Wo Kinder leben lernen - Uganda

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Wo Kinder leben lernen - Uganda
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SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL
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Extra
Die Zeiten von Hunger, Gewalt und Überlebensangst sind vorbei: Fünf ugandische Jungen in ihrem eigenen Schlafraum im Lebenshaus.
Wo Kinder leben lernen
Mit dem Uganda-Lebenshaus hat der Pfarrer Günter Hirt einen
Zufluchtsort für Kinder und Jugendliche geschaffen, die sonst im Leben kaum
eine Chance hätten. Aus Nordfriesland koordiniert er sein Afrika-Projekt.
VON MERLE BORNEMANN
Hölzerne Giraffen, Bilder von kitschigen Savannen-Sonnenuntergängen oder bunte
Masken sucht man bei Günter Hirt vergebens. Afrika ist für ihn kein Reiseziel, sondern
eine Lebensaufgabe. „Den Kindern dort geht
esschlechteralsbeiunsdenViechern“–diese
Erkenntnis, die er einst in Uganda gewann,
hatihnangetrieben,etwasverbessernzuwollen. Im Südwesten Ugandas, einige Kilometer
vom Ufer des Viktoriasees entfernt, hat der
Pfarrer im Ruhestand das „Lebenshaus“ gegründet, eine Art Auffangstation für hilflose,
verwaiste Kinder im Busch Ostafrikas.
Alles begann mit zwei „Schlüsselerfahrungen im Busch“, wie Hirt sie nennt. Da war
zunächst eine verfallene Hütte, aus der eine
Kinderstimme klang. Er sah nach, entdeckte
einen in Lumpen gekleideten, mageren Jungen mit wachen Augen. Isaac. Die Eltern tot,
die Schwester in der Obhut des großen Bruders, der deshalb nicht zur Schule konnte.
Und dann war da noch ein zwölfjähriges
Mädchen, das ebenfalls nicht zur Schule
kam, weil Oma und Eltern verstorben waren
und es sich um seine fünf Geschwister kümmern musste. „Die Kinder hatten kaum etwas zu essen, lebten im Dreck, und das Mädchen erzählte mir, dass sie nachts nicht
schlafen kann, weil sie aufpassen muss, dass
die Nachbarn keinen Grund beanspruchen,
der als Anbaufläche für Kochbananen die Le-
bensgrundlage bildet.“ Grundbücher gibt es
in Uganda nicht. Günter Hirt suchte das Gespräch mit dem örtlichen Bischof, der die
Fälle als einige von Tausenden bezeichnete.
„Das war der Anfang“, erinnert sich der 77Jährige. „Solchen Kindern zu helfen, dass sie
Leben lernen, ein echtes Zuhause finden, zur
Schule gehen können und eine Perspektive
bekommen.“
Die Idee des Lebenshauses war geboren.
„Ich wollte kein Waisenhaus“, betont er. „Ich
will die Kinder lebenstüchtig machen.“ Heute bietet die Anlage Kindern vom Baby- bis
ins Schulalter die Möglichkeit, sich körperlich und seelisch zu erholen und die Grundsteine für ein selbstbestimmtes Leben zu le-
Sonnabend, 16. Januar 2016
Gelerntes Weitergeben: Koch Isaac (rechts),
der einst unter ärmsten Verhältnissen im Busch
lebte, mit seinem Azubi Emmanuel in der Küche
des Lebenshauses.
Zwei junge Afrikaner montieren die Photovoltaikanlage, Fachleute vom Solarpark
Rodenäs in Nordfriesland haben dabei aus der
Ferne geholfen.
Das Fleisch vermarkten sie, wollen von den
Einnahmen weitere Schweine erwerben und
eine Zucht aufbauen. Auch eine Milchziege
gehört nun zum Lebenshaus, gekauft mit
Spendengeld der Kirchengemeinde in Hirts
nordfriesischer Heimat. Die Ziege heißt Doris. So wie die Gattin des dortigen Pastors.
Kürzlich haben die Mitarbeiter jeweils ein
Bett mit Matratze, Schrank, Stuhl und einen
kleinen Tisch für ihre Zimmer bekommen,
angefertigt von Schülern der Gewerbeschule
in der Nähe. Eine für ugandische Verhältnisse
luxuriöse Ausstattung. Doch dem Pfarrer ist
es wichtig, den Frauen und Männern damit
Wertschätzung ihrer Arbeit zu signalisieren.
Eine Begebenheit treibt Günter Hirt heute
Tränen in die Augen. Freudentränen. Isaac,
der Waisenjunge aus dem Busch, der beim
Pfarrer die Idee für das Projekt auslöste und
gemeinsam mit seiner Schwester im Lebens-
haus aufgepäppelt wurde, kehrte vor einiger
Zeit dorthin zurück – als ausgebildeter Koch.
„Ein sagenhafter Kerl“, lobt der Pfarrer, für
den der Junge wie ein Sohn ist. Doch eigentlich brennt Isaac für die Technik. Das wusste
sein Zieh-Vater und fädelte ein, dass der Junge von einem deutschen Ingenieur, der in
Uganda half, angelernt wurde. Heute arbeitet er als Elektriker, hat jüngst die Leitungen
für ein neues Krankenhaus verlegt und ist zuständig für die Photovoltaikanlage des Lebenshauses. Einen neuen Koch lernt er gerade an. „Das ist für mich Entwicklungshilfe.“
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Spendenkonto der Projekthilfe Uganda e.V.:
IBAN DE57 6606 1724 0023 0108 01
Volksbank Stutensee-Weingarten,
Verwendungszweck: Lebenshaus
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gen. Spendengelder, engagierte Menschen
sowie die unerschöpfliche Arbeit von „Father Hirt“, wie ihn die Menschen in Uganda
nennen, haben das möglich gemacht. 16
ugandische Mitarbeiter – vom Koch bis zur
Kinderfrau – kümmern sich aktuell um
knapp 50 Kinder. Betten gibt es zwar offiziell
nur für 24, aber verweigert wird hier niemandem der Zutritt. „Aufpassen ist mir zu wenig“, sagt der Pfarrer. „Es geht um Zuwendung. Leider gibt es für dieses Wort keine gute englische Übersetzung.“ Der Normalzustand in armen afrikanischen Ländern sei,
dass Kinder einfach da seien, funktionieren
und parieren, ohne wirklich beachtet zu werden, schildert der Initiator. Sich diesen nun
plötzlich zu widmen, ihren Persönlichkeiten
Raum zu geben, das sei eine ganz neue Dimension. Der Pfarrer kennt die Lebensgeschichte aller seiner Schützlinge, erzählt enthusiastisch von den vielen positiven Entwicklungen.
Süßkartoffeln, Kochbananen, Bohnen,
Kohl, Passionsfrüchte, Mais und Avocados
werden auf dem Gelände rund um das Haus
heute angebaut – das Ergebnis eines langen
Lernprozesses, zu dem auch ein nordfriesicher Agraringenieur seinen Beitrag leistete.
„Durch seine Beratung haben wir gelernt,
dass wir maximal acht Zentimeter tief graben dürfen, um die Fruchtbarkeit des Bodens
nichtzugefährden.Deshalbwirddortnurgehackt“, erklärt Hirt. „Nächstes Ziel ist es so
anzubauen, dass möglichst das ganze Jahr
über die Selbstversorgung gesichert ist.“
DannbliebemehrGeldfürdenlaufendenBetrieb. Zum Beispiel für Pampers, die in UgandadreiMalsovielkostenwieinDeutschland.
Seine 77 Jahre merkt man dem Pfarrer im
Ruhestand nicht an. „Mit dem lieben Gott
habe ich ausgemacht: Bis 82 mache ich
noch“, scherzt er. Für Nachwuchs ist dann
gesorgt, nachhaltig hat er auch hier gearbeitet. Hinter dem Lebenshaus steht ein Kuratorium von acht Leuten, zur Hälfte Deutsche, zur Hälfte Ugander. Ein Netzwerk von
Helfern und Spendern hat Günter Hirt sowohl im äußersten Süden Deutschlands, an
seiner früheren Wirkstätte im badischen
Laufenburg, als auch im äußersten Norden
in Nordfriesland etabliert. Nach SchleswigHolstein hat es ihn wegen der guten Nordseeluft verschlagen, vor zehn Jahren ist er in
ein gemütliches Reetdachhaus in der Einsamkeit von Emmelsbüll-Horsbüll gezogen.
Die chronische Bronchitis ist seitdem verschwunden.
Dennoch ist jede Reise nach Uganda eine
große Überwindung für ihn. „Ich bin nicht
sehr reiselustig“, verrät er. „Mittlerweile fliege ich nur noch hin, wenn’s klemmt.“ Zuletzt
war er vor Weihnachten dort. Was er zu sehen bekam, ließ sein Herz höher schlagen.
Die Mitarbeiter hatten selbstständig ein
Schwein angeschafft und einen Stall gebaut.
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„Wenn die Kinder in ihrer Persönlichkeit wachsen, bestehen sie“, meint Günter Hirt, hier mit
einigen seiner Schützlinge aus dem Lebenshaus in Uganda.
FOTOS: HIRT