Frauenwahlrecht
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Frauenwahlrecht
Der Weg zum Parlamentarischen Frauenwahlrecht in Deutschland und Österreich Für die deutschen und österreichischen Frauen der Gegenwart ist es ein selbstverständliches Recht, bei den Parlamentswahlen wählen zu dürfen. Vor nur 100 Jahren sah dies noch ganz anders aus. Die Frauen mussten sich dieses heute so selbstverständliche Recht hart erkämpfen. Die Gleichheit aller Staatsbürger bei der Ausübung des parlamentarischen Wahlrechts war in Deutschland und Österreich bis 1918 nicht gegeben. Der Kampf der Frauen um das Stimmrecht begann mit der 1848er Bewegung und ist stark verbunden mit der wachsenden Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben. Besonders durch die Erlangung gleicher Bildungsrechte für beide Geschlechter konnte den Frauen der Zugang zum öffentlichen Leben nicht länger verwehrt werden. Wachsende Bildung und wachsendes politisches Interesse förderten einander gegenseitig. Durch die sich rapid entwickelnde Industrialisierung wurde das Herrschaftssystem ‚Haus’ aufgeweicht und verlor zunehmend an Bedeutung. Allerdings wurde erst im I. Weltkrieg die entscheidende Akzeptanz für die Einführung des Frauenstimmrechts geschaffen. Die Frau war weitgehend gezwungen, Männerarbeit zu übernehmen und darüber hinaus die Familie zu versorgen. Diese Leistung verschaffte den Frauen Anerkennung und führte zu einer verstärkten Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen. Die entscheidende Wende im Kampf um das Frauenwahlrecht wurde jedoch durch die Novemberrevolution herbeigeführt. Im November 1918 wurde das Frauenwahlrecht im Deutschen Reich bzw. der Republik Deutschösterreich eingeführt. Die hier dargestellte historische Entwicklung hin zum Frauenwahlrecht kann leider nur einen kleinen Einblick in die Ereignisse geben. Die 1848er Revolution Die Revolution des Jahres 1848 bildete die Grundlage für die Entwicklung des Wahlrechts in Deutschland und Österreich. Auf Grund dieser Ereignisse entwickelten sich zunehmend Forderungen nach dem allgemeinen und gleichen Männerwahlrecht ohne Ausschluss von „Entmündigten und Konkursschuldnern auch Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter und Tagelöhner“1. Man ging jedoch davon aus, dass selbst, wenn man ein allgemeines und gleiches Wahlrecht einführte, sich Bildung und Besitz durchsetzen würden. „Damit solle man sich begnügen und nicht den minder Gebildeten, den Schwächeren noch über dies den Mund gesetzlich verstopfen.“2 Letztendlich einigte man sich im Reichswahlgesetz auf gleiche, unmittelbare und geheime Wahlen, bei denen jeder unbescholtene Deutsche wählen dürfte. Trotz der andauernden Diskussionen um das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland nicht oder nur marginal besprochen. Auch hier gab es kontroverse Meinungen. So forderten einige Abgeordnete, dass durch das allgemeine Wahlrecht auch die Frauen eingeschlossen werden sollten, andere hingegen forderten den ausdrücklichen Ausschluss der Frauen von der Wahl. 1 2 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 67 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 69 1 Nach der 1848er Revolution wurde das Recht auf politische Mitbestimmung in Österreich hingegen als Privileg der Besitzenden und Gebildeten betrachtet. So erhielten auch einige Frauen das Wahlrecht. So würde in Österreich 1849 das Gemeindewahlrecht und 1861 das Landtagswahlrecht für alle Besitzenden, auch Frauen, eingeführt. Einige Großgrundbesitzerinnen haben 1873 auch Wahlrecht bei der Wahl zum österreichischen Abgeordnetenhaus. Ursachen für die mangelnden politischen Rechte der Frauen Ursachen für die mangelnden politischen Rechte der Frauen lagen auch im Bildungsbereich. De facto war es Frauen kaum möglich, höhere Bildung zu erlangen, da die höheren Bildungseinrichtungen Männern vorbehalten waren. Frauenbildung wurde vom Staat kaum gefördert. Die allgemeine Mädchen- und Frauenbildung war nicht ausreichend, um an politischen Diskussionen und gesellschaftspolitischen Debatten teilzunehmen und dies war auch nicht erwünscht. Häufig wurde das Schreibenlernen „nicht nur für überflüssig, sondern auch für schädlich“3 gehalten. Lesen wurde den Mädchen häufig nur zu dem Zwecke gelehrt, damit sie sich mit biblischen Texten beschäftigen konnten. Mit zunehmender Industrialisierung und der Zunahme an außerhäuslichem Arbeitskräftebedarf gewann die Bildung an Stellenwert. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in allen deutschen Staaten die Pflicht zum Schulbesuch eingeführt und die Bildung (auch der Mädchen) aus dem Haus verlagert. Die Schule als Erziehungsinstitution hatte zunehmende Bedeutung. Da die Bedingungen für die Männer immer ‚gleicher’ wurden und zwischen den Männer verschiedener Stände und verschiedener Herkunft immer weniger Unterschiede gemacht wurden, musste der Ausschluss der Frau von höherer Bildung begründet werden. Man tat dies mit den angeblich natürlichen Wesensunterschieden zwischen Frauen und Männern. Dabei wurden den Frauen Merkmale wie „emotional, intuitiv, sanftmütig und passiv“4 zugeschrieben, Männer hingegen galten als rational, aktiv und stark und waren somit der damaligen Anschauung nach besser für die Politik, die höhere Bildung und die Ausübung von bestimmten Berufen geeignet. In den Volksschulen gab es in Deutschland seit 1870 „eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Unterrichtsinhalte“5. So wurde Mädchen zum Beispiel Handarbeit unterrichtet und es wurde besonderen Wert auf die Vermittlung von Tugenden wie „Reinlichkeit, Ordnungsliebe, Sittlichkeit, Sparsamkeit und Fleiß“6 gelegt. Der Zugang zu höheren Schulen blieb den Mädchen auch zu diesem Zeitpunkt noch verwehrt. Später wurden dann höhere Mädchenschulen gegründet, auf denen kaum Wert auf die Ausbildung in wissenschaftlichen Fächern, sondern vielmehr auf die Vorbereitung der Frau auf ihre Rolle als Gesellschafterin und Unterhalterin gelegt wurde. 3 Blochmann: „Laß Dich gelüsten nach der Männer Weisheit und Bildung“, Pfaffenweiler 1991, S.5 Burdewick: „Mutt de Deern denn wat leern?“, Gifhorn 1994, S. 15 5 Burdewick: „Mutt de Deern denn wat leern?“, Gifhorn 1994, S. 16 6 Burdewick: „Mutt de Deern denn wat leern?“, Gifhorn 1994, S. 16 4 2 Die bürgerliche Frauenbewegung forderte, diese Missstände an den höheren Mädchenschulen zu beseitigen. Die traditionelle Ordnung geht von der Familie aus, die „unter einem Dach“ lebt. Dabei handelt es sich um die vorindustrielle Familie, bei der alle Produktions- und Verwertungsschritte in einem Haus erfolgen. Im traditionellen „Haus“, gab es den Hausvater, dem alle anderen Mitglieder des Hauses unterstellt waren, sowohl Familienmitglieder als auch Mägde und Knechte. In der Regel stellte der Hausvater „die Verbindung zwischen Staat und (weiblichen) Familienangehörigen“7 dar. Das Haus war somit gleichzeitig Zukunftsvorsorge und soziale Sicherung. Mit der Entwicklung zur Industriegesellschaft und damit der Verlagerung der Produktion außerhalb des Hauses löste sich das Haus als Herrschaftsverband langsam auf. In der Aufklärung kommt es zu einem Übergang von der gottgegebenen Herrschaft der Hausväter zu einer naturrechtlichen Begründung der Vorherrschaft der Männer. Im 18. und 19. Jahrhundert werden den Männern und Frauen naturgegeben unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben, wobei die weiblichen meist Eigenschaften als geringerwertig angesehen werden als die männlichen. So schreibt Joachim Heinrich Campe (1746-1818) im Jahr 1789: “Es ist also der übereinstimmende Wille der Natur und der männlichen Gesellschaft, dass der Mann des Weibes Beschützer und Oberhaupt, das Weib hingegen die sich an ihn anschmiegende, sich an ihn haltende und stützende, treue, dankbare und folgsame Gefährtin und Gehilfin seines Lebens sein sollte“8. Die Frau sollte nur die Vorsteherin des Hauswesens sein und sie sollte es auch verstehen, Ordnung zu halten. Diese Erziehung zu diesen Eigenschaften sollte laut Campe vorrangig der Vater übernehmen, da die Mutter „aufgrund ihres Geschlechtscharakters nicht zur sittlichen und geistigen Bildung“9 ihrer Kinder geeignet ist. Immanuel Kant (1724-1804) entwickelte die Theorie der ‚Selbstgesetzgebung’, nach der jedes Individuum so handeln sollte, dass sein Verhalten zur Verhaltensmaxime aller Menschen gemacht werden könne. Nach Kant beinhaltet der Gedanke der Freiheit und der Gleichheit, dass man nur den Gesetzen gehorchen muss, denen man auch zugestimmt hat. Doch seiner Meinung nach schickt es sich nicht für die Frau, tiefgründige Überlegungen anzustellen. Sie soll Leichtigkeit und Schönheit zeigen. Die Bestimmung der Frau ist es, eine Ehe zu führen. Sie hat den Mann zu ergänzen und zu verfeinern. Er sagt dem Mann seien „Verstand und Kühnheit, ihr Witz und Listigkeit zu eigen, er besitzt Wahrhaftigkeit und Redlichkeit, sie Scherz und gefällige Schmeichelei.“10 Kant erkennt auch die wissenschaftlichen Leistungen der Frauen seiner Zeit an, jedoch sind intellektuelle Frauen für ihn nicht weiblich reizvoll. „Die Frauen mögen auch so Verstand haben wie wir, aber wenn sie das haben, verlieren sie ihre Reize als Frau.“11 7 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 141 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 26 9 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 34 10 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 35 11 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 36 8 3 Jean Jacques Rousseau (1712-1778) sieht die Frau als Ergänzung des Mannes, deren Pflicht darin besteht, die Kinder groß zu ziehen. „Die ganze Erziehung der Frauen muss sich also auf die Männer ausrichten.“12 Die Frau sollte zu Hausfrau, Gattin und Mutter gebildet werden. Rousseau legt dabei jedoch Wert darauf, dass die Frau auch bei der Verrichtung von Hausarbeit ihrem Gatten immer gefallen soll, sie soll dabei nie ihre Sinnlichkeit verlieren. Für den Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860) waren Männer ‚MännerMenschen’ und Frauen ‚Weiber-Haustiere’. „Der Mann steht für den Menschen, für das Individuum und für den Geist; das Weib dagegen steht für das Tier, die Gattung und das Geschlecht.“13 Für Schopenhauer ist die Hauptfunktion der Frau die Erhaltung der menschlichen Art, über diese Funktion kann die Frau auf Grund mangelnden Geistes nicht hinaus kommen. Laut Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) müssen Frauen zur Bewahrung ihrer Würde „dem Mann gänzlich unterworfen scheinen wollen, ihn als Verwalter ihrer Rechte und natürlichen Repräsentanten akzeptieren“.14 Er geht davon aus, dass die politische Rechtlosigkeit der Frau nicht durch den Mann erzwungen ist, sondern von der Frau frei gewählt. Ein Fürsprecher für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu jener Zeit war Jean Antoine de Condorcet (1743-1794). Für ihn war auch die Frau ein Wesen mit Vernunft und sie war seiner Meinung nach dem Mann gleichzustellen. In den Pflichten der Frau als Mutter und Hausfrau sieht er höchstens die Möglichkeit, Frauen bei den Wahlen nicht zu bevorzugen, aber für ihn stellten diese Pflichten keinen Grund dar, Frauen gesetzlich von den Bürgerrechten auszuschließen. Nach Charles Fourier (1772-1837) hatte nicht jede Frau die Neigung, sich nur um Familie und Kinder zu kümmern. Seiner Meinung nach sollten auch Frauen „wie alle Individuen der Gesellschaft ihren Tätigkeitsbereich frei wählen „15 können. Theodor Gottlieb von Hippel (1741 – 1796) verfasste die Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“, veröffentlichte diese jedoch anonym aus Angst um seine Position als angesehener Staatsbeamter. Hippel attackierte in diesem Werk das „Herrschaftsgebaren der Männer“16. Auch er sah die Unterdrückung der Frau nicht als naturgegeben, sondern nur als Folgerung aus der Erziehung der Frauen, die von Männern bestimmt wird. Frauen sollten die vollen Menschen- und Bürgerrechte erlangen. „Durch Erziehung wollte Hippel für Frauen das Ziel ihres gesellschaftlichen Lebens über Kirche und Stricknadel hinaus(rücken); man führe sie nur an, und sie werden uns sehr bald an Scharf- und Tiefsinn übertreffen“17. Mary Wollstonecraft (1759-1797) verfasste die feministische Schrift „Vindication of the Rights of Women“. Wollstonecraft geht davon aus, dass jeder Mensch die 12 Behm: „Das Geschlecht der Bildung – Die Bildung der Geschlechter“, Opladen 1999 S. 35 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 37 14 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 181 15 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 40 16 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 40 17 Ranftl: „Wegmarken und Pflastersteine“ , Linz 1999, S. 41 13 4 gleichen Rechte hat, egal ob Mann oder Frau. Sie kritisiert scharf, dass die Erziehung und Bildung der Frauen nur darauf ausgerichtet sei, sie zu „Bedürfnisbefriedigerinnen“ der Männer zu machen. Wollstonecrafts „Vindication of the Rights of Women“ und Hippels „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ gelten als erste feministische Schriften im deutschsprachigen Raum. Im 19. Jahrhundert gab es weitere Theorien zum Thema der Familie und der Frauen. So hatte Karl Marx (1818-1883) die Vorstellung, dass die Familie nicht mehr der Produktion dienen sollte. Die Frau ist bei Marx ganz klar in die industrielle Gesellschaft und somit in den „öffentlichen Produktionsprozess“18 eingegliedert. Die bürgerliche Familie soll nach Marx aufgelöst werden. Friedrich Engels (1820-1895) sprach von einer „Gleichheit der Geschlechter in der kommunistischen Urgesellschaft“19. Auch für Engels endet die Vorherrschaft des Mannes mit dem Ende seiner finanziellen Macht über die Frauen. In dem Moment, wo die Frau in die industrielle Produktion eintritt, ist sie dem Mann gleichberechtigt. Der davor der Frau vorbehaltene Bereich der Kindererziehung soll nun von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Marx und Engels fordern eine Erweiterung der Rechte des Staatsbürgers und auch das allgemeine Wahlrecht. Wie viele Philosophen unterstützte auch der Komponist Richard Wagner (1813 1883) den Antifeminismus der Zeit. 1852 sagte er: „er habe mit der Gestalt der Ortrud in seiner Oper Lohengrin eine Frau zeichnen wollen, „die Liebe nicht kennt. Hiermit ist alles und das Furchtbarste gesagt. Ihr Wesen ist Politik. Ein politischer Mann ist widerlich; ein politisches Weib aber grauenhaft: diese Grauenhaftigkeit hatte ich darzustellen.“20 Der Kampf um das parlamentarische Frauenwahlrecht Bis Mitte des 19. Jahrhunderts beteiligten sich keine Frauen an der Diskussion um das Frauenstimmrecht, sondern es war eine rein von Männern geführte politische Debatte. Mit der Revolution von 1848/49 formulierten auch die ersten Frauen in Österreich und Deutschland vage Forderungen nach dem allgemeinen Frauenstimmrecht. Es entstand eine Frauenbewegung, die sich für das Stimmrecht der Frauen einsetzte. Es wird hierbei sowohl in Österreich als auch in Deutschland zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung und der sozialdemokratischen Frauenbewegung unterschieden. Die ersten Frauenvereinigungen in Deutschland nach dem Jahre 1848 wurden verfolgt, da in den meisten Bundesstaaten das Versammlungsrecht für Frauen nicht gegeben war und die Mitgliedschaft in politischen Vereinen für Frauen verboten war. Frauen durften vor der Novellierung des Vereinsgesetzes demnach nur unpolitische Vereine gründen. Im Jahre 1865 fand die Leipziger Frauenkonferenz statt, welche die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) bewirkte, der innerhalb von fünf Jahren bereits 10.000 Mitglieder hatte. Der Verein setzte sich für eine verbesserte 18 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 209 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 211 20 http://www.br-online.de/wissen-bildung/telekolleg/faecher/geschichte/trimester_04/ S. 2 19 5 Frauen- und Mädchenbildung und die Verbesserung der Arbeitseinstiegs- und Arbeitsmöglichkeiten für Frauen ein. Auguste Fickert (1855 – 1910) gründete 1893 den "Allgemeinen Österreichischen Frauenverein". Der Allgemeine österreichische Frauenverein war der erste Frauenverein, der sich nicht nur um eine Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für Frauen bemühte, sondern auch politische Forderungen, wie die nach dem Frauenwahlrecht stellte. Die Gründung von ausschließlich politischen Vereinen war Frauen auf Grund des Vereinsgesetzes von 1867 jedoch verboten. Verstärkt begannen die Frauen in Österreich um das Frauenwahlrecht zu kämpfen, als den steuerzahlenden, also besitzenden, Frauen in Niederösterreich das Wahlrecht wieder entzogen wurde. Zum Anliegen einer Massenbewegung wurde die Stimmrechtsforderung in Deutschland allerdings nur im Rahmen der Sozialdemokratie. Die Forderung nach dem Frauenstimmrecht entwickelte sich im Großen und Ganzen im Deutschen Reich und in Österreich erst nach den Forderungen nach verbesserter Bildung und verbesserten Arbeitsmöglichkeiten für Frauen. Die Entwicklung der Stimmrechtsfrage bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges Zunehmend wurde die männliche Bevölkerung politikinteressierter. Mit wachsendem Politikinteresse der Männer wurden auch die Aktivitäten der Frauen intensiver. Im Jahre 1894 schlossen sich mehrere Frauenvereine zum Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) zusammen. Mit der Gründung dieses Vereins ging der Aufschwung der bürgerlichen Frauenbewegung einher. Dieser Verein arbeitete nun neben der bereits bestehenden Frauenvereinen und den Vereinen, die sich für Frauenbildung und Frauenarbeit einsetzten. Die Hauptziele des Bundes Deutscher Frauenvereine waren die rechtliche Gleichstellung der Frau, das Ideal der Mutterschaft, die Berufstätigkeit unverheirateter kinderloser Frauen und die verbesserte Lehrerinnenausbildung und insbesondere bessere Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten der weiblichen Bevölkerung. Kurz vor der Jahrhundertwende startete die bürgerliche Frauenbewegung eine Kampagne für das Frauenstudium. Männliche Studenten, Wissenschaftler und Professoren wehrten sich jedoch vehement gegen die Zulassung von Frauen zum Studium. „Sie argumentierten, das Ansehen der Wissenschaft würde sinken, die Anwesenheit von Frauen verletze das Schamgefühl und führe zum Sittenverfall, die Gesundheit der Frauen leide, Menstruation, Schwangerschaft, Wechseljahre sowie ihre kleineren und andersartigen Gehirne zeigten die biologische Unfähigkeit der Frau zum Studium.“21 Im Jahre 1908 wurden Frauen jedoch endlich zum Universitätsstudium zugelassen. Trotz Widerständen wurden also gleiche Bildungsmöglichkeiten für Frauen geschaffen und es gab fortan mehr gebildete Frauen, die z.B. als Juristinnen, Lehrerinnen oder Ärztinnen wirkten. Immer weniger konnte der Wirkungskreis der Frau auf das Haus beschränkt werden und immer intensiver wurde somit ihre Forderung nach gleichen politischen Rechten der Frauen. Im Jahre 1908 wurde per Reichsvereinsgesetz den Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen erlaubt und es erfolgte ein Zuwachs an weiblichen Parteimitgliedern. Im Jahre 1914 hatten die Vereine des Bundes Deutscher 21 http://www.anna-schmidt-schule.de/FB3/FIT/FIT_19.HTM 6 Frauenvereine bereits eine halbe Million Mitglieder. Im Vergleich dazu waren es in 1900 nur 70.000 Mitglieder. In den ersten Jahren des Kampfes um das Frauenstimmrecht arbeiteten bürgerliche und sozialdemokratische Frauen zusammen. Die Vereine und Verbände verfestigten sich im Laufe ihres Bestehens und somit auch das Klassenbewusstsein der Mitglieder. Die Zusammenarbeit wurde immer schwerer. In den Jahren 1905/06 kam es auch in Österreich zu Debatten um das allgemeine Wahlrecht. Am 26. Jänner 1907 wurde das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer eingeführt. Die sozialdemokratische Frauenbewegung verzichtete dafür jedoch auf ihren Anspruch auf das Frauenwahlrecht. Die sozialdemokratische Parteispitze ging davon aus, dass die Einführung des Männerwahlrechts dadurch gefährdet werden könnte. Da nun aber gleiche politische Rechte für Männer geschaffen waren, konnte sich die sozialdemokratische Frauenbewegung intensiv um die Einführung des Frauenwahlrechts kümmern. Sie veranstaltete Massendemonstrationen und beteiligte sich ab 1911 an der Durchführung eines Internationalen Frauentages. Die bürgerlich-liberalen Frauen hingegen führten keine Demonstrationen durch, sondern nahmen an internationalen Frauenstimmrechtskonferenzen teil. Am 11. und 12. Juni 1913 fand sogar eine internationale Frauenstimmrechtskonferenz in Wien statt. Die bürgerliche Stimmrechtsbewegung Die bürgerliche Frauenbewegung beschäftigte sich bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert nur sehr wenig mit der Stimmrechtsforderung für Frauen, sondern vorrangig mit der Verbesserung der Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen. Dass die Forderung nach den Stimmrechten erst so spät laut wurde, begründete Louise Otto, eine Protagonistin der bürgerlichen Frauenbewegung, damit: „ Politische Rechte sind noch so neu, so wenig geschätzt und von so beschränktem praktischem Werte in der neueren Geschichte Deutschlands, dass sie schon jetzt für die Frauen zu fordern, wahrscheinlich nur dem Erfolg anderer Bestrebungen für die bessere Stellung derselben schaden würden“.22 Hedwig Dohm (1833-1919)23 forderte als erste deutsche Frau das Frauenwahlrecht mit umfassender Begründung. Dohm kritisierte weiterhin, dass die Gesetze, nach denen die Frauen zu leben hatten, ausschließlich von Männern gemacht wurden. Die Forderungen der Frauen auf allen Gebieten könnten somit erst durchgesetzt werden, wenn die eine und wichtigste Forderung nach dem aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen durchgesetzt sei. Eine andere Möglichkeit zur Erreichung der Ziele hätte die Frau nicht. Deshalb sollten sich die Frauen vorrangig auf die Durchsetzung der Wahlrechtsforderung konzentrieren. Für Dohm war die Unterdrückung der Frau nicht gottgegeben, sondern lediglich das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung. Dohm forderte für die Frauen Selbstbestimmung in allen Bereichen. Dohms Stimmrechtsschrift erschien im Jahre 1873, aber erst 20 Jahre später forderte die bürgerliche Frauenbewegung das Frauenwahlrecht öffentlich ein. 22 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 291 Hedwig Dohm veröffentlichte als Mitglied der bürgerlichen Frauenbewegung feministische Texte, in denen sie Forderungen häufig ihrer Zeit voraus aussprach. Unter ihrer Mitarbeit wurde im Jahre 1888 der Verein ‚Reform’ gegründet. 23 7 Bereits im Jahre 1849 gründete Louise Otto eine politische Frauenzeitschrift. Das Motto dieser Frauenzeitschrift lautete: „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“. Die Verbesserung der Bildungs- und Arbeitssituation und auch die Verbesserung der politischen Teilhabe sollte laut Otto jedoch nicht egoistischen Zwecken der Frauen dienen, sondern dazu, die Menschheit als Gesamtheit zu verbessern. Im Jahre 1894 fand die erste öffentliche Frauenversammlung statt, die das Frauenstimmrecht thematisierte. Auf dieser Veranstaltung sprach auch Lily von Gizicky. Sie sagte, es sei eine Bürgerpflicht der Frau, sich politisch zu engagieren. Der Wirkungskreis der Frau sollte sich nicht länger auf das Haus beschränken. Die Frau müsse „politische Rechte fordern: um ihrer Kinder, die unter den Gesetzen des Staates leben müssten, ebenso wie um ihrer eigenen Würde willen, die durch die Gleichstellung mit Kindern, Wahnsinnigen und Verbrechern verletzt werde“.24 Helene Lange (1848 – 1930) sah als Grundlage für ihre Überlegungen nicht wie Dohm und von Gizicky die Gleichheit der Geschlechter, sondern gerade die Ungleichheit. Sie wollte, dass die Frau die weiblichen Eigenschaften, die sie bereits in die Familie und im Hause einbrachte, auch in die politische und staatliche Ordnung einbringen sollte. Es sollte eine Welt entstehen, die nicht von männlichen Eigenschaften dominiert ist, sondern sowohl männliche als auch weibliche Züge trägt, gerade, weil das reinmännliche Modell ihrer Meinung nach gescheitert war. Die bürgerliche Frauenbewegung war in zwei Flügel gesplittet, die Gemäßigten und die Radikalen. Die Radikalen forderten eine Gleichberechtigung der Frau durch Rechtsforderungen. Die Gemäßigten forderten nicht eine Gleichberechtigung, sondern eine Gleichwertigkeit der weiblichen Andersartigkeit. Die Gemäßigten gingen davon aus, dass die Forderung nach dem Frauenstimmrecht noch verfrüht sei. „Erst wenn die Frauen ein anderes, geachtetes und selbstverantwortliches Leben führen können“25, erst dann können auch die politischen Rechte der Frauen durchgesetzt werden. Der radikale Flügel wollte das Frauenstimmrecht so schnell wie möglich durchsetzen. Bis 1908 blieb die Stimmrechtsbewegung vorrangig Forderung des radikalen Flügels. Der radikale Flügel mit Minna Cauer (1841-1922)26, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann (1868-1943)27 als Hauptagitatorinnen kritisierten, dass die Frauen keine politischen Rechte hatten, genau wie Verbrecher und geistig Behinderte. Der gemäßigte Flügel mit Helene Lange und Gertrud Bäumer (1873-1954)28 kritisierte das Frauenbild, das nur an Gleichheit zwischen Mann und Frau orientiert ist. Es sei nicht richtig, dass Männer und Frauen völlig „gleich gemacht“ werden sollen, nur um den Frauen die vollen Menschenrechte zu ermöglichen. Für viele Frauen läge das höchste Glück in der Mutterschaft und allein schon mit der 24 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 295 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 60 26 Minna Cauer ist bekanntes Mitglied des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. Im Jahre 1888 wird unter ihrer Mitarbeit der Verein ‚Frauenwohl’ gegründet. Von 1895 bis 1919 war sie die Herausgeberin der Zeitschrift ‚Die Frauenbewegung’. 27 Lida Gustava Heymann1899 war Mitbegründerin des Bundes fortschrittlicher Frauenvereine und Mitbegründerin des ersten Stimmrechtsvereins in Hamburg im Jahre 1902. 28 Gertrut Bäumer ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des konservativen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. Von Beruf Lehrerin erhielt sie i Jahre 1904 ihren Dr. phil.. Bäumer war von 1910 bis 1914 die Vorsitzende des BDF. Sie wurde 1919 in die Nationalversammlung gewählt und war ab 1920 Reichstagsabgeordnete. 25 8 Möglichkeit zur Mutterschaft unterscheidet sich die Frau in ihrem Wesen vom Mann. Für die Gemäßigten war die Frauenfrage eine reine Kulturfrage, für die Radikalen hingegen Rechtsfrage. Die Radikalen betonten die Gleichheit von Mann und Frau, die Gemäßigten hingegen gerade die Unterschiede, die mehr in das Weltbild eingehen sollten. Anita Augspurg29 (1857 – 1943) startete eine Initiative zur Gründung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, welcher politische Gleichberechtigung zum Ziel hatte. Der Verband machte es sich zu einer seiner Hauptaufgaben, die deutschen Frauen politisch zu bilden, denn an der mangelnden politischen Bildung wurde allseits Kritik geübt. Des Weiteren wollte der Verband dafür Sorge tragen, dass alle bestehenden Möglichkeiten für Frauen zur Teilhabe am politischen Leben auch voll genutzt werden. Anita Augspurg wollte nicht, dass die Frauen die Zahl der „geleiteten oder mißgeleiteten und urteilslosen Wähler vermehren“30, sondern die Frauen sollten durch ihre ausreichende politische Bildung informiert sein über die Vorgänge im Staate und somit im Stande sein, ihr Wahlrecht. Ab dem Jahre 1907 kam es zu einem Richtungsstreit in der Stimmrechtsbewegung. Auf der 2. Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht sollte die Satzung des Verbandes novelliert werden. In der Satzung war nicht genau erkenntlich, für welches Wahlrecht genau der Verband eintrat. Diese wurde nun präzisiert: „Der Verband erstrebt das allgemeine, gleiche, geheime und direkte aktive sowie das passive Wahlrecht für beide Geschlechter in den gesetzgebenden Körperschaften und in den Organen der Selbstverwaltung“31. Da im Jahre 1908 das novellierte Vereinsgesetz in Kraft trat, war den Frauen die politische Arbeit in Vereinen und in Parteien von nun an freigestellt. Eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegung war hiermit erfüllt worden. Allerdings war die SPD immer noch die einzige Partei, die das Frauenwahlrecht öffentlich forderte. Die Liberalen konnten in ihrer Haltung zum Frauenstimmrecht noch keine Einigung erzielen, wenngleich viele Frauen Hoffnungen in diese setzten, sie für die Idee des Frauenstimmrechts zu gewinnen. Man war sich uneins darüber, ob die Frauen ihr Engagement für das Frauenstimmrecht nun auf die Parteien konzentrieren sollten, da die Arbeit in den Parteien nun legitimiert war. Viele Frauen, die sich nun in der Parteiarbeit engagierten, mussten erleben, dass in der Politik zur Durchsetzung der Ziele Kompromisse gemacht werden mussten. „Die Frauenstimmrechtsbewegung brauche Konzentration, Parteiarbeit aber bedeutete Zersplitterung.“32 Demnach sollten nur noch jene von der Stimmrechtsbewegung unterstützt werden, die sich voll und ganz dem Ziel des Frauenstimmrechts unterwerfen und ausschließlich für dieses Ziel kämpfen, unabhängig von jedem Parteienzwang. Bereits kurz nachdem den Frauen die Arbeit in den politischen Parteien gestattet wurde, war vielen von ihnen bereits klar, dass diese Arbeit nur sehr mühsam zur Durchsetzung der frauenpolitischen Ziele 29 Anita Augspurg ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie war die erste deutsche Juristin, sie erhielt im Jahre 1897 ihren Doktortitel, allerdings in der Schweiz. Augspurg war im Jahre 1902 Mitbegründerin des ersten Hamburger Stimmrechtsvereins. 30 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 78 31 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 85 32 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 89 9 taugte. Allerdings sollte die Zusammenarbeit der Parteien im eigenen Interesse auch nicht ausgeschlossen werden. Es entwickelte sich somit die Gefahr einer gewissen Konkurrenz zwischen den Parteien und der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung, denn den Frauen standen nun beide Möglichkeiten offen, zu versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen. Die bürgerliche Frauenstimmrechtsbewegung wollte eine solche Konkurrenz vermeiden. Sie wollte bei der Durchsetzung der Frauenstimmrechtsforderung parteipolitisch neutral bleiben und sozusagen „über“ den Parteien stehen. In verschiedenen Gebieten des Staates bildeten sich Splittergruppen, die sich für das Frauenstimmrecht einsetzten, denn nicht überall ging die Forderung für das Frauenstimmrecht mit der Forderung der grundlegenden Demokratisierung Hand in Hand. Viele Frauen wollten zwar das Frauenwahlrecht erwirken, es sollte jedoch nicht demokratisch sein. So traten in Preußen viele Frauen aus dem Verband für Frauenstimmrecht aus und schlossen sich dem Preußischen Landesverein an, der für das ‚Dreiklassenwahlrecht für Frauen’ eintrat. Die bürgerliche Frauenstimmrechtsbewegung hatte einen großen Richtungsstreit und war nun zersplittert. Fehlte die Unterstützung für die Radikalen aus dem gemäßigt bürgerlichen Lager, so gab es jedoch andere Mitstreiter im Kampf um das Frauenwahlrecht – die sozialdemokratische Frauenbewegung. Die bürgerlich-liberalen Frauenstimmrechtsbewegung in Österreich machte rege von ihrem Petitionsrecht im Reichsrat und in den Landtagen Gebrauch. Sie versuchten, direkt mit den Mandatsträgern Kontakt aufzunehmen und die Männer für ihre Ziele zu begeistern. Die Frauen veröffentlichten außerdem viele Publikationen zum Thema Frauenstimmrecht. Die sozialdemokratische Stimmrechtsbewegung Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Deutschen Reich und in Österreich arbeitete eng mit der sozialdemokratischen Partei zusammen. Vorreiter der Forderung nach dem Frauenstimmrecht in der Sozialdemokratie war Ferdinand Lassalle. Sinn und Zweck der gleichen Wahlmöglichkeiten für Männer und Frauen sah er darin, die finanzielle Situation der Arbeiterklasse zu verbessern. Wilhelm Liebknecht forderte für das Programm der vereinigten Partei auch das Frauenwahlrecht: „Eine Partei, welche Gleichheit auf ihre Banner schreibt, schlägt sich selbst ins Gesicht, wenn sie der Hälfte des Menschengeschlechts die politischen Rechte versagt“.33 Liebknecht konnte sich mit seiner Forderung jedoch nicht durchsetzen. August Bebel (1840-1930) sah die Stellung der Frau im Kapitalismus durch den Wandel der Produktionsverhältnisse gekennzeichnet. Er sah eine Parallele zwischen Frauen und Arbeiterklasse. „Arbeiter und Frauen haben gemein, Unterdrückte zu sein“34, so Bebel. Durch das Erwerbsleben der Frauen seien die politischen Rechte vorbereitet, um das politische Interesse der Frauen zu steigern. Nicht die simple Übertragung der Rechte der Männer auch auf die Frau war Bebels Meinung nach entscheidend für die Beendigung der Unterdrückung der Frauen, er sah hierfür die Umformung der gesamten Gesellschaft zum Sozialismus hin als grundlegende Voraussetzung an. 33 34 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 304 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 65 10 Bereits im Jahre 1895 brachte Bebel in den Reichstag zum ersten Mal die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen ein, es gelang ihm jedoch nicht, diese Forderung durchzusetzen. Das Frauenwahlrecht sollte ein „Etappenziel auf dem Weg zum Sozialismus“35 sein. Als Mitglied der SPD grenzte Clara Zetkin (1857-1933)36 sich von der bürgerlichen Frauenbewegung ab. Ab 1892 fungierte sie für ein viertel Jahrhundert als Redakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitung ‚Die Gleichheit’. Die Entwicklung zur Industriegesellschaft verursachte ihrer Meinung nach unterschiedliche Probleme für Frauen der unterschiedlichen Klassen. Das Bemühen um bessere Berufschancen der Bürgerlichen wird von Zetkin nur belächelt. Frauen des Proletariats hatten keine Probleme, Arbeit zu finden, doch für diese Arbeit erhielten sie nur einen Hungerlohn, der darüber hinaus dazu diente, die Gehälter der Männer zu drücken. Eines der Hauptziele Zetkins war die Durchsetzung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Neben der Forderung politischer Rechte setzte sich Zetkin für den 8-Stunden-Tag, die Mutterschafts- und Krankenversicherung, das Verbot von gesundheitsschädlicher Frauenarbeit und die Teilhabe von Frauen in der Gewerbeaufsicht ein. Clara Zetkin sah das Wahlrecht für die Frau als Kampfmittel gegen die kapitalistische Gesellschaft an. „Die Rechtsgleichheit der Geschlechter war also für die Arbeiterin nicht Endziel, sondern nur Mittel zum Zweck, damit sie gleichausgestattet an Waffen mit dem Proletarier in den Kampf ziehen kann“37. Im Jahre 1907 führte Zetkin auf der Ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart „einen Beschluss herbei, nach dem auch Sozialdemokratinnen anderer Länder, wie z.B. die Däninnen Kontakte und Zusammenarbeit mit bürgerlichen Frauenstimmrechtsvereinen abbrechen mussten“38. Die Schranken zwischen den Klassen wurden immer unüberwindbarer. Darüber hinaus war politische Arbeit auf Grund des Sozialistengesetzes von 1878 bis 1890 nur noch im Geheimen möglich. Aber die Arbeit der Sozialdemokratinnen ging im Verborgenen weiter. Ungebrochen war ihr Kampfeswille. Er äußerte sich in Form von verteilten Flugblättern und Zeitschriften, Geldsammlungen für sozialdemokratische Zwecke und dem geheimen Werben um Frauen als Anhänger der Sozialdemokratie. Empört über das Sozialistengesetz schlossen sich viele Frauen der sozialdemokratischen Arbeiterinnenbewegung an. Diese funktionierte, indem sie durch ein spezielles Organisationsprinzip die schweren Einschränkungen durch das Vereinsgesetz und das Sozialistengesetz umging. Die Frauen organisierten sich zum Beispiel in Frauenbildungsvereinen, welche Lese- und Diskutierabende durchführten. Hier wurde den Frauen sozialdemokratisches Gedankengut näher gebracht und die Frauen wurden mit dem Lesen politischer Schriften vertraut gemacht. Bereits ab dem Jahre 1903 wurde die SPD in ihrer Wahlkampfarbeit von Frauen unterstützt. Den Sozialdemokraten wurde auch durch diese Unterstützung die große Bedeutung der Frauen für die Arbeit in der Partei bewusst. Sie leisteten massive Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung nach dem Motto: „Können wir nicht wählen, so können wir doch wühlen“39. Die Arbeit während der Wahlkämpfe 35 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 306 Clara Zetkin war eine der führenden Sozialdemokratinnen. Sie gründete im Jahr 1891 die Zeitschrift ‚Die Gleichheit’. In der Zeit des I. Weltkrieges war sie Mitglied der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ab 1919 Mitglied der KPD. In den Jahren von 1920 bis 1933 war sie Mitglied des Reichstages. 37 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 308 38 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 70 39 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 72 36 11 wurde von den Frauen genutzt, um die Frauenstimmrechtsforderung zu popularisieren. Im Jahre 1910 wurde auf der Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen, die Aufmerksamkeit der Welt auf das Frauenstimmrecht zu lenken, indem in möglichst vielen Ländern zeitgleich ein Kampftag für das Frauenwahlrecht stattfinden sollte. Am 19. März 1911 wurde erstmals der Internationale Frauentag in Deutschland und Österreich gefeiert. Auch in Dänemark und der Schweiz fand ein solcher Frauentag statt. So warb beispielsweise der Sozialdemokratische Verein Elberfeld folgendermaßen für die Beteiligung am Internationalen Frauentag: Dieser Tag soll zeigen, dass „ihr es satt habt, als Gleichverpflichtete, aber Minderberechtigte Euch zu mühen“40. Der Erste Internationale Frauentag im Jahre 1911 hatte massiven Zulauf unter den Sozialdemokratinnen. Bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges fand jährlich ein Internationaler Frauentag in Deutschland statt. Die Entwicklung der Stimmrechtsfrage im Ersten Weltkrieg Mit Ausbruch des I. Weltkrieges traten viele politische Themen in den Hintergrund, so auch die Debatte um das Frauenstimmrecht. Die Euphorie zu Kriegsausbruch ließ die Gräben zwischen den Klassen, Parteien und Interessengruppen zunächst verschwinden. Die bürgerliche und die sozialdemokratische Frauenbewegung arbeiteten nun verstärkt zusammen. Im Jahre 1916 schlossen sich der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht und die Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht zum Deutschen Reichsbund für Frauenstimmrecht zusammen. Der Deutsche Stimmrechtsbund schloss sich nicht dieser Vereinigung an und wurde „ins Abseits gedrängt“41. Während des Krieges fielen die Positionen darüber, wie die Arbeit in den Stimmrechtsvereinen weiter gehen sollte, auseinander. Für Heymann war es besonders in Kriegszeiten erforderlich, die internationale Zusammenarbeit der Frauen aufrecht zu erhalten. Minna Cauer wollte, dass die Forderung nach dem Frauenstimmrecht erst einmal hinter die Kriegsinteressen zurücktreten sollte. Die vielfältigen Aufgaben zu Kriegszeiten ließen die Frauen mehr und mehr am öffentlichen Leben teilhaben. Viele der Dinge, die vorher Aufgabe der Familie waren, wurden nun mehr und mehr vom Staat übernommen, um Frauen als Arbeiterinnen und zur Übernahme öffentlicher Aufgaben zu gewinnen. Diese wachsende Teilhabe am öffentlichen Leben ließ auch die Forderung nach dem Frauenstimmrecht wieder lauter werden. So forderte der Bund Deutscher Frauenvereine im Jahr 1917 von Regierung und Parlament in einer Denkschrift das aktive und passive Wahlrecht für Frauen und bezog somit „zum ersten Mal explizit gegenüber dem Gesetzgeber Stellung“42. Hauptanliegen war jedoch nicht mehr die Erringung des Frauenstimmrechts, sondern die Unterstützung der Kriegsziele. Frauen engagierten sich nun besonders im Bereich der Wohlfahrt. Gertrud Bäumer bezeichnete diese Hintenanstellung folgendermaßen: „Heimatdienst ist für uns die Kriegsübersetzung des Wortes ‚Frauenbewegung’“43. Es gab in über sechzig Städten Zusammenschlüsse von Frauen aus den verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung im Nationalen Frauendienst. Sie 40 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 73 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 105 42 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 106 43 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 106 41 12 betreuten Familien, deren Männer im Krieg waren, vermittelten den Frauen Arbeit und kümmerten sich um die Verbesserung der kriegsbedingt schlechten Lebensmittelversorgung. Solche ehrenamtliche Arbeit unterstützte die Erreichung der Kriegsziele, aber auch die Erwerbstätigkeit von Frauen, die nun auf Grund mangelnder männlicher Arbeitskräfte erforderlich war, um die Wirtschaft, Kriegswirtschaft und das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten. Im Jahre 1916 wurde ein Kriegsamt eingerichtet, in dem es eine Frauenarbeitszentrale gab. Deren Aufgabe war es unter anderem, den Frauen den Zugang zur Erwerbsarbeit zu erleichtern. Auch die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sollte verbessert werden. Die Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokratinnen und Bürgerlichen verlief dabei fast reibungslos und durch die gemeinsame Arbeit näherten sich ihre Positionen an. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der Frauen wuchs mit der Zunahme ihrer Erwerbstätigkeit. Mehr und mehr wurde klar, dass Frauen Männerarbeit gleichwertig erfüllen konnten und immer weniger konnte der Ausschluss der Frauen von Wahlrecht mit geschlechtsspezifischen Unterschieden begründet werden. Frauen übernahmen auch immer mehr staatliche Aufgaben. Die neu gewonnenen Arbeitsbereiche verschafften den Frauen ein neues Selbstbewusstsein und ein neues Politikverständnis. Es bestand ein zunehmendes Informations- und Mitsprachebedürfnis. Durch die Teilhabe an staatlichen und öffentlichen Aufgaben fühlte sich die Frau dem Staate mehr und mehr verbunden und viele Frauen stellten neben ihrer Erwerbstätigkeit ihr ehrenamtliches Engagement in den Dienst des Staates. Für einige Männer und Frauen ging die ehrenamtliche Tätigkeit nicht weit genug - analog zur Wehrpflicht der Männer wurde verstärkt über die Einführung einer weiblichen Dienstpflicht geredet, bei welcher die Frauen z.B. soziale Aufgaben übernehmen sollten. Trotz längerer Debatten kam eine gesetzliche Verankerung dieser Dienstpflicht nie zustande. Der BDF hatte sich nicht gegen die Dienstpflicht gestellt, aber letztendlich sah er auch die Aufgaben der Mütter als Dienst am Staate an. Die allgemein „schon vor dem Krieg aktuelle Tendenz, die Erfüllung der Mutterpflicht als staatsbürgerliche Leistung zu werten, erhielt im Krieg neuen Aufschwung“44. In der sozialdemokratischen Frauenbewegung war zum Teil die gleiche Kriegsbegeisterung vorhanden, wie in der bürgerlichen. Es gab jedoch auch einige Kriegsgegner in den Reihen der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Hauptgrund dafür, den Krieg nicht zu befürworten, war, dass es nicht im Sozialdemokratischen Sinn sein könnte, wenn Arbeiter in den Krieg ziehen müssen für das kapitalistische Deutsche Reich. Diese unterschiedlichen Meinungen hatten eine Spaltung im sozialdemokratischen Lager zur Folge. Luise Zietz (1865-1922)45 verhielt sich zunächst konform zur Meinung der Parteimehrheit, die den Krieg befürworteten. Sie kümmerte sich in den Kriegsjahren für den Auf- und Ausbau sozialer Einrichtungen insbesondere für Arbeiterfamilien. Bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges stand die Erhaltung des Friedens auf den Fahnen aller Sozialdemokraten. Am 04. August 1914 stimmten die Sozialdemokraten im Reichstag der Bewilligung der Kriegskredite jedoch zu. Wie 44 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 404 Luise Zietz war als führende Sozialdemokratin im Jahre 1908 das erste weibliche Vorstandsmitglied in der SPD. Im Jahre 1919 wurde sie Mitglied der Nationalversammlung. Von 1920 bis 1922 war sie Mitglied des Reichstages. 45 13 schon oben erwähnt, waren auch viele sozialdemokratische Frauen von der Kriegseuphorie erfasst worden. Andere Sozialdemokratinnen, wie z.B. Clara Zetkin, behielten ihre antimilitaristischen Forderungen durchgehend bei. Sie äußerte ihre Meinung öffentlich, obwohl sie damit Gefahr lief, das einheitliche Bild der SPD nach außen hin zu schwächen. Sie kritisierte offenkundig Lebensmittelkürzungen und Preiserhöhungen und wollte die internationale Zusammenarbeit aufrechterhalten. Im Kriegsjahr 1915 fand in Bern, also einem politisch neutralen Veranstaltungsort, eine internationale Frauenkonferenz statt, welche durch Clara Zetkin organisiert wurde. Diese Frauenkonferenz beschloss eine Friedensresolution. Zetkin wurde nach der Beteiligung an der Konferenz des Landesverrates angeklagt, was durch die eingeschränkte Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit möglich war. Die Polizei ging verstärkt gegen Zetkin vor, sie wurde mehrmals festgenommen. In Zetkins Arbeit trat demnach auch die Forderung nach politischer Gleichberechtigung in den Hintergrund hinter die Friedensforderung. Auch die Arbeit der anderen Kriegsgegner aus der Sozialdemokratie wurde immer mehr erschwert. Die Gruppe ‚Spartakus’, welche sich für pazifistische Bemühungen zusammengeschlossen hatte, wurde im Jahre 1917 sogar aus der SPD ausgeschlossen. Die ausgeschlossenen Mitglieder gründeten eine neue Partei, die USPD, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Der USPD traten unter anderem Clara Zetkin und Luise Zietz bei, beide Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Auch die sozialdemokratische Frauenbewegung war, wie die SPD selbst, somit gespalten. Im Verlauf des Krieges flaute die Kriegsbegeisterung immer mehr ab. So wie in der Frauenbewegung spalteten sich auch Parteien und Volk hinsichtlich der Kriegsfrage. Die Bevölkerung wurde mit zunehmenden militärischen Misserfolgen unzufriedener. Der für die Sozialdemokratie typische Friedensgedanke gewann wieder an Bedeutung. Im Jahre 1917 verstärkten die Sozialdemokraten ihre Friedensbemühungen. Sie forderten „einen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen und die sofortige Beseitigung aller Ungleichheiten der Staatsbürgerrechte in Reich, Staat und Gemeinde“46. Auch Teile der Frauenbewegungen setzten sich verstärkt für den Frieden ein. Mitglieder der bürgerlichen Stimmrechtsbewegung nutzten den Krieg für die verstärkte Forderung nach Frauenstimmrecht, denn ihrer Meinung nach war der Krieg „ultima ratio der Staatsweisheit der Männer“47 und ein dauerhafter Friede könne nur zustande kommen, wenn die Frauen durch die Erlangung des aktiven und passiven Wahlrechtes Einfluss auf die Politik nehmen können. Um dem starken Druck von außen standzuhalten, war es erforderlich, die innenpolitische Einheit im Deutschen Reich zu stärken. Dies war nicht ohne innenpolitische Reformen möglich. Selbst Kaiser Wilhelm II sprach sich im Jahre 1917 für eine Wahlrechtsreform in Preußen aus. Er erkannte, dass sich das gesamte deutsche Volk gleichermaßen im Krieg bemüht hatte und dass es somit keine Berechtigung mehr für das Klassenwahlrecht gäbe. Eine Einführung des Frauenstimmrechts erwähnte er jedoch nicht. Immer häufiger gab es ab 1917 groß organisierte öffentliche Streiks. Das Bevorstehen der Revolution konnte kaum noch übersehen werden. 46 47 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 389 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 409 14 Auch in Berlin war der Lauf der Ereignisse nicht mehr zu stoppen. Am 9. November 1918 verzichtete der Kaiser auf den Thron und es wurde die Republik ausgerufen. Noch wenige Tage vorher wurde versucht, durch Reformen die Revolution zu stoppen. Man hoffte, die gesetzliche Verankerung der allgemeinen, freien und gleichen Wahl würde die Situation im Volke beruhigen und einen Aufstand verhindern zu können und brachte einen dementsprechenden Antrag in den Reichstag ein. Die Einführung des Frauenwahlrechts wurde nicht auf Grund des veränderten Zeitgeistes vom Reichstag beschlossen, sondern war nur Mittel zum Zweck, um eine Revolution zu verhindern. Zur Umsetzung des Antrages kam es nicht mehr, da am 9.November 1918 die Revolutionäre die Macht im Lande übernahmen. Am 12. November 1918 erfolgte dann die umfassende Umsetzung aller Wahlrechtsforderungen auf kommunaler Länder- und Reichsebene. Am gleichen Tag wurde nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Die ersten neu entstandenen Gesetze in der Republik betrafen die neue österreichische Demokratie. Der Antrag von Staatskanzler Karl Renner über das „allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts“ passierte noch am 12. November 1918 die Nationalversammlung. Das Frauenwahlrecht in Deutschland und Österreich war nun erkämpft. In Österreich wurde ein Wahlalter von 20 Jahren beschlossen. Gewählt werden durften Männer und Frauen mit 29 Jahren. Die erste freie Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung fand am 16. Februar 1919 statt. Sie brachte allerdings noch einige Probleme auf Grund der noch unklaren Staatsgrenzen mit sich, die dann durch den Friedensvertrag von Saint Germain am 10. September 1919 festgelegt wurden. Verhalten nach dem Erlass des Gesetzes Hauptthema nach der Einführung des Frauenwahlrechts war ganz klar der Blick auf die nächste Wahl, die reichsweit stattfinden würde. Wichtig hierfür war es vor allem, die Frauen politisch zu bilden, um sie auf die Wahl vorzubereiten. Man wollte erreichen, dass alle Frauen ihr neu gewonnenes Recht auch wahrnehmen würden. Und die Frauen nutzen die Möglichkeit, sich über die verschiedenen Parteien zu informieren, sehr intensiv. Sämtliche Veranstaltungen, die zur Aufklärung über die verschiedenen Parteien zum Beispiel durch den Bund Deutscher Frauen ins Leben gerufen wurden, waren gut besucht. Die Parteien sollten die Frauenverbände und Frauenvereine insofern unterstützen, dass sie die volle Einbindung der Frauen in das politische Leben förderten, um die endgültige politische Gleichberechtigung der Frauen zu erreichen. Die bürgerlichen Parteien, auch die Konservativen und Rechtsliberalen, versuchten, diese Forderung zu erfüllen und nahmen Frauen als neue Parteimitglieder und Mitstreiterinnen gern in ihre Reihen auf. Die Unterstützung der bürgerlichen Parteien ging teilweise so weit, dass sie die „völlige Gleichheit aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor dem Gesetz forderten“48. Die Frauen wurden als neue gleichwertige Mitglieder der bürgerlichen Parteien angesehen und wurden unterstützt bei der Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts und 48 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 467 15 auch in der möglichen Ausführung von Staatsämtern. Besonderer Respekt wurde von den bürgerlichen Parteien der Arbeit der Frauen im I. Weltkrieg gezollt. Sicher lässt sich der mangelnde Widerstand gegen das nun gesetzlich verankerte Frauenwahlrecht auch damit erklären, dass die Frauen auch neues Wählerpotential, das immerhin etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachte, darstellten. Keine Partei wollte durch Forderung der Wiederrücknahme des Frauenwahlrechts diese potentiellen Wähler verprellen. Da eine Quotenregelung über den Frauenanteil auf den Listen, wie schon erwähnt, abgelehnt wurde, lag es nun an den Parteien, ob sie den Frauen den Zugang zum passiven Wahlrecht gewährten. De facto stellten auch alle bürgerlichen Parteien Frauen auf ihren Wahllisten zur Nationalversammlung auf. Meistens erhielten die Frauen jedoch nur die hinteren Listenplätze, die kaum aussichtsreiche Chancen hatten, es auch wirklich in die Nationalversammlung zu schaffen. Frauen waren ein noch unberechenbarer Faktor, denn es war nicht vorhersehbar, welche Parteien die Frauen bei der Wahlbevorzugen würden. Die bürgerlichen Parteien fürchteten, dass die Frauen der bürgerlichen Wähler nicht zur Wahl mobilisiert werden könnten, da diese Parteien gegen das Frauenwahlrecht waren. Sie glaubten hingegen, dass die Sozialdemokraten viele Stimmen bekommen würden, weil sie das Frauenwahlrecht vor der Einführung befürwortet hatten. Es gab Diskussionen über die Einführung einer Wahlpflicht für alle, auch die unpolitischen Bürger. Kärnten, Tirol und Vorarlberg führten eine solche Wahlpflicht ein. Nutzung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen Alle Parteien, Frauenvereinigungen und -verbände hatten sich dafür ausgesprochen, dass die Frauen ihr Stimmrecht bei den Wahlen zur Nationalversammlung unbedingt nutzen sollten. Tatsächlich machten bei den Wahlen 82,3 % der Frauen und 82,4 % der Männer von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Diese hohe Wahlbeteiligung bei den Frauen konnte in der Zeit der Weimarer Republik nicht noch einmal erreicht werden. Auch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland blieb die Wahlbeteiligung der Frauen unter dem Ergebnis von 1919. Die Frauen bevorzugten bei der Wahl 1919 die bürgerlichen Parteien. Die Sozialdemokratie blieb hinter den bürgerlichen Parteien zurück. Erstaunlicherweise stimmten die Frauen also gerade für die Parteien, die ihnen vorher das Wahlrecht verwehren wollten. Bei der Wahl zur Nationalversammlung erhielten insgesamt 36 Frauen ein Mandat. Dies ergab einen Frauenanteil von 8,5% in der Nationalversammlung. Später, in der Zeit der Weimarer Verfassung setzten die weiblichen Abgeordneten entscheidende Verbesserungen für die Gleichberechtigung der Frauen durch. So wurden Frauen im Jahre 1922 zum Richteramt zugelassen, im Jahre 1923 wurde das Heimarbeitslohngesetz und ein Mutterschutzgesetz beschlossen. Bei den ersten Wahlen nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich hingegen erreichten die Sozialdemokratische Partei mit 72 Mandaten die relative Mehrheit und die Christlichsozialen Partei 69 Mandate, weitere Mandate gingen an 16 verschiedene deutschnationale Parteien. Ein überproportionaler Anteil der Frauen stimmte für die Christlichsoziale Partei. Nur acht Frauen von 170 Abgeordneten wurden in die Konstituierende Nationalversammlung gewählt. 7 von 8 Frauen waren Sozialdemokratinnen und eine Christlichsozial. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde das passive Wahlrecht für Frauen abgeschafft. Sie wurden unter dem NS-Regime systematisch von politischen Funktionen und Ämtern auf höherer Ebene ausgeschlossen. So wurde beispielsweise die Zulassung der Frauen zum Richteramt wieder abgeschafft. Die Frauen sollten sich vorrangig auf ihre Hausfrauenrolle konzentrieren und auf die Reproduktion des deutschen Volkes. Der Anteil von studierenden Frauen wurde während der Zeit des Nationalsozialismus auf maximal 10% beschränkt. Nach der Beendigung des II. Weltkrieges kam es zur Teilung Deutschlands. Bei der Wahl zum Ersten Deutschen Bundestag im Jahre 1949 in Westdeutschland ergab sich ein Frauenanteil von 7,1%. Maßnahmen der Gleichberechtigungspolitik wie Frauenförderplänen und Quotierungsregelungen wurden eingeführt und der Frauenanteil verdoppelte sich 1987 und stieg dann 1998 dann auf fast 30 %. Zusammenfassung Der Kampf der deutschen und österreichischen Frauenbewegung für das Frauenwahlrecht war geprägt durch den Kampf der deutschen Frauen für die Verbesserung ihrer sozialen Lage. Historisch gewachsen, von der männerbeherrschten Gesetzgebung festgeschrieben und von bedeutenden Philosophen, Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern der Zeit unterstützt, war ein Frauenbild gezeichnet, das den Frauen jegliche Rechte verweigerte und sie zu dienenden Ehefrauen und kindergebärenden Geschöpfen verpflichtete. Immer untergeordnet dem männlichen Geschlecht, abhängig von dessen Wohlwollen und unmündig in der Gesellschaft führte diese staatlich verordnete Unterdrückung, Erniedrigung und ökonomische Abhängigkeit zunehmend zu dem Bestreben der Frauen, an dieser Situation etwas zu ändern. Trotz Begrenzung durch die Politik begannen die Frauen, sich zu organisieren. Eine Einheitlichkeit im Kampf konnte jedoch nicht herbeigeführt werden, zu unterschiedlich waren die definierten Zielsetzungen der beiden bedeutenden Strömungen der Frauenstimmrechtsbewegung, der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Frauenstimmrechtsbewegung. Der Kampf der Frauen blieb verhaftet in ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht in Abhängigkeit von ihrem Besitzstand. Erfolge im Bestreben um die Verbesserung ihrer sozialen Lage wurden im wesentlichen gefördert durch gesamtgesellschaftliche ökonomische Zwänge, durch die Weiterentwicklung der Produktionsverhältnisse und durch innen- und außenpolitische Geschehnisse. Und schließlich war es die Novemberrevolution von 1918, die den Frauen das Wahlrecht brachte, genauer gesagt der Versuch, diese politische Umwälzung zu vermeiden. Die bürgerlichen Parteien, vehemente Widersacher des Frauenstimmrechts, sahen darin ihre letzte Chance, das Volk zu beschwichtigen und ihre Machtposition zu halten. 17 In erster Linie entschied die „Beziehung zwischen Geschlecht, Familie und Staat“49 über die staatsbürgerlichen Rechte der Frauen. Erst durch die Trennung von Haushalt und Arbeit im Rahmen der industriellen Revolution entwickelte sich ein Staatsbürgerbegriff, der die Frauen einschloss. Trotz dieses Einschlusses wurde den Frauen das Wahlrecht zunächst nicht gewährt. Die Familie und der Zusammenhalt des Haushalts galten als Grundlage eines geordneten öffentlichen sowie privaten Lebens. Es wurde davon ausgegangen, dass die Frau keine eigene Beziehung zum Staat und somit zur Politik brauchte, sondern dass sie lediglich eine Beziehung zu der Familie habe, in der sie lebte. Diese Familie konnte sowohl durch den Vater als auch durch den Ehemann repräsentiert werden. Die weibliche Beziehung zu Staat und Politik wurde demzufolge durch den Ehemann oder Vater hergestellt und die Frau galt damit in ihren Rechten gegenüber dem Staat als ausreichend vertreten. Es wurde also auch davon ausgegangen, dass die Frau kein eigenes Wahlrecht benötige, da sie erstens kein eigenes Verhältnis zum Staat hat und zweitens in ihren Rechten hinreichend durch ihren Mann vertreten wird. Durch die gesellschaftlichen Veränderungen während der industriellen Revolution konnte diese strikte Trennung nicht mehr aufrechterhalten werden. Einerseits lebten nicht mehr alle Frauen im Schutz einer Familiengemeinschaft, denn es gab mehr und mehr allein stehende Frauen und auch unverheiratete Mütter, andererseits arbeiteten durch die Verlagerung der Produktionsstätten außerhalb der Hausgemeinschaft viele Frauen nicht mehr zu Hause, konnten also nicht mehr auf eine rein private Wirkungssphäre beschränkt werden. Die Arbeit der Frauen außerhalb des Hauses und die Entwicklung zum Sozialstaat, in dem allein stehende Frauen und Mütter staatliche Fürsorge erhielten, sorgten als wichtige Faktoren dafür, dass auch von Frauen staatsbürgerliche Rechte gefordert wurden. „Die Frauen brauchten staatsbürgerliche Rechte, um ihre Interessen zu vertreten, der Staat brauchte Staatsbürgerinnen, um seinen Aufgaben gewachsen zu sein.“50 Es erfolgte ein intensiver Kampf der Frauen- und Stimmrechtsvereine um das Frauenwahlrecht. Doch erst die Novemberrevolution im Jahre 1918 brachte den entscheidenden Erfolg. Die gesetzliche Verankerung des Frauenstimmrechts war kein vorrangiger Erfolg der Frauenrechtlerinnen, sondern Folge revolutionärer Umstände im Reich. Die Frauen- und Stimmrechtsvereine erkannten dies auch. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts blieb das aktive Wahlrecht (das passive wurde in der Zeit des Nationalsozialismus bis zu dessen Ende wieder abgeschafft) bis heute durchgehend erhalten. Diskussionen über die Wiederabschaffung des Frauenwahlrechts nach seiner gesetzlichen Verankerung gab es kaum, da die erste Wahl im Jahre 1919 vor allem die konservativen Kräfte stärkte, die sich zuvor immer gegen das Frauenwahlrecht ausgesprochen hatten. Der lange Kampf der Sozialisten um das Frauenstimmrecht wurde von den Frauen bei dieser Wahl nicht belohnt. Doch nachdem seit 1919 auch Frauen in den Parlamenten vertreten waren, gab es in den Parlamenten zumindest Ansprechpartnerinnen für Frauenprobleme, die auf dem Wege der Gesetzgebung lösbar gewesen wären. Nach der ersten freien Wahlen, war man bereit „geduldig darauf zu vertrauen, dass das Gesetz auch faktisch Wirkungen entfaltet und die Gleichstellung der Geschlechter erreicht wird“51. 49 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 499 Rosenbusch: „Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland“, Baden-Baden 1998, S. 500 51 Wickert: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, Pfaffenweiler 1990, S. 116 50 18 Literaturverzeichnis „75 Jahre Frauenwahlrecht“, Bundsministerium für Frauen und Jugend Behm, Britta L.: „Das Geschlecht der Bildung – die Bildung der Geschlechter“, Opladen: Leske + Budrich 1999 Blochmann, Maria W.: „Laß dich gelüsten nach der Männer Weisheit und Bildung“, Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges. 1991 Brokmann-Nooren, Christiane: „Weibliche Bildung im 18. 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