Wo Kinder leben lernen - Uganda
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Wo Kinder leben lernen - Uganda
20 SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL ! Extra Die Zeiten von Hunger, Gewalt und Überlebensangst sind vorbei: Fünf ugandische Jungen in ihrem eigenen Schlafraum im Lebenshaus. Wo Kinder leben lernen Mit dem Uganda-Lebenshaus hat der Pfarrer Günter Hirt einen Zufluchtsort für Kinder und Jugendliche geschaffen, die sonst im Leben kaum eine Chance hätten. Aus Nordfriesland koordiniert er sein Afrika-Projekt. VON MERLE BORNEMANN Hölzerne Giraffen, Bilder von kitschigen Savannen-Sonnenuntergängen oder bunte Masken sucht man bei Günter Hirt vergebens. Afrika ist für ihn kein Reiseziel, sondern eine Lebensaufgabe. „Den Kindern dort geht esschlechteralsbeiunsdenViechern“–diese Erkenntnis, die er einst in Uganda gewann, hatihnangetrieben,etwasverbessernzuwollen. Im Südwesten Ugandas, einige Kilometer vom Ufer des Viktoriasees entfernt, hat der Pfarrer im Ruhestand das „Lebenshaus“ gegründet, eine Art Auffangstation für hilflose, verwaiste Kinder im Busch Ostafrikas. Alles begann mit zwei „Schlüsselerfahrungen im Busch“, wie Hirt sie nennt. Da war zunächst eine verfallene Hütte, aus der eine Kinderstimme klang. Er sah nach, entdeckte einen in Lumpen gekleideten, mageren Jungen mit wachen Augen. Isaac. Die Eltern tot, die Schwester in der Obhut des großen Bruders, der deshalb nicht zur Schule konnte. Und dann war da noch ein zwölfjähriges Mädchen, das ebenfalls nicht zur Schule kam, weil Oma und Eltern verstorben waren und es sich um seine fünf Geschwister kümmern musste. „Die Kinder hatten kaum etwas zu essen, lebten im Dreck, und das Mädchen erzählte mir, dass sie nachts nicht schlafen kann, weil sie aufpassen muss, dass die Nachbarn keinen Grund beanspruchen, der als Anbaufläche für Kochbananen die Le- bensgrundlage bildet.“ Grundbücher gibt es in Uganda nicht. Günter Hirt suchte das Gespräch mit dem örtlichen Bischof, der die Fälle als einige von Tausenden bezeichnete. „Das war der Anfang“, erinnert sich der 77Jährige. „Solchen Kindern zu helfen, dass sie Leben lernen, ein echtes Zuhause finden, zur Schule gehen können und eine Perspektive bekommen.“ Die Idee des Lebenshauses war geboren. „Ich wollte kein Waisenhaus“, betont er. „Ich will die Kinder lebenstüchtig machen.“ Heute bietet die Anlage Kindern vom Baby- bis ins Schulalter die Möglichkeit, sich körperlich und seelisch zu erholen und die Grundsteine für ein selbstbestimmtes Leben zu le- Sonnabend, 16. Januar 2016 Gelerntes Weitergeben: Koch Isaac (rechts), der einst unter ärmsten Verhältnissen im Busch lebte, mit seinem Azubi Emmanuel in der Küche des Lebenshauses. Zwei junge Afrikaner montieren die Photovoltaikanlage, Fachleute vom Solarpark Rodenäs in Nordfriesland haben dabei aus der Ferne geholfen. Das Fleisch vermarkten sie, wollen von den Einnahmen weitere Schweine erwerben und eine Zucht aufbauen. Auch eine Milchziege gehört nun zum Lebenshaus, gekauft mit Spendengeld der Kirchengemeinde in Hirts nordfriesischer Heimat. Die Ziege heißt Doris. So wie die Gattin des dortigen Pastors. Kürzlich haben die Mitarbeiter jeweils ein Bett mit Matratze, Schrank, Stuhl und einen kleinen Tisch für ihre Zimmer bekommen, angefertigt von Schülern der Gewerbeschule in der Nähe. Eine für ugandische Verhältnisse luxuriöse Ausstattung. Doch dem Pfarrer ist es wichtig, den Frauen und Männern damit Wertschätzung ihrer Arbeit zu signalisieren. Eine Begebenheit treibt Günter Hirt heute Tränen in die Augen. Freudentränen. Isaac, der Waisenjunge aus dem Busch, der beim Pfarrer die Idee für das Projekt auslöste und gemeinsam mit seiner Schwester im Lebens- haus aufgepäppelt wurde, kehrte vor einiger Zeit dorthin zurück – als ausgebildeter Koch. „Ein sagenhafter Kerl“, lobt der Pfarrer, für den der Junge wie ein Sohn ist. Doch eigentlich brennt Isaac für die Technik. Das wusste sein Zieh-Vater und fädelte ein, dass der Junge von einem deutschen Ingenieur, der in Uganda half, angelernt wurde. Heute arbeitet er als Elektriker, hat jüngst die Leitungen für ein neues Krankenhaus verlegt und ist zuständig für die Photovoltaikanlage des Lebenshauses. Einen neuen Koch lernt er gerade an. „Das ist für mich Entwicklungshilfe.“ ● ............................................................. Spendenkonto der Projekthilfe Uganda e.V.: IBAN DE57 6606 1724 0023 0108 01 Volksbank Stutensee-Weingarten, Verwendungszweck: Lebenshaus ............................................................. gen. Spendengelder, engagierte Menschen sowie die unerschöpfliche Arbeit von „Father Hirt“, wie ihn die Menschen in Uganda nennen, haben das möglich gemacht. 16 ugandische Mitarbeiter – vom Koch bis zur Kinderfrau – kümmern sich aktuell um knapp 50 Kinder. Betten gibt es zwar offiziell nur für 24, aber verweigert wird hier niemandem der Zutritt. „Aufpassen ist mir zu wenig“, sagt der Pfarrer. „Es geht um Zuwendung. Leider gibt es für dieses Wort keine gute englische Übersetzung.“ Der Normalzustand in armen afrikanischen Ländern sei, dass Kinder einfach da seien, funktionieren und parieren, ohne wirklich beachtet zu werden, schildert der Initiator. Sich diesen nun plötzlich zu widmen, ihren Persönlichkeiten Raum zu geben, das sei eine ganz neue Dimension. Der Pfarrer kennt die Lebensgeschichte aller seiner Schützlinge, erzählt enthusiastisch von den vielen positiven Entwicklungen. Süßkartoffeln, Kochbananen, Bohnen, Kohl, Passionsfrüchte, Mais und Avocados werden auf dem Gelände rund um das Haus heute angebaut – das Ergebnis eines langen Lernprozesses, zu dem auch ein nordfriesicher Agraringenieur seinen Beitrag leistete. „Durch seine Beratung haben wir gelernt, dass wir maximal acht Zentimeter tief graben dürfen, um die Fruchtbarkeit des Bodens nichtzugefährden.Deshalbwirddortnurgehackt“, erklärt Hirt. „Nächstes Ziel ist es so anzubauen, dass möglichst das ganze Jahr über die Selbstversorgung gesichert ist.“ DannbliebemehrGeldfürdenlaufendenBetrieb. Zum Beispiel für Pampers, die in UgandadreiMalsovielkostenwieinDeutschland. Seine 77 Jahre merkt man dem Pfarrer im Ruhestand nicht an. „Mit dem lieben Gott habe ich ausgemacht: Bis 82 mache ich noch“, scherzt er. Für Nachwuchs ist dann gesorgt, nachhaltig hat er auch hier gearbeitet. Hinter dem Lebenshaus steht ein Kuratorium von acht Leuten, zur Hälfte Deutsche, zur Hälfte Ugander. Ein Netzwerk von Helfern und Spendern hat Günter Hirt sowohl im äußersten Süden Deutschlands, an seiner früheren Wirkstätte im badischen Laufenburg, als auch im äußersten Norden in Nordfriesland etabliert. Nach SchleswigHolstein hat es ihn wegen der guten Nordseeluft verschlagen, vor zehn Jahren ist er in ein gemütliches Reetdachhaus in der Einsamkeit von Emmelsbüll-Horsbüll gezogen. Die chronische Bronchitis ist seitdem verschwunden. Dennoch ist jede Reise nach Uganda eine große Überwindung für ihn. „Ich bin nicht sehr reiselustig“, verrät er. „Mittlerweile fliege ich nur noch hin, wenn’s klemmt.“ Zuletzt war er vor Weihnachten dort. Was er zu sehen bekam, ließ sein Herz höher schlagen. Die Mitarbeiter hatten selbstständig ein Schwein angeschafft und einen Stall gebaut. 21 „Wenn die Kinder in ihrer Persönlichkeit wachsen, bestehen sie“, meint Günter Hirt, hier mit einigen seiner Schützlinge aus dem Lebenshaus in Uganda. FOTOS: HIRT