al.: The new British politics. New York: Addison Wesely Longman, 1998.
□
*Daaler, Hans (Hg.): Comparative European Politics: the story of a Profession. London/Washington: Pinter,
1997.
□
Dogan, Mattei: How to compare nations: strategies in comparative politics. Chatham, NJ: Chatham Hause,
1990.
□
*Filzmaier, Peter/Plasser, Fritz: Die Amerikanische Demokratie: Regierungssystem und politischer Wettbewerb in den USA. Wien: Manz Verlag, 1997.
□
*Gabriel, Oskar W./Brettschneider, Frank (Hg.): Die EU-Staaten im Vergleich: Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994.
□
Hartmann, Jürgen: Vergleichende Politikwissenschaft: Ein Lehrbuch. Frankfurt/Main: Campus, 1995.
□
*Heilmann, Sebastian: Das politische System der VR China im Wandel. Hamburg: Institut für Asienkunde,
1996.
□
*Hübner, Emil/Münch, Ursula: Das politische System Großbritanniens: eine Einführung. München: Beck, 1998.
□
*Ismayr, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas. Opladen: Leske + Budrich, 1997.
□
*Kavanagh, Dennis: British Politics: continuities and change. New York: Oxford Univ. Press, 1996.
□
Kempf, Udo: Von De Gaulle bis Chirac: das politische System Frankreichs. Opladen: Westdeutscher Verlag,
1997.
□
*Lasserre, Rene/Schild, Joachim/Uterwesse, Henrik: Frankreich-Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. Leverkusen:
Leske + Budrich, 1997.
□
*Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernmentalität.
Berlin: Argumente Verlag, 1997.
□
*Mann, Michael: Geschichte der Macht, Bd. 1-3. Frankfurt/Main: Campus, 1994-1998.
□
Pierson, Christopher: The Modern State. London, NY: Routledge, 1996.
□
*Prätorius, Rainer: Die USA: politischer Prozess und soziale Probleme. Leverkusen: Leske + Budrich, 1997.
□
Woyke, Wichard: Europäische Union: erfolgreiche Krisengemeinschaft. Einführung in die Geschichte, Strukturen, Prozesse und Politiken. München/Wien: Oldenburg, 1998.
*Die mit * gekennzeichneten Bücher befinden sich im Handapparat in der FB für Politikwissenschaft [Rooseveltplatz 2]
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2 Entwicklung des Staats im interkulturellen Vergleich
EINE GENEALOGIE DES REGIERENS
Staat ist ein „Gebilde (…), eine Einheit (…) bestehend aus verschiedenen Elementen und Prozessen, die untereinander in gewisser Beziehung und Wechselwirkung stehen.“ (Nohlen)
Politisches System: System von „action“ (Almond) / Verhaltenssystem (Easton)
□ Institutionen (Strukturen)
□ Prozesse (Verfahren)
□ Inhalte
Staat (in analytischer Hinsicht): konkrete Form bzw. Auswirkung der spezifischen Elemente /
Glieder innerhalb eines Systems
Kennen um zu vergleichen und Vergleichen um zu kennen
Kausalen Zusammenhängen innerhalb der Systeme nachzugehen:
□ Institutionell-struktureller Hinsicht
□ prozessualer Hinsicht
□ inhaltlich – materieller Hinsicht
□
Das System (der Staat) ist zunächst in seiner Plastizität zu betrachten -> diachron (historisch)
/ideologisch
2.1 Der Staat im Völkerrecht
3 Staatselemente (Kategorien):
□
□
□
Staatsvolk
Staatsgebiet
Souveräne Staatsgewalt
Aber: wenn ein Staat nicht anerkannt wird, Unterscheidung:
- konstitutiver Akt
- deklarativer Akt
1. Staatsvolk
1. im allgemeinen Sinn die Gesamtheit der Staatsangehörigen eines Staats, d.h. die Bevölkerung
eines Staats unter Ausschluss der fremden Staatsangehörigen und der Staatenlosen;
2. im verfassungsrechtlich-organisatorischen Sinn die wahlberechtigten Staatsangehörigen, weil
nur sie an den politischen Entscheidungen teilnehmen;
3. im ethnisch-politischen Sinn bei Vielvölkerstaaten oder Staaten mit andersvölkischen Minderheiten die den Staat tragende ethnische Gruppe oder die tragenden Gruppen (Deutsche und Ungarn in Österreich-Ungarn bis 1918, Tschechen und Slowaken in der Tschechoslowakei);
4. im geschichtsphilosophischen Sinn Völker, die früh zur eigenen dauerhaften Staatsbildung gekommen sind („staatsbegabte“ Völker), im Gegensatz zu den Völkern, die sich spät staatlich organisiert haben und deren Staatsschöpfungen keinen Bestand hatten („Staatsnationen“ und „Kulturnationen“).
2. Staatsgebiet
der räumliche Herrschaftsbereich eines Staats, auf der Erdoberfläche durch die Grenzen zu anderen Staaten kenntlich gemacht;
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Zum Staatsgebiet gehört auch der Boden (theoretisch bis zum Erdmittelpunkt); hier können sich
jedoch bei Bergwerken unter Tage andere Grenzen ergeben als über Tage (Lothringen, niederländische Grenze);
Außerdem gehört die Luftsäule über dem Territorium zum Staatsgebiet; daraus folgt der Grundsatz der staatlichen Lufthoheit, nach herrschender Meinung bis 100 km über der Erde.
Bei Küstenstaaten erstreckt sich das Staatsgebiet noch auf das Meer hinaus, und zwar in unterschiedlicher, von der nationalen Rechtsetzung bestimmter Weite von 3 bis 12 Seemeilen. Eine
verbindliche Festlegung der Weite der Küstengewässer- und der Anschlusszone besteht nach Völkerrecht nicht.
3. (souveräne) Staatsgewalt
bezeichnet die auf eigenem Recht beruhende Herrschaftsmacht, über die ein Staat bezogen auf
das eigene Staatsgebiet (Gebietsmacht) und auf die eigenen Staatsangehörigen (Personalhoheit)
verfügt; zu unterscheiden sind
1) die Institutionen der Staatsgewalt. (Legislative, Exekutive, Rechtsprechende Gewalt) und
2) das Gewaltmonopol, das ausschließlich dem Staat das Recht zubilligt, zur Durchsetzung der
Rechtsordnung physische Gewalt anzuwenden
Die Staatsgewalt wird in modernen Demokratien nach innen durch die Grund- und Menschenrechte und nach außen durch internationale Verträge und das Völkerrecht begrenzt.
Ad Gewaltmonopol:
nur der Inhaber der Staatsgewalt (in Österreich das Volk, in dessen Vertretung das Parlament)
darf Gewalt ausüben.
Ad Regierungsbegriff: Government – Governance:
self-governance (Foucault): Menschen regieren sich zunehmend selber, sind unsere eigene “Polizei” (mehr Empfehlungen statt Pflichten seitens des Staates) – wer rational denkt wird rational (und damit im Sinne des Staates richtig) handeln.
2.2 Fünf Charakteristika von Staaten
1) Eine über ein Territorium definierte Bevölkerung, die ein Organ des Regierens anerkennt
2) Regierungsorgan verfügt über spezialisiertes Personal – Bürokratie und Militär
3) Staat ist souverän
4) Nationalgefühl
5) Gemeinschaft in Verteilung und Aufteilung von Pflichten und Rechten
Implikationen
1) Staat ist institutionelles Ensemble mit multiplen Grenzen, weder stabil noch fixiert
2) substantielle Charakter des Staates hängt von spezifischen politischen Projekten, Kämpfen
und Narrativen ab
3) strukturelle Selektivität
4) Staat als Form von Sozialbeziehung und Ausdruck gesellschaftlicher Machtbalance
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2.3 Machtbalance: Die vier Gesichter der Macht
1. Gesicht:
A zwingt B etwas zu tun, was B nicht tun will
2. Gesicht:
A verbietet (verhindert) B etwas zu tun, was B tun möchte.
3. Gesicht:
B entscheidet, etwas zu tun, was A möchte, obwohl es Bs Interessen widerspricht
(„Manipulation“)
4. Gesicht:
Selbstregulierung
□
Macht als relationales Phänomen – Rolle des Subjekts
□
Sozialpraktiken, Diskurse, Paradigmen
□
Government -> Governance
„interactions of a range of political actors, of which the state is only one. Governance refers to the outcome of these interactions and interdependencies: the self-organizing networks... Recent political strategies have attempted to govern neither through centrally
controlled bureaucracies (hierarchies) nor through competitive interactions between producers and consumers (markets), but through self-organizing networks“
vgl.: Nikolas Rose, Powers of Freedom. Reframing Political Thought. Cambridge University Press: 1999.
2.4 Bedeutung des Staates aus historischer Perspektive
□
"traditionelle" Staaten
3000 bis 2000 vor Christi Geburt (z.B. Mesopotamien)
□
„moderne“ Staaten
ca. 300 Jahre alt
Nationalstaat Phänomen des 19./20. Jhdt.
(vgl. Entkolonialisierung v.a. nach dem 2. WK)
□
Grenzfall absolutistischer Staat
Übergang von einer tendenziell dezentralen Form von Machtausübung (etwa des feudalistischen Systems) zu einer Konzentration und Zentralisation von Macht und Herrschaft
2.5 Der Absolutismus
1. Absorption kleiner Einheiten in große politische Strukturen
2. Verstärkte Fähigkeit über ein vereintes Territorium zu herrschen
3. Verstärktes System von Recht und Ordnung
4. Einheitliche, kalkulierbare Ausübung der Herrschaft durch einen Souverän
5. Staaten -> risikoreicher, offener Wettbewerb um Macht
Hauptkomponenten im Absolutismus:
~> Monarch = einzig irdische Rechtsquelle (keine Parlamente)
~> Regiert mit Berufsbeamtentum (Bürokratie) u. Armee
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2.6 Die Moderne
1) Industrialisierung (neue Form Wirtschaft zu betreiben)
2) Demographischer Wandel (-> Landflucht)
3) Kommodifizierung
4) Aufstieg des Kapitalismus
5) Arbeitsteilung und Spezialisierung
6) Aufstieg von Wissenschaft und deren Anwendung
7) Neue Formen politischer Partizipation und Legitimation
2.7 Souveränität
Thomas Hobbes (1588-1679)
□
englischer Mathematiker und Staatstheoretiker
□
Wichtige Schriften:
1642 (Beginn der I. Englischen Revolution) De Cive
1651 (O. Cromwell) Leviathan
1655 De corpore
1658 De homine
Max Weber (1864 – 1920)
□
„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den
eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf
diese Chance beruht“
□
„Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts
bei abgebbaren Personen Gehorsam zu finden...“
Weber, Max (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Auflage. Tübingen. [Ersterscheinung
1921/1922].
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Max Weber
1) Gewalt legitim weil durch Regeln legitimiert
2) persönliche Autorität
3) Herrschaftsausübung rational und bürokratisch
2.8 Transformation von Staaten
1) Wachstum
2) Höhere Besteuerung und dichtere Überwachung
3) Demokratisierung
~ politische Rechte
~ Meinungsfreiheit und politischer Wettbewerb
~ echte Alternativen in politischer Entscheidungsfindung
~ Mehrheitsprinzip
~ Rechte der Minderheiten müssen geschützt werden
4) Nationalstaaten
Staaten -> Nationen.
2.9 Postmoderner Staat?
□
Kontinuität vs. Wandel
1. Erosion der Territorialität
2. Supranationalisierung
3. Veränderung der Kommunikation, der Interaktion
Rückdrängung des Staats
Transformation des Staats
3 Politische Ideologien und Systeme
Warum eine Auseinandersetzung mit Ideologien ?
□
Ideologie/ Paradigma (ein Komplex intuitiver Einstellungen und
methodischer Verfahren, die als relevant betrachtet werden) beeinflusst:
1. Normenbildung, kulturelle und formelle Regeln und
Regulierungen
2.
–
–
–
–
Institutionsausbau
„representativity“
„governability“
„checks and balances“
zentrale bzw. dezentrale Macht
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Lässt sich diese Transformation des Staates (Postmoderner Staat) anhand der ideologischen Entwicklungen begründen (und auf welche Weise)?
□
Politische Konflikte und Auseinandersetzungen sind immer von Ideen getragen!
Der Nationalstaat
□
Entstehung des Nationalstaats eng verbunden mit der Entstehung der modernen Ideologien
□
18./19. Jahrhundert; nach 1945: Weltinstitution
□
Geistige Väter des Nationalstaates: Rousseau und Locke
□
Nationalstaat als Garant für Demokratie und Parlamentarismus
□
Prinzip der Volkssouveränität (Französische Revolution)
□
Volk = Nation = politische Gemeinschaft
Duopol Kapitalismus – Sozialismus: bricht Ende der 1980er zusammen; es folgen viele verschiedene Denkmuster:
3.1 Kapitalismus und Liberalismus
Kommunikations- und Infrastrukturindustrie – Entstehung vom politischen Diskurs
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□
Heute:
allgemeine Akzeptanz des Liberalismus und der freien Marktwirtschaft: Kultur des Reichtums
□
Diktat des Marktes - „Kapitalismus pur“
□
Max Weber:
~> Protestantische Ethik
~> Wie kann eine Tätigkeit, die über lange Zeiträume hinweg als Ausdruck der „Gier und des
Niedrigen“ verachtet wurde, von einem bestimmten Zeitpunkt der Moderne an als ehrenwertes Unternehmen gelten?
□
Kapitalismus:
Kapitalismus bezeichnet eine Wirtschaftsordnung (und Gesellschaftsordnung), in der der Faktor Kapital (Maschinen, Anlagen, Fabriken, Geld) im Vergleich zu anderen Wirtschaftsfaktoren (Arbeit, Grund und Boden) überproportionale Bedeutung hat.
Grundlagen des Kapitalismus sind eine Eigentumsordnung, die die freie Verfügung über das
Privateigentum (z.B. an den Produktionsmitteln) schützt, ferner ein durch staatliche Ordnung
gesichertes, gleichwohl von staatlichen Eingriffen weitgehend freies Wirtschaftssystem auf
der Basis des Marktmechanismus und der Selbststeuerung durch Angebot und Nachfrage.
Diese Rahmenbedingungen und die weitgehend ungeregelte Ausbeutung der anderen beiden
Produktionsfaktoren erlaubten eine enorme Kapitalanhäufung und führten im Verlauf der industriellen Revolution des 19. Jh. zu politischen und sozialen Gegenbewegungen, deren politische und wirtschaftliche Auswirkungen bis in unsere Zeit reichen.
Zu unterscheiden sind
a) der ab dem 15. Jh. aufkommende Frühkapitalismus
b) der liberale Hoch- oder Manchester-Kapitalismus des 18./19. Jhdt. und
c) der Spätkapitalismus Ende des 19. Jhdt.
Politische Theorien - Interesse
□
Heiliger Augustinus (354-430)
Lust nach Geld und Besitztümer ist – neben Lust nach Macht und sexueller Lust – eine der drei
Hauptsünden -> einzige positive Lust: Streben nach Ehre
□
Niccolo Machiavelli (1469-1527)
Il Principe -> Positive Theorie der Macht
-> „Die Absicht heiligt die Mittel“
□
Thomas Hobbes (1588-1679)
Leviathan
-> Renaissance bis 17. Jhdt.:
Überzeugung, dass moralisierender Philosophie und Religion nicht mehr (zu)getraut werden
kann, die destruktiven Eigenschaften des Menschen zu zähmen -> neue Strategien müssen
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Politische Theorien - Leidenschaft vs. Interesse
□
Giambattista Vico (1668 - 1744) / Baruch Spinoza (1632 – 1677)
-> Leidenschaft kultivieren (zähmen)
□
David Hume (1711-1776)
"Nothing can oppose or retard impulse of passion but a contrary impulse„
-> countervailing passions with passions
(Kalkulierbare) Interessen von Menschen als Gegengewicht gegen ihre (unkalkulierbaren)
Leidenschaften
□
17./18.Jhdt.: große Frage -> wie kann man Ordnung herstellen?
□
„state of nature“: Angstfaktor (Natur war leidenschaftlich, wild und kulturlos); musste verhindert werden
□
Große Frage: Wie kann man eine Gesellschaft herstellen in der so etwas nicht passiert? (Religion kann und soll dabei nicht mehr als Bindeglied fungieren)
□
Alexander Hamilton: Federalist Papers: was tun wenn der Präsident ein schlechter Mensch
ist? -> Vorschlag zu einer zweiten Amtszeit um schlechtes Verhalten in der ersten Amtszeit
unwahrscheinlicher zu machen -> Gewaltenteilung in den USA
□
Welche Leidenschaften sind die besseren, welche die böseren Leidenschaften?
-> 16./17.Jhdt.: Idee, die Interessen der Menschen als ein Gegengewicht zu ihren Leidenschaften zu konzeptualisieren; Idee der Reflexion und der Kalkulation (Interesse bedeutet es
zu möchten sowie auch nachzudenken, zu kalkulieren, zu reflektieren,… Interesse ist eine reflektierte Leidenschaft) -> zentral für das Aufkommen des Liberalismus
□
The Federalist Papers: No.72 - Alexander Hamilton
„An avaricious man, who might happen to fill the office, looking forward to a time when he
must at all events yield up the emoluments he enjoyed, would feel a propensity, not easy to
be resisted by such a man, to make the best use of the opportunity he enjoyed while it
lasted, and might not scruple to have recourse to the most corrupt expedients to make the
harvest as abundant as it was transitory; though the same man, probably, with a different
prospect before him, might content himself with the regular perquisites of his situation,
and might even be unwilling to risk the consequences of an abuse of his opportunities. His
avarice might be a guard upon his avarice. Add to this that the same man might be vain or
ambitious, as well as avaricious. And if he could expect to prolong his honors by his good
conduct, he might hesitate to sacrifice his appetite for them to his appetite for gain. But
with the prospect before him of approaching an inevitable annihilation, his avarice would
be likely to get the victory over his caution, his vanity, or his ambition.“
Politische Theorien
□
Sir James Steuart (1713-1780)
"were a people to become quite disinterested: there would be no possibility of governing
them. Everyone might consider the interest of his country in a different light, and many
might join in the ruin of it, by endeavoring to promote its advantages"
-> Interessen: klar, voraussagbar, stabil
vgl.: Sir James Steuart (1767): An Inquiry into the Principles of Political Economy.
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Charles-Louis de Secondat, Baron de MONTESQUIEU (1689-1755)
Gewaltenteilung: Legislative / Exekutive / Judikative
gegenseitige Kontrolle
~ Esprit des Lois
□
Adam Smith (1723-1790)
~ Wealth of Nations
"Commerce and manufactures gradually introduced order and good government, and with
them, the liberty and security of individuals, among the inhabitants of the country, who
had before lived almost in a continual state of war with their neighbours, and of servile dependency upon their superiors"
Ökonomischer Liberalismus
Wenn Menschen ihren ökonomischen Interessen nachgehen wird so etwas wie Stabilität entstehen; die Summe der Individuen verfolgt ihre Interessen (Handel treiben, Fabriken bauen,…), interagieren; werden indem sie ihre Interessen verfolgen aufeinander bezogen und
verfolgen ihre Interessen mit Kalkül und Reflexion; diese Gesellschaft ist eine stabile, weil
das ökonomisch-aktiv-sein Folgen der Interessen impliziert und im täglichen Handeln die kultivierte Form von Leidenschaft dominiert; Handel betreiben ist eine Art von kultivierter Leidenschaft -> Grundüberlegung des liberalen Denkens
Die Idee war nicht, jeder soll einfach sein Interesse verfolgen und reich werden (ist eher kapitalistisch); Historisch gesehen ging es nicht darum sich zu bereichern, sondern eine soziale
Ordnung über die Kultivierung von Leidenschaften in der Form von Interesse zu erzielen.
vgl. dazu: O. Hirschman, The Passions and the Interests. Political Arguments for Capitalism before Its Triumph, 1977.
3.2 Marxismus
□
□
Ziel: Befreiung vom Joch des Kapitalismus und Klassenlose Gesellschaft
□
Kapitalismus erzeugt künstliche Knappheit
□
Staat ist repressive Instanz der herrschenden Klasse; Organ der Klassenunterdrückung
□
in klassenloser Gesellschaft gibt es keine Notwendigkeit für Repressionsinstanzen
Marxismus:
Marxismus ist eine Sammelbezeichnung für die von Karl Marx (und Friedrich Engels) entwickelte Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie sowie für die damit verbundenen politischen u
und weltanschaulichen Grundsätze.
Theoretisches Kernstück des Marxismus ist die Studie "Das Kapital" (eine detaillierte Kritik
des Kapitalismus). Das politische Bekenntnis des Marxismus ist in der Streitschrift "Das kommunistische Manifest" enthalten. Bereits zu Lebzeiten von Marx (und verstärkt in der Folgezeit) wurde der Marxismus variiert, den jeweiligen (auch geographisch unterschiedlichen) politischen und ökonomischen Bedingungen angepasst.
Zu unterscheiden sind u.a.:
1) der orthodoxe Marxismus (der sich eng an den Schriften von Marx orientiert)
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2) der revolutionäre Marxismus (der sich auf die Weiterentwicklung und revolutionäre Umsetzung des Marxismus konzentriert)
3) der Revisionismus, der im Gegensatz zu 2) alle radikalen und revolutionären Aspekte ablehnt
4) der Neo-Marxismus (der versucht, die Kernaussagen des Marxismus an die inzwischen geänderten sozialen und ökonomischen Bedingungen anzupassen)
Marx/Engels: empirisch arbeitende Sozialwissenschaftler und Theoretiker; sind viel gereist
um zu forschen;
Für Marx war der Kapitalismus etwas unvollständiges, ein System des künstlichen Steckenbleibens, aber sicher keine rationale gesellschaftliche Ordnung; er bezweifelte die Gesamtrationalität des kapitalistischen Projekts; das anarchische Verfolgen der ökonomischen Interessen führe ihm nach nicht zu einer Gesamtrationalität;
Wenn die Menschen beginnen zu begreifen, dass sie das Produkt von äußeren Umständen
sind, kann es zu einer Ordnung kommen;
□
Oktoberrevolution:
Weiterführung des Marxismus durch Lenin: Kommunismus erhebt nun einen universellen Anspruch. Zur Weltverbesserung muss es einen Sturz der Regierung geben, was ein erster Schritt in
Richtung einer breiteren Revolution werden soll. Ziel ist die Befreiung vom Joch des Kapitalismus
sowie die klassenlose Gesellschaft.
Für Marx stellt der Kapitalismus eine künstliche Knappheit her (man braucht Polizei, Heer, um
den potentiellen Aufruhr nieder zu halten). Es gibt für ihn eine reiche Bourgeoisie, die neben
einer armen Arbeiterschaft steht. Der Staat ist eine repressive Instanz der herrschenden Klasse.
Wenn es nur mehr eine Klasse (das Proletariat) gibt, gibt es auch keine Unterdrückung mehr sondern nur mehr Humanität.
Kommunismus und Sozialismus gehen davon aus dass eine perfekte Gesellschaftsorganisation
möglich ist.
3.3 Liberalismus vs. Marxismus
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Liberalismus war neben Konservatismus und Sozialismus eine der drei im 19. Jahrhundert entstandenen politischen Grundströmungen. Liberale treten heute dafür ein, dass sich der einzelne
Mensch frei von gesellschaftlichen Zwängen und "staatlicher Gängelung" entfalten kann und sein
Schicksal selbst in die Hand nimmt.
Kommunismus und Sozialismus
□
Verwirklichung der sozialen Gleichheit
□
Sozialismus: Neugestaltung der Wirtschaftsordnung – Überwindung von kapitalistischen
Verhältnisse
□
Kybernetisches Gesellschaftsmodell – perfekte Organisation
□
Oktoberrevolution in Russland als Katalysator der Bewegung (Marxismus)
□
Historisch eine erfolgreiche Bewegung
□
Hobbesbawm
es begann das Zeitalter der Extreme (1. und 2. Weltkrieg, Revolutionen, Aufstieg des
Kommunismus nach dem 2. WK, Kolonialreiche zerbrechen, Weltwirtschaftskrise in der
Zwischenkriegszeit zwingt selbst die stärksten kapitalistischen Systeme in die Knie, demokratische Systeme wanken, Aufstieg des Faschismus)
□
Kommunismus:
Kommunismus ist die Bezeichnung für politische Lehren und Bewegungen, die als Ziel die
Verwirklichung einer klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft auf der Grundlage der von
Karl Marx (*1818, †1883) und Friedrich Engels (*1820, †1895) aufgestellten Theorien haben.
Nach Karl Marx entwickelt sich der Kommunismus als Gesellschaftsform nicht sofort, sondern
schrittweise in verschiedenen Phasen. Nach einer Übergangsperiode des Kapitalismus, der
notwendigerweise zusammenbrechen muss, und der Revolution des Proletariats folgt zunächst die Phase des Sozialismus. Vor allem das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln
im Sozialismus sieht Karl Marx dabei als ökonomische Grundlage der allmählich aus der sozialistischen Gesellschaft durch Entfaltung aller menschlichen Fähigkeiten entstehenden höheren Phase der herrschaftslosen, kommunistischen Gesellschaft. Am Ende soll allen alles gehören.
□
Sozialismus:
Sozialismus ist ein Weltbild, das sich im 19.Jahrhundert aus der Kritik am Kapitalismus entwickelt hat und eine Beseitigung dieses Wirtschaftssystems anstrebt. Wirtschaftspolitische
Grundlage ist die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und dessen Verstaatlichung, sowie die zentrale Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses, um negative
soziale Auswirkungen des Wirtschaftens zu verhindern. Ziel ist die Überwindung sozialer Gegensätze in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Verbesserung der Situation der arbeitenden Bevölkerung.
Die Hauptrichtungen des Sozialismus im 18. und 19.Jahrhundert waren der utopische Sozialismus und der wissenschaftliche Sozialismus.
Die utopischen Sozialisten wie Robert Owen (*1771, †1858) oder Charles Fourier (*1772,
†1835) strebten gesellschaftlich und wirtschaftlich einen idealen Staat an, den sie durch Aufklärung und vernünftiges Handeln aller Menschen erreichen wollten.
Im Gegensatz dazu unternahmen Marx und Engels den Versuch, den Sozialismus wissenschaftlich zu begründen. In dieser Betrachtung ist der Sozialismus das notwendige Ergebnis
aus dem Zusammenbruch des Kapitalismus und der Revolution der Arbeiterklasse sowie die
Vorstufe der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, dem Kommunismus.
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In den ehemaligen Ostblockstaaten (z.B. ehemalige Sowjetunion oder DDR), die durch eine
umfassende Herrschaft der kommunistischen Partei geprägt waren, wurde vom real existierenden Sozialismus gesprochen. Deren Wirtschaftsordnung wird auch als Planwirtschaft bezeichnet.
3.4 Faschismus
□
in Europa ab den 1920er Jahren
□
heute politisch gesehen eine Randerscheinung
□
Einige Kennzeichen:
- antiparlamentarisch, antiliberal und
antimarxistisch
- gesteigerter Nationalismus (bis zu nationalsozialistischen Rassenphantasien)
- Massenmobilisierung
- zwar Rhetorik der Rückkehr, aber nicht
traditionell
- Führerprinzip
□
Faschismus:
Faschismus (italienisch: fascismo) bezeichnete ursprünglich die von Benito Mussolini in Italien 1922 zur Macht geführte politische Bewegung (movimento) der „Schwarzhemden“.
Heute wird der Begriff Faschismus für verschiedene sich ähnelnde politische Ideologien verwendet, die sich gegen liberale, sozialistische und kommunistische Weltanschauungen richten. Die faschistische Ideologie und die sie tragenden nationalistisch-kollektivistischen Bewegungen wurden von einem Konglomerat verschiedener Theorien getragen, die im 19. Jahrhundert entstanden und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ihre praktische Wirkung entfalteten. Ein zentrales Element der faschistischen Ideologie ist der Autoritarismus.
Definition von Faschismus:
- stellt die Werte und Institutionen der liberalen Zivilisation in Frage, deren Fortbestand seit
dem 19.Jhdt. als selbstverständlich angesehen wurden: Vernunft, Wissenschaft, Fortschritt, Vernunft, Rechtstaatlichkeit, Konstitutionalismus, individuelle Freiheit,…
- kombiniert konservative Werte mit Techniken der Massenmobilisierung, mit Nationalismus,…
- Mischung von Modernem und Altem (Hitler war einer der ersten der einen modernen Wahlkampf mit Flugzeugen geführt hat…)
- Rhetorik einer Rückkehr zu den Traditionen, ohne dass der Faschismus eine traditionalistische Bewegung war
- Liberalismus, Aufklärung, Französische Revolution werden gebranntmarkt
- Im Zentrum stehen weder die Kirche noch ein König, sondern das Führerprinzip, verkörpert
durch Emporkömmlinge wie Hitler und Mussolini
- Zentrierung des gesamten Systems auf die Führerpersönlichkeit, Verschmelzen des Volkes
im Führer = Grundidee des Nationalsozialismus (vgl. Leni Riefenstahl: „Triumph des Willens“)
- Rasse, Erbgut Fantasiekonstrukte die im Faschismus eine große Rolle spielen
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3.5 Ab 1989
1989: Ende des „Kalten Krieges“
□
Nach 1989-1991: Das Ende der Geschichte?
-> Francis Fukuyama: The End of History and the Last Man, 1992.
□
Liberale Demokratie als Ende der Geschichte -> es ist kein weiterer Fortschritt in den grundlegenden Prinzipien und Institutionen der liberalen Demokratie mehr zu erwarten, denn das
Menschengeschlecht ist nach jahrtausendelangen Anerkennungskämpfen zu sich selbst gekommen und der Weltgeist hat nach dem Jahre 1989 in der egalitären Demokratie seine letzte Ruhestätte gefunden
□
teleologisches Geschichtsverständnis (-> Hegel und Marx)
□
„State building: governance and world order in the 21st Century“ (2004)
□
„ Vor 10 Jahren habe ich vermutet, dass der Übergang von Sozialismus privatisieren und noch
einmal privatisieren bedeutete: ich habe mich geirrt. Die Herrschaft der Gesetze ist wahrscheinlich noch viel wichtiger.“
9/11: Clash of Civilizations?
-> Samuel P. Huntington: Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996.
□
nach den Kriegen zwischen Königen, Nationen und Ideologien folgt nun die Zeit der Konflikte
zwischen Zivilisationen
□
Zivilisationen als breiteste kulturelle Einheiten: „moral sense“
□
Zukunft wird durch einen Zusammenprall der großen Zivilisationen geprägt sein
□
unterscheidet zwischen der Westlichen, der Lateinamerikanischen, Afrikanischen, Islamischen, Orthodoxen etc. Zivilisation
□
glaubt nicht an die Ausbildung einer Universalistischen Zivilisation
□
Auseinanderfallen von Verweltlichung und Modernisierung
□
Hauptkonflikt zwischen Islam und Westen, weil beide Systeme universelle Werte haben und
die Werte anderer Zivilisationen in Frage stellen
□
Nach der französischen Revolutionen waren die Kriege Kriege zwischen Ideologien, nicht
mehr zwischen Königen; heute sind es die Kriege zwischen Zivilisationen
Who are we? The Challenges to America‘s National Identity, 2004.
□
„Clash“ nach innen : Alptraumszenario des amerikanischen Alltags
□
„Clash of Paradigms“?
Nationalistische / fundamentalistische Tendenzen
Pluralistische / multikulturelle Tendenzen
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3.6 Grundformen politischer Systeme
-> Trennlinie ist oft sehr schwierig zu ziehen zwischen demokratisch und nicht-demokratisch
Demokratische Systeme
- Präsidentielles System
- Parlamentarisches System
□
Nicht-Demokratische Systeme
- Autoritäres System
- Totalitärer System
- Kommunistisches System
Demokratische Systeme
Zeigt ein Verhältnis zwischen Regierung und Bürgern; die Erwartungen der Bürger werden erfüllt -> demokratische Institutionen
Im Zentrum eines demokratischen Systems stehen die Wahlen. Die Regierung tut das was die
Bürger wünschen. Diese Wünsche werden bei den Wahlen verhandelt. Das System respektiert
Minderheiten, die Mehrheit darf nicht absolut regieren.
□
Präsidentielles System: USA, Frankreich
□
Parlamentarisches System: Liberale Ausprägung von Demokratie -> Großbritannien
□
Nicht-Demokratische Systeme
Mangelnder Respekt gegenüber den Wünschen der Bürger; es gibt keine freien Wahlen, aber
dafür stark autoritäre Züge im System. zB China
□
Totalitäres System
Nicht–kommunistisch; Drittes Reich war ein nationalistisches System -> Konzentration von
Macht, eine Partei, ein Führer; der Staat versucht mit Techniken tief in den Lebensbereich
der Bürger einzugreifen. Ziel ist es, das Leben der Bürger zu lenken und sie zu entmündigen.
Totalitäre Systeme sind immer autoritär, aber nicht immer sind autoritäre Systeme totalitär;
Techniken müssen vorhanden sein
□
Autoritäres System
Durch Probleme der Ordnung gekennzeichnet; Versuch der Herstellung von Ordnung und Stabilität durch Konzentration von Macht; die Macht ist beim Regierungschef zentralisiert;
Macht wird von der Exekutive ausgeführt; Exekutive wird durch einen starken Mann vertreten
-> Präsident oder Militärführer
Dieser steht an der Spitze des Systems und braucht das System der Machtausübung. (Exekutive = Polizei, Ministerien …); Stellen werden mit „Gehorsamen“ besetzt, um den Schein zu
wahren; Legislative und Judikative sind praktisch ausgeschaltet; Autoritäre Militärs wissen
oft nicht, was sie mit der Macht anfangen sollen, wollen nur Regierung ablösen
□
Kommunistisches System (zB China)
Offizielle Ideologie; Wirtschaft zählt zum öffentlichen Eigentum; eine Partei ist zentral; politische Institutionen befinden sich unter Parteienkontrolle; keine freien Wahlen, nur auf unterster Ebene
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3.7 Jürgen Habermas (*1929) und „die Postnationale Konstellation“
1) Auftreten neuer Akteure der Macht und Ausprägung
neuer Formen von Herrschaft
2) Globalisierung
3) Fortsetzung alter und Auftreten neuer Ungleichheiten; Resultat: Anomie
4) Plünderung des Planeten und Zerstörung der Natur
5) Aufschwung von Nationalismus und Fundamentalismus
6) Entwicklung neuer und intensiverer Formen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten
[vgl. J. Habermas (1999): Die postnationale Konstellation. Politische Essays. Frankfurt am Main.]
□
"Postnationale Konstellation"
Jürgen Habermas, geboren 1929, war der Begründer der Postnationalen Konstellation
1) Auftreten neuer Akteure der Macht und Ausprägung neuer Formen von Herrschaft
Das heutige Staatensystem bildet sich im 17. Jhdt. heraus. Dieses tritt typischerweise in der
Form einer unabhängigen nationalstaatlichen Welt auf (Staaten sind souverän und haben das
Gewaltmonopol über ein gewisses Territorium). Macht und Herrschaft sind sehr stark über
den Staat definiert.
Diese Welt ändert sich jetzt langsam. Heute gibt es neue Akteure der Macht jenseits der
klassischen Nationalstaaten (WB, IMF, NGOs, Lobbygruppen, Wirtschaftsunternehmen,…). Es
entstehen neue Netzwerke der Macht jenseits des Staates, wodurch die Relevanz der Staaten
teilweise relativiert wird.
Daimler Chrysler hat zB mehr Geld als ein ganzer Staat -> bedeutet Macht -> übt Druck auf
andere aus in der Politik -> kein Staat, aber trotzdem eine extreme Machtstellung
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Auf der anderen Seite NGOs, wie Greenpeace; Greenpeace handelt wie ein Konzern in der
ganzen Welt, straffe Organisation
Neue Netzwerke der Macht, jenseits der Staaten. Neue Akteure mit neuer Relevanz. Staaten
müssen sich mit diesen neuen Akteuren auseinandersetzten.
2) Globalisierung
Beschreibt den zunehmenden Umfang und die Intensivierung von Verkehrs-, Kommunikations- und Austauschbeziehungen über nationale Grenzen hinaus; Herausforderung für die
nationalen politischen Systeme (eg Finanzakteure: Währungsspekulationen werden immer
leichter durchführbar, können immer mehr Macht gewinnen).
-> Machtverlust von Nationalstaaten; Bedeutungsabnahme staatlicher Grenzen; Vor/nach
dem 1/2 Weltkrieg herrschte eine starke Internationalisierung -> Herausforderung für nationale Systeme
3) Fortsetzung alter und Auftreten neuer Ungleichheiten, Resultat: Anomie
Verschärfung des Nord-Süd-Gefälles; Verschwinden des Sozialstaates; Arbeitslosenverdichtung; früher Marx-Philosophie, heute Darwin (survival of the fittest);
Gesellschaften zerfallen in sich, soziale Netze verschwinden; auch innerhalb des Nordens
entstehen neue cleavages, nicht nur zwischen Nord und Süd
Anomie: Verfall der Gesellschaft;
Arbeitslosigkeit, kranke Menschen, Verlust von sozialen Systemen; Neue Konflikte:
Rassenkonflikte in GB und Frankreich, Religionskonflikte
4) Plünderung des Planeten und Zerstörung der Natur
Die umweltpolitische Bilanz der Welt ist ernüchternd, die Zerstörung geht ungebremst weiter. Viele Konflikte, insbesondere in EL, haben umweltpolitische Ursachen.
Besonders in der westlichen Welt: unbegrenzte Zerstörung des Regenwalds
5) Aufschwung von Nationalismus und Fundamentalismus
zB Nigeria, Mexiko
Staaten zerfallen und tot geglaubte Phänomene kommen zurück (Konflikt Israel – Islam)
6) Entwicklung neuer und intensiverer Formen der Zusammenarbeit zwischen den
Staaten
Europäische Union (EU)
Was hat sich verändert? Was ist neu?
In den 60er und 70er Jahren hat sich das politische System in sich abgeschlossen -> Eigenlogik
All diese Trends lassen sich kaum mehr auf nationaler Ebene lösen, deshalb die Tendenz zu
supranationaler Zusammenarbeit
China: ein kommunistisches System mit autoritären Zügen
-
eine offizielle Ideologie
Wirtschaft in öffentlichem Eigentum
Zentralität der Partei
politische Institutionen unter Parteikontrolle
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4 Politik in Großbritannien
Großbritannien…
□ „Mutterland des Liberalismus und der Demokratie“; trotz vieler Konflikte gibt es noch eine Monarchie
□ „Wiege des modernen Kapitalismus“ -> so wird es in der modernen Literatur eingeschätzt
□ Demokratische Organisationsformen mit großem Erfolg sehr früh durchgesetzt
□ GB hat noch immer eine Modellrolle inne
Oberhaupt: Queen Elizabeth II
Premierminister: Gordon Brown, seit 2007
United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland
□
□
□
□
England
Wales
1536 Act of Union
Schottland
1707: Act of Union
-> Great Britain
(Nord-)Irland:
1800: United Kingdom of Great Britain and Ireland
1921/9: United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland
4.1. Geschichte
□
Kontinuität und institutionelle Stabilität
Starke Präsenz der Geschichte in der Gegenwart (gibt es nicht in Israel, China oder Japan;
dort war immer ein hin und her)
□
Politische Institutionen
Entstehen im 17. Jhdt. und haben sich seit damals nicht sonderlich geändert
3 wichtige Ereignisse im 17. Jhdt.:
□
Glorious Revolution (1688) (William von Oranien vertreibt den Katholiken James II)
James II war an der Macht, war Katholik und die Furcht war weit verbreitet, dass er GB katholisieren und den aufblühenden Demokratismus ersticken wollte;
es wird ein katholischer Thronfolger geboren -> englische Parlamentarier wandten sich an die
Holländer und den protestantischen Prinzen Willem van Oranje, der mit seinem Heer nach
GB kam
-> James II flüchtete aus GB und das englische Parlament ernannte Willem III und seine Frau
Mary zu König und Königin
-> war eine unblutige Revolution (darum „glorious“)
□
Bill of Rights (1689) (Regelt die Rechte des Parlaments gegenüber dem Königtum)
1689 verabschiedet -> dadurch wurden die Monarchen an die Leine des Parlaments gelegt:
Nun durften die Monarchen nur mit Zustimmung des Parlaments Gesetzte machen od. ändern
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Geldbeschaffung (Steuereintreibung) bedarf der parlamentarischen Zustimmung; auch die
Einrichtung oder Erhaltung der Armee bedarf der Zustimmung; niemand darf das Recht auf
freie Meinungsäußerung im Parlament beschneiden; Bürgerliche Freiheiten wurden ausgeweitet
In der Folge sollte eine Reihe weiterer Maßnahmen ausgeweitet werden und das Parlament
schließlich in ein permanentes Organ der Verfassung transformiert werden
□
The Act of Settlement (1701) (Parlament schafft Grundlage für neue Thronfolge im Königtum)
Bestimmte, dass in Zukunft kein Monarch Mitglied der katholischen Kirche sein oder ein Mitglied der katholischen Kirche heiraten darf -> Angst vor Katholizismus!
Außerdem wurde dem Monarchen das Recht genommen, Richter zu entlassen (wurde zum
Prärogativ des Parlaments die Macht verlagert sich auch hier von der Krone zum Parlament) -> Gewaltenteilung (Judikative), religiöse Freiheit
Machtverlagerung von der Krone zum Parlament
□
□
□
Zentralisierung
Gewaltenteilung
seit dem 18.Jhdt. konstitutionelle, parlamentarische Monarchie
ad Prozess der Zentralisierung
□
im Zuge der Entstehung des modernen Staates bestand das Wesen der Zentralisierung darin,
dass an Stelle eines Fleckerlteppichs verschiedener kleiner Herrschaftsgebiete eine Vereinheitlichung bzw. Ausbildung eines Staatsgebildes mit einer großen Einheit trat. Das implizierte die Ausschaltung von Macht und Verwaltungsinstanzen, deren Ursprung im Mittelalter lag.
□
Der Übergang von der feudalen zur modernen Staatsordnung bestand in einem Prozess der
Zentralisierung, der Ausschaltung von eigenständigen Machtzentren unterhalb des jeweiligen
Königs oder Kaisers. Typischerweise waren diese Machtinstanzen die Stände (Versammlungen
von Adel und Klerus), die gegenüber den Landesherren gewisse Rechte haben. Auch das englische Parlament war so eine ständische Vertretung. Typischerweise waren diese Stände ein
Ärgernis für die sich herausbildende absolutistische Herrschaft.
□
Dies ist in England nie gelungen, auch wenn einige versucht haben, die Mächte des Parlaments zu umgehen. James II wurde unblutig gestürzt – die Entwicklung der ältesten Demokratie der Welt ist quasi von einer aus dem Mittelalter stammenden Institution (dem ständischen Parlamentarium) initiiert worden.
Dieses neue Regierungssystem/System der Machtverteilung blieb unverändert bis zum:
□
Reform Act (1832)
Mit diesem „Act“ wurde die Gewaltenteilung in Großbritannien durchgesetzt (auf Montesquieu gestützt). Laut Reform Act durfte man nicht mehr ohne guten Grund ins Gefängnis gesteckt werden; wenn doch, hatte man das Anrecht auf einen Prozess! Politische Meinungsäußerung war nun erlaubt!
Durch den Reform Act von 1832 kam es insgesamt es zu einem Wandel des politischen Systems Großbritanniens; die politischen Veränderungen sollten in einem engen Zusammenhang
mit der Industriellen Revolution gesehen werden. Durch den Reform Act wuchs das Lektorat
von 5% auf 7%.
-
Abtrennung der Judikative vom zentralen Regierungsapparat (sowohl von der Exekutive
als auch vom Parlament)
-
Es bildet sich im 19.Jhdt. eine Art eigenständige Gerichtsbarkeit
20
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-
Frühe Entstehung der Gewaltenteilung (zentrales Charakteristikum der englischen Verfassung, laut Montesquieu)
-
Die religiösen Freiheiten wurden garantiert (auch wenn Katholiken in der Praxis diskriminiert wurden)
-
Neue bürgerliche Freiheiten
Durch den Reformakt 1832 wurde neue Klasse geschaffen, Klasse des Kapitalismus. Gesellschaftliche Ordnung geschaffen.
Lord Disraeli:
"the aristocratic principle has been destroyed in this country, not by the Reform Act, but by
the Means by which the Reform Act was passed”
Wahlrechtsentwicklung:
1834 durften/konnten bereits 67 % der (männlichen) Bürger wählen gehen
1918 duften dann auch alle Frauen wählen
1928 wurde das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt
Regierungssystem im 18.Jhdt.:
□ Konstitutionell, Liberal, Parlamentarische Monarchie,…
□ Aber: nur 5% der Bevölkerung durften wählen (Wahlrecht hing von Einkommensverhältnissen
ab, Wahlkreissystem war leicht manipulierbar)
□ Herrscher konnten aber nicht mehr nach Belieben schalten und walten (gab es sonst nirgends
in Europa)
Warum hat sich die Demokratie in GB so früh entwickelt?
□
□
steht in engem Zusammenhang mit der industriellen Revolution:
-
die Industrielle Revolution hat neue Klassen geschaffen
-
die IR hat die Kapitalisten (Besitzer von Produktionsmitteln) geschaffen, aber auch jede
Menge andere Wirtschaftstreibende, die im vorhandenen politischen System schlecht bis
gar nicht vertreten waren;
-
liberale Ideen haben in GB zwar eine gesellschaftliche Ordnung geschaffen, in der der
einzelne zwar seine Interessen verfolgen konnte, aber eben primär nur die ökonomischen
Interessen
-
sie blieben aber weitgehend an der Teilnahme vom politischen Prozess ausgeschlossen
und damit auch von der Gestaltung ihrer Interessen oder möglicher staatlicher Eingriffe
(Verweis auf China heute: in der neuen chinesischen Gesellschaft werden die ökonomischen bürgerlichen Grundrechte gewährt, nicht aber politische Teilnahmerechte. Es liegt
nahe, dass, wenn mensch vieles darf, aber nicht mitbestimmen darf im Staat, dass dies
dann gefordert wird.)
die Industrielle Revolution:
-
Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft haben in den ländlichen Regionen einen
Überschuss von Arbeitskräften erzeugt, die in die Städte abwandern (technischer Fortschritt, Rationalisierung)
-
In den städtischen Regionen entsteht ein Überschuss an Arbeitskräften, woraufhin die integrierten Bedürfnisse von Landwirtschaft, Handel und Industrie Massenkonsummärkte erzeugen
-
Einher geht eine Literarisierung der Bevölkerung (Schulsystem) und das Entstehen einer
neuen Kommunikation (bishin zur Post)
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-
Es entsteht langsam ein System von Angebot und Nachfrage in den großen Sektoren der
Ökonomie (auch in der Seefahrt), verstärkt durch die Dominanz des Königreichs in der
kommerziellen Seefahrt
-
„Petit-Bourgeoisie“ (Kleinbürgertum, kleine Kapitalisten/Unternehmer): hat einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der IR, war aber nicht als eine Klasse für sich organisiert, was auch nicht notwendig war, da sie innerhalb der civil society entsteht und operierte wo die unsichtbare Hand des Marktes das wesentliche Organisationsprinzip war
o Das „Ancien Régime“ („alte Regime“, zB Landadel, Landeigentümer,…) wurde
schrittweise mit der Industrialisierung zum natürlichen Gegner der petit-bourgeoisie,
welche eine Ausweitung des Wahlrechtes verlangte
o 1831: Wahlkampf (7% Wahlrecht): Parlament beanspruchte, ein Mandat der Reformer
zu haben Wahlkampf zwischen alten und neuen Systemlern, die neuen (Reformer)
haben gewonnen
□
kapitalistische Logik der Demokratisierung:
-
□
von Anfang des 19.Jhdts. an:
schrittweise Entwicklung des konstitutionellen Systems (Demokratie), wo im Wesentlichen eine sehr kapitalistische Logik zu beobachten ist:
Landreform, Arbeiterheere, Industrialisierung, Entstehung neuer Klassen und Klassenkonflikt, wobei die schlecht vertretenen Jungkapitalisten auf mehr Vertretung pochen -> es
kommt zu Wahlkämpfen, wo es zum Bruch mit dem alten System kommt
Logik der Geschichte:
-
es wurde nicht eine Seite vernichtet, weil die Herrschenden immer klug genug waren die
Reformen zu erkennen und zu akzeptieren (darum lebt die Monarchie in GB noch immer)
-
Es gibt eine lang wachsende demokratische Kultur in GB, die heute nur schwer bis kaum
noch aus dem Gleichgewicht zu bringen ist (Umschwung in ein autoritäres Regime ist sehr
unwahrscheinlich)!
Transformationsprozesse im 19. Jh.:
□
□
□
□
Industrialisierung
Schaffung neuer Klassen, insbesondere Kapitalisten
Schlechte Vertretung der Kleintreiber
Ökonomie – kein Eingreifen der Krone erlaubt
4.2. Das Politische System Großbritanniens heute
4.2.1. Die Monarchie
Hat seit 1688 kontinuierlich an Macht verloren, aber bis heute überlebt; Heute hat die Monarchie
eine symbolische und keine so wichtige politische Rolle
Verfassungsrechtlich ist GB eine konstitutionelle Erbmonarchie, die sich in der Praxis jedoch zu
einer parlamentarischen Monarchie entwickelt hat
Die britische Monarchie ist wesentlich pompöser und hat stärkere Symbolik als in anderen Ländern: Krone ist das Symbol der staatlichen Einheit, das über den regionalen und sozialen Partikularinteressen stehen soll; Die Krone/Königin/Königshaus ist für GB von großer Bedeutung und Teil
der britischen Identität, ein Moment der Stabilität und Kontinuität. Eigentlich will sie niemand
abschaffen.
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Es gibt in GB nach wie vor sog. „royal Prerogative“ (königliches Vorrecht), das die Autorität der
Krone meint:
„royal Prerogatives“ (= Rechte der Monarchen):
□ Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit anderen Staaten
□ Oberbefehl über die Streitkräfte
□ Kriegserklärung
□ Parlamentsauflösung
□ Ernennung des Premierministers und der Minister, Richter, Bischöfe, Militärspitze …
-> All das geschieht im Namen der Krone. Was sich verändert hat ist dass der Monarch die meisten dieser Akte zwar ausübt, aber nicht die inhaltliche Entscheidung fällt die den Akten zugrunde liegt.
Inhaltliches Vorschlagerecht liegt beim Premierminister; Zudem erhält die Königin alle „cabinet
papers“ (geheime Regierungsdokumente) der Regierung und trifft sich einmal pro Woche mit
dem Premierminister. (Monarchie der „right to be consulted“)
Hauptfunktionen der britischen Monarchen heute:
□ Repräsentation
□ Zeremonie
□ Integration
-> ist nicht nur symbolisch!
4.2.2. Parlament
besteht aus 2 Kammern:
□ Oberhaus („House of Lords“) -> wird nicht gewählt
□ Unterhaus („House of Commons“) -> wird gewählt
Oberhaus („House of Lords“)
Mitglieder werden ernannt oder die Mitgliedschaft wird vererbt
1999: 1200 Mitglieder
Mitglieder erhalten kein Gehalt, nur eine Tagesdiät; Qualität der Debatten ist sehr hoch
HoL genießt hohes Ansehen (Entscheidungen kaum von Parteiloyalitäten sondern von sachlichen Erwägungen geprägt)
Ernennung ins HoL ist eine große Ehre, die zumeist nur herausragenden Persönlichkeiten
zuteil wird (Wissenschaftler, Gelehrte, Ökonomen, Philosophen, Soziologen…). Im Wesentlichen geht es darum, weltweit angesehene Persönlichkeiten ins HoL zu bekommen
□
□
□
□
□
□
□
Mitglieder-Typen des Oberhauses:
Hereditary peers (erbbare Mitgliedschaft)
Mitgliedschaft auf Lebenszeit
Bischöfe –signifikante Typen, von der Kirche kommend
Lords Of Appeal
Das House of Lords kann Gesetze (bzw. Gesetzesvorschläge) revidieren, die es vom „House
Of Commons“ erhält; dies passiert z.B., wenn das Unterhaus ein Gesetz zu schnell abgehandelt hat, aber auch in anderen Fällen; Wenn diese Revidierung ein Jahr oder weniger
vor dem Ende einer Legislaturperiode passiert, kommt es einem Veto gleich!
Unterhaus: „House of Commons“
□
□
die zentrale Kammer des Parlaments; wird alle 5 Jahre gewählt; seit 1832 erfolgt die Wahl
direkt; Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern hat GB ein Mehrheitswahlrecht!
Das House of Commons umfasst 659 Mitglieder und tritt immer von Oktober bis Juli/August
zusammen. Es existieren zahlreiche „comitees“ (=Ausschüsse).
23
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4.2.3. Der Gesetzgebungsprozess
Gesetzesvorschläge können von zwei Stellen eingebracht werden:
□ Von der Regierung: „government bill“ (=Gesetzesvorlage)
□ Von einem Oberhaus- oder einem Unterhausmitglied: „private members bill“
Weiters können dem eigentlichen Gesetzgebungsprozess zwei Arten von Berichten zum Thema
des Gesetzesvorschlags vorangehen:
□ „Green Paper“ (Diskussionspapier) oder
□ „White Paper“ (Weißbuch)
Gesetzgebungsverfahren:
□
Gesetzesvorlage
Kann von der Regierung kommen oder vom Unter- oder Oberhaus (government bill oder private members bill)
□
Diskussionspapier (green paper / white paper)
Kann dem Ganzen vorausgehen
□
Erste Lesung
Formale Information des Unterhauses
Zweite Lesung
2 Wochen später; Vorlage wird im Parlament erläutert; Debatte über Grundsatzfrage
□
□
Ausschussphase
Gesetz wird einem standing committee zugeteilt; berichtet dann dem Unterhaus
□
Dritte Lesung:
Gesetz wird beraten
□
Ist ein Gesetz vom Unterhaus verabschiedet, geht es an das Oberhaus; schlägt dieses Veränderungen vor, geht es an das HoC zurück; stimmt dieses den Veränderungen nicht zu,
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geht es wieder ins HoL zurück. In dieser Phase kann das HoL noch einmal auf seiner Position beharren, wobei es dann zwei Möglichkeiten gibt:
□
-
Wenn dieses Beharren früher als ein Jahr vor Ende der Legislaturperiode passiert, kann
das Unterhaus auf seiner Variante beharren und das Gesetz ohne Zustimmung des Oberhauses verabschieden (In der Regel kann das Oberhaus Gesetze also nicht verhindern)
-
Wenn das Beharren ein Jahr oder weniger vor dem Ende der Legislaturperiode passiert,
gilt dies als Veto des Oberhauses (Gesetzesvorschlag scheitert)
Im Wesentlichen hat das HoL doch recht beträchtliche Möglichkeiten (vgl. Amerikanisches
System); die wirkliche Stärke des HoL liegt in der Qualität der Einwände, die oft Grund dafür sind dass im HoC Veränderungswünsche des HoL absolut erwünscht sind
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Reform oder Abschaffung des „House of Lords“?
□
Vor 1999: 1200 Mitglieder (800 hereditary peers/erbliche Mitglieder)
□
1999: House of Lords Act
Abschaffung der Rechte der hereditary peers “To sit and vote”
Royal Commission unter Lord Wakeham
□
Januar 2000: „Wakeham-Report“ mit 132 Empfehlungen
Auswahlverfahren
Nur noch 550 Mitglieder, Amtszeit 15 Jahre
65-195 Lords durch Regionalwahlen
gesellschaftliche Ausgewogenheit
□
26.April 2001
Ernennung von 15 neuen life peers
Ziel der Demokratie und Repräsentanz fehlgeschlagen
□
Juni 2001
Reformvorschlag der konservativen Opposition
□
7.November 2001: „White Paper“
keine repräsentative, demokratische zweite Kammer
1/5 der Lords soll gewählt werden (für 5 Jahre, auf regionaler Basis)
Ernennung der restl. Lords auf Lebenszeit durch Premierminister
□
Februar 2003: Abstimmung
– Spielvarianten von 20%, 40%, 50%, 60%, 80% und 100%iger Wahl der Lords
– kein Ergebnis
□
8.Februar 2007: „White Paper“
– 50%ige Wahl der Lords
– 540 Mitglieder
– Graduelle Abschaffung der life peers
□
März 2007: Abstimmung
– House of Commons erstmals mehrheitlich für 100%ige Wahl der Lords
Jack Straw, Justizminister, am 19.Juli 2007:
"The Government is determined to proceed with this programme of reform with a view to its
completion."
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„Supreme Court of the United Kingdom“
Die judizielle Rolle des House of Lords
□
„Law Lords“
- „Lords of Appeal in Ordinary“
- „Lords of Appeal“ (Lord Chancellor)
□
Consititutional Reform Act 2005
- Abschaffung der judiziellen Aufgaben des HoL
(Unvereinbarkeit: HoL soll nicht Aufgaben der Judikative und Legislative gleichzeitig erfüllen)
- steht über den Gerichten von England und Wales, Nord-Irland und Schottland
- 12-Richter-Gremium - besetzt durch „Lords of Appeal in Ordinary“
- Neues Auswahlverfahren für frei werdende Stellen: zukünftig keine Adelige mehr, keine
Mitglieder des HoL
- Sitz: Middlesex Guildhall, Parliament Square, Westminster
- Beginn der Arbeit im Oktober 2009
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Das politische System Großbritanniens
□
Mehrheitswahlrecht
- „first-past-the-post“
- 646 Wahlkreise (constituencies)
- Klassisches Zweiparteiensystem
-> Labour Party und Conservative Party (daneben noch Liberal Democrats, Green Party;
haben aber nur wenig Einfluss)
□
„Starker Premierminister“
- Relativ lange Regierungszeiten
- zugleich auch Parteivorsitzender
Margaret Thatcher
1979-1979
Tony Blair
1997-2007
Gordon Brown
seit 2007
4.3. Die Regierung und der Premierminister
Aufgaben des Premierministers
□
□
□
□
□
Ranghöchster Beamter
Richtlinienkompetenz
ernennt die Mitglieder seines Kabinetts, koordiniert ihre Arbeit und die ihrer Ministerien
nimmt an zeremoniellen Anlässen teil
ist das "Gesicht" der Regierung im Vereinigten Königreich und außerhalb
Für die britische Regierung gibt es drei große Prinzipien:
□
□
□
Ministerverantwortlichkeit (jeder Minister ist für seine Taten verantwortlich)
Kabinettsverantwortlichkeit (kollektive Verantwortung des Kabinetts für Regierungsentscheidungen)
Starke Dominanz des Premierministers = Boss („prime-ministerial government“; „elective
dictatorship”)
Theorieschulen zum britischen politischen System (Schulen der Machtstrukturen)
a) „prime-ministerial government“
Die Macht liegt beim Premierminister
b) „cabinet government”
Der Premier ist einer unter gleichen
c) „core executives”
Kabinett ist nicht gleich Regierung; Demokraten sind nicht gleichzeitig Mitglieder des Kabinetts; Es hat sich ein Netzwerk zwischen Westminster und White Hall herausgebildet. Daher
ist die Machtzuschreibung im Grunde genommen nicht mehr möglich!
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PARTEIEN:
1997 erfolgte der Wechsel von einer radikalen neoliberalen Politik zu „New Labour“ unter Tony
Blair; Davor hatten die „Tories“ unter Margaret Thatcher (Schlagwort „Thatcherismus“) und
John Major die britische Politik geprägt
Ab 1979: Konservative (Margaret Thatcher):
□ Deregulierung
□ Privatisierung (Reduktion des öffentlichen Sektors)
□ Marktprinzipien in div. Sektoren (wurden auch auf Universitäten und die Kultur umgelegt)
□ Internationalisierung
□ Steuerkürzungen
□ Liberalisierung
Probleme:
□ Steuerkürzungen führten zu einer Zunahme des Konsums der Wohlhabenden (Reichen),
während der Konsum der Mittelklasse abnahm (-> mehr Armut, Kriminalität, …)
□ Wachstum spekulativ
□ restriktive Geldpolitik -> Reduktion der Mittelklasse-Einkommen
□ duale Gesellschaft („trickle-down“ economics)
Am Ende dieser Zeit des Neoliberalismus war die britische Gesellschaft eine globale Gesellschaft
geworden. Gegen eben dieses System einer globalen Gesellschaft trat dann „New Labour“ mit
dem Konzept „One Nation“ („Dritter Weg“ nach Anthony Giddens, einem Berater von Tony
Blair) (-> Ablehnung des Neoliberalismus aber auch Ablehnung von „Old Labour“) an. Das Problem war, dass neoliberale Bewegungen schwer rückgängig zu machen sind.
Kritik:
□ zu pragmatisch (Thatcherismus mit anderen Mitteln)
Old Labour
□
□
□
□
□
□
□
□
□
□
staatliche Eingriffe in sozialen und ökonomischen Bereich
Staat dominiert Zivilgesellschaft
Wirtschaft: Keynesianismus + Korporatismus
Vollbeschäftigung
Gleichheit
umfassender Wohlfahrtsstaat
lineare Modernisierung
geringes ökologisches Bewusstsein
internationale Solidarität
Einbindung in Ost-West Gegensatz
New Labour war gegen Old Labour (staatliche Eingriffe im sozialen und ökonomischen Bereich);
New Labour propagiert Wohlfahrtsstaat, hohe Solidarität, Einbindung Ost West
Der „Dritte Weg“
“Unter dem “dritten Weg” verstehe ich eine Theorie und eine politische Praxis, mittels deren
die Sozialdemokratie den grundlegenden Veränderungen in der Welt innerhalb der letzten zwei
oder drei Jahrzehnte Rechnung trägt. Dies ist ein dritter Weg in dem Sinne eines Versuches,
über die Sozialdemokratie alten Stils wie den Neoliberalismus hinauszugelangen”
vgl. A. Giddens: Der Dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie, 1999 (1998)
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Veränderungen:
□ Globalisierung: kein Naturereignis
□ Individualisierung: Forderung nach Demokratisierung
□ Links und Rechts: weiter bedeutsam, Sozidemokratie: links der Mitte -> neue Allianzen
□ Politisches Handeln: breiter Regierungsbegriff (NGOs)
□ Ökologische Notwendigkeiten
Werte des Dritten Wegs:
□ Gleichheit
□ Schutz der Schwachen, Freiheit als selbstständiges Handelns
□ Keine Rechte ohne Verpflichtung
□ Keine Entscheidungsmacht ohne demokratische Verfahren
□ Kosmopolitischer Pluralismus
□ Philosophischer Konservatismus
Ziele des 3. Wegs:
□ Radikal demokratische Mitte
□ Neuer demokratischer Staat
□ Aktive Zivilgesellschaft
□ Demokratische Familie
□ Neue und gemischte Wirtschaft
□ Gleichheit im Sinne einer Inklusion (= kein Unterschied zwischen In- und Ausländern!)
□ Positive Wohlfahrt
□ Staat als Sozialinvestor
□ Die kosmopolitische Nation
□ Kosmopolitische Demokratie
Exkurs: Tony Blair: Das Ende einer Ära
□
Als Tony Blairs Nachfolger wird Gordon Brown am 23.Juni 2007 am Parteitag der Labour
Party zum neuen Parteichef gewählt
□
Gordon Brown dient von 1997-2007 als Schatzkanzler der Regierung Blair
□
seit 27.Juni 2007 ist James Gordon Brown neuer Premierminister
□
am 6.November 2007 verliest Queen Elizabeth die Thronrede mit dem Regierungsprogramm G. Browns -> „The Queen’s Speech“
„The Queen‘s Speech“ am 6. November 2007
□
□
□
□
□
□
Housing and Regeneration Bill
Education and skills Bill
Counter-Terrorism Bill
Criminal Justice and Immigration Bill
EU Reform Treaty Bill
Climate Change Bill
4.4. Staatsaufbau und regionale Gliederung
Großbritannien wird zentralistisch regiert und verwaltet, allerdings sind im Zuge der Devolution
(Dezentralisierung) sehr begrenzte Kompetenzen in die Regionen (Schottland, Wales und Nordirland) sowie in die Hauptstadt London verlagert worden.
Am 1.7.1999 wurden die Regionalparlamente in Edinburgh bzw. Cardiff gewählt und am 4.5.2000
fand zum ersten Mal die Direktwahl eines Bürgermeisters für Groß-London statt.
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Zunehmend wird diskutiert, ob im Rahmen der Devolution nicht auch für England ein eigenes
Parlament geschaffen und Versammlungen für die 8 englischen Regionen (zusätzlich zu London)
gewählt werden sollen. Diese verfügen mit den aus dem Zentralhaushalt finanzierten „Regionalen Entwicklungsagenturen“ bereits über erste Ansätze einer Regionalverwaltung.
4.5. Wahlrecht
Aktives Wahlrecht ab dem 18. Lebensjahr für BürgerInnen des Vereinigten Königreichs, eines
Commonwealth-Landes oder der Republik Irland (mit Wohnsitz in einem der Wahlkreise); Passives Wahlrecht ab dem 21. Lebensjahr für BürgerInnen des Vereinigten Königreichs, eines Commonwealth-Landes oder der Republik Irland.
Nicht wählbar sind u.a. Mitglieder des Oberhauses, einige Offizielle der Krone, Geistliche der
Kirchen von England, Schottland, Irland und der Römisch-Katholischen Kirche.
4.6. Das Staatsoberhaupt
Staatsoberhaupt ist der Monarch oder die Monarchin, zugleich auch Oberhaupt des Commonwealth of Nations. Seit 1952 ist dies Queen Elizabeth II., unter der bereits neun Premierminister an der Macht waren.
Formal regiert die Queen im Parlament: Sie ernennt die Regierung und eröffnet mit der Thronrede im Oberhaus die parlamentarische Sitzungsperiode. De facto ist diese Rede jedoch mit der
Regierungserklärung gleichzusetzen, da sie vom Regierungschef verfasst wird. Pro forma hat das
Staatsoberhaupt auch den Oberbefehl über die Streitkräfte.
4.7. Das Parlament
Zweikammerparlament: Unterhaus mit 646 direkt gewählten Mitgliedern und Oberhaus mit
(früher) 1.223 Mitgliedern, darunter 763 Trägern erblicher Adelstitel sowie 26 anglikanischen
Bischöfen.
a) Das Unterhaus (House of Commons)
Im Vereinigten Königreich gilt das Prinzip der Parlamentssouveränität, d.h. auch die Krone ist
an die Gesetzgebung des Parlaments gebunden. Ist die Rede von dem „britischen Parlament", so
ist in der Regel das britische Unterhaus gemeint.
Die politische Macht liegt im Unterhaus bzw. bei der Regierungsmehrheit im Unterhaus. Die 646
Abgeordneten wählen den Regierungschef, sie sind für die Gesetzgebung zuständig und kontrollieren die Regierung. De facto gehen allerdings nahezu alle Gesetzesinitiativen von der Regierung selbst aus.
Es gibt keinen festen Turnus für die Wahlen zum Unterhaus. Die Legislaturperiode darf zwar
höchstens 5 Jahre dauern, der genaue Zeitpunkt für Neuwahlen ist allerdings nicht gesetzlich
festgelegt. Der Termin wird für gewöhnlich von der Regierung bestimmt, wobei der Premierminister dem Monarchen die Auflösung des Parlaments oder die Ausschreibung von Neuwahlen vorschlägt.
Gewählt wird nach allgemeinem, gleichem und direkten Wahlrecht. Mitglieder der königlichen
Familie sind ebenfalls wahlberechtigt. Jeder Wähler hat eine Stimme für einen Kandidaten in
seinem Wahlkreis. Es gilt das System der einfachen Mehrheitswahl in Einserwahlkreisen (insgesamt 646) Die Größe der Wahlkreise liegt zwischen 22.141 (Western Isles) und 103.480 (Isle of
Wight) Wahlberechtigten. Derjenige Politiker, der in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der
Stimmen für sich gewinnt, zieht ins Parlament ein. Alle übrigen Stimmen verfallen. Ein Kandidat
kann in mehreren Wahlkreisen antreten; für den Fall, dass er auch in mehreren Wahlkreisen ge-
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winnt, muss er sich innerhalb einer Woche für den Wahlkreis, den er repräsentieren will, entscheiden.
Das britische Wahlsystem hat den Vorteil, dass klare Mehrheiten geschaffen werden und in der
Regel keine Minderheits- oder Koalitionsregierungen zustande kommen. Allerdings entspricht die
Anzahl der Parlamentssitze einer Partei in den seltensten Fällen ihrem tatsächlichen Stimmenanteil.
Dieses Phänomen zeigte sich auch beim Wahlsieg der Labour-Party im Jahr 1997: mit nur 43,3%
der Wählerstimmen erhielt sie 63,6% der Sitze im Unterhaus. Noch paradoxer erscheint die Mandatsausbeute der Liberal-Demokraten, die bei geringerem Wähleranteil ihre Mandate verdoppeln
konnten.
Gelegentlich kommt es sogar zu geradezu grotesken Verzerrungen des WählerInnenwillens: 1983
etwa erhielt die liberale Alliance mit 25,4% der Stimmen nur 23 Sitze (= 3,5%), während auf Labour mit 27,6% der Stimmen 209 Sitze (= 32%) entfielen;
Selbst eine Mehrheitsumkehr ist möglich: 1951 errangen die Konservativen die absolute Mehrheit, obwohl Labour mehr Stimmen erhalten hatte. Und bei den Wahlen des Jahres 1974 erzielten die Konservativen zwar die Stimmenmehrheit, doch schaffte Labour diesmal die absolute
Mandatsmehrheit.
Großbritannien ist das Paradebeispiel für die relative Mehrheitswahl. Allerdings mehren sich in
letzter Zeit die kritischen Stimmen. Im Abschlussbericht der Roy Jenkins-Commission (1998) zur
Reform des britischen Wahlrechts heißt es, dass durch ein neues Wahlsystem eine weitgehende
Proportionalität herzustellen und die Wahlmöglichkeiten der WählerInnen zu erweitern seien;
gleichzeitig aber müsse die bisherige Regierungsstabilität gesichert und die persönliche Verbindung zwischen den Abgeordneten und ihren Wahlkreisen aufrecht erhalten bleiben.
Das Ergebnis einer solchen Reform wäre ein Mixed System, bei dem einerseits die Wahl in Einserwahlkreisen beibehalten, andererseits aber zusätzliche Großwahlkreise geschaffen würden,
die einen (gewissen) proportionalen Ausgleich ermöglichen. 85% aller Sitze im House of Commons
sollten demnach weiterhin nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt, und der Rest nach dem Proporzsystem auf die Parteien verteilt werden.
Eine langsame Aufweichung des traditionellen britischen Mehrheitswahlsystems ergibt sich auch
durch die Regionalwahlsysteme. Sowohl bei den Wahlen zur Walisischen Versammlung als auch
zum Schottischen Parlament wurden 1999 erstmals Verhältniswahlsysteme angewendet.
b) Das Oberhaus (House of Lords)
Im Zuge der Reform des Oberhauses durch die Regierung Blair wurden über fünf Sechstel der
Erblords abgeschafft. In der jetzigen Übergangsphase hat das House of Lords noch 711 Mitglieder
– außer 92 Erbadeligen, die ihre Sitze nach der jüngsten Reform nicht mehr weitervererben dürfen, v.a. sogenannte life peers, verdiente ehemalige PolitikerInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen etc., die auf Vorschlag der Regierung auf Lebenszeit ernannt werden.
Das Oberhaus hat ein einjähriges aufschiebendes Vetorecht gegen bestimmte Gesetzesentwürfe;
12 seiner Mitglieder (Law Lords) bilden das Oberste Gericht.
Der Sprecher des Oberhauses (Lord Chancellor) nimmt zugleich die Funktion des Justizministers
wahr (ohne Strafrecht, welches beim Innenminister ressortiert). Er ist außerdem einer der Law
Lords und gehört somit gleichzeitig der Exekutive, der Legislative und der Judikative an!
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GB ist politikwissenschaftlich deswegen so ein interessantes Land, weil es eine derartige historische Kontinuität der politischen Geschichte und Institutionen aufweist; in anderen Staaten (wie
z.B. Frankreich oder Österreich) gibt es weit mehr historische Brüche!
Die politischen Systeme Großbritanniens, Frankreichs und der USA sind die „Ausgangssysteme“
für die Entwicklung der (liberalen, parlamentarischen, etc.) Demokratien auf der Welt; diese
drei Systeme hatten Modellwirkung für andere politischen Systeme (diese übernahmen die Verwaltungsstrukturen eines der drei etc.)
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5. Politik in Frankreich
Frankreich ist in 22 Regionen und 96 Departments eingeteilt; seit 1958 -> 5. Republik
5.1. Geschichte
□
Großbritannien vs. Frankreich
GB: graduelle Entwicklung, Stabilität und Kontinuität
FR: Revolution, Instabilität und Brüche
□
17. – 18. Jahrhundert:
Ludwig XIV (14) als Sinnbild des Absolutismus
Expansionspolitik -> chronischer Geldbedarf und Geldmangel
Zustimmung zum System durch Exklusion und nicht durch Inklusion wie in Großbritannien
-> Privilegien, die aber nur für manche Personen gelten (Steuernachlass)
-> „Gekaufte Zustimmung“
-> Machtabgeltung durch Privilegien
□
17. Jahrhundert -> absolutistischer Staat
□
18. Jahrhundert -> Supermacht
□
England, ebenfalls eine Supermacht, steht als Rivale gegenüber
□
Revolution 1789
□
Jakobinisch-Republikanisches Frankreich -> Konzept der Nation
□
Republik – Monarchie – Bonapartismus
□
Jede Ära endete entweder mit einem Militärsputsch, Staatsstreich, Revolution etc. -> Tradition des radikalen Bruchs –> Klappt die Monarchie nicht, probieren sie es einfach mit einer
Republik
Französische Revolution (1789):
□
Beginn: 5. Mai 1789 (Zusammentreten der Generalstände in Versailles)
□
17. Juni 1789: Dritter Stand erklärt sich zur Nationalversammlung
□
14. Juli 1789: Sturm auf die Bastille (heute: Nationalfeiertag)
□
14. Juli 1792: Verfassung der ersten französischen Republik
□
21. Jänner 1793: Verurteilung und Hinrichtung Ludwigs XVI (16)
Samuel E. Finer:
"The French Revolution is the most important single event in the entire history of government.The American Revolution pales besides it. It was an earthquake. It razed .... all the ancient institutions of France, undermined the foundations of the other European states, and is
still sending shock-waves throughout the rest of the world.“
The History of Government from the Earliest Times, Volume III (1997)
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5.2. Das Politische System Frankreichs
Zuordnung zu einem Systemtyp schwierig:
□
Semi-präsidentielles System
(½ Macht liegt beim Präsidenten, ½ Macht liegt im Parlament)
□
Parlamentarisches System mit Präsidialdominanz
(um auf die wichtige Rolle des Präsidenten hinzuweisen)
□
Präsidial-Parlamentarismus
(Präsident = Regierungschef, wenn seine Partei die Mehrheit in der Nationalversammlung hat)
„Mischcharakter“ des Politischen Systems
□
Präsident ist „eigentlicher“ Regierungschef, wenn seine Partei auch
in der Nationalversammlung die Mehrheit hat (und den Premierminister stellt)
zB: Jacques Chirac und Dominique de Villepin
wenn „Opposition“ die Mehrheit in der Nationalversammlung bildet
und den Premier stellt, dann ist der Premierminister der
„eigentliche“ Regierungschef
-> Cohabitation
zB: Jacques Chirac und Lionel Jospin
□
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5.3. Präsident
□
Präsident Nicolas Sarkozy (seit dem 16. Mai 2007)
□
wird direkt gewählt für eine Amtszeit von 5 Jahren
□
Keine Begrenzung zur Wiederwahl
□
Sitz: Elysée Palast
Machtbefugnisse
1) Bestellung des Regierungschefs (Premierminister)
- an Mehrheitsverhältnissen gebunden
- Premierminister kann die Vertrauensfrage stellen – dadurch kann er auch zum Rücktritt gezwungen werden
2) Auflösung der Nationalversammlung
3) Anwendung des Notstandsartikels (verleiht dem Präsidenten in Ausnahmesituationen außerordentliche Machtbefugnisse, seine Macht wird unbegrenzt; Voraussetzung: Bedrohung der
Institutionen der Republik und der Unabhängigkeit der Nation – wann liegt so etwas vor? ->
muss PM und Parlament konsultieren, entscheidet letztendlich aber alleine)
4) Recht auf Botschaften ans Parlament
5) Ernennung 3 (von 9) Verfassungsrichtern, Einberufung des Verfassungsrats
6) Führt Vorsitz im Ministerrat, bei interministeriellen Sitzungen und in den für die nationale
Verteidigung vorgesehenen Gremien
In allen anderen Amtshandlungen bedarf es der Zustimmung des PM oder der Regierung!
□
„domaine réservé“ (Außen- und Verteidigungspolitik)
- Machtverteilung zwischen Parlament, PM und Präsident ist in diesem Bereich unscharf, was zu
einer Übernahme dieser Bereiche durch den Präsidenten geführt hat
- von Präsidenten dominiert (zuständig für Landes- und Außenpolitik, führt Vorsitz in Verteidigungsgremien,…)
- hat dafür einen Mitarbeiterstab von über 1000 Personen
- Richtlinienkompetenz bei Cohabitation
-> in der Politik geht nichts ohne Ressourcen; wenn das Parlament im Geiste der Verfassung stark
ist, aber keine Ressourcen hat, dann ist es schwach; in Frankreich: schwache Ressourcen beim
Parlament, wogegen der Präsident einen riesigen Stab hat
Exkurs: Die französischen Präsidentschaftswahlen 2007:
Erster Wahlgang am 22.April 2007
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Zweiter Wahlgang am 6.Mai 2007
Erster Wahlgang am 22.April 2007
Nicolas Sarkozy
Ségolène Royal
François Bayrou
Jean-Marie Le Pen
31,18 %
25,87 %
18,57 %
10,44 %
Zweiter Wahlgang (Stichwahl) am 6.Mai 2007
Nicolas Sarkozy
Ségolène Royal
53,06%
46,94%
5.4. Premierminister
□
Premier François Fillon (seit dem 17. Mai 2007)
□
Sitz: Hotel Matignon
Aufgaben und Befugnisse
□
Leitet Tätigkeit der Regierungsmitglieder (die er vorschlägt)
□
Regierungsmitglieder auf seinen Vorschlag ernannt / entlassen
□
Ausführung Gesetzte
□
Realisierung der Militär- und Verteidigungspolitik (Präsident)
□
Amtshandlungen Präsident: Gegenzeichnung Premier
□
Koordinierung der Regierungspolitik
□
Kontakt zu beiden Häusern
□
Kontakt zu Repräsentantenhaus der Regierungspartei
□
Innenpolitische Führungsrolle
5.5. Verwaltung
□
Zentralismus
□
Stichwort „Cohabitation“
□
Präsident von Partei A und Premierminister von Partei B müssen zusammen arbeiten können
□
seit 1945: Michel Debré
□
Grand Corps -> 2500 Personen die in den Spitzenpositionen der Verwaltung sitzen
□
Verwaltungselite (ENA)
Ecole Nationale d’Administration (nationale Verwaltungsschule, von der viele Politiker
kommen -> Voraussetzung um in der Verwaltung arbeiten zu können; seit 1945; dauert 1,5
Jahre; Harte Ausbildung, schwierige Aufnahme;
Absolventen: zB Chirac, Josepin
Kritik:
- elitär
- „brain drain“
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- Elitenbildung hängt vom Wohnsitz ab (geographisch bedingt -> wer in einem kleinen franz.
Dorf geboren wird, hat später kaum eine Chance, in Paris zu studieren)
-> Die Besten der Besten gehen in Frankreich in die Politik und nicht in die Wirtschaft
Cohabitation = Präsident und Premierminister sind von unterschiedlichen Parteien bzw. aus unterschiedlichen politischen Richtungen/„Lagern“
Ad „Grands Corps“
In diese Grand Corps kommt man nur hinein, wenn man davor in einer „Grande Ecole“ war (zB
ENA). Parallel zu den Grandes Ecoles gibt es aber auch die herkömmlichen Universitäten
5.6. Parlament
□
Schwaches Parlament in der Fünften Republik -> Reaktion auf zu „starkes“ Parlament
□
Parlament besteht 2 Kammern: der Nationalversammlung und dem Senat
□
Machtbefugnisse sind ungleich verteilt (Nationalversammlung stärker)
□
Jedes Departement ist in Wahlkreise unterteilt. 21 Wahlkreise sind 21 Sitze zugeordnet
□
Das Kabinett mit dem Premierminister und den Ministern ist dem Präsidenten verantwortlich
□
Der Präsident hat den Vorsitz im Ministerrat
Nationalversammlung (Assemblée Nationale)
□
□
577 direkt gewählte Abgeordnete (alle 5 Jahre)
Mehrheitswahlsystem (mit Stichwahlen) = stärkste Partei gewinnt alles
Senat
□
□
□
321 indirekt gewählte Senatoren (ab 2010 346), die Gebietskörperschaften vertreten (ländlichen Bereich)
Amtszeit für 6 Jahre (ab 2008 alle 3 Jahre ½ der Senatoren neu)
Schwächere Kammer -> Senat kann Regierung kein Misstrauen aussprechen, hat lediglich aufschiebendes Vetorecht (Ausnahme: den Senat betreffende Verfassungsänderungen)
5.7. Gesetzgebungsprozess
2 Bereiche:
1) Staatsbürgerliche Rechte (Wahlsystem, Nationalisierung, etc.)
2) Politikfelder Premier
Was – per Verfassung – nicht diesen beiden Bereichen zugeordnet ist, unterliegt dem Verordnungsrecht der Regierung
Gesetzesinitiativen:
□
□
□
□
□
kann von Regierung oder Parlamentariern (beider Häuser) kommen
Hinterlegung bei Präsidium und Weiterleitung an zuständigen Ausschuss
Debatte über Vorlage im Plenum und Abstimmung über einzelne Artikel
Eingriff der Regierung in den Prozess in verschiedenen Phasen möglich
Vorlage an den Senat -> Möglichkeit der Blockierung -> nur aufschiebendes Veto durch den
Senat
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□
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wenn es keine Einigung gibt: Regierung kann nach neuer Lesung von NV Beschlussfassung verlangen
Der Gesetzesvorschlag wird von den Abgeordneten oder von der Regierung (Gesetzesinitiative)
eingebracht. Dabei ist es egal ob dieser Vorschlag im Senat oder in der Nationalversammlung
eingebracht wird. Die Vorlage wird dem zuständigen Ausschuss zugewiesen und ein Berichterstatter wird bestellt. Debatte in Nationalversammlung über Gesetzesvorschlag.
Exkurs: Wahlergebnisse Assemblée Nationale vom 17.Juni 2007:
□
Frankreich hat ein Politisches System mit starkem Präsident und schwachen Parlament sowie
PM. Hängt aber jeweils von der politischen Situation ab (Cohabitation oder nicht).
5.8. Weitere wichtige Institutionen
□
Conseil Constitutionel
Der „Verfassungsrat“ ist das höchste Verfassungsgericht Frankreichs; besteht aus 9 Verfassungsrichtern, die für 9 Jahre ernannt werden (3 vom Staatspräsidenten, 3 vom Präsidenten der
Assemblée Nationale und 3 vom Senatspräsidenten); ehemalige Staatspräsidenten gehören dem
Conseil Constitutionel automatisch an! Es wird keine Befähigung zum Juristen verlang. Gerichtsbarkeit hat keine starke Position in FR.
Aufgaben u.a.:
- „wacht“ über Durchführung der Wahlen
- verfassungsabändernde Gesetze werden überprüft
- kann internationale Verträge überprüfen
Bestellung:
- für 9 Jahre von Staatspräsidenten, Präsidenten der Nationalversammlung und Senat (jeweils 1/3)
- ehemalige Präsidenten -> automatisch Mitglieder auf Lebenszeit
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Conseil d´Etat (Staatsrat)
-
200 Mitglieder, die nach Beschluss im Ministerrat vom Staatspräsidenten ernannt werden
eine Art oberstes Verwaltungsgericht
Gibt es in anderen Ländern in dieser Art nicht; der Staatsrat ist teilweise vergleichbar mit dem
österreichischen VwGH); er ...
... berät Minister
... überprüft Gesetzesvorlagen
... ist die höchste Appelationsinstanz für Anfechtungen von Verwaltungsentscheidungen
Exkurs: „Contrat premier embauche“: Krise u. Modernisierung des Wohlfahrtstaates:
-
10. April 2006 (Gesetz: 2006-457 du 21/4 2006)
-
Regulierung der Beschäftigungspolitik der Ersteinstellung
-
die große Mehrheit der Franzosen (83%) für eine Rücknahme des CPE!
-
Schauplatz der neuen Re-Definition vom Französischen Wohlfahrtstaat
6. Politik in den USA
USA dient immer wieder als Projektfläche für Europa; für Europäer
sind die USA ein Faszinosum (O-Ton Gottweis), eine Mischung aus Mythen und Realitäten. Diese Faszination hat eine lange Geschichte und
hängt mit der US-Revolution zusammen!
USA haben eine sehr lange und stolze Demokratie-Geschichte. Amerikanische Revolution/ Unabhängigkeitsbewegung -> ursprünglich eine
Kolonie -> Zudrehen der Steuerschraube seitens Großbritanniens ->
Revolution;
Zentral für die US-amerikanische Unabhängigkeit ist das Entstehen der US-Verfassung (wurde
1787 angenommen)!
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6.1. Historischer Hintergrund
□
Amerikanische Unabhängigkeitsbewegung
1773 kam es zur Boston Tea Party. Radikale amerikanische Patrioten verkleideten sich als
Indianer und überfielen britische Schiffe im Hafen von Boston und warfen insgesamt 342 Kisten mit Tee ins Hafenbecken. Damit wurde eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die
zur Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika führten;
Am 19. April 1775 marschierten etwa 700 britische Soldaten von Boston in Richtung Concord,
einer nahe gelegenen Ortschaft. Die Briten hatten erfahren, dass es in dem Ort ein illegales
Waffenlager geben sollte. Bei Lexington wurden sie von 70 Mitgliedern einer Bürgerwehr aufgehalten. Damit begann der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.
Die Briten nahmen daraufhin Lexington und Concord ein. Hunderte von Freiwilligen aus Massachusetts verfolgten die Armeeeinheit und starteten eine Belagerung Bostons. Bis Juni hatten sich 10.000 Amerikaner zur Belagerung eingefunden und die Briten mussten im März 1776
die Stadt verlassen.
□
Federalist Papers (Alexander Hamilton, James Madison, John Jay)
Die Federalist Papers sind eine Serie von 85 Artikeln und erschienen 1787/88 in verschiedenen New Yorker Zeitungen. Verfasst wurden die Artikel von John Jay, James Madison und Alexander Hamilton. Sie kommentierten und verteidigen einzelne Abschnitte der Verfassung.
Verfassung war damals noch nicht in Kraft.
Sind noch heute populär, interpretieren die Verfassung. Sie gelten als philosophische Grundlage des „American Way of Life" und der Konstitution der modernen Republik. Das beschriebene Prinzip der checks and balances ist ausschließlich in den USA in dieser Form zur Anwendung gekommen.
□
Die US-amerikanische Verfassung (1787)
- ist eines der Schlüsselthemen im politischen System der USA
- ist das Fundament des amerikanischen Systems:
in Krisensituationen zeigt sich das besonders klar: Impeachment Verfahren gegen Bill
Clinton (Lewinsky-Affäre) -> dabei ging es um die Frage „Wann und warum kann ein amerikanischer Präsident entlassen werden?“; steht zwar in der Verfassung, kann aber unterschiedlich interpretiert werden; im Endeffekt war das Verfahren eine Diskussion über die
Verfassung und grundlegende Theorien dazu
- 1787 nach der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung wurde die US-Verfassung angenommen, seit dem kaum verändert; die Verfassung versteht sich selbst als "höchstes Recht
im Land". Die Gerichte haben diesen Satz so interpretiert, dass Gesetze, die von den jeweiligen Bundesstaaten oder dem Kongress verabschiedet wurden, als verfassungswidrig
gelten und wirkungslos sind, falls sie sich im Widerspruch mit der Bundesverfassung finden.
Dies gilt auch für die Verfassungen der Bundesstaaten.
Wesentliche Aspekte des US-Verfassung (haben sich dann in der ganzen Welt niedergeschlagen):
1. Constitutional Convention: „im Namen des Volkes“
Einberufen in Philadelphia; Ziel war es eine Verfassung zu kreieren; Zusammentreffen
geschah im Namen des Volkes -> gab es vorher noch nie!
2. geschriebene Verfassung
(im Gegensatz zur ungeschriebenen Verfassungen wie in GB) bildet die Basis für die
Bürger, Rechte und Verantwortungen wahr zu nehmen; Das Dokument besitzt eine
gewisse Immunität gegenüber dem gesetzgeberischen Willen; Motivation war, dass man
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eine geschriebene Verfassung nicht so schnell umändern kann. Die Verfassung sollte über
der Regierungsmaschine stehen. Das Abändern der Verfassung ist extrem schwierig
3. Bill of Rights (1789)
Eine Festlegung von bürgerlichen Rechten
4. Gewaltenteilung (Separation of Powers)
Für uns ist Gewaltenteilung heute selbstverständlich, damals neu; Idee dahinter:
Gewalten werden getrennt, die Akteure der Macht werden separiert und damit eine Art
Gleichgewicht der Mächte geschaffen (Idee der countervealing powers)
5. Judical Review: legal activism
Starke Gerichtsbarkeit; Überprüfen von Maßnahmen, ob die Gesetze auch
verfassungsgemäß sind durch Gerichte; Sie sollen eine möglichst hohe Unabhängigkeit
haben und nicht angreifbar sein; zB kann man Supreme Court Richter nicht abwählen
6.2. Charakteristik des Systems
□
□
□
□
Kontinuität des politisch-institutionellen Systems (seit Ende 18. Jh.)
Präsidentielles System
System der Gewaltenteilung (hist. Dynamik)
5 Akteure:
- Präsident
- Senate u. House
- Bundesstaaten
- lokale Regierungsebene
- Supreme Court
Lobby Groups - Interessensgruppierungen
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US-System ist ein Präsidentielles; Präsident ist sehr stark (stärker als in FR) -> symbolisiert bzw.
ist Amerika! Das Amt des Präsidenten ist sehr gewichtig –> hat nicht immer was mit der Person
zu tun...
US-System ist ein kompliziertes System, insbesondere weil...
... es dezentralisiert ist
... die Trennung zwischen Exekutive und Legislative schwierig ist
6.2.1. Exekutive
□
Der Präsident
Derzeit: George W. Bush (43. Präsident der USA)
Wird gewählt durch demokratische Wahlen bzw. durch ein electoral college
(Wahlmänner-System); ist für 4 Jahre im Amt, maximal 2 Amtszeiten
(Ausnahme: Roosevelt war in Kriegszeiten 3-mal Präsident; wurde danach
durch einen Verfassungszusatz endgültig abgeschafft); er kann impeached
werden
1. Staatsoberhaupt (Head of State)
2. Commander in Chef
3. Foreign Policy Maker
4. Chief Executive (steht an der Spitze der Verwaltung -> die Leitung der gesamten Verwaltung wird mit der jeweiligen Administration komplett ausgewechselt und auf „Linie“ gebracht)
5. Chief Legislator (macht die Gesetze nicht, bereitet sie aber vor -> Initiativen)
6. Economic Leader
7. Crisis Manager (zur Zeit sehr wichtig)
8. Party Leader
Befugnisse des Präsidenten (Exekutive)
1. Legal Power (rechtliche Macht)
2. Institutional Powers (er kann sich untergeordneten Institutionen bedienen)
3. Political Powers
- an der Spitze der Verwaltung
- symbolische Figur
Der Präsident hat eine starke symbolische Figur -> er “symbolisiert” die USA, er “ist” Amerika; unter dem amerikanischen Volk besteht eine sehr hohe Identifikation mit seinem Präsidenten -> zB: wenn der Präsident eine Rede im Kongress hält bekommt er immer standing
ovations – nicht weil die jeweilige Person kommt, sondern weil sie das Amt des Präsidenten
trägt; der Präsident ist nicht (so wie bei uns) eine symbolische Figur sondern hat tatsächlich
sehr viel Macht
Präsident wird alle 4 Jahre durch ein Wahlmänner-System gewählt; das System der Wahlmänner hat eine antidemokratische Tendenz: „Das Land ist so groß und weitläufig, dass viele
der Leute gar nicht so gut politisch Bescheid wissen können!“ -> Wahlmänner als gut informierte Eliten, die die Entscheidung des Volks auch hin und wieder „korrigieren“ können!
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Die Bürokratie des Präsidenten (Institutionen)
□
The Cabinet
(State, War, Treasury, General Attorney)
□
Executive Office of the President
(zB: Office of Management and Budget)
□
White House Office
- honest brocker, Informationsbüro
- gibt Empfehlungen ab
- politische Antenne
- organisiert Weißes Haus
- sehr Personalorientierte Stäbe die den Präsidenten in seiner Politik vorbereiten; es gibt so
viele Situationen in denen der Präsident Entscheidungen treffen muss, weshalb er solche
Beraterstäbe braucht
□
Vizepräsident
- In der Vergangenheit kein so wichtiges Amt; 1945 als Roosevelt starb,
Kennedy-Ermordung -> da wurde klar dass das Amt des Vizepräsidenten
doch wichtig werden konnte
- Heute: Dick Cheney, agiert sehr aktiv, nicht nur im Hintergrund; wurde
gewählt um Stabilität zu signalisieren, ist ein erfahrener Politiker der
auch schon bei Bush Sen. agiert hat; ist ein intensiver Berater von Bush
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6.2.2. Legislative
□
KONGRESS (Abgeordnetenhaus): Senate und House of Representatives (Legislative)
USA haben ein echtes Zwei-Kammer-System
Kongress besteht aus:
□
Senat
- 100 Mitglieder
- jeder US-Staat hat 2 Senatoren mit 6-jähriger
Amtszeit („Insel der Stabilität“)
□
Repräsentantenhaus
- wird alle 2 Jahre gewählt, die Anzahl der Mitglieder richtet sich nach der Größe des
Landes; mindestens 1 Mitglied pro Bundesland
Senat und Repräsentantenhaus sind gleichgewichtig; System neigt zur Paralyse; Das System ist
oft nicht fähig Entscheidungen zu treffen, weil sich die politischen Kräfte blockieren (kann in GB
nicht passieren)
Der Präsident kann keine Gesetze machen, nur Vorlagen und Initiativen;
Das Interessante am politischen System ist, dass das US-Parlament ein Arbeitsparlament ist:
- die Mitglieder des Kongresses haben eine substantielle Anzahl von Mitarbeitern (committee staff); Anzahl der Persönlichen Mitarbeiter (personal staff) ist extrem hoch
-
Alle Abgeordneten haben die gleiche Anzahl an Mitarbeitern
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-
Ein Senator hat im Prinzip ein „kleines Ministerium“; für jeden Politikbereich gibt es einen spezialisierten Mitarbeiter, die alle hochkompetent sind; diese helfen auch dabei,
Gesetze vorzubereiten
-
Die Mitarbeiterschaft ist sehr entscheidend für das amerikanische System
-
In Amerika muss ein Abgeordneter aktiv sein, selber Gesetze vorschlagen und ausarbeiten
-
Entsprechend sehen sich Abgeordnete im amerikanischen System sehr stark als Unternehmer, wenig abhängig von der Partei; auch von der Finanzierung sind sie nicht von den
Parteien abhängig –> wenn man Abgeordneter werden will muss man sich selber finanzieren
Wer wählt wen?
Die Wahlberechtigte Bevölkerung wählt
den Kongress, der aus dem Senat (100)
und dem Repräsentantenhaus (435) besteht. 538 Wahlmänner wählen alle 4
Jahre den Präsidenten
Der Präsident ernennt die 9 Richter des
obersten Bundesgerichts auf Lebenszeit,
mit Zustimmung des Senats. Er hat kein
Auflösungsrecht gegenüber dem Kongress. Er hat allerdings ein aufschiebendes Veto gegen Gesetzte
Das oberste Bundesgericht überprüft die
Verfassungskonformität von Verwaltungshandeln des Präsidenten und von den
Gesetzten (Kongress)
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Gesetzgebungsprozess
□
In Entwurfform wird eine „bill“ vorgelegt (Gesetzesentwurf)
- kommen von der Exekutive, von Interessensgruppen, einem Kongressmitglied,… Es gibt bestimmte bill-Vorlagen, je nachdem um welches Thema es sich handelt
- Typisch ist, dass ein Gesetz im Parallellauf entsteht: mehrere Gruppen machen gleichzeitig
verschiedene Vorlagen – es ist nicht so dass ein Schritt logischerweise einem anderen folgt
□
Wird die Vorlage eingereicht, kommt sie zum standing committee -> Committe Action
-> Subcommittee (in den Unterausschuss)
Dort wird die Vorlage von spezialisierten Abgeordneten und Mitarbeitern diskutiert
□
Floor Action (1. – 3 .Lesung, eventuelle Abänderungen in der 2. Lesung)
Bei Annahme:
□ Erfolgt eine Annahme geht der Gesetzesentwurf an den Senat -> Standing Committee
-> Committee Action -> Floor Action
- Bei Uneinigkeit im Repräsentantenhaus und Senat, muss eine Einigung folgen
- Die Einigung erfolgt im Conference Committee
□
Gesetz geht dann zum Präsidenten
- Der Präsident kann zustimmen und es unterzeichnen
- Tut der Präsident nichts, dann wird das Gesetz binnen 10 Tagen zum Gesetz
- Der Präsident kann ein Veto einlegen und das Gesetz binnen 10 Tagen an das Parlament zurückschicken. Legt er sein Veto ein, so braucht es eine 2/3 Mehrheit des Kongresses um das
Veto zu „overriden“
48
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- Der Präsident kann ein „pocket-Veto“ einlegen: am Ende von Gesetzgebungsprozessen
kommt es immer wieder dazu, dass die 10 Tage Frist nicht eingehalten werden kann (wenn
die jährliche Session des Kongresses vorbei ist) -> eine Art Trick
Grundzüge des Gesetzgebungsprozesses
Es ist im Wesentlichen im Gesetzgebungsprozess notwendig, dass sich der Kongress einigt,
die beiden Häuser müssen sich einig sein. Senat und Repräsentantenhaus sind gleichberechtigt. Dazu muss dann auch noch der Präsident zustimmen.
System neigt zum Nichthandeln: unzählige Gesetzesinitiativen, die von dutzenden Senatoren, Members,… eingebracht wurden, werden in Komitees, Senat, House of Representatives
gebracht… am Ende kommt nichts heraus, weil sich die Gegner und Befürworter immer wieder in eine Patt-Situation stellen. Enormes Missverhältnis zwischen der Anzahl der Gesetze
die eingebracht werden und der Anzahl derer die tatsächlich verabschiedet werden.
Das Politische System der USA
- neigt zur Paralyse
- ist geprägt von einem Wechselspiel zwischen Präsidenten und Supreme Court
6.2.3. Judikative
Supreme Court (Oberstes Bundesgericht)
□
Verfassungsorgan (seit 1789)
□
Befugnisse:
- Überprüfen von Gesetzen und Aktionen von Behörden auf Verfassungskonformität
- power of judicial review
□
Bestellung der 9 Richter (auf Lebenszeit -> nicht absetzbar)
- Nominierung durch Präsidenten
- Bestätigung (advice and consent) durch den Senat und Möglichkeit des filibuster
- ideologische „Aufteilung“
6.3. Das Amerikanische Lobbying-System (politische Rekrutierung)
□
Um das Politische System herum gibt es ein komplexes Lobbying-System das es zum Ziel
hat, das Politische System zu beeinflussen
□
„Washington System“, Iron Triangle (Industrie – Militär – Regierung)
□
Dieses System bringt Politikern (Abgeordneten,…) Geld
□
Ohne Geld funktioniert Lobbying nicht:
- 300 Millionen Amerikaner –> davon spenden sicher einige für gewisse Themen
- Beispiel: Zucker
- Interest Groups (Zucker Lobby,…)
- Bureaucracy (Landwirtschaftsabteilung)
- Kongress
Es gibt einen permanenten Austausch zwischen den Akteuren (Netzwerk); informieren
sich gegenseitig, tauschen sich ab,…
In der politischen Karrierelaufbahn wechselt mensch oft zwischen den verschiedenen
Seiten (Lobbyist, Verwaltung, Politik,…)
□
Das System hat eine gewissen Transparenz
□
Das politische System Amerikas wird immer als relativ offenes System dargestellt; über das
Lobbying-System bekommt ein jeder leicht Zugang dazu
49
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□
In Europa müssen doch eher die klassischen Wege eingeschlagen werden (über Parteien); die
EU entwickelt sich mit ihrem System in die Richtung der USA
□
Die Lobbying-Struktur macht das System nicht unbedingt einfacher
□
Das System ist ohnehin schon extrem gewaltenteilig, die tausenden Lobbyisten machen das
System nur NOCH träger
□
Das System der USA hat sich seit seiner Entstehung kaum verändert, nur die Lobbys sind dazu
gekommen
6.4. Wahlkultur und Wahlpraxis
□
Fehlen einer öffentlichen Wahlkampffinanzierung
□
Indirekte Wahl über electoral college:
alle 4 Jahre
Volk eines Bundesstaates
=> Wahlmänner
Wahlmänner => Präsident
□
Pro Staat ein Wahlmann an electoral
college
□
2 Parteiensystem vs schwache Parteiorganisation
50
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Exkurs: Die US-Präsidentschaftswahlen 2000:
Exkurs: Die US-Präsidentschaftswahlen 2004:
Exkurs: Die US-Präsidentschaftswahlen 2008:
□
Wahltag ist der erste Dienstag im November (2.-8.Nov.)
□
Vorwahlen bzw. „State primaries and caucuses“
- Iowa - Caucuses am 3. Januar 2008 (Sieger: Barack Obama
bzw. Mike Huckabee)
- New Hampshire’s - Primaries am 8. Januar 2007 (Sieger:
Hillary Clinton bzw. John McCain)
51
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□
Charakteristika
- Campaign Fundraising: „war chest“
- Negative Campaiging
Wahlkampf-Budget der Kandidaten
Zyklen der Machtbalance
Kein Bindeglied zwischen der Exekutive u. Legislative etwa über Ministerkabinett:
□ New Deal - F. Roosevelt
□ Vietnamkrieg – Johnson
□ Watergate- Skandal – Nixon
□ M. Lewinsky-Affäre – Clinton
□ Hurrican Katrina? Irak Krieg?- Bush
Exkurs: USA „Patriot Act“ -> Kritik:
□
□
□
Ausgedehnte Überwachung. Reduzierung von Checks and Balances
Zu wenig Fokus auf Terrorismusprävention
Erweiterte Rechte für US Forein Intelligence Agencies
6.5. Zusammenfassung und Vergleich
Das politische System der USA wird den modernen Herausforderungen nicht mehr ganz gerecht.
Die heutigen politischen Systeme sind im Wesentlichen Erzeugnisse des 19.Jhdts. (Europa). Ideal
wäre für die USA ein entscheidungsfreudigeres System, evtl. ein wenig zentralisierter (wird
allerdings schnell zur Diktatur…). Im modernen politischen Gemeinwesen geht es nicht nur um
Effizienz sondern auch um die Geschichte der Demokratie.
□
Institutionelle Wettbewerbslogik
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□
Wahlkultur: „permanenter Wahlkampf“
- „Elektorale Hyperdemokratie“ (Mackuen und Rabinowitz, 2003)
□
Ein ausgeprägtes Zweikammersystem
- „coequal branch“
- „divided goverment“
□
Öffentlichkeitsorientierter Policy-making Prozess
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7. Politik in China
7.1. Allgemeine Daten
□
□
□
□
1,3 Milliarden Einwohner
kontinuierliche wirtsch. Reformen (seit 1978)
WTO Mitglied (seit 11. Dezember 2001)
starke marxistische Ideologie
China ist ein kommunistisches autoritäres System; es gilt als Land der Vielfalt, aber von außen
sieht man, dass es eine Einheit ist
Die Volksrepublik China ist ein nicht-demokratisches System -> autoritär-kommunistisch:
□ Mangel an Respekt für den Bürger
□ fehlende freie Wahlen
Ein-Parteien-Herrschaft der Chinesischen Kommunistischen Partei -> es ist aber kein totalitäres
System („totalitär“ würde den Eingriff des Staats in alle Lebenslagen bedeuten), sondern „nur“
ein System mit autoritären Zügen
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7.2. Staatsführung
□
Präsident Hu Jintao (seit 15. März 2003) -> gewählt auf 5 Jahre vom Nationalen
Volkskongress
□
Premierminister Wen Jiabao -> vom Präsidenten ernannt, durch Nationalen Volkskongress
bestätigt
In China wandern die Menschen an die Küste -> Teil eines Sprengstoffes: Leute wandern durch
das Land, wegen Arbeitssuche; im Süden stehen die Chancen besser einen Job zu finden als im
Norden
7.3. Reformen
□
□
□
Durch ökonomische Transformationen gegangen
Mitglied der World Trade Organisation
Es wird versucht aus Geschichte zu lernen
7.4. Geschichte
□
1949: Ende des Bürgerkrieges -> Mao Zedongs Revolution war erfolgreich
□
1. Okt. 1949: Ausrufung der Volksrepublik durch Mao Zedong
□
1950-53: Grund und Boden an Bauern
□
1953-57: Kollektivierungspolitik
□
1958:
Großer Sprung nach vorn und Bildung von Volkskommunen -> Macht- und
Richtungskämpfe
□
1966-69: Kulturrevolution (-> Desaster!)
Verzweiflungsaktion von politischer Führung; Massenpolitische Mobilisierung; von Feudalen
Resten verabschiedet; viele Kulturschätze zerstört (man wollte sich mit dieser „Revolution
von der Vergangenheit und den alten Traditionen abwänden/lösen)
Wie soll man den Sprung nach vorne schaffen, wenn Mobilisierung und Kollektivierunsmaßnahmen nicht funktioniert haben? -> Die Folge waren Hungersnöte und schlechte
Landwirtschaft
Die 50er und 60er waren eine krisenhafte Zeit für China; der Einschnitt in der Entwicklung
erfolgte 1976 mit Maos Tod
□
1976: Tod des großen Steuermanns Chinas Mao Zedong -> war gleichzeitig ein großer
Wendepunkt; er brachte nicht viel positive Leistungen während seiner Amtszeit
□
Bis 90er Jahre: Deng Xiaoping
-> war bestimmend in der chinesischen Innenpolitik ab 1977/78; Öffnung der Politik in
Richtung Demokratisierung und Landwirtschaft (Bauern konnten nun alleine wirtschaften);
Lohnsystem wurde entwickelt; Öffnung gegenüber dem Westen, politische Liberalisierung
1980 tritt Deng Xiaoping von seinen Staats- und 1987 von seinen Parteiämtern zurück, und
arbeitet anschließend mehr im Hintergrund (er blieb eigentlich bis zu seinem Tod im Jahr
1997 ein Drahtzieher im Hintergrund der chinesischen Politik -> Schlagwort: „Kryptopolitik“
-> Xiaoping besaß ein geheimes Veto)
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„Maos Strategie, in den 50ern den Kommunismus einzurichten, ist komplett schief gegangen.“
(O-Ton Gottweis)
7.5. Charakteristika des politischen Systems Chinas:
□
China ist ein kommunistisches autoritäres System mit einer offiziellen (marxistischen)
Ideologie
□
Die Wirtschaft zählt zum öffentlichen Eigentum
□
Es herrscht eine Zentralität der kommunistischen Partei vor; Die restlichen Parteien
werden als erlaubte Opposition hingenommen
□
Die politischen Institutionen sind unter Parteikontrolle
□
Auf unterster Ebene gibt es Wahlen, aber keine freien
□
Bedeutungsminderung der Judikative und Legislative; Keine checks and balances
7.6. Fragmentierung der Elite
1. Ökonomische Bürokratie
2. Organisations-personenbezogene Bürokratie (Polizei, Innenministerium)
3. Innenpolitische zivile Bürokratie (Geheimdienste)
4. Militärisches System -> Volksbefreiungsarmee (Militär, Machtimperium, System im
System)
5. Territoriale Komitees der KP
Es herrscht ein ständiger Konfliktstatus!
6. Mangel an Wahlen und Meinungsfreiheit
7. hohe Arbeitslosigkeit – soziale Instabilität
8. neue Technologien – neue Formen politischer Organisation
System des fragmentierten Autoritarismus
= Konzentration der Macht bei einer zentralisierten Exekutive bei gleichzeitiger Ausschaltung der
Legislative und Judikative; es gibt keine Gewaltenteilung! -> „demokratischer Zentralismus“
□
□
Absenz (Abwesenheit) von Demokratie
Machtaufteilung innerhalb einer Elite, die aber in sich gespalten ist
Mehrere Elitegruppen verfolgen unterschiedliche Ziele und sind miteinander in Konkurrenz; sie
tragen miteinander Machtkämpfe aus; das politische Gerüst Chinas wird dazu benützt, diese
Machtkämpfe auszutragen
Ab dem Zeitpunkt des Todes von Mao Zedong traten eben diese Kämpfe auf und wurden immer
deutlicher sichtbar; an sich herrscht eine geringe Reformbereitschaft in der KP-Führung Chinas
vor; in den inneren Provinzen werden u.a. Bürgermeister auf offener Straße geschlagen, Leute
demonstrieren etc. -> dies ist normalerweise (und auch in diesem Fall) ein Zeichen von großer
(innen)politischer Instabilität
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Ad Autoritäres System = Versuch der Herstellung der Ordnung und Stabilität durch die
Konzentration der Macht bei einer zentralisierten Exekutive bei gleichzeitiger
Bedeutungsminderung von Legislative und Judikative
Kommunistische Partei
□
□
□
Parteitag der Kommunistischen Partei (KPC) -> tritt alle 5 Jahre zusammen
-> wählt das Zentralkomitee (204 Mitglieder)
-> Politbüro (25 Mitglieder)
Politischer Kurswechsel
□ XVI. Parteitag November 2002
□ Wechsel von der "dritten" zur "vierten" Generation
□ Führungswechsel im März 2003 abgeschlossen
Staatsführung
□
Präsident Hu Jintao (seit 15. März 2003)
-> gewählt auf 5 Jahre vom Nationalem Volkskongress
□
Premierminister Wen Jiabao
-> vom Präsidenten ernannt, durch Nationalen Volkskongress bestätigt
7.7. Politische Institutionen
Bevölkerung -> VK auf Kreisebene -> VK auf Provinzebene -> Nationaler Volkskongress NVK
□
Die Bevölkerung wählt den Volkskongress auf Kreisebene
□
Es gibt keine direkte Wahl des Parlaments
□
Der VK auf Kreisebene wählt den VK auf Provinzebene; Dieser wählt den NVK
□
Die Legislative ist der NVK; er ist das zentrale Parlament mit 3000 Abgeordneten, die für 5
Jahre vom Volkskongress auf Provinzebene gewählt werden
□
Der VK hat nur eine Kammer, tagt nur einmal pro Jahr -> zeremonielle Zusammenkunft
□
Der ständige Ausschuss trifft sich alle 2 Monate
□
Der Staatspräsident darf 2 Mal für 5 Jahre gewählt werden
□
Der Präsident ernennt auf Vorschlag vom Nationalen Volkskongress den Ministerpräsidenten
und die übrigen Mitglieder des Staatsrates
□
Die Exekutive ist der Staatsrat mit dem Ministerpräsidenten. Das Kabinett besteht aus dem
Staatsrat und dem Hauptbüro des Staatsrates mit den unterstehenden Organen
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Politische Institutionen
7.8. Kader und Machthierarchie
57
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□
KPC- (Kommunistische Partei Chinas) Mitglieder sind ungefähr 70 Mio. Menschen
□
Die Führung ist überall, im Militär, in der Justiz etc. sichtbar
□
Organisationsprinzip:
- alle Organe müssen sich den Entscheidungen des Zentralkomitees unterordnen
- das Zentralkomitee hat 204 Mitglieder und trifft sich jedes Jahr einmal
- im ZK sind verschiedene Interessensgruppen vertreten
- die Mitglieder und Kandidaten werden auf Vorschlag der Parteispitze gewählt
- an der Spitze des ZK steht der ZK-Sekretär
- es trifft Entscheidungen über Spitzenpositionen in Parteien und im Staat
- es ist für die Änderungen in der Verfassung zuständig
Das politsch-administrative System der Volksrepublik CHINA
7.9. Politischer Kurswechsel
□
□
□
XVI. Parteitag November 2002
Wechsel von der "dritten" zur "vierten" Generation
Führungswechsel im März 2003 abgeschlossen
Schwäche:
Übergang der Führungsmächte ist in autoritären Systemen schlecht erklärt und geregelt; nicht
die Bevölkerung entscheidet, sondern die politische Elite entscheidet
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Exkurs: XVII. Parteitag der KPC am 21.Oktober 2007
□
Hu Jintao als Parteichef und Armeeoberbefehlshaber vom Zentralkomitee bestätigt
□
Vier neue Parteivertreter
- potenziellen Nachfolger:
• 52-jähriger Parteichef Schanghais Xi Jinping
• 54-jähriger Parteichef von Liaoning, Li Keqiang.
Reformvorhaben in Hu Jintao‘s zweiten Amtsperiode:
□
Ziel der Vervierfachung des wirtschaftlichen Outputs von 2000 bis 2020 bestätigt,
gemessen am Pro-Kopf-Ergebnissen für die 1,3 Milliarden Chinesen (nicht mehr an absoluten
Wachstumszahlen)
□
Hu Jintao spricht von „scientific view of development“
- Umweltschutz
- Korruption
- Reduktion der wachsenden Einkommensunterschiede
- Reformen im Gesundheitswesen und der sozialen Sicherheit
„We must adopt an enlightened approach to development that results in expanded production,
a better life and sound ecological and environmental conditions.“
7.10. Volksbefreiungsarmee
□
Seit 1982 Oberbefehl der Streitkräfte bei Zentraler Militärkommission (Mtgl. vom Nationalen
Volkskongress gewählt, diesem verantwortlich)
□
Vorsitzender: Hu Jintao
□
Ansehen / Vertrauen der Bevölkerung
□
Rückgrad der Stabilität
□
Wirtschaftsimperium
7.11. Wirtschaftsreform
Seit 1978 zentral
1. Vereinheitlichung der Ministerien für Wirtschaftspolitik
2. Konflikte zwischen alten und neuen Strukturen (ABER: keine Rücknahme der Reformen)
Die Wirtschaftsreform umfasst vier Phasen:
□ Phase I (1978-84):
Reform d. Mikromanagements
gab Anreize für Bauern, Manager und Arbeiter; man entfernte sich von der kollektiven
Landwirtschaft und schaffte mehr Autonomie für Betriebe
□
Phase II (1984-1991):
Reform d. Ressourceallokationsmechanismen
Autonomie -> Nachfrage von Ressourcen, Gütern und Dienstleistungen; mehr Flexibilität und
neue finanzielle Instrumente (auch Nicht-Banken)
59
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□
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Phase III (1992-1997):
Reform d. Makromanagements
zuvor wurden die Zinsen künstliche niedrig gehalten -> Erhöhung der Zinssätze -> dadurch
wurden die Sparguthaben attraktiver
□
Phase IV (1997-....):
Reform der verstaatlichten Betriebe/ Schutz des Privateigentums (Beschluss 2004)
(1) Restrukturierung der Staatsunternehmen, die privatisiert werden sollen
(2) Stärkung der Finanzmärkte (mehr Unternehmen an die Börse, stärkere Regulierung der
Finanzmärkte)
(3) Geplanter Verkauf der rund 300.000 Staatsbetriebe bis auf etwa 1000 Unternehmen, die
neu entstehen sollen
(4) Aufbau eines sozialen Systems (Fokus besonders auf Umschulungen etc.)
(5) Reduzierung der Zolltarife
(6) Beschluss im März 2004 zum Schutz des Privateigentums
ZIEL: Einführung des Marktsystems, Ø Jahreswachstum von 6,5 % für die nächsten 25 Jahre
□
Chinesischer Weg
- Sowjetische Lektion: plötzlicher Rückzug des Staates kontraproduktiv
- Versuch der Melange Kommunismus-Kapitalismus
Heute:
herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit in China; ethnische Konflikte; Wohlstandsunterschiede;
langsame Umsetzung politischer Reformen; Unterdrückung von Dissidenten; MenschenrechtsVerletzungen
Es gibt in China keine Ebene, die unabhängig von der kommunistischen Partei ist; der gewaltentrennende Aspekt kommt in China nicht zum Ausdruck - alles ist ineinander verschachtelt und
übergreifend; zudem ist alles in die Struktur der Kommunistischen Partei eingebaut.
Der „leninistische demokratische Zentralismus/Kommunismus“ - ist das Grundprinzip der KP ->
alle müssen sich dem ZK (Zentralkomitee) unterordnen!
Die Bevölkerung hat lediglich auf Gemeindeebene direkten Einfluss; auf die höheren politischen
Ebenen gibt es nur indirekte Einflussnahme der Bevölkerung Chinas
China ist laut Meinung vieler die Supermacht der Zukunft
Höchst interessant ist, dass China eine Wirtschaftsreform in Etappen vollzieht (immer das
Mahnbeispiel UdSSR, wo die Entwicklung zu schnell gegangen war, vor Augen)
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8. Politik in Afrika: Nigeria
AFRIKA - The Unfinished Continent
□
Der Kontinent Afrika kann man in zwei Teilen einteilen, in den
Norden und in den Süden, wobei der Süden den Namen
„Subsahara“ trägt
□
800 Sprachen / 54 Staaten
□
Vielfalt der Religionen (Animismus, Christentum, Islam)
□
Politik gekennzeichnet von Überleben, großen sozialen
Unterschieden, ständige Veränderung, brüchige Entwicklung
□
„Genius Loci der postkolonialen Politik“
□
Chancen und Sackgassen eines Vergleiches:
- Analyse der Politik: sog. „ modernistische Schule“ und
„Unterentwicklungsschule“
„The Statist School“
Jenseits der „Ersten Welt“
□
Demokratisierungsprozesse, v.a. in den 1990er Jahren (mit Grenzen)
- es gab dabei viele Rückfälle, deshalb spricht man auch von einem „Swing“ – vieles wurde
geöffnet, danach wieder geschlossen
□
neoliberale „Strukturreformen“ (man versucht in vielen Teilen Afrikas marktorientierter zu
produzieren)
□
Strukturzerfall: Unterminierung der vorhandenen staatlichen Strukturen
- von Außen (Stichwort „Globalisierung“)
- von Innen (ethnische Konflikte, Fundamentalismus)
Staaten existieren nur am Papier, lokale Gruppierungen sind oft so stark geworden, dass sie sich
einfach abkoppeln
Staatlichkeit -> gibt es in dem Sinne nicht überall -> Phänomen der 90er Jahre -> Zerfall der
postkolonialistischen Staaten -> oft nur eine Hülle und Fassade
Aufstieg des Fundamentalismus -> viel mit Modernisierung zu tun -> niemand kann garantieren,
dass Gesetze auch eingehalten werden -> deshalb High Risk für Unternehmen
8.1. Neopatrimonialismus
Was sind neopatrimonialistische Staaten?
 Subform autoritärer Herrschaft, häufig mit gewissen demokratischen Elementen
 Abgrenzung von „Klassischem Patrimonialismus“
Herrschaft durch ein Individuum, das über den Gesetzen steht –> konnte man in präkolonialen
Phasen sehen
Klassischer Neopatrimonialismus
„Die Herrschaft durch ein Individuum, die über den Gesetzen steht“ -> Big Man
Neopatrimonialismus
In Subsahara-Afrika vorherrschend; es bestehen geschriebene Gesetze, Institutionen, ein
Parlament, einen Staatsapparat.
61
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Kennzeichen des Neopatrimonialismus:
1. Präsidentialimus
2. Klientelismus
3. Der Staat als Ressource
1. Präsidentialimus
Starke Machtkonzentration des Präsidenten, kommt meistens aus der
Armee oder einer dominanten Partei; es herrscht ein regelrechter
Personenkult um das Staatsoberhaupt –> „pater familias“ (Vater des Landes)
Geherrscht wird über ein Dekret; Demokratische Institutionen werden
ignoriert -> Legislative, Judikative spielen keine Rolle, in der Exekutive
liegt die Macht
Mobutu Sese Seko
(Präsident von
Zaire 1965-1997)
Keine Balance der Gewalt – keine checks und balances -> typisch autoritäre Form
2. Klientelismus
Neopatrimonialismus beruht auf Verteilung persönlicher Begünstigungen -> Jobs, Verträge,
andere Institutionen
Ausgetauscht gegen Loyalität (vlg. Japan) -> pathologisch zu werden
Der Staat hat mit diesem System enorme Verluste zB in der Wirtschaft, weil die eigentlich
qualifizierten Arbeiter nicht an den Job kommen; stattdessen sind es unqualifizierte, die dem
Unternehmen im Prinzip nur schaden; dieses System nützt nur wenigen und schadet der
Gesellschaft.
3. Der Staat als Ressource
Es gibt keinen großen Unterschied zwischen Staats- und Privatkonten;
Kombination aus allen drei Kennzeichen ist fatal für die Länder; sind eigentlich (ressourcen)reiche Länder, jedoch wird das Geld falsch angelegt und verteilt -> geraten in die Abhängigkeit
8.2. Spielformen
1) Plebiszitäre Einparteiensysteme
- ein Mann ist an der Macht
- permanente Mobilisierung der Bevölkerung, aber kein Wettbewerb um Macht
- typisch für die erste Generation nach Unabhängigkeit
2) militärische Oligarchie
-
keinerlei Wahlen
Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen
typische Systeme die in den 70er, 80er Jahren entstanden sind (zB Gaza)
kleine Gruppe von Militärs
Militärcoups in den siebziger und achtziger Jahren
3) Kompetitives Einparteiensystem
- eine Partei dominiert
- andere Parteien sind nicht prinzipiell ausgeschlossen (werden aber kontrolliert)
- zB Kenia, Sambia
4) Siedleroligarchie
- Repressionssystem gegenüber Mehrheit,
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- für die weiße Minderheit gibt es Demokratie, für die schwarze Bevölkerung autoritäres
System (zB Südafrika – vor der Demokratisierung)
5) Mehrparteiensysteme
-
gleichen den westlichen Mehrparteiensystemen
Wahlen, verschiedene Parteien, etc.
schwache Oppositionsparteien
Tendenz, dass stärkste Partei die anderen unterdrückt (siehe Pkt. 3)
zB Maurizius, Botswana
Die fünf verschiedenen Typen wechseln sich oft ab -> die afrikanische Politik ist von Veränderungen geprägt!
8.3. Nigeria – der Staat
Federal Republic of NIGERIA
□
135 Millionen Einwohner (ca. 1/6 der Bevölkerung Afrikas)
□
Christen 40%, Muslime 50%, indigene Religionen 10%
□
ethnischer Pluralismus
- (größte Ethnien: Igbo, Yoruba, Hausa)
□
Unabhängigkeit seit 1960
□
Export: Öl (95%), Kakao
Geschichte
Wichtig: Afrikanische politische Systeme lassen sich nicht ohne Kolonialgeschichte verstehen!
Vor 100 Jahren gab es Nigeria noch nicht –> die Länder waren eine Erfindung des Westens –>
früher teilte man es in Familiengruppen ein
Nigeria wurde 1960 gegründet
□
Präkoloniale Zeit:
- Norden: Hausa
Stadtstaaten im (11./12. Jhdt.) -> islam. Einfluss (15. Jhdt.)
-
Südwesten: Yoruba und Bini
Königtümer (12. und 13. Jhdt.)
-
Südosten: Igbo
Berliner Konferenz (1884/85)
□ Aufteilung Afrikas in Einflusszonen
- Royal Niger Company
- Royal Charter für Handel
□
Gründung der Protektorate Lagos, Nord- und Südnigeria (1900)
□
einheitliche Administration ab 1914
– Norden: „indirect rule“
– Süden: westliche Eliten
□
1. Oktober 1960: Niverai
63
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8.4. Das politische System Nigerias
Im Süden des Landes gibt es Kakao und Palmenöl, im Norden dominiert die Viehwirtschaft,
Baumwolle und Erdnüsse; die Briten lenkten die Subwirtschaft zu Landwirtschaft hin ->
Resultat: Die Bauern gerieten in ein Abhängigkeitsverhältnis!
Kolonien wollten das nur bestimmte Produkte angebaut werden – wo – bestimmten sie -> dadurch
gerieten die Bauer in eine Monokultur, weswegen sie sich alleine nicht mehr ernähren konnten,
weil sie nur ein Produkt anbauen durften; da die Subwirtschaft nicht mehr existierte, waren sie
abhängig vom Wetter und der Weltmacht (Großbritannien)
In den 50er Jahren wurde das Erdöl entdeckt -> große Expansion -> Wirtschaft wurde
angekurbelt
□
Zunächst: Westminister System
□
Seit 1979: Präsidiale Bundesrepublik
□
Serie von Putschen
□
Föderalismus
-> 3 Säulen:
- Föderale Regierung
- 36 Staaten und ein Bundesterritorium
- über 750 regionale Einheiten
Das politische System Nigerias heute
64
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□
Die National Assembly (Nationalrat) besteht aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat
□
Die wahlberechtigte Bevölkerung wählt das Repräsentantenhaus (360 Sitze) und den Senat
(109 Sitze) alle 4 Jahre
□
Der Präsident wird alle 4 Jahre gewählt, eine Wiederwahl ist möglich
□
Der Präsident ernennt die Richter des Supreme Court
□
Gesetztesinitiative beider Häuser brauchen die Beglaubigung durch den Präsidenten
Präsident
□
Derzeitiges Oberhaupt: Umaru Yar'Adua (seit 29. Mai 2007)
□
Nachfolger von Olusegun Obasanjo (1999-2007)
□
Yar’Adua wurde in kontroversiellen Präsidentschaftswahlen im April
2007 mit 69,82% der Stimmen zum Präsidenten gewählt
□
Sein Schwerpunkt: Bekämpfung der Korruption
Die Staatsführung hat in Nigeria keine Konstante –> entweder wurden wichtige Politiker
ermordet, entfernt oder mussten gehen -> Schwäche von Nigeria
Problemfelder
1. religiös und ethnisch motivierte Zwischenfälle (Tote)
2. Forderung nach einem Yoruba-Staat im Westen Nigerias (Separatistische Bewegung)
3. Ethnische Spannungen:
- Igbos: fühlen sich als Bürger zweiter Klasse
- Biafra Krieg: 1967 – zweieinhalb Jahr tobte dieser Bürgerkrieg und forderte eine Million
Tote (darunter auch viele Zivilisten); 2001 wurde schließlich das sog. Oputa Panel nach
Modell der südafrikanischen Truth Commission zur Aufarbeitung der nigerianischen
Vergangenheit und v.a. der Vorfälle im Biafra Krieg eingesetzt
4. ungleicher Anteil an Ölreserven -> die Minderheiten im Niger-Delta (dort gibt es die großen
Öl-Vorkommmen Nigerias) klagen darüber, dass sie nicht vom Öl-Reichtum des Landes
profitieren
5. Korruption und Missmanagement (Unmut darüber in der Bevölkerung)
6. Spannungen Muslime vs. Christen (zB: Einführung der Schari‘a im Norden, Miss Wahl 2002
-> Steinigungen)
Nigeria hat ein politisches System, das keineswegs stabil ist; dadurch können sich v.a. während
einer Krise Probleme ergeben, wenn dann keine ausreichende Stabilität gegeben ist;
Mechanismen, die Stabilität während Krisenzeiten garantieren könnten, fehlen
Nigeria hat heute aber eine stärkere demokratische Basis/Grundlage als früher; die Probleme
des Landes hängen aber stark mit seiner kolonialen Vergangenheit zusammen; das wichtigste
Exportgut Nigerias stellt das Erdöl dar
Die Schari‘a in Nigerias Norden
□
Einführung der Schari‘a ab 2000 in 12 nördlichen Staaten, erstmals im nördlichen Zamfara
□
International kritisierte Anwendung:
- Fälle von Steinigungen mutmaßlicher EhebrecherInnen
65
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„PERFORMANCE“ (Leistung/Fähigkeit des Systems, die Wünsche der Bevölkerung zu erfüllen):
Ist Nigeria eine Demokratie oder nicht?
□
Extraktive Performance
- Steuereintreibung funktioniert sehr schlecht bis gar nicht
□
Distributive Performance
- Große Infrastrukturprobleme
- Große Korruption
- Topverdiener profitieren von Öffnung; die Masse profitiert allerdings nicht von der
Modernisierung
□
Regulative Performance
- Das Justizsystem funktioniert gut und unabhängig; freie Meinungsäußerung gibt es aber
nicht
□
Gesamtbild
Das Gesamtbild in Relation mit den großen Ressourcenvorkommen ist nicht befriedigend ->
ungleiche Verteilung der Ressourcen
Fazit
1. Der „Wettbewerb“ der Ideologien geht weiter
2. Staat ist weiterhin ein relevanter Akteur und Faktor: neues Verständnis von State
building
3. Dynamik und Unberechenbarkeit politischer Prozesses - neue Akteure in postnationaler
Politik (Informationstechnologien)
4. Neue Problemfelder: Zerstörung der Natur, Kapitalmobilität
5. Zerfall von politischen und gesellschaftlichen Strukturen: Suche nach neuen Strategien
gesellschaftlicher Ordnung
6. Weltweit verschiedenste Regierungsformen: Kultur- bzw. strukturorientierte Regulation
66
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9. Politik in Japan
9.1. Eckdaten
Oberhaupt: Kaiser Tenno Akihito
Premier: Yasuo Fukuda (seit Sept. 2007, zuvor Shinzō Abe)
□
Japan ist eine konstitutionelle Monarchie
□
am 3. Mai 1947 trat die Verfassung in Kraft
□
127 Mio. Einwohner
□
1889 Verfassung -> Geburt des ersten Nationalstaat
Asiens
□
Heute ist Japan hoch technologisiert und die
zweitstärkste Industrienation der Welt, nach den USA
□
Japan ist heute fast ein „Ein-Parteien-System“ ->
Resultat = Korruption
□
LDP profitiert -> die Wähler sind Teil des Systems, keine
Opfer
□
Gewinner sind die Beamten und Politiker
□
Das Politische System Japan ist heute relativ unstabil
(seit 1989 gab es 11 Premierminister!) -> Dominanz der
Parteien
□
Paradox Japans Wirtschaft:
- hoch technologisiert vs. Ineffizienz
□
Strukturelle Langzeitprobleme:
- Chronische Verschuldung des Staates
- Niedriges Wachstum
- -> „Bubble Economy“
- Überalterung der Gesellschaft
□
Politische Gründe für Schwächen:
- Starres politisches System
- „Politics of muddling through“
Allgemeine Bemerkungen
□
Über Japan kann man viele positive Aspekte anführen: Reichtum, großes Maß an Sicherheit,
Sauberkeit,...
□
Trotzdem herrscht Krisenstimmung und dies vor allem auf Grund der finanziellen Probleme
des Landes:
- Die Banken haben „bad loans“ vergeben, dabei handelt es sich um Kredite, die nicht
mehr einzubringen sind (Schätzungen gehen von 70 bis 170 Trillionen Yen Schulden aus)
- Die Privatwirtschaft hat ebenfalls zu kämpfen
□
Arbeitslosikeit liegt bei 5,3 % - Tendenz steigend (jedoch gibt es große versteckte
Arbeitslosigkeit)
67
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□
Die Wirtschaft schrumpft: -1%
□
Kaum Investitionen durch Firmen
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In den 80iger Jahren....
... war Japan der aufsteigende Gigant
... Honda, Toyota, Toshiba -> „übernehmen die wirtschaftliche Weltherrschaft“
... Diskurs „Japan erobert die Welt“
... Japan hat über 600 Milliarden Dollar im Ausland investiert, davon die Hälfte in den USA
(Japan kaufte etwa das Rockefeller Center in New York
Ist Japan eine Demokratie?
Japan qualifiziert heute:
- konstitutionelle Monarchie
- 127 Mio Einwohner (relativ groß), Territorium entsprich ca. US-Bundesstaat Montana
(verhältnismäßig klein)
- Großraum Tokyo: 40 Mio Einwohner; Korridor Osaka-Tokyo: 80 Mio Einwohner
- Keine Drogenkriminalität, keine Straßenkriminalität…
- Japaner gehören zu den wohlhabendsten Menschen der Welt
- Lebenserwartung lang, Steuern moderat, Arbeitslosigkeit relativ niedrig
Japan gilt heute nicht mehr als Modellland, wie es in den 80er Jahren war; hat sein Image der
„Superpower“ verloren
9.2. Historische Entwicklung
□
17. Jh. bis Mitte 18. Jh.: relative Isolierung
□
Tokugawa Shōgunat (1603-1868):
-> Territoriale Vereinigung der vorher verfeindeten Gebiete (Aufstieg der wirtschaftlichen
Klassen) aber nationale Isolation
-> Shōgun, Daimyō, Samurai (Samurai betrachteten den Aufstieg der Kaufleute mit Neid)
Industrialisierung, Modernisierung und Übergang vom Feudal- zum Nationalstaat:
□
Meiji Periode (1868-1912)
- Japan wurde zur ersten nicht westlichen „industriellen Macht“
Meijis zentrales Anliegen war die Öffnung und Modernisierung Japans; er etablierte die
Post nach dem Vorbild England, Polizei nach Frankreich, Banken und Schulen nach USVorbild, Armee nach deutschem Vorbild; Meiji sandte seine Leute ins Ausland und holte sie
als Experten zurück
- 1872 allg. Wehrpflicht
- 1889 Verfassung
□
Taisho Ära (1912-1926)
- allgemeines Wahlrecht für Männer
- 1931 begann eine zunehmende Militarisierung mit Besetzung der Mandschurei (später
agressive Politik gegen China und USA -> Pearl Habour) und endete am 2.9.1945 mit der
Kapitulation im 2. Weltkrieg
68
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- Japans Armee geprägt von Massenmorde, Folterungen, Vergewaltigungen …; die
Auseinandersetzung mit der Geschichte ist sehr schwierig; in den Geschichtsbüchern
werden die Geschehnisse anders dargestellt
□
SCAP (Supreme Commander for the Allied Powers) (1945 – 1952)
- das „neue“ Japan unter der US Regierung entstand
- 1946/47 Verfassung nach US-amerikanischen Vorbild -> deutlicher Unterschied zur
Verfassung Meijis 1889; -> der Kaiser verlor seine Macht weitgehend, war nur noch eine
symbolische Figur des Staates; ohne Absprache mit der Regierung durfte der Kaiser keine
Funktionen mehr ausführen (Japan hat daher eigentlich kein wirkliches Staatsoberhaupt
mehr)
- SCAP brachte eine „Entnazifizierung“ auf Japanisch, Verbreitung von politischer
Partizipation
□
Das Hauptmerkmal Japans ist wohl die Wahlrechtsreform 1994
KAISER: Tennō Akihito
□
Laut Verfassung „Symbol des Staates und der Einheit des Japanischen
Volkes“
□
125. Tennō (Kaiser, wörtlich „vom Himmel (gesandter) Herrscher)
□
Zeremonielle Aufgaben
Das politische System Japans heute
69
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9.3. Parlament
□
Das japanische Parlament besteht aus dem Unterhaus (Repräsentantenhaus) und dem
Oberhaus (Kammer der Berater)
Wahlrecht bis 1994:
Das Unterhaus (Repräsentantenhaus) (bis 1994)
□ Das Unterhaus hatte 511 Mitglieder und wurde für 4 Jahre aus 130 Wahlkreisen gewählt; es
herrschte das Mehrheitswahlrecht mit unübertragbaren Einzelstimmen
□
Das Unterhaus wählt das Kabinett mit dem Premierminister und den Ministern und hat eine
Verantwortung gegenüber dem Kabinett
□
Der Premierminister kann das Unterhaus auflösen und das Kabinett ernennt die
Höchstrichter
□
Jeder Wähler gab 1 Stimme für 1 Kandidaten ab -> für keine Partei oder Liste, nur für einen
Kandidaten; erhielt ein Kandidat mehr Stimmen als er für seinen Sitz braucht, fiel der Rest
weg
□
Jede Partei musste mindestens 2 Personen pro Wahldistrikt nominieren; es herrschte eine
extreme Rivalität in den eigenen Parteien, weil die Kandidaten gegeneinander kämpften
□
Jeder Kandidat sprach jeweils eine bestimmte Schicht in der Bevölkerung an (catch all);
damit diese wiedergewählt werden müssen sie natürlich ihre Wählerschicht (Bauern,
Wirtschaft,…) zufrieden stellen -> „Straßen die nirgends hinführen …“
Der Effekt dieses alten Wahlrechts war, dass man dezentrale Kampagnenbüros gebraucht hatte > die Kandidaten waren Repräsentanten für eine Interessensgruppe; wie gut eine Partei ist,
wurde daran gemessen, wie gut eine Partei bedienen konnte
Wahlrechtsreform 1994:
□
Gemischtes Wahlrecht für das Unterhaus (seit 1994)
□
480 Sitze -> 300 Sitze werden durch die Mehrheitswahl und die Personenwahl in 300
Wahldistrikten vergeben; -> 180 Sitze werden in 11 regionalen Distrikten mit proportionalem
System vergeben (Verhältniswahl)
□
Jeder Wähler hat 2 Stimmen -> Partei -> Person
□
Kandidat kann auf der regionalen Liste oder auf der Personalwahl stehen -> eine
Doppelkandidatur ist möglich
70
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□
Tendenz zum Klientelismus sollte durch Wahlrechtsreform verringert werden
□
Allerdings sind duale Kandidaturen möglich, Kandidaten können simultan in regionalen und
normalen Wahlkreisen antreten
□
Die Tendenz zum Klientelismus, die latente Konkurrenz innerhalb der Partei, ist nach wie vor
vorhanden -> Intraparteikampf konnte durch Wahlrechtsreform 94 nicht abgeschafft werden
(Prüfung: keine Details zu altem und neuem Wahlrecht; gelernt werden soll die grobe Struktur
des politischen Systems Grafik Parlament/Gerichtshof/Minister…)
Das Oberhaus (Kammer der Berater)
□ Die Kammer der Berater, das Oberhaus, hat 252 Mitglieder und wird für 6 Jahre gewählt
(alle 2 Jahre die Hälfte)
□
100 Mitglieder werden nach dem Verhältniswahlrecht gewählt - 152 nach dem
Mehrheitswahlrecht in 47 Mehrpersonenwahlkreisen
Das Kabinett
□ Das Kabinett wählt meist Richter im hohen Alter aus, denn das Pensionsalter liegt bei 70
Jahren; umso länger ein Richter im Amt ist, desto unabhängiger handelt er; wird man kurz
vor seiner Pensionierung eingestellt ist man dankbar und widerspricht nicht
71
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9.4. Gesetzgebung
Beide Kammern müssen einem Gesetz zustimmen!
Es gibt 3 Ausnahmen:
a. Das Unterhaus wählt alleine den Premierminister
b. Das Unterhaus verabschiedet alleine das Budget
c. Das Unterhaus ist für die Ratifizierung von Verträgen zuständig
9.5. Parteien
□
Liberale Demokratische Partei (LDP) in 9 Fraktionen („habatsu“) aufgeteilt:
-
Heisei Kenkyūkai (Tsushima Faction)
Seiwa Seisaku Kenkyūkai (Machimura Faction)
Shisuikai (Ibuki Faction)
Kōchikai (Koga Faction)
Kōchikai (Tanigaki Faction)
Kinmirai Seiji Kenkyūkai (Yamasaki Faction)
Banchō Seisaku Kenkyūjo (Komura Faction)
Taiyūkai (Kono Faction)
Atarashii Nami 'New Wave' (Nikai Faction)
einzelne Fraktionen unterstützen die Abgeordneten im Austausch mit parlamentarischer
Unterstützung nach der Wahl -> mächtigste Fraktion stellt den Premierminister
□
□
□
□
Demokratische Partei (DP, minshu-tō)
Sozialdemokratische Partei Japans (SDP, shakaiminshūtō)
Kommunistische Partei Japans (JCP, kyōsantō)
Partei für eine saubere Regierung bzw. Clean Government Party (CGP, new
kōmeitō)
Exkurs: Wahlergebnisse: langfristige Trends
72
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Exkurs: Oberhauswahlen 2007
□
□
□
Zahlreiche Skandale unter Premier Shinzō Abe fügen der LDP eine historische Niederlage bei
Die Regierungsparteien konnten nur 46 Sitze von 121 möglichen Sitzen gewinnen
Schließlich tritt Shinzō Abe am 12.9.2007 zurück
9.6. Premierminister / Regierung
□
Derzeit: Yasuo Fukuda (seit Sept. 2007)
□
Premier wird vom Unterhaus (UH) gewählt
□
braucht das Vertrauen vom Unterhaus
□
kann das Unterhaus aber auch auflösen
□
insgesamt große Volatilität
9.7. Bürokratie
□
Bürokratie als eigentliche Machtträger
□
Politiker als Vermittler zwischen Interessen von Bürokraten, Wählern und Interessensgruppen
□
enge Verflechtung mit der Liberalen Demokratischen Partei (LDP)
□
sog. „Iron Triangle“:
□
Der Großteil der Spitzenbeamten kommt von den japanischen Elite-Unis (zB Universität
Tokio) gestellt
□
Hartes Auswahlverfahren; es gibt mehr Kandidaten als Stellen; nach der Ausbildung steigt
man auf einer Ebene ein und steigt dann allmählich in der Hierarchie auf; diejenigen die
nicht befördert werden, müssen das Ministerium verlassen (meist im Alter von 45-50 Jahren);
sie gehen dann entweder in die Politik, in die Privatwirtschaft oder in Agenturen
□
An der Spitze jedes Ministeriums der Hierarchie steht der Vizeminister
□
Aus diesen personellen Verflechtungen ergibt sich eine symbiotische Beziehung zwischen
Staat und Privatwirtschaft; dies kann man als eine Art von Korruption beschreiben
□
Bürokratie als Nachfolger der Samurai; Samurai waren Diener des Kaisers und kontrollierten
die Wirtschaft während des Krieges
□
-> Minister beschließen das, was die Bürokratie vorgibt
73
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„MITI“
□
Der rasante Aufstieg Japans in der zweiten Hälfte des 20. Jhdt wurde v.a. von der
japanischen Bürokratie organisiert -> Legende: MITI -> zentrale Einrichtung für den Weg zur
Spitze
□
MITI war die im internationalen Kontext allgemein gebräuchliche Abkürzung für das
japanische Ministry of International Trade and Industry (Ministerium für Internationalen
Handel und Industrie)
□
Das MITI gilt als entscheidender Architekt für den wirtschaftlichen Aufschwung Japans in der
Nachkriegszeit; an seine Stelle trat 2001 das heutige Ministerium für Wirtschaft, Handel und
Industrie
9.8. Reformagenda Koizumi
Junichiro Koizumi (Premierminister Japans von 2001 - 2006)
Beispiel: Postreform
□
Fakten:
- Gründung der Post 2003
- größter Arbeitgeber Japans
- hält 1/5 der nationalen Schulden
□
Entwicklung:
- Vorschlag: Vierteilung des Unternehmens und Verkauf
- Ablehnung des Gesetzes vom OH => Auflösung des UH=> Neuwahlen (Sept. 2005)
- Ausgang: 2/3 Mehrheit für LDP und Koalitionspartner
- Verabschiedung des Privatisierungsgesetzes
- 1.Oktober 2007 Beginn des Privatisierungsprozesses
9.9. Judikative
Richter:
□
Es herrscht ein hohes Antrittsalter und das Pensionsalter ist mit 70 fixiert; Konsequenz
daraus ist, dass man nicht lange Richter sein kann
□
Wer gegen die LDP ist wird nicht Richter, oder muss ohnehin relativ schnell wieder in Pension
gehen
□
Es gibt keine unabhängige Gerichtsbarkeit
9.10. Resümee
□
Japan ist ein politisches System das man durchaus fast als ein Ein-Parteien-System
bezeichnen kann (inkl. Koruption etc)
- Hohe Kosten des Systems
- Gut für Politiker (Karriere)
- Es fehlt die Kontrolle
74
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□
Politische Systeme in FR, GB oder D sind zwar auch durchaus reformbedürftig, sie
funktionieren aber im großen und ganzen -> in Japan schauts anders aus; es gibt im
Politisches System sehr viele grundlegende Probleme (v.a. im Zuge der Globalisierung; in den
70er und 80er Jahren funktionierte das System noch gut weil die Wirtschaft anders lief) ->
deshalb die große Frage ob Japan (bzw. die Japanische Wirtschaft) auch in der Zukunft noch
erfolgreich sein wird (auch im Vergleich zu China, wo es ein komplett anderes polit. System
gibt)
□
-> vielleicht ist China mittelfristig gesehen wesentlich besser im asiatischen Wirtschaftsraum
positioniert als Japan (mit seinem nicht mehr zeitgemäßen polit. System)
10. Politik in der EU
Warum gibt es eigentlich die EU?
□
die EU wurde nicht aufgrund abstrakter politischer Ziele oder aufgrund von irgendwelchen
Idealen gegründet
sondern
□ aufgrund der Erfahrungen des 2. WK
□ aufgrund des Wunsches, nie wieder einen derartigen Krieg in Europa zu haben
Ausmaß an Zerstörung durch die modernen Kriege des 20.Jhtd. war enorm + Angst vor atomarer
Zerstörung
Deshalb
□ wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa um zukünftige Kriege zu verhindern (beginnt mit
der EGKS = Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (waren damals die
Hauptrohstoffe für Kriegsmaschinerie bzw. Waffen)
□
Als Hintergrund: der Zusammenbruch der alten Weltordnung und als neue Weltordnung die
Bipolarität; deshalb musste Europa versuchen, enger zusammenzuarbeiten (besteht ja
hauptsächlich aus kleinen bzw. mittelgroßen Staaten)
75
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Türkeibeitritt?
zentrales Ziel der EU: Türkei als Bollwerk gegen den Islamismus aufzubauen
EU als Erfolgsstory
zB Euro läuft dem US-Dollar zunehmend den Rang als weltweit wichtigste Währung ab!
Frage: Was ist die EU? - Ein Staat? Ein politisches System?
Die EU ist im Endeffekt doch etwas anderes als ein Staat, darum wird sie auch nur kurz gestreift
in der VO…
Ist die EU ein Staat?
□
In gewisser Weise ist sei ein politisches System, das Gewaltmonopol liegt jedoch bei den einzelnen Mitgliedsstaaten (ist somit kein Staat)
Ist die EU ein politisches System?
□
Kriterien für ein politisches System (nach G. Almond (1956) und D. Easton (1957)):
- ein stabiles und klar definiertes Set von Institutionen für kollektives Entscheiden
trifft auf die EU zu
-
die Bürger und verschiedene soziale Gruppen versuchen ihre Absichten und Ziele durch das
politische System zu realisieren
trifft auf die EU zu
-
die kollektiven Entscheidungen haben eine signifikante Wirkung auf die Verteilung ökonomischer Ressourcen und die Allokation sozialer und politischer Werte (ein politisches System muss einen messbaren Effekt haben)
trifft auf die EU zu
-
es muss ein kontinuierlicher Feedback zwischen politischen Outputs und Inputs bestehen
Die EU ist (nach den klassischen Kriterien) ein politisches System, jedoch kein Staat; sie ist damit relativ schwer verständlich; auf der einen Seite meinen viele sie wüssten was die EU sei,
aber sie ist ein sehr junges politisches System und ein Phänomen dass es in dieser Form noch nie
gab (Staat nein – pol. System ja)
Ein politisches System nach G. Almond (1956) und D. Easton (1957) (vgl Hix 1999):
1. There is a stable and clearly-defined set of institutions for collective decision making and
rules governing relations between and within these institutions
2. Citizens and social groups seek to achieve their political desires through the political system,
either directly or through interest groups and political parties
3. Collective decisions in the political system have significant impact on the distribution of economic resources and the allocation of social and political values across the whole system
4. There is continuous interaction (‘feedback’) between these political outputs, new demands
on the system, new decisions and so on
Im Werberschen Sinne wäre die EU jedoch kein Staat, weil das Monopol auf legitime Machtausübung fehlt; für Gabriel Almond fallen diese beiden Begriffe „Staat“ und „politisches System“
unweigerlich zusammen; oder denken wir den Staat als historisch kontingente Erscheinung
(West-Europa 16.-Mitte 20.Jh.) und die EU als neues und komplexes politisches System, als ein
politisches System sui generis
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10.1. Grundidee der EU
□
Staatengemeinschaft kann nur funktionieren
Souveränitätsrechte schrittweise aufgeben
wenn
die
Mitgliedsstaaten
gewisse
□
In den Bereichen wo die EU Zuständigkeit hat wird sie auch darauf insistieren, dass das EU
Recht gilt und umgesetzt wird (= Supranationalität); ein einzelner Staat kann dann nicht
mehr sagen er zieht nicht mit
□
Die EU ist nach wie vor ein „Projekt“
10.2. Geschichte der EU
□
Hintergrund: u.a. zwei von Europa ausgehende Weltkriege
□
„Gründungsverträge“:
1951 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
(EGKS)
1956 in Brüssel: Fusionsvertrag
1957 in Rom: Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, Euratom)
1987 trat die Einheitliche Europäische Akte (EEA) in Kraft
1992 in Maastricht: Vertrag über die Europäische Union
1997 Vertrag von Amsterdam
2001 Vertrag von Nizza
2004 am 29. Oktober 2004 -> Unterzeichnung der Verfassung in Rom
-> Prinzip der RECHTSSTAATLICHKEIT
ABER: Ablehnung der EU-Verfassung bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden
„Änderungsverträge“:
1965 in Brüssel: Fusionsvertrag
1987 trat Einheitliche Europäische Akte (EEA) in Kraft
1997: Vertrag von Amsterdam
2001: Vertrag von Nizza
2007 Vertrag von Lissabon (REFORMVERTRAG)
-
Der Reformvertrag wird am 13.Dezember von den Vertretern der EU-27 unterzeichnet
-
ersetzt die gescheiterte EU-Verfassung
-
nach erfolgreichen Ratifikationen durch die Mitgliedsländer tritt der Reformvertrag am
1. Januar 2009 in Kraft (Art. 6)
-
eine Überarbeitung nach Art. 46 möglich; jeder Mitgliedstaat oder die Kommission können dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge vorlegen
77
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10.3. Entwicklung der EU
□
Europäische Politik wird heute häufig aus der Perspektive der Globalisierung und des „Ende“
des Nationalstaats diskutiert
□
Stichwort: „Governance“ (wie z.B. die Turbulenzen auf den international Finanzmärkten
oder Klimawandel)
10.4. Die EU heute
□
EU-27
□
ca. 495 Millionen Einwohner (Bevölkerungsdaten 2007: Schätzung EU/Eurostat)
□
Derzeitige Kandidatenländer: Mazedonien, Kroatien und Türkei (blau)
78
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Die drei Säulen der EU
GASP und PJZS (zweite und dritte Säule) funktionieren nach wie vor größtenteils intergouvernemental; in den einzelnen Säulen herrschen andere/verschiedene Regeln -> 3 „Politiken“ (erste
Säule weitaus demokratischer als die zweite und die dritte)
Diese unterschiedlichen „Politiken“ der EU sind ein Faktum, das den meisten Europäern vollkommen unklar ist; je nach Rechtsmaterie wird in den drei Bereichen der EU auch anders verfahren
79
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EU eine Demokratie?
EU von den Politologen als demokratisches System eingestuft (dieser Meinung entgegenzuhalten
ist das Demokratiedefizit der Union: die wichtigsten Institutionen sind nicht demokratisch oder
nur schwach indirekt demokratisch legitimiert!)
Parlament besitzt demokratische Legitimierung, Ministerrat und Kommission sind indirekt legitimiert -> Mangelnde demokratische Legitimierung
Europa mit der europäischen Union zwar politisches System, jedoch kein Staat und keine Demokratie!
Das derzeitige EU-System ist nicht auf 25-30 Mitgliedsländer zugeschnitten -> je größer die Mitgliederzahl also nun wird, desto entscheidungsschwerfälliger wird das System (werden) -> es ist
eine „Verschlankung“ notwendig!
Fritz Scharf (ein deutscher Politologe) meint, die EU sei eine „joined decision making gap“ (eine
Falle, aus der ein Land nach seinem Beitritt schwer wieder herauskommt)!
„permissive consensus“ (negative Legitimität) = Die Bürger sagen „Naja, wir sind halt in der EU;
wir wollen das zwar nicht wirklich, aber wir sind halt drin.“
10.5. Organe der EU
□
□
□
□
Europäischer Rat
Rat der EU (Ministerrat)
EU Kommision
Europäisches Parlament (EP)
Der Europäische Rat (European Council)
□
1974 in Paris gegründet; trifft sich in etwa 2 mal pro Jahr
□
setzt sich aus den jeweiligen obersten politischen Entscheidungsträgern zusammen
(Regierung- oder Staatschefs)
□
gibt der Union „die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen
politischen Zielvorstellungen fest“
□
NEU: Der Präsident des Europäischen Rates (Vertrag von Lissabon)
Statt der bislang rotierenden Präsidentschaft soll die EU künftig von einem Ratspräsidenten
geführt werden, der die Union auch nach Außen vertritt und alle zweieinhalb Jahre vom
europäischen Rat neu bestimmt wird; Hauptziel; „die Vorbereitung und Kontinuität der
Arbeiten des Europäischen Rates zu gewährleisten und auf einen Konsens hinzuarbeiten.“
Der Rat der EU (Ministerrat; Council of Ministers bzw. Council of the EU)
□
setzt sich je nach Politikbereich aus den jeweils zuständigen nationalen Ressortministern
zusammen
□
verfügt über ausschließliche Entscheidungsbefugnisse bei Politikfeldern aus II. und III. Säule
□
Willensbildung auf mehreren Ebenen:
1) Arbeitsgruppen nationaler Beamter
2) Ausschuss der Ständigen Vertreter (-> COREPER)
3) Rat
[4) Ebene der nationalen Staats- und Regierungchefs]
□
beträchtliche Variationsbreite der Entscheidungsregeln
80
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□
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NEU: Änderungen durch Vertrag von Lissabon:
- Weitere Einschränkung der nationalen Veto-Rechte
- Einführung der Doppelten Mehrheit: 55 % der EU Staaten und 65% der Bevölkerung,
mind. 15 Staaten müssen zustimmen
- ab 2014 (im Einzelfall 2007)
Die Kommission
□
ist in allen Politikfeldern von der Vorbreitung bis zur Kontrolle beteiligt
□
im Bereich der I. Säule:
- alleiniges Initiativrecht
- „Hüterin der Verträge“ -> Klage vor EuGH
□
NEU: Änderungen durch Vertrag von Lissabon:
- Das derzeitige Prinzip, dass jeder Mitgliedsstaat einen Kommissar stellt, wird abgeschafft;
ab 2014 sollen nur noch zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen - die
übrigen Posten werden im Rotationsverfahren vergeben
- Direkte Verknüpfung der Wahlergebnisse zum Europäischen Parlament und der Wahl des
Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten
- Stärkung des Kommissionspräsidenten: kann einzelne Kommissare ihres Amtes entheben
Das Europäische Parlament
□
Mitwirkungsmöglichkeiten des EP wurden konstant erweitert
□
Bandbreite parlamentarischer Beteiligungsmöglichkeiten je nach Politikfeld
81
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□
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NEU: Änderungen durch Vertrag von Lissabon:
- Zahl der Abgeordneten darf die Zahl 751 (750 und der Präsident) nicht übersteigen
- Ausweitung der Kompetenzen in den Bereichen Rechtsetzung, Haushalt und Genehmigung
internationaler Vereinbarungen
10.6. European „Modes of Governance“
□
Je nach Politikfeld unterschiedliche Verfahrensabläufe (allein bis zum Vertrag von Nizza: 38
verschiedene)
□
I. Säule: Gemeinschaftsmethode(n)
-> Zusammenwirken von Kommission, Parlament und Rat
□
Die 4 wichtigsten Verfahren sind:
a) Mitentscheidungsverfahren: bei ca. 75%
b) Anhörungsverfahren: z.B. im Bereich der Agrarpolitik
c) Zusammenarbeit
d) Zustimmung (des Parlaments): etwa bei Beitrittsverträgen
□
II. und III. Säule: intergouvernemental
82
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a) Mitentscheidungsverfahren
□
Parlament und der Rat teilen die Legislativgewalt
□
Anwendung in u.a. folgenden Bereichen:
- Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit
- Recht auf Einreise, Aufenthalt und Verbleib in anderen Mitgliedstaaten
- Niederlassungsrecht
- Verkehr
- Binnenmarkt
- Beschäftigung
- Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung
- Durchführungsbeschlüsse in Bezug auf den Europäischen Sozialfonds
- Bildung
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Prof. Herbert Gottweis
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b) Anhörungsverfahren
□
der Rat ersucht das Parlament sowie andere Einrichtungen wie den Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen um Stellungnahmen
□
kann obligatorisch oder optional sein
□
Anwendung in u.a. folgenden Bereichen:
- Änderung der Verträge
- Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der
Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen
Ausrichtung
- Landwirtschaft
- Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politikfelder im Zusammenhang mit der Freizügigkeit
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c) Kooperation
□
Initiiert durch die Kommission
□
dem Rat und dem EP vorgelegt
□
Gemeinsame Position wird gesucht
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10.7. Der lange Weg von Nizza nach Lissabon
□
Von der “Verfassung” zum “Reformvertrag”
- Laeken
- Nationale Debatten
- Europäischer Konvent (28.Feb 2002-10.Juli 2003)
- EU-Verfassungskonferenz in Neapel (28./29. November 2003)
- Einigung im Juni 2004
- Unterzeichnung am 29.10.2004 in Rom
- Notwendige Ratifizierung dr. Mitgliedsländer scheitert (Frankreich, Niederlanden)
□
Debatten um einen “Reformvertrag”
- auf staatstypische Symbole wie “Hymne”, “Flagge”, “Verfassung” oder “Gesetze” wird
verzichtet
- Ziele sind die gleichen geblieben?
Vereinfachung
Demokratie
Transparenz
Effektivität
Legitimität
Verfassung: Weitere Änderungen
□
EU-Grundrechtscharta
Großbritannien behält sich „opt out“ vor, Polen und Irland fraglich
□
Stärkeres Mitspracherecht der Bürger:
Bürgerinitiativen können mithilfe von einer Million Unterschriften die EU-Kommission
auffordern, neue politische Vorschläge zu unterbreiten
□
Der Hohe Vertreter der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik (statt
eines EU-Außenministers)
gleichzeitig Vizepräsident der Kommission
Europa als global player?
□
Austritt möglich
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11. Zusammenfassung
Allgemeine Überlegungen zu Staatssystemen
Allgemein ist zu bemerken, dass es heute kaum mehr totalitäre Systeme (NS, Stalinismus) gibt;
die nicht-demokratischen Systeme sind heutzutage größtenteils autoritär. In den Dritte- und
Vierte-Welt-Ländern (zB Afrika) findet man jedoch v.a. Mischtypen zwischen demokratischen
und nichtdemokratisch-autoritären Systemen.
Eine interessante Frage ist, ob das Taliban-System in Afghanistan totalitär oder autoritär war,
denn: Totalitäre Herrschaftsführung setzt immer voraus, dass ein Staat auch die technischen
Mittel zur totalen Kontrolle usw. zur Verfügung hat -> dies war ja im Taliban-Afghanistan nicht
der Fall.
In der Dritten und Vierten Welt kann man permanente Wellen zwischen Demokratisierung und
Ent-Demokratisierung konstatieren.
In den Entwicklungsländern findet man viele autoritäre Systeme - in Afrika bspw. gibt es nur
ganz wenige Systeme, die als „demokratisch“ bezeichnet werden könnten -> auf diesem
Kontinent entwickeln sich derzeit neue, wohlhabende Schichten, während andere
Bevölkerungsgruppen dort hungern, leiden und verarmen.
Neoliberale Modelle (zB Strukturanpassungsprogramme von Weltbank (WB) und Internationalem
Währungsfonds (IWF)) führen Krisen oft in neue Höhen und verschärfen diese in den
Entwicklungsländern.
Der klassische Staat verliert in/unter den Entwicklungsländern seinen Status und zieht sich mehr
und mehr zurück -> durch Globalisierung, ethnische Konflikte, Re-Fundamentalisierung und
Verlust der staatlichen Kontrolle kommt es zu Staatszerfall und Entstaatlichung!
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Staat im Völkerrecht
□
3
-
Kategorien:
Staatsvolk
Staatsgebiet
Souveräne Staatsgewalt
□
EU keine internationale Organisation, sondern eine transnationale Organisation -> Kern der
EU besteht darin, dass die Mitgliedsstaaten Teile ihrer Souveränität aufgeben
□
Souveräne Staaten werden zunehmend in größere Netzwerke integriert -> dadurch auch eine
gewisse Krise in der Vergleichenden Politikwissenschaft -> man kann heute politische
Systeme nicht mehr so vergleichen wie früher (zB ist es heute unmöglich, britische und
französische Wirtschaftspolitik zu vergleichen, ohne die europäische Ebene
miteinzubeziehen)
□
KONTEXT der politischen Konstellation
Transnationalisierung der Politik)
hat
sich
geändert
(durch
Globalisierung,
5 Charakteristika von Staaten
1)
2)
3)
4)
5)
Eine über ein Territorium definierte Bevölkerung, die ein Organ des Regierens anerkennt
Regierungsorgan verfügt über spezialisiertes Personal – Bürokratie und Militär
Staat ist souverän
Nationalgefühl
Gemeinschaft in Verteilung und Aufteilung von Pflichten und Rechten
Implikationen
1) Staat ist institutionelles Ensemble mit multiplen Grenzen, weder stabil noch fixiert
2) substantielle Charakter des Staates hängt von spezifischen politischen Projekten, Kämpfen
und Narrativen ab
3) strukturelle Selektivität
4) Staat als Form von Sozialbeziehung und Ausdruck gesellschaftlicher Machtbalance
Wichtig für PRÜFUNG: Entstehung, Entwicklung bzw. Historische Ausbildung der Staatlichkeit
bzw. des Nationalstaats -> moderner Nationalstaat als Resultat des 18. bzw. 19. Jhdt.
Bedeutung des Staates aus historischer Perspektive
□
"traditionelle" Staaten
3000 bis 2000 vor Christi Geburt (z.B. Mesopotamien)
□
„moderne“ Staaten
ca. 300 Jahre alt
Nationalstaat Phänomen des 19./20. Jh.
□
Grenzfall absolutistischer Staat
Übergang von einer tendenziell dezentralen Form von Machtausübung (etwa des feudalistischen Systems) zu einer Konzentration und Zentralisation von Macht und Herrschaft
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Jürgen Habermas (*1929) und die Postnationale Konstellation
1)
2)
3)
4)
5)
6)
Auftreten neuer Akteure der Macht und Ausprägung neuer Formen von Herrschaft
Globalisierung
Fortsetzung alter und Auftreten neuer Ungleichheiten, Resultat: Anomie
Plünderung des Planeten und Zerstörung der Natur
Aufschwung von Nationalismus und Fundamentalismus
Entwicklung neuer und intensiverer Formen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten
Wichtig für PRÜFUNG: vgl. aktuell mit der weltweiten Börsenkrise ausgehend von den USA ->
komplexe Vernetzung der weltweiten Finanzmärkte (Währungsspekulationen etc -> auch das
Internet spielt bei der weltweiten Vernetzung und Globalisierung eine
Grundformen politischer Systeme
Politische Systeme sind stets im Kontext mit dem Umfeld, in dem sie existieren, zu betrachten;
diese Rahmenbedingungen ändern sich laufend und können bzw. dürfen bei der Betrachtung der
politischen System nicht ignoriert werden
Demokratische Systeme
Nichtdemokratische Systeme
parlamentarisch (GB)
autoritär (Nigeria)
präsidial (USA, FR)
Totalitär (NS-Regime)
kommunistisch (China)
(Die EU ist ein Mittelding zwischen demokratischem und nichtdemokratischem System)
Diese Einteilung der Systeme nennt man „conceptual framework“ -> ein konzeptioneller Rahmen, der auf theoretisches Konstrukte (Demokratie etc.) verweist
a) Demokratische Systeme
□
Liberale Demokratien
- Rechenschaftspflicht der Regierung
- Periodische und freie Wahlen
- Rechte von Minderheiten werden akzeptiert
- Gewaltentrennung
Spielformen:
- Parlamentarische Demokratie
z.B. Großbritannien oder Israel
- Präsidentielle Demokratie
z.B. Frankreich oder die USA
b) Nicht-demokratische Systeme
- autoritär
- totalitär
- kommunistisch
China: ein kommunistisches System mit autoritären Zügen
- eine offizielle Ideologie
- Wirtschaft in öffentlichem Eigentum
- Zentralität der Partei
- politische Institutionen unter Parteikontrolle
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Großbritannien
Das britische System des Westminstermodells (parlamentarisches Modell) wurde von GB auch
an viele seiner Kolonialstaaten weitergegeben, als sich diese bereits auf dem Weg in die Unabhängigkeit/Freiheit befanden.
Merkmale des Systems:
- Konstitutionelle Erbmonarchie
- Starker Premierminister, der dominiert (Gordon Brown)
- Parlamentarismus wird von einer dominierenden Partei geprägt
- Zwei-Kammern-System im Parlament:
House Of Commons (Unterhaus)
House Of Lords (Oberhaus): Wird in Zukunft wohl auch zu einer demokratischen Kammer
umgestaltet werden. Es gibt Vorschläge, die dahingehen, dass in dieser Kammer die Regionen
repräsentiert werden sollen.
Durch das Mehrheitswahlsystem gibt es in GB immer sehr stabile Regierungsmehrheiten; jedoch
werden durch die Eigenheiten des Wahlsystems große Teile der Bevölkerung ausgeblendet.
Frankreich
Hat ebenfalls ein Zwei-Kammer-System: Assemblée Nationale (Nationalversammlung) und Senat. Der Senat ist eine regionale Kammer, die aber nur bedingt mit dem House Of Lords in GB
vergleichbar ist; er wird gewählt. In diese Richtung soll das House Of Lords aber entwickelt werden.
Der Staatspräsident (Nikolas Sarkozy) ist in FR von großer Wichtigkeit und spielt eine wichtige
Rolle im politischen System (weit mehr als die Königin in GB); allerdings muss er mit dem Parlament eng kooperieren (ähnlich wie in den USA; jedoch ist der französische Präsident stärker als
der US-Präsident, v.a. wenn auch in der Assemblée Nationale seine Partei die Mehrheit stellt).
Der französische Präsident kann immer in die Assemblée Nationale eingreifen und hat zudem für
die Außenpolitik bzw. in der Außenpolitik seine „domaine reservée“. Die Parteien in FR sind
noch sehr traditionell.
Eigentlich ist das französische System ein semi-präsidiales System, allerdings ist das Parlament nicht sehr stark.
Cohabitation: Präsident und Premierminister stammen aus anderen Parteien bzw. aus verschiedenen politischen Lagern. Seit 2002 findet die Präsidentenwahl alle 5 Jahre statt (früher: alle 7
Jahre); die Wahlen zum Senat und die Präsidentenwahlen werden daher wahrscheinlich synchronisiert werden (dadurch Cohabitation im Prinzip obsolet)
USA
Ist ein klassisches präsidiales System. Die Idee der Gewaltentrennung (Separation of Powers)
kommt in diesem System sehr stark zum Ausdruck: Die drei Säulen/Gewalten sind sehr unabhängig voneinander, aber auch teilweise stark fusioniert. Der Präsident ist zwar sehr mächtig, dennoch muss er mit dem Kongress kooperieren. Die Mitglieder des Kongresses sind äußerst unabhängig! Dies kann natürlich für den Präsidenten sehr unangenehm sein/werden. Auch die USamerikanische Justiz ist sehr unabhängig (allerdings werden die Richter vom US-Präsidenten ernannt).
Das US-System neigt aber zur Selbstparalyse; es ist manchmal nicht mehr in der Lage, wichtige
und große Entscheidungen zu treffen, weil sich die politischen Kräfte gegenseitig blockieren (in
GB kann so etwas nicht passieren). Der US-Präsident kann des weiteren nicht einmal bei gleicher
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Parteizugehörigkeit wie die Kongressmehrheit mit einer Zustimmung rechnen (so wie dies in FR
der Fall wäre).
China
Autoritär-kommunistisches System
Es fehlt eine unabhängige Justiz, keine Gewaltentrennung vorhanden; das gesamte System ist
von der kommunistischen Partei abhängig.
Auf den ersten Blick sieht das chinesische System fast wie ein semi-präsidiales System aus; allerdings kommt bei genauerer Betrachtung ein autoritäres System zum Vorschein.
Es gibt eine Kluft zwischen ökonomischer Reform und nicht-stattfindender politischer Reform! ->
Die Gesellschaft ändert sich, das System/die Partei ändert sich jedoch nicht.
Demokratisierungsschritte wären zwar prinzipiell vorstellbar (sanfte Reformschritte), jedoch
geschehen diese nicht. Eine kleine demokratische Reform könnte nämlich eine Welle in diese
Richtung auslösen (ähnlich wie in der UdSSR) und davor hat China bzw. haben die chinesischen
Eliten Angst (Panik vor Chaos und Anarchie).
Politische Instabilitäten könnten/werden aber früher oder später trotz allem aufkommen.
Nigeria
Autoritär -> (Neo-)Patrimonialismus = bürokratisches System (Mischformen)
Schneller Wechsel der politischen Systeme; in Afrika sind zumeist Mischformen vorhanden; Die
Korruption ist ein großes Problem in Nigeria; derzeit befindet sich das Land eher in einer demokratischen Phase.
Japan
Konstitutionelle Monarchie
Ministerpräsident derzeit: Yasuo Fukuda (seit Sept. 2007)
EU
Ist auch ein politisches System, aber kein Staat im herkömmlichen Sinn.
Es finden sich im System der EU zwar demokratische Elemente (Gewaltentrennung), aber das
einzige direkte Element ist das Europäische Parlament und dieses ist nicht sehr mächtig. Im EUSystem ist/wird sehr vieles indirekt legitimiert. Kommission, EU-Rat.
In diesem System ist nur das EU-Parlament durch Wahlen abgesichert -> Demokratiedefizit; die
Identifikation mit diesem System fehlt dadurch bei den EU-Bürgern -> Lösungsmöglichkeiten:
Eine Amerikanisierung des Systems wäre vorstellbar, allerdings ergäbe das für manche Teile des
Systems einen Machtverlust!
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12. Mögliche Prüfungsfragen
1. Prüfungstermin:
Donnerstag, 31. Januar 2008
10:00 – 11:30 im HS 1, NIG
Anmeldung:
Über UNIVIS-System
Prüfungsfragen:
□
Erklären Sie das politische System Afrikas bzw. die Unterschiede zu einem Demokratischen
System in den Westlichen Ländern!
□
Was ist der Unterschied zwischen dem Parlament in Frankreich und in den USA (Struktur +
Funktionen)?
□
Die Stellung des britischen Premierministers im Politischen System GBs?
□
Was ist ein Autoritäres System und worin liegen die Unterschiede zum Demokratischen
Modell?
□
Vergleichen Sie die politischen Systeme Japans und Chinas!
□
Beschrieben Sie die Stellung des französischen Präsidenten!
□
Trends in der Zukunft der Politik!
□
Auflistung demokratisch/nicht demokratisch: USA, FR, GB, Japan!
□
Beschreiben Sie das politische System in GB!
□
Kompetenzen des franz. und amerikanischen Präsidenten!
□
Souveränder Staat heute!
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