Grundlagen zum Turiner Grabtuch - Jahr der Barmherzigkeit im

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Grundlagen zum Turiner Grabtuch - Jahr der Barmherzigkeit im
DAS TURINER GRABTUCH
DAS LEINEN
Als Turiner Grabtuch bezeichnet man ein heute sehr weiches, schmiegsames und
ungebleichtes Leinen von etwa 440 x 110 cm. Es ist aus zwei ungleichen Stücken
zusammengenäht, die beide aber vom gleichen Webstuhl stammen und eine sehr seltene
3:1-Köper-Bindung mit einem charakteristischen Fischgratmuster aufweisen. Der Stoff ist
stark vergilbt, auf der bildleeren Unterseite weniger. Das Grabtuch tauchte vor mehr als 650
Jahren wie aus dem Nichts in der Champagne auf und wird seit 1578 fast ununterbrochen im
Dom zu Turin aufbewahrt. Seit fast zwei Jahrzehnten liegt es flach in einem Argon-Safe,
früher wurde es aber nur gefaltet oder gerollt aufbewahrt. Man könnte das Tuch so klein
falten, dass es am Ende in eine Aktentasche passen würde und niemand mehr die für das
Grabtuch so typischen Bilder erkennen könnte.
DIE BEIDEN BILDER
Zahlreiche Spuren, besonders Verletzungen oder Verschmutzungen, zeugen von einer
langen, wechselvollen Geschichte des Gewebes. Besonders auffallend, aber für das
ursprüngliche Aussehen unwichtig sind zwei parallel zu den Langseiten verlaufende
bräunliche Linien, auf oder neben denen mehr als zwei Dutzend meist dreieckige Löcher
verschiedener Größe sichtbar sind. Diese Schäden entstanden im Jahr 1532 bei einem Feuer
in der Schlosskapelle von Chambéry, als schmelzendes Silber des Schreins in das mehrfach
gefaltete Tuch einsickerte. Von dem Löschversuch bei diesem Brand stammen einige
kleinere Wasserflecken im unmittelbaren Bereich der beiden parallelen Linien. Daneben gibt
es in der Mittelachse und an den Seiten des Tuches noch größere rautenförmige Flecken, die
offenkundig von einer Flüssigkeit (vermutlich von Wasser) herrühren und unregelmäßige
Schmutzränder aufweisen. Als sie entstanden, muss das Tuch wie eine Ziehharmonika
gefaltet gewesen sein. Sie sind jedenfalls älter als der Brand von 1532.
Die einzigartige Bedeutung des Turiner Grabtuchs ergibt sich aber aus dem darauf
sichtbaren Abbild. Dieses setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, die nicht zwingend
gleichzeitig entstanden sind. Da sind zum einen zahlreiche Blut- und Wundabdrücke, wie
Geißelspuren und Hautabschürfungen, die offenkundig vom direkten Kontakt eines
menschlichen Körpers mit dem Tuch herrühren. Zum anderen sieht man diesen Körper
selbst, freilich in einer völlig ungewöhnlichen Weise als eine sich konturlos verlierende,
gelbliche Verfärbung des Leinens. Auf Anhieb ist man versucht, dieses erst aus einer
Entfernung von zwei bis fünf Metern wirklich erfassbare, monochromatische Abbild für
einen schattenhaften Feuchtabdruck zu halten: Kopf gegen Kopf ist die lebensgroße Vorder-
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und Rückansicht eines offenkundig gekreuzigten und verstorbenen Mannes zu sehen. Dieser
wurde, vollkommen nackt und die Hände vor den Lenden gekreuzt, mit dem Rücken auf das
Leinen gelegt und mit diesem über das Haupt bis zu den Füßen zugedeckt.
BESONDERHEITEN
Laut mikroskopischer Untersuchungen ist das schattenhafte Abbild auf dem Turiner
Grabtuch eine Folge der Verfärbung nicht etwa der Flachsfäden, sondern nur der lediglich
1/100 bis 1/60 mm breiten, obersten Flachsfasern. Wie diese Verfärbung entstanden ist, ist
trotz vielfältiger Theorien und Experimente bis heute ungeklärt. Die Modellierung des
Körperbildes ergibt sich aus der unterschiedlichen Dichte der verfärbten Flachsfasern je
Flächeneinheit. Diese Dichte ist dort am stärksten, wo der abgebildete Körperpunkt am
nächsten am Tuch lag und umgekehrt. Hervortretende Körperpartien, wie Stirn, Nase, Kinn,
Brust, Unterarme oder Knie, haben das Leinen mithin stärker verfärbt als die restlichen.
Generell kann man davon ausgehen, dass Körperpunkte, die mehr als etwa 4 cm vom Tuch
entfernt waren, gar keine Flachsfasern mehr verfärbt haben. Aufgrund dieser Abhängigkeit
der Bildintensität von der Entfernung, nicht (wie bei der normalen Fotografie) von der
Helligkeit des abgebildeten Objekts, zeigt das Abbild des Turiner Grabtuchs vor allem auf der
Oberseite einen dreidimensionalen Effekt ‒ ein 'Alleinstellungsmerkmal', das es mit keinem
alten Bild teilt und das gewöhnlichen Fotografien fehlt. Das Grabtuchbild besteht aus
Höhenfeldern, wie sie heute beim 'heightmapping' vor allem in der Geodäsie, Kartografie
und der 3D-Computergrafik für die Erstellung dreidimensionaler Geländemodelle verwendet
werden. Dieser einzigartige Effekt ist dafür verantwortlich, dass das Grabtuchbild wie ein
Fotonegativ wirkt, ohne dies wirklich zu sein.
Die längste Zeit seiner Existenz war das Grabtuchbild nur als Schatten sichtbar
gewesen. Bei den ersten Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Mai 1898 zeigten sich dann auf den
Fotonegativen überraschenderweise Positivbilder. Auf ihnen erscheint der Gekreuzigte in
einem geradezu plastisch wirkenden Aussehen und mit vielen Details. War vordem sein
Antlitz nur schwer deutbar, so strahlt es jetzt eine majestätische Ruhe aus, die selbst in der
stärksten Verfremdung und in der schlechtesten Reproduktion noch beeindruckt. Nicht vom
fotografischen 'Negativeffekt' betroffen sind die von direktem Körperkontakt mit dem
Leinen herrührenden Blutflecken und sonstigen Verletzungen. Sie erscheinen im Fotonegativ
weiß.
Das Turiner Grabtuch weist noch zahlreiche andere Eigenheiten auf. Zunächst wirkt
das Bild wie eine orthogonale Projektion auf eine plane Projektionswand. Dieser Eindruck
hat für viel Verwirrung gesorgt, weil man sich dieses Phänomen nur schwer erklären könnte.
Inzwischen aber wurde experimentell gezeigt, dass bestimmten Bildverzerrungen zufolge
das Tuch sehr wohl ganz natürlich über einem Körper gelegen haben kann.
Mit mittelalterlichen Vorstellungen vom Begräbnis Christi hat das Grabtuch nichts zu
tun. Studiert man die vor dem Turiner Leinen entstandenen Darstellungen, so wurde der
tote Christus entweder in der Art einer Mumie umwickelt oder in ein Tuch so gelegt, dass
der Kopf frei blieb. Es gibt weitere gravierende Unterschiede zu vergleichbaren Bildern der
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Kunstgeschichte. So zeigen etwa die byzantinischen Epitaphien den toten Christus entweder
von der Halbseite oder in der Aufsicht. Ganz anders das Grabtuch: in ihm sieht man einen
menschlichen Körper im Inneren eines Tuches, gleichsam so, als würde er sich von vorne und
hinten in einem Spiegel betrachten: das Bild erweckt also den Anschein, von der
Körperoberfläche selbst ausgegangen, mithin eine Selbstabbildung, ein Autograph, jenes
Menschen zu sein. Die Seiten sind folglich spiegelverkehrt, was unsere Wahrnehmung in ein
Rechts-Links-Dilemma versetzt. Ferner fehlen typische Merkmale eines Kunstwerks, wie die
bei Gemälden üblichen Konturen, aber auch ganze Körperpartien, wie die Flanken, der Hals
und Teile der Schulter, die Unterschenkel etwa von der Mitte abwärts und die Vorderfüße.
Von dem vollständigeren Rückenbild ist nur eine Fußsohle sozusagen in Abrollung
abgebildet, was den Eindruck einer scheinbar unterschiedlichen Körperlänge des Toten
erweckt. Viele Betrachter irritiert besonders der 18 cm messende sogenannte „epikranische“
Zwischenraum; damit wird das Fehlen eines Bildes zwischen dem Kopf der Vorder- und
Rückseite bezeichnet. Man versteht ihn indessen leicht durch die Annahme einer Kopfbinde,
die zudem das Fehlen des Bildes unterhalb des Kinns und die unnatürliche Lage der Haare
erklären kann. Das könnte sehr gut von einer Kinnbinde herrühren und zu dem im
Johannesvangelium genannten Sudarium stimmen, das aufgrund seiner besonderen Lage
auffiel: offenbar war es "zusammengerollt und dann nicht mehr aufgelöst worden" (G.
Ghiberti).
KREUZIGUNGSSPUREN
Auf dem Turiner Grabtuch ist ein etwa 175-180 cm großer nackter Mann von etwa 25 bis 40
Jahren zu sehen. Er besitzt eine kraftvolle und wohlproportionierte Gestalt, trägt
schulterlanges, in der Mitte gescheiteltes Haar und nicht zu langen Vollbart. Die rechte
Schulter ist merklich abgesenkt, was auf die rege Betätigung des rechten Arms hinweisen
könnte. Zahlreichen gerichtsmedizinischen Untersuchungen und Experimenten ist es nicht
gelungen, irgendeine anatomische Einzelheit als falsch zu erweisen. Vielmehr zeigt das
Abbild in vollkommener anatomischer und physiologischer Exaktheit den ungewöhnlich
komplexen und bis heute nicht endgültig verstandenen, da nicht wirklich reproduzierbaren
Befund einer Kreuzigung. Tatsächlich konnte die Medizin vom Tuch lernen, selbst bei solchen
Details, in denen das Bild von der gesamten Kunsttradition abweicht, etwa bei der Nagelung
in den Handwurzeln, und nicht in den Handflächen. Auf dem Bild der Vorderseite des
Mannes verschwinden, wie schon gesagt, die Beine im Tuch, und man erkennt nur einen
großen Blutflecken. Aufgrund der Schwerkraft muss an den Fußwunden, selbst nach Eintritt
des Todes, besonders viel Blut ausgedrungen sein; deshalb wird man vermutlich direkt auf
die vordere Nagelwunde noch andere Tücher gelegt haben. Das Phänomen haben nicht
einmal die neuzeitlichen Kopisten des Grabtuches verstanden oder akzeptiert, weshalb sie
ungeniert die Füße der Vorderseite wiedergegeben haben. Mit wenigen Ausnahmen haben
sie dem Mann obendrein einen Lendenschurz verpasst, der dem Original fehlt. Auf ihm sind
vielmehr die Hände in unnatürlicher Weise vor der Scham überkreuzt, was einen
angehobenen Kopf und leicht angewinkelte Beine voraussetzt. Dabei ist das rechte Bein
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stärker angezogen, wodurch das Rückseitenbild verzerrt im Leinen zu liegen scheint. Die
meisten Ärzte haben Leichenstarre konstatiert, und vor rund 20 Jahren ist sie durch
Experimente in Turin endgültig bewiesen worden. Auf dem Abbild sind die Kontaktzonen an
Schultern, Gesäß und Waden nicht symmetrisch erweitert, wie das selbst bei schlanken
Lebenden der Fall ist.
Auf dem Turiner Grabtuch befindet sich echtes Blut der Gruppe AB, das sich an den
anatomisch exakten Stellen findet und den bei einer Kreuzigung mit folgender Grablegung zu
erwartenden Verlaufsrichtungen entspricht. Die Spuren auf den Unterarmen verdeutlichen
eindringlich die Atemnot eines Gekreuzigten, während der Blutabfluss an der rechten Seite,
der Logik des Geschehens entsprechend, in zwei verschiedene Richtungen erfolgte (nach
unten und später nach hinten). Diese Blutspuren sind größtenteils durch unmittelbare
Berührung mit dem Körper entstanden, aber in einer Weise, dass jede nennenswerte
Verkrustung fehlt. Das legt einen relativ kurzen Kontakt zwischen Leiche und Leichentuch
nahe.
Das Gesicht des Toten weist zahlreiche Verletzungen in Form von Prellungen auf. Es
wurden ferner große flächenhafte Blutungen und Schwellungen festgestellt, wie sie beim
Tod durch Ersticken auftreten. Am Nasenbein ist ihr Verlauf durch eine rundliche RissQuetschwunde unterbrochen.
Die Verletzungsspuren rings um das Haupt sind am ehesten die blutigen Relikte einer
‚Krönung‘ mit Dornen, wie sie für die Verspottung Jesu berichtet wird (Mk 15,17 par. Mt; Joh
19,2). Allerdings handelte es sich nicht um den in der Kunstgeschichte lange üblichen Kranz,
sondern um ein haubenförmiges Gebilde.
Die große Zahl von mehr als 100 Geißelhieben weist auf eine Züchtigung hin. Die bei
einer Kreuzigung übliche Vorstrafe fiel normalerweise harmloser aus, da der Delinquent die
Vollstreckung des Urteils ja noch bewusst erleben sollte. Bekanntlich wollte Pilatus aber
Jesus nur „(mit Schlägen) erziehen“ (paideúsas) und dann freigeben (Lk 23,16 u. 22); nach
Johannes ließ er im Laufe des Verhörs die Geißelung in der Tat als selbständige Strafe
vollziehen, um Jesu Kreuzigung zu verhindern (Joh 19,1-5). Dies mag neben anderem auch
den schnellen Tod des Nazareners verursacht haben.
Der Mann im Grabtuch wurde durch Annageln von Händen und Füßen gekreuzigt, was
im Falle Jesu zumindest indirekt bezeugt ist (Joh 20,25; vgl. Lk 24,39).
Dem Gekreuzigten auf dem Turiner Grabtuch wurden wie Jesus die Unterschenkel
nicht gebrochen, vielmehr wurde ihm, als er sich noch in aufrechter Haltung befand, in die
Brustseite gestochen (vgl. Joh 19,33f.). Aus der ca. 4,4 x 1,5 cm großen, spitzovalen Wunde,
die zwischen der 5. und 6. Rippe rund 13 cm rechts der Körperachse beginnt, floss zunächst
ein Gemisch aus Blut und Serum senkrecht ab, während sich ein weiteres kräftiges Rinnsal
schräg nach unten auf die Rückseite des Toten ergoss. Der dort sichtbare „Blutgürtel“
zeichnet sich in der Taille, erheblich unterhalb der Seitenwunde ab. Der zweite Blutabfluss
erfolgte mithin nicht erst aus dem flach liegenden Körper, sondern bereits bei der Bewegung
des Leichnams während der Kreuzabnahme oder der Grablegung.
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Der Hingerichtete des Turiner Grabtuchs wurde unbekleidet und offenbar
ungewaschen bestattet, als der Tod noch nicht allzu lange eingetreten war, da zwar die
Totenstarre, aber noch nicht die Verwesung begonnen hatte. Er wurde nackt ins Tuch gelegt.
All das lässt auf Eile schließen. Sie ist auch in den Evangelien im Falle Jesu bezeugt (Joh
19,42; Lk 23,54-56). Trotz aller Eile bekam der Hingerichtete des Turiner Grabtuchs ein
ehrenvolles Begräbnis in einem kostbaren Leichentuch. Das war mit Sicherheit nur selten der
Fall, bei Jesus schon (vgl. Joh 19,40).
Der Tote blieb nur kurze Zeit in diesem Tuch. Anzeichen von Verwesung, die im Süden,
zumal bei stark erhitzten Leichen relativ rasch eintritt, fehlen völlig. Das Tuch, in das nicht
nur ein Toter, sondern ein Hingerichteter gehüllt war, wurde ungereinigt aufbewahrt. Dem
stehen allgemeine und allzeit verbreitete Tabus entgegen. Erst recht galt dieser Vorbehalt im
Judentum, das sogar Sondervorschriften für die Bestattung blutbefleckter Leichen entwickelt
hat. In römischer Zeit musste das Aufheben eines solchen Objekts zudem als gesetzwidriges
Vergehen gegolten haben, weil mit der Hinrichtung die Tilgung des Andenkens einherging.
Ein Bild des Entehrten durfte nicht verwahrt werden, nicht einmal im eigenen Haus. Daher
ist das Überdauern einer solchen Reliquie nur unter einzigartigen Umständen denkbar. Diese
waren im Fall Jesu gegeben, da noch so große Interpretationskünste die Tatsache nicht
weginterpretieren können, dass nach den Evangelien die Leichentücher zugleich mit der
Feststellung des leeren Grabes für den beginnenden Glauben der Jünger an Jesu
Auferstehung von großer Bedeutung waren (vgl. Joh. 20,5-9; Lk 24,12).
PROBLEME
Das Hauptproblem mit dem Turiner Grabtuch resultiert daraus, dass erst seit etwa 1355 eine
unbestreitbare historische Dokumentation existiert. Die garstige Überlieferungslücke von
mehr als 1300 Jahren wird allerdings verständlicher, wenn man bedenkt, dass unter den
Römern nicht einmal das Bild eines hingerichteten Staatsverbrechers gezeigt werden durfte,
geschweige denn ein Grabtuch mit Bild. Ein solches musste notwendigerweise verborgen
werden und bleiben. Angesichts der Notwendigkeit einer solchen Geheimhaltung ist es
durchaus bedeutungsvoll, dass wir mittelalterliche Nachrichten von der Existenz eines
Leinens besitzen, in dem sich Jesus selbst in voller Länge und auf "göttlich verwandelte
Weise" abgebildet hat.
Andererseits soll nach einem (übrigens eigens für das Grabtuch entwickelten und an
ihm "erprobten") Messverfahren das Turiner Leinen in der Zeit zwischen 1260 und 1390
entstanden sein. Genau besehen lieferten die 1988, um das wenigste zu sagen,
unzureichend durchgeführten Radiokarbontests ein kompliziertes und nicht
widerspruchfreies Konstrukt aus Messwerten und Statistiken, dessen Brauchbarkeit in
diesem Fall von zahlreichen Physikern bezweifelt oder gar zurückgewiesen wurde. Generell
ergeben Radiokarbondatierung noch zu viele schwerwiegende Fehlzuweisungen, um isoliert
eine strittige Frage entscheiden zu können. Unlängst wurde die Holzkohle aus den
Quadermörteln des sicher römischen Legionslagers in Regensburg durch zahlreiche
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Radiokarbonmessungen in die Zeit zwischen 600 und 850 n. Chr. datiert, und niemand käme
auf die Idee, die aus dem Jahr 179 n. Chr. stammende Torinschrift agilolfingisch-karolingisch
umzuinterpretieren.
Der Radiokarbontest des Grabtuchs allein ist nicht weniger sicher als manche
fragwürdige Argumente der 'Sindonologen': etwa die sog. Pilatusmünzen auf den Augen
oder die neuerdings wieder behaupteten Inschriften auf dem Tuch. Ungeachtet dessen kann
man behaupten: Dieses Leinen befand sich nach den darauf gefundenen Pollen im Vorderen
Orient, vermutlich sogar in der geobotanisch einzigartigen Umgebung Jerusalems. Die
abgebildete Kreuzigung spricht eher für eine antike Entstehung, weil spätere Kreuzigungen,
etwa im Kalifat von Cordoba, meist nur Zusatzstrafen waren. Insonderheit träfen alle
besprochenen 'jesustypischen' Merkmale auf dem Grabtuch unter 200 Milliarden
Gekreuzigten nur auf einen einzigen wieder zu (Bruno Barberis). Ein zwingender Beweis folgt
daraus selbstverständlich nicht, aber es sei bemerkt, dass in den letzten 2000 Jahren
maximal 200 Milliarden Menschen gelebt haben.
BEDEUTUNG
Es wird uns wohl nie gelingen, das Turiner Grabtuch sicher als Jesu Grabtuch zu erweisen.
Die Naturwissenschaften können es nicht, weil es, wie ein jüdischer Chemiker und
Grabtuchanhänger einmal sagte, kein akzeptables naturwissenschaftliches Experiment zum
Nachweis Christi gibt. Die Geisteswissenschaft und ganz besonders die Geschichtsforschung
kann es auch nicht, weil sie ihrem Wesen nach in den Bereich der von Jakob Grimm so
getauften ‚ungenauen Wissenschaften’ gehört. Ihr bleibt nur das Streben nach Wahrheit und
die Bescheidung mit Wahrscheinlichkeiten. So bleibt das Grabtuch ein Zeichen oder, wie
Kardinal Schönborn einmal schrieb, ein "Köder Gottes". Das tief berührende Bild kann
Neugier am Glauben wecken und vorhandenen fördern. Aber ohne die Wortbotschaft der
Evangelien bliebe das Turiner Grabtuch anonym und weitgehend stumm. Christlicher Glaube
war und ist auch ohne das Grabtuch möglich. So gesehen verliert die Echtheitsfrage für
Christen an Brisanz. Der frühere Turiner Kardinal Saldarini äußerte einmal vor
Grabtuchexperten, er könnte sich vorstellen, dass uns die Gewissheit möglicherweise auch
deshalb vorenthalten werde, weil der Herr "uns in seiner väterlichen Erziehung helfen
möchte, das Turiner Grabtuch in seiner Funktion als Zeichen zu erhalten und seine Kinder
vor der Gefahr zu bewahren, es zum Idol zu machen.“ Wie einer der besten Kenner des
Tuches, Monsignore Ghiberti, gesagt hat: "auch für den Fall, dass das Turiner Grabtuch nicht
aus römischer Zeit stammen sollte, bliebe es immer noch ein unerklärtes Zeichen, welches
die johanneische Beschreibung der Leiden Jesu getreu widergibt“. Das Grabtuch ist eine
Mahnung an die Fähigkeit des Menschen zur grenzenlosen Grausamkeit und eine Hoffnung,
dass das Böse nicht das letzte Wort hat. Das Turiner Grabtuch ist ein Bild des Trostes und
dadurch Ausdruck von Gottes Barmherzigkeit, welche selbst das größte Leiden des
Menschen überwindet.
Verfasser: 2015-XI-28 Prof. Dr. Karlheinz Dietz
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