Das Grabtuch von Turin

Transcrição

Das Grabtuch von Turin
Dr. Thomas Schlager-Weidinger
Eine Menge Stoff:
Das Grabtuch von Turin
Kapitelübersicht
Beschreibung
Das Turiner Grabtuch
– ein Objekt
der Wissenschaften
Der historische Befund
Der naturwissenschaftliche
Befund
Der gerichtsmedizinische
und kriminologische
Befund
Der theologische Befund
Resümee
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Beschreibung
Das Grabtuch von Turin ist ein altes Leinentuch, das 4,36 Meter lang
und 1,10 Meter breit ist und welches ein Ganzkörperbildnis der
Vorder- und Rückseite eines Menschen zeigt.
Unumstritten ist, dass es sich bei dem Tuch um eine Singularität (d.h.
eine vereinzelte Erscheinung) handelt, und zwar v. a. durch folgende
Eigenschaften:
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1. Die Abbildung ist verzerrungsfrei nach Art einer fotografischen Projektion
auf eine plane Fläche, also kein Kontaktabdruck. Trotzdem zeigt sie Vorderund Rückseite der abgebildeten Person in voller und identischer Größe.
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2. Die Abbildung ist nach Helligkeitsparametern ein Negativ. Erst neuzeitliche
fotografische Technik erlaubt die Umkehrung, die ein stufenlos abgeschattetes,
vollkommen realitätsechtes „Schwarzweißfoto“ ergibt. Die Entstehung durch
Malerei ist damit kaum denkbar.
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3.Die Abbildung zeigt einen nach
der Art Jesu gekreuzigten Mann
mit Spuren von Geißelung, Dornenkrönung, Annagelung und Brustöffnung. Auffällig ist, dass jene
Details, welche zunächst in der
christlichen Ikonografie anders
dargestellt wurden, mit den Ergebnissen moderner archäologischer
Forschung übereinstimmen: die
Spuren der Dornenkrone ergeben
keinen Kranz, sondern eine Haube;
die Hände erscheinen nicht in der
Fläche, sondern in der Wurzel
durchbohrt; die Beine müssten am
Kreuz seitlich angewinkelt, nicht
ausgestreckt gewesen sein.
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Gegenüberstellung von Positiv und Negativ
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Am Grabtuch sind des weiteren Brandschäden, Wasserflecken, aufgesetzte
Flicken und Falten feststellbar. Am augenfälligsten sind wohl zwei der Länge
nach verlaufende dunkle Streifen, die an mehreren Stellen von diversen Flecken
und Flicken unterbrochen werden. Dabei handelt es sich um Spuren eines
Brandes im Jahre 1532. Das Tuch lag damals in einem silbernen Schrein. Aus
der Symmetrie der Schäden ist zu ersehen, wie das Tuch gefaltet war: zweimal,
also in vier Schichten, der Länge nach und in zwölf Schichten der Breite nach,
zusammen also in 48 Schichten. An einer Ecke war der Silberschrein bereits so
erhitzt, dass an dieser Stelle das Tuch durch alle Schichten versengt und etwa
dreieckige Löcher durchgebrannt wurden, die später mit Leinenstücken
überdeckt wurden. Außerdem kann man entlang der Mitte und an den Rändern
rhombusförmige Flecken erkennen, welche durch Löschwasser verursacht
wurden.
Faltung des Tuches
Schematische Darstellung der Brandschäden und der Faltung am offenen Tuch
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Einige kleine, regelmäßig angeordnete Brandlöcher (auf der Vorderansicht
beiderseits der Hände, auf dem Rückenbild in Höhe der Oberschenkel) sind
älter. Sie können bereits vor 1516 nachgewiesen werden, wie auf einer Kopie
des Turiner Grabtuches ersichtlich wird; diese wird Albrecht Dürer zugeschrieben.
Das Turiner Grabtuch –
ein Objekt der Wissenschaften
> Die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen
>> Naturwissenschaften
>> Humanwissenschaften
>> Theologie
>> Wissenschaftliche Methoden
>> Gütekriterien für empirische Untersuchungen
> Die Sindonologie
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Die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen
Sowohl für die Naturwissenschaften als auch für die Humanwissenschaften ist das Turiner Grabtuch ein äußerst interessantes Forschungsobjekt. Für die Theologie ist dieses nur von geringer Bedeutung.
Die Sindonologie umfasst verschiedene wissenschaftliche
Forschungs- bzw. Untersuchungsmethoden aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, deren Ergebnisse sich letztlich
ergänzen sollen bzw. nicht widersprechen dürfen.
Die empirischen Untersuchungen müssen selbstverständlich den
wissenschaftlichen Gütekriterien (Reliabilität, Objektivität, Validität)
entsprechen.
Naturwissenschaften
Die Naturwissenschaften stehen nach traditioneller Auffassung den Geisteswissenschaften bzw. in einem moderneren Begriffsverständnis den Humanwissenschaften gegenüber. Allerdings ist diese ausschließliche Zweiteilung der
Wissenschaften in zwei große Kategorien heute weitgehend nicht mehr begriffliche Grundlage: Als prominentestes Beispiel für eine Wissenschaft, die weder
als Natur- noch als Geisteswissenschaft einzuordnen ist, gilt die Mathematik,
die den Strukturwissenschaften zugeordnet wird.
Naturwissenschaften sind Wissenschaften, die sich mit der unbelebten und
belebten Natur befassen, diese zu beschreiben und zu erklären versuchen. Die
traditionellen Gebiete der Naturwissenschaften – Physik, Chemie und Biologie –
prägen auch heute noch nachhaltig das verbreitete Bild der Naturwissenschaften. In der Gegenwart wird der Begriff Naturwissenschaften jedoch deutlich
weiter gezogen.
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Humanwissenschaften
Unter den Humanwissenschaften versteht man all die Wissenschaftsgebiete,
die sich mit dem Menschen als Forschungsobjekt befassen, d.h. Anthropologie,
Humanbiologie, Humanethologie, Medizin, Geschichtswissenschaft, Archäologie,
Soziologie, Politikwissenschaft, Geographie, Ethnologie, Volkskunde, Psychologie, Pädagogik, Pflegewissenschaften sowie verwandte und interdisziplinäre
Richtungen.
Mit diesem Begriff wird auf die Tendenz zum interdisziplinären Arbeiten reagiert,
die zunehmend frühere Unterscheidungen zwischen Geisteswissenschaften und
Sozialwissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits
relativiert.
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Theologie
Die Theologie (griech. θεολογία, theología, von θεός, theós, „Gott“ und λόγος,
lógos, „Lehre“) ist wörtlich die Lehre von Gott, allgemeiner die Lehre von Glaubenssystemen und Glaubensdokumenten.
Die christliche Theologie versteht sich als
- wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Quellen des Glaubens (Biblische
Theologie und Historische Theologie),
- der systematischen Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische
Theologie: besonders Fundamentaltheologie und Dogmatik)
- und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie).
Viele der in der Theologie üblichen Analysesysteme und Methoden werden
auch im Bereich der Linguistik, der Philosophie oder der Geschichtswissenschaft verwendet. Dies ermöglicht den wissenschaftlichen Diskurs zwischen
evangelischen, katholischen, orthodoxen, jüdischen, atheistischen und andersgläubigen Wissenschaftlern, wie er zum Beispiel in der Religionsgeschichte
und in der Biblischen Wissenschaft (Exegese) üblich ist. Dennoch hat jede
Theologie ihr Spezifikum in der Art und Weise, wie sie ihren "Gegenstand"
(Materialobjekt) und ihren methodischen Zugang (Formalobjekt) definiert.
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Für die Theologie ist das Grabtuch von geringer Bedeutung, da der Glaube
in erster Linie von der Beziehung zum auferstandenen Jesus, als auch von Zeugnissen des Neuen Testamentes geprägt wird – und nicht von einem Gegenstand.
„Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er
zu Thomas: Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine
Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern
gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm:
Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch
glauben. Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben
sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und
damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,27-31)
„Die geheimnisvolle Faszination des Grabtuches wirft Fragen über die Beziehung dieses geweihten Leinens zum historischen Leben Jesu auf. Da das
aber keine Glaubensangelegenheit ist, hat die Kirche keine besondere Befugnis, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen.“ (Papst Johannes Paul II. am 24.
Mai 1998)
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Wissenschaftliche Methode
Alle wissenschaftlichen Methoden folgen dem gleichen Ansatz, um ein
Problem zu untersuchen.
Die wissenschaftliche Arbeitsweise setzt voraus:
> Anwendung logisch strukturierter Überlegungen auf alle
Beobachtungen
> Formulieren einer Hypothese
> Zurückweisung oder Bestätigung der Hypothese durch Versuche und
Vergleiche
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Wissenschaftliche Methode
Beobachtung
>> Beschreibungen und Messungen
Beobachtung
Mustererkennung
>> Ursache und Wirkung von
Zusammenhängen und Tendenzen
Gesetz
IDEE ;-)
Theorienentwicklung
>> Hypothesen aufstellen
und testen
Experimente
>> Tests kreieren und
durchführen, um zu
beweisen/widerlegen,
dass die Hypothese zu
einer Theorie führt
Theorie
(Voraussagen)
Modifizierung
der Theorie
Experimente
(weitere
Beobachtungen)
Erfolg bzw. Misserfolg
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Gütekriterien für empirische Untersuchungen
Die Reliabilität stellt neben der Validität und der Objektivität eines der drei
wichtigsten Gütekriterien für empirische Untersuchungen dar. Diese bauen
aufeinander auf. Ohne Objektivität keine Reliabilität, ohne Reliabilität keine
Validität.
Beispiel: Als Standardbeispiel wird oft der Intelligenzqotient herangezogen.
Betrachtet man die drei Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität, so
sind die ersten beiden Gütekriterien gut erfüllt: Der Intelligenzquotient lässt
sich unabhängig vom Beobachter feststellen und das Testergebnis lässt sich
auch wiederholen. Die Validität, also die Gültigkeit, lässt sich aber bezweifeln,
da oft kritisiert wird, das der Intelligenztest keine genaue Aussage über die
wahre Intelligenz macht.
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Die Reliabilität (Zuverlässigkeit; Messgenauigkeit; Wiederholbarkeit)
bezeichnet die formale Genauigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen.
Reliable wissenschaftliche Ergebnisse sind frei von Zufallsfehlern, d.h. bei
Wiederholung eines Experimentes unter gleichen (!) Rahmenbedingungen
würde das gleiche Messergebnis erzielt. Reliabilität ist also ein Maß für die
Replizierbarkeit der Ergebnisse unter gleichen Bedingungen.
Objektivität (Beobachterübereinstimmung) ist eine Eigenschaft, die der Haltung eines Beobachters oder der Beschreibung einer Sache oder eines Ereignisses zugeschrieben werden kann. Im Fall der Beschreibung bezeichnet
Objektivität die Übereinstimmung mit der Sache oder dem Ereignis ohne eine
Wertung oder subjektive Verzerrung, im Fall des Beobachters das erfolgreiche Bemühen um eine solche Übereinstimmung.
Mit Validität (von lat. validus: stark, wirksam, gesund; Gültigkeit) wird in
erster Linie das argumentative Gewicht einer (vornehmlich wissenschaftlichen) Feststellung bzw. Aussage, Untersuchung, Theorie oder Prämisse
bezeichnet. Sie gilt vor allem für empirische Untersuchungen als Inbegriff des
Vorhandenseins exakter methodisch-logischer Qualitätskriterien.
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Sindonologie
Die Wissenschaft des Grabtuchs
nennt sich Sindonologie (aus dem
Griechischen sindón, das für
Leichentuch und auch für eine
Bekleidung im Markusevangelium
verwendet wird).
Ray Rogers (links), Chemiker, Mitglied des Shroud of Turin Research Project
(STURP) von 1978
Die Sindonologie ist eine sehr kontroverse Wissenschaft, in der sich Authentizitätsbefürworter und Gegner teilweise unversöhnlich gegenüberstehen. Auch
sind im Umfeld dieser Wissenschaft viele populärwissenschaftliche oder schlichtweg pseudowissenschaftliche Publikation entstanden, in denen fragwürdige
Theorien verbreitet werden, welche zum Teil auf angeblich heimlichen und
unautorisierten Probenentnahmen und entsprechenden Messungen beruhen und
deswegen wissenschaftlich nicht überprüfbar sind.
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Ein besonderes Problem der Sindonologie dürfte auch sein, dass Wissenschaftler
nur eingeschränkt und selektiv Zugang zum Grabtuch haben, was Verschwörungstheorien begünstigt und unabhängige Forschung erschwert.
So wird etwa dem STURP-Projekt (Shroud of Turin Research Project) von
Kritikern vorgeworfen, dass viele Mitglieder mehr religiös als wissenschaftlich
motiviert sind und einige gleichzeitig Mitglied einer „Gilde des Heiligen
Grabtuches“ (engl. Holy Shroud Guild) sind, einer katholischen Organisation
welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die „Sache“ des Grabtuches zu
fördern.
Der naturwissenschaftliche Befund
> Die Fotografie als Beginn der modernen
wissenschaftlichen Erforschung
> Theorien zur Entstehung des Negativabdrucks
> Radiocarbondatierung (C14-Test)
> Pollenanalyse
> Gewebeuntersuchung
> Mikroskopische Untersuchung
> Chemische Untersuchung
> Datierung durch Lignin-Vanillin-Zerfall
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Die Fotografie als Beginn der modernen
wissenschaftlichen Erforschung
Am 28. Mai 1898 wurde der Turiner Ratsherr und
Rechtsanwalt Secondo Pia, ein geschätzter Amateurfotograf, eingeladen, das Turiner Grabtuch - zum
ersten Mal in der Geschichte - zu fotografieren. Und
weder er noch sonst jemand dachte daran, dass sich
damit eine Sensation vorbereitete.
Im stillen Dunkel der Kathedrale stand er vor dem
Tuch, das in ganzer Länge ausgebreitet war, eingefügt
in einen Rahmen und geschützt durch eine Glasplatte.
Es war vergilbt von den Jahrhunderten durchzogen
von Spuren alter Brandstellen, restauriert mit Flicken.
Zwischen all den Hinweisen auf schwere Beschädigungen hob sich vom
elfenbeinfarbenen Tuch ein sepiafarbener Schatten ab, der ein Abdruck eines
Gesichts zu sein schien sowie zweier Arme, die Hände überkreuzt. An den
Rändern schien die Farbe in ein Nichts zu verschwimmen. Je mehr die Augen
sich an die Situation anpassten, um so dramatischer wurde der Anblick. Denn
von dem Tuch begann sich allmählich die Gestalt eines Körpers abzuheben,
etwa so, wie die Umrisse eines Ertrunkenen auf dem Wasser aufsteigen.
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„Negativ“
„Positiv“
Fotographisch war das Bild, das sich zeigte, kaum festzuhalten, - aber Pia
gab nicht auf. Dickköpfig, wie er war, korrigierte er sich mehrmals und machte
dann an jenem lauen Abend des 28. Mai mit großen Fotoplatten von 50 mal
60 Zentimeter doch noch technisch korrekte Aufnahmen.
Das erste Negativ, das sich langsam auf der in das Entwicklungsbad gelegten
Platte entwickelte - und die er dann vor Aufregung fast fallen ließ - sollte sich
wie ein Lauffeuer über die ganze Welt verbreiten.
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Im Anschluss an Pias Entdeckung begannen die wissenschaftlichen Diskussionen um das Tuch. Hatten sich alle Argumente bis dahin nur auf gemalte
Kopien oder Berichte von Augenzeugen stützen können, so war es jetzt möglich,
das Bildnis tausendfach zu vervielfältigen und jedem zugänglich zu machen.
Außerdem ließen sich nun dank der Verstärkung der Kontraste auf der Fotografie viele zuvor unbekannte Einzelheiten erkennen. Scheinbar nur Details, sind
sie doch von wesentlicher Bedeutung in der wissenschaftlichen Analyse des
Tuches. Trotzdem muss festgehalten werden, dass auf dieser Aufnahme nicht
alle wichtigen Einzelheiten zu erkennen sind; handelt es sich doch um keine
Detailaufnahmen, sondern um ein Abbild des gesamten über 4m langen Tuches.
1931 wiederholte der Fotograf Giuseppe Enrie die Prozedur. Seither steht es
fest: Es handelt sich um keine Malerei. Entsprechende Versuche, das Gegenteil
zu beweisen, verliefen im Sand.
Wie jedoch der Negativabdruck entstand, ist bis heute ein Rätsel.
Theorien zur Entstehung des Negativabdrucks
Welcher der nun folgenden Theorien man auch eher zugeneigt ist, eines ist klar, man
bewegt sich hier nach wie vor auf dem Felde der Spekulation und ein endgültiges Ergebnis
gibt es in dieser Frage noch nicht.
[>> Die Beschaffenheit des Grabes als Voraussetzung]
> Chemische Vaporographie: „Verfärbung“ des Tuches aufgrund
aufsteigender Dämpfe
> Kontaktabdruck: Entstehung des Abdruckes durch eine direkte Berührung
des Tuches mit dem Körper
> Das TG als sich „entwickelndes“ Bild: Das Abbild wird erst durch einen
natürlichen chemischen Prozess im Laufe der Zeit sichtbar
> Entstehung durch Versengung: Das Abbild entsteht durch Hitze
> Die Theorie vom „thermonuklearen Strahlenblitz“: Das Abbild als
fotographischer Abdrucke augrund einer thermonuklearen
Strahlung
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Chemische Vaporographie:
Paul Vignon entwickelte diese Theorie, um die Entstehung des Tuchbildes zu
erklären. Vom gesalbten Leichnam aufsteigende, peroxidhaltige oder vom
Schweiß stammende ammoniakhaltige Dämpfe hätten das mit Myrrhe- und
Aloeflüssigkeit getränkte, aber straff aufgelegte Tuch stellenweise oxidieren
lassen, also gedunkelt. Es handelt sich also hier nicht um einen Kontaktabdruck, also einer Berührung des Körpers mit dem Tuch, sondern um eine
„Verfärbung“ des Tuches - also eher etwas, das einer Projektion gleichkommt aufgrund aufsteigender Dämpfe (vapor = lat. Dunst). Diese Verfärbung sei
letztlich durch die Reaktion der vom Tuch aufgesogenen Lösung von Aloe und
Myrrhe entstanden, durch die Bildung von Ammoniumkarbonat, dessen Dämpfe
in der feuchten Atmosphäre zwischen Haut und Leintuch die Fasern direkt
proportional zum Kontakt mit dem Körper dunkel verfärbt hätten. Deshalb ist die
Färbung dort am stärksten, wo das Tuch den Körper berührt, und wird
schwächer, je weiter Tuch und Körper auseinander liegen. Dies würde auch den
Negativcharakter des Abbildes erklären, außerdem liegt auch hier der Ursprung
für die „Entdeckung der 3.Dimension“ im Tuchbild.
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„Negativ“
„Positiv“
Die Experimente mit Aloe und Myrrhe, die Vignon mit Hilfe des Chemikers
René Colsons an sich selbst durchführte, blieben teilweise unzufriedenstellend, da die so erzielten Abdrücke recht verschwommen und verzerrt
waren, wie ein vergleichbarer Abdruck von Prof. Judica-Cordiglia zeigt:
Ein viel versprechender Ansatzpunkt für weitere Forschungen war aber
trotzdem gefunden worden und seine Theorien fanden zu späterer Zeit erneut
Beachtung.
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Kontaktabdruck:
Gemeinsam mit der Theorie der chemischen Vaporographie war diese Annahme
eine der ersten, die von den Grabtuchforschern entwickelt wurde. Der
wesentliche Unterschied zu voriger besteht darin, dass hier die Entstehung des
Abdruckes auf eine direkte Berührung des Tuches mit dem Körper zurückgeführt
wurde. Wie bereits erwähnt, führte Vignon auch Versuche in diese Richtung
durch. Wilcox beschreibt diese folgendermaßen: „Er klebte sich einen Bart von
der ungefähren Größe und Form des Originals auf dem Turiner Tuch ins
Gesicht, legte sich auf einen Tisch und befahl zwei Helfern, sein Gesicht mit
rötlichem Kalkpulver zu bestreuen. Dann legten die Assistenten ein Leinentuch
über Vignons Kopf, drückten es fest gegen das Gesicht und versuchten durch
leichtes Reiben die Konturen auf das Leinen zu übertragen. Sie hatten
tatsächlich Erfolg: nach dem Abschluss des Experiments befand sich wirklich ein
Negativbild Vignons aus rötlichem Kalkstaub auf dem Gesichtstuch. Aber die
Wiedergabe war unvollkommen: [...] Das ganze wirkte eher wie ein Zerrbild und
kam in keiner Weise an die Genauigkeit des Abbildes auf dem Turiner Grabtuch
heran“.*
(* aus: Wilcox, Robert K.: Das Turiner Grabtuch. Ein Beweis für die Auferstehung Jesu, Düsseldorf-Wien 1978, 94)
Das Turiner Grabtuch als sich „entwickelndes“ Bild:
Hierbei geht man von der Annahme aus, dass ein natürlicher chemischer
Prozess das Abbild auf dem TG erst im Laufe der Zeit sichtbar machte, quasi
„entwickelt“ hat. Die Grundlagen für diese Theorie sind jedoch ähnlich zu den
vorangegangenen, besonders der chemischen Vaporographie. Hautsekrete
und/oder Öle (eventuell auch Aloe und Myrrhe) hätten durch Direktkontakt mit
der Gewebezellulose und/oder mit den Auftragemitteln chemische Verbindungen
ergeben, welche im Laufe der Zeit eine Dunkelfärbung hätten verursachen
können. Schweiß oder Kochsalz ergibt hierbei, auf ölhaltiges Tuch vor dem
Erhitzen aufgetragen, Bräunungsstellen, welche in der Farbe jenen des Abbildes
auf dem Grabtuch weitgehend entsprechen. Es ist darum damit zu rechnen,
dass auch der Zeitfaktor bei der Bildentstehung eine Rolle spielte. Obwohl diese
Experimente durchaus brauchbare Resultate erzielten, wäre eine Übertragung
zum Beispiel lückenfreier und unverzerrter Gesichtseinzelheiten und anderer
Details nach dieser Methode unmöglich gewesen. Auch die im Abbild
gespeicherte dreidimensionale Information ließe sich allein mit dieser Hypothese
kaum erklären. Trotzdem erscheint diese Hypothese zumindest für eine teilweise
Erklärung der Entstehung der Bildspuren relativ plausibel.
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Entstehung durch Versengung:
Diese Annahme erscheint bei einem ersten Blick auf das Turiner Grabtuch recht
plausibel, wirken doch die Bildspuren wie in das Tuch „eingebrannt“. Ein in den
1960-er Jahren durchgeführter Versuch mit einem erhitzten Medaillon, welches
dann auf ein Leinenstück gedrückt wurde, brachte ein dem Charakter des
Abbildes auf dem Turiner Grabtuch recht ähnliches Ergebnis. Wo das Taschentuch direkt auf den Metallteilen zu liegen gekommen war, waren die Verfärbungen am dunkelsten, wo der direkte Kontakt aber fehlte, war die Verfärbung
ganz zart oder das Tuch behielt überhaupt seine ursprüngliche Farbe. Dennoch
ist natürlich dabei zu bedenken, dass sich ein menschlicher Körper anders
verhält als ein Metallstück, insofern stellt sich die Frage, wie realistisch diese
Einschätzung ist.
Die Theorie vom „thermonuklearen Strahlenblitz“:
Manche Wissenschaftler sprechen
von einem ähnlichen Vorgang wie er
auch bei der Atombombenexplosion in
Hiroshima zu beobachten war. Unter
der ungeheuren Energieentladung
hatten sich Gegenstände wie fotografische Abdrucke auf Mauerwänden eingebrannt.
Skeptiker schütteln den Kopf. Experte
Luigi Gonella präzisiert: "Es sieht so
aus, ich betone: es sieht so aus, als
hätte eine unbekannte Strahlung
stattgefunden. Eine Strahlung, die
Permanenter Schatten infolge des Strahlenblitzes von Hiroshima.
aber vollkommen andersartig ist, als
jene, die durch die Atombombenexplosion in Hiroshima bewirkt wurde.
Amerikanische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass es keinerlei
materielle Restspuren auf dem Leinen gibt, weder Spuren von Farbe, noch Aloe
oder Myrrhe."
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Die Beschaffenheit des Grabes als Voraussetzung eines Abdruckes:
Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass es sich wohl um zwei verschiedene
Abbildungsvorgänge für Bild- und Blutspuren handelt. Erstens scheinen die
Blutspuren zuerst auf das Tuch gekommen zu sein, da sich darunter keine
Bildspuren ausmachen lassen. So auch der Grabtuchforscher Bulst : „Unter den
Blutstellen sind die Fasern nicht verfärbt. Die Blutspuren müssen also vor der
Entstehung des Körperbildes auf das Tuch gekommen sein und das Tuch gegen
die Einwirkung jener Faktoren abgeschirmt haben, die das Körperbild
bewirkten“. Zweitens haben sie das Tuch durchdrungen, während die Bildspuren
nur an der Oberfläche zu sehen sind. Und drittens sind die Blutspuren auch von
dem charakteristischen Negativeffekt des Turiner Grabtuches ausgenommen;
sie erscheinen auf dem Original wirklich dunkel und auf dem fotografischen
Negativ hell, also wie bei einem „echten“ Negativ.
Von den Befürwortern der Echtheit – wird die These vertreten, dass Jesus in
einer Art Arcosol-Troggrab bestattet worden sei.
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Man hat sich dieses Grab so vorzustellen:
ein Felsengrab, bei dem in die Felsbank
unter dem Felsgewölbe ein etwa
sargförmiger Trog eingehauen war. Diesen
Grabtypus gab es in Palästina bereits seit
der Eisenzeit und es entspricht auch dem
Grab, welches unter Konstantin aufgefunden
wurde. Nun konnte man bei einem
Begräbnis das Leichentuch am Boden des
Troges ausbreiten, wo es relativ eben auflag.
Die obere Hälfte des Tuches, mit der man
Arcosol-Troggrab.
das Grab dann abdeckte, wurde von den
umlaufenden Felsrändern gehalten.
Es senkt sich in der Mitte nur so weit, bis es auf dem Körper aufliegt. So lag
auch die obere Tuchhälfte nahezu eben, die Verzerrungen beim Frontbild sind
infolgedessen geringfügig. Dies sollte also eine relativ straffe Spannung des
Tuches über dem Körper ermöglichen, um so ein recht gleichmäßiges Abbild
entstehen zu lassen.
Kritiker betonen, dass „Arcosol-Gräber erst in der frühen byzantinischen
Periode entstanden sind, also etwa 200 Jahre nach Jesu Grablegung. Davor
gab es eine kurze Periode spätrömischer Schaftgräber.
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Der am weitesten verbreitete und typische Grabbau der Zeit Jesu war das
kôkim-Grab, und ganz offensichtlich war auch das Grab, in das sie Jesus
legten, ein solcher Grabbau. Folgende Abbildung verdeutlicht dieses Szenario.
Rekonstruktion eines Kôkim- Grabbaues
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Gegen die Theorie des Arcosol-Grabes ist folgender Einwand ernst zu
nehmen:
„Und was ist mit dem Rücken? Wenn das Tuch flach über dem Körper war,
damit das Negativbild entstehen konnte, wie ist dann eigentlich das
Negativbild vom Rücken entstanden? Da kann doch die Theorie mit dem
Arcosol-Grab nicht stimmen. Denn da muss der Leichnam sehr wohl in
direktem Kontakt mit dem Tuch gewesen sein, oder haben wir uns
vorzustellen, dass der Körper zwischen dem oberen und unteren Teil des
Tuches geschwebt ist oder was?“
(aus: Dirnbeck, Josef: Jesus und das Tuch. Die „Echtheit“ einer Fälschung, Wien-Klosterneuburg 1998, 154.)
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Die Radiocarbondatierung
Mit Hilfe der Radiocarbondatierung - auch C14-Methode genannt - lässt sich
das Alter organischer Stoffe bestimmen. Dabei macht man sich zunutze, dass
in der Stratosphäre ständig radioaktiver Kohlenstoff-14 unter dem Einfluss
kosmischer Strahlung aus Stickstoff-14 entsteht, wobei ein Neutron durch ein
Proton ersetzt wird. Mit einer Halbwertszeit von 5730±40 Jahren zerfällt das
Kohlenstoff- wieder in das Stickstoffisotop. Da Erzeugung und Zerfall im
Gleichgewicht stehen, ist der C14-Anteil im Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre
weitgehend konstant.
Geht man von einem konstanten
Verhältnis der beiden Kohlenstoffisotope
aus, dann lässt sich dieses für die
Altersbestimmung heranziehen. Denn
über die Photosynthese gelangen beide
Kohlenstoffisotope in die Nahrungskette.
Stirbt nun eine Pflanze oder ein Tier,
dann wird auch kein Kohlenstoff mehr
aufgenommen; d.h. der Bestand an
vorhandenem Kohlenstoff-14 wird durch
den radioaktiven Zerfall immer kleiner. Je
weniger C14 in einem Gegenstand ist,
umso älter ist er.
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Drei Forschergruppen aus Arizona, Oxford und Zürich bestimmten 1989
das Alter des Tuches mittels Radiocarbon-Methode; veröffentlicht wurden
die Resultate im Fachblatt Nature. Die Zürcher Gruppe um Georges Bonani
vom ETH-Institut für Teilchenphysik erhielt dafür 52,8 Milligramm
Probenmaterial. „Dieses Stück wurde zuerst in zwei Teile unterteilt. Von der
ersten Hälfte wurden drei Proben hergestellt, die unterschiedlich gereinigt
wurden, um eventuelle Verunreinigungen feststellen zu können.
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Die Proben der zweiten Hälfte wurden zu einem späteren Zeitpunkt
analysiert“, berichten die Zürcher Forscher. „Alle Proben ergaben
übereinstimmende Resultate.“ Die ETH datierte die Proben auf ein Alter
von 676 Jahre, die Wissenschafter der University of Oxford auf 750 Jahre
und die Physiker der University of Arizona auf 646 Jahre. Das heißt:
Wenn das Tuch höchsten 750 Jahre alt ist, kann es dann Jesus von
Nazareth umhüllt haben?
Leinenfäden vom TG unter dem Elektronenmikroskop (links in 1ooofacher, rechts in 8ooofacher Vergrößerung). Die deutlich sichtbaren Kontaminationen sind teilweise, da mit den Fasern des Tuches verwachsen,
kaum zu entfernen und stellen insofern einen erheblichen Unsicherheitsfaktor für die Exaktheit der Karbondatierung dar.
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Aber schon bald nach der Veröffentlichung dieses Ergebnisses wurden Zweifel
angemeldet. Ein wichtiges Argument war, dass der Rand des Tuches kunstgestopft sei, also Fäden enthalte, die jünger seien. Ein anderer Kritikpunkt (von
Werner Bulst in „Betrug am Turiner Grabtuch, Der manipulierte Carbontest“) war
auch, dass die Stelle, an der die Probe entnommen wurde, sichtbar gründlich
verunreinigt war. Es ist eine der Ecken, an der das Tuch früher und durch
Jahrhunderte bei Ausstellungen wohl (ahnungslos) mit bloßen Händen gehalten
wurde. Hitze, Schweiß, Ruß von Fackeln und Kerzen haben durch die
Jahrhunderte besonders an diesen Stellen auf das Tuch eingewirkt.
Die Ausstellung des Grabtuches in Turin im Jahre 1578 (zeitgenössische Darstellung aus dem gleichen Jahr). Das Tuch
wurde bei zahlreichen Ausstellungen - sechs Jahrhunderte lang - offen und ungeschützt gehalten, unter Einfluss von Fackeln,
Kerzen und dgl., wie hier dargestellt. Vor allem die Ecken des Tuches litten unter dieser Handhabung.
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Eine weitere Kritik bezieht sich auf die Verpackung der Teststücke:
Die ganze Prozedur der Textilprobenentnahme wurde auf Video und Foto
dokumentiert. So liest man es auch im offiziellen Bericht in „Nature“, alles sei
festgehalten worden, „except for the wrapping of the samples in foil and their
placing in containers [...]“. Dass hier wieder die Kritiker des Tests einhaken, ist
wohl leicht vorherzusehen und da der Vorgang ja nicht dokumentiert wurde, gab
es reichlich Anlass zu Spekulationen, und es ist dies die Geburtsstunde
verschiedenster „Betrugstheorien“, wie z.B. der Theorie von den „vertauschten
Proben“, wie sie von Karl Herbst vertreten wird. Man mag nun zu diesen
Versuchen, die Tests zu diskreditieren, stehen wie man will, es erscheint
tatsächlich „unwissenschaftlich“ gerade einen der wichtigsten Momente, nämlich
die „Verpackung“ der Teststücke nicht zu dokumentieren.
Detailaufnahme vom Abschneiden des Teststücks für den Karbontest am 21. April 1988.
Dieser Vorgang wurde durch Videokamera dokumentiert - im Gegensatz zur
Beschickung und Versiegelung der Metallkapseln mit den verschiedenen Proben.
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Die Gewebeuntersuchung:
Die Webart ist ein Drei-zu-eins-Köper. Das Tuch zeigt ein seltenes Fischgrätenmuster, dessen Streifen 10 bis 12 cm breit sind. Das Material der Fäden ist aus
Flachs gewonnenes Leinen, enthält aber geringe Spuren von Baumwolle der
Gattung Gossypum herbaceum. Diese Baumwollart ist typisch für den Orient seit
dem 7. Jahrhundert vor Christus. Vermutlich wurde auf dem Webstuhl vorher ein
Baumwolltuch gewebt.
An das Tuch ist ein etwa handbreiter Längsstreifen angenäht. Er ist an beiden
Enden etwas kürzer als das Originaltuch. Er ist von der gleichen Webart, aber
nicht mit Baumwolle verunreinigt, und auf einem anderen Webstuhl genäht.
Das Durchschnittsgewicht des Grabtuches liegt zwischen 20 und 23 mg pro
Quadratzentimeter.
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Stoffstück aus Israel (ca. 100 v. – 100 n.Chr.)
12Megapixel Nikon DXM1200
Die Schweizer Textilkonservatorin Mechthild Flury-Lemberg hat im Sommer
2002 das Turiner Grabtuch in wochenlanger Arbeit von Flicken befreit und
gesäubert. Die Arbeit wurde nötig, nachdem das Leinentuch am 12. April 1997
bei einem Brand in der Turiner Kathedrale in letzter Minute gerettet werden
konnte. Die Spezialistin ist überzeugt, dass die Webart und die fein gearbeiteten
Nähte der Qualität anderer Textilien entsprechen, die im südlichen Israel
gefunden und auf das Jahr 73 AD datiert wurden. Gegenüber dem Schweizer
Tages-Anzeiger sagte sie: „Ich glaube, dass es das Tuch ist, das uns vom
historischen Christus überliefert ist. Ich kenne keinen Grund, der dagegen
spricht. Aber ein Beweis ist das natürlich nicht.“
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Die Pollenanalyse (Palynologie)
Als Palynologie bezeichnet man dem
Wortsinn nach die "Lehre vom ausgestreuten Staub". Da der Blütenstaub in
erster Linie aus Pollen besteht verwendet
man auch die Bezeichnung Pollenanalyse.
Palynologie ist die Wissenschaft, die rezente und fossile Palynomorphe,
einschließlich der Pollen, Sporen, Dinoflagellatenzysten und weiteren
Mikrofossilien studiert. Die Palynologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft.
Sie ist ein Teilbereich der Geowissenschaften (Geologie) und der Biologie,
besonders der Botanik (Paläobotanik).
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2/4
Mit besonderen Instrumenten wird von
den zu untersuchenden Geweben
etwas Staub abgehoben, der dann
sorgfältig in Spezialbehältern
aufgehoben wird. In diesem Staub
sind Pollen enthalten, wie sie von den
Pflanzen in der Reifung in relativ
großen Mengen ausgeschüttet werden
und dann sich überall, wohin sie der
Wind trägt, als verschwindend kleine
Partikeln - eben als Staub ablagern.
Pflanzen können durch die jeweils
charakteristischen Pollen identifiziert
werden. Es ist bemerkenswert, dass im trockenen Zustand solche Pollen sich
unbegrenzt erhalten. Werden sie durch Feuchtigkeit auf einer Oberfläche
fixiert, so bildet sich eine Ablagerung, die dort, wo das möglich ist - wie bei
einem rauhen Stoff - haften bleibt. Nun bilden sich aufeinander folgende
Schichten, die jeweils einem Zeitraum entsprechen, so dass eine Datierung
möglich wird - jedenfalls eine relative, d. h. der Aufeinanderfolge. Der noch
junge Zweig der Wissenschaft, den die Elektromikroskopie ermöglicht hat,
nennt sich Paläobotanik.
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3/4
Prof. Dr. Max Frei-Sulzer war der Gründer und für viele
Jahre auch der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der
Züricher Polizei. Er hatte ganz neue mikrobiologische
Methoden in die Kriminalistik eingeführt. Beides - Pflanzengeographie und Mikrobiologie - ermöglichten ihm
Forschungen und Erkenntnisse am Turiner Tuch. Am
23.11.1973 begann Max Frei mit der Abnahme von Proben
vom Turiner Grabtuch, und zwar
„konnte Dr. Frei an 12 Stellen des Tuches mit Haftstreifen Materialproben (je 10
bis 20 cm2) abnehmen. Die Methode erwies sich als so erfolgreich, dass bei der
Direktuntersuchung des Tuches Anfang Oktober 1978 von ihm weitere
Materialproben und mit nochmals 36 Haftstreifen Proben für spätere
Untersuchungen in verschiedenen Instituten abgenommen wurden“. Zur
Auswertung der Proben, die zum großen Teil noch unklassifizierte Pollen
enthielten, unternahm Frei „sieben ausgedehnte Forschungsreisen in alle Länder,
die für das Turiner Tuch, sollte es echt sein, in Betracht kamen, also in den
Nahen Osten, einschließlich Kleinasien bis Konstantinopel und Zypern“. Nach
neun langen Jahren der Forschung konnte er von den 59 Pollenarten 58
bestimmen, und er kam zu folgendem Ergebnis: Die Mehrzahl der Pollen auf dem
TG stammt von nichteuropäischen Pflanzen.
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4/4
Chrysanthemum coronarium
Capparis aegyptia
Cistus creticus
Zygophyllum dumosum
Genauer heißt das, von den insgesamt 58 Pflanzenarten kommen 17 in Westund Südeuropa vor, 19 sind im Mittelmeerraum verbreitet. Interessant ist, dass 44
der Pflanzenarten in Jerusalem gefunden wurden, 14 davon wachsen
ausschließlich in dieser Gegend. 23 weitere wurden in Südanatolien gefunden,
mit einer Art, die ausschließlich dort beheimatet ist. 14 Pflanzenarten wurden in
Konstantinopel gefunden, darunter wieder eine Art, die ausschließlich dort
wächst. [...] Selbstverständlich wachsen die in Jerusalem gefundenen
Pflanzenarten nicht ausschließlich dort. 16 Pflanzenarten wurden sowohl dort wie
im Raum Urfa nachgewiesen. [...] Entscheidend für die Beurteilung ist die
Gesamtheit der typisch Jerusalemer Flora, die sich in den Pollen auf dem Turiner
Tuch manifestiert. Ähnliches gilt für die südanatolischen Arten“. Als Bestätigung
für Freis Ergebnisse können die pollenanalytischen Forschungen der Universität
von Tel Aviv gelten, wonach „alle Pflanzenarten, von denen Pollen auf dem
Turiner Tuch vorhanden sind, auch schon vor 2000 Jahren in Palästina
[wuchsen]“.*
(* zitiert aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch. Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987)
1/3
Mikroskopische Untersuchung
Auf dem Tuch sind keine Pinselstriche erkennbar (wie sie für ein Gemälde
typisch wären). Es konnten auch keine Farbpigmente von Malerfarben
entdeckt werden. Das Bild hat keine Umrisslinien (wie ein Gemälde).
In der unmittelbaren Nähe der Brandflecken
ist die blasse Farbe des Bildes unverändert.
Das Bild ist also gegen Hitze stabil.
Die Verfärbung der Fasern des Tuches, die
in ihrer Gesamtheit das Punktraster des
Bildes ergeben, ist nur leicht und an der
Oberfläche der Fasern. An keiner Stelle ist
die Verfärbung in die Vertiefungen des
Gewebes eingedrungen. Sobald sich der
Faden entsprechend des Webmusters
abwärts neigt, verschwindet die Verfärbung.
Die Färbung des Tuches betrifft nur die
Oberseiten der obersten Fasern. Wenn man
die Fasern mit einem dicken Haarzopf
vergleicht, sind nur die zehn äußersten
Haare gefärbt.
>>
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Sogar an Stellen, die mit dem bloßen Auge dunkler erschienen –
Augenbrauen, Nase usw. – drang die Färbung nicht tiefer ein. Die größere
Dunkelfärbung entsteht nicht dadurch, dass die einzelnen Fasern dunkeler
sind, sonder dass die Dichte der gefärbten Fasern höher ist. Alle gefärbten
Fasern haben die gleiche blasse Sepiafarbe. (Sepia ist der schwarzbraune
Farbstoff, der aus dem Tintenbeutel des Gemeinen Tintenfisches = Sepia
hergestellt wird und zum Schattieren von Zeichnungen verwendet wird).
An keiner Stelle trat die Verfärbung von einer gefärbten auf eine nicht
gefärbte Nachbarfaser über. Es fand keine Ausbreitung der Farbe durch die
Kapillarität der Poren statt. Es finden sich keine Partikel von färbenden
Substanzen (Farbpigmente) auf dem Tuch.
2/3
Die Fäserchen, die den Abdruck trugen, waren an
der Oberfläche erodiert und angegriffen. Sie waren
früher vergilbt als die Fäserchen neben ihnen, die
keinen Abdruck trugen. Sie waren also schneller
gealtert. Dieses Pixelmuster von angegriffenen
Fäden und noch besser intakten Fäden ergibt das
Bild. Dort, wo das Blut die Leinenfasern bedeckte,
konnte nach Entfernen des Blutes keine Färbung
der Leinenfasern entdeckt werden. Dort, wo
Blutflecken sind, gibt es unter den Blutflecken
also kein Bild. Das Blut hat die Fasern versiegelt.
>>
3/3
Das Blut hat das Gewebe durchdrungen. Es muss sehr dickflüssig gewesen
sein, was darauf hindeutet, dass der Mann im Tuch sehr viel Körperflüssigkeit durch Schwitzen verloren hat. Es sind auch Flecken von Blutserum (Blut ohne Blutkörperchen) vorhanden.
25
1/3
Die chemische Untersuchung
Die Mikroproben von den Blutflecken im Tuch ergaben die AzobilirubinReaktion; dadurch wurde nachgewiesen, dass die Flecken Bilirubin
enthalten, den Farbstoff des Blutes. Die Röntgenfluoreszenzanalyse ergab
Eisen, das Bestandteil des Blutfarbstoffes ist. Es handelt sich um
menschliches Blut der Blutgruppe AB. Die Farbreaktion mit
Bromkresolgrün ergab eine positive Reaktion auf Serumalbumine. Die
Blutflecken stammen von menschlichem Blut mit allen seinen Bestandteilen.
>>
2/3
"Ich glaubte, etwas Falsches entdecken zu
können, das sich mit Leichtigkeit entlarven
lässt. Aber ich verließ Turin in höchstem Maße
verunsichert. Unsere Instrumente erbrachten
nicht den erhofften Erfolg. Wenn das Leichentuch ein Gemälde wäre, hätten sich die Farben
nach dem Feuer im Jahr 1532 verändert. Vor
allem aber bewegt mich die Frage, weshalb das
Bild niemals das ganze Leinen durchdrang,
sondern sich nur auf der Oberfläche befindet?
Wieso blieb unter den Blutstropfen das Gesicht
unversehrt? Wieso ist die Farbe der Blutflecken
karmesinrot und warum weisen diese Flecken
einen Hof auf?"
Dr. Ray Rogers, Mitglied des Laborstaffs der Atombomben-Versuchsanstalt im texanischen Los Alamos. Seine
Aufgabe: Die chemische Analyse der bei Nuklearexplosionen entstehenden Rückstände. Rogers, der Herkunft nach
Protestant, ein Skeptiker, der zugibt, nur seinen Instrumenten zu glauben, ging wie viele andere auch nach Turin, um
der Sache mit dem Leinen auf den Grund zu gehen.
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3/3
Mit den Blutspuren beschäftigte sich auch der amerikanische
Wissenschaftler Alan Adler. Adler, ein Physiker und Chemiker jüdischer Herkunft, nahm 1997 an einem Kongress in
Turin teil. Dabei meinte er, die karmesinrote Färbung des
Blutes deute darauf hin, dass es sich um einen Mann
handelt, dessen Wunden als er in das Tuch gewickelt wurde,
bereits von gestocktem Blut bedeckt waren:
"Es handelt sich nicht nur um gestocktes Blut, sondern um
das Blut eines Mannes, der sehr viel gelitten hat, bevor er
starb(!). Ultraviolette Aufnahmen weisen eindeutig Höfe von
Blutwasser innerhalb der Blutflecken auf."
Weniger eindeutig sind die chemischen Untersuchungsergebnisse der
Gekreuzigten-Abbildung; diese wird heute überwiegend durch Dehydration –
also durch Entzug von Wasserstoff - und damit Verfärbung der obersten
Faserschicht erklärt.
1/3
Datierung durch Lignin-Vanillin-Zerfall
Dr. Ray Rogers gelang es im Dezember 2003 von L. Gonella, welcher 1988 bei
der Probenentnahme für die Radiokarbondatierung zugegen war, kleine Proben zu erhalten, die laut Gonella von dem zur Radiokohlenstoffdatierung
verwendeten Probenstück stammen, deren Entnahme allerdings undokumentiert ist. Seine Untersuchungen führten R. Rogers, der bereits Mitglied des
STURP-Teams von 1978 war, zu dem Ergebnis, dass in der Radiokarbonprobe im Gegensatz zu den 1978 bei den STURP-Untersuchungen genommenen Proben der Stoff Vanillin, ein Zerfallsprodukt des im Flachs enthaltenen Lignins, enthalten ist. Zusätzlich enthalten demnach die Radiokarbonproben Gummiarabikum, was auf einen erst ab dem Mittelalter verwendeten
Farbstoff schließen lässt. Ferner zeigt Rogers, dass die 1973 von Prof. Raes
für textilische Untersuchungen an der praktisch gleichen Stelle wie die Radiokohlenstoffdatierung entnommenen Proben ebenfalls Vanillin und Gummiarabikum enthalten.
Da das Gummiarabikum chemisch leicht entfernbar ist, schließt er, dass die
Reinigungsprozeduren bei der 1988 durchgeführten Radiokohlenstoffdatierung
diese beseitigt haben müssen. Das Vanillin ist sowieso ein Zerfallprodukt des
Stoffes und beeinflusst eine Radiokohlenstoffdatierung nicht. Deswegen sei
eine Verfälschung der Radiokohlenstoffdatierung an sich auszuschließen,
>>
27
2/3
allerdings glaubt Rogers zeigen zu können, dass der Probenort nicht repräsentativ für das Grabtuch ist. Zu diesem Schluss kommt er durch Berechnung der
Zeit, die benötigt wird, bis die Vanillin-Konzentration, welche mit der Zeit abnimmt, unter der Nachweisgrenze liegt, so dass er ein minimales Alter für die
STURP-Proben erhält. Diese minimalen Alter hängen stark von der angenommenen Umgebungstemperatur ab, bei einer Temperatur von 25 °C kommt R.
Rogers auf ein minimales Alter von 1.300 Jahren, bei 20 °C bereits auf ein
minimales Alter von 3.000 Jahren. Demnach müsste also der überwiegende Teil
des Grabtuches, von dem die STURP-Proben stammen, älter sein als der Ort,
von dem die Radiokarbonproben stammen. Rogers schließt daraus, dass im
Mittelalter kunstvoll ein Flicken in das Originaltuch eingewebt wurde, der bei der
Entnahme der Proben als solcher nicht erkannt wurde, und daher versehentlich
das Alter einer gestopften Stelle gemessen wurde.
Allerdings hat die neue Datierung einige Schwäche: Das mit dieser Methode
datierte minimale Alter hängt stark von der Umgebungstemperatur ab (deshalb
der sehr große Bereich von 1300 bis 3000 Jahren), insbesondere können kurze
Zeiten mit hohen Temperaturen das gemessene Alter sehr stark erhöhen. Zum
anderen ist diese neue chemische Datierungsmethode noch nicht mit Hilfe von
anderen Proben bekannten Alters validiert, sondern wurde bisher nur im
Zusammenhang mit dem Grabtuch verwendet.
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3/3
Aus der Erfahrung mit anderen chemischen Datierungsmethoden ist aber
bekannt, dass man zunächst genau testen muss, ob das Ergebnis auch durch
andere Faktoren beeinflusst wird, etwa die Zusammensetzung des
Ausgangsstoffes, Anwesenheit anderer Substanzen und auch die Art der
Probenentnahme und Lagerung. Vanillin kann prinzipiell durch viele Faktoren
zerstört werden, was ein künstlich hohes Alter vortäuschen würde. Die
Aussagekraft dieser Datierung (bzw. ob eine Datierung auf diese Art
überhaupt möglich ist) lässt sich erst dann beurteilen, wenn diese Methode
systematisch mit anderen Proben validiert wurde.
Baumwollfasern aus dem Carbonteststück
– mit Gummi ummantelt!
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Der gerichtsmedizinische und kriminologische
Befund
Den Anstoß zur exakten ärztlichen Forschung zum Turiner Grabtuch gab Dr.
Barbet, Chefchirurg des Josefskrankenhauses in Paris. Er hat als erster die auf
den neuen Fotografien klar erkennbaren „Blutspuren“ untersucht. In weiterer
Folge nahmen sich immer mehr Ärzte und Gerichtsmediziner des Grabtuchs an
und vervollständigten so die Erkenntnisse über den „Mann im Tuch“. Im
Zentrum steht hierbei die Analyse anatomischer Fragen und die Beschreibung der Wunden aus dem Blickwinkel der Gerichtsmedizin.
Die Herangehensweise erfolgt also wie bei einem Mordfall, bei dem es nun
gilt anhand der zugefügten Wunden und sonstiger Körpermerkmale die
Todesursache herauszufinden.
Der gerichtsmedizinische und kriminologische
Befund
> Allgemeiner Befund
> Dreidimensionalität
> Die Handwunde
> Wunden im Kopfbereich
> Die Fußwunde
> Spuren einer Geißelung
> Die Seitenwunde
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Allgemeiner Befund
Die Gerichtsmedizin bestätigt, dass es sich hier um
das Abbild eines ca. 1,81 m großen Mannes in
völliger anatomischer Korrektheit handelt. Als
gesichert gilt auch, dass es sich bei den Blutspuren
um echtes Menschenblut der Gruppe AB handelt.
Klar ist, wer immer auch hier auf dem Leichentuch
dargestellt ist, musste ein schlimmes Martyrium
erlitten haben und vieles weist darauf hin, dass es
sich dabei um den Leichnam eines Gekreuzigten
handelt. Auffallend ist der stark gedehnte, in extremer Einatmungsstellung
fixierte Brustkorb, das eingezogene Epigastrium
(Oberbauch) und das heraustretende Hypogastrium
(Unterbauch). Das sind typische Kennzeichen für den
Leichnam eines Menschen, der an den Armen hängend gestorben ist. Durch das Festbinden der Arme
im Stile einer Kreuzigung ist nach einiger Zeit nur
mehr eine schwache Zwerchfellatmung möglich, was
Zustände von Atemnot auslöst und letztendlich nach
einigen Stunden zum Tod durch Erstickung führt.
Wunden im Kopfbereich
Bereits am Kopf bzw. am Gesicht finden sich vielerlei
Wunden und Blutungen, welche die Gerichtsmedizin
dokumentieren konnte, so folgende oberflächliche
Gesichtswunden:
1. Schwellung beider Augenbrauen; 2. eingerissenes
rechtes Augenlid; 3. große Schwellung unter dem
rechten Auge; 4. geschwollene Nase; 5. dreieckige
Wunde auf der rechten Wange mit Spitze zur Nase
weisend; 6. Schwellung an der linken Wange; 7.
Schwellung an der linken Seite des Kinns.
Am Hinterkopf finden sich einige deutliche Blutspuren, die von Blutungen von
Hautwunden herrühren. Diese Blutspuren wurden am Genick von einer
abwärtslaufenden „Linie“ angehalten. Dr. Willis dazu: „Man kann annehmen,
dass sie durch etwas, das wie eine Dornenhaube aussieht, verursacht wurde,
und sie scheint sich auf der Höhe zu befinden, wo die Dornenzweige am
Hinterkopf zusammengehalten wurden“.
Auf der Stirn finden sich ebenfalls zahlreiche kleine Blutgerinnsel, besonders
hervorstechend ist dabei jenes von der Form einer umgekehrten „3“. Auch
diese Art der Verletzungen deutet auf eine Dornenhaube hin.
30
1/3
Spuren einer Geißelung
Die nächste Gruppe von Wundmalen sind eher oberflächlicher Natur,
überziehen aber in einer ziemlich bemerkenswerten Regelmäßigkeit fast den
gesamten Körper des Leichnams, wobei nur Kopf, Unterarme und Füße
ausgenommen sind. Die Male weisen eine Größe von durchschnittlich vier
Zentimetern auf und ihre Zahl wird sehr unterschiedlich geschätzt. Woher
diese Verletzungen kommen, scheint ebenfalls klar. Eine nähere Betrachtung sowohl des Positivs wie des Negativs offenbart, dass es hantelförmige Spuren sind, die durchwegs in Dreiergruppen angeordnet sind und
sich von einer horizontalen Achse aus über die Lenden fächerförmig zu
beiden Seiten aufwärts zu den Schultern hin ausbreiten und von der rechten
Seite abwärts zu den Beinen. Wir haben es deutlich mit den Spuren einer
Geißelung zu tun, wobei die Lederriemen des Marterwerkzeugs offenbar mit
doppelten Metallkugeln besetzt waren, die den Zweck hatten, den Schmerz
zu vergrößern.*
Die Geißelhiebe stammen von einem „flagrum taxilatum“, einer dreischwänzigen römischen Peitsche, an deren Schnurenden hantelförmige
Bleikörper angebracht waren.
(* Vgl. Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 42)
>>
2/3
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3/3
Aus der Anordnung der Wunden, die vom Typ her Quetschungen sind, lässt
sich schließen, wie die Geißelung wahrscheinlich abgelaufen ist. Da die
Striemen so regelmäßig verlaufen, kann man annehmen, dass der Verurteilte
nicht auf dem Weg zur Kreuzigung gegeißelt wurde, sondern dies bereits
vorher als eigene Strafe vollzogen wurde. „Das lässt darauf schließen, dass
der Verurteilte, an den Händen hochgebunden, hilflos den Schlägen ausgeliefert war“.* Außerdem lässt sich feststellen, dass alle Schläge von rückwärts
ausgeführt wurden, auch die Wunden auf der Vorderseite wurden dem
Verurteilten so beigebracht.
Weiters lassen sich am Rückenbild auf der Höhe der rechten Schulter und
etwas weiter unten auf der linken Seite durch die Geißelungsspuren hindurch
Schürfwunden feststellen. „Diese Wunden könnten gut von Reibungen
herrühren, die ein schwerer Gegenstand auf eine schon verletzte Partie der
Haut ausübte“.** Es ist klar, in welche Richtung die Interpretation hier geht:
diese Spuren wurden natürlich sofort als vom Tragen eines schweren
Gegenstandes - des Kreuzes nämlich - herrührend gesehen. Ein Bluterguss
am linken Knie und Quetschungen am rechten Knie sollten auch auf oftmaliges
Niederfallen während des Ganges zur Hinrichtung deuten.
(* aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 40.)
(** aus: Dr. Willis, zit. nach: Wilson, Ian, Eine Spur, 44.)
1/3
Die Handwunde
Von den Handwunden ist logischerweise durch die überkreuzte Position der Arme nur eine sichtbar; diese wurde aber sehr
intensiv erforscht, zeigt sie doch einige
interessante Details. Erstens kann man
deutlich erkennen, dass die Wunde, die
durch die Kreuzigung entstand, sich nicht
inmitten des Handtellers befindet, sondern
der Nagel offensichtlich durch die Handwurzel geschlagen wurde. Zweitens stellt
sich die Frage, warum an beiden Händen
der Daumen nicht zu sehen ist. Und drittens
lässt sich aus dem Verlauf der Blutspuren
die Position des Verurteilten am Kreuz
errechnen.
Versuche von Dr. Barbet mit amputierten Armen (und daran hängenden Gewichten) haben gezeigt, „dass ein Nagel in der Handfläche das Körpergewicht
nicht hätte tragen können. Da Muskeln und Sehnen hier in Richtung der Finger
verlaufen, wäre die Hand unter der Last des Körpers zerrissen worden“.*
(* aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 34.)
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32
2/3
Dr.Pierre Barbet, hat verschiedene
anatomische Experimente zum Studium
der Kreuzigungstechnik durchgeführt.
Die beiden Röntgenaufnahmen zeigen
die Durchnagelung der Handwurzel.
Obwohl bei der Durchnagelung an
dieser Stelle keine lebensnotwendigen
Adern getroffen werden, wird ein
wichtiger Nerv, der nervus medianus,
verletzt.
Dies ist deshalb von Bedeutung, da sich hier die Erklärung für die
„verschwundenen Daumen“ am Tuchbild findet. Die Verletzung dieses Nervs
bringt nämlich eine Lähmung des Daumens mit sich. Da am Kreuz beide
Daumen an den Händen oben sind, sinken sie infolge dieser Lähmung herab.
In dieser Position verbleiben sie, da die Leichenstarre sehr schnell eintritt.
Werden nach der Kreuzesabnahme die Arme vor dem Körper gekreuzt,
kommen die Daumen unter den Handflächen zu liegen. Und logischerweise
kann nun auch auf dem darüber liegenden Leichentuch kein Abdruck der
Daumen zu finden sein.
>>
3/3
Nun zur Frage nach dem Verlauf der
Blutspuren. Es gehen nämlich von der
Handwunde zwei Blutgerinnsel aus,
die ja eigentlich den Gesetzen der
Schwerkraft folgend, senkrecht nach
unten fließen müssten. Es ergibt sich
bei genauerer Analyse, dass sich der
Gekreuzigte im Laufe seines
Todeskampfes wohl in zwei
verschiedenen Positionen - nämlich
hängend und stehend - am Kreuz
befunden hat. Ein solcher Wechsel
zwischen Stehen und erschöpftem
Hängen war am Kreuz möglich, wenn
das Kreuz eine Fußstütze hatte. Es ist
historisch belegt, dass es solche
Fußstützen gegeben hat. Eingesetzt
wurden sie, um die Qualen des
Gekreuzigten zu verlängern.
Rekonstruktion der Kreuzigung aufgrund der verlaufenden Blutspuren
33
1/2
Die Fußwunde
Betrachtet man die Vorderseite des Grabtuches, fällt auf, dass hier die Füße
ganz fehlen, lediglich auf der Rückseite lassen sich die Abdrücke klar erkennen.
Dies liegt in der Tatsache begründet, dass ja die Füße nicht völlig ausgestreckt
ins Leichentuch eingeschlagen wurden, sondern zuerst das untere Tuchende
über die Fußsohlen und Zehen hochgeschlagen wurde. Danach wurde das
obere Tuchende (für den Betrachter die Antlitzseite) über die Füße gezogen und
dabei unter den Fersen noch etwas eingeschlagen.
>>
2/2
Es genügt jedoch die Ansicht auf der Rückseite, um Rückschlüsse auf die Art der Fußwunde ziehen zu können. Wilson
zitiert Dr. Robert Bucklin, der folgende Zusammenfassung
gab: „Im mittleren Teil dieses Fußabdruckes ist ein kleiner
rechteckiger Fleck, etwas mehr zum Innen- als zum Außenrand hin. Diese Spur ist ganz eindeutig das Mal eines Nagels,
und man kann sehen, dass der Nagel zwischen den Mittelfußknochen an der Fußsohle ausgetreten ist“*. Da die Fußwunde bei der Abnahme vom Kreuz wahrscheinlich nochmals
aufgerissen wurde, liegt hier die Erklärung für den relativ
starken Blutabdruck, den wir auf dem Tuch sehen. Außerdem
sei das Tuch an der Stelle der rechten Ferse etwas faltig
gelegen, „so dass sich diese Blutspur doppelt abbilden
konnte. [...] Auch der dunkle Fleck unterhalb der Vorderansicht muss durch dieses Blut an der Fußsohle verursacht
sein, zumal auch die doppelte Blutspur neben der Ferse
nochmals zu erkennen ist“**.
Durchgenagelte Ferse eines
Gekreuzigten von Givat ha-Mivtar
( * aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 50)
(** aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 39.)
34
Die Seitenwunde
Besonderes Interesse galt auch dieser Wunde,
welche sich auf der rechten Seite des Körpers,
also auf der linken Seite des Tuches, zwischen
der fünften und sechsten Rippe befindet. Sie hat
eine Größe von 4,5 x 1,5 cm und eine große
Blutspur, - die besonders gut auf der Rückenansicht zu erkennen ist - , geht von ihr aus.
„Form und Größe der Wunde entsprechen den
blattförmigen Spitzen von Lanzen, die von
römischen Hilfstruppen benutzt wurden“.*
Interessant ist auch die Beobachtung, dass anscheinend nicht nur Blut alleine
aus der Wunde ausgetreten ist, sondern man kann einige klarere Stellen erkennen, „die auf eine Vermischung einer hellen Flüssigkeit mit den [sic!] Blut
hindeuten“**. Diese helle Flüssigkeit wurde vielfach als „seröse“ Flüssigkeit
gedeutet, die sich bei schwerer körperlicher Misshandlung in Körperhohlräumen
ansammeln kann und dann nach dem Lanzenstich mit dem Blut austrat.
( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 40)
( ** aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 51)
1/5
Herstellen eines dreidimensionalen Bildes
Mit Hilfe eines Mikrodensitometers wurden die
Fotografien des Grabtuches eingescannt und
durch ein Computerprogramm ein dreidimensionales Bild des Mannes im Grabtuch gemacht
(Jackson, Jumper und Mottern in Albuquerque).
Dies ist dadurch möglich, dass der Bildanalysator (VP 8) keine Farben wahr nimmt,
sondern Lichtquanten zählt, d.h. die kleinsten
Lichteinheiten. Auf dem Grabtuch sind im
Bereich des Körperbildes durchwegs nur einzelne Faserspitzen verfärbt, und zwar immer in
gleicher Intensität.
>>
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2/5
Das Analysegerät zählt diese
verfärbten Fasern und wirft sie in
Zahlenlisten aus. In Tausenden
von Arbeitsstunden haben
Studenten diese nüchternen
Zahlen in dünnen Schichten
ausgewertet. Bei der Zusammenlegung dieser Schichten
ergab sich das plastische Modell
eines Mannes, der dem Bild auf
dem Turiner Grabtuch entsprach.
Voraussetzung für die Möglichkeit, die dritte Dimension
des Tuchbildes zu errechnen,
ist, dass diesem Bild ein
Körper zugrunde lag. Bei keiner
sonstigen Fotografie und bei
keinem Gemälde lässt sich sonst
so etwas machen.
Dreidimensionale Rekonstruktion des
Mannes vom TurinerGrabtuch
(c) Prof. L. Mattei
>>
3/5
Es ging aber noch eine weitere Entdeckung mit jener der dritten Dimension
einher. Und zwar zeigten sich auf dem dreidimensionalen Relief knopfartige
Gegenstände auf den Augen des Mannes, die von den Münzexperten Prof.
Filas (Chicago) und Prof. Whanger (Durham) als Prokuratorenmünzen
identifiziert wurden, wobei eine davon mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem
Jahr 29 n. Chr. – der Regierungszeit Pontius Pilatus - stammt.
>>
36
4/5
Der Abdruck am rechten Auge lässt eine Inschrift U C A I
erkennen und in der Mitte eine Art Hirtenstab,
der sog. „lituus“.
Als besonders hilfreich erweisen sich hierzu die markante
Form des „lituus“ und ein Prägefehler.
„Für den Numismatiker war die Deutung klar: Umfang und
Form, Winkelstellung der Buchstaben und des Stabes
erwiesen sich als deckungsgleich mit einer römischen
Kupfermünze, die in dieser Art nur von Pilatus geprägt
wurde. Ergänzt müsste die Umschrift lauten „Tiberiou
Kaisaros“. Das „C“, das im Lateinischen wie „k“
gesprochen wird, ist ein Prägefehler, der auch bei andern
Münzen dieser Art nachgewiesen ist“.*
(*aus: Bulst, Werner: Betrug am Turiner Grabtuch. Der manipulierte Carbontest, Frankfurt am Main 1990, 58)
>>
5/5
Archäologische Funde in Israel bestätigen den Brauch, Toten Münzen auf
die Augen zu legen. Außerdem lässt sich anhand dieser Münzen auch die
Datierbarkeit des Turiner Grabtuches ziemlich genau eingrenzen. Pilatus
wurde im Jahr 26 n.Chr. Prokurator von Judäa. Nach dem Jahr 31 hatte er
nicht mehr das Recht zur Münzprägung.
Die folgende Überblendung zeigt wie diffizil eine mögliche Rekonstruktion
sein kann.
37
Der historische Befund
Der Brief von Geoffrey de Charnay an Papst Clemens VI. aus dem Jahr 1349
stellt die erste historisch verbürgte Aussage über die Existenz des Turiner
Grabtuches dar. Bei weiter zurückliegenden Berichten von Tüchern mit dem
Bildnis Christi ist nicht gesichert, ob diese mit dem Turiner Grabtuch identisch
sind. Die Schwierigkeit ist dabei, dass zu früheren Zeiten sehr viele gefälschte
Reliquien in Umlauf waren und es somit schwer ist, Berichte über mögliche
echte Reliquien von Berichten über Fälschungen zu unterscheiden.
Eine allfällige „Vorgeschichte“ ist daher nur hypothetisch rekonstruierbar.
Der historische Befund
> Die Geschichte des Grabtuches von 1349 bis heute
>> zentrale historische Etappen
> Rekonstruktionshypothesen der Geschichte des Grabtuches
vor 1349
>> Mögliche historische Etappen des Grabtuches vor 1349
>> Ikonographentheorie
>> Mandylion-Theorie
>> Der Codex Pray – ein Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert?
>> Vergleich mit dem Schweißtuch von Oviedo
und dem Schleier von Manoppelo
>> Griechische und lateinische Buchstaben auf dem Turiner
Grabtuch?
38
1/6
Die Geschichte des Grabtuches von 1349 bis heute
Der hochverschuldete französische Adelige Geoffrey de Charnay schrieb 1349
an den Papst Clemens VI. einen Brief, in welchem er um die Erlaubnis bat, „die
Gestalt bzw. ihr Abbild auf dem Schweißtuch unseres Herren Jesus Christus“
auszustellen. Diesem Antrag wurde stattgegeben, und das Grabtuch wurde
erstmals 1357 in der kleinen Stiftskirche der Stadt Lirey in der Champagne der
Öffentlichkeit präsentiert. Dadurch wurde Lirey zum Wallfahrtsort und hatte sich
eine Einnahme-Quelle erschlossen, denn schon bald kamen zahlreiche Pilger
nach Lirey, das in ganz Frankreich bekannt wurde. Geoffrey de Charnay
verkaufte eine Gedenkplakette an die Pilger, von welcher ein Exemplar Ende
des 19. Jahrhunderts unter dem Pont du Change aus der Seine gefischt wurde.
Die Plakette zeigt das Ganzkörper-Abbild Jesu, wie es auf dem Grabtuch zu
sehen ist.
Das Pilgermedaillon von 1357
>>
2/6
Der große Pilgerstrom weckte das Interesse des Bischofs von Troyes, Henri de
Poitiers. Er verlangte von Geoffrey genauere Auskunft über das Tuch, vor allem
über seine Herkunft. Charnay antwortete, das Tuch sei ihm großzügig geschenkt worden; er sagte aber nicht, von wem. Der Bischof holte sich den Rat
vieler Personen ein, welche allesamt erklärten, das Tuch könne nicht echt sein.
Dem widersprach man in Lirey entschieden. Henri de Poitiers antwortete darauf,
dass das Tuch künstlich bemalt worden sei (ohne es aber selbst gesehen zu
haben). Er fand aber keine Unterstützung beim Papst, der Charnay sogar
weitere Privilegien gewährte. 1356 fiel Geoffrey als königlicher Bannerträger in
der Schlacht von Poitiers, als er mit seinem Körper eine Lanze abfing, die dem
König zugedacht war. Seine Witwe Jeanne de Vergy ließ das Grabtuch aus der
Kirche von Lirey holen und zog sich in die Festung Montfort en Auxois zurück.
Bischof Henri de Poiters hatte den Befehl gegeben, das Tuch zu vernichten. Im
Jahr 1389 richtete Geoffrey de Charnay II., der Sohn, ein Ersuchen an den
Papst Clemens VII., das Tuch wieder in der Kirche von Lirey ausstellen zu
dürfen, was dann noch im gleichen Jahr durch eine päpstliche Bulle gewährt
wurde. Im Jahr 1390 kam eine zweite päpstliche Bulle, welche das Grabtuch als
Reliquie anerkannte und die Gläubigen aufforderte, dieser Reliquie die gebührende Ehre zu erweisen. Dies alles geschah trotz des Widerspruches des
amtierenden Bischofs von Troyes, Pierre d’Arcis. Ihm wurde in der 2. Bulle
auferlegt, für alle Zeiten mit seinen Zweifeln zu schweigen.
>>
39
3/6
Als Geoffrey de Charnay II. im Jahr 1398 starb, ging das Grabtuch in den Besitz
seiner Tochter Margaret und ihres Gatten Humbert über, des Grafen de la
Roche, und das Tuch wurde ab 1418 wieder in der Festung Montfort en Auxois
aufbewahrt, danach in Saint-Hippolyte-sur-Doubs. Im Jahr 1453 tauschte die
damals schon hoch-betagte Margaret das Grabtuch gegen das Schloß (!)
Verambon bei Genf und die Einkünfte aus dem Gut Miribel bei Lyon ein. Ihr
Tauschpartner war Herzog Louis von Savoyen.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts
wurde das Grabtuch in die Kapelle
der savoyischen Residenz
Chambéry gebracht. In den
folgenden Jahren wurde das Tuch
oft ausgestellt. Am 4. Dezember
1532 zerstörte ein Brand die
Schlosskapelle bis auf die
Grundmauern. Das Grabtuch konnte
in letzter Minute in Sicherheit
gebracht werden. Aber die Hitze des
Darstellung des Grabtuches (16. Jhdt.?)
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Plakat zur Ausstellung von 1898
4/6
Feuers brachte den silbernen Kasten, in dem es aufbewahrt war, an einer
Ecke zum Schmelzen. Aber es entstanden nur wenige Brandlöcher, und zwar
an Stellen, an denen das Bild nicht ist. Zwei Jahre später wurden die Stellen
von Klarissinnen-Nonnen mit Flicken vernäht, und das Linnen erhielt ein Futter
aus holländischem Tuch. 1537 brachte man das Tuch in die EusebiusKathedrale in Vercelli, 1561 kam es wieder nach Chambéry zurück. Am 17.
September 1578 überführte man das Grabtuch nach Turin, wo es bis heute
aufbewahrt wird; im selben Jahr wurde es auch ausgestellt.
Im Jahr 1898 wurde es aus Anlass der 50-Jahr-Feier
des italienischen Königreiches acht Tage lang ausgestellt. In dieser Zeit konnte Secondo Pia das erste
Foto machen, und er konnte als erster Mensch das
Abbild im Positiv sehen. Vom 2. bis zum 23. Mai 1931
wurde es nochmals ausgestellt – anlässlich der
Hochzeit des Prinzen Umberto von Piemont.
Commendatore Guiseppe Enrie machte während
dieser Zeit neue, bessere und präzisere Aufnahmen.
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das
Tuch in die Abtei von Monte Vergine (Avellino)
gebracht. Nach Kriegsende kehrte es nach Turin
zurück.
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Dr. Frei bei der Pollenabnahme (1973)
5/6
Die erste Untersuchung durch eine wissenschaftliche Kommission fand am 16.
Juni 1969 unter Aufsicht von Kardinal Pellegrino statt. Am 1. Oktober 1972
kletterte ein Unbekannter über das Dach des herzoglichen Palazzos, brach in die
Kapelle ein und legte Feuer an den Altarschrein, in welchem das Tuch aufbewahrt wurde. Aber eine Asbestschicht auf der Innenseite des Schreins verhinderte die Vernichtung der Reliquie. Am 24. November 1973 entnahmen Experten
von zwei berühmten italienischen Universitäten am Tuch Proben, an Hand deren
untersucht werden sollte, ob sich am Tuch echtes Menschenblut befindet. Die
Untersuchungen kamen angeblich zu keinem Ergebnis. Am Abend vorher, also
am 23. November 1973 hatte der Schweizer Kriminologe
und Wissenschaftler, Dr. Max Frei-Sulzer das Tuch mit
sterilen Tesafilmstreifen bekleben dürfen, an denen
Pflanzenpollen haften blieben. Max Frei untersuchte in den
folgenden Jahren diese Pollen akribisch und kam zu dem
Ergebnis, dass das Tuch zur Zeit seiner Kreuzigung und
danach in Jerusalem war, später im nahem Osten und in
Byzanz.Im Frühjahr 1977 gründete sich in Albuquerque
eine Initiative von amerikanischen Wissenschaftlern, das
„STURP = Shroud of Turin Research Project“.
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1978 durften die Wissenschaftler dieses interdisziplinären Forschungsprojektes, darunter
einige der weltweit angesehensten Experten
auf ihrem Gebiet, aufgeteilt in Arbeitsgruppen,
das Grabtuch im Königspalast von Turin 120
Stunden lang nach allen Regeln der Kunst und
nach den damals modernsten Methoden
untersuchen. 1983 wurde das Turiner Grabtuch Ray Rogers (links), Chemiker, Mitglied des STURP von 1978
dem Hl. Stuhl vererbt.
1988 wurde das Grabtuch wissenschaftlich mit der C-14 Methode untersucht,
die das Alter eines Materials über den Zerfall von Kohlenstoff bestimmt; als
Ergebnis stellten die Forscher "mit 95 Prozent Sicherheit" fest, der Stoff sei erst
zwischen 1260 und 1390 gewebt worden.Bei einem weiterem Feuer in der
Turiner Kathedrale am 12. April im Jahre 1997 wurde es durch den
Feuerwehrmann Mario Trematore unversehrt gerettet, der in letzter Minute das
die Reliquie umgebende Panzerglas zertrümmerte. Das Tuch wurde zuletzt
1998 zum hundert-jährigen Jubiläum der ersten Fotografie des Tuches und im
Großen Jubeljahr 2000 öffentlich ausgestellt. 2002 sind 30 Flicken von einer
Textilexpertin entfernt worden, so dass das Turiner Grabtuch am Rand anders
aussieht als noch auf sämtlichen älteren Fotos. Die nächsten Ausstellungen
sind 2010 und im Jubeljahr 2025 vorgehen.
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1/2
Zentrale historische Etappen des Turiner Grabtuches:
1349: Brief von Geoffrey de Charnay an Papst Clemens VI.
1357: Präsentation des Grabtuches in der Stiftskirche der Stadt Lirey.
1389: Ansuchen von Geoffrey de Charnay II. an den Papst Clemens VII., das
Tuch wieder in der Kirche von Lirey ausstellen zu dürfen, was dann noch im
gleichen Jahr durch eine päpstliche Bulle gewährt wurde.
1390: eine zweite päpstliche Bulle anerkennt das Grabtuch als eine verehrungswürdige Reliquie.
1532: am 4. Dezember wurde das Grabtuch durch einen Brand in der Kapelle
von Chambéry schwer beschädigt.
1578: am 17. September überführte man das Grabtuch nach Turin, wo es
bis heute aufbewahrt wird; öffentliche Ausstellung.
1898: wurde es aus Anlass der 50-Jahr-Feier des italienischen Königreiches
acht Tage lang ausgestellt und von Secondo Pia fotografiert.
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1931: vom 2. bis zum 23. Mai wurde es nochmals ausgestellt – anlässlich
der Hochzeit des Prinzen Umberto von Piemont und von Guiseppe Enrie
fotografiert.
1972: Brandanschlag
1973: erste konkrete wissenschaftliche Untersuchungen (Blut-und Pollenanalyse) wurden vorgenommen.
1978: Beginn der systematischen Erforschung durch die STURP-Gruppe
1983: das Grabtuch wird dem Heiligen Stuhl vererbt.
1988: Radiocarbondatierung
1997: Feuer in der Turiner Kathedrale; Rettung durch einen Feuerwehrmann
1998: öffentliche Ausstellung anlässlich des 100jährigen Fotografierjubiläums
2000: öffentliche Ausstellung anlässlich des Großen Jubeljahres
Die nächste Ausstellung ist 2010 vorgesehen.
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Ikonographentheorie:
Die Ikonographentheorie dient der möglichen Rekonstruktion der Geschichte des
Turiner Grabtuches vor dem 14.Jahrhundert. Grundlegende Forschungsarbeiten
haben vor allem Paul Vignon, Maurus Green, Edward Wuenschel, Werner Bulst
und Ian Wilson in diesem Bereich geleistet. Anhand zahlreicher Christusporträts
soll der Beweis erbracht bzw. erhärtet werden, dass das Grabtuch eine jahrhundertelange Tradition hat.
Mit der Zeit Konstantins im 4. Jahrhundert beginnt sich eine Wende in der Art
der Christusporträts abzuzeichnen, diese erscheinen nun mehr ein „echtes“
Abbild Christi sein zu wollen und weisen bereits die Merkmale des uns
bekannten Christusbildes auf: Bärtig und mit schulterlangem, in der Mitte
gescheiteltem, glattem oder nur wenig gewelltem Haar, schon früh als Brustbild
und als Rundschildbild, typische Formen des römischen Porträts. Dieses Bild
wird in verhältnismäßig kurzer Zeit zum „klassischen“ Christusbild“.
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2/10
Trotzdem bestanden noch weiterhin die alten „bartlosen“
Christusbilder neben den neuen Porträts. Während das
„alte junge“ Jesusbild vor allem in Heilungs- und Wunderszenen Anwendung findet, wird Jesus in Passionsszenen
nun bärtig dargestellt. Beispielhaft für die neue Form sind
wiederum Darstellungen in den römischen Katakomben.
Bulst weist nun mit Nachdruck darauf hin, dass in diesen
Bildern eine Übereinstimmung mit den wesentlichen Bildmerkmalen des Turiner
Grabtuches gegeben ist. Also das in der Mitte gescheitelte, gering gewellte
schulterlange Haar und der volle Bart. „Diese Übereinstimmung ist um so
auffallender, als es unter den unzähligen echten römischen Porträts nichts auch
nur entferntes Vergleichbares gibt“*.
Es sei natürlich auszuschließen, dass diese
Porträts direkt nach dem Vorbild des Turiner Grabtuches entstanden seien, vielmehr handelt es sich
um eine Abhängigkeit vom ersten Christusbild
dieses Typs, welches sich in der Apsis der
Laterankirche befindet.
Christusbild in der Apsis der Lateranbasilika
( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild.
Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und Untersuchungen, Frankfurt am Main
1987, 99)
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3/10
Wichtig sind in diesem Zusammenhang sind aber v.a. Christusbilder,
die aus der Zeit Justinians I. (52765) stammen -, da sie eine noch
größere Ähnlichkeit zum Bild auf
dem Turiner Grabtuch aufweisen,
als es die konstantinischen Bilder
taten. Dies geht soweit, dass sogar
Asymmetrien des Gesichtes, die
am Turiner Grabtuch vorhanden
sind, sich auch in diesen Ikonen
wieder finden.
Christus Pantokrator (~ 560 n.Chr.)
enkaustische Malerei / Holz
Sinai - Katharinenkloster
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Die Markierungen bezeichnen folgende Merkmale:
1.) Ein Querstreifen auf der Stirn, 2.) Das
dreiseitige „Quadrat“ auf der Stirn, 3.) Eine
V-Form auf der Nasenwurzel, 4.) Eine
zweite V-Form innerhalb des unter 2.)
genannten Zeichens, 5.) Eine
hochgezogene rechte Augenbraue, 6.) Eine
geschwollene linke Wange, 7.) Eine
geschwollene rechte Wange, 8.) Ein
vergrößerter linker Nasenflügel, 9.) Eine
Schwellung zwischen Nase und Oberlippe,
10.) Eine starke Linie unter der Unterlippe,
11.) Eine unbehaarte Zone zwischen Lippe
und Bart, 12.) Der geteilte Bart, 13.) Ein
Querstrich über dem Hals, 14.) Stark
geschwollene eulenhafte Augen, 15.) Zwei
lose Haarsträhnen, vom Apex der Stirn
herabfallend.
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5/10
Justinian I. war (was für den griechischen Osten nicht selbstverständlich war)
ein großer Bilderfreund. Erfreulicherweise ist aus seiner Zeit an bildlichen
Darstellungen viel erhalten geblieben in Gebieten, die von den späteren
Bilderstürmen nicht erreicht wurden. 548 gründete Justinian das Katharinenkloster am Sinai - vier Jahre nach der Rettung Edessas. Im Katharinenkloster
sind aus dessen Anfangszeit zwei bedeutende Christusbilder erhalten: das
Christusbild in dem großen Apsismosaik und die berühmte enkaustische Ikone,
die nach K. Weitzmann, dem Erforscher des Klosters, aus kaiserlicher
Werkstatt stammt und wohl ein persönliches Geschenk des Kaisers war.
Christusikone (Sinai; ~ 560 n.Chr.)
Prof. A. D. Whanger (Duke Universität,
Durham/USA) hat mit einer von ihm
entwickelten Methode unter Verwendung
von zwei Projektoren und polarisiertem
Licht eine interessante Entdeckung
gemacht: Das Antlitz der Ikone stimmt nicht
bloß - wie schon zahllose Christusbilder
vorher - in den charakteristischen
Porträtmerkmalen, sondern bis in die
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Proportionen mit dem Antlitz auf dem TG überein. Sie sind deckungsgleich,
sogar in Unregelmäßigkeiten wie der geschwollen erscheinenden rechten
Wange.
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Ein weiteres Experiment von Prof. Whanger zeigt, dass nicht nur Christusdarstellungen wie die enkaustische Ikone, sondern selbst so extrem verkleinerte
Christusporträts wie auf byzantinischen Münzen die gleichen Proportionen
haben wie das Antlitz auf dem Turiner Grabtuch. Wie die zahlreichen Büsten
römischer Kaiser in verschiedenen Formaten zeigen, stand die römische
Reproduktionstechnik auf sehr hoher Stufe, gerade auch wenn es sich um
Übertragungen in andere Größenordnungen handelte.
Vergleich vom Antlitz Christi auf dem Turiner Grabtuch und auf einer Byzantini. Solidus Münze (692-695 n.Chr.);
interessant hierbei sind nicht nur die gleichen Proportionen, sondern auch die beiden Querstriche am Hals.
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Byzantini. Solidus Münze (692-695 n.Chr.)
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Byzantini. Tremissis Münze (692 n.Chr.)
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Rekonstruktionshypothesen der Geschichte des Grabtuches vor 1349
Skizze der (vermuteten) Stationen des TG
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Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 1204 bis 1349 n. Chr.
Es gibt den Bericht eines fränkischen Ritters, Robert de Clari, der am vierten
Kreuzzug teilnahm. Dieser Kreuzzeug wurde durch den Dogen Dandolo nach
Konstantinopel umdirigiert und die Kreuzfahrer eroberten und plünderten die
christliche Stadt. De Clari erzählt von einem Besuch in der Kirche „Unsere
Frau, die Heilige Maria von Blachernai“ (Blachernai oder „die Blachnernen“ ist
das um 1150 entstandene neue kaiserliche Stadtviertel in Byzanz mit Palästen, Gärten und Kirchen). Dort sei ein Grabtuch aufbewahrt worden, „in
welches unser Herr eingehüllt war, das jeden Freitag aufgerichtet wurde,
so dass die Figur unseres Herren deutlich gesehen werden konnte.“ Er
berichtet weiter: „Keiner, weder Grieche noch Franzose wusste, was mit dem
Grabtuch geschehen war, als die Stadt eingenommen wurde“. Am 1. August
1205 übergab Theodoros Angelos Komnenos, ein Verwalter des letzten
rechtmäßigen byzantinischen Kaisers dem Papst Innozenz III. ein Gesuch
über die Rückgabe der geplünderten Schätze Konstantinopels. Darin heißt es:
„Beim Aufteilen der Beute erhielten die Venezianer die Gold- Silber- und Elfenbeinschätze, die Franken die Heiligenreliquien, deren allerheiligste das Tuch
ist, in das unser Herr Jesus Christus nach seinem Tod und vor seiner
Auferstehung gewickelt wurde... Wir wissen, dass diese heiligen Gegenstände in Venedig, in Gallien und an anderen Orten der Plünderer aufbewahrt
werden, das heilige Tuch aber wird in Athen verwahrt...“.
>>
48
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Dies wird bestätigt durch Nikolaus von Otranto, dem Abt des süditalienischen
Klosters Casole. Zusammen mit dem päpstliche Legaten Benedikt von S.
Susanna, Bischof von Porto, besuchte er Athen und sah dort insgeheim das
Tuch. Es war im Besitz von Othon de la Roche, Herzog von Athen. Er übergab
das Tuch vermutlich dem Orden der Tempelritter. Zwischen 1307 und 1314
fand der von Philip dem Schönen, König von Frankreich betriebene grausame
Prozess gegen den Templerorden statt, der mit der Auflösung des Ordens und
der öffentlichen Verbrennung des letzten Ordensmeisters, Jacques de Molay
endete. Ein Vorfahre von Geoffrey de Charny, der ebenfalls Geoffrey de
Charnay hieß, hatte gemeinsam mit de Molay den Scheiterhaufen bestiegen.
Man kann also vermuten, dass das Grabtuch im Besitz der Tempelritter war
und dass jener Geofrey de Charnay, der das Grabtuch 1357 in Lirey ausstellte,
das Tuch von seinem Vorfahren, dem gleichnamigen Templerritter geerbt
hatte. Oder seine Frau, Jeanne de Vergy hatte es von ihrem Vorfahren Othon
de la Roche geerbt.
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Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 944 n. Chr. bis 1204 n. Chr.
Um das Jahr 1050 n. Chr. dichtete der Mönch Christophoros von Mytilene
über das Jesusbild: „Du hast deine Züge auf das Grabtuch gedrückt, du,
der du als Toter in das Grabtuch als dein letztes Kleid gehüllt wurdest“.
Das Tuch, schreibt der Mönch, sei aus Edessa gekommen.
Um das Jahr 950 n. Chr. verfasste der Mönch, Geschichtsschreiber und
Theologe Symeon Metaphrastes, auch Symeon Logothetes genannt, den
Prosatext „Synaxarion“ über das Grabtuch. Der Text war für das „Fest des
Heiligen Grabtuches“, das in Byzanz immer am 16. August gefeiert wurde.
Symeon berichtet, dass das Grabtuch im Jahr 944 n. Chr. per Schiff nach
Konstantinopel gebracht wurde. Dort traf es am 15. August ein und wurde am
16. August in einem feierlichen Umzug in die Hagia Sophia gebracht.
Das Tuch war mit einem Goldrahmen im „persischen“ Stil eingefasst. Es war
viermal gefaltet, und zwar so, dass obenauf das Antlitz Christi zu sehen war.
Diese Knickspuren kann man heute noch feststellen. Der Körper Christi war
nicht zu sehen. Man empfand das Abbild des nackten Körpers Christi wohl als
unpassend und unerwünscht.
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Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 544 n. Chr. bis 944 n. Chr.
Der um das Jahr 530 n. Chr. in Syrien geborene Historiker, Anwalt und
kaiserliche Präfekt Euagrios Scholastikos schreibt, dass im Jahr 544 n. Chr.
der persische König Chosrau I. Anuschirwan die Stadt Edessa belagerte.
Einem Traum des Bischofs Eulalios folgend, fanden die bedrängten Edesser
auf dem höchsten Tor der Stadt in einem zugemauerten Hohlraum das
Grabtuch. Es war einige Jahrhunderte zuvor von einem anderen Bischof
eingemauert worden und der genaue Aufbewahrungsort war in Vergessenheit
geraten. Aber die Erinnerung, dass die Stadt einst das Grabtuch besessen
hatte, war immer noch lebendig. Bald darauf brach im Lager der Perser ein
Brand aus; entmutigt gaben sie die Belagerung auf.
Im Jahr 545 n. Chr. schlossen die Byzantiner unter Justinian und die Perser
einen Waffenstillstand. In Edessa wurde eine große Kirche eingeweiht, welche
die Hagia Sophia in Byzanz zum Vorbild hatte. In einer Seitenkapelle rechts
von der Apsis wurde das Grabtuch aufbewahrt. Man nannte es das
„Acheiropoeton“, das „nicht von Hand gemachte“ oder auch das
„theoteuktos eikon“, das „von Gott gemachte Bild“. Schon damals war das
Tuch so zusammengefaltet, wie es später in Konstantinopel ankam und es
befand sich schon damals in dem emailverzierten persischen Schmuckrahmen.
Das Tuch wurde bei besonderen Gelegenheiten und einmal im Jahr an Ostern
ausgestellt.
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Seit dem Jahr 544 n. Chr. trat ein Wandel in der Art ein, wie Christus in der
Kunst dargestellt wurde (>> Ikonographentheorie). In der Spätantike wurde
Christus bartlos und wie ein junger Gott dargestellt. Nachdem man das
Grabtuch in Edessa ausstellte, wurde Jesus auf Gemälden, Fresken,
Mosaiken, Vasen und Münzen mit langen Haaren, Mittelscheitel und Bart
dargestellt. Diese Art der Darstellung orientierte sich an dem Abbild auf dem
Grabtuch. Im Jahr 636 n. Chr. wurde der byzantinische Kaiser Herakleios, der
sich den unaufhaltsam vordringenden Truppen der Moslems entgegenstellte, in
den Schluchten der Jarmuk vernichtend geschlagen. 638 wurde Jerusalem
erobert, und im gleiche Jahr fiel auch Edessa in islamische Hand. Edessa
kapitulierte und blieb von einer Plünderung verschont. Die Edesser durften
weiterhin ihrem christlichen Glauben anhängen und relativ frei ihrem Handel
nachgehen. Das Grabtuch war die ganze Zeit in der großen Kirche von Edessa
geblieben und hatte den Krieg unbeschadet überstanden.
Im Jahr 678 n. Chr. wurde die große Kirche in Edessa durch ein Erdbeben
beschädigt, aber das Grabtuch blieb unversehrt. Da aber der bilderfeindliche
Islam die Ausstellung des Grabtuches nicht gestattete, gab es ab 638 keine
Ausstellungen und Prozessionen mit dem Grabtuch. Das Christentum sank zu
einer Subkultur herab. Christen und Juden mussten Erkennungsbänder und abzeichen tragen.
In dieser islamischen Zeit erhielt das Grabtuch die Bezeichnung „Mandil“
(arabisch für „Tuch“). Ins Griechische übertragen wurde daraus „Mandylion“.
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Im Jahr 942 n. Chr. eroberte der byzantinische General Johannes Gurgen die
Stadt Nisibis und rückte bis vor Edessa vor. Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos („der in Purpur Geborene“) trat mit den Arabern in Verhandlungen ein
mit dem Ziel, dass ihm das Grabtuch ausgehändigt werde. Die Araber willigten
unter folgenden Bedingungen ein: Rückzug der byzantinischen Truppen aus
dem gesamten Gebiet, die Zusage, Edessa nicht mehr anzugreifen, die
Freilassung von 300 jungen adeligen Gefangenen ohne Lösegeldzahlung
sowie 1200 Silberdenare. Der byzantische Kaiser nahm den Handel an und
erhielt dafür das Grabtuch, „auf dem das Gesicht Christi aufgedrückt war“,
wie der Araber Al Masudi schrieb. Das Tuch traf dann im Jahr 944 n. Chr. in
Konstantinopel ein.
Erst im Jahr 1098 wurde Edessa von den Kreuzfahrern erobert und im Jahr
1144 von den Arabern wieder zurückerobert und viele seiner Kirchen und
wertvollen Bauten zerstört. Nach 1340 stürzte die Kuppel der großen Kirche, in
welchem das Grabtuch bis 944 aufbewahrt worden war, ein.
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Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 131 n. Chr. bis 544 n. Chr.
Im Jahr 131. n. Chr. brach in Jerusalem der Aufstand des Bar Kochba aus,
bekannt als der „zweite Jüdische Krieg“. Kaiser Hadrian eroberte Jerusalem
und ließ die Stadt dem Erdboden gleichmachen. 135 war der Aufstand niedergeschlagen. Alle jüdischen und christlichen Spuren wurden in Jerusalem und
ganz Judäa ausgetilgt.
Juden und Christen flohen nach Edessa, das sich 233 Jahre zuvor zu einem
unabhängigen Königreich, das „Reich von Osrhoene“, erklärt hatte und es
immer noch war. Seine Könige trugen meist den Namen „Abgar“.
Das Grabtuch muss wohl mit diesen judenchristlichen Exilanten nach Edessa
gelangt sein.
Zuvor, so vermutet Maria Grazia Siliato, war das Tuch in Qumran vergraben.
Erst in Edessa habe man dann entdeckt, dass sich auf dem Tuch im Laufe der
langen Lagerzeit ein Bild Christi entwickelt hatte. Dies ist durchaus plausibel,
weil das Abbild möglicherweise durch eine Alterung der Leinenfasern zustande gekommen ist. Dort, wo die Leinenfasern mit dem Schweiß des
Körpers in Berührung kamen, wurden sie angegriffen und alterten schneller,
was die schwach gelblich-schattierte Färbung hervorrief.
Mit großem Erstaunen wird man in Edessa entdeckt haben, dass auf den Tuch
wie durch ein Wunder ein Abbild Christi entstanden war.
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9/12
Derjenige, der das Tuch nach Edessa brachte, soll Addai gewesen sein,
Sohn des Apostel Thaddäus.
In Edessa wurde die erste christliche Kirche erbaut, und das Königreich
Osrhoene nahm um 170 n. Chr. das Christentum als offizielle Religion an.
Im Jahr 212 besetzte der römische Kaiser Caracalla Edessa, stürzte die
Dynastie der Abgariden und gründete eine römische Militärbasis, die „Colonia
Edessorum“. Die Ausübung der christlichen Religion wurde verboten. In
dieser Zeit nach 212 versteckte ein Bischof, dessen Namen nicht bekannt ist,
das Grabtuch in einer Nische im oberen Teil der Stadtmauer von Edessa und
ließ die Nische zumauern. Es gab nur wenige Zeugen, die an der Aktion
teilnahmen, und so geriet die Lage des Versteckes in Vergessenheit, bis es
im Jahre 544 wiederentdeckt wurde.
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Die mögliche Geschichte des Grabtuches von 30 n. Chr. bis 131 n. Chr.
In dem apokryphen (nicht in die Bibel aufgenommenen) „Hebräer-Evangelium“
heißt es, Jesus selbst habe nach seiner Auferstehung das Grabtuch dem
„Diener des Priesters“ übergeben. Wer das war, ist unbekannt. Das Tuch war
mit Blut getränkt und damit nach dem jüdischen Gesetz unrein. Diese Unreinheit übertrug sich gemäß den jüdischen Vorstellungen auf jeden, der es
berührte. Deshalb wurde es im Verborgenen aufbewahrt.
Die heilige Nino (gest. um 355) berichtet, das Tuch hätte sich eine Zeitlang im
Besitz der Frau des Pontius Pilatus befunden. Danach hätte es der Heilige
Lukas bekommen, der es an einem geheimen Ort aufbewahrte. Das „Schweißtuch“ dagegen hätte Petrus besessen.
Im Jahr 66 n. Chr. brach in Judäa ein Aufstand der Juden gegen die Römer
aus. Ein Teil der Juden, die sich vor der Rache der Römer fürchteten, flohen
noch Norden in das Gebiet der „Dekapolis“, des „Zehnstädtebundes“, das
außerhalb der römischen Provinz Syrien lag. Hier war man außerhalb der
Grenzen des römischen Reiches und fürs erste einmal sicher. Die Römer
schlugen den Aufstand brutal nieder und zerstörten im Jahre 70 den Tempel in
Jerusalem.
Unter den Juden, die in die Dekapolis flohen, waren viele Christen. Ihre
Situation hatte sich im Jahr 68 n. Chr. stark verschlechtert, weil sie sich nicht an
>>
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dem Aufstand beteiligt hatten und nun von jüdischen Patrioten angeklagt
wurden, nicht für die jüdische Sache Partei ergriffen zu haben.
Auf ihrer Flucht nach Pella, einer der Städte der Dekapolis, kamen die Judenchristen am Kloster Qumran vorbei. Haben sie dort das Grabtuch zurückgelassen und wurde es in einem der berühmten Tonkrüge in der Wüste
versteckt ? Wir wissen es nicht. Als dann im Jahr 131 n. Chr. der zweite
jüdische Krieg ausbrach, geriet auch Qumran in den Einflussbereich der
Römer. Ob man das Grabtuch vorher aus Qumran nach Edessa brachte ?
In der Symeon Metaphrastes zugeschriebenen Festpredigt des Jahres 955
wird berichtet: Abgar V. von Edessa (15 n. Chr. bis 50 n. Chr.), genannt
Ukkama, hätte, als er von den Wundern Jesu hörte, einen Boten nach
Jerusalem gesandt, der Jesus einladen sollte, nach Edessa zu kommen, um
ihn von seiner Krankheit zu heilen. Jesus hätte an Abgar einen handschriftlichen Brief geschickt (was wohl nur eine Legende ist), um ihm mitzuteilen,
dass er selbst nicht kommen könne, er aber einen Jünger schicken werde,
der Abgar heilen solle. Nach der Kreuzigung Jesu hätten dann die Jünger
einen Boten zu Abgar geschickt. Dieser Bote hätte König Abgar das Grabtuch
gebracht. Der Name des Boten sei Thaddäus gewesen, in syrischer Sprache
„Addai“. Er vollbrachte in Edessa Wunderheilungen und missioniert für das
Christentum. So habe er auch mit Hilfe des Grabtuches die gelähmten Beine
Abgars geheilt und gleich seinen Aussatz dazu.
>>
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Das Mandylion von Edessa aus der
Privatkapelle des Papstes im Vatikan.
Holger Kersten und Elmar R. Gruber
vermuten, dass ein Vertrauter von Thaddäus,
der königliche Goldschmied Aggai, das Tuch
vor der Übergabe an König Abgar so gefaltet
habe, dass nur das Gesicht Christi sichtbar
war. Aggai habe das Tuch in einen
kunstvolles Behältnis eingefasst, das mit
einem goldenen Netzgitter versehen war,
durch das man das Antlitz Christi sehen
konnte. So sei das „Mandylion“ von Edessa
entstanden, das nach einer Vermutung des
Historikers Ian Wilson mit dem Grabtuch
identisch ist.
Abgar starb im Jahre 50 n. Chr. und im Jahre
57 n. Chr. kam Ma’nu an die Macht, ein
Herrscher, der zum Heidentum zurückkehrte.
Das Oberhaupt der Christen in Edessa,
Aggai, habe das Grabtuch oberhalb eines
Torbogens eingemauert.
Diese Version widerspricht natürlich der
Theorie, dass das Grabtuch erst nach 131
nach Edessa gekommen sei.
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Mögliche historische Etappen des Grabtuches vor 1349:
Beachte: Zwischen den Jahren 544 und 1205 gibt es Quellen, welche von Tüchern mit dem Bild
Christi berichten; es ist immer noch nicht gesichert, ob diese mit dem Grabtuch von Turin identisch
sind. Die Berichte vor 544 sowie jene von 1205 – 1349 tragen starke legendenhafte Züge und
scheiden daher als mögliche historische Quellen aus.
~ 544: Der Historiker Euagrios Scholastikos berichtet über die Belagerung
von Edessa durch die Perser und die Auffindung eines Tuches mit dem
Gesicht Jesu in einem zugemauerten Hohlraum in der Stadtmauer.
545: Waffenstillstand zwischen Byzantiner und Perser; in Edessa wird eine
große Kirche geweiht, die ein Tuch aufbewahrt, „das nicht von Hand
gemacht war“.
638: Edessa gerät unter arabische Herrschaft; das Tuch wird Mandil (= arabisch: Tuch) bzw. Mandylion genannt.
942: Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos verhandelt mit den Arabern über
die Herausgabe des Tuches, „auf dem das Gesicht Christi aufgedrückt war“, wie
der Araber Al Masudi schrieb.
944: Das Mandylion kommt laut Symeon Metaphrastes nach Konstantinopel.
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950: Der Mönch, Geschichtsschreiber und Theologe Symeon Metaphrastes
verfasst den Prosatext „Synaxarion“ über das besondere Tuch.
~1050: Der Mönch Christophoros von Mytilene dichtete über das Jesusbild: „Du hast deine Züge auf das Grabtuch gedrückt, du, der du als Toter
in das Grabtuch als dein letztes Kleid gehüllt wurdest.“
~ 1192: Der Budapester Codex Pray enthält einige interessante Details,
welche offensichtlich das Bild auf dem Turiner Grabtuch voraussetzen.
1203: Der Geschichtsschreiber Robert de Clari erwähnt, dass er ein Tuch
mit dem Abdruck des Herrn in Konstantinopel gesehen habe.
1204: Während des 4. Kreuzzuges plündern die Kreuzritter Konstantinopel.
Der Burgunder Othon de la Roche, Chef von Athen, bemächtigte sich mit
seinen Rittern des neuen Blachernen-Palastes, den der Kaiser kurz zuvor
gerade bezogen hatte und in dessen Marienkirche hinter Bronze- und
Silbertüren das Grabtuch aufbewahrt wurde.
1205: Ein Verwandter des byzantinischen Kaisers fordert von Papst Innozenz
III. die Rückgabe des Tuches, welches sich seiner Ansicht nach jetzt in Athen
befände: „Die Gallier erhielten die Heiligenreliquien, dessen allerheiligster Teil
das Tuch ist, in das unser Herr Jesus Christus nach seinem Tod und vor seiner
Auferstehung gewickelt wurde.“
54
1/3
Mandylion-Theorie
Beim Mandylion handelt es sich um ein im
6.Jahrhundert in der Stadt Edessa (dem heutigen
in der Osttürkei gelegenen Urfa) aufgefundenes
Tuch mit dem „Abbild“ Jesu darauf. Wichtig ist in
diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass auf
dem Tuch nur das Gesicht Jesu, nicht aber sein
ganzer Körper zu sehen ist.
Dokumentiert ist die Existenz dieses „Tuches von
Edessa“ für den Zeitraum vom 6.Jahrhundert bis
1204; in diesem Jahr verschwand es aus
Konstantinopel.
In einem Satz könnte Wilsons These folgendermaßen zusammengefasst
werden: das was für uns heute (und seit der Mitte des 14. Jahrhunderts) das
Turiner Grabtuch ist, ist identisch mit dem so genannten „Mandylion“, auch „Bild
von Edessa“ genannt, welches 1204 in Konstantinopel verloren ging. Mit der
Identifizierung beider Tücher als ein und demselben Gegenstand, versucht er
die so offensichtlichen Lücken in der Geschichte des Turiner Grabtuches zu
schließen. An weit schweifenden und detailreichen Erklärungen dafür mangelt
es ihm nicht.
>>
2/3
Die vierfache Faltung des Grabtuchs (»Tetradiplon«), bei
der die Fläche mit dem Antlitz oben zu liegen kommt, ohne
dass sonstige Körperpartien sichtbar sind. In dieser Form
wurde das Tuch wohl in Edessa und Konstantinopel aufbewahrt und diente als Vorbild zahlloser Christusporträts.
>>
55
3/3
„Wenn man das Mandylion und das Grabtuch vergleicht - beide kommen
offensichtlich darin überein, dass sie ein geheimnisvoll eingedrücktes Abbild
Jesu auf Tuch tragen -, entdeckt man einige Merkmale von möglicherweise
größerer Bedeutung. Eines davon ist, dass die bekannten Aufenthaltsorte des
Mandylion [...] nicht von dem abweichen, was bis jetzt von der geografischen
Herkunft der türkischen Pollen auf dem Grabtuch bekannt ist, die von Dr.Frei
ermittelt wurden. Ein anderes Merkmal ist, dass der Zeitpunkt der Wiederentdeckung des Mandylion im sechsten Jahrhundert mit dem Aufkommen eines
neuen Typus des Bildnisses Jesu in der Kunst zusammenfällt. Noch ein
weiteres ist die Ähnlichkeit des in einem Sepia-Ton gehaltenen Antlitzes auf
den von Künstlern gemalten Kopien des Mandylion mit einem Antlitz, das sich
von dem herleiten lässt, das auf dem Grabtuch von Turin zu sehen ist.
Letzteres wird bekräftigt durch die reichhaltige und übereinstimmende
literarische Überlieferung, dass das Bild des Mandylion, genau wie das auf dem
Grabtuch, acheiropoietos sei - ein griechisches Wort, das „nicht von Hand
gemacht“ bedeutet. [...] Als Letztes, aber keineswegs Geringstes kommt hinzu,
dass die Periode der bekannten Geschichte des Mandylion mit einer verhältnismäßig kleinen Lücke fast den ganzen fehlenden Zeitraum der Geschichte des
Turiner Grabtuches ausfüllen würde.“*
* aus: Wilson, Ian: Eine Spur von Jesus, Freiburg-Basel-Wien 1980, 128.
1/2
Der Codex Pray – ein Zeugnis aus dem 12. Jahrhundert?
Die Salbung Jesu und das leere Grab
(Codex Pray, Budapest 1192/95)
Der Budapester Codex Pray aus dem Jahr 1192
(oder 1195) enthält einige interessante Details,
welche offensichtlich das Bild auf dem Turiner
Grabtuch voraussetzen: die Lage des Leichnams, die
völlige Nacktheit (einmalig!), die Haltung der Arme
und Hände, v.a. allem aber die fehlenden Daumen.
Auf dem unteren Bild soll offenbar die ungewöhnliche
Gewebestruktur des Turiner Grabtuchs wiedergegeben werden. Entscheidend für die Datierung des
Turiner Grabtuches ist, dass die älteren Brandlöcher
auf der oberen Tuchhälfte in gleicher Anordnung wie
auf dem Grabtuch wiedergegeben sind. Sie sind älter
als die Brandschäden von 1532, denn sie sind bereits
auf der Kopie von 1516 abgebildet.
Demnach ist kaum zu bezweifeln, dass dieses Doppelbild das Grabtuch von Turin
voraussetzt, das somit zumindest vor 1195 existiert haben muss. Die Radiokarbondatierung ins 13. Jahrhundert kann - so einige Befürworter der Echtheitsthese - nicht stimmen.
Dass dieses Bild gerade in einem ungarischen Codex erscheint, erklärt sich
daraus, dass die damalige ungarische Königin eine byzantinische Prinzessin war.
>>
56
2/2
Parallelen der dargestellten Brandlöcher im Codex Pray von 1192 bzw.
1195 und auf einer gemalten Kopie
aus dem Jahr 1516 mit denen des
Turiner Grabtuches.
Die Brandlöcher auf dem Bild
des Codex Pray (1192/95)
Die Brandlöcher auf dem Rückenbild des TG
Das Rückenbild von einer
Kopie des TG (1516),
auf dem die gleichen Brandlöcher
wiedergegeben sind
1/8
Vergleich mit dem Schweißtuch von Oviedo und dem Schleier von
Manoppelo
Zwar ist auf dem Schweißtuch von Oviedo keine Abbildung zu sehen; aus
einem Vergleich der vorhandenen Blutspuren auf dem Schweißtuch mit jenem
„Blutspuren-Muster“ auf dem Turiner Grabtuch schließen jedoch Authentizitätsbefürworter, dass die Tücher denselben Kopf bedeckten. Die zahlreichen
punktförmigen Wunden werden der Dornenkrone beim Tod Christi zugeschrieben. Die Blutgruppen auf den beiden Tüchern decken sich: sowohl auf
dem Schweißtuch von Oviedo als auch auf dem Grabtuch von Turin befinden
sich Blutspuren mit der seltenen Blutgruppe AB.
Auf einer weiteren noch relativ unbekannten Reliquie, dem Schleier von
Manoppello in den italienischen Abruzzen, findet sich das Bild eines Mannes
mit geöffneten Augen, dessen Gesichtsverletzungen sich mit denen der
Tücher von Turin und Oviedo decken. Nach neueren Theorien war das Volto
Santo zusammen mit dem Turiner Grabtuch und dem Schweißtuch von
Oviedo ursprünglich im gleichen Grab in Jerusalem , bewiesen werden
konnte dies jedoch nicht.
>>
57
2/8
Das Schweißtuch von Oviedo, auch
Sudario von Oviedo, ist ein blutverschmutztes Leinentuch, das in Oviedo in
Spanien aufbewahrt wird. Es wird behauptet,
dieses Tuch sei nach dem Tod Jesu Christi
um seinen Kopf gewickelt gewesen, was
allerdings sehr umstritten ist.
Das heilige Schweißtuch (Sudarium Domini)
ist stark verschmutzt und zerknittert. Die
Ausschnitt des Schweißtuches von Oviedo (rechts),
dunklen Flecken sind symmetrisch angeüberlagert vom Antlitz des Turiner Grabtuches
(links) nach Blandina Paschalis Schlömer
ordnet, man kann jedoch im Gegensatz zum
Turiner Grabtuch kein Bild erkennen.
Das Sudarium und das Turiner Grabtuch nahmen verschiedene Wege, wie
durch Pollenanalyse bestätigt werden konnte, deren Aussagekraft jedoch von
vielen kritischen Wissenschaftlern angezweifelt wird. Erstmals dokumentiert ist
es im Jahre 614 durch einen Bericht Bischofs Pelagius, wonach es nach dem
Einfall der Perser im Jahre 614 in Palästina von dort nach Alexandria überführt
wurde, aber schon 616 über Nordafrika nach Spanien gebracht wurde. Es
existiert kein Nachweis des Schweißtuches von Oviedo vor dem 7. Jahrhundert
und mit der Radiokarbonmethode wurde das Alter ebenfalls auf das 7.
nachchristliche Jahrhundert datiert (Baima Bollone (1994), Book of Acts of the
1st International Congress on the Sudarium of Oviedo, 428-429).
>>
3/8
Allerdings gibt Bollone selber an, dass seine Untersuchung noch höchst
unzuverlässig wäre und man auch andere Indizien berücksichtigen müsse.
Die Wunden auf dem Tuch, die den Verletzungen aus der Dornenkrone Jesu
Christi zugeordnet werden, stimmen angeblich mit denen des Turiner
Grabtuchs überein, so dass Authentizitätsbefürwortern behaupten, dass es sich
höchstwahrscheinlich um denselben Mann handelt. Diese Aussagen beruhen
allerdings auf einer "Polarized Image Overlay Technique" genannten Methode,
deren Resultate von einigen Wissenschaftlern als unzuverlässig und höchst
subjektiv angesehen werden. Aber vor allem fällt auf, dass auch das Material
des Tuches mit dem des Turiner Grabtuches identisch ist, jedoch nicht die
Webart.
Kritiker halten das Tuch für eine von vielen ähnlichen Fälschungen, die
seinerzeit im Umlauf waren. Was den Bezug zum Turiner Grabtuch betrifft, wird
zum Beispiel eingewendet, dass, wenn das Schweißtuch zwischen Körper und
Grabtuch gelegen haben könnte, es die Entstehung des Bildes auf dem
Grabtuch behindert haben müsste. Befürworter der Echtheit des Tuches
wenden gegen diese These ein, dass sich das Schweißtuch nur kurz am Kopf
Jesu befunden habe, beispielsweise bei der Abnahme vom Kreuz zum
Transport ins nahe gelegene Grab.
Das Schweißtuch wird dreimal im Jahr in der Kathedrale San Salvador in
Oviedo gezeigt: am Karfreitag, am Tag der Kreuzerhöhung (14. September)
und am Tag des Apostels Matthäus (21. September).
>>
58
4/8
Der Schleier von Manoppello, auch als
Volto Santo von Manoppello bekannt, ist
eine Ikone auf einem hauchdünnen Tuch,
die in dem kleinen italienischen Städtchen
Manoppello in den Abruzzen als Reliquie
verehrt wird. In den letzten Jahren wurde
das Tuch aufgrund der Rätselhaftigkeit
seiner Herkunft, seines Materials und des
sich darauf befindlichen Gesichtes bekannt.
Das Volto Santo (ital. „Heiliges Antlitz“) ist
ein 17,5 cm breiter und 24 cm hoher
Schleier, der in Manoppello seit 1638 in der
Kapuzinerkirche Santuario del Volto Santo
auf dem Tarignihügel außerhalb der Stadt
aufbewahrt wid. Das Tuch wird in einer
doppelseitig verglasten Monstranz seit den
1960er Jahren in einem verglasten Tresor
über dem Altar ausgestellt, nachdem es
zuvor in einer dunklen Seitenkapelle stand, in der es für den Betrachter kaum
erkennbar war. Es wurde seit Jahrhunderten nicht mehr aus dem Rahmen
genommen und konnte bislang nur mit Hilfe von Mikroskopen und ultraviolettem
>>
5/8
Licht untersucht werden. Bei dem
Trägermaterial handelt es sich dem
Augenschein nach um ein hauchzartes
Tuch aus Byssus, auch Muschelseide
genannt, ein Stoff, der aus den äußerst
feinen und widerstandsfähigen Ankerfäden der im Mittelmeer lebenden
edlen Steckmuschel gewonnen wird.
Der Stoff war in der Antike und im
Mittelalter einer der kostbarsten überhaupt. Muschelseide kann angeblich
nicht bemalt und nur leicht gefärbt
werden und da bei den Untersuchungen des Tuches keine Farbreste entdeckt werden konnten, ist die
Feinheit der Linien bis jetzt unerklärlich. Das Handwerk der Byssusherstellung ist heute allerdings fast
ausgestorben, weshalb es schwer ist,
die Möglichkeiten seiner Verarbeitung
zu beurteilen. Die beiden oberen
Überlagerung des Volto Santo mit einem Negativ des Turiner
Grabtuches nach Blandina Paschalis Schlömer
>>
59
6/8
dreieckigen Zwickel bestehen aus einem anderen Material, wahrscheinlich
Seide, und wurden offensichtlich später angefügt. Das Gesicht ist von beiden
Seiten des Tuches, das so fein ist, dass man eine Zeitung dahinter lesen
kann, gleichermaßen, wenn auch spiegelverkehrt wie auf einem Dia, zu
sehen. Im Gegenlicht hingegen wird das Tuch so transparent wie klares Glas.
Der Schleier zeigt das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren, Bart,
geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund; seine Zähne sind erkennbar.
Auf dem Gesicht sind rötliche Flecken sichtbar, die von einigen als Wunden
durch Folterungen oder Geißelungen interpretiert werden. Erstaunlich ist,
dass die Proportionen des Gesichtes und die Lage der Wunden mit denen
des Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch übereinstimmen. Alle bisher
möglichen Messungen lassen auf die Abbildung ein und der selben Person
schließen, wobei bemerkenswert ist, dass sowohl das Material der Tücher als
auch die Art der Bildnisse völlig gegensätzlich sind. Das Gesicht auf dem
Schleier lässt ikonographisch eine gewisse Nähe zur toskanischen Vor- und
Frührenaissance erkennen, ist jedoch derart untypisch, dass eine Zuordnung
zu einer kunstgeschichtlichen Epoche oder Schule nicht möglich ist. Die
künstlerische Qualität der Darstellung scheint mäßig. Das wenig vorteilhaft
wirkende Gesicht erscheint auf Reproduktionen flach, Mund und Augen
wirken gezeichnet und Nase und Mund befinden sich nicht in einer Linie.
>>
7/8
Der Schleier zeigt das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren, Bart,
geöffneten Augen und leicht geöffnetem Mund; seine Zähne sind erkennbar.
Auf dem Gesicht sind rötliche Flecken sichtbar, die von einigen als Wunden
durch Folterungen oder Geißelungen interpretiert werden. Erstaunlich ist,
dass die Proportionen des Gesichtes und die Lage der Wunden mit denen
des Antlitzes auf dem Turiner Grabtuch übereinstimmen. Alle bisher
möglichen Messungen lassen auf die Abbildung ein und der selben Person
schließen, wobei bemerkenswert ist, dass sowohl das Material der Tücher
als auch die Art der Bildnisse völlig gegensätzlich sind. Das Gesicht auf dem
Schleier lässt ikonographisch eine gewisse Nähe zur toskanischen Vor- und
Frührenaissance erkennen, ist jedoch derart untypisch, dass eine Zuordnung
zu einer kunstgeschichtlichen Epoche oder Schule nicht möglich ist. Die
künstlerische Qualität der Darstellung scheint mäßig. Das wenig vorteilhaft
wirkende Gesicht erscheint auf Reproduktionen flach, Mund und Augen
wirken gezeichnet und Nase und Mund befinden sich nicht in einer Linie.
Bemerkenswert ist, dass der Schleier von Manoppello wie das Grabtuch von
Turin einzigartig zu sein scheint; die Kunstgeschichte kennt kein
gleichartiges Bildnis. Es wirkt auf den ersten Blick gemalt, erscheint jedoch
bei wechselndem Lichteinfall plastisch und lebendig. Die Farben changieren
zwischen verschiedenen Gold-, Bronze-, Braun- und Rottönen ähnlich wie
die Farben auf einem Schmetterlingsflügel. Lässt sich das Bildnis auf dem
Turiner Grabtuch als fotografisches Negativ eigentlich erst richtig erkennen,
>>
60
8/8
entzieht sich der Schleier der fotografischen Reproduktion: Das je nach
Bewegung und Blickwinkel sich ständig wandelnde Bildnis auf dem Schleier
lässt sich nur in der unmittelbaren Anschauung erfahren, insbesondere bei
den zweimal jährlich stattfindenden Prozessionen durch den Ort.
Deutung als "Schweißtuch der Veronika"
Der römische Kunsthistoriker Heinrich Pfeiffer S.J. ist nach zwanzigjähriger
Forschung zum Schleier von Manoppello überzeugt, dass es sich bei dem
Tuch um das eigentliche Sudarium bzw. das Schweißtuch der Veronika (von
lat./griech.: vera eicon = wahres Bild) handelt, der einst wichtigsten und
meistverehrten Reliquie der Christenheit. Offiziell befindet sich das seit dem
Jahr 708 in Rom bezeugte Tuch in der, als mächtigen Tresor angelegten,
Kapelle innerhalb des Veronikapfeilers im Petersdom, der über dem Grundstein der Kirche errichtet wurde. Auf diesem fast schwarz gewordenen Tuch
ist allerdings nichts mehr zu erkennen. Pfeiffer kommt aufgrund ikonographischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass das Schweißtuch der
Veronika seit dem Sacco di Roma 1527 oder dem Abriss der alten Petersbasilika 1608 verschwunden und durch ein anderes Tuch ersetzt worden sei.
Vom Vatikan wurde diese bereits früher laut gewordene Vermutung allerdings
nie bestätigt.
Nach der örtlichen Überlieferung wurde das Volto Santo bereits 1506 von
einem Unbekannten nach Manoppello gebracht, wirklich bezeugt ist es dort
jedoch erst seit dem Jahr 1638, als es den Kapuzinern übergeben wurde.
1/2
Griechische und lateinische Buchstaben auf dem Turiner Grabtuch?
1997 wurde durch die Wissenschaftler André
Marion und Anne-Laure Courage mit modernen
Methoden der Computeranalyse, unter anderem
einer digitalen Verstärkung von Farbvariationen
auf der Grabtuchoberfläche, angeblich Inschriften
neben dem Antlitz sichtbar gemacht. Es handelt
sich hierbei um etwa einen Zentimeter große
griechische und lateinische Buchstaben aus den
ersten Jahrhunderten nach Christus. An der
rechten Kopfhälfte steht „ΨΣ ΚΙΑ“. Dieses wird als
ΟΨ ΣΚΙΑ (ops = Kopf; skia = Schatten) interpretiert.
An der linken INSCE (inscendat = er mag hinaufgestiegen sein) oder IN NECE
(in necem ibis = du wirst in den Tod gehen) und ΝΝΑΖΑΡΕΝΝΟΣ
(nnazarennus, ein stark falsch geschriebenes „der Nazarener“ auf Griechisch),
an der unteren HSOY, der Genitiv von „Jesus“, doch der erste Buchstabe fehlt.
>>
61
2/2
Angesichts solcher fantastischer Spekulationen ist es
nicht verwunderlich, wenn
es immer wieder zu ähnlichen Äußerungen wie auf
dem folgenden Bild kommt:
Der theologische Befund
> Die relevanten Bibelstellen
(Vorbemerkung und Synopse)
> Philologische Probleme
der exegetischen Forschung
> Passion und Auferstehung des Jesus von Nazareth
62
1/2
Die relevanten Bibelstellen (Vorbemerkung)
Die meisten Exegeten sind eher zurückhaltend, wenn das Turiner Grabtuch
zur Sprache kommt, denn aus den Begräbnistexten allein lassen sich weder
die Echtheit noch die Unechtheit des Turiner Grabtuches ableiten.
Die Bibeltexte dürfen selbstverständlich nicht wortwörtlich verstanden werden,
sondern bedürfen einer Interpretation, die sich auf die historisch-kritische
Methode stützt.
Passions- und Osterberichte gehören demnach verschiedenen Textschichten an. Während die Passionsgeschichte als Wiedergabe eines historisch gesicherten Geschehens gelten kann, sind die Ostererzählungen von
ihrer literarischen Gattung her Verkündigungsgeschichten mit einer ganz bestimmten Aussageabsicht. Das heißt, diese sind nicht als historische Tatsachenberichte anzusehen, sondern als theologische Entfaltung des Auferstehungsglaubens zu bewerten. Und dieser Interpretation folgend gehört
auch das Begräbnis Jesu bereits zu den Ostererzählungen und darf somit
nicht mehr als historisch exaktes Ereignis angesehen werden.
>>
2/2
Die relevanten Bibelstellen (Synopse)
Mk 15,46:
Josef kaufte ein
Leinentuch, nahm
Jesus vom Kreuz,
wickelte ihn in das
Tuch und legte ihn
in ein Grab, das in
einen Felsen gehauen war. Dann
wälzte er einen
Stein vor den
Eingang des
Grabes.
Mt 27,59f:
Josef nahm ihn
und hüllte ihn in ein
reines Leinentuch. Dann legte
er ihn in ein neues
Grab, das er für
sich selbst in einen
Felsen hatte hauen
lassen. Er wälzte
einen großen Stein
vor den Eingang
des Grabes und
ging weg.
Lk 23,53:
Und er (Josef
von Arimathäa)
nahm ihn vom
Kreuz, hüllte ihn
in ein Leinentuch und legte
ihn in ein Felsengrab, in dem
noch niemand
bestattet worden
war.
Joh 19,40:
Sie nahmen
den Leichnam
Jesu und umwickelten ihn
mit Leinenbinden, zusammen mit
den wohlriechenden Salben, wie es
beim jüdischen
Begräbnis
Sitte ist.
Joh 20,6b-7: Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in
das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch,
das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.
63
1/3
Philologische Probleme der exegetischen Forschung
Die exegetische Forschung hat in diesem Zusammenhang mit folgendem
philologischen (d.h. sprachwissenschaftlichen) Problem zu tun:
die Bezeichnung für das Tuch bzw. die Tücher und auch die Art der
„Einwickelung“ des Leichnams sind alles andere als eindeutig und können
daher zur Untermauerung der persönlichen Überzeugung des betreffenden
Grabtuchforschers in die für ihn passende Richtung interpretiert werden.
So bezeichnen die von den Synoptikern (Mt, Mk, Lk) verwendeten Verben
eneiléo (Mk) und entylísso (Mt und Lk) verschiedene Arten des Verhüllens
oder des Einwickelns; so macht es einen großen Unterschied, ob Jesus
„eingewickelt“ (im Sinne von einbandagiert), oder eben „verhüllt“ worden ist,
was den Vorgang eines Abdruckes aber erst ermöglicht.
>>
2/3
Das Tuch selbst wird von den drei Synoptikern als sindon (σινδών) bezeichnet. Die meisten Bibelübersetzer, auch die neue deutsche Einheitsübersetzung, verstehen darunter ein großes Leinentuch, das sowohl als Kleidungsstück wie auch als Decke oder eben als Leichentuch Verwendung finden
konnte. Die im Johannesevangelium verwendeten Begriffe othónia und
sudárion sind schwierig in der Hinsicht, da sie augenscheinlich etwas anderes
bezeichnen als die sindón der Synoptiker. Allein schon die Tatsache, dass es
sich um zwei Tücher verschiedener Größe und Verwendungsart handelt,
bereitet den Exegeten Kopfzerbrechen und führt folglich - wieder einmal - zu
unterschiedlichen Interpretationen. Laut Bulst ist othónia „[...] ein vieldeutiges
Wort. Es kann „Binden“ bedeuten, vor allem in ärztlicher Sprache. Es kann
aber auch alles aus Leinwand Gefertigte meinen. [...] So versteht sich, dass
manche Schrifterklärer, von Augustinus angefangen [...], diese othónia mit der
sindón der synoptischen Evangelien gleichsetzen“*.
Diese Gleichsetzung erweist sich aber als nicht ziel führend, da othónia in
Verbindung mit dem Verb deo niemals „einhüllen“, sondern nur „binden“
bedeuten kann.
( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 78)
>>
64
3/3
Das Wort sudárion (=Schweißtuch) ist ebenfalls nicht so eindeutig, wie man
zunächst meinen möchte. Erstens ist man sich über die Größe dieses
Tuches (die Vermutungen reichen von der Größe einer Serviette bis hin zu
den Ausmaßen eines Schultertuches) nicht einig. Das führte dazu, dass
einige Forscher in diesem sudarión die sindón der Synoptiker zu entdecken
glaubten. Das sei aber, laut Bulst, eine unrichtige Schlussfolgerung, da aus
dem Textzusammenhang eindeutig klar werde, dass dieses Tuch in irgendeiner Weise „um das Gesicht herumgebunden wurde“*. In welcher Weise es
nun genau Verwendung fand, ist jedoch nicht so eindeutig zu sagen, bedeckte es nur locker das Gesicht, wurde das Gesicht damit verbunden oder
benutzte man es als „Kinnbinde“?
Interessant hierbei ist jene These, dass der Evangelist Johannes gerade
durch die besondere Betonung, dass das Tuch „auf/über den Kopf gelegt“
(epi tes kephales) war, andere Deutungsmöglichkeiten ausschließen wollte.**
( *aus: Bulst, Werner und Heinrich Pfeiffer: Das Turiner Grabtuch und das Christusbild. Band I: Das Grabtuch, Forschungsberichte und
Untersuchungen, Frankfurt am Main 1987, 78)
(** Vgl. Kersten, Holger und Elmar R. Gruber: Das Jesus Komplott. Die Wahrheit über das „Turiner Grabtuch“, München 1992, 278)
1/14
Passion und Auferstehung des Jesus von Nazareth*
Nach Urteilssprechung brutal gegeißelt
Nach der Urteilsverkündigung wurde Jesus - wohl mit den anderen beiden
Verurteilten - den Soldaten übergeben, die sogleich mit den Vorbereitungen
zur Hinrichtung begannen. Dazu gehörte als erstes die Geißelung. Die Geißelung fand auf dem Markt vor dem Herodespalast – also in der Öffentlichkeit –
statt. Die zu Geißelnden wurden entkleidet, nackt auf den Boden geworfen
oder an eine Säule fest gebunden – mit nach oben gestreckten Händen. Nun
konnten die Folterknechte ungehindert zuschlagen.
Als Folterwerkzeuge dienten Lederpeitschen, die mit Knochen und Metallstückchen durchsetzt waren. Aus historischen Quellen des Josephus Flavius
ist bekannt, dass Menschen so gegeißelt wurden, „bis die Eingeweide bloß
lagen“. Durch die Geißelung konnten Menschen bis auf die Knochen zerfleischt
werden. Die Geißelung konnte so furchtbare Wunden herbei führen, dass das
Opfer nicht selten während der Tortur gestorben ist.
Wie es aussieht, wurde Jesus bis an die Grenzen des Erlaubten traktiert. Den
auf ihm aufgeschulterten Kreuzesbalken vermochte er nämlich nicht mehr
alleine zu tragen, obwohl der Weg nach Golgota nicht sehr weit war. Auch der
schnelle Tod Jesu könnte mit der brutalen Geißelung zusammen hängen.
(* aus: Schlager Stefan: Christen und der Christus. Eine Entdeckungsreise: Ungewohntes, Bewegendes, Herausforderndes,
Linz 2004, 40-48)
>>
65
2/14
… verspottet und misshandelt
Renate Wandel, Geißelung
Die Geißelung alleine reichte noch nicht aus. Bis
zum Abmarsch nach Golgota spielten einige der
Soldaten den drei Verurteilten noch übel mit.
Dabei dürfte im Besonderen der verurteilte „König
der Juden“ zum Spott gereizt haben. Unter lautem
Gejohle und mit bissigen Bemerkungen überreichten sie dem „Judenkönig“ die Insignien bzw.
ein Spott-Ornat: einen alten, vielleicht rot gefärbten Soldatenmantel als königlichen Purpur,
eine schnell aus irgendwelchem Gestrüpp oder
Geäst zusammen gewundene Haube als Krone
und einen Rohrstock als Szepter. Dem so Ausstaffierten huldigte man spöttisch.
Dieses „Spiel“ ging bald in Misshandlungen über. Jesus wurde angespuckt und
geschlagen. Glaubhaft berichten Matthäus und Markus von Stockschlägen auf
den Kopf, so dass die Dornenkrone bzw. -haube, die eigentlich zum SpottOrnat gehörte, zum Marterinstrument wurde. Von Faustschlägen ins Gesicht ist
im Johannesevangelium zu erfahren.
>>
3/14
Golgota
Nach dem Todesurteil, der Geißelung, dem Spott und der Misshandlung wurde
Jesus gemeinsam mit den beiden Zeloten nach Golgota geführt. Dabei war es
üblich, dass die Verurteilten den Kreuzesbalken selber zur Hinrichtungsstätte
tragen mussten. Auf diesen Kreuzesbalken wurden sie später gebunden oder
genagelt und an einem Pfahl hochgezogen.
Aus dem Hinweis, dass die Soldaten nach der Kreuzigung aus Jesu Kleidern
„vier Teile machen, für jeden Soldaten einen“ (Joh 19,23), kann darauf geschlossen werden, dass der Trupp um Jesus aus vier Söldnern und einem
Centurio (Mk 15,39.44 parr.) bestand. Vorausgesetzt, dass der Prozess im
Herodespalast stattfand, war der Weg vom Prätorium bis nach Golgota in der
Luftlinie kaum mehr als 250 bis 300 Meter. Auf zwei Drittel seiner Strecke
verlief der „Kreuzweg“ durch das Viertel der Reichen und Mächtigen, wo in
prächtigen und luxuriösen Villen jene Hohenpriester und Ältesten wohnten, die
als Hauptverantwortliche Jesu Tod betrieben haben.
Jesus war durch die Geißelung jedoch so geschwächt, dass er den Weg nicht
mehr schaffte. Die Soldaten reagierten sofort darauf und zwangen einen
zufällig Vorbeikommenden, für Jesus den Kreuzesbalken zu tragen. Der Name
dieses Mannes ist bis heute bekannt: Simon von Kyrene - wohl ein Jude aus
der nordafrikanischen Hafenstadt Kyrene.
>>
66
4/14
In Golgota angekommen, begann nun die Kreuzigung. Da die damals schädelförmige – und etwa 10 Meter hohe - Erhebung in einem Felsgelände vor der
Stadtmauer lag - an einer Ausfallstraße -, konnten sehr viele Menschen das
abschreckende Geschehen wahrnehmen.
Es war damals üblich, den Delinquenten vor der Hinrichtung einen Rauschtrank zu verabreichen. Jesus lehnte diesen Trank jedoch ab. Die Kreuzigung
selbst war wiederum der Willkür der Soldaten überlassen. Sie kreuzigten, wie
es ihnen gerade „gefiel“. So schreibt der Historiker Josephus Flavius: „In ihrer
Erbitterung nagelten die (römischen) Soldaten die (jüdischen) Gefangenen
zum Hohn in den verschiedenen Körperlagen an ...“. In der Regel wurden die
Delinquenten nackt an den Kreuzesbalken geheftet und dann auf den Pfahl
hinaufgezogen. Wahrscheinlich wurde Jesus zwischen den beiden Zeloten
gekreuzigt – und dabei als „König der Juden“ verspottet, mit dem „Ehrenplatz“
in der Mitte.
Bei den Hinrichtungen war es Brauch, das jeweilige Verbrechen öffentlich
bekannt zu machen. Für gewöhnlich vermerkte man es auf einer kleinen
hölzernen Tafel, die man dem Verurteilten auf seinem Weg zum Richtplatz
voran trug oder um den Hals hängte. Es ist zu vermuten, dass auf der
hölzernen Tafel, die wohl neben dem Kreuz Jesu postiert war, auf Aramäisch
und Griechisch zu lesen war:
>>
5/14
König der Juden (aramäisch: MALKA DIHUDAJE bzw. griechisch: HO
BASILEIUS TON IOUDAION). Nachdem die Soldaten ihre grausame Arbeit
beendet hatten, verteilten sie die Habseligkeiten der Hingerichteten per Los.
Jesus wurde also – wie Zahllose vor ihm und nach ihm – „zum Beuteobjekt
degradiert“.
Um das Sterben qualvoll zu verlängern,
wurde den Gekreuzigten in der Mitte des
Kreuzesbalkens ein Sitzpflock als „Stütze“
gegeben – der Grund dafür: Den am Kreuz
Hängenden quälen Durst, rasende Kopfschmerzen und hohes Fieber. Aufgrund
der schweren Verletzungen und des starken Blutverlustes (Geißelung) kommt es
zu Schockzuständen. Der Kreislauf
schwankt hin und her und droht zusammenzubrechen. Die Hängelage führt zu
Atemnot, die ihrerseits dazu zwingt, sich
immer wieder unter unsäglichen Qualen
hoch zu ziehen und aufzurichten. Unter
dem Gewicht des Körpers drohen die
Glieder zu zerreißen.
Lovis Corinth, Der rote Christus (1922)
>>
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6/14
Der Tod
In seinen letzten Stunden dürfte Jesus neben den körperlichen Qualen noch
eine weitere – fast unerträgliche geistig-seelische Not – erfahren haben, die
im Gefühl gipfelte, von Gott verlassen zu sein. Gott scheint ferne, als habe er
sich demonstrativ zurück gezogen. Obwohl Jesus sich in seinen Worten und
Taten ganz dem Kommen Gottes verschrieben hatte, schweigt nun Gott! In
dieser Situation rang nun der „Gottesreich-Verkünder“ mit seinem Gott – „er
wendet sich ohne Gott an Gott! Er legt alle Angst ... Gott zu Füßen“ (Heinrich
Schlier). Dieses Ringen drückte Jesus – so schreibt es der Evangelist Markus
– mit den gerade noch schaffbaren Anfangsworten des Psalmes 22 aus:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Trotz der erfahrenen
Gottesferne richtet sich Jesus also – in einem letzten Akt des Vertrauens – an
seinen Gott.
Der Psalm 22 gehört zu den individuellen Klageliedern des Alten Testaments.
In ihm klagt ein anonymer Beter über Todeskrankheit, falsche Anklage,
Verleugnung und Verrat, Rechtsnot, Verfolgung, Einsamkeit, Schuldgefühle
und schließlich über Gottverlassenheit und Gottferne. Dennoch mündet
dieser Psalm in eine Hoffnung: „Du aber, Herr, halte dich nicht fern! Du,
meine Stärke, eil mir zu Hilfe. Entreiße mein Leben dem Schwert …“.
Markus schreibt, dass Jesus schließlich mit einem lauten Schrei verschied.
Als vermutlicher Todestag Jesu gilt Freitag, 7. April des Jahres 30.
>>
7/14
AUFERWECKT VON DEN TOTEN
Nach der Liquidierung Jesu ging ein Mann namens Josef von Arimatäa zu
Pilatus und bat ihn um die Leiche des Gekreuzigten. Ohne dieses mutige
Engagement Josefs, einer bekannten Persönlichkeit in Jerusalem, hätten die
Römer Jesus vermutlich in das offizielle Massengrab für Verbrecher werfen
lassen. Pilatus gewährte Josef jedoch die Bitte, wunderte sich aber zuvor
noch, dass Jesus so schnell gestorben ist. Nach der Aushändigung der
Leiche an Josef wurden in aller Schnelle Vorbereitungen für ein ordnungsgemäßes jüdisches Begräbnis getroffen – es blieb angesichts des in Kürze
beginnenden Festes nur sehr wenig Zeit. Was sonst diskret im geschützten
Rahmen geschah, musste nun auf Golgota rasch und in aller Öffentlichkeit –
wohl unter den Blicken neugieriger Gaffer - durchgeführt werden: Die Leiche
reinigen und in ein Tuch hüllen. Aufgrund des Zeitdruckes ist ein Begräbnis in
größter Einfachheit anzunehmen. Was für eine Hochachtung aber musste
Josef von Arimatäa vor Jesus gehabt haben, dass er diesem Mann – einem
öffentlich hingerichteten und bloß gestellten Schwerverbrecher - sein Grab
überließ!
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Von den Jüngern Jesu war zu dieser Zeit nichts
zu sehen und zu hören. Sie standen ihrem
Meister in seinen schwersten Stunden nicht bei.
Einige Zeit später traten sie jedoch in Jerusalem wieder an die Öffentlichkeit – diesmal
mutig, offenherzig, einsatzfreudig. Als Grund für
die Veränderung ihres Verhaltens gaben sie
eine Erfahrung an, die sie mit den Worten
ausdrückten: „Gott erweckte Jesus von den
Toten“. Dieses Ereignis veränderte das Leben
der Apostel - und selbstverständlich auch der
Frauengruppe um Jesus - von Grund auf. Für
den Glauben an den Auferweckten setzten sie
nun ihre Existenz aufs Spiel. Was aber ist mit
Auferweckung gemeint? Wie ist Auferweckung
möglich?
Matthias Grünewald, Die Auferstehung (1515)
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Rembrandt, Er ist auferstanden; Feder- u.
Pinselzeichnung (um 1655)
Entstehung des Auferweckungsglaubens
Den Glauben an die Auferweckung gibt es nicht erst seit der Auferweckung
Jesu. Diese Hoffnung ist älter und hat sich bereits im frühen Judentum
entwickelt: Es dauerte ungefähr 1000 (!) Jahre, bis hier Menschen im 3./2.
Jahrhundert v. Chr. den entscheidenden Durchbruch zu diesem Glauben
schafften. In dieser langen Zeit konnte das Volk Israel aber seinen Gott
„hautnah“ kennen lernen. Und so
kam es zur Überzeugung: Weil
sich Gott jahrhundertelang in der
konkreten Geschichte als treu
und menschenliebend erwiesen
hat, deshalb wird er auch über
den Tod hinaus treu bleiben und
die Verstorbenen nicht alleine
lassen, sondern zum Leben erwecken! Auf Grundlage dieses so
lange gereiften und mühsam errungenen Glaubens waren die
Männer und Frauen um Jesus letztlich in der Lage, ihre so ganz anderen OsterErfahrungen zur Sprache zu bringen.
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Unbekannter Flämischer Meister, Auferstehung (um 1400)
Das neutestamentliche Auferweckungszeugnis
In den neutestamentlichen Schriften finden wir
nirgendwo Texte, die Auskunft geben, wie die
Auferweckung Jesu „genau vor sich ging“. Bei
den Ostertexten handelt es sich nämlich nicht um
Reportagen, sondern um Glaubenszeugnisse.
Nicht das „Wie“, sondern das „Dass“ der
Auferweckung Jesu stand dementsprechend im
Zentrum. Folglich wurde die neue und alles
umwälzende „Nachricht“ von der Auferweckung
Jesu zunächst nur in dem einfachen Satz
ausgedrückt „Der Herr erweckte Jesus aus den
Toten.“ Die ursprüngliche Ostererfahrung war
somit eine Gotteserfahrung – die Erfahrung, dass
Gott in die Welt eingriff. Es ist sehr interessant,
dass sich dieser alte Satz in beinahe allen
Schriften des Neuen Testamentes findet.
Relativ früh erweiterte man jedoch dieses ursprüngliche Osterzeugnis: Jesus
und seine Stellung rückten nun in den Blickpunkt und es kamen z. B. die
Ostererscheinungen, das neu gesehene Sterben Jesu am Kreuz oder sein
zukünftiges Kommen in Herrlichkeit hinzu.
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Die wohl bekannteste dieser Formeln findet sich in Paulus’ ersten Brief an
die Korinther:
Denn vor allem habe ich euch überliefert,
was auch ich empfangen habe:
Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift,
und ist begraben worden.
Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift,
und erschien dem Kephas (= Petrus), dann den Zwölf.
Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich;
die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen .
... Als letztem von allen erschien er auch mir ... (1 Kor 15,3 - 8)
Mit dem neuen „österlichen Blick“ auf Jesus einher geht ein Begriffswechsel:
Es wird nun auch von „Auferstehung“ gesprochen. Während das Wort
„Auferweckung“ die Initiative ganz bei Gott sieht, legt das Wort „Auferstehung“ den Hauptaugenmerk auf das Handeln Jesu.
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Die Ostererzählungen
Karl Schmidt-Rottluff, Gang nach Emmaus,
Holzschnitt, 1918
Im Neuen Testament gibt es neben
den alten Formeln noch die etwas
jüngeren Ostererzählungen. Diese
Erzählungen sind wohl in erster Linie
keine historischen Tatsachenberichte. Vielmehr handelt es sich bei
den österlichen Grabes- und Erscheinungserzählungen um „spätere Verkündigung“, bei denen man das
Osterbekenntnis und die ursprüngliche Ostererfahrung erzählerisch
entfaltet hat. Die Ostererzählungen
dienen somit der „Veranschaulichung des Osterbekenntnisses“. Mit ihrer Hilfe
soll auch gezeigt werden, was das Osterereignis eigentlich bedeutet. Trotz
dieser „Verkündigungsabsicht“ können in den einzelnen Erzählungen
geschichtliche Erinnerungen mitschwingen (z. B. die Erscheinung in Galiläa,
die Erscheinung in Emmaus vor dem Jünger Kleopas, ...).
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Franz Kohler, Der ungläubige Thomas
Der Osterglaube wurde durch Begegnungen mit dem Auferstandenen
ausgelöst
Noch eines ist wichtig: Im Neuen Testament wird
der Osterglaube nicht durch die Entdeckung des
leeren Grabes ausgelöst. Alleine die Begegnungen bzw. „Erscheinungen“ sind das ausschlaggebende Ereignis, durch das Männer und
Frauen um Jesus zum Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen sind. Das gilt auch für
Paulus. In seinem ersten Brief an die Korinther
stellt er sich in eine Reihe mit den ersten Osterzeugen (vor allem mit Petrus) und bestätigt auf
diese Weise die den Osterglauben auslösende
Begegnung mit dem Auferweckten. Dabei fällt
auf, dass das Neue Testament diese Ostererfahrungen deutlich von Träumen oder Phantasien unterscheidet. Ebenso wichtig wie die
schriftlichen Osterzeugnisse sind jedoch auch
die gelebten Osterzeugnisse: Am neuen Leben der Anhängerinnen und Anhänger Jesu zeigte sich eindrücklich, wie verändernd diese Männer und
Frauen die Auferweckung Jesu erlebt haben müssen.
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Fra Angelico, Auferstehung Jesu und Frauen am Grab (1440/41)
14/14
Dem leeren Grab hingegen kommt in den
Paulusbriefen wie in den Evangelien für die
Entstehung des Osterglaubens keine wesentliche Bedeutung zu. Es ist anzunehmen,
dass die Grabesgeschichten (Gang zum
Grab, Verkündigung des Engels am leeren
Grab …) der Verkündigung und der Veranschaulichung der Auferweckung dienen,
weniger aber historische Berichte sein
wollen. Dementsprechend vertreten namhafte Theologen die gut begründete Ansicht,
dass die Jünger vom leeren Grab Jesu nicht
einmal wussten. Andere Theologen wiederum haben einsichtige Argumente für das
Wissen der Jünger um das leere Grab
(sonst hätte sich z. B. in Jerusalem der Glaube an die Auferstehung Jesu nicht
halten können). Gemäß dem heutigen Wissensstand bleibt die Frage, ob das
Grab leer war oder nicht, offen. Für die Auferstehungsthematik spielt das aber
nur eine nebensächliche Rolle: Auferstehung im biblischen Sinn meint nämlich
nicht die Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die volle post-mortale
Verwirklichung dessen, was sich im Laufe eines Lebens (an persönlicher
Identität) herausgebildet hat.
1/9
Resümee
Augrund der Einzigartigkeit dieses Objektes werden die Gütekriterien für
empirische Untersuchungen – und somit deren Wissenschaftlichkeit - nur
unzureichend erfüllt:
> Die Objektivität der Wissenschaftler ist in bezug auf das Turiner Grabtuch
fragwürdig; die im Hintergrund stattfindende Echtheitsdebatte führt sehr
häufig zu (Be)Wertungen oder subjektiven Verzerrungen.
> Die Reliabilität (Zuverlässigkeit) ist bei einigen Untersuchungsmethoden
nicht gegeben, da eine Wiederholung des Experimentes unter gleichen
Rahmenbedingungen - v.a. wegen des begrenzten Testmaterials und des
beschränkten Zugangs - nicht möglich ist.
> Auch die Validität (Gültigkeit) einzelner Ergebnisse ist zu hinterfragen, da
deren Aussagekraft - v.a. angesichts der Vielfalt der methodischen
Zugänge - nur von geringer Bedeutung für das „Gesamtwerk Grabtuch“
sind.
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2/9
Trotz dieser wissenschaftstheoretischen Einschränkungen liefern die spezifischen Untersuchungen aus der Medizin, der Pollenanalyse, der Fotografie,
der Anthropologie, der Archäologie, der Biologie, der Chemie, der Geologie,
der Ikonographie, der Numismatik, der Holographie, der Radiologie, der Kunstgeschichte, der Geschichtsforschung und der Theologie interessante und
beachtenswerte Ergebnisse.
In den letzten 30 Jahren wurden Untersuchungen getätigt, die einerseits mit
dem
- Material des Tuches in Verbindung stehen (Gewebe- und Pollenanalyse,
chemische und mikroskopische Untersuchungen) und anderseits mit dem
- abgebildeten Menschen (medizinische und kriminologische Untersuchungen;
kunstgeschichtliche Analysen bezüglich der Christusdarstellungen, die ev.
auf dem Grabtuch basieren).
Die Interpretation dieser Resultate erlaubt folgende Schlussfolgerungen:
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3/9
Die Pollenanalyse konnte nachweisen, dass von den insgesamt 58 - auf dem Grabtuch gefundenen - Pflanzenarten 17 in
West- und Südeuropa vorkommen, 19 davon sind im Mittelmeerraum verbreitet. Interessant ist, dass 44 der Pflanzenarten in Jerusalem gefunden wurden, 14 davon wachsen
ausschließlich in dieser Gegend. Die Ergebnisse der Palynologie stehen somit nicht im Widerspruch zur „Geschichte“ des
Turiner Grabtuches – vom Ursprung in Jerusalem über Konstantinopel und Frankreich bis hin nach Turin.
Die Gewebeuntersuchung bestätigt, dass die Webart und die
fein gearbeiteten Nähte der Qualität anderer Textilien entsprechen, die im südlichen Israel gefunden und auf das Jahr 73
n. Chr. datiert wurden.
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4/9
Der gerichtsmedizinische und kriminologische Befund
konstatiert, dass es sich um das Grabtuch eines gekreuzigten
Mannes handelt, der vorher gegeißelt und mit einer Dornenhaube gekrönt worden ist. Die Spuren der mit unzähligen
kleinen Bleikugeln versehenen Peitschen sind auf dem Leinen
ebenso nachweisbar wie die Spuren des Dornengeflechts.
Der Leichnam weist eine von einem Lanzenstich herstammende
Seitenwunde auf. Vor allem die Details – wie die Durchnagelung
der Handwurzel und die Abdrücke der „flagrum taxilatum“, einer
dreischwänzigen römischen Peitsche, sowie die Dornenhaube
anstatt der in der Kunst dargestellten Dornenkrone – sprechen
für die Entstehung im ersten Jahrhundert.
Vertreter der Ikonographentheorie, welche anhand zahlreicher
Christusporträts den Beweis erbringen wollen, dass das Grabtuch von Turin eine jahrhundertelange Tradition hat, stellten
Hypothesen auf, die es als gerechtfertigt erscheinen lassen, die
Existenz des Turiner Grabtuches vor dem 13. bzw. 14. Jahrhundert anzusetzen.
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5/9
Der Radiocarbontest von 1989 brachte ein Ergebnis, das den
oben angeführten wissenschaftlichen Ergebnissen völlig widersprach: das Grabtuch soll demnach aus dem 13. bzw. 14. Jahhundert stammen.
Wie kann nun dieses Ergebnis mit den anderen, positiven Erkenntnissen in Einklang gebracht werden? Kann man die Ergebnisse der anderen wissenschaftlichen Disziplinen wegen der Ergebnisse dieses einen Tests einfach ignorieren? Wie sicher und
wissenschaftsmethodologisch einwandfrei ist dieses Messverfahren überhaupt und wie seriös erfolgte dieser konkrete Radiocarbontest?
Nur ein neuerlicher Test, der auch ausreichend dokumentiert
wird, oder aber die Anwendung neuer Messverfahren zur
Bestimmung des Gewebealters können hier eine Klärung
bringen.
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74
6/9
Der immer noch unerklärliche Negativabdruck (für den es in
der Kunst nichts Vergleichbares gibt), als auch die inkludierte
dreidimensionale Entschlüsselung unterstreichen die
Einzigartigkeit dieses „Objektes“.
Die Perfektion des Tuches von Turin ist als „Gesamtwerk“ sehr
beachtlich. Kein Fälscher des Mittelalters hätte m.E. alle
medizinischen, physiologischen und physikalischen Gegebenheiten so exakt berücksichtigen können, wie das Bild auf dem
Grabtuch von Turin sie uns offenbart. Die perspektivische Verkürzung der (etwas angezogenen) Beine, den genauen Verlauf
des Blutes bei bestimmten Bewegungen, manche mit freiem
Auge kaum sichtbaren, jedoch exakt den damaligen Gepflogenheiten entsprechenden Geißelspuren, die eingezogenen
Daumen, die Wunden an den Handwurzeln statt in den Handflächen wie in der Kunst sonst bei Kreuzesdarstellungen üblich,
die Blütenpollen und unzählige andere Einzelheiten weisen eine
Vollkommenheit auf, die überzeugt.
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7/9
Das Turiner Grabtuch provoziert immer auch die „Echtheitsfrage“;
diese jedoch fokussiert mehrere Aspekte, sodass sie nicht mit einem
einfachen Ja oder Nein beantwortet werden kann.
Wie im naturwissenschaftlichen Befund dargestellt, gibt es gewichtige
Argumente für die Echtheit des Alters von 2000 Jahren und der Herkunft des Tuches aus Israel.
Ebenso gibt es ernstzunehmende Argumente für die Echtheit des
Abbildes eines gegeißelten und gekreuzigten Mannes; die anatomischen Details im Zusammenhang mit der Kreuzigung sprechen gegen
eine mögliche Fälschung im Mittelalter.
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8/9
Ob der Abdruck am Turiner Grabtuch jedoch vom „echten“ Jesus
(dem Christus) stammt, kann nicht beantwortet werden; für den
Glauben spielt das jedoch keine Rolle.
Bei aller Wichtigkeit der Datierungsfrage gilt es zu bedenken, dass die
Mehrzahl der Jünger ihren Glauben er- und gelebt haben, ohne etwas vom
Grabtuch zu wissen.
Die Berichte aus den Evangelien „zeichnen“ uns ein viel deutlicheres,
ganzheitlicheres und reichhaltigeres Bild von Jesus von Nazareth, indem
sie uns sein Denken, Fühlen und Handeln nahe bringen.
Das Abbild eines Toten kann nicht mit der Beziehung zum Auferstandenen
und Gegenwärtigen konkurrieren, wohl aber dazu anregen, sich immer wieder
mit der besonderen Geschichte des Jesus von Nazareth auseinanderzusetzen.
9/9
was ist wirklich?
was ist wahr?
forschungsergebnisse
in buchstaben und zahlen
ausgedrückt?
was objektiv
durch objektive
abbildbar gemacht?
oder seine worte
gesprochen am berg,
die taten gewirkt
am ufer des sees?
was ist wirklich?
was ist wahr?
76
ENDE
schlaWei-production, 2007
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