Stay queer? - Zürcher Hochschule der Künste
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Stay queer? - Zürcher Hochschule der Künste
Stay queer? Eine empirische Auseinandersetzung mit trans* Theoriearbeit HS 13 / FS 14 Betreuung: Simon Graf, Klaus Schönberger Autor_innen: Sarah Lauener, Anja Zuberbühler Zürcher Hochschule der Künste Bachelor Medien und Kunst Vertiefung Theorie 2 Dank In erster Linie wollen wir uns bei den Menschen bedanken, die sich konkret an dieser Arbeit beteiligt haben, uns ihre Zeit, Offenheit und ihr Vertrauen entgegenbrachten, indem sie sich auf sehr persönliche Gespräche mit uns einliessen. Die Treffen waren meist berührend und freundschaftlich, manchmal auch aufwühlend oder verwirrend, in allen Fällen aber sehr bereichernd und lehrreich. Vielen Dank auch an unsere Dozent_innen Annemarie Bucher, Martina Fritschy, Simon Graf, Francis Müller und Klaus Schönberger, die uns inhaltlich und formal unterstützt haben. Ohne das Zutun dieser Personen wäre diese Arbeit nie zu Stande gekommen und deshalb sind wir sehr dankbar für alle Inputs und Auseinandersetzungen, jede Kritik und Empfehlung. Und ebenfalls ein grosses Merci an unsere Partner_innen, Familien und Freund_innen, die uns Anregungen zu diesem Thema gaben, uns stets unterstützend zur Seite standen und vorab die Arbeit korrigiert und kritisiert haben. 3 Abstract In dieser Arbeit setzen wir uns mit Fragen zum Thema trans*gender auseinander. Als Grundlage dazu dienen uns Gespräche, welche wir mit Trans*personen geführt haben, die sich entweder in einer Transition befinden, diese bereits abgeschlossen haben oder ein queeres Selbstverständnis haben und keinen eindeutigen ›Geschlechterwechsel‹ anstreben. Dies beinhaltet immer auch eine Kritik an der binären Geschlechterordnung, die sie auch verkörpern. Viele Trans*menschen, für die eine Transition ein wesentlicher Schritt ist, sehen in einem Passing eine wichtige Bedingung, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Während einige unserer Gesprächspartner_innen diesen Anerkennungsprozess kritisch reflektieren, fordern andere Verständnis und Akzeptanz für die Norm der Zweigschlechtlichkeit und begreifen trans* als ›Abweichung‹. Aus queer-feministischer Perspektive ist es für uns hierbei interessant, wie sich Trans*personen innerhalb der Zweigeschlechtlichkeit bewegen, aber gerade auch wo sich Alternativen dazu aufzeigen lassen und inwiefern trans* die scheinbare Starrheit der heteronormativen Gesellschaft als konstruiert ausweist. Vor diesem Hintergrund befragen wir die Trans*personen zu Massnahmen wie geschlechtsangleichende Operationen, Hormoneinnahme und die damit teilweise verbundene Eingliederung in die dichotome Geschlechterordnung. Ebenso befassen wir uns mit ihren individuellen Lebensgeschichten, Aussagen, Vorstellungen und Überlebenstaktiken. 4 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................................. 6 1.1 Relevanz ........................................................................................................................ 8 1.2 Zur Terminologie ........................................................................................................ 10 1.3 Aufbau der Arbeit........................................................................................................ 12 1.4 Methodik - Vorgehen .................................................................................................. 13 1.4.1 Newsletter Transgender Network Switzerland ..................................................... 15 2 Theorie ............................................................................................................................... 18 2.1 Performative Körperakte ............................................................................................. 18 2.2 Heteronormativität ...................................................................................................... 22 3 Gesprächspartner_innen ..................................................................................................... 26 Chris ..................................................................................................................................... 27 Daniela ................................................................................................................................. 28 Helena................................................................................................................................... 29 Kai ........................................................................................................................................ 30 Katja ..................................................................................................................................... 31 Lio ........................................................................................................................................ 32 Luisa ..................................................................................................................................... 33 Romeo Koyote Rosen........................................................................................................... 34 Stephanie .............................................................................................................................. 35 4 Aus dem Alltag von Trans*menschen ............................................................................... 36 4.1 Soziales Umfeld .......................................................................................................... 37 4.2 Coming-out .................................................................................................................. 40 4.3 Passing ........................................................................................................................ 43 4.4 Diskriminierung .......................................................................................................... 46 4.5 Umgang mit Normen und Begriffen ........................................................................... 50 5 Fazit / Schlussbemerkungen ............................................................................................... 56 6 Glossar / Begriffserklärungen ............................................................................................ 60 7 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 68 8 Links ................................................................................................................................... 70 9 Anhang ............................................................................................................................... 72 9.1 Gerichtsurteil: Registrierung der Geschlechts- und Namensänderung ....................... 72 9.2 Abstract: Transpersonen und Arbeitsmarkt................................................................. 78 9.3 Weiterführende Literatur zu trans*, Gender und Empirie........................................... 80 9.4 Links ............................................................................................................................ 81 9.5 Links zu Texte ............................................................................................................. 82 9.6 Links zu Glossars (Begriffe) ....................................................................................... 82 5 9.7 Fragebogen .................................................................................................................. 84 10 Eigenständigkeitserklärung .............................................................................................. 85 6 1 Einleitung Aufgrund eigener alltäglichen Erlebnisse, Erfahrungen und Beobachtungen interessieren wir uns für Phänomene wie Selbstdarstellung, gesellschaftliche Normen und Identitäten. Wir hinterfragen jene Konzepte, welche uns in Schranken weisen und aus scheinbar unerklärlichen Gründen einfach existieren. So befassen wir uns damit wie Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit entstehen. Warum wirkt eine Frau mit viel Gesichts- oder Beinbehaarung männlich oder ein Mann ohne Bartwuchs und einer schmalen Statur weiblich? Wie wird eine bestimmte Person als ›normal‹ und eine andere als ›Abweichung‹ ausgewiesen? Wie entstehen gesellschaftliche Vorschriften, die besagen wie sich eine Frau zu kleiden, zu verhalten und zu sprechen hat? Wie wird das Konzept Mann (re)produziert? Wie werden bestimmte Handlungsformen zu Tabus und andere zu legitimierten, normativen Akten? Wie kommt die Idee einer geschlechtlichen Identität auf, wenn sie nicht durch die Sprache ausformuliert würde? In dem Zusammenhang: wie bilden sich Annahmen von zwei voneinander getrennten Geschlechtern, die sich in ihrem Sexus, in ihrem Begehren und in ihrer sexuellen Praxis unterscheiden? Vor allem durch unser Studium haben wir uns eine kritische Denkweise in Bezug auf Geschlechternormen und (Über)Lebenstaktiken angeeignet und hinterfragen Normen, Strukturen, Begrifflichkeiten und ihren diskursiven Entstehungszusammenhang. Wir haben Interesse an queer-feministischen und philosophischen Theorien entwickelt und befassen uns genauer mit Taktiken, die die rigide Zweigeschlechterordnung in Frage stellen. Mit Michel de Certeau verwenden wir anstelle von Strategien den Begriff der Taktiken. Weil nach Certeau die Taktik die List ist, die »überraschend in eine Ordnung eindringt«, ein Witz, eine Taschenspielerei. Die Taktik hat keinen Ort, »sie hat nur den Ort des Anderen. [...] Ohne eigenen Ort, ohne Gesamtübersicht, blind und scharfsinnig wie im direkten Handgemenge, abhängig von momentanen Zufällen, wird die Taktik durch das Fehlen von Macht bestimmt, während die Strategie durch eine Macht organisiert wird«. Strategien schaffen totalitäre Systeme und Diskurse, Taktiken hingegen sind Handlungen, »die auf einen geschickten Gebrauch der Zeit, der Gelegenheit, die sie bietet, und auch der Spiele, die sie in die Grundlagen einer Macht einbringt, setzten«. So ist die Taktik mobil, sie ist eine Bewegung, die für Überraschung sorgt und sie tritt dort auf, »wo man sie nicht erwartet«.1 1 Certeau (1988), S.85f 7 Wir haben Menschen getroffen, die sich als trans 2 , und/oder queer verstehen, sich in, zwischen oder neben den Geschlechterkategorien Frau und Mann bewegen, sich als »Transform«, FtM, MtF, als Tomboy, geschlechtslos, LesBiSchwul beschreiben oder sich gar nicht über bestimmte Begriffe definieren wollen, beziehungsweise je nach Situation, Stimmung, Vorstellung und Dringlichkeit ihre Kategorien frei wählen. Menschen, die weder ihr Geschlecht, noch ihr sexuelles Begehren aussprechen und somit festlegen wollen. Die Gespräche waren für uns sehr lehrreich in vielerlei Hinsicht. Vor allem, dass trotz all den Rastern und Regelungen eine emanzipatorische Lebenskonzeption stattfinden kann und soll, um innerhalb gesellschaftlichen Schranken neue Räume und Möglichkeiten von Autonomie zu schaffen und Geschlechtervielfalt zu leben. Die vorherigen Fragen und folgende Themen sind in unserer empirischen Arbeit zentral und stellen die Basis dar, um über unterschiedliche Positionen und Lebenskonzepte von Menschen zu sprechen, die sich zwischen oder neben den herkömmlichen Kategorien Frau und Mann verorten lassen, die damit die vermeintliche ›Natürlichkeit‹ von Geschlecht in Frage stellen. ›Natur‹ dient in dem Zusammenhang oftmals als Legitimation, welche die Geschlechterkategorien Frau und Mann nicht als Konstrukte, sondern als unhinterfragt gegeben ausweisen. Wir werden verschiedene Auffassungen von trans* und/oder queer beleuchten, wobei keine als dominant erscheinen soll. Wir diskutieren mit welchen Begriffen sich die befragten Trans*menschen beschreiben, wie sie mit der Norm der Zweigeschlechtlichkeit umgehen und ob sie Frau und Mann als einschränkende Begriffe empfinden. Wir fragen nach Taktiken, die sie innerhalb der Rasterung und Normierung der Geschlechter entwickeln. Wir wollen wissen wie ihr Umfeld reagiert hat, ob das Coming-out befreiend, die Transition ein unumgehbarer Weg war und welchen alltäglichen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Wir möchten herausfinden, ob sie normative Auffassungen aufgrund ihrer Geschlechtsangleichung bestätigen oder neue, festgefahrene Bilder generieren und aus welchem Bedürfnis heraus der Wunsch nach einer geschlechtsangleichenden Operation entsteht. 2 trans und weitere Begriffsklärungen (kursiv) Glossar ab S.58 8 1.1 Relevanz Butler beschreibt, dass »wir zwar Normen brauchen, um leben zu können, und gut leben zu können, und um zu wissen, in welche Richtung wir unsere soziale Welt verändern wollen, dass wir aber auch von den Normen in Weisen gezwungen werden, die uns manchmal Gewalt antun, so dass wir sie aus Gründen sozialer Gerechtigkeit bekämpfen müssen«.3 Normen sind festgefahrene, kulturelle Bilder, Grundsätze und Regeln, die sich unterscheiden und vor allem verändern können. Das traditionell bürgerliche Konzept der Hausfrau, die Kinder gebärt und hauptsächlich für die Erziehung und Hausarbeit zuständig ist, war in der Schweiz über Jahre hinweg ein gängiges Leitbild der Familienpolitik, welches in den letzten fünfzig Jahren durch viele, neue Familien- und Lebensmodelle in Frage gestellt wurde. Oder die Regulierung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare, das in den letzten paar Jahren immer wieder neu gesetzt und wohl zukünftig noch weiterhin diskutiert wird.4 Es sind Prozesse, die langwierig, teilweise mühsam und sehr vertrackt sind, so dass Veränderungen und neue Perspektiven nicht von heute auf morgen generiert werden. Doch unserer Ansicht nach ist es trotzdem wichtig, sich in solche Prozesse einzuschalten und gesellschaftliche Veränderungen zu unterstützen. Diesen Text verstehen wir auch als einen solchen Eingriff. Wir wollen nicht nur die Aufmerksamkeit auf die Thematik lenken und persönliche Geschichten von Menschen erzählen, sondern uns damit auch in den Geschlechterdiskurs einmischen. Wir wollen auf die Marginalisierung von Menschen hinweisen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Lebenskonzeption und Überlebenstaktiken Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt erfahren. Und wir wollen aufzeigen, dass aufgrund des konstruierten Charakters des Geschlechts ein Potential im Prozess der Wiederholung inhärent ist, der Verschiebungen von Normen zulässt und auslöst. Infolge unserer kritischen Position gegenüber hegemonialen Strukturen und Normen erachten wir es als unerlässlich uns in politische Gefilde wie dem der Geschlechtertheorien einzumischen um dabei auf Missstände, Ungerechtigkeiten, aber auch auf Taktiken, die einen möglichen Wandel hervorrufen, hinzuweisen. Wir wollen nicht nur unser eigenes Bewusstsein stärken und uns solidarisch zeigen, sondern in eine gesellschaftliche und politische Debatte eingreifen und uns gegen (hetero)sexistische Praktiken positionieren und Konstruktionen wie jene der Geschlechter hinterfragen. 3 4 Butler (2009), S.327 Sozialinfo (2012): Adoptionsrecht – Homosexuelle dürfen Stiefkinder adoptieren 9 Diese Aufgabe innerhalb der Theorie, die wir uns selber aufgeben und der wir uns in dieser Arbeit stellen, verstehen wir über Butler als eine politische Praxis. Sie begreift Theorie selbst als verändernd, betont aber auch, dass zusätzlich eine »Einmischung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, zu denen Aktionen, ausdauernde Bemühungen und institutionalisierte Praxis gehören«5, notwendig sei um soziale und politische Veränderung anzustreben. So besteht unsere Arbeit nicht aus einer rein theoretischen Abhandlung, sondern hat ein explizit gesellschaftspolitischer Anspruch und versucht die beiden Ebenen zu verschränken. Durch einen bewussten Umgang mit der Sprache, mit bestimmten Begriffen und Kategorien wollen wir einerseits einen Rahmen bilden, der auch einen Zugang für Leser_innen schafft, die sich mit der Trans*thematik nicht auskennen. Auf der anderen Seite stellte sich uns die Frage, wie wir über ein Thema sprechen können ohne eine begriffliche Setzung, ohne selber wieder einzuordnen und festzuschreiben. Wie sollen wir über ein übergeordnetes Thema diskutieren, wobei sich viele Beteiligte nicht über diese Kategorien definieren? Einzig möglich war die Einigung auf einige Begriffe, die nicht vereinheitlichen sollen und Erweiterungen zulassen, die nicht definieren sollen, sondern einen Diskussionsraum eröffnen, der Verhandlungen zulässt und festgefahrene und festschreibende Begriffe kritisch behandelt. 5 Butler (2009), S.325 10 1.2 Zur Terminologie Wir haben uns für den englischen Begriff trans*gender entschieden, da er alle möglichen Untergruppierungen und Beschreibungen zulässt und von Menschen positiv angeeignet wird, »die den heteronormativen Kategorien von ›Mann‹ oder ›Frau‹ nicht entsprechen können oder wollen. Das kann Transvestiten, CrossdresserInnen, Drag Kings und Queens umfassen, genau so wie Butches, Femmes oder sehr weibliche Schwule«. 6 Aber auch Trans*frauen, Trans*männer, zwischengeschlechtliche oder LesBiSchwule Menschen, die sich als queer verorten und Menschen, die Lebenskonzepte aufzeigen, »die verschiedene Räume und Denkmöglichkeiten [eröffnen], welche die starre Einteilung der Menschheit in ›zwei Geschlechter‹ infrage stellen«.7 Die Verwendung des Begriffes auf diese Weise ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da sich einerseits nicht alle Trans*menschen als ›im falschen Körper geboren/lebend‹ verstehen und andererseits sich nicht alle Trans*menschen weiterhin als trans* auffassen wollen. Ebenso sehen sich zwischengeschlechtliche Menschen nicht unbedingt in der Gruppierung von queer, trans*gender und LesBiSchwulen Menschen. Dennoch möchten wir einen Oberbegriff benützen, nicht um rechtliche Unterschiede oder individuelle Umgänge und verschiedene Interessen unter den Teppich zu kehren, sondern um mit einer Kategorie zu arbeiten, die eine grössere, wenn auch differenzierte Masse fasst und die dadurch auch eine politische Relevanz erhält. »Der gemeinsame Nenner ist das Interesse an Differenz und an einer Gesellschaft, in der Differenzen lebbar sind.«8 Hierbei geht es um fliessende Begriffe, um ein ständiges Bewegen, Verändern, Schwanken und immer wieder neu Formieren. trans* gebrauchen wir so als einen erweiterbaren Begriff (wie -gender, -mensch, -mann, frau). Das Sternchen deutet auf eine Öffnung hin, das trans* ist somit nicht festgelegt und wird mit dem Ausdruck ergänzt, den die Personen jeweils für sich verwenden.9 Wir deuten trans* aus einer queeren Perspektive, im Sinne von übersteigend, überschreitend, ewigunendlich und transformativ, also die Möglichkeit zur Umformung, Umgestaltung. Somit entspricht es einem Prozess, der sich nicht zu einem Ideal hin bewegt, sondern nie abgeschlossen sein wird und sich stetig verändert. 6 polymorph (2002), S.14 polymorph (2002), S.9 8 Raunig (2000), S.46f 9 Schuster 2008, S.129 7 11 In der direkten oder indirekten Rede verzichten wir bei dem Begriff trans auf den zusätzlichen Stern, da wir unseren Gesprächspartner_innen keine Begriffsdefinitionen vorschreiben möchten. Die Bezeichnungen Frau, beziehungsweise Mann sehen wir als vermeintlich ›natürliche‹ und somit dominante Kategorien innerhalb der »heterosexuellen Matrix« und setzen sie deshalb kursiv, wenn sie alleine stehen. Viele unserer Gesprächspartner_innen verwenden während unseren Gesprächen das Wort ›mer‹, was wir im Text mit ›man‹ übersetzt haben. ›Man‹ ist der Nominativ Singular einer Vorläuferform von Mann und hat ursprünglich die Bedeutung ›jeder beliebige Mensch‹. Wir wollen ›mer‹ als ›nicht-gegenderte‹, also geschlechtsneutrale Form/Figur insbesondere der Alltagssprache nicht gänzlich aus der Arbeit streichen, da wir den Gesprächspartner_innen keine Formen vorgeben und ihre Sprache, beziehungsweise den Stil ihrer Sprache nicht verändern wollen. So setzen wir ›man‹ kursiv. Dasselbe gilt für ›jemand‹, was für ›öpper‹ steht. Den Unterstrich, gender gap, benutzen wir um einen Spielraum zwischen der weiblichen und männlichen Form aufzutun und um auf ein mögliches Jenseits des Zweigeschlechterregimes hinzuweisen. Wir haben uns gegen Formen wie Gesprächspartnerin/Gesprächspartner entschieden, da sie wiederum Menschen ausschliessen, die sich als weder weiblich noch männlich verstehen. Wir gebrauchen stets Formen wie Gesprächspartner_innen und verwenden Sie_Er oder Er_Sie. Die männliche Form bei Gesprächspartner_innen steht aus rein praktischen und leser_innenfreundlichen Gründen an erster Stelle. Ansonsten setzten wir die weibliche Form wie bei Sie_Er, Frau_Mann zuerst, um uns dem üblichen Sprachgebrauch zu widersetzen. In einigen Absätzen haben wir unsere Regelungen durchbrochen und die Reihenfolgen verändert, einerseits um aus einem eigenen Bedürfnis heraus mit diesem spielerischen Umgang der Sprache der Arbeit und der Idee der Auflösung der Geschlechter gerecht zu werden und andererseits auf Wunsch der Gesprächspartner_innen, die sich nicht durch Pronomina oder Benennungen festlegen möchten. Ein ›wir‹ bezieht sich, wenn nicht anders gekennzeichnet immer auf uns als Verfasser_innen. 12 1.3 Aufbau der Arbeit Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich der Methodik und insbesondere der Kontaktaufnahme zu unseren Gesprächspartner_innen. Im Theorieteil konzentrieren wir uns aus einem poststrukturalistischen Blickwinkel auf performative Körperakte und befassen uns mit dem Begriff der Heteronormativität und ihrer Bedeutung für Trans*menschen. Diese theoretische Auseinandersetzung soll die Basis für den empirischen Teil darstellen. In der Empirie werden neun Gesprächspartner_innen einzeln vorgestellt, indem wir auf ihre ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten eingehen. Darauffolgend werden ihre Positionen, Gedanken und Theorien analysiert und unter unterschiedliche Kategorien gefasst. In diesen Abschnitten geht es uns darum, die Diversität der verschiedenen Auffassungen und Positionen zu veranschaulichen. Die Arbeit wird mit einem persönlichen Fazit abgerundet, in welchem unsere Erkenntnisse der geführten Gespräche zusammengefasst werden, wir unsere Schlüsse aus der Arbeit ziehen und einen möglichen zukünftigen Umgang mit trans* und Geschlecht ausformulieren. 13 1.4 Methodik - Vorgehen Für diese empirische Arbeit wurden leitfadenorientierte Gespräche mit insgesamt elf in der Deutschschweiz lebenden Trans*menschen im Alter zwischen 20 und 57 Jahren durchgeführt. Der Kontakt zu den Personen wurde über die Newsletter der Organisation Transgender Network Switzerland (TGNS) und des Sündikats hergestellt. In den Newslettern wurde mit einem Abstract zur Teilnahme an der Befragung für die vorliegende Bachelorarbeit aufgerufen. Vereinzelt wurden persönliche Bekannte auch gezielt kontaktiert. Der erste Austausch erfolgte jeweils über persönliche E-Mails, wobei die Interessent_innen über den aktuellen Arbeitsstand informiert und zu einem Treffen eingeladen wurden. Vor dem vereinbarten Treffen wurden die Gesprächsteilnehmer_innen gebeten einen Fragebogen mit persönlichen Eckdaten (Name, Alter, Beruf, etc.) auszufüllen. Der Fragebogen beinhaltete teils aufgeladene Begriffe, wie Coming-out, Passing oder ›biologisches‹/›seelisches Geschlecht‹ und eröffnete dadurch einen Raum für Diskussionen. Viele Begriffe, die in den queer-feministischen Debatte benutzt und problematisiert werden, blieben von unseren Gesprächspartner_innen unhinterfragt und so realisierten auch wir teilweise erst während des Arbeitsprozesses die Dimension gewisser Begrifflichkeiten, mit denen wir anfänglich arbeiteten. Wir wollen auch darauf verweisen, dass es sich sowohl in den Gesprächen, als auch im generellen Diskurs als schwierig erweist, sich über ein Thema zu unterhalten, welches so viele aufgeladene und prekäre Begriffe beinhaltet. Wir waren uns während der Gespräche und sind uns auch jetzt unserer Verantwortung bewusst. Wir haben versucht mit sehr viel Vorsicht und Sensibilität auf die Personen und ihre Bedürfnisse einzugehen und haben in jedem Fall ihre Kritiken oder Empfehlungen berücksichtigt. So machte Romeo Koyote Rosen uns darauf aufmerksam, dass der Fragebogen ein Trigger für ihn_sie dargestellt hätte. Die Fragen nach einem ›biologischen‹/sozialen Geschlecht, nach den Eltern und seiner_ihrer ›Herkunft‹, seien für ihn_sie schwierig zu beantworten gewesen. Damit ist unsere vorhergehende Unterhaltung per E-Mail gemeint, bei der wir den Fragebogen als Datei angehängt hatten. Diese Anmerkung wollen wir ernst nehmen und deswegen schicken wir eine Triggerwarnung voraus. Im empirischen Teil, bei dem wir die Gesprächspartner_innen erzählen lassen, werden Mehrfachdiskriminierungen und Gewaltdarstellungen beschrieben. Trans*menschen werden im medizinisch-pathologischen Diskurs als ›krank‹ (beziehungsweise als Menschen mit Identitätsstörungen) bezeichnet, wovon wir uns stark distanzieren wollen. 14 Die Gespräche fanden im Zeitraum zwischen November 2013 und März 2014 statt und wurden meist zu dritt im Atelier der Vertiefung Theorie an der Förrlibuckstrasse in Zürich durchgeführt, vereinzelt auch in Cafés oder auf Wunsch bei den jeweiligen Personen zu Hause. Die Gespräche dauerten jeweils zwischen 60 und 90 Minuten und wurden mit Einwilligung der Befragten mit der iPhone-App Sprachmemos digital aufgezeichnet. Die Gespräche wurden teilweise ganz und andere entlang der Kategorienbildung selektiv transkribiert, analysiert und ausgewertet. Die Gespräche wurden mittels der Methode des autobiografisch narrativen Interviews 10 durchgeführt, wobei sie möglichst offen gehalten wurden. Im Zentrum standen die Erzählungen der Personen in Bezug auf ihr Trans*dasein, also Themen wie Coming-out, soziales Umfeld, geschlechtsangleichende Massnahmen und bürokratische, juristische Regelungen zum Thema trans* im jeweiligen Kanton. Der zweite Strang stellte die jeweilige Positionierung zur Trans*thematik dar, beziehungsweise die Verortung im Feld der dichotomen Geschlechterkategorien Frau und Mann. Aus zeitlichen Gründen konnten wir leider die Positionen von zwei von den insgesamt elf Gesprächsteilnehmer_innen in dieser Arbeit nicht weiter ausführen. Ronja und Daniel hinterfragen ihr eigenes Geschlecht, ihre Sexualität, ihre Begehren und somit die heterosexuelle Norm, sind jedoch nicht von denselben Diskriminierungsformen betroffen wie die anderen neun Trans*menschen, die wir getroffen haben. Sie haben diese Arbeit durch Inputs, ihre Ausführungen und Erzählungen nachhaltig beeinflusst, wofür wir uns nochmals herzlich bei ihnen bedanken möchten. Der Austausch mit Ronja und Daniel hat uns ebenso motiviert das Geschriebene fortwährend zu überdenken, anders zu denken, umzuschreiben und uns auf einen endlosen Prozess von Veränderung und Neuorientierung einzulassen. 10 Schütze (1983): S.285: »Das autobiografisch narrative Interview erzeugt Datentexte, welche die Ereignisverstrickungen und die lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtung des Biographieträgers so lückenlos reproduzieren, wie das im Rahmen systematischer sozialwissenschaftlicher Forschung überhaupt nur möglich ist.« 15 1.4.1 Newsletter Transgender Network Switzerland Die erste E-Mail an TGNS im Oktober 2013, mit der Bitte zur Aufnahme in den Verteiler, beinhaltete folgenden Aufruf: »Liebe Freund_innen Seit einiger Zeit setze ich mich mit gender studies auseinander (dafür war ich kürzlich auch ein halbes Jahr in Berlin an der Humboldt Universität, was mir wiederum einen anderen Blick auf die ganze Thematik gezeigt hat). Vertieft beschäftige ich mich mit dem Thema trans, nicht als eigens betroffener Mensch, sondern aus Interesse und Solidarisation. Viele Freund_innen und Bekannte von mir befinden sich vor, in oder nach der Transition. Durch die gender studies (und Theorien wie z.B. die von Judith Butler) habe ich eine kritische Haltung gegenüber gesellschaftlichen Normen und Strukturen entwickelt, aber genau so hinterfrage ich für mich immer wieder die geschlechtsangleichenden Massnahmen, denen sich Transmenschen mit sehr viel Geduld, Leid und Schmerz unterziehen wollen, vielleicht auch sogar müssen, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Hierbei wäre auch die Frage zentral inwiefern der Wunsch des Strebens nach einem Ideal gesellschaftlich verankert ist oder beim Individuum selber stattfindet. Zurzeit studiere ich im fünften Semester an der Zürcher Hochschule der Künste, in der Vertiefung Theorie. Für meine Bachelor-Arbeit wünschte ich mir eine enge Zusammenarbeit mit einer Transperson, die sich genau so kritisch positioniert (sei das gesellschaftlich oder gewissen Theorien gegenüber oder auch medizinischen Massnahmen wie Operationen, Hormoneinnahme usw.) und Interesse daran hätte mit mir zusammen einen Text zu veröffentlichen. Im Zentrum dieses Textes steht die Transperson. Mir geht es bei dieser Arbeit einerseits um Sichtbarkeit der Transthematik und andererseits um ein Portrait einer Transperson und genau so darum für mich einige Fragen klären zu können. Ein Teil des Formates würden unsere Gespräche ausmachen, die so gedruckt würden und der zweite Teil beinhaltet eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema trans in der Gesellschaft (und dabei gehe ich von einer westlichen, weiss geprägten Gesellschaft aus). Privat setze ich mich im Verein homo-sapiens ein, den einige von euch womöglich bereits kennen. Wenn nicht, könnt ihr euch sehr gerne auf unserer Homepage informieren: http://weare.homo-sapiens.ch Falls Interesse besteht, schreibt mich an und dann könnten wir uns treffen um alles weitere zu besprechen. 16 Es gibt genau so die Möglichkeit das ganze anonym zu verfassen, so dass sich keine Person outen muss. Es geht mir jedoch um eine tatsächliche Lebensgeschichte, die ich versuche in den Text einfliessen zu lassen. Der Text sollte für möglichst viele Menschen zugänglich sein und je nachdem lässt er sich auch in einem Magazin drucken oder auf einer Internetseite platzieren, je nachdem wie das Ergebnis ausschaut und was die Möglichkeiten schlussendlich wären. Dazu kann ich zurzeit noch nicht viel sagen. Vorab also bloss eine Art Skizzierung von diesem Projekt. Vielen Dank und ich freue mich auf Inputs, Anregungen und vielleicht Menschen, die Freude an so einem Projekt hätten! Herzlich, anja« Auf diese E-Mail reagierte Henry Hohmann, der Co-Präsident von TGNS, mit folgender Anmerkung, welche bereits als Positionierung im Feld gelesen werden kann. »Hallo Anja [...] Und noch eine kleine Randbemerkung: Du schreibst von den geschlechtsangleichenden Massnahmen, denen man sich unterziehen muss, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Das stimmt, ist aber nur eine Seite der Medaille, denn das tönt für mich jetzt so, als würden es die Transleute nur machen, um sich dem gesellschaftlichen Druck zu beugen. Für viele ist aber genauso wichtig - und für manche sogar noch wichtiger -, dass der Körper stimmt. Und das machen sie für sich, nicht für die Gesellschaft. Das wäre also schon mal ein interessanter Diskussionspunkt für Deine Arbeit... :-) Herzliche Grüsse [...]« Daraufhin wurde die E-Mail folgendermassen angepasst: »[...] denen sich Transmenschen mit sehr viel Geduld, Leid und Schmerz unterziehen wollen, vielleicht auch sogar müssen, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Hierbei wäre auch die Frage zentral inwiefern der Wunsch des Strebens nach einem Ideal gesellschaftlich verankert ist oder im Individuum entsteht. [...]« Innerhalb von einer Woche erhielten wir fünfzehn Reaktionen, welche meist mit Interesse an einer Zusammenarbeit verbunden waren. Teilweise wurden Zustimmung oder Kritik geäussert oder Nachfragen gestellt. Aufgrund des unerwartet grossen Feedbacks wurde daraufhin entschieden, die Arbeit nicht mit nur einer Trans*person durchzuführen, sondern eine Auseinandersetzung mit 17 verschiedenen Trans*positionen zu realisieren. Das Abstract wurde dementsprechend angepasst und im gleichen Zuge wurde entschlossen, dass diese Arbeit zu zweit im Sinne eines Kollektivs durchgeführt wird, worauf durch einen klasseninternen Aufruf Sarah zur Arbeit dazu stiess. Der Entschluss zur Zusammenarbeit erfolgte einerseits aus praktischen Gründen, da durch die Erweiterung von einer auf mehrere Trans*personen der Aufwand der Arbeit in einer Zeitspanne von neun Monaten alleine nicht zu bewältigen gewesen wäre. Andererseits schien uns eine Arbeit als Kollektiv als eine logische Konsequenz, um die vielen unterschiedlichen Aspekte rund um das Thema trans* und die verschiedenen Positionen aus nicht nur einer Perspektive zu betrachten, sondern um damit einen Diskussionsraum zu eröffnen. Die meist verwendete Dreierkonstellation hat die Gesprächssituation von einer strikten Interviewsituation hin zu einem persönlichen Gespräch geöffnet. 18 2 Theorie 2.1 Performative Körperakte Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Konzepten, auf die wir uns in dieser Arbeit stützen. In einer Auseinandersetzung mit trans* sind für uns Begriffe wie Subjektwerdung, Identität, somit auch Geschlechtsidentität, Körper, Kohärenz, Zweigeschlechtlichkeit und Inszenierung sowie Performativität zentral. Ausserdem möchten wir den Begriff der Heteronormativität fassen können, wobei wir uns vor allem auf Judith Butler stützen und anfügen müssen, dass in den queer-feministischen Diskussionen unterschiedliche Heteronormativitätskonzepte bestehen, die sich auf verschiedene Facetten des heterosexuellen Machtregimes konzentrieren. »Allen ist gemeinsam, dass sie die Machtverhältnisse, die sich um Heterosexualität(en) entfalten, kritisch untersuchen.«11 Anstatt Apriori von einer Identität auszugehen, wollen wir von dem butlerschen Begriff der Subjektwerdung Gebrauch machen. Über Foucault, der die Subjektwerdung als 12 »Unterwerfungsprozess in machtdurchzogenen, diskursiven Strukturen« beschreibt, versteht Butler die Subjektivierung einerseits als Existenzstreben, nicht als Anerkennungsstreben, und andererseits als »eine Abgrenzung und Ausblendung von unserer fundamentalen Abhängigkeit«. 13 Subjekte werden abhängig geboren, indem sie auf Menschen, auf ein soziales Umfeld und Normen angewiesen sind und versuchen unabhängig zu werden, indem sie deren Wichtigkeit verweigern und sich als individuelle Wesen und selbständig existierende Identitäten begreifen. Wir gehen nicht von einer gegebenen Identität, von einer Seele oder einem ursprünglichen Geschlecht aus, sondern wir verstehen Identität und so auch Geschlechtsidentität als Kategorien, die innerhalb einer heteronormativen Struktur und diskursiv zum Vorschein kommen. »Geschlechtszugehörigkeit ist keine stabile Identität, vielmehr ist sie eine Identität, die stets zerbrechlich in der Zeit konstituiert ist – eine Identität, die durch eine stilisierte Wiederholung von Akten zustande kommt. [...] Geschlechtsidentität wird durch Äusserungen und Ausdrucksformen performativ hervorgebracht.«14 Auf dieser Basis stellen wir Fragen nach Begrifflichkeiten, nach anderen Geschlechtsmodellen und möglichen ›neuen‹15 Kategorien. Wir wollen die Tatsache, dass die Kategorien Frau und Mann im Normgefüge der Zweigeschlechterordnung bestehen nicht von der Hand weisen, 11 Hartmann, Klesse, Wagenknecht, Fritzsche, Hackmann (Hrsg.) (2007), S.11 Redecker (2011), S.47 13 Redecker (2011), S.97 14 Hauer und Paul in Gigi (2006), S.2 15 Butler (2009), S.347: »Weil die Normen, welche die Realität reagieren, diesen Genderformen nicht zugestanden haben, real zu sein, werden wir sie notgedrungen als neu bezeichnen. Ich hoffe allerdings, wir werden wissend lachend, sobald wir das tun.« 12 19 ebenso bestreiten wir nicht die »Existenz körperlicher Geschlechtsteile und die körperlichen Unterschiede, vielmehr wollen wir die Weise, [wie] diese diskursiv in Beschlag genommen werden« und die Dichotomie der Zweigeschlechtlichkeit »radikal in Frage stellen«.16 Mit Butler denken wir, dass ein Ausserhalb der symbolischen Zweigeschlechterordnung möglich ist, doch alle Menschen, die sich nicht im Raster der Zweigeschlechtlichkeit befinden, gelten in der Welt der Heteronormativität als unlesbar, nicht verständlich und sind somit inexistent. »Intelligible Geschlechtsidentitäten sind solche, die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten.« 17 Alle Identitäten, die sich also ausserhalb dieser »Matrix der Intelligibilität«, Matrix des Erkennbaren, befinden und innerhalb der heterosexuellen Struktur nicht als kohärent zu beschreiben sind, erscheinen also »als Entwicklungsstörungen und logische Unmöglichkeiten«.18 Doch wie funktioniert die »heterosexuelle Matrix«, wie sie Butler beschreibt? Wie entsteht ein Netz von Regulierungen und Machtmechanismen, das Körper kategorisiert? Wie werden Körper als weiblich oder männlich beschrieben und wie werden Körper überhaupt geschlechtlich? Wie haben sich die Identitätskategorien von Frau und Mann etabliert, während andere als unglaubwürdig und ›unnatürlich‹ erachtet werden? Wie wird über ein ganzes Leben bestimmt? Wir sprechen hier von der Definition des Kindes, das bereits im Mutterleib vergeschlechtlicht wird, dem geschlechtliche Eigenschaften zugeschrieben werden und so zu einem Feminium oder Maskulinum herangezogen wird. Ab dem Augenblick der Geburt wird das Geschlecht besonders relevant. Ist es (das Kind) ein Mädchen oder ein Junge? Was spielt es für eine Rolle, was wird es für eine Rolle spielen (müssen)? Es wird nicht automatisch zu einem Sie oder Er. Es wird zu einem Sie oder Er gemacht. Und wenn es nicht der Vorstellung von einem Sie oder Er entspricht, dann wird es angepasst. »Frauen und Männer existieren als soziale Norm, könnte man sagen, und sie sind der Perspektive der Geschlechterdifferenz zufolge Formen, in denen die Geschlechterdifferenz Gehalt angenommen hat.« 19 Weiterhin besteht also eine normative Auffassung von dual sich entgegengesetzten Geschlechtern. Das eine Geschlecht ist ohne das andere nicht denkbar. Die Geschlechtsmerkmale, und dabei gibt es innerhalb eines medizinisch-pathologischen Diskurses primäre, sekundäre und tertiäre, sind bestimmend für die Sozialisierung des 16 Redecker (2011), S.68 Butler (1991), S.38 18 Butler (1991), S.39 19 Butler (2009), S.333 17 20 Kindes. Vor allem die augenscheinlichen, primären Geschlechtsmerkmale weisen uns in klare Schranken. Werde ich als Frau oder als Mann gelesen? Welchen Verhaltenscodes muss ich entsprechen, ab wann werde ich für andere unlesbar und was passiert, wenn ich mich dem gänzlich zu entziehen versuche? Kann ich mich dem überhaupt entziehen? Diese und weitere Fragen versuchen wir im Folgenden theoretischen und im anschliessenden empirischen Teil zu klären. Vorab verstehen wir Körper nicht als eine gegebene oder unveränderliche Materialität. Wir gehen nicht von einem Standpunkt aus, der entscheidet, welche Körper und Geschlechtlichkeiten ›natürlich‹ und welche ›unnatürlich‹ sind. Wir verstehen Körper als durchlässiges Medium, das sich beschreiben lässt und selber definieren kann, auf, und in dem Einschreibungen stattfinden und zur Körperlichkeit/Geschlechtlichkeit werden. Dieser Körper besitzt absolut keine Grenzen, ist empfänglich für Festschreibungen, genau so aber auch Umschreibungen und Veränderung. Mit Redecker bezeichnen wir »Körper [...] nicht als Sitz einer inneren ›Wahrheit‹ des Geschlechts, sondern Körper als in Veränderungs- und Austauschprozessen befindliches Phänomen, dessen Auftreten und Erscheinung vereinheitlichenden Identitätskategorien voraus- und immer auch entgeht«.20 Die Körper sind also nicht passiv, auch wenn sie teilweise gewaltsam beschrieben werden und angepasst werden müssen um in die hegemoniale Geschlechterordnung eingereiht werden zu können. Die Körper, beziehungsweise die Subjekte mit ihren fluiden Körpern können sich aktiv gegen eine Anpassung entscheiden und dadurch eigene Subjektivierungsweisen hervorbringen. So denken wir unter anderem an Butches und Femmes, an Tomboys, an Tunten, Sissyboys, Bears, aber auch Dragkings und Dragqueens oder Transvestit_innen, Crossdresser_innen, und Trans*menschen, die sich selbst benennen und sich nicht als weibliche oder männliche Kopien verstehen, sondern als eigenständige Kategorien, die die Grenzen der Geschlechter vermischen, ihre ›Natürlichkeit‹ anzweifeln und die Schranken der Körper aufbrechen. So können neue Vorstellungen von Körpern und Geschlechtern geschaffen werden, die durch eine verschobene Wiederholung von performativen Akten erzeugt werden. »Wenn Gender performativ ist, dann folgt daraus, dass die Realität der Geschlechter selbst als ein Effekt der Darstellung produziert wird.« 21 Wenn sich eine Frau den Vorstellungen des Weiblichen entsprechend verhält, kleidet und spricht, dann wird ihre Weiblichkeit, ihr Frausein bestärkt. So bald sich eine Frau ›anders‹ gibt, vielleicht nicht rasiert, kurze Haare trägt und eine tiefe Stimme besitzt, und hier sprechen wir Klischees an, die oft mit Lesben, Tomboys oder 20 21 Redecker (2011), S.67 Butler (2009), S.346 21 Butches in Verbindung gebracht werden, dann wird ihre ›Natürlichkeit‹, ihr Frausein in Frage gestellt. Ihr Gender ist somit nicht mehr sicher und sie verschiebt die gängigen Vorstellungen, in dem sie sich männlich konnotierte Verhaltensweisen aneignet. Auf dieselbe Weise wie die normativen Geschlechterkategorien kopiert werden, können alternative Formen entstehen. Wir sprechen hier von Kopie, da wir, wie bereits erwähnt, nicht von einem ›wahren‹ Geschlecht oder einer ›wahren‹ Geschlechtsidentität ausgehen, sondern wir denken mit Butler, dass es kein Original gibt, sondern, »dass das Original immer schon abgeleitet war«22 und somit gibt es auch nur die Kopie einer Kopie. Indem ein Mädchen seiner Mutter beim Haare kämmen oder schminken zuschaut und diese Handlungen später nachahmt, inszeniert es unbewusst sogenannte Weiblichkeit. Butler erklärt Geschlecht als Effekt, der durch diese performativen Akte entsteht.23 Dieser Effekt soll darauf verweisen, dass eine Realität eines Geschlechts bloss auf sich wiederholendem Tun basiert, was nicht bedeutet, dass dieser Effekt weniger ›real‹ wäre. Mit Redecker ergänzen wir diesen butlerschen Ausdruck deshalb und nennen es »Show-Effekt« 24 , welcher andeutet, dass weder die Realität, noch die Inszenierung, die Kopie der Kopie ›echt‹ ist. Die weibliche und die männliche Inszenierung strebt immer ein Ideal an, das nie erreicht werden kann. Im übertragenen Sinn wird so ein Bild oder eher ein Konzept einer Frau und das eines Mannes als ursprüngliches betrachtet, welches in einer Endlosschlaufe reproduziert wird und sich so in und mit der Zeit festigt, ohne dass dabei an dessen Legitimität gezweifelt wird. Es fungiert als Geschichte, an die geglaubt wird und die sich bewährt, weil sie sich tagtäglich wiederholt und als nutzbar erweist. Genau an dem Punkt greift Butlers Konzept der Performativität, welches besagt, »dass Möglichkeiten zur Veränderung der Geschlechtsidentität gerade in dieser arbiträren Beziehung zwischen den Akten zu sehen sind, d.h. in der Möglichkeit, die Wiederholung zu verfehlen, beziehungsweise in einer De-Formation oder parodistischen Wiederholung, die den phantasmatischen Identitätseffekt als eine politisch schwache Konstruktion entlarvt«.25 Um die butlersche Performativität in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, diskutieren wir im nächsten Kapitel den Begriff der Heteronormativität, der den Begriff des Performativen und den von ihr geprägten Ausdruck der »heterosexuellen Matrix« fasst. 22 Butler (1991), S.204 Butler (2009), S.346 24 Redecker (2011), S.65 25 Butler (1991), S.207 23 22 2.2 Heteronormativität In einer heteronormativen Gesellschaft wird eine Person meistens aus einer heterosexuellen Perspektive betrachtet, als Versuch zwischen den zwei Geschlechtern, Frau und Mann, zu unterscheiden. Über reproduzierte Geschlechtsmerkmale werden nach Indizien gesucht, welche Hinweise über das Geschlecht einer Person geben. Um sich dieser Praxis zu entziehen, muss das Gesehene, also die Körper und somit die Geschlechtsteile, als Konnotiertes begriffen werden, welches mit Bedeutungen aufgeladen ist und nur in einem gewissen kulturellen Raster verständlich wird. Fraglich ist, ob ein Wissen über das Geschlecht der betreffenden Person, ihre sexuellen Begehren und Geschlechtsattribute zwingend notwendig ist. Um in einer sozialen Ordnung funktionieren zu können, wird meist Eindeutigkeit, Zuordnungsfähigkeit und Offenheit jedweder privaten und persönlichen Sache verlangt. In jeder bürokratischen Angelegenheit wird nach dem Geschlecht und dem Zivilstand gefragt, sei das beim Arzt, bei der Einwohnerkontrolle, bei einer Bewerbung für eine Arbeitsstelle oder eine Schule. In jedem dieser Fälle wird von einem heteronormativen Konsens ausgegangen. Wenn eine Trans*person sich in einer bestimmten Umgebung bewegt (so zum Beispiel auch in der LesBisSchwulen Szene), dann wird oftmals von ihr_ihm erwartet, dass sie_er zu ihrem_seinen Trans*dasein steht. Aber wieso sollte sich eine Cisfrau oder ein Cismann nicht gleichermassen ausweisen? Im Gegensatz zu heterosexuellen Menschen wird häufig verlangt, dass die_der Homosexuelle, die trans*- und intersex Person ihre_seine Sexualität äussert, wobei dies immer die Dichotomie zwischen homo- und heterosexuell bestätigt und Heterosexualität als die einzig ›richtige‹, ›wahre‹ und ›natürliche‹ Sexualität ausweist. Oder wie es Sabine Hark ausführt: »Das heterosexuelle Paar ist die ultimative Rationale menschlicher Beziehungen, die unteilbare Basis jeglicher Gemeinschaft, die scheinbar unhintergehbare Bedingung der Reproduktion, ohne die es überhaupt keine Gesellschaft gäbe [...].«26 Die oben genannten Beispiele unterstreichen das Konzept der Heteronormativität, welche Heterosexualität als Konstrukt aufzeigt. Dabei wird Sexualität nicht als etwas ›Natürliches‹ verstanden, »sondern im Sinne Michel Foucaults als Dispositiv: als Ergebnis eines strategischen Zusammenspiels von Diskursen, Praktiken und Institutionen [...]«.27 Butler spricht in dem Zusammenhang von einer kulturellen Matrix, der »heterosexuellen Matrix«, oder später auch von der »heterosexuellen Hegemonie«28, die Geschlechtskörper 26 Hark in Krass (2009), S.31 Krass (2009), S.9, zur Sexualität als Dispositiv vgl. Foucault (1977) 28 Redecker (2011), S.58 27 23 diskursiv hervorbringt. Die Matrix ist Teil ihres Heteronormativitätskonzept, das offenlegt wie die Macht der herrschenden Geschlechterordnung Körper reguliert, er- und anerkennen lässt und solche, die nicht in diese Bipolarität einzuordnen sind ausgeschlossen und als nicht (an-)erkennbar ausgewiesen werden. Dies geschieht über Normen, die den Anschein erwecken, dass es eine ›Wahrheit‹ oder ›Ursprünglichkeit‹ des Geschlechts, des Sexus, gibt, auf die zurückgegriffen werden kann. Die Regulierungsverfahren der »heterosexuellen Matrix« bringen Vorstellungen von kohärenten Identitäten hervor, was bedeutet, dass die Geschlechtsidentität (gender) vom anatomischen Geschlecht (sex) hervorgeht und die Praktiken des Begehrens (desire) aus den beiden entsteht.29 Somit haben Frauen automatisch einen weiblichen Geschlechtskörper, werden weiblich sozialisiert und haben ein weibliches, heterosexuelles Begehren. Männer hingegen haben einen männlichen Geschlechtskörper, werden männlich sozialisiert und haben ein männliches, heterosexuelles Begehren. Die Geschlechtskörper werden jeweils als ›biologisch‹ und dadurch ›natürlich‹ erachtet, aufgrund dessen, dass »das anatomische Geschlecht in der hegemonialen Sprache als Substanz oder – metaphysisch gesprochen – als selbstidentisches Seiendes«30 verstanden wird. Dabei wird nicht das Ontologische der Sprache hinterfragt, beziehungsweise ihre ›Wahrheit‹ angezweifelt, sondern die Geschlechtsidentität erweist sich laut Butler innerhalb des überlieferten Diskurses der Metaphysik der Substanz als performativ, was bedeutet, dass die Geschlechtsidentität ihre eigene Identität, die sie angeblich sei, konstituiere.31 Heteronormativität verstehen wir so als dominierende heterosexuelle Struktur, welche diejenigen Menschen, die von der heterosexuellen Norm abweichen als ihr Äusseres, Anderes erscheinen lässt. Die hegemoniale Heterosexualität ist tief in der westlichen Gesellschaft verankert und lässt sich in vielen Bereichen wiederfinden. Es ist »ein zentrales Machtverhältnis, das alle wesentlichen gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche, ja die Subjekte selbst durchzieht«. 32 Die Subjekte selbst bilden untereinander dieses Machtverhältnis, ohne sich dessen wahrhaftig bewusst zu sein. Es ist nicht eine Macht, die einfach existiert, sondern sie wird hergestellt, stetig bestärkt, ohne dass diese hinterfragt wird. Solche Machtverhältnisse bilden die Basis im Sozialgefüge und sind dafür zuständig, dass normative Auffassungen von Geschlechtern, Geschlechtlichkeiten, sexuellem Begehren und Beziehungen hergestellt und gefestigt werden. Laut Foucault gibt es nichts ausserhalb der Macht, beziehungsweise sagt er, »nicht weil sie alles umfasst, sondern weil sie von überall 29 Butler (1991), S.38f Ebd. S.40 31 Ebd. S.49 32 Hartmann, Klesse, Wagenknecht, Fritzsche, Hackmann (Hrsg.) (2007): S.9 30 24 kommt, ist die Macht überall«. 33 Jede Gesellschaft ist durchzogen von bestimmten Machtverhältnissen und Strukturen, die Normen und Regulierungen hervorbringen, welche Normalisierungsprozesse fördern, die hegemoniale Vorstellungen von Körpern und Geschlechtern stärken. So sind Geschlechterdiskurse in mehrfacher Weise heterosexualisiert und erschaffen ein ›natürliches‹ Bild von Heterosexualität und heterosexuellem Begehren. Dieses diskursive Regime hegemonialer Heterosexualität bringt Annahmen über ›natürliche‹ und ›gesunde‹ Körperlichkeiten hervor. Ebenso bestimmt sie normalisierende Identitätszuschreibungen und Kategorien, die auf dem vorherrschenden Glauben an die ›Natürlichkeit‹, Eindeutigkeit und Unveränderbarkeit von Geschlecht und sexuellem Begehren basieren, was alles andere (wie LesBiSchwul, trans* und intersex) als ›Abweichungen‹ ausweist.34 In dem Raster der Heterosexualität werden nicht-heterosexuelle Geschlechtlichkeiten und Begehren als ›unnatürlich‹ und ›abnormal‹ beschrieben. Oft fallen sie in ein Raster des Unverständlichen, Unzumutbaren und ›Kranken‹. So gilt zum Beispiel ein Trans*dasein weiterhin als ›Krankheit‹, welche im Diagnoseklassifikationssystem (ICD10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) als Störung der Geschlechtsidentität unter der Klasse F (Psychische Störungen und Verhaltensstörungen) unter Punkt ›F64.o – Transsexualismus‹ gefasst wird. Einerseits können Trans*menschen aufgrund dieser Pathologisierung Ansprüche auf Krankenkassenleistungen erhalten, durch welche sie eine Hormonbehandlung und/oder geschlechtsangleichende Massnahmen finanziert bekommen, andererseits werden sie so in der Gesellschaft als ›krank‹ oder ›widernatürlich‹ verstanden, was Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt zur Folge hat. Trans* und intersex gelten als Geschlechtlichkeiten, die nicht existieren sollen. In der Struktur der klaren Trennung von zwei dominierenden Geschlechtern, Frau und Mann, und dem einen hegemonialen, heterosexuellen Begehren finden davon abweichende Geschlechtlichkeiten und Begehren keinen Platz und erscheinen somit inexistent. Gemäss ICD-10 müssen Menschen folgende Kriterien erfüllen um die Diagnose ›Transsexualismus‹ zu erhalten: »Der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen. [...] Die transsexuelle Identität muss 33 34 Foucault (1977), S.94 Hartmann, Klesse, Wagenknecht, Fritzsche, Hackmann (Hrsg.) (2007): S.9 25 mindestens 2 Jahre durchgehend bestanden haben und darf nicht ein Symptom einer anderen psychischen Störung, wie z.B. einer Schizophrenie (F20.2), sein. Ein Zusammenhang mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien muss ausgeschlossen sein. «35 Diese Klassifikation geht von einem binären Geschlechtersystem aus und bestärkt die Dichotomie zwischen Frau und Mann. Sie schliesst ein Jenseits oder eine Geschlechtervielfalt aus, indem sie von dem einen oder eben dann von dem anderen des einen Geschlechts ausgeht. Auch werden Trans*menschen nur beschränkt, meist gar nicht im gegenwärtig heteronormativen Rechtssystem berücksichtigt und so sind die bürokratischen Hürden oft mit psychischer Belastung und finanziellem Aufwand verbunden. Die rechtlichen Grundlagen für Trans*menschen sind schweizweit nicht einheitlich geregelt, da bisher kein nationales Trans*gesetz besteht. Für die Personenstandsänderung36 sind zum Beispiel seit 2012 laut eidgenössischem Amt für das Zivilstandswesen keine operativen Eingriffe mehr notwendig um eine Fortpflanzungsunfähigkeit oder eine irreversible Geschlechtsänderung vorweisen zu können.37 Gemäss unseren Gesprächspartner_innen wird dies jedoch von Kanton zu Kanton oder Jurist_in zu Jurist_in anders gehandhabt. Der Weltverband für Transgender Gesundheit versucht mit »Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen, transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen« eine weltweite Vereinheitlichung der medizinischen und rechtlichen Bedürfnisse von Trans*menschen zu erreichen und distanziert sich unter anderem von einer Pathologisierung von trans, da »der Ausdruck der Geschlechtlichkeit, einschliesslich jener Identitäten, die nicht stereotyp dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht entsprechen, ein allgemein übliches und der kulturellen Vielfalt entsprechendes menschliches Phänomen ist, [das] nicht grundsätzlich als pathologisch oder negativ beurteilt werden soll«.38 35 ICD-Code: Störungen der Geschlechtsidentität ICD10 Siehe Gerichtsurteil im Anhang 37 Rechtsauskunft EAZW: Transsexualität 38 WPATH 36 26 3 Gesprächspartner_innen Das Herzstück des vorliegenden empirischen Teiles bilden die Gespräche mit den Trans*menschen, ihre Biografien, Lebenskonzepte und persönlichen Erfahrungen. Im folgenden Teil dieser Arbeit möchten wir daher Raum lassen für die persönlichen Geschichten und individuellen Erfahrungen jeder einzelnen Person. In Anführungsstrichen stehen jeweils Begriffe oder Ausführungen, die wir direkt aus den Gesprächen übernommen haben, um so näher bei den persönlichen Erzählungen und Beschreibungen bleiben zu können. Im anschliessenden analytischen Teil versuchen wir die Aussagen der Gesprächspartner_innen zu ordnen um sie so einander gegenüber zu stellen. Ziel dessen ist die Veranschaulichung der unterschiedlichen Positionen und teilweise unvereinbaren Taktiken, mit denen die Befragten ihr Leben meistern. Wir sprechen hier von meistern, weil viele der Personen mit Stigmatisierung, Pathologisierung und vor allem Diskriminierung zu kämpfen haben. Auch wenn dies nicht alle Trans*menschen betrifft, erachten wir es als wichtig zu betonen, dass Trans*menschen nach wie vor viel Ausschluss und Gewalt erfahren, da sie entweder von der äusseren Erscheinung her nicht einem normativen Bild entsprechen können oder wollen oder mit ihrer teilweise nicht-hegemonialen Lebensweise und Sexualität anecken. Wir möchten aber auch erwähnen, dass viele Trans*menschen vollständig akzeptiert in ihrem Umfeld leben können und »mit sich im Reinen« sein dürfen wie es einige der Gesprächspartner_innen beschrieben haben. Weiter interessiert uns, wie sie mit Geschlechternormen und Rollenbildern umgehen, ob sie diese in Frage stellen und in dem eine Potentialität zur Verschiebung von Normen erkennen. Oder ob sie durch ihre Taktik der Anpassung diese bestätigen, nicht mehr auffallen, um so trans* nicht ständig diskutieren zu müssen. Einige möchten sich das trans* erhalten, andere entfernen sich davon und verstehen sich nun nicht mehr als trans*, sondern als Frau oder als Mann. Wiederum andere können sich gar nicht mit Frau oder Mann identifizieren und versuchen eigene Begriffe und Identitäten zu schaffen. Alle Begegnungen waren für uns sehr wertvoll und wir können folgend leider nur einen Bruchteil, die Kernaussagen der Personen, wiedergeben. Wir hoffen sie so zu beschreiben, wie sie sich verstehen. 27 Chris Chris ist 31 Jahre alt und lebt in einer Kleinstadt im Schweizer Mittelland. Er hat ein Diplom in Naturwissenschaft und das höhere Lehramt absolviert. Chris bezeichnet sich als Mann und gleichzeitig als genderfluid. Ausserdem verwendet er den Begriff MtFtM für sich und weist damit auf zwei (Geschlechter)›Wechsel‹ hin. Als Kind habe er sich weder weiblich noch männlich identifiziert. Viel eher als »geschlechtsneutral«. Er sei sehr christlich und »traditionell« erzogen worden; jegliche Körperlichkeit war tabu. In der Pubertät habe er sich vor allem in den »Meitlikreisen« bewegt, es habe sich ergeben, dass er dort »total normal« dazugehört habe. Manchmal habe er sich selbst gefragt, ob er »schwul« sei, was für ihn zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht stimmte. Viel eher hätte sein Zustand etwas »Lesbisches« gehabt. Mit 26 Jahren hatte Chris ein »Burnout« und damit verbunden hätten plötzlich auch ein paar andere Sachen nicht mehr gestimmt. Seine weibliche Seite sei zum Vorschein gekommen und wollte, wie er erzählt, gelebt werden. Er nahm in jener Zeit ein Antidepressivum ein, rückblickend hätte dies womöglich ihre Weiblichkeit bestärkt. Sie bewegte sich daraufhin drei Jahre lang als Frau in der Gesellschaft und liess sich mit dem Pronomen sie und Julia ansprechen. Plötzlich habe sich jedoch ihr »inneres Geschlecht« wieder verändert, vom weiblichen entfernt und die »männliche Seite« habe »nach aussen« gedrückt. Mit 29 Jahren »wechselte« Julia wieder zurück zu ihrem vorherigen Namen und einer männlichen Geschlechterrolle. Vor ihrem zweiten Coming-out habe er sich nie männlich gefühlt, er habe das Männliche aus einem »diffusen Unbehagen« abgelehnt. Mittlerweile sei es jedoch ein Teil von ihm, dies habe auch einen Einfluss auf seine Körperlichkeit, Sexualität und den Kontakt mit anderen Menschen. Gleichzeitig sei das Männliche durch diese Akzeptanz gar nicht mehr wichtig, sondern nur noch ein Teil, ein Element unter verschiedenen. Seine Familie habe sich schwer getan mit seinem Leben als Frau. Vor allem sein Vater habe es nicht als »authentisch« erachtet. Rückblickend hätte der Vater vielleicht gespürt, dass es eine »Phase« sei. Chris habe weniger das Bedürfnis zu provozieren als früher, er wolle mehr leben, worauf er einfach Lust habe. Insofern funktioniere »das Politische« im Sinne eines »Kämpfens gegen vorhandene Strukturen« für ihn nicht. Stattdessen könne er leben, was für ihn stimme, ohne darauf zu achten, ob er in die Strukturen reinpasse oder eine Grenze überschreite. Er wolle nicht »Altes niederreissen, sondern Neues kreieren«. 28 Daniela Daniela ist 48 Jahre alt und wohnt in einem Vorort von Luzern. Sie hat eine Lehre als Sanitärzeichner und später eine Weiterbildung als diplomierter Ingenieur HTL absolviert. Sie sagt über sich, dass sie in ihrem Beruf etabliert sei und, dass sie beruflich wie auch privat voll umfänglich als Frau akzeptiert werde. Im Alter von fünf Jahren wurde sie mit der Transthematik konfrontiert. Nach eigenen Aussagen habe sie damals bemerkt, dass sie »anders« sei. Ihr habe weder das Fussballspielen, noch Puppen zugesagt, aber sie habe sich bei den »Meitlis« wohler gefühlt. Mit dreizehn Jahren, 1978, hat sie sich dann ihrer Mutter gegenüber geoutet und gehofft, dass sie als Mädchen zur Schule gehen kann. Ihre Mutter schickte sie daraufhin zu einem Psychiater, der sich Danielas Wunsch im Zusammenhang mit der Pubertät erklärte. Mit zwanzig Jahren ging sie ins Universitätsspital in Zürich und liess sich darüber informieren, dass sie erst mit 25 Jahren für eine Hormontherapie und Operationen zugelassen wäre. Für Daniela war das Leben als Mann ein Arrangement, das ziemlich lange gut funktioniert hat, da sie sich mit Autorennen, dem Flugbrevet, Reisen und anderen Aktivitäten ablenken konnte. In Beziehungen wurden dann öfters Themen wie Familienplanung, Zukunft, potentieller Vater für Kinder, Ehemann und Sexualität zum Problem. Daniela beschreibt sich als »gynophil« und sagt, dass für sie die Beziehungen gestimmt hätten. Sie hätte »überdurchschnittlich hübsche Freundinnen« gehabt, was sie sich damit erklärt, dass sie ihr eigenes Wunschbild auf ihre Partnerinnen übertragen habe. Sie spricht in dem Zusammenhang von einem Ersatz und dass sie ihre Wünsche, die sie für sich selber hatte, in die Partnerinnen hineinprojiziert und ihnen somit Unrecht getan hätte. Als Daniela 37 Jahre alt war, entschied sie sich für geschlechtsangleichende Massnahmen, danach lebte sie jedoch weiterhin in einer männlich sozialisierten Rolle, vor allem der Beziehung wegen, die viele Jahre hielt. Sie beschreibt es so, dass sie den Körper nur für sich geändert hätte und ihrer Meinung nach habe ihr Begehren eine Frau zu sein nichts mit gesellschaftlichen Körperbildern zu tun, sondern sie benutzt für sich die Metapher einer falschen Verpackung und sagt, dass es medizinische Ursachen für ihr Transdasein gäbe39 und, dass sie so geboren wurde. Etwa im Jahre 2010 hat sie ihren Personenstand zur Frau geändert. 39 Siehe »Hormonthese« S.51 29 Helena Helena wurde 1958 geboren und wohnt in einer Gemeinde in der Nähe von Murten. Sie hat ein Studium und Doktorat in Pharmazie mit Spezialisierung auf Spitalpharmazie absolviert und ist heute als Dozentin und Leiterin F&E Ernährung und Diätetik tätig. Helena beschreibt die Konfrontation mit dem Thema trans als »Flashs«, in welcher sie sich »anders« als ihr Bruder oder »die Andern« wahrgenommen habe. Als Schlüsselerlebnis beschreibt sie ein Ereignis im Erwachsenenalter mit einer Arbeitskollegin, die sie auf ihr »Anderssein« angesprochen habe. Parallel sei ausserdem ihr Vater gestorben, welcher eine sehr patriarchale Rolle in ihrer Familie eingenommen habe. Dieser Tod sei für sie eine Befreiung gewesen und einer der Gründe, weshalb sie sich 2004 outen konnte. Nach diesem Coming-out sei »die Lawine« nicht mehr aufzuhalten gewesen. Überraschend seien für sie die unerwartete Offenheit ihrer Familie und die vorwiegend negativen Reaktionen ihres Arbeitsumfeldes gewesen. Sie habe sich diese Reaktionen genau umgekehrt vorgestellt. Helena hat sich einer Geschlechtsangleichung unterzogen und beschreibt ihren Status als »post-op am 6. Juni 2006«. Sie hat das Geschlecht, beziehungsweise ihren Personenstand, geändert, wobei es ein Bedürfnis war, den Ehestatus »verheiratet« beizubehalten, welcher bei einer Personenstandsänderung bis anhin automatisch auf »geschieden« geändert wurde. Ihr Fall wäre ungefähr der zweite in der Schweiz gewesen und sie hätten darum gekämpft, dass nicht alles einfach »zerstört« würde. Helena orientiert sich am medizinischen Transdiskurs, insbesondere an der ICD-10 Klassifizierung. Es werde zurecht als Krankheit klassiert und man sei wirklich krank, mindestens in der Phase der Transition. Sie verstehe nicht, dass bei anderen Krankheiten oder Unfällen akzeptiert werde, dass sich das Leben schlagartig ändere, und bei dem des Transseins nicht. Es könne daran liegen, dass es viele als »Spleen« betrachten. Auch ihre Familie hätte gedacht, dass es ein »Burnout« wäre, bis sie begriffen hätten wie ernst es sei. Helena ist ein passives Member des TGNS, steht aber solchen Vereinen kritisch gegenüber, da diese »verpolitisiert« seien. Es stecke viel »Gruppendruck« dahinter. Sie sei nie in Clubs gewesen, habe immer alles »alleine und versteckt« gemacht. Erst drei Jahre nach der Operation sei sie zum ersten Mal in das Transgendernetwork gegangen, sie wisse jedoch nicht mehr genau wieso. Der Weg sei für sie abgeschlossen und sie sei »im Reinen mit sich«. 30 Kai Kai ist 23 Jahre alt und lebt in Zürich. Er ist im Kanton Basel Land aufgewachsen und hat das Gymnasium und eine Malerausbildung absolviert. Ab Herbst 2014 möchte er mit einem Jurastudium in einem Fernstudienprogramm beginnen. Mit siebzehn Jahren wurde er von Zuhause »rausgeschmissen«. Ein Outing habe es daher seinerseits nie wirklich gegeben. Als er noch Zuhause wohnte, habe er etwas vorspielen müssen und einmal »probiert einen Typen nach Hause zu nehmen«. Er habe es aber einfach nicht geschafft. »Vielleicht war ich einfach eine Flasche in dieser Sache.« Seine »leibliche Familie«, zumindest Mutter und Schwester, würden versuchen ihn mit »er« und Kai anzusprechen. Kai benutzt für sich den Begriff Transmann, wechselt jedoch zwischen den Geschlechterrollen und bewegt sich gerne in unterschiedlichen Szenen. Durch sein Passing, was er bereits ohne Hormone zustande gebracht habe, könne er ein bisschen überall »rumgeistern«. Die Hormone wollte er »einfach mal ausprobieren und schauen, wo’s hinführt«. Ohne Hormone habe es sich noch nicht ganz richtig angefühlt. Es wäre noch nicht ganz gut gewesen. Kai nimmt seit zwei Jahren Hormone, bindet sich die Brüste ab und möchte eventuell geschlechtsangleichende Massnahmen vornehmen, sobald finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Vor allem die Mastek (Mastektomie) würde ihn interessieren, da er sich mit seinen Brüsten nicht identifizieren könne und er sie vor allem als »unpraktisch« erachte. Zurzeit stimme die Situation jedoch für ihn und eine Geschlechtsangleichung würde nicht eilen, da es noch lange so weitergehen könne. Kai sieht den Wechsel zwischen den Geschlechtern als Austesten der verschiedenen Möglichkeiten und Geschlechterrollen. Obwohl er sein soziales Geschlecht als ein »männliches« beschreibt, erklärt er, dass man »als trans irgendwo dazwischen« sei und es schwierig wäre, sich einzuordnen, vor allem wenn es um die Sexualität gehe. Kai versucht nicht in Kategorien zu denken und will auch keine neue Schubladen schaffen. Gleichzeitig hat er Mühe mit queeren Positionen, die »alles und nichts« seien. Die Menschen, unsere Gesellschaft, würde Schubladen brauchen, um sich an etwas festhalten zu können. Kai hat im Juni 2013 seinen Vornamen geändert, seinen Personenstand als Frau hat er beibehalten. 31 Katja Katja ist 22 Jahre alt und wohnt in einem Dorf in der Nähe von Aarau. Sie kam im Alter von etwa fünf Jahren mit der Transthematik in Berührung. Sie beschreibt dies als ein Gefühl, welches sie damals noch nicht definieren konnte. Sie sei einfach »anders« als die Buben gewesen und sie fühlte sich weder den Jungen noch den Mädchen zugehörig, weshalb sie sich als »Absonderling« empfunden und sich immer mehr aus Kollegenkreisen zurückzogen habe. In der Pubertät und der damit einhergehenden Veränderung des Körpers hätten sich die Empfindungen verstärkt, der »Kopf ticke anders als der Körper«. Sie beschreibt dies als ein »Gefühl des Zerrissenseins«. Zusätzlich sei die Belastung nicht zu wissen wie das Umfeld auf ihr Transsein reagiere hinzugekommen. Katja outete sich 2012 mit zwanzig Jahren, als der persönliche Druck für sie zu gross wurde. Das Outing sei auf der einen Seite eine Befreiung von diesem Druck gewesen, aber zeitgleich auch eine Belastung, da das Outing eine Konfrontation mit neuen Herausforderungen bedeutete. Die Beziehung zu ihrer Mutter sei für Katja eine Zeit lang sehr schwierig gewesen, da ihre Mutter nicht akzeptieren konnte, dass ihr Sohn nun als Frau leben möchte. Im Moment funktioniere die Beziehung jedoch relativ gut. In der Vergangenheit sowie auch heute leidet Katja unter Diskriminierung, weshalb sie fremden Menschen mit Angst begegnet und ein nach »draussen gehen» als sehr anstrengend empfindet. Katja hat eine Ausbildung zur Tierpflegerin absolviert und ist zurzeit auf Arbeitssuche. Durch ihr Transdasein erschwere sich diese zusätzlich und sie ist der Meinung, dass sie deshalb keine Arbeitsstelle finde und dies zu akzeptieren habe. Laut Katja gäbe es zu wenige Beratungsstellen und sie fühle sich auf sich alleine gestellt. Sie denkt, dass trans ein Tabuthema ist und dass viele Menschen noch nichts davon gehört haben, was sie als Erklärung sieht, dass mit trans vorsichtig umgegangen wird. Viele hätten auch Vorurteile und würden Transmenschen einfach als Transvestiten verstehen. Sie selbst frage sich oft, wer sie sei, woher das komme und warum. Sie könne sich gut vorstellen, dass sie in der »falschen Schlange« gestanden habe, als es um die Auswahl ging. Sie steht dem Konzept Frau und Mann jedoch auch kritisch gegenüber, sie findet, ein Mann dürfe genauso auch weiblich sein. Jeder soll so sein, wie er sich fühlt. Auch wenn ein Mann Brüste hätte, dann wäre es so. Hauptsache er sei zufrieden damit. Seit 2013 nimmt Katja Hormone ein und strebt eine geschlechtsangleichende Operation an. Für sie stellt der Personenstand die letzte Station der Transition dar. Danach soll »Ruhe einkehren«. 32 Lio Lio, 22 Jahre, wohnhaft in einer Gemeinde im Kanton Zürich, studiert an der Pädagogischen Hochschule und möchte Kindergärtner_in werden. Lio bezeichnet sich als Tomboy, FtM und weiblich. Unter FtM versteht sie Menschen, die sich die männliche Rolle aneignen, aber auch Männer mit einer abgeschlossenen Transition, die vollständig »als Männer durchgehen« (Passing). Sie bewege sich dazwischen und benutze daher lieber den Ausdruck Tomboy, was sie in klarer Abgrenzung zu einer Butch sieht. Tomboy entspreche ihrem androgynen Äusseren, sie trage gerne Männerkleidung und möge kurz geschorene Haare, was ihre Mutter immer wieder thematisiere. Die Jahre zwischen vierzehn und achtzehn seien eine intensive Phase gewesen, welche sie auch als »Identitätskrise« benennt. Sie fühle sich mittlerweile nicht mehr als Mann, aber in der Zeit wäre es eine Frage gewesen, womit sie sich intensiv auseinandergesetzt habe. Sie liess sich auch über die Schritte der Transition an der Polyklinik in Zürich informieren. Dank ihrem Umfeld, und vor allem aufgrund von Gesprächen mit ihrer Schwester, entschied sie sich gegen die Einnahme von Hormonen. Nach eigenen Angaben führe ihr Äusseres zu Irritationen, womit sie jedoch einen »friedvollen« Umgang gefunden habe. Es sei »sagen wir, noch nicht normal«. Für andere sei es ein »Brett vor dem Kopf«, was ganz verständlich sei. Sie sehe es aber nicht als ihre Aufgabe denjenigen Menschen aufzuzeigen, dass es auch »anders« gehe. Sie könne sich durch ihre äussere, androgyne Erscheinung gut als Frau oder als Mann bewegen, was zu »lustigen« Situationen führe. Des Öfteren würde sie gefragt werden: »Bist du jetzt ein Mann oder eine Frau?« Lio nimmt weder Hormone ein, noch möchte sie geschlechtsangleichende Massnahmen vornehmen. Im Alltag bindet sie sich die Brüste ab40, da sie sich so wohler fühle, sie sei noch nicht so weit mit der »totalen Akzeptanz« ihres weiblichen Körpers. Sie könne sich nicht vollständig als Frau identifizieren und die Brüste, »als codiert weibliches Attribut«, verstehe sie als »Blossstellung«. Lios Vater kommt aus dem »Balkan«. Sie erzählt, dass wenn dort ein Mann (aus erklärlichen oder unerklärlichen Gründen) verschwinde, würden die Frauen die Männerrollen übernehmen, wobei diese dann als Männer vollständig akzeptiert würden.41 Lio begreift ihr Lebenskonzept so als einen eigenen Ausdruck um die verlorene Vorbildsfunktion des Vaters wiederherzustellen, welcher die Familie im frühen Kindesalter von Lio verlassen habe. 40 41 Infos zu breast binders siehe Love Boat LGBT Blog NZZ (Januar 2012): Im Tal der Mannsweiber 33 Luisa Luisa wurde 1965 geboren und wohnt seit siebzehn Jahren im Kreis 4 in Zürich. Sie ist gelernte Stromerin und liess sich in den neunziger Jahren auch als Elektronikerin ausbilden. Bis zur Schulpflicht lebte sie in Madrid, der Heimatstadt ihrer Mutter. Ihre Mutter war in feministischen Gruppen aktiv, ihr Grossvater Stalinist und der Urgrossvater Anarchist. Sie sei »in diesen Widersprüchen aufgewachsen«, sehr frei gewesen, was wahrscheinlich einen gewissen Boden gegeben habe, »für eine nicht klassisch männliche Entwicklung«. Sie habe als Junge und Mädchen »ein bisschen beide Seiten« gehabt und sei deswegen auch »kollidiert« mit den gängigen Vorstellungen der Geschlechterrollen. Als Luisa noch ein Kleinkind war, zog die Familie in die Schweiz in eine Gemeinde im Kanton Zürich, was wahrscheinlich aufgrund von »kulturellen Diskrepanzen ein Fiasko« gewesen sei. Nach dem Umzug in die Stadt Zürich hätten die »unstabilen Jahre« begonnen. Zuerst kam die Scheidung der Eltern, dann gab es Konflikte mit ihrem Vater und in der Schule sei sie »rausgeflogen«. Sie habe daraufhin »ein paar Bezirks-Gefängnisse von Innen gesehen«. In den achtziger Jahren bewegte sich Luisa in der Hausbesetzerszene und beteiligte sich an den Jugendunruhen. Später habe sie die Technoszene fasziniert, sie sei bei den ersten Ausgaben der Street Parade dabei gewesen. Sie sei in Berührung mit der Fetisch- und, insbesondere der SM-Szene, gekommen und habe viel experimentiert. Zwischen 1990 und 2000 verbrachte sie mehrere Jahre in Thailand, arbeitete da als Schiffsmechanikerin und hätte »eine sehr männliche Rolle« inne gehabt. In der Schweiz führte sie lange Zeit ein »Doppelleben«. So sei sie bei der Arbeit als Mann erschienen und hätte sich privat als Frau bewegt. Am 31. August 2000 hat sich Luisa als Frau geoutet und im Jahr 2005 in Zürich die geschlechtsangleichende Operation durchführen lassen. Davor habe sie mehrere Jahre Hormone genommen, um »sich selber kennenzulernen«. Luisa wurde mit elf Jahren mit dem Thema konfrontiert und mit sechzehn hätte sie eine Vorliebe für Frauenkleidung gehabt, die sie sich nicht eingestehen wollte. Obschon Luisa heute in einer weiblich konnotierten Geschlechterrolle lebt, sei dieses Geschlechtsmodell für sie nicht »hundertprozentig« klar. Die »Mann/Frau-Schiene« sei für sie wahnsinnig schwierig festzumachen, da sie überzeugt sei »beide Konditionierungen» zu haben. Wahrscheinlich seien Transmenschen wirklich »magische Wesen, die beide Konditionierungen« hätten. 34 Romeo Coyote Rosen Romeo Koyote Rosen wurde 1965 in Deutschland geboren, lebt in einer Stadt im Kanton Zürich und bezeichnet sich als Transform. Trans steht für ihn_sie für ein Aussteigen aus dem »Weltlichen«, ein Loslösen von all den Dogmen und Zwängen. »Trans hält die Form variabel«. Er_sie hat früher die Begriffe »die Dragking«, »Vielform« und »Mischwesen« für sich verwendet, möchte sich jedoch mit keiner dieser Bezeichnungen festlegen oder sich darüber definieren, um offen für neue Formen und Benennungen bleiben zu können. Er_sie sei schon immer ein »Wildfang«, ein Tomboy gewesen und sei weder als Frau noch als Mann sozialisiert worden. Er_sie habe bereits als Baby Diskriminierung erfahren müssen, da er_sie als »schwarzes Baby« zwanzig Jahre nach dem Krieg in Deutschland als »Bastard« angesehen wurde. Romeo Koyote Rosen ist 1985 in die Schweiz gekommen und habe sich da vor allem im »separatistischen Lesbenkuchen« und in der Besetzerszene bewegt, die ihn_sie »genährt und gelehrt« hätten. Romeo Koyote Rosen erzählt, dass seine_ihre Häärchen im Gesicht für Irritation sorgen. Die Häärchen würden jedoch erst in der Gesellschaft zum Bart oder zum Schnauz und zum männlich codierten Accessoire. Er_sie habe sich «nie als Mann gesehen«, habe bloss die Häärchen ins Gesicht getan und die Welt, die Gesellschaft habe angefangen auf ihn_sie zu reagieren. Romeo Koyote Rosen beschreibt eine Begegnung im Jahre 2001 als Schlüsselerlebnis, als er_sie sich an einer Dragking/Dragqueen-Show aufgehalten habe und ihm_ihr bewusst wurde, dass das Geschlecht keine Rolle spiele. Er_sie bezeichnet es sogar als »Geistesblitz«. Ab dem Moment hätte er_sie nicht mehr in Kategorien gedacht und begegnete auch bald an einer Kunstausstellung in Lausanne dem Begriff transform(er), welchen er_sie sich daraufhin angeeignet habe. Romeo Koyote Rosen verordnet unsere Gesellschaft, in der wir leben, in einer Menschheitsepoche, die binär codiert sei. Dadurch wäre es wichtig Räume zu schaffen, in denen »queer und transforme Wesen« geschützt seien und sich gegenseitig mit Respekt und Verständnis begegnen können. Romeo Koyote Rosen vertritt, seiner_ihrer Ansicht nach eine radikale Meinung, indem er_sie sagt, dass die_der Heterosexuelle sein_ihr Lebenskonzept überdenken soll, da Romeo Koyote Rosen damit unterdrückt werde. Er_sie habe dadurch als Homosexuelle_r, »geboren aus der Lesbierin«, weniger Rechte. Indem er_sie sich als weder (Frau) noch (Mann) bezeichne, würden Menschen anfangen »selber zu überlegen«. Romeo Koyote Rosen wünscht sich im Zusammenhang mit der Transcommunity anstatt »Negativ-Bezeichnungen« und einem binären Lebenskonzept eine Möglichkeit zur Geschlechtervielfalt, in der sich jede_r so benennen könne, wie sie_er möchte. »Stay queer!« 35 Stephanie Stephanie ist 48 Jahre alt und wohnt in einem Dorf in der Nähe von Aarau. Sie ist eidg. diplomierte Organisatorin, beziehungsweise Auditorin. Bereits mit sieben Jahren hat Stephanie gewusst, dass »etwas anders« sei. Ihre Mutter hätte sie einmal mit Frauenkleidung im Bett erwischt, was bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus todgeschwiegen wurde. Nach dem Auszug aus ihrem Elternhaus und dem begonnenen Studium als Elektroingenieur HTL habe sie lange gebraucht, bis sie herausgefunden habe, dass sie trans sei. Als es für sie klar war, hätte sie sich entscheiden müssen, ob sie sich oute oder weiterhin in der sozialisierten Männerrolle leben wolle. Vor allem Existenzängste hätten sie daran gehindert den Schritt zu wagen. Rückblickend meint sie, sie hätte es viel eher tun sollen, da sie sich »schon immer als Frau gefühlt« habe. Lange Zeit habe sie ihre Gefühle unterdrückt, wie zum Beispiel durch »bewusst männlich konnotierte Hobbys«. Zwischen ihrem 44. und 46. Lebensjahr hat sich Stephanie geoutet. Ihr Umfeld reagierte »positiv«, sie hätte keine Probleme gehabt. Stephanie hat 2013 eine Geschlechtsangleichung vorgenommen. Mit dieser Operation habe für sie ein neues Leben begonnen. Mit ihrem alten Leben habe sie abgeschlossen. Stephanie hat sich ihren Kehlkopf abschleifen lassen und strebt eine »Feminisierung« im Gesicht und eine Brustoperation an. Stephanie definiert sich seit dem als Frau und möchte nichts mehr mit der Transgenderwelt zu tun haben. Es sei ihr wichtig, nicht irgendwo »dazwischen« hängenzubleiben. Ihr Anspruch ist ein perfektes Passing. Trans sei für sie »wie ein Projekt« gewesen und sie habe keine Lust trans zu »spielen«. Der Trans*szene steht sie nicht nur deswegen kritisch gegenüber, sondern auch weil sie der Ansicht ist, dass diese »einen grundsätzlich runterziehe«, weil meistens der Fokus beim Negativen liegt wie zum Beispiel der Diskriminierung, Gewalt oder dem schlechtem Passing. Wichtig sei ihr ein positiver Zugang zur Thematik, da sie ihren Weg als »Geschenk« sehe und sie dadurch »zu sich selber gefunden« habe. Sie ist der Meinung, dass Diskriminierungen gegen Transmenschen stattfinden, dies für sie jedoch »kein Thema« darstelle, da sie es nicht gegen sich erlebe, beziehungsweise nicht davon betroffen sei. Es liege an der Transperson, »gewisse Meinungen zu akzeptieren, wenn man direkt oder indirekt provoziert«. Im Jahr 2013 hat Stephanie ihren Namen geändert und all ihre offiziellen Dokumente anpassen lassen. 36 4 Aus dem Alltag von Trans*menschen Bei der Auswertung des sehr unterschiedlichen Interviewmaterials kristallisierten sich Themen heraus, die von all unseren Gesprächspartner_innen aufgegriffen wurden. Wir haben diese Themen in fünf Kategorien gefasst, welche wir hier näher ausführen möchten. Die Kategorien lassen sich nicht klar voneinander trennen, da sich die Themen meist überlappen. Trotzdem haben wir versucht ähnliche Erfahrungen in einer Kategorie unterzubringen, um die Gespräche nach bestimmten Themenbereichen ordnen und so auch die Positionen einander gegenüberstellen zu können. Folgende Fragen lassen sich als Basis unserer Gespräche formulieren: Wie beschreiben die befragten Personen die Reaktionen auf ihr Trans*dasein? Inwiefern lässt sich dieses nicht in die normativen Identitätskategorien fassen? Sind die Menschen in ihrem Umfeld irritiert, fühlen sie sich provoziert durch ihren Umgang mit den Geschlechterrollen und ihren Begehren? Werden ihre Lebensweisen, ihre Taktiken akzeptiert, anerkannt, als politisch verstanden oder als unlesbar, unverständlich oder ›anormal‹ abgetan? Braucht es Irritation, Provokation um auf die Trans*thematik aufmerksam zu machen, um auf ein Jenseits, Dazwischen oder Ausserhalb der Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen verweisen zu können, oder ist es wichtig sich für ›die eine oder die andere Seite‹, für ›das eine oder andere Geschlecht‹ zu entscheiden? Müssen Trans*menschen aus ihrer Sicht mit Ablehnung, Ausschluss und Diskriminierung rechnen und wie ist ihr Umgang damit? Was passiert innerhalb der Trans*szene, ihren Orten und Organisationen, die einen geschützten Raum darstellen sollten? Welche Ausschlüsse geschehen entlang welchen Codes in Bezug auf ihr Verhalten und ihrer Erscheinung? Auf den kommenden Seiten werden die jeweils zentralen Aussagen, in Bezug auf die Kategorien, aufgeführt und mit Statements der Gesprächsteilnehmer_innen belegt. Es ist uns ein Anliegen, die Aussagen der Gesprächspartner_innen möglichst nach ihren Vorstellungen wiederzugeben, daher haben wir bewusst nichts in einen Kontext gestellt, ohne Rücksprache mit ihnen zu halten. Wiederum stehen Begriffe und Aussagen, die wir unverändert aus den Gesprächen übernommen haben, in Anführungsstrichen. 37 4.1 Soziales Umfeld In den Gesprächen wurden oft Kindheit, Sozialisation oder die Familie thematisiert und diskutiert. Chris erzählt uns, er sei sehr »traditionell« aufgewachsen und hätte »dadurch null Ahnung gehabt«. Er hätte mit siebzehn, achtzehn Jahren noch ein ganz »heterozentrisches Weltbild« gehabt. »Wenn ich auf Frauen stehe, dann macht das Frausein selber gar keinen Sinn oder. Oder umgekehrt, wenn ich trans* bin, dann ist es irgendwie gar nicht richtig denkbar gewesen dann auch lesbisch zu sein gleichzeitig.« Romeo Koyote Rosens Erzählung verweist auf einen weiteren Aspekt, indem er_sie erklärt, dass er_sie wenig Mutter und Vater gehabt hätte und er_sie dadurch nicht zwingend als Frau oder Mann sozialisiert worden sei, »sondern ich konnte eigentlich so ziemlich machen, was ich wollte, hatte dafür nicht so ne gute Bindung und nicht so viel Elternliebe. Aber das macht dich halt auch stark und sehr offen und sehr aufmerksam für die Welt halt«. Wir haben mit unseren Gesprächspartner_innen über ihren individuellen Umgang, ihre Taktiken und ihre positiven oder negativen Erfahrungen, in der Familie, mit Freund_innen, in der Trans*- oder Homoszene oder auch im Zusammenhang mit der Arbeitsstelle gesprochen. Sie schilderten uns unterschiedliche Reaktionen auf ihr Coming-out, beziehungsweise auf ihr Outing und den ›Geschlechterwechsel‹ im familiären oder beruflichen Umfeld. Dabei war der Transitionsweg oft zentral. Wie reagierte die Familie? Wie gehen Freund_innen damit um? Wie verändert sich die Lebenssituation? Gibt es Probleme bei der Arbeit? Führte der ›Geschlechterwechsel‹ oder ihr Spiel mit den Geschlechtern zu sozialem Ausschluss und/oder Diskriminierung? So berichtet Katja eher von Negativerfahrungen, indem sie nach dem Coming-out ein Grossteil ihrer Freunde verlor. Katja: »In meinem Umfeld, also neunzig Prozent meines Freundeskreises hat sich aufgelöst dadurch. Weil sie nicht damit umgehen konnten. Im familiären Umkreis habe ich keine Probleme mehr. Das funktioniert im Moment recht gut. Meine Mutter hat noch ein wenig Mühe. Sie spricht mich meistens noch mit René an. Es kommt schon. Es braucht einfach Zeit.« Kai hat nicht besonders viel Kontakt zu seiner »leiblichen Familie«, vor allem zu seinem Vater habe er gar keinen Kontakt mehr, die Mutter sei »recht cool«. Es liege daran, dass er »spiessbürgerlich« aufgewachsen sei, seine Eltern wären »SVP-Wähler, rassistisch, antisemitisch gewesen. Alles Schöne, was ich nicht bin. Und da man keine eigene Meinung haben darf, ist es irgendwann zu Zusammenstössen gekommen«. Mit siebzehn sei er Zuhause »rausgeschmissen« worden. Daraufhin sei er regelmässig in der LesBiSchwulen Szene und 38 später auch in der Trans*szene »rumgehangen«. Er habe sich eine Familie aus Freunden und Kollegen geschaffen, welche er als seine »Wahlfamilie« bezeichnet. Luisa beschreibt die Familiengeschichte als »sehr massgebend«. Viele Leute, und damit meint sie wohl Transleute, hätten eine »aussergewöhnliche Familiengeschichte«. Sie glaubt, dass in einem konservativen Umfeld der soziale Druck ein »anderer« [ein grösserer] sei. Auch bei Helena sei es nicht immer einfach gewesen und gut gelaufen. Sie habe in dem Jahr, »in der Phase, wo wirklich alles rund um den Eingriff gewesen ist«, alleine in einem Studio gewohnt. Sie hätten es ihren Mädchen nicht zutrauen wollen. Die seien damals elf und vierzehn Jahre alt gewesen. Die Beziehung zu ihrer Frau und ihren Töchtern beschreibt sie als sehr »respektvoll«. Sie mussten sich gegenseitig helfen »um das Beste aus dieser Situation zu machen«. Das ginge eigentlich sehr gut. »Und da muss ich sagen, da habe ich wahrscheinlich aussergewöhnlich Glück gehabt.« Daniela kann von keinen negativen Erfahrungen berichten. Ihr Vater hätte eine einzige negative Bemerkung aus seinem Kollegenkreis bekommen, worauf er sich für sie eingesetzt habe. Sie erzählt uns von Schulfreunden, mit denen sie seit über dreissig Jahren befreundet sei und immer noch Kontakt hätte. Es bekäme irgendwann eine »Normalität« und man würde im Freundeskreis über Themen sprechen, »die einfach ganz normal sind«. Auch bei der Arbeit würde sie keinen Ausschluss oder Ablehnung erfahren, im Gegenteil. Sie erklärt es sich damit, dass »wenn du ein anständiger Mensch warst vorher, dann nachher macht dein Freundeskreis das zu einem grossen Teil mit«. Stephanie ist der Ansicht, dass »wenn man immer davon ausgeht, dass die anderen dich so akzeptieren müssen, dann läufst du einfach die Wand [hoch]«. Sie beschreibt die Übergangsphase [Transition] als hart und sie betrachtet es eher als eigene Aufgabe, einen Umgang mit Reaktionen von anderen Menschen zu finden. »Weil ich sage immer: du hast es dir eingestehen müssen, du hast mehrere, meistens mehrere Jahrzehnte, bis es du akzeptiert hast bei dir, du kannst nicht erwarten von deinem Umfeld, ob jetzt Eltern oder Freunde oder Geschäftskolleginnen/Kollegen, dass die das innerhalb von fünf Minuten akzeptieren, wenn du ein Outing machst.« Sie ist überzeugt, dass diejenigen Transmenschen, die den Weg oder das Outing als Kampf beschreiben und Probleme bekommen, dass es »mit der Einstellung« zu tun habe, »da stimmt etwas nicht«. Für Lio war es nach dem Coming-out ›lässig‹ [ironisch] zu sehen, wie »manche unterstützen können und die andern eine totale Abneigung haben«. Ihre Mutter fände es »einfach schade, 39 dass sie nicht diese Tochter hat, die sie sich vorgestellt hat. Das kann ich verstehen. Aber ähm - ich möchte mich nicht so von ihr manipulieren lassen«. Abschliessend lassen sich von uns zwei Positionen oder Reaktionen ausmachen. Einige unserer Gesprächspartner_innen betrachten es als ihre eigene Aufgabe einen Umgang mit negativen Reaktionen zu finden. Sie betonen, dass es ohne Adaption an das Umfeld, sprich an die Reproduktion der Heteronormativität schier unmöglich scheint, den Weg der Transition zu gehen, beziehungsweise einen ›Geschlechterwechsel‹ vorzunehmen. Dabei orientieren sie sich an den Normen der Zweigeschlechtlichkeit, welche sie dadurch wiederholen und somit bestärken. Viele Trans*menschen versuchen sich durch eine unauffällige, angepasste Taktik in die heteronormative Struktur einzuordnen. Vielleicht wird sogar unbewusst davon ausgegangen, dass es an der eigenen Einstellung und nicht an Formen von Diskriminierung liegt, wenn sie Ausschluss erfahren, wie es uns beispielsweise Stephanie erzählt hat. Unbewusst in dem Sinne, dass diese Personen sich an einer Ordnung festhalten, möglicherweise ohne die Tatsache zu registrieren, dass es diese Ordnung ist, die sie in Geschlechterrollen zwängt und dazu bringt sich entscheiden zu müssen. Auf der anderen Seite positionieren sich die Befragten, die sich nicht an irgendwelche Regeln oder Vorschriften in Bezug auf ihr Geschlecht halten möchten. Sie durchbrechen dadurch gängige Vorstellungen von Frau und Mann, von sexuierten Körpern und Praktiken und diskutieren besonders kritisch ihre eigenen Standpunkte, so auch ihre Beziehungen, Freundschaften und das Verhältnis zu ihren Familien. Wir stellen aber fest, dass durch die Trans*thematik bei allen Gesprächspartner_innen Konflikte, Spannungen oder Unruhen im familiären und erweiterten sozialen Umfeld entstanden. Auffällig erscheint uns jedoch, dass diejenigen Trans*menschen, die sich den Konflikten aussetzen, nicht unbedingt mehr Ausschluss oder Diskriminierung erfahren, als diejenigen, die sich anzupassen und anzugleichen versuchen. Wir fragen uns also, ob Trans*menschen, welche von ihrem sozialen Umfeld vor, während und nach der Transition Unterstützung erhalten und anerkannt werden, weniger psychischer Belastung ausgesetzt sind. In den zwei folgenden Kategorien besprechen wir deshalb kritisch die Begriffe des Comingouts und des Passings, welche auch immer mit einem bestimmten Druck und Belastung in Verbindung gebracht werden. Wir diskutieren, ob und inwiefern sich die Begriffe als nützlich oder notwendig erweisen und wie sie die Gesprächspartner_innen für sich verwenden. 40 4.2 Coming-out In einer heteronormativen Gesellschaft steht das Coming-out für ein Bekenntnis, von vorherrschenden, gesellschaftlichen Normen und Strukuren abzuweichen und selbigen nicht zu entsprechen. Im Prozess des Coming-outs bestätigt sich die heteronormative Struktur als ›Eingeständnis der Ausnahme‹, stellt jedoch im Kampf um Sichtbarkeit und Akzeptanz von trans*, ebenso wenn es um die Festigung der Geschlechtsidentität geht, einen wichtigen Prozess dar. Durch das Coming-out wird eine Kategorie geschaffen, mit welcher unter anderem rechtlicher Schutz und Gleichberechtigung eingefordert werden kann. Sehr wichtig hierbei wird auch der mögliche Rückbezug auf eine bestehende Identität, die erst durch diese Formulierung erkenntlich wird. Coming-out bezieht sich auf den englischen Ausdruck ›coming out the closet‹, beschreibt also ein Öffentlichmachen von bisher geheimen Empfindungen und Begehren und ist oftmals mit extremen Existenzängsten, sozialem Ausschluss und/oder Diskriminierung verbunden, weshalb viele Menschen vor einem Outing zurückschrecken oder es jahrelang zu vermeiden versuchen. Fast alle unsere Gesprächspartner_innen bringen ihr Coming-out mit ganz spezifischen Gefühlen, wie Angst, Befreiung oder Erleichterung in Verbindung. Oft wurden uns eindeutige Daten genannt, welchen eine ähnliche Relevanz wie Geburtstagen zuteil kommen. Sie stehen für einen neuen Lebensabschnitt und einen Abschluss mit einem bisherigen Leben. Häufig wird das Coming-out mit einem Schlüsselerlebnis verbunden, in welchem eine Trans*person auf die Trans*thematik aufmerksam geworden ist, sei dies durch einen Zeitungsartikel, Internetlink oder eine Fernsehsendung. Einige ältere Trans*menschen berichteten uns, es sei für sie schwieriger gewesen mit trans* in Berührung zu kommen oder sie hätten für das Coming-out länger gebraucht als die jungen Trans*menschen von heute. Die mediale Berichterstattung wäre früher noch nicht so gross gewesen oder auch das Internet als Informationsquelle, beziehungsweise als erste Anlaufstelle hätte damals nicht existiert oder wäre nicht so sehr verbreitet gewesen. Lio hatte mit fünfzehn Jahren einen Zeitungsbericht von einer Frau gelesen, die sich nicht wohl gefühlt hätte in ihrem Körper und sich umwandeln liess. Für sie sei das »WOA! Die Antwort!« gewesen. Sie habe sich erst bei ihrer Schwester geoutet, »die hat es nicht so richtig verstanden am Anfang«. Danach outete sie sich weiter bei ihrer Mutter, welche gar nicht gut reagiert hätte. Ihre Mutter sei keine religiöse Frau, »aber dann ist sie mit Gott gekommen«. Sie habe gesagt, »Gott hätte das nicht gewollt«. 41 Kai hat mit ungefähr zwanzig Jahren am Filmfestival Queersicht den Film Romeos gesehen, der von einem Transmann handelt. Nach dem Film hätten sie sich noch mit einer Transperson unterhalten und so sei er mit dem Thema konfrontiert worden. Er habe sich Zuhause nie richtig outen müssen, »weil es eh klar gewesen ist«. Im Zusammenhang mit dem Coming-out wird auch oft von einer starken psychischen Belastung gesprochen. Katja hat das Outing so lange hinausgezögert, bis sie es nicht mehr ausgehalten habe. Sie hätte Angst gehabt es anderen zu sagen, da sie nicht wusste, wie ihr Umfeld reagieren würde. Als der Druck zu gross geworden sei, habe sie sich geoutet. Es sei schwer gewesen als sie es ihrer Mutter erzählt habe, und auch nicht wirklich gut, denn ihre Mutter hätte »ziemlich Mühe damit gehabt«, obwohl sie immer zu ihr gestanden hätte. »Danach [nach dem Outing] ist man wirklich so am Boden mehr oder weniger.« Obwohl das Outing auch etwas Befreiendes gehabt hätte, sei es ihr davor besser gegangen, sie sei »psychisch stabiler« gewesen. Helena macht die Metapher einer »Herzerkrankung«, mit welcher man zwar jahrelang leben könne, die aber irgendwann zum Vorschein komme und behandelt werden müsse. Bei ihr seien es verschiedene Faktoren gewesen, welche zum Coming-out geführt hätten. Unter anderem der Tod ihres patriarchalen Vaters und ein männerdominiertes Arbeitsumfeld, welches sie nicht mehr ausgehalten habe. Nach dem Coming-out hätte es einen Moment lang so ausgesehen, »als würde alles zusammenkrachen«. Dies sei schwierig und ein Schlag gewesen. Für Stephanie sei es wie ein »Dampfkochtopf« gewesen, bei dem der Druck »einfach kommt«. Irgendwann habe sie sich entscheiden müssen [ob sie sich oute oder nicht] und hätte sich ein Timeout genommen. Sie sei ein paar Tage nach Deutschland zu einer Transberatung42 gefahren. Dort habe sie Perücken anprobiert, Frauenkleidung getragen, sei geschminkt worden und habe »die ganze Zeit als Frau gelebt«. Bei einem abschliessenden Fotoshooting habe sie sich »als Stephanie vom kleinen Zehen bis in den kleinen Finger gespürt. Dort habe ich es gewusst«. Als sie zurückgekommen sei, hätte ihre Partnerin gedacht »es stimmt wieder einmal etwas nicht«, habe angefangen zu wühlen und Frauenkleider gefunden. »Dann war es dann eigentlich draussen. Dann haben wir uns nach acht Jahren getrennt.« Bei Luisa sei »es leider schaurig fliessend« gewesen. »Mit sechzehn weiss man nicht so recht was lauft und so. Trägst gerne Frauenschuhe. Findest das wahnsinnig attraktiv. Dann gibt es so Begriffe wie Fetischismus und trallala. Dann sagst du: Oh mein Gott und überhaupt. Das 42 anima*projekt: Transgender-Beratung Faridéh-Styling 42 darf nicht!« Da seien aber auch viele kulturelle Einflüsse gewesen, die autonome Besetzerszene, »kreative« Menschen, Techno, Fetischszene. In diesem Umfeld hätte sie angefangen, immer mehr zu experimentieren, wollte sich besser kennen lernen und habe irgendwann ein »Doppelleben« geführt. Dies sei lange gut gegangen. Irgendwann habe sie sich aber gesagt, »das kann es nicht sein« und hat sich am Arbeitsplatz an einer Bauleitersitzung geoutet. Wir verstehen ein Coming-out, bzw. Outing nicht nur als persönlich wichtiges Bedürfnis, sondern auch als politische Relevanz, um weitere Geschlechtsidentitäten als nur Frau und Mann zu etablieren und zu stärken, wobei unserer Meinung nach auch diese ›neuen‹ Kategorien nicht so sehr gefestigt werden sollten um eine Möglichkeit zur Veränderung beizubehalten. So ist möglicherweise nicht nur das Outing an sich wichtig, sondern auch ein Spiel mit Begriffen, mit den Identitätskategorien, die sich dadurch nicht festigen, sondern verschieben lassen. Ein Coming-out sollte unserer Meinung nach auch nicht forciert oder aus einem Druck heraus zum Bedürfnis werden, sondern als Instrument dienen um auf politischer Ebene für die eigenen Rechte und die Rechte von Trans*menschen einstehen zu können. Dabei geht es genau nicht darum sich als ›anders‹ zu verstehen oder sich in die heteronormative Ordnung einzureihen, sondern darum die Grenzen von Geschlecht zu sprengen und eine verwirrende Pluralität von Geschlechtern zu erschaffen, die sich nicht mehr in zwei dichotome Konzepte pressen lassen. 43 4.3 Passing Die Diskussion über ein sogenanntes Passing ist in vielen Gesprächen von grosser Bedeutung. Meist ist das Passing nicht ein zu hinterfragendes Gerüst, sondern eine Bedingung um gesellschaftlich anerkannt zu werden und gleichzeitig ein Gefühl der Stimmigkeit zu erlangen. Dabei fragen wir uns, ob es nicht an den scheinbar starren Geschlechterkategorien liegt, dass ein Dazwischen oder ein Jenseits und ein Ausdehnen und Vervielfältigen der bestehenden Identitätskategorien für viele Trans*menschen nicht möglich erscheint. »Transfrauen können sich nie erlauben, was wir uns erlauben können. Da müssen wir gar nicht drüber diskutieren, schon nur körperbaumässig und so.« Kai spricht hier davon, dass Transfrauen nur dann Chancen auf ein perfektes Passing haben, wenn sie vor der Pubertät bereits mit der Hormoneinnahme beginnen. »Ich kenne keine Transfrau, der man’s nicht ansieht.« Bei FtM sei es immer einfacher. Auch Helena ist ein Passing wichtig, welches sie als Frau durchgehen lasse. Für sie wäre ein Leben zwischen den Kategorien Frau und Mann nicht in Frage gekommen. Sie glaubt, dass dieser Zustand etwas sei, »das nicht fertig ist, etwas, was man eh nicht im Griff hat und man nach wie vor in der Depression stecken bleibt«. Im Zusammenhang mit dem Alltagstest, den sie als überflüssig erachtet, sagt sie: »Das wäre dann Spiessrutenlaufen gewesen. Wenn man wirklich noch die männliche Konstitution hat und vielleicht auch noch weniger Haare und dann nachher kommt man da plötzlich in Frauenkleidern. Das, das provoziert dermassen, das kann es nicht sein. Also dann zieht man sich [besser] irgendwo zurück und kommt dann einfach nach dem Eingriff wieder in einem mehr oder weniger endgültigen Zustand wieder retour«. Stephanie bezeichnet die Stimme als wichtiges Element des Passings und beschreibt, dass es für FtM-Transpersonen leichter sei, sie bekämen durch das Testosteron Haare und den Stimmbruch und »dann sieht man das nicht mehr«. Durch logopädische Übungen versuche sie die Stimme dem weiblichen Geschlecht anzupassen. Ihr Anspruch sei es als Frau und Partnerin wahrgenommen zu werden. Stephanie vertritt die Ansicht, dass viele Transmenschen die geschlechtsangleichende OP nicht vornehmen würden, wenn die Krankenkassen die Angleichung der sekundären Geschlechtsmerkmale (wie Adampsapfel, Gesicht, Stimme, Haaransatz, Haarentfernung) als erstes bezahlen würden. Zurzeit bestehe die 44 Regelung, dass ohne die Geschlechtsangleichung der primären Geschlechtsmerkmale43 die Anpassung der sekundären Geschlechtsmerkmale nicht ausgeführt werde. Im Gegensatz zu diesen drei Positionen erachten Chris und Romeo Koyote Rosen eine androgyne Erscheinung als interessant. Sie vertreten die Meinung, dass es spannend sei mit unterschiedlichen Rollen zu spielen und verstehen Irritation und Provokation als eine notwendige, politische Handlung. Chris beschreibt es so, dass »wenn es in unserer Gesellschaft ›normal‹ wäre trans* zu sein, also in einem anderen als im ›biologischen Geschlecht‹ zu leben, dann wäre es auch ›normal‹, dass man das einem ansieht, weil es nicht alle verstecken können und dann wäre es auch gar nicht mehr nötig es zu verstecken, und unter dieser Voraussetzung, frage ich mich, wie viele von diesen Menschen, die tatsächlich eine Transformation an sich machen lassen, das Bedürfnis dann noch hätten.« Romeo Koyote Rosen geht noch einen Schritt weiter und kritisiert beim gängigen Transbegriff den Ausschluss von »Hermaphroditen«. Aufgrund seiner_ihrer Solidarisierung mit »Hermaphroditen« und »Zwittern«, möchte er_sie nicht als Frau oder Mann verstanden werden, sondern die Kategorien völlig aufbrechen und bewege sich daher in der Gesellschaft »als transformes, queeres Wesen, das durch seine Erscheinung die Kreativität und Fantasie von anderen Menschen anregt«. Auch Luisa hat viele »Sachen total in Frage gestellt gesehen«. Sie habe sich mit Rock und hohen Absätzen einfach wohler gefühlt. Sie bereue heute nichts und sei froh den Weg gegangen zu sein. »Weisst du, ich sage ja immer auch, weisst du, diesen Weg, den wir gehen, ist ja auch irgendwo durch ein Kompromiss. Weil, es ist natürlich auch vieles bequemer.« Sie sei sehr zufrieden mit der Geschlechtsangleichung, aber es stimme auch, »dass ich da gegangen bin und gesagt habe, ich versöhne mich mit der Gesellschaft. Genug Revolution. Genug Herumprügeln bei der Geroldstrasse«. Diese Kritik würde sie wegstecken, weil es stimme. »Weil ich finde auch. Schau mal. Eine Gesellschaft, respektive Mitglieder einer Gesellschaft suchen ja auch eine Kompromissform oder. Irgendwo durch müssen sie auch existieren können.« Es sei klar, dass die OP eine sehr elegante Lösung gewesen sei. Dadurch habe es bei ihrer Mutter auch »Klack« gemacht. Lio stelle sich unterschiedlich vor, »als Aline oder später dann auch als Lio«. Es sei manchmal einfacher, je nach Situation. »Es ist vielleicht auch ein bisschen faul, aber irgendwie, ja, machst du es dir ein bisschen einfacher.« Manchmal übernehme sie lieber den männlichen Part, rede nicht und dann müsse sie auch nicht den »peinlichen Blicken« 43 vgl. dazu auch Metzger (2013), S.7 45 versuchen auszuweichen. Mit siebzehn, anfangs achtzehn habe sie sich beraten lassen, da es sich »so wie zugespitzt« habe und da habe sie »wirklich einfach zwei Linien oder einfach zwei Wege eigentlich« gesehen. »Und eigentlich entweder den Weg - entscheide ich mich dafür oder entscheide ich mich nicht dafür. Möchte ich einen Weg gehen, wo mit viel Risiken verbunden ist oder möchte ich einfach irgendwie versuchen einen Kompromiss mit mir selber zu stellen und irgendwie versuchen selber damit klar zu kommen.« Chris werde oft als Frau gelesen, worüber er sich dann »diebisch« freue. »Ich habe zuerst den weiblichen Teil annehmen können. Und wo ich den wie sozusagen integriert habe, hat der männliche Teil sich wieder gemeldet und gefunden: Hey, jetzt bin ich an der Reihe. Der weibliche Teil ist auch ein Teil von mir. Der ist immer da, der ist einfach nicht so an der Oberfläche. Meistens.« Er glaubt, dass Männlichkeit und Weiblichkeit in unserer Gesellschaft wichtig seien, wenn es darum ginge Sexualität zu leben, »oder in zwischenmenschlichen Beziehungen vielleicht generell«. Das würde jedoch nicht bedeuten, dass »man sich so starr an die Vorstellungen halten muss. Weil es gibt ja immer irgendwo auch fliessende Übergänge, wo man ein bisschen auch provozieren kann.« Einige der Befragten beschreiben die Einordnung, beziehungsweise Angleichung an Frau oder Mann als wichtiges individuelles Bedürfnis. Nicht nur aus persönlichen Gründen, wie uns scheint, sondern auch in Hinblick auf soziale Akzeptanz, was offenbar nur durch eine ›passende‹ Erscheinung erreicht werden kann. Tägliche Konfrontationen im Alltag bedeuten für Trans*menschen eine beständige Auseinandersetzung mit Geschlecht und sich selber und ist oftmals mit grossem sozialen Druck verbunden. Einige sind auch der Ansicht, dass Trans*menschen sich diesem Druck beugen und sich deswegen für das Leben als Frau oder Mann entscheiden. Diese Wünsche und Ansichten verdeutlichen, dass auch Lebenskonzepte von Trans*menschen Geschlechternormen bestärken können, indem sie nach sozialer Akzeptanz streben, sich in die bestehende Geschlechterordnung einfügen und damit hegemoniale Normen und Werte wiederholen. An Lio und Luisa lässt sich aufzeigen wie mit diesem sozialen Druck umgegangen wird. Beide sprechen davon, dass sie manchmal versuchen den ›einfacheren Weg‹ zu wählen, indem sie sich nicht als trans erkenntlich zeigen. Im Gegensatz zu Lio hat sich Luisa einer Geschlechtsangleichung unterziehen lassen. Sagt aber auch, dass sie dies ganz stark hinterfragt und dass sie anfänglich nicht in Frau/MannSchemen gedacht habe, sondern bezieht den Wunsch zur Veränderung auf einen rein körperlich [ästhetischen], der nichts mit Geschlecht zu tun habe. Luisa äussert sich zwar klar, dass trans in ihren Augen keine Krankheit darstelle, aber dass es viele »Folgeprobleme« mit sich bringe, gerade in der Transition, die einen enormen Druck auslöse. »Wenn halt einfach 46 die existentiellen Sachen schon fehlen, dann bist du vielmehr abhängig davon, dass du dich adaptierst an ein Umfeld.« Lio spricht in dem Zusammenhang davon, dass sie ihren weiblichen Körper noch nicht vollständig akzeptieren könne und sich deswegen die Brüste abbinde. So könne sie sich als Mann bewegen ohne sich Fragen und Neugierde aussetzen zu müssen. Wir gehen davon aus, dass einem Passing vor allem aufgrund der klar voneinander getrennten Geschlechter so viel Wichtigkeit zukommt. Wären die Geschlechter nicht dermassen determiniert von bestimmten Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, wären sie nicht derart aufgeladen mit geschlechtlichen Konnotationen und würden sich die Geschlechterrollen ohne viel Gegenwehr und Zwang verschieben lassen, wären womöglich nicht-heteronormative Konzeptionen von Geschlecht denkbar und lebbar. Und zwar auf eine Weise, in der sie nicht versteckt oder geheim gehalten werden müssten. 4.4 Diskriminierung Trans*menschen sind täglich von Ausgrenzung, Benachteiligung, Herabwürdigung und Gewalt betroffen, teilweise weil in ihrer Umgebung kein oder nur wenig Wissen über die Trans*thematik besteht oder dieses mit Vorurteilen behaftet ist. Oft finden die Diskriminierungen im öffentlichen Verkehr statt, weshalb häufig bereits der Arbeitsweg eine sehr grosse Hürde darstellen kann. »Das Umgehen der Idioten, habe ich dadurch erreicht, in dem ich mir ein relativ grosses Auto gekauft habe«, erzählt uns Luisa. Indem man sich aus der Öffentlichkeit zurückziehe, sei man den Blicken und Beleidigungen nicht mehr ausgesetzt. »Am Löwenplatz bin ich einmal von einer Gruppe Jugendlichen niedergeschlagen worden. Dort habe ich mir gesagt, während der Transitionsphase muss ich mich nicht im öffentlichen Verkehr bewegen.« Es sei am einfachsten, wenn man die Öffentlichkeit meide, bis die Transition abgeschlossen sei. Sich zu wehren sei ihr aber immer wichtig gewesen. »Auch wenn man auf den Grind bekomme.« Seit sie die Transition abgeschlossen habe, gebe es diesen »Genderkonflikt« nicht mehr, da sie nicht mehr auffalle. Besonders heikle und aufgeladene Orte stellen auch Orte der Intimität wie öffentliche Toiletten und Umkleidekabinen dar. Mit der strikten Trennung in Männer- und Frauentoiletten/kabinen wird das dichotome Geschlechtermodell bestätigt und keine Möglichkeit eines Dazwischen, eines Jenseits suggeriert. Der Umgang mit sozialen Normen in Bezug auf die Toiletten-Segregation ist ein deutlicher Hinweis auf den heterotopen Charakter dieser Räume. Die Piktogramme an den Kabinen und Toilettentüren unterscheiden 47 durch die Symbole Rock oder Hose in weiblich oder männlich und sind für die geschlechtsspezifische Differenzierung kennzeichnend geworden.44 Lio wird auf dem Frauen-WC oft mitgeteilt, dass sie »falsch« sei. Eine lange Zeit sei sie deshalb auf die Männer-Toilette ausgewichen. Auch in der Sportumkleidekabine hätte es schon Aufruhr gegeben, »Oh Gott, ein Mann ist in der Frauenumkleidekabine«. In solchen Situationen würden sich jeweils »beide Seiten« extrem unwohl fühlen. Früher hätte sie deswegen nicht am Sportunterricht teilgenommen. Heute muss sie aufgrund ihrer Ausbildung wieder Sport machen, sie werde damit konfrontiert, sie müsse »halt einfach«. Stephanie habe nie Probleme auf öffentlichen Toiletten gehabt, da sie gewusst hätte, wie weit sie gehen könne. Dass Frauen in der Übergangsphase jedoch ein Problem hätten, wenn »so jemand« auf der Frauentoilette sei, verstehe sie. Das müsse »man halt einfach akzeptieren« und einen Weg finden. Für sie habe dies nichts mit Diskriminierung zu tun. Oft bietet auch die Art der Kleidung eine Angriffsfläche. Daniela laufe bewusst nicht in einem Minirock und hohen Absätzen herum. Damit falle man auf und dies könne »Häme, Spott und Ausgrenzung« bedeuten. Es komme immer darauf an, wie man sich »ausstelle«. Auch Stephanie betont, dass es nicht »adäquat« sei, wenn »du mit einem kurzen - ich meine, ich bin 48, bei mir passt ein Jupe, wo so kurz ist einfach nicht mehr dazu. Und da gibt es viele, wo das halt schön finden und es machen und dann muss man halt damit akzeptieren, dass man dann halt angepfiffen wird oder weiss ich nicht was. Und das sind halt die Sachen, wo man – ja, man muss es dann akzeptieren. Gewisse Sachen gehören dann dazu. Und das ist für mich eben die Regeln von der Frau auch zu akzeptieren«. Diskriminierung findet ebenso im schulischen oder beruflichen Umfeld von Trans*menschen statt und beginnt meist schon in jungen Jahren. Katja hätte sich von ihren Schulfreund_innen viel anhören müssen, von »Schwuchtel und Zeugs und Sachen«. Bei der Stellensuche hätte man ihr auch schon gesagt, »so etwas wie sie« könne man hier nicht gebrauchen. Sie vergraule alle Kunden. Auch Helena hatte im Verlauf ihrer Transition massive Probleme mit ihrem Arbeitgeber und wurde entlassen. Sie hätte sich danach als Frau neu beweisen müssen und sie sei nun auch als Frau von Diskriminierung betroffen. Stephanie glaubt, dass es an den Transmenschen selber liege: »Es gibt sehr viele, wo ja arbeitslos werden.45 Und das hat, aus meiner Sicht, hat das primär mit der betroffenen Person zu tun. Sag ich jetzt einfach. Nicht nur, weil ich’s jetzt nicht, weil ich’s anders erlebt habe. Es ist die Frage, wie man das Outing 44 45 Schuster (2010), S.221 Siehe Abstract zu »Transpersonen und Arbeitsmarkt« im Anhang 48 macht, wie viel tut man, erwartet man vom Umfeld, wie verhält man sich?« Luisa berichtet kaum von negativen Erfahrungen, sie sei schlau gewesen, habe sich selbstständig gemacht und daher mit weniger Problemen zu kämpfen gehabt, sondern »halt das gemacht, was ich sowieso kann«. Sie erklärt, dass »wenn man selbstständig ist, dann spielen vielleicht auch diese Sachen nicht so eine Rolle. Mann, Frau, sondern machst du die Arbeit gut«. Ihre Mitarbeiter hätten irgendwie auch davon gewusst. Es sei ein Thema gewesen. »Wenn du viel und intensiv arbeitest, dann weisst du eigentlich auch viel voneinander.« Der grösste Konflikt hätte ihre Mutter gehabt. Sie hätte Marginalisierung und einen sozialen Abstieg befürchtet, was besonders durch negative Erfahrungen mit der Transthematik in Spanien zu tun gehabt hätte. Romeo Koyote Rosen ist früher oft als »Freiwild« oder als »Prostituierte« bezeichnet worden. Seit er_sie jedoch die Häärchen trage und von einem Grossteil der Bevölkerung als Mann gelesen werde, hätten die negativen Erfahrungen abgenommen. Trotzdem werde er_sie manchmal darauf angesprochen, ob er_sie sich verkleide, ob die Haare echt seien und die Leute würden ihm_ihr ins Gesicht fassen. Chris hat eher wenige Momente erlebt in denen er Angst gehabt hätte als trans* entdeckt oder erkannt zu werden. In der Regel seien die Situationen eher »humorvoll« gewesen. Es gäbe jedoch schon gewisse Kreise oder Situationen »im Ausgang, nachts, unterwegs auf der Strasse, wo man lieber anonym bleiben möchte«. Auch in der LesBiSchwulen Szene finden Ausschlüsse und Ausgrenzung statt. Laut Kai seien es vor allem »Lesben der älteren Garde«, die zum Beispiel an einer Frauenparty Mühe hätten wenn Transmenschen oder Männer anwesend seien. Er fände es spannend, dass Leute, die selber viel Toleranz fordern, selber nicht sehr tolerant seien. Selbst betroffen sei er von diesem Ausschluss jedoch nicht. Es sei auch eine Einstellungssache, »warum soll ich nicht an diesen Event und meine Kollegen treffen, nur weil sich etwas verändert hat«. Freunde von ihm hätten aber irgendwann keine Lust mehr auf diese Partys gehabt, weil sie sich alleine und ausgegrenzt gefühlt hätten. Romeo Koyote Rosen habe sich nie als Mann gesehen. »Oder vielleicht nur am Anfang, weil’s alle gesagt haben. Sogar die Lesben im Lesbenkuchen, [das war 2001, zu Beginn der queeren Bewegung in der Schweiz], das war ganz schlimm. Weil die mich zum Teil anerkannt haben und ich durfte auch rein. Aber die haben mir dann eher gesagt – ja, du musst noch mehr auf Mann machen – und sie haben hierher gelangt« [zeigt auf seine_ihre Brust]. Manche Lesben hätten wohl gemeint, dass er_sie sich die Brüste abbinden soll. Er_sie habe 49 sich so irgendwann vom »Lesbenkuchen« distanzieren müssen, »weil mir bewusst geworden ist, dass der politische Aktivismus aus den für mich wichtigen achtziger und neunziger Jahren zu einer Art normativen Homosexualität verkommen ist«. Er_sie habe eine Freundin, die einen sozialisiert-›biologisch‹ männlichen Körper habe und sich lesbisch fühle, für sie sei es fast unmöglich eine Freundin zu finden. Ausserdem werde Romeo Koyote Rosens Freundin im »Lesbenkuchen« oft darauf angesprochen ob sie »eine Frau oder ein Mann« sei. Romeo Koyote Rosen möchte eher queer leben, »noch mehr lernen über diese Auflösung, als was bezeichne ich mich dann, wenn ... Ich möchte das noch vielmehr öffnen und lernen. Bisexualität ist für mich persönlich auch inakzeptabel, weil ich davon ausgehe, dass es letztlich weder Mann noch Frau gibt und ich ausschliesslich für Geschlechtervielfalt bin. Auch hier bin ich sehr für eine Wortschöfpung und eine gänzlich neue Sichtweise«. Die Interviews zeigen, dass Gewalt und Diskriminierung zu den Erfahrungen von Trans*menschen gehören. Wenn Trans*menschen nicht den herkömmlichen Geschlechterkonzepten entsprechen können oder wollen, werden sie laut den Berichten unserer Gesprächspartner_innen angepfiffen, verprügelt, belächelt, ausgegrenzt oder auf unangenehme Weise ausgefragt. Vor allem die Frage nach der Zuordnung zu einem klaren Geschlecht und einer eindeutigen Sexualität – »Was bist du denn jetzt, Frau oder Mann? Homo oder Hetero?« verstehen wir als diskriminierend. Nicht nur das Was, welches die Trans*person herabwürdigt und als ›anders‹ erklärt, sondern auch die klare Trennung zwischen den Geschlechtern, Frau und Mann, und die Unterscheidung zwischen den sexuellen Begehren, heterosexuell und homosexuell, vermögen in so machtvoller Weise die Körper und die sexuellen Begehren der Betroffenen als ›unnatürlich‹ und ›abnormal‹ ausweisen. Dabei werden gleichzeitig hegemoniale Annahmen von ›gesunden‹ und berechtigten Körpern getroffen und darüber entschieden, welche sexuelle Verhaltensweisen als ›normal‹ und welche als ›pervers‹46 gelten. Auch wenn ein paar der Befragten von anderen Trans*menschen Verständnis für Diskriminierung und Ausschluss einfordern [es sei eine »Einstellungssache«] und der Überzeugung sind, dass Diskriminierungen, Ausschluss, Stigmatisierung und Pathologisierung »dazu gehören« und akzeptiert werden sollten, sind wir der Ansicht, dass diese nicht als Gegeben hingenommen werden sollten, sondern stark hinterfragt und angefochten werden müssen. Obwohl die Trans*thematik in der Schweiz mehr Aufmerksamkeit erhält als vor ein paar Jahren und das Wissen unterdessen ausgereifter ist, möchten wir darauf verweisen, dass aufgrund wenig oder überklischiertem Wissen zu trans* Übergriffe und Ausschlüsse stattfinden. Das geht vor allem auch auf die Diagnose 46 vgl. Foucault (1977), ab S.41 50 zurück, welche Trans*menschen als »krank, unnatürlich, nicht richtig, abweichend [und] unnormal befindet«47 und sie in dichotome Geschlechterrollen zwängt. 4.5 Umgang mit Normen und Begriffen Wir haben mit unseren Gespächspartner_innen über ihren Umgang mit Normen, Begriffen, und Diskursen gesprochen. Manche finden in bereits bestehenden Ausdrücken oder Theorien eine Erklärung, andere haben eigene Definitionen oder Erkenntnisse für sich geschaffen oder gefunden. Als Ausgangspunkt dieser Diskussionen haben wir unsere Gesprächspartner_innen gefragt wie sie Geschlecht definieren, inwiefern Geschlecht gesellschaftlich konstruiert ist, ob es allenfalls ein ›seelisches Geschlecht‹ gibt, also ein Geschlecht der Seele, das nicht mit dem körperlichen, ›biologischen Geschlecht‹ übereinstimmt und ob ein vorgängiges Geschlecht existiert, welches vor der Geburt bereits festgelegt ist. »Angeboren nein, das macht für mich keinen Sinn. Geschlecht ist für mich eigentlich etwas Soziales. Es kann erst anfangen zu wachsen, sich entwickeln, in Kontakt mit anderen Menschen«, meint Chris. Er unterscheidet zwischen »drei verschiedene Sachen«, dem persönlichen/inneren/internen Geschlecht, einem sozialen Geschlecht, das was nach aussen gelebt wird und dem ›biologischen Geschlecht‹. Führt aber auch aus, dass »wenn ich nur für mich alleine bin, also nicht in einem sozialen Kontext, nicht in einem sozialen Kontakt mit anderen Leuten, dann spielt mein Geschlecht gar keine Rolle. Das heisst, das interne Geschlecht, das gibt’s in dem Sinne gar nicht isoliert – es ist auch sozial«. Das Konstruktivistische sei für ihn ein »stimmiges Modell«, was bedeutet, dass er von einem konstruierten Geschlecht ausgeht. Lio hingegen spricht sich ganz gegen Begriffe wie ›biologisches‹ oder ›seelisches Geschlecht‹ aus, sie könne damit nicht wirklich etwas anfangen. »Es ist nicht so ein seelisches Geschlecht oder so. Es ist mehr so nach dem Gefühl.« Auch Luisa lehnt den Begriff des »Seelischen« ab, sie benutzt lieber den Ausdruck »Empfinden« und führt aus, »manchmal willst du einfach deinen Körper optimieren«, sie habe anfangs gar nicht in Mann/Frau-Schemen gedacht, sondern es ginge eher darum, was ihr besser gefalle. Sie habe sich »mit der Gesellschaft«, in der es diese beiden Begriffe gäbe, »versöhnt«, und sich auf einen Kompromiss geeinigt, »obschon es in ihrem Geist wirr aussehe«. Für Daniela ist das »Biologische« eine Grundlage und das »Gesellschaftliche« ein Einfluss. Für sie sind jedoch die Grenzen zum »Fetisch« sehr nahe. »Also weisst du, wo ist denn der Ursprung, ist es [das Transsein] irgendwo durch in einem Fetisch oder ist es irgendwo 47 Butler (2009), S.124 51 drinnen?« Mit Fetisch meint sie die Fixierung auf ein Teil, sei dies ein Rock oder hohe Schuhe. Hierbei fragt sie sich, ob Transsein nicht einfach aus einem Fetisch heraus entsteht, wobei sie für sich selbst eine andere Erklärung hat. »Und - ich - ich sage jetzt einmal - ichich bin so geboren.« Daniela erzählt, dass ihre Mutter im dritten Schwangerschaftsmonat eine Hormonspritze erhalten hat. Für sie sei das eine mögliche These (Hormonthese), welche ihr Geschlecht bestimmt haben könnte. Dies sei jedoch für ihr Leben im Endeffekt nicht relevant. Es sei wahrscheinlich beides »nicht ideal«, wenn man nur »das mentale Geschlecht oder nur das körperliche, ›biologische Geschlecht‹ als gültig akzeptiere«, meint Helena. Es müsse wahrscheinlich für jede Person zueinander passen, auf seine Art. »Also, wenn jemand sagen kann, ja gut, ich bin halt jetzt mental dazwischen oder eindeutig auf der Seite. Aber körperlich will ich jetzt nichts ändern. Oder es gibt auch solche, die einfach nur Implantate haben, aber sonst die Genitalien noch haben. Das hat für mich nicht gestimmt. Und mein Ziel ist es auch gewesen möglichst natürlich zu bleiben.« Ein »Bäbi« zu werden sei nicht ihr Anspruch gewesen. Zusätzlich diskutierten wir über unterschiedliche Formen von sexuellen Begehren und fragten nach der Verbindung von Geschlecht und Sexualität. Helena erklärt, dass sie und ihre Frau »kein traditionell homosexuelles Paar« seien. Es sei wirklich etwas Neues. »Ich stelle mich nicht auf die Ebene von Homosexuellen. Wenn sich auch die Ausrichtung gegenüber von früher geändert hat.« Mit der »neuen Anatomie« hätten sich ihre sexuellen Präferenzen verändert, es sei völlig »anders« geworden. So fühle sie sich im Vergleich zu früher nicht mehr von Männern abgestossen sondern angezogen. »Die sexuelle Aktivität wäre heute eben schon eher mit einem Mann. Das hat geändert. Grundsätzlich.« Romeo Koyote Rosen bezeichnet sich als »lesbisch sozialisiert, wenn überhaupt«. Seine_ihre Position, als vielfach gegensätzliche, beruht auf der Erkenntnis, dass es keine Rolle spiele, ob ein Mensch eine Frau oder ein Mann, lesbisch oder schwul sei. Er_sie berichtet von seinem_ihrem Schlüsselerlebnis an einem Wettbewerb für Dragkings und Dragqueens »im LGBTI, beziehungsweise im Homosexuellen, oder im queeren Castroviertel in San Francisco« als vor ihm_ihr »ein schwarzes Erdwesen, eine schwarze Person, also eine afroamerikanische Person war, die hatte ziemlich viel Muckis und so ein Träger-T-Shirt an und ich war echt vor dieser Person und hab gedacht: Ist sie ein Mann? Ist sie eine Frau? Ist sie ein Mann? Und irgendwann habe ich mich zurückgelehnt und hab gedacht: Ah fuck, es kommt gar nicht drauf an.« Ab dem Moment hätte es das Mann/Frau-Schema nicht mehr gegeben 52 und er_sie wusste auch, dass er_sie »selbst als Lesbe überdenken muss, was das jetzt heisst«. Die Mehrzahl der befragten Trans*menschen stellen das binäre Geschlechterkonstrukt von Frau und Mann in Frage, ordnen sich jedoch durch verschiedene Massnahmen und Auffassungen in die bestehenden Kategorien ein, wodurch diese wiederum bestätigt und reproduziert werden. Helena versteht zum Beispiel ein »Zwischendrin«, zwischen den Geschlechtern nicht. »Entweder will man in die Rolle von der Frau oder man will in der Rolle des Mannes bleiben. Irgendwas dazwischen, das ist einfach wirklich undefiniert. Ich verstehe es nicht für mich. Ich akzeptiere es natürlich. Ich bin offen. Aber für mich ginge es nicht.« Bestehende Normen und kulturelle Einflüsse haben eine erhebliche Einwirkung auf Trans*menschen und beeinflussen sie in ihrer Lebensgestaltung. Diese Annahme zeigte sich insbesondere in den Erzählungen zur Hormonbehandlung und wird auch in anderem Recherchematerial 48 wie Arbeiten zum Thema, Interviews, die online zu finden sind, persönliche Blogs oder Videos, bestätigt. So beteuern alle Befragten, die Hormone einnehmen oder eingenommen haben, dass die Hormonbehandlung einiges auslöse und bewirke: »Dann merkst du plötzlich. Du lebst in einer anderen Welt. Die Männerwelt ist tatsächlich viel einfacher. Auch die Gefühlswelt ist wirklich einfacher. Und Männer können nichts dafür. Ich sage immer so ein Bild, wenn du schon einmal schnorcheln warst: Eine Frau. Von der Gefühlslage und was sie wahrnimmt. Sie sieht einfach viel tiefer, viel mehr, viel farbiger. Ein Mann, der sieht vielleicht drei Meter. Eine Frau sieht vielleicht hundert Meter«, stellt Stephanie fest. Auch Katja beschreibt, dass sich ihr Denken durch die Hormoneinnahme verändert habe: »Ja, das Denken ist anders. Also – äh – ja, ich denke nicht mehr wirklich wie ein Mann.« Hierbei werden wiederum geschlechtliche Konzepte von Frau und Mann bestätigt, wobei sie klar voneinander getrennt werden. Vorstellungen, die Klischeebildern von Weiblichkeit und Männlichkeit entsprechen, die durch solche Aussagen bestärkt und als ›natürlich‹, schon immer bestehend, erachtet werden. Daniela zum Beispiel geht davon aus, dass die Hirnstruktur bei Frauen und Männern unterschiedlich ist und, dass sie ein weibliches Gehirn besitzt, womit sie geschlechtsspezifische Denkmuster als ›natürlich‹ erachtet/bestimmt. Einige der befragten Personen bezweifeln, dass sie gesellschaftliche Idealvorstellungen inkorporiert hätten, auch wenn sie deren Bestehen nicht absprechen. Ihrer Ansicht nach würden sie durch die Transition und ihr Passing nicht Normen oder heteronormative Ideale 48 Siehe Anhang S.68 »Weiterführende Literatur zu trans*, Gender und Empirie« 53 stärken, sondern sie folgten ausschliesslich einem ›inneren‹, persönlichen Wunsch nach einer Veränderung ihres Körpers oder ihrer körperlichen Ausdrucksweise. So könne sich Luisa zwar vorstellen, dass das Bedürfnis nach einer geschlechtsangleichenden OP von einigen Transmenschen kleiner wäre, wenn die klaren Kategorien Frau und Mann nicht existieren würden. Sie erklärt aber auch, dass sie die OP wahrscheinlich trotzdem gemacht hätte. »Weil im Nachhinein hat mich auch die Nacktheit gestört. Ich habe mich nicht schön gefunden.« Sie glaubt nicht, dass dahinter ein gesellschaftlicher Druck stehe, sondern »man schaut sich im Spiegel an und man findet, nein, das gefällt mir nicht, was ich hier sehe.« Unserem Einwand, dass der Blick auch gesellschaftlich bestimmt sei, stimmt sie zu und sie meint: »Wir sind natürlich ein Produkt der Werbung und so.« Auch Katja antwortet widersprüchlich auf die Frage, ob sie die Hormonbehandlung wiederholen und noch immer eine Geschlechtsangleichung durchführen lassen würde, wenn die Gesellschaft offener wäre: »Also ich hätte es wahrscheinlich so oder so gemacht, also – ich habe im Vorhinein schon gewusst, auf was ich mich eigentlich einlasse. Das wurde mir jedes Mal wieder gesagt, dass es wirklich anstrengend und ein langer Weg sei – und jetzt im Nachhinein – ich würde es kein zweites Mal machen.« Lio hingegen hat sich schlussendlich gegen die Geschlechtsangleichung entschieden, mit der Erklärung, dass sie diesen Körper bekommen habe. »Das ist jetzt vielleicht ein wenig blöd. Aber es ist auch sicher aus gutem Grund, wieso ich jetzt so bin.« Ausserdem habe sie viele Menschen gesehen, die »traurig waren mit ihrer Entscheidung den Schritt gemacht zu haben«. Sie möchte sich nicht die ganze Zeit mit der Frage herumquälen, ob sie es bereue. Sie distanziert sich von den FtMs vom Transstammtisch.49 Anfangs wäre es sehr informativ gewesen, aber sie habe bald bemerkt, dass es in eine Richtung gehe, »wo Stereotypen vertreten sind« und damit müsse sie sich nicht auseinandersetzen. »Weil ich möchte nicht einen Stereotyp darstellen. Ich möchte nicht das Bild von einem Mann herstellen oder darstellen. Sondern immer noch mich selber sein. Das ist eigentlich ein Weg, wo du ganz persönlich für dich alleine machst und wo du dich kennenlernst.« Unter Trans*menschen oder in der Szene sind Begriffe wie ›seelisches‹ und ›biologisches Geschlecht‹ geläufig. Einige unserer Gesprächspartner_innen sprechen anstatt von dem eher theoretischen Begriff des sozialen Geschlechts von einem mentalen, persönlichen oder ›inneren‹ Geschlecht. Für viele besteht jedenfalls der Konflikt, in einer gefühlten Dichotomie zwischen ihrem angeborenen körperlichen, ›biologischen Geschlecht‹ (sex) und dem 49 Zürcher Transmänner-Stammtisch 54 gefühlten, inneren Geschlecht. Wobei aus einer konstruktivistischen Perspektive behauptet werden könnte, dass es nur das soziale Geschlecht gibt. »Wenn man den unveränderlichen Charakter des Geschlechts bestreitet, erweist sich dieses Konstrukt namens Geschlecht vielleicht als ebenso kulturell hervorgebracht wie die Geschlechtsidentität. Ja, möglicherweise ist das Geschlecht (sex) immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen, so dass sich herausstellt, dass die Unterscheidung zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität letztlich gar keine Unterscheidung ist.«50 Butler verweist hier auf den konstruktivistischen Charakter von Geschlecht, demzufolge Geschlecht nicht einfach so existiert und seine »Wirklichkeit diskursiv produziert wird, nämlich durch verschiedene wissenschaftliche Diskurse«. 51 Kulturelle Einflüsse werden von den Körpern einverleibt und werden auf den Körpern, nach aussen hin »vergeschlechtlicht«. Es entstehen also Annahmen über Körperlichkeiten und Geschlechtlichkeiten, welche auf diesem Prozess der Einverleibung basieren. So stellen wir starre Begriffe wie ›seelisches‹ oder ›biologisches Geschlecht‹, die von einer ›Wahrheit‹ oder einer ›Natürlichkeit‹ ausgehen, stark in Frage und möchten statt dessen Begriffe wie soziales Geschlecht, Geschlechtsidentität oder gender stärken, die das Geschlecht als konstruiert ausweisen und zugleich die Unterscheidung in zwei klar voneinander getrennte Geschlechtskörper, Frau und Mann, und der sexuellen Begehren in heterosexuell und homosexuell, aufbrechen. Genauso erachten wir weitere Einteilungen wie in Frau, Mann, Transfrau, Transmann, Hermaphrodit_in oder in lesbisch, schwul, bisexuell oder asexuell zwar als wichtig, möchten sie aber gleichzeitig problematisieren. Kategorien schaffen Sichtbarkeit, wobei neue Handlungsräume entstehen. Gleichzeitig gilt zu bedenken, dass durch den Gebrauch von Kategorien auch immer andere Menschen wiederum ausgeschlossen werden. Unter Terminologie haben wir ausgeführt, dass wir den übergeordneten Begriff trans* benutzen wollen, der unterschiedliche Kategorien fasst, also auch Raum lässt für weitere Geschlechtlichkeiten und Sexualitäten. Damit wollen wir mit einem Begriff arbeiten, der einerseits auf die Unsichtbarkeit von nicht-heteronormativen Lebenskonzepten hinweist, andererseits selbst nicht zu einer geschlossenen Kategorie werden sollte und sich verbeugen, dehnen, öffnen und sich anders anwenden lässt, und zwar jederzeit. Mit Butlers Position aus Körper von Gewicht können wir also abschliessend sagen, dass Identitätsbegriffe bejaht und verwendet werden sollen, »doch müssen dieselben Vorstellungen Gegenstand einer Kritik an den ausschliessenden Operationen zu ihrer eigenen Herstellung werden: [...] Wer wird von welchem Gebrauch des Begriffs repräsentiert, und wer wird ausgeschlossen? Für wen stellt der Begriff einen unmöglichen Konflikt zwischen rassischen, ethnischen oder religiösen 50 51 Butler (1991), S.24 Ebd. 55 Zugehörigkeiten und sexueller Politik dar? Welche Arten politischer Inhalte werden von welchen üblichen Verwendungen des Begriffs ermöglicht, und welche geraten in den Hintergrund oder werden aus dem Blick entfernt?«52 52 Butler (1993), S.312 56 5 Fazit / Schlussbemerkungen Aus dieser Arbeit resultieren für uns neue Erkenntnisse und ein gestärktes Bewusstsein für Menschen, die teilweise unsichtbar scheinen. Einige Fragen blieben unbeantwortet, doch hat sich der Raum für Diskussionen dadurch nur mehr erweitert. Die Auseinandersetzung mit dem Thema trans* und die Gespräche haben uns viele freudige Momente beschert, aber auch für Fassungslosigkeit, Wut und Unverständnis unsererseits gesorgt. Wir beschäftigten uns mit Lebensgeschichten von Menschen, die ungerecht behandelt werden, in vielerlei Hinsicht benachteiligt sind und die heteronormative Kraft der Geschlechterordnung am meisten zu spüren bekommen. Nicht nur, weil sie sich in der heteronormativen Ordnung entscheiden müssen in der einen Geschlechterrolle zu leben und diese kein Dazwischen oder Jenseits der normativen Geschlechterkonzepte zulässt. Auch die rechtliche Lage ist nur sehr beschränkt bis unzureichend auf Trans*menschen ausgerichtet. So sind die kantonalen Unterschiede, was die bürokratischen Regelungen bezüglich Personenstandsänderung, Namensänderung, Ausgabe der Hormone, Möglichkeiten zur operativen Geschlechtsangleichung betrifft, dermassen unterschiedlich, dass sie ziemlich willkürlich erscheinen. Auch weil sie von vielen verschiedenen Instanzen wie Gericht, Ärzte, Psychiater und Krankenkasse abhängen und ihre Handhabung sehr intransparent ist. Fraglich bleibt, ob Trans*personen die Geschlechtsangleichung auch vornehmen würden, wenn für die Personenstandsänderung keine operativen oder hormonellen Massnahmen verlangt wären. Viele unserer Gesprächspartner_innen weisen ihren Wunsch nach einer Anpassung an ein bestimmtes Geschlecht als einen rein persönlichen aus und erklären es sich mit einem ›inneren‹ Begehren, einem frühkindlichen Gefühl, das sie als ›anders‹ hat empfinden lassen. Doch was heisst ›anders‹ und was bedeutet es? Im Kontext der Trans*thematik wird dieses ›Anders‹ oft als etwas Unstimmiges, Unpassendes betrachtet, wenn die Person sich zum Beispiel nicht dem einen oder anderen Geschlecht angehörig gefühlt hat oder fühlt und dabei wird in jedem Fall von einem binären Geschlechterbild ausgegangen. Interessant für uns ist die Frage, warum in einer Gesellschaft, die sich gegenüber verschiedenen Variationen von sexuellen Identitäten und Begehren öffnet, die Starrheit der Rollenbilder entsteht und vor allem auch bestehen bleibt. Wir mussten feststellen, dass auch wir in den Gesprächen häufig von zwei Geschlechtern, von weiblich und männlich, gesprochen haben und dadurch die Dichotomie selbst wiederum gefestigt und bestätigt haben. Nicht nur durch diese Sprachlichkeit, sondern auch durch einfache Verhaltensweisen, die wir zwar hinterfragen, aber dennoch leben und fortführen. Wichtige und einzige Möglichkeit stellt wohl das stetige Hinterfragen dieser Strukturen, Verhaltensweisen und Normen dar. 57 Für einige Befragte ist nach der Transition das Trans*sein kein Thema mehr. Sie wollen in ihrer neuen, angeeigneten Rolle leben und ihre Geschichte im ›falschen‹ Körper vergessen oder zumindest nicht immer thematisieren müssen. Sie schaffen sich durch ihr Passing ein neues Leben. Ihnen ist es wichtig sich in die binäre Geschlechterordnung einzufügen. Dieses Ziel der Transition haben wir versucht mit der Kategorie ›Passing‹ zu fassen. Die Mehrheit unserer Gesprächspartner_innen sind überzeugt, dass ihr Streben nach dem Leben in einem anderen Geschlecht als das zugeschriebene ›biologische‹ nichts mit dem sozialen Umfeld, einer Gruppenzugehörigkeit oder gesellschaftlicher Akzeptanz zu tun hat, sondern etwas ist, das sich im ›Innern‹ abspielt, obwohl sich viele als ›anders‹ wahrnehmen, was wir als Widerspruch begreifen. Denn ein ›Anderssein‹ kann sich nur in einem gesellschaftlichen Kontext, durch einen Vergleich entwickeln. Ohne ein perfektes Passing würden viele Trans*menschen noch mehr Diskriminierung erfahren, was bedeutet, dass immer ein sozialer Druck besteht, der Trans*menschen in eine gewisse Ordnung drängt, in diesem Falle betrifft das hauptsächlich die heteronormative Geschlechterordnung. Sie müssen sich entscheiden in der einen oder anderen Rolle zu leben, ohne dass dabei ein Raum für Geschlechtervielfalt und andere mögliche Formen entstehen kann. Nicht-heteronorme Geschlechtsidentitäten und nicht-heterosexuelle Sexualitäten gelten weiterhin als ›Abweichung‹ und ›anders‹, nicht der Norm entsprechend. Wie wir in unserer Arbeit zeigen konnten, versuchen Trans*menschen häufig im Alltag nicht aufzufallen. Sie benutzen die Toilette, in der sie möglichst niemanden stören, kleiden sich konform und versuchen keine »Aura der Irritation« zu erzeugen, indem sie zum Beispiel ihre Stimme anpassen oder gar nicht erst sprechen. Der Umgang mit Diskriminierung und Ausgrenzung gehört für Trans*menschen zum Alltag. Dies wird jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt. Einige Gesprächspartner_innen sind der Meinung, man solle sich damit abfinden, dass gewisse Regeln bestehen, die eingehalten werden müssen. Andere hingegen sind davon überzeugt, dass durch ein angepasstes Verhalten wiederum Menschen, die nicht der Norm entsprechen, marginalisiert und diskriminiert werden. Jene verstehen es als ihre Aufgabe Verwirrung zu erzeugen oder spielen gerne mit geschlechtlich konnotierten Accessoires, um so auf ein mögliches Jenseits der Geschlechternormen hinzuweisen, beziehungsweise um Geschlecht, sexuelles Begehren, geschlechtliche Verhaltensweisen und Geschlechtermerkmale als konstruiert auszuweisen. Viele der befragten Trans*menschen bewegen sich jedoch nicht zwischen oder ausserhalb der Geschlechternormen, sondern fügen sich in das bestehende Raster ein. In LesBiSchwulen Szenen lassen sich ähnliche Tendenzen feststellen, wie uns Romeo Koyote Rosen oder Kai 58 berichtet haben. Auch da geschieht ein Vorgang der Angleichung an dominierende Denkstrukturen und die Einreihung in die Zweigeschlechtlichkeit, beziehungsweise werden da ebenso ›neue‹ oder andere Formen von Geschlechtlichkeiten, Körperlichkeiten und Sexualitäten gesetzt, die zur Norm werden und somit andere wiederum als abweichend ausweisen. Die Diagnose und die damit verbundenen Sanktionen und Pathologisierungen innerhalb des medizinischen Diskurses definieren Trans*menschen als ›krank‹. Das wird damit begründet, dass den ›Patient_innen‹ mit der Diagnose ›geholfen‹ wird. Butler spricht in dem Zusammenhang von einer paternalistischen Geste. Trans*menschen bekommen dank der Diagnose (aber auch dann nur ansatzweise) medizinische Unterstützung, psychologische Betreuung, Hormone und eine bezahlte, operative Geschlechtsangleichung. Jedoch müssen sich Trans*menschen im Prozess der Diagnose Kategorisierungen und Pathologisierungen gefallen lassen. Sie werden an einem Massstab der Normalität gemessen und sind zugleich all den Untersuchungen und aufdringlichen Fragen ausgesetzt. Mit Butler fragen wir uns also, ob ein Sich-Aussetzen dieser Prozedur nicht einer Unterwerfung der Diagnose gleichkommt und Trans*menschen einige Aspekte der Diagnose verinnerlichen und sich so wirklich als ›krank‹ auffassen, beziehungsweise sich als ›abnormal‹ und ›anders‹ verstehen. Die Diagnose vermutet, dass Trans*menschen verzweifelt sind, sich unpassend fühlen und ein grosses Unbehagen bezüglich ihrer Geschlechtsidentität empfinden. Die Diagnose stellt nicht die Geschlechternormen in Frage und geht von deren Starrheit und Gültigkeit aus. Und sie fragt auch nicht, ob die Geschlechternormen Verzweiflung und Unbehagen auslösen, geschweige denn, ob nicht genau die Diagnose ›trans‹ Diskriminierungen bedingt und schliesslich der Grund für sehr viel Leid ist. Wir gehen davon aus, dass die tagtägliche Konfrontation mit dominierenden Normen unbewusst auf Trans*menschen einwirkt und beispielsweise den Wunsch nach einem reibungslosen Passing bestärkt, dessen Folge für die einzelnen Personen weniger Irritation, Demütigung und Diskriminierung darstellt. Wir haben aber auch mit Personen gesprochen, welche trotz der Normen versuchen Geschlecht in einem queeren Sinn zu leben und Geschlechtlichkeit als verspielten, offenen, fliessenden, flüssigen und spontanen Prozess anzusehen. Gerade um langfristig die nötige Akzeptanz für Trans*menschen zu schaffen, sind auch wir der Überzeugung, dass ein Ausbruch aus festgefahrenen Strukturen eine Notwendigkeit darstellt, um eine Befreiung aus heterosexistischen Normen, von Diskriminierung und psychischer Belastung zu erreichen. 59 ›Stay queer?‹, zielt auf die Lebendigkeit dieses Prozesses, der niemals stehenbleiben und sich fortwährend weiterentwickeln soll. ›Stay queer?‹, soll aber kein Befehl sein, sondern eine Möglichkeit. Das Fragezeichen symbolisiert jenen Denkprozess des Sich-Selbst- Hinterfragens und der Entwicklung eigener Taktiken/Lebensführungskonzepte, die nicht vorgegeben sind oder von einer vorherrschenden Norm bereits geformt, beziehungsweise gegeben sind. Stay steht einerseits für eine unbewegliche Form wie bleiben, verweilen, innehalten, standhalten und sistieren, was durch das queer wieder aufgelöst wird. Das Fragezeichen bedeutet Fluidität, Fluss, ein ewiges Weitergehen und Fliessen. Somit lassen sich die zwei Wörter verbinden und deuten auf etwas Unfassbares, Unbegreifliches, Unbeschreibbares, Unberechenbares, Unaufhörliches, Lebendiges hin, was für Verwirrung, Chaos und Aufsehen sorgt. Queer weist über den Begriff trans* hinaus und steht bei uns für eine politische Haltung, die wir stark machen möchten. Queer ist nicht nur ein Begriff, sondern auch eine Praxis, eine Weise zu denken, ein Ort für kollektiven Austausch und eine Weise politisch zu handeln, die niemals fix ist, sondern immer wieder überdacht und neu besetzt wird. Queer lässt sich nicht in Schranken halten, beschreiben oder festmachen. Queer ist verque(e)rt, verque(e)rend und somit ausserordentlich verwirrend. Aber genau deswegen auch wirkungsvoll und überraschend wie eine hinterhältige Taktik mit der niemals gerechnet werden kann, die in eine Ordnung eindringt und alles ›zunderobsi‹ bringt, sprich alles vermischt, verstreut, durcheinanderwirft und ein ›Chrüsimüsi‹ zurücklässt. Queer greift in die »heterosexuelle Matrix« ein und verwirft oder verwirrt gängige Konzepte von Frau und Mann, homo, hetero und bi, aber auch trans(*) und intersex und vereint somit verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Forderungen ohne die einen zu stärken und/oder andere zu schwächen. Queer durchbricht das binäre System der Geschlechter und legt einen Weg frei für ein gemeinsames Beisammensein, wobei Ein-und Ausschlüsse stets diskutiert und berücksichtigt werden und vor allem die eigene Position fortwährend als Fragezeichen offen bleibt. Offen für ›neue‹ Eindrücke, Menschen, Meinungen und vor allem aufnahmebereit für Kritik und Diskussionen, und das zu jederzeit. 60 6 Glossar / Begriffserklärungen Folgende Definitionen unseres Glossars benutzen wir um unser momentanes Verständnis von zentralen Begriffen, die für diese Arbeit besonders wichtig waren, festzuhalten. Dabei wollen wir sie nicht vorgeben oder in Stein meisseln, denn sie können unserer Ansicht nach nie abgeschlossen oder vollständig sein. Es sind Definitionen, die Macht re_produzieren, deshalb wollen wir vorsichtig damit umgehen. Wir haben uns bei der Ausformulierung auf die Definitionen unserer Gesprächspartner_innen, anderer Theoretiker_innen oder bestehenden Projekten oder Vereinen gestützt, welche sich im queeren oder Trans*feld bewegen. Alltagstest Der Alltagstest stellt einen temporären ›Geschlechterwechsel‹ dar. Trans*menschen, die sich für den Weg der Transition entscheiden, müssen in sämtlichen sozialen Bereichen im angestrebten Geschlecht leben, um damit Alltagserfahrungen für eine allfällig angestrebte irreversible Geschlechtsangleichung zu sammeln. Ein zweijähriger Alltagstest wird in der Schweiz von einigen Psychiatern und Gutachtern vorausgesetzt, um Hormone verschrieben zu bekommen und geschlechtsangleichende Massnahmen vornehmen zu dürfen. Androgynie Androgynie umschreibt die Zurückweisung der Binarität und die Befürwortung der Geschlechterrollen Weiblichkeit und Geschlechtsfluidität: Frau und Männlichkeit Mann, wenn die beziehungsweise verschwimmen, die Geschlechtergrenzen unkenntlich werden bis hin zu deren verschwinden.53 Bear Community Bear ist eine Eigenbezeichnung von einer Gruppe von LesBiSchwulen, (Trans*)Männern, manchmal auch Butches, die ihre Körperbehaarung mit Stolz tragen und bewusst betonen. 53 Rainbow Projekt 61 ›Biologisches Geschlecht‹ Das ›Biologisches Geschlecht‹, das Geburtsgeschlecht oder auch sex das körperliche Geschlecht fasst das Geschlecht, welches bei der Geburt auf ›biologischen‹, sogenannten ›natürlichen‹ Fakten basierend, bestimmt wird. Butch / Femme Butch / Femme ist eine Eigenbezeichnung von lesbischen (Trans*)Frauen, welche sich an einem stereotypen Geschlechtermodell orientieren und damit spielen. Eine Butch inszeniert sich durch Kleidung, Gestik, Verhalten und/oder äusserem Erscheinungsbild nach einem gesellschaftlich geprägten Bild eines Mannes. Eine Femme inszeniert sich stereotyp weiblich. Hierbei geht es nicht um die Nachahmung von Geschlechterrollen, sondern es werden neue Kategorien und Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit geschaffen. Cisgender Cisgender stellt den Gegenbegriff zu Trans*gender dar. Cis- Cis-Frau/Cis-Mann Frau und Cis-Mann beschreiben Menschen, die bei der Geburt als weiblich oder männlich zugeordnet werden und eine Übereinstimmung von ›biologischem‹ und sozialem Geschlecht (er)leben. Coming-out »Coming-out bezeichnet einen individuellen, sich ihrer_seiner Outing eigenen gleichgeschlechtlichen Empfindungen oder ihrer_seiner von gesellschaftlich festgelegter geschlechtlicher Identität oder Geschlechterrolle abweichenden Empfindungen bewusst zu werden und zu akzeptieren – und dies anschliessend dem näheren familiären und sozialen Umfeld mitzuteilen.«54 Obwohl Coming-out und Outing im deutschen Sprachraum üblicherweise nicht gleichgesetzt wird55, wurde dies von uns und unseren Gesprächspartner_innen anders gehandhabt. In unserer Arbeit sind die Begriffe gleichbedeutend. 54 55 Queer East Glossar Frankfurter Allgemeine: Was unterscheidet Coming-out und Outing? 62 Crossdresser_innen Crossdresser_innen ist eine Eigenbezeichnung von Menschen, die geschlechtsspezifische Kleidung des anderen als ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Geschlechts tragen. Steht nicht im Zusammenhang mit sexueller Orientierung. Hat die Bezeichnung Transvestit_innen abgelöst.56 Drag Drag umfasst eine Performance (oft auch auf einer Bühne), bei der ein gesellschaftlich konstruiertes Geschlechterbild, Weiblichkeit und Männlichkeit, in Frage gestellt werden kann. Durch Kleidung, Aussehen, Gesten oder Artikulation werden klischiert weibliche oder männliche Stereotypen nachgeahmt und parodiert. Durch das Vermischen der Geschlechterrollen schaffen die Performancekünstler_innen Provokation, Unterhaltung und brechen kategorisierte und festgefahrene Denkweisen auf. Drag Queens inszenieren weibliche und Drag Kings männliche Stereotypen. FtM Female-to-male, Frau-zu-Mann-Trans*person oder Trans*mann FtM ist eine Eigenbezeichnung von Menschen, die sich in der Transition von Frau zu Mann befinden oder diese bereits abgeschlossen haben. gender gap »Der Gender Gap ist eine nicht-diskriminierende Schreibweise. In dieser queer-feministischen Rechtschreibung steht zwischen dem Wortstamm und dem Anhängsel ›innen‹ ein Unterstrich. Der Unterstrich symbolisiert, dass es sich bei einer Personengruppe nicht nur um zwei Geschlechter handelt. Er ist eine symbolische Geschlechter-Lücke (Gender Gap) für alle anderen Geschlechter. Bsp.: Mit Teilnehmer_innen sind somit alle Personen gemeint, die sich weiblich, männlich, trans, intersexuell 56 LGBTQIA Resource Center Glossary oder nicht-ident verorten. Die Unterstrich- 63 Schreibweise kann im Sprechen mit einer Pause oder mit dem Wort ›Unterstrich‹ gekennzeichnet werden.«57 Geschlechtsangleichende Die Geschlechtsangleichende Operation (GAOP) beschreibt die Operation/ sekundäre und/oder primäre Angleichung der Geschlechtsangleichung Geschlechtsmerkmale an das angestrebte Geschlecht. LesBiSchwul Die Abkürzung LesBiSchwul (oder schwuLesBisch) fasst die Kategorien lesbisch, bisexuell und schwul zusammen und steht für einen Kampf gegen heteronormative Strukturen, die diese Gruppierungen allesamt ausschliessen. LGBT(QIA)* LGBT(QIA)* ist ein englisches Akronym für lesbian, gay, bisexual. Manchmal wird der Begriff mit T (trans), Q (queer or questioning) I (intersex) und A (allies) erweitert. Das Sternchen (*) soll alle Identitäten und Lebensformen symbolisieren, die sich nicht in das vorgegebene Spektrum einordnen lassen, aber dennoch von der gesellschaftlichen Norm der Heterosexualität abweichen. 58 Wir verwenden in dieser Arbeit den Begriff Trans*menschen, da wir es aus einer queeren Position als strategisch wertvoll erachten einen Sammelbegriff zu benutzen, der möglichst viele sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten zu fassen versucht. Mehrfachdiskriminierung Mehrfachdiskriminierung erfasst Diskriminierung aufgrund (Intersektionalität) unterschiedlicher Dimensionen wie ›Herkunft‹, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, soziale Situation oder »Körper mit einer bestimmten Befähigung oder Beeinträchtigung«.59 »Personen können also gleichzeitig mehreren benachteiligten Gruppen angehören und ganz bestimmten Formen von Diskriminierung ausgesetzt sein. In Situationen, in denen 57 Auszug Gender Institut Bremen Queer East Glossar 59 LesMigras 58 64 Diskriminierung aus mehr als einem Grund zum Tragen kommt, wird von ›Mehrfachdiskriminierung‹ gesprochen.«60 MtF Male-to-female, Mann-zu-Frau-Trans*person oder Trans*frau MtF ist eine Eigenbezeichnung von Menschen, die sich in der Transition von Mann zu Frau befinden oder diese bereits abgeschlossen haben. Passing Passing meint ein ›sauberer‹, unscheinbarer Übergang von einem Geschlecht zum anderen, beziehungsweise wenn eine Person als Angehörige_r des gewünschten Geschlechts (an)erkannt und akzeptiert wird. Personenstandsänderung Die Personenstandsänderung beschreibt die Änderung des geschlechtlichen Status in amtlichen Dokumenten. Der offizielle Ablauf der Personenstandsänderung ist in der Schweiz in den Kantonen unterschiedlich geregelt.61 queer Queer ist ein englischsprachiger Ausdruck für schräg, eigenartig oder merkwürdig. Queer war ursprünglich ein Schimpfwort für Schwule oder Menschen, die von der heteronormativen Norm abweichen. Heute wird der Begriff sowohl als Selbstbezeichnung in der LesBiSchwulen-Szene gebraucht als auch innerhalb eines theoretischen und politischen Diskurses, um Denk- und Lebensweisen anzudeuten, welche sich jenseits der »heteronormativen Matrix« verorten.62 Wir gebrauchen den Begriff vor allem im letzteren Sinne. Queer Theory »Die Queer Theory (dt: Queer-Theorie) analysiert gesellschaftliche Geschlechter- und Sexualitätsnormen und untersucht kritisch den Zusammenhang von biologischem Geschlecht, sozialen Geschlechterrollen und sexuellem Begehren. Die Queer Theory versteht Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung nicht als ›natürlich gegeben‹, sondern als 60 Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit zu Mehrfachdiskriminierung TGNS: Transmenschen und Menschenrechte in der Schweiz 62 Villa, (2003), S.59 61 65 durch soziale und kulturelle Prozesse konstruiert. Sie stellt damit die Zweigeschlechterordnung und Heterosexualität als gesellschaftliche Normen in Frage und plädiert für eine Pluralisierung von Geschlecht und Sexualität. Einige Ansätze der Queer Theory berücksichtigen überdies die Verwobenheit von Heteronormativität und anderen Machtstrukturen.«63 ›Seelisches Geschlecht‹ Das ›seelische Geschlecht‹ ist ein von der Trans*szene geprägter Begriff, der besagt, dass Weiblichsein oder Männlichsein ein Gefühl oder Empfinden ist. Dabei wird von einer gegebenen Identität ausgegangen, von einer ›inneren‹ Identität, die unabhängig von einem sozialen Umfeld entsteht. Soziales Geschlecht Das soziale Geschlecht weist Geschlecht als sozial konstruiert aus. In Gender-Theorien wird davon ausgegangen, dass ein ›biologisches‹ und ein soziales Geschlecht gleichzeitig existieren, sprich ein anatomisches Geschlecht, sowie ein Geschlecht welches kulturell, sozial und historisch entsteht. 64 Butler weist die Materialisierung des Körpers als kulturell aus und kritisiert dadurch eine Unterscheidung in soziales und ›biologisches Geschlecht‹. Sissyboys Sissyboys steht für Jungen oder junge Männer, welche aufgrund ihrer Interessen, Kleidung oder ihrem Verhalten, eher dem gesellschaftlich geprägten Bild eines weiblichen Stereotyps entsprechen. Sissyboy wird als Eigenbezeichnung positiv verwendet. Sündikat »Die queer_post_feministische Plattform Sündikat ist offen für queere Experimente, politische Aktionen, Kunst & Kleinkunst, Lesungen, Diskussionen, Filmemacher_innen, Konzerte, Workshops und Partys« und besteht aus einer Mailinglist, einem 63 Auszug queeformat Beauvoir (2013) S. 334: »Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.« Oder wie es Butler (1991) ausführt: »Beauvoir stellt fest, dass man zwar zur Frau ›wird‹, aber dass dies stets unter gesellschaftlichem Druck geschieht. Und dieser Zwang geht eindeutig vom anatomischen ›Geschlecht‹ aus.« (S.26) 64 66 »queerfeministischen Verteiler für Veranstaltungen, Partys, politische Bildung und Informationen zu Menschenrechten für Hermaphrodite, trans*, Lesben, Schwule und Frauen*.«65 Trans »Trans meint die Tatsache, dass ein Mensch sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlt, dem er bei Geburt zugeordnet wurde. Diese Menschen kommen mit einem eindeutig männlich oder eindeutig weiblichen Körper zur Welt, sie identifizieren sich aber als das andere Geschlecht, als zwischen den Geschlechtern oder als ein bisschen von beiden.«66 Wir verwenden den Begriff trans* als erweiterten und erweiterbaren Begriff, da er nach obigem Verständnis Geschlecht stark von der Zweigeschlechtlichkeit aus denkt. Transition Die Transition ist eine individuelle Phase der Veränderung des Geschlechts. Häufig beinhaltet die Transition medizinische und juristische Massnahmen, diese sind jedoch nicht zwingend Teil der Transition. Die Transition kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen und wird von manchen Trans*menschen nie endgültig abgeschlossen. Transvestit_innen Der Begriff Transvestit_innen problematische Bezeichnung ist eine aufgrund veraltete ihrer und historischen Verwendung als Diagnose für medizinisch / psychische Störungen. Sie wurde durch die Eigenbezeichnung Crossdresser_innen ersetzt.67 TGNS Der Verein Transgender Network Switzerland (TGNS) ist eine schweizerische Organisation von und für Trans*menschen. Tomboy Tomboys steht für Mädchen oder junge Frauen, welche aufgrund ihrer Interessen, Kleidung oder ihrem Verhalten, eher dem 65 gesellschaftlich Auszug Sündikat Auszug tgns.ch 67 LGBTQIA Ressource Center Glossary 66 geprägten Bild eines männlichen 67 Stereotyps entsprechen. Tomboy wird als Eigenbezeichnung positiv verwendet. Trigger/Triggerwarnung Trigger beschreiben Auslöser, die meist an negative, erlebte Erfahrungen erinnern und starke emotionale Reaktionen evozieren können. Trigger können zum Beispiel Wörter, Beschreibungen, Geräusche oder Gerüche darstellen und stehen oftmals im Zusammenhang mit psychischer oder physischer Verletzung. Triggerwarnung bezeichnet einen Warnhinweis auf mögliche Auslöser dieser starken Sinneseindrücke. Tunte Der Begriff Tunte ist eine Eigenbezeichnung für schwule (Trans*)Männer, die eine klischiert weibliche Artikulation, Gestik oder Stimme besitzen, nachahmen oder parodieren. Wird teilweise bewusst inszeniert, um Kritik an bestehenden Geschlechternormen zu äussern. Zwischengeschlecht »Etwa jedes ›atypischen‹ 1000. oder Kind sonstwie kommt mit ›uneindeutigen‹, ›auffälligen‹ körperlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt. Bis heute werden sog. ›Intersexuelle‹, Zwischengeschlechtliche, Hermaphroditen, ›Hypospader‹ oder Zwitter zu 90% im Kleinkindalter zu ›richtigen‹ Mädchen oder Jungen ›umoperiert‹ – ohne ihre Zustimmung, ohne medizinische Notwendigkeit und ohne Evidenz.«68 68 Auszug zwischengeschlecht.org 68 7 Literaturverzeichnis Butler, Judith: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (2009), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies (1991), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Butler, Judith: Körper von Gewicht (1993), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht (2013), Rowohlt Verlag, Reinbeck bei Hamburg De Certeau, Michel: Kunst des Handelns (1988), Merve Verlag GmbH, Berlin Dyttrich, Bettina: Intersexualität. «Ich bin kein ewiges Kind» (2010, No.19). Aus: WOZ DIE WOCHENZEITUNG, Zürich Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I (1977), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Foucault, Michel: Analytik der Macht (2005), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Hartmann, Jutta, Klesse, Christian, Wagenknecht, Peter, Fritzsche, Bettina, Hackmann, Kristina (Hrsg.): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht – eine Einführung (2007), Springer Verlag, Wiesbaden Hauer, Gudrun, Paul, Petra M.: Begriffsverwirrung. Zwangsheterosexualität versus Heteronormativität: Annäherung an eine Begriffsgeschichte und Definitionsversuch (Juli/August 2006, No.44). Aus: Gigi. Zeitschrift für sexuelle Emanzipation, Berlin Krass, Andreas (Hg.): Queer Studies in Deutschland. Interdisziplinäre Beiträge zur kritischen Heteronormativitätsforschung (2009), trafo Wissenschaftsverlag, Berlin Mesquita, Shushi: Heteronormativität und Sichtbarkeit (2008). In: Bartel, Rainer, Horwath, Ilona, Kannonier-Finster, Waltraud, Mesner, Maria, Pfefferkorn, Erik, Ziegler, Meinard (Hg.): Heteronormativität und Homosexualitäten, Studien-Verlag, Innsbruck, S.129-147 Müller, Gini: Possen des Performativen (2008), Verlag Turia + Kant, Wien Polymorph (Hrsg.): (K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive (2002), Querverlag GmbH, Berlin 69 Raunig, Gerald: Der Aufstand der Massen, reverse mode. Massenhafter Nonkonformismus als Aufhebung des Gegensatzes von Masse und Individuum (2000). Aus: Raunig: Wien Feber Null. Ästhetik des Widerstands. Turia + Kant, Wien. S.46-52 Schuster, Nina: Andere Räume. Soziale Praktiken der Raumproduktion von Drag Kings und Transgender (2010), transcript Verlag, Bielefeld Schütze, Fritz: Biographieforschung und narratives Interview (1983). In: Neue Praxis 13, http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/5314, Lahnstein, S.283-293 Villa, Paula–Irene: Judith Butler Einführung (2003), Campus Verlag, München/Main Von Redecker, Eva: Zur Aktualität von Judith Butler. Einleitung in ihr Werk (2011), VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden Walter, Klaus: The Making of Männlichkeit in der Kabine (2006). In: Kreisky, Eva, Spitaler, Georg (Hg.): Arnea der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fussball und Geschlecht, Campus Verlag, Frankfurt am Main/ New York, S.99-112 70 8 Links Adoptionsrecht für Homosexuelle: http://www.sozialinfo.ch/aktuell/monatsthemen/adoptionsrecht-oeffentlich/#.Uxs_RNz5FHw 09.03.14, 15:51 anima*projekt: Transgender-Beratung Faridéh-Styling: http://www.anima-projekt.de 05.05.14, 17:30 Bachelorarbeit von Nicole Metzger zu: Entscheidungsbeeinflussende Faktoren zur Wahl des Transitionsziels bei Transmännern: http://www.transgender-network.ch/wpcontent/uploads/2011/08/Bachelorarbeit_Nicole_Metzger_2013.pdf 06.05.14, 12:17 Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR zu Mehrfachdiskriminierung: http://www.ekr.admin.ch/themen/d170.html 11.05.14, 14:08 Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit zu Mehrfachdiskriminierung: http://www.mehrfachdiskriminierung.ch/definition 11.05.14, 14:08 Frankfurter Allgemeine zu Begriffsverwirrungen: Was unterscheidet Coming-out und Outing? http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/begriffsverwirrungen-was-unterscheidet-coming-outund-outing-12742505.html 16.05.14, 12:03 ICD-Code: http://www.icd-code.de/icd/code/F64.-.html 09.03.14, 15:54 LesMigras: Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin e.V. zu Mehrfachdiskriminierung: http://www.lesmigras.de/mehrfachdiskriminierung.html 11.05.14, 14:30 71 Love Boat LGBT Blog: Informationen zu breast binders http://www.lesloveboat.com/blog/?cat=28 21.07.14, 18:10 NZZ-Artikel: Im Tal der Mannsweiber (Claas-Hendrik Relotius): http://www.nzz.ch/aktuell/panorama/im-tal-der-mannsweiber-1.14455028 02.04.14, 16:30 Rechtsauskunft EAZW: Transsexualität: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/gesellschaft/eazw/dokumentation/praxis/praxis2012-02-01-f.pdf 26.04.14, 14:30 Sündikat-Plattform: http://suendikat.ch 28.04.14, 15:45 Transgender Network Switzerland: http://www.tgns.ch 09.05.14, 23:28 Transmenschen und Menschenrechte in der Schweiz (Hohmann, Recher): http://www.humanrights.ch/upload/pdf/110823_Transgender_Network_Gastbeitrag.pdf, 09.05.14, 22:27 WPATH: WORLD PROFESSIONAL ASSOCIATION for TRANSGENDER HEALTH: http://www.wpath.org/ 26.04.14, 14.00 Zürcher Transmänner-Stammtisch, jeweils Mittwochabends im Café-Restaurant Bubbles, Werdstrasse 54, Zürich: http://www.transgender-network.ch/events/zuercher-transmaenner-stammtisch-4/ 05.05.14, 22:14 Zwischengeschlecht.org http://zwischengeschlecht.org 09.05.14, 18:54 72 9 Anhang 9.1 Gerichtsurteil: Registrierung der Geschlechts- und Namensänderung 73 74 75 76 77 78 9.2 Abstract: Transpersonen und Arbeitsmarkt Transpersonen und Arbeitsmarkt Jenzer H, Baeriswyl M, Kudelcikova M, Hohmann H, Recher A. Transgender Network Switzerland (TGNS, http://www.tgns.ch, [email protected] ) Background Im Verlaufe der Transition erleben viele Transfrauen (M2F Transpersonen) und Transmänner (F2M Transpersonen) neben psychischen, physischen und versicherungsrechtlichen auch berufliche Schwierigkeiten. Für die Schweiz existieren keine entsprechenden Daten. Forschungsfragen • Wie häufig zeigen sich bei Transpersonen unfreiwillige Jobverluste? • Welche Variablen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, als Transperson berufstätig sein zu können bzw zu bleiben? • Gibt es bezüglich Berufstätigkeit unterschiedliche Prävalenzen in den Gruppen Transfrauen und Transmänner? Methode Mittels eines validierten Fragebogens wurde eine Erhebung bei den Einzel- und Kollektivmitglieder des TGNS erhoben. Versand und Rückmeldungen erfolgten vollständig elektronisch mit den Formularfunktionen von Adobe Acrobat 8 Professional v8.2.1. Die Daten wurden an Microsoft Excel 2011 v14.1.4 und für die Statistik (Odds Ratios [OR] mit 95% Konfidenzintervall [CI] und logistische Regression) weiter an SPSS v16.0.1 transferiert und aufbereitet. 39 Transpersonen (21 Transfrauen, 16 Transmänner, 1 Intersexuelle und 1 rücktransitionierte Person (M2F, später F2“M“) haben sich an der Erhebung beteiligt. Letztere beide wurden der Gruppe F2M zugeteilt, da dies dem gelebten Geschlecht entspricht. 4 Personen wurden ausgeschlossen infolge ihres Status vor oder ohne Coming-out am Arbeitsplatz (nicht relevant für die Forschungsfragen). Das Durchschnittsalter der untersuchten Kohorte (n=35) beträgt 44 Jahre (Range 26 bis 72), bei Transfrauen 48 Jahre (Range 29 – 72), bei Transmännern 40 Jahre (Range 26 - 61). Resultate und Diskussion Personendaten 18 Personen sind ledig (davon 13 Transmänner), je 2 Transmänner und –frauen mit demselben Ehepartner wie vor der Transition verheiratet, 1 Transmann mit eingetragener Partnerschaft, 7 freiwillig und 1 amtlich geschieden (alles Transfrauen), 3 getrennt (davon 2 Transfrauen) und 1 Transfrau verwitwet. Transfrauen sind somit seltener ledig, hingegen öfter geschieden oder getrennt, und wohnen häufiger allein (10/17) als Transmänner (7/17), die oft in Wohngemeinschaften leben (3 Transmänner). Ansonsten ergeben sich beim Wohnort und -status keine deutlichen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. 15 Personen (davon 13 Transfrauen) sind in ihren biologischen Geschlecht Elternteil von jeweils 1 bis 3 Kinder geworden. Diese Kinder werden entsprechend als wichtig(st)e Bezugspersonen genannt (ansonsten finden sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen in Bezug auf Bezugspersonen). Bei 6 Transfrauen und 1 Transmann hatte die Transsexualität nach der Scheidung oder Trennung einen Einfluss auf das Sorgerecht bzw die Obhut. Status bezüglich Gender Reassignment Von 35 Transpersonen sind alle 18 Tansfrauen und 11/17 Transmännern als transgendered diagnostiziert worden. Ein Teil erreichte den definitiven Status mit der geschlechtsangleichenden Operation (8 Transfrauen versus 7 Transmänner, alle mit amtlicher Geschlechtsänderung). Der definitive Status ist oft ohne geschlechtsangleichende Operation erreicht worden (4 Transmänner versus 1 Transfrau). Diese 20 Personen und weitere 3 haben ihren Vornamen amtlich ändern können. Der definitive Status ist bei 3 von 8 Transfrauen und 6 von 7 Transmännern erst in den Jahren 2009 – 2012 erreicht haben. 1 Transfrau steht zwischen dem Coming-out am Arbeitsort und dem Beginn der Transition. 8 Transfrauen und 6 Transmänner stehen in der Transitionsphase. Bei 13 Personen begann die Transition unmittelbar nach dem Coming-out. 9 Personen haben keinen Alltagstest durchlaufen und 11 Personen mit weniger als den gemäss Harry Benjamin Standard und von den Krankenversicherern lange Zeit verlangten 2 Jahren. (Keine Angaben von 7 Befragten). Berufsbezogene Daten Von den 35 Personen der Kohorte haben 8 Transfrauen und 6 Transmänner eine Berufslehre (oder höhere Fachschule) abgeschlossen und 2 Transmänner keine. 1 Transfrau besitzt ein Maturitätszeugnis und je 9 Transfrauen und –männer einen Abschluss der Tertiärstufe (Universität oder Fachhochschule). Am Stichtag 25.03.2012 waren je 12 Personen berufstätig und 11 nicht (6 M2F 79 bzw 5 F2M). 6 Transfrauen und 2 Transmänner arbeiten für private, 2 Transfrauen und 7 Transmänner für öffentliche Arbeitgeber. 5 Personen sind selbständig erwerbend. Die Arbeitsorte der berufstätigen Personen finden sich bei Transfrauen häufiger in Gross- und Kleinstädten und weniger häufig auf dem Land als bei Transmännern Der mittlere Beschäftigungsgrad betrug bei Transmännern 70%, bei Transfrauen 90%, was bei beiden Gruppen dem durchschnittlich gewünschten Beschäftigungsgrad entspricht. Von den Nicht-berufstätigen sind je 4 Transfrauen und -männer AHV-Renten-, IV-Renten- oder Arbeitslosentaggeldbezüger oder befinden sich in gekündigter Stellung. Je 3 Transfrauen und männer bezeichnen sich als arbeitslos, eine Transfrau als teilarbeitslos. Dies entspricht einer Quote von 20%, was etwa sechsmal höher liegt als die Februar-Arbeitslosenquote von 3.4% gemäss SECO. 1 Transmann war in Ausbildung und 1 ausgesteuert, je 2 Personen aus beiden Gruppen Sozialhilfebezüger. 1 Person hat auf dem Weg zur selbständigen Berufsausübung ihr Pensum vorübergehend auf 20% gesenkt. 11 Transmänner und 7 Transfrauen wurden nach dem CO durch den Arbeitgeber unterstützt, 6 Transmänner und 11 Transfrauen nicht oder gar bekämpft. Bei einem OR von 0.35 und einem 95% CI von 0.09 – 1.37 kann jedoch kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen nachgewiesen werden. Unfreiwillige Jobverluste wurden vorwiegend nach dem Coming-out erlitten (14 Personen), etwas weniger während der Transitionsphase (10 Personen) oder nach Erreichen des definitiven Status (9 Personen), wobei kein deutlicher Unterschied zwischen Transmännern und –frauen ersichtlich ist. Da unfreiwillige Jobverluste in einigen Fällen mehrfach eintraten, ergibt sich eine Totalzahl von 35 unfreiwilligen Jobverlusten. Das bedeutet, dass im Durchschnitt pro Transperson im Verlauf des Geschlechtswechsels mit einem unfreiwilligen Jobverlust zu rechnen ist. Unabhängig von Jobverlusten änderten sich die beruflichen Perspektiven z.T. sehr deutlich. Einen beruflichen Aufstieg erlebten 2 Transfrauen und 1 Transmann, einen Abstieg hingegen je 8 Personen beider Gruppen. 3 Transfrauen konnten Jobs nach einer Vertragsänderung behalten. Unverändert blieb die Situation für 3 Transfrauen und 6 Transmänner. Bezüglich eines Unterschiedes zwsichen der Gruppe mit unveränderter Situationen und beruflichem Aufstieg und der Gruppe mit freiwilligen Jobwechseln, Verbleib mit Vertragsänderung oder beruflichem Abstieg ergibt sich zwar ein OR von 1.82. Aufgrund des 95% CI von 0.44-7.5 und der kleinen Stichprobe kann der Unterschied zwischen den Gruppen statistisch jedoch nicht erhärtet werden. Bei der Entlöhnung gab es bei 2 Transfrauen und einem Transmann eine Erhöhung (25% und 100% bzw 3%), hingegen eine Reduktion bei 5 Transfrauen (um durchschnittlich 29%) und 4 Transmännern (um durchschnittlich 45%). Die Lohnangaben wurden oft nicht erteilt. Als mögliche Gründe der Jobprobleme wurde von den Transpersonen selbst am häufigsten Inakzeptanz (26 Nennungen), Mobbing (15), das ungewohnte Erscheinungsbild und Auftreten (20), die Stimme (8), alte Konflikte / Rache (4) sowie Mangel-/Unwissen über Transsexualität (24) genannt. Andere Einzeläusserungen betrafen die Nicht-Übereinstimmung der Identitätspapiere mit dem neuen Geschlecht, die eigene Inkompetenz der Transpersonen, mit ihrem Zustand umgehen zu können („zu hohe Selbstbeschäftigung“), Ängste (eigene und / oder von Kunden), Unsicherheit, Einschätzung als erhöhtes Risiko („Trans = Probleme“), Hegemoniehaltung, Reduktion der Menschen auf die Zweiklassigkeit Mann / Frau, Vorurteile oder Problem der Vorgesetzten mit ihrer eigenen Sexualität. Die Abhängigkeit der Berufstätigkeit bzw Nichtberufstätigkeit von diversen erhobenen Faktoren wurde mittels logistischer Regression analysiert. Es ergab sich folgende logistische Regressionsfunktion: Berufstätigkeit = 62.8 + 1.76*Gender - 0.04*Jahrgang + 1.99*Wohnort + 0.98*Status der Geschlechtsangleichung + 4.1*amtliche Änderung des Vornamens – 2.48*amtliche Änderung des Geschlechts + 1.14*Berufsbildung + 4.12*Unterstützung durch Vorgesetzte Negative Werte zeigen eine Verminderung der Wahrscheinlichkeit an, berufstätig zu sein. Da die Regressionskoeffizienten die natürlichen Logarithmen der Odds Ratios sind, können für die amtliche Änderung des Vornamens und die Unterstützung durch Vorgesetzte hohe Werte (60 bzw 61) abgelesen werden, für Gender, Wohnort, Status der Geschlechtsangleichung und Berufsbildung nur kleinere (<10). Als Bestimmtheitsmass dient das Nagelkerkes R-Quadrat, welches 0.60 beträgt und gemäss Literatur eine grosse Effektstärke bedeutet. Somit können 60% der Fälle durch das Modell erklärt werden. Die Abhängigkeit der abhängigen Variablen (Berufstätigkeit) von den einzelnen unabhängigen Variablen ist am signifikantesten für den Wohnort (7.9% Irrtumswahrscheinlichkeit), die Berufsbildung (8.4%) und die Unterstützung durch Vorgesetzte (1.1%), am wenigsten für Gender, Jahrgang, Status des Geschlechtswechsels und den amtlichen Geschlechtswechsel. Schlussfolgerung Transgenderismus, verbunden mit wenig Jobmöglichkeiten aufgrund des Wohnortes und schlechter Berufsbildung und mangelnder Unterstützung durch Vorgesetzte, ist ein dokumentierter Risikofaktor für Nicht-Berufstätigkeit bzw. Stellenverlust. 80 9.3 Weiterführende Literatur zu trans*, Gender und Empirie Butler, Judith: Gender Trouble (1990), Routledge Butler, Judith: Bodies That Matter (1993), Routledge Butler, Judith: An Interview with Judith Butler (1994), Radical Philosophy, Summer 1994 Butler, Judith: Undoing Gender (2004), Routledge Gosch, Petra: Frauen im Fitness-Sport - ein Spiegel unserer Zeit? Momentaufnahme sozialer Anforderungen aus körpersoziologischer Perspektive. Aus: Beiträge zur feministischen theorie und praxis. Arenen der Weiblichkeit. Frauen, Körper, Sport (2008), S.87-107 Graf, Simon: »Eine Ethnographie des fitten Männer-Körpers«. Lizentiatsarbeit, Philosophische Fakultät der Universität Zürich (2012) Halberstam, Judith: F2M: The making of female maskulinity. Aus: Price, Janet, Sihldrick Margrit (eds.): Feminist Theory and the Body. A Reader (1999), Routledge Chapman & Hall, S.125-133 Haritaworn, Jin: (No) Fucking Difference? Eine Kritik an ‚Heteronormativität’ am Beispiel von Thailändischsein. In: Hartmann, Jutta et al. (Hrsg.): Heternormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht – eine Einführung (2007), Springer Verlag, Wiesbaden, S.269-289 Karakayali, Jule, Vassilis S. Tsianos, Serhat Karakayali und Aida Ibrahim: Decolorise it! Diskussion: Die Rezeption von Critical Whiteness hat eine Richtung eingeschlagen, die die antirassistischen Politiken sabotiert. (2012), ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 575 / 21.9.2012 Lindemann, Gesa: Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl. 2. Auflage (2011), VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden Lorey, Isabell: Die Regierung der Prekären. Mit einem Vorwort von Judith Butler (2012), Verlag Turia + Kant, Berlin Mesquita, Sushila; 2009: „Liebe ist ...“. Visuelle Strategien der Normalisierung und das Schweizer Partnerschaftsgesetz. In: Paul, Barbara; Schaffer, Johanna (Hg.): Quer. Mehr(wert) queer. Queer Added (Value). transcript Verlag, Bielefeld, S. 71-87 81 Schönberger Klaus: Als «Frikadellen-Peter» in Sicherheitsverwahrung. In: Schultheis, Franz/Schulz, Kristina (Hg.): Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag. UVK, Konstanz 2005, S. 525-536. Schröter, Susanne: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. (2002), Fischer Verlag, Frankfurt am Main Schirmer, Uta: Geschlecht anders gestalten. Drag Kinging, geschlechtliche Selbstverhältnisse und Wirklichkeiten (2010), transcript Verlag, Bielefeld Voss, Heing-Jürgen: Makin Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologischmedizinischer Perspektive (2010), transcript Verlag, Bielefeld Voss, Heinz-Jürgen, Wolter, Salih Alexander: Queer und (Anti)Kapitalismus 2013), Schmetterling Verlag, Stuttgart 9.4 Links Blog von AnnaHeger: http://annaheger.wordpress.com, 08.05.14, 17:00 Blogpost über Transnormativität: http://kalemason.tumblr.com/post/11364335954/trans-normative-what-does-that-mean 8.05.14, 11:16 Butch-Fotoprojekt von Fotografin Meg Allen: http://megallenstudio.com/butch/ 07.04.14, 17:34 »Eine Kopie der Norm? - Identitäts- und Beziehungskonzepte von Butches und Femmes«: http://www.univie.ac.at/unique/uniquecms/?p=761 07.04.14, 17:34 infointersex.ch / Intersexualität Schweiz: http://intersex.ch, 10.05.14, 00:00 Interpellation »Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung«: http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20113265 82 24.04.14, 15:58 9.5 Links zu Texte Ebnöther, Fricker (2014): Mainstream queer gedacht: Conchita Wurst – Was soll das? http://kesselschmiedin.wordpress.com, 12.05.14, 18:59 Raunig (2000): Der Aufstand der Massen, reverse mode. Massenhafter Nonkonformismus als Aufhebung des Gegensatzes von Masse und Individuum: http://eipcp.net/transversal/1001/1151429475/1151429707, 12.05.14, 18:54 SMF, Schweizerisches Medizin-Forum, Von der Transsexualität zur Gender-Dysphorie, Beratungs- und Behandlungsempfehlungen bei TransPersonen: http://medicalforum.ch/de/die-zeitschrift/artikel/von-der-transsexualitaet-zur-genderdysphorie.html, 12.05.14, 18:56 TGNS: Transmenschen und Menschenrechte in der Schweiz (Henry Hohmann und Alecs Recher): http://www.humanrights.ch/upload/pdf/110823_Transgender_Network_Gastbeitrag.pdf 30.04.14 20:05 9.6 Links zu Glossars (Begriffe) Blogpost: »Ergänzung zur Cis-Definition« http://2013tbtn.blogsport.de/2013/04/23/ergaenzung-zur-cis-definition/ 07.04.14, 16:08 Feministisch Sprachhandeln »Glossar« http://feministisch-sprachhandeln.org/glossar/ 07.04.14, 17:13 (POC, Intersektionalität) Femgeeks »Glossar« http://femgeeks.de/glossar/#cis 07.04.14, 17:13 Genderinstitut Bremen »Glossar« http://www.genderinstitut-bremen.de/glossar/gender-gap.html, 83 08.05.14, 18:21 Genderportal Uni Duisburg-Essen »Queer Theory« https://www.uni-due.de/genderportal/studis_queer.shtml 07.04.14, 17:13 (Queer Theory) Hirschfeld Kongress »Hirschfeld-Kongress-Glossar« http://www.hirschfeld-kongress.de/blog/glossar.html, 07.04.14, 13:55 LGBTQIA Resource Center Glossary http://lgbtcenter.ucdavis.edu/lgbt-education/lgbtqia-glossary 07.04.14, 17:12 Muhlenberg College »LGBT Glossary of Terms« http://www.muhlenberg.edu/main/campuslife/lgbt/lgbtglossary.html 07.04.14, 17:12 Queer East »Glossar« http://queereast.wordpress.com/glossar/, 07.04.14, 13:33 Rainbow-Project »LGBT-Glossar« http://www.rainbowproject.eu/material/de/glossary.htm 30.4.14 20:00 Trans*Inter*Sektionalität »Glossar« http://transintersektionalitaet.org/?page_id=36 07.04.14, 17:12 84 9.7 Fragebogen Kontextdaten Gesprächs-Partner_innen Name: Alter: Soziales Geschlecht: ›Biologisches Geschlecht‹: Konfrontation mit Thematik (in welchem Alter): Coming-out Alter (Familie, Freunde, Arbeit, usw.): Medizinische Massnahmen (Hormone, Geschlechtsangleichung): Wohnort: Aufgewachsen in: (falls nicht übereinstimmend mit Wohnort): ›Nationalität‹/›Herkunft‹ (evtl. ›Herkunft‹ der Eltern): Beruf der Eltern: Schulausbildung/Berufsausbildung: Organisation (Freiwilligenarbeit, Member): 85 10 Eigenständigkeitserklärung Hiermit bestätigen wir, dass wir die vorliegende Bachelorarbeit selbständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln verfasst haben. Alle Passagen, die wir wörtlich aus der Literatur oder aus anderen Quellen wie z. B. Internetseiten übernommen haben, haben wird deutlich als Zitat mit Angabe der Quelle kenntlich gemacht. Sarah Lauener Anja Zuberbühler