Lagerkonzepte: Vorteile und Anforderungen einer chaotischen

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Lagerkonzepte: Vorteile und Anforderungen einer chaotischen
Fokus Lager und Logistik
Achim Sponheimer
.
Miebach Consulting GmbH, Frankfurt
Korrespondenz: Achim Sponheimer, Miebach Consulting GmbH, Untermainanlage 6, 60329 Frankfurt;
e-mail: [email protected]
Zusammenfassung
Autor
„Chaotische Lagerung“ hört sich für logistik-fremde Ohren nach einem unordentlichen
Lager an – doch das Gegenteil ist der Fall. Durch chaotische Lagerung wird in einem
Lager neben der Lieferfähigkeit unter anderem auch die Durchsatzleistung gesteigert.
Denn im Gegensatz zu ihrem Namen muss diese Einlager-Logik in Wirklichkeit hochkomplexen Strategien folgen, um zur Optimierung der Logistik beizutragen. Deshalb
spricht man mittlerweile eher von „dynamischer Lagerplatzvergabe“.
Die folgende Betrachtung erklärt wesentliche im GxP-Bereich für Planung, Bau und
Betrieb zu berücksichtigende Kriterien und Gründe, weshalb eine fundierte Planung
Voraussetzung für ein optimal funktionierendes und kosteneffizientes Lagersystem ist.
Denn nur eine ausgefeilte Logik zur Belegung des Lagers bringt den benötigten Erfolg
für Logistik und Wirtschaftlichkeit.
So ist das teuerste oder modernste System weder zwangsläufig das Beste, noch für jeden
Anwendungsfall geeignet. Ein einfaches System kann durchaus die beste Lösung für eine
logistische Aufgabenstellung sein. Andererseits ist es oft notwendig durch „CherryPicking“ die beste Lagerstrategie mit passendem Lagerkonzept zu entwickeln. Dabei
werden die Lagertechnik-Lösungen unterschiedlicher Anbieter miteinander kombiniert.
Dadurch entsteht eine optimale Logistik für die Aufgaben der Gegenwart – mit modularer Anpassungsfähigkeit für Wachstums- oder Strukturveränderungen in der Zukunft.
Ein einfaches
Lager-Beispiel
Der Begriff „chaotische Lagerung“
entstand in der Vergangenheit, als
durch die Einführung von elektronischen Lagerverwaltungssystemen
eine Veränderung bei der Lagerplatzvergabe innerhalb eines Lagers stattfand und deshalb auf den ersten
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Sponheimer . Chaotische Lagerung
Blick keine klare Ordnung eines Lagers mehr erkennbar war.
In früheren Zeiten wurde die Lagerplatzvergabe-Logik eines Lagers
meist durch eine feste Artikelzuordnung pro Lagerfach abgebildet und
die Plätze manuell verwaltet. Die Mitarbeiter konnten so die benötigten
Waren schnell und einfach wiederfinden, da sie sich immer an der gleichen
Achim Sponheimer
Achim Sponheimer, Diplom-Ingenieur, arbeitete im
Distributionsbereich eines internationalen Konsumgüter-Herstellers, bevor er 2005 zur internationalen Supply-Chain-Beratung Miebach Consulting (The Supply Chain Engineers) wechselte. Als
Principal und Senior-Projektleiter ist er in Projekten verantwortlich für die Planung und Detaillierung von Logistiklösungen sowie für das Projektmanagement in der Realisierungs- und Inbetriebnahmephase. Weiterhin begleiten er und Miebach
Consulting die geplanten Anlagen und dort eingesetzten Mitarbeiter während der Anlaufphase. Ein
Schwerpunkt liegt in der Gestaltung von Logistiklösungen im Pharmabereich.
Stelle befanden. Trotz der auf den ersten Blick einleuchtenden Einfachheit
barg dieses System auch Gefahren.
Ein einfaches Beispiel zur Erklärung
der Schwierigkeiten einer solchen Lagerhaltung wirkt auf den ersten Blick
etwas fachfremd, erklärt sich jedoch
dann von selbst: ein Schuhlager!
Um in einem Lager mit manueller
Platzverwaltung alle Artikel über-
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Anforderungen einer chaotischen
Lagerung in der pharmazeutischen
Industrie
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Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only
. Weitere hohe Regalläger sind zum
sichtlich zu lagern, werden in diesem
deren Lagergassen keine Aktivität
Beispiel die Damenschuhe rechts und
Beispiel „Schmalgangläger“. Diese
stattfindet. Es entsteht ebenfalls ein
die Herrenschuhe links gelagert. Inwerden meist ca. 14 m hoch gebaut
(dynamischer) Engpass.
nerhalb dieser Bereiche werden dann Aus diesen Beispielen wird ersichtund zwischen den Regalzeilen
die Winterschuhe wieder nach links lich, dass an vielen Stellen mit Spitfahren (induktiv oder durch Rolund die Sommerschuhe rechts gela- zenbelastungen zu rechnen ist, die
len) geführte Hochregalstapler in
gert. Die unterschiedlichen Schuh- sich vermeiden lassen. Dementspresehr engen Gassen, welche nur
modelle werden dabei in den Regal- chend muss das Lager größer und
wenige Zentimeter breiter sind als
gassen nebeneinander aufgereiht und teurer als eigentlich benötigt gebaut
die eigentliche Palette. Die Geräte
innerhalb der einzelnen Schuhmo- werden.
werden hierbei von Personal gedelle nach Größe sortiert. Von den
steuert, welches meist in einer
Palettenplätzen auf ebener Erde wer- Hochregallager,
Steuerkabine mit der Gabel zuden die Bestellungen der Schuh- Schmalganglager und
sammen nach oben fährt und
geschäfte kommissioniert (also die Breitganglager
durch die Nähe zur Palette diese
Aufträge zusammengestellt). Wenn
präzise in das Regal einlagern
von einem Artikel eine zusätzliche, Vor der Erklärung der „chaotischen
kann. Solche Schmalgangläger sind
volle Palette im Lager steht, so wird Lagerung“ und deren Optimierungsjedoch keine Hochregalläger im
diese direkt über der jeweils angebro- ansätze ist ein Begriff zu klären, der
engeren Sinne.
chenen Palette gelagert von der die vielfach unterschiedlich verwendet . Eine dritte Variante sind die sogenannten „Breitgangläger“. Diese
einzelnen Kartons für die Aufträge und dadurch oft missverstanden
werden meist ungefähr 10 m hoch
entnommen werden. So kann die wird: das „Hochregallager“.
gebaut und zwischen den einzelNachschub-Palette im Bedarfsfall ein- . Mit dem Begriff „Hochregallager“
ist normalerweise ein „vollautonen Regalen befinden sich ca. 3 bis
fach auf den Boden gestellt werden
matisches Paletten-Hochregal5 m breite Gänge. In diesen Gänund von dieser die Kommissionielager“ gemeint, welches bis zu ca.
gen können sich Gabelstapler und
rung fortgesetzt werden.
Die daraus entstehenden Schwie40 m hoch gebaut wird und ohne
Kommissionierfahrzeuge gegenrigkeiten sind einfach erkennbar:
Personal im Regalbereich ausseitig überholen und die genutzten
. Während der Produktionszeit für
kommt. Vollautomatische RegalFahrzeuge werden von bodennah
Winterschuhe steigt deren Bestand
bediengeräte (auch kurz „RBG“
sitzenden Personen gesteuert,
an, und sie benötigen mehr Lagenannt) und Fördertechnik lagern
welche die in den oberen Ebenen
gerplätze. So werden die Plätze auf
die Waren auf standardisierten
gelagerten Paletten ein- und ausder Winterschuh-Seite bald knapp
Paletten selbständig ein und aus.
lagern (teilweise mit Kameraund ein (statischer) Engpass entsteht – während
bei den Sommerschuhen
leere Plätze unbelegt
bleiben.
. Wenn ein großes Damenschuh-Geschäft eine
Bestellung aufgibt, entsteht im Damen-Bereich
auf der rechten Lagerseite
ein (dynamischer) Kommissionierengpass. Denn
dort findet jetzt gleichzeitig die gesamte Kommissionieraktivität statt,
während in der Herrenabteilung keine Aktivität
stattfindet.
. Falls ein bestimmtes Modell besonders erfolgreich
verkauft wird, so ballt sich
die Kommissionieraktivität im Bereich dieses MoAbb. 1: Schematische Darstellung: Hochregallager, Schmalganglager und Breitganglager
(Quelle: Miebach Consulting GmbH).
dells, während in den an-
Fokus Lager und Logistik
Die „chaotische“
Lagerung und logistische
Einflussgrößen
Wie lassen sich die im obigen Schuhlager-Modell aufgezeigten Spitzen
nun durch eine zufällige (also chaotische) Verteilung der Artikel (Schuhe
und Größen) im gesamten Lager vermeiden? Bei einer zufälligen Verteilung aller Artikel im Lager ergibt sich
eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass
bei der Nachfrage nach einem einzelnen Artikel dessen Verteilung innerhalb des Lagers so gestreut ist, dass
z. B. die Auslagerung von Paletten
über das gesamte Lager verteilt bearbeitet werden kann und die unterschiedlichen Schuhgrößen in unterschiedlichen Gassen kommissioniert
werden können. So werden Engpässe
durch eine statistisch gleichverteilte
Streuung vermieden.
„In der Realität verlässt
man sich aber nicht auf
den Zufall“
In der Realität verlässt man sich aber
nicht auf den Zufall („chaotische Lagerung“), sondern nutzt die bereits
erwähnte gesteuerte Verteilung („dynamische Lagerplatzvergabe“) unter
der Berücksichtigung von mehreren
Nebenbedingungen. Die Begriffe
„chaotische Lagerung“ und „dynamische Lagerplatzvergabe“ haben
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Sponheimer . Chaotische Lagerung
sich aber über Jahre für den gleichen
Sachverhalt etabliert. Obwohl die
„dynamische Lagerplatzvergabe“ eigentlich die richtige Umschreibung
ist, hat sich der Begriff „chaotische
Lagerung“ in den meisten Köpfen
festgesetzt.
Eine mögliche Verbesserung der
Lagersituation sieht in unserem
Schuh-Beispiel so aus, dass bereits
bei der Einlagerung folgende Kriterien berücksichtigt werden:
. Querverteilung: Von jedem Modell
und jeder Größe sollte in mindestens zwei Gassen Bestand vorhanden sein. So kann bei einem Unfall,
Defekt oder Stau in einer Gasse
immer noch auf die jeweils andere
Gasse ausgewichen werden. Weiterhin können bei der gleichzeitigen
Auslagerung mehrerer Paletten des
gleichen Artikels diese Aufgaben
auf mehrere Gassen verteilt werden.
So kann die Auslagerzeit deutlich
verkürzt werden und es muss nicht
darauf gewartet werden, dass alle
Paletten nacheinander aus der
gleichen Gasse geholt werden.
. Zonung: Die am häufigsten nachgefragten Modelle und Größen
sollten in den Regalgassen möglichst weit vorne liegen. So wird der
Kommissionierweg insgesamt
kürzer, da man oft den kurzen Weg
nutzen kann, und nur selten einen
längeren Weg zurücklegen muss
(zu den weniger nachgefragten
Modellen im hinteren Bereich des
Lagers). Bei dieser „Zonung“ werden die Artikel meist in unternehmensinterne Klassen eingeteilt, für
die sich der Begriff „A-, B-, C-Artikel“ durchgesetzt hat (wobei die
Benennung mit „ABC“ laut Lehrbuch eigentlich die Werthaltigkeit
von Artikeln beschreiben soll und
für die logistische Gängigkeit eher
eine Benennung wie z. B. „X-, Yoder Z-Artikel“ zu wählen wäre.
Doch auch hier hat sich mittlerweile der „nicht ganz richtige“ Begriff durchgesetzt).
Bereits beim Bau des Lagers müssen
dabei für einen optimalen späteren
Betrieb noch weitere Kriterien berücksichtigt werden:
.
.
Lager-Proportionen: Ein Hochregallager muss den für Spitzenzeiten erforderlichen Durchsatz
(„dynamische Kapazität“) bewältigen können und eine ebenfalls für
Spitzenzeiten ausreichende Anzahl
an Lagerplätzen („statische Kapazität“) bieten. Leider kostet jede
Leistungssteigerung oder Erhöhung der Platzanzahl Geld und so
leidet die Wirtschaftlichkeit des
Lagers, wenn diese Leistung oder
Plätze außerhalb der Spitzentage
brach liegen. Die dynamische
Auslegung wird dabei z. B. beeinflusst durch die Geschwindigkeit
der in den Regalgassen fahrenden
Regalbediengeräte sowie von der
Frage, ob diese einen oder mehrere
Ladungsträger gleichzeitig einund/oder auslagern können. Die
Fahrstrecke bzw. die Hubhöhe beeinflussen dabei die maximal in
einer Stunde ein- und auslagerbaren Ladungsträger (sogenannte
„Lager-Spiele“). Dadurch wird bei
einer Erhöhung der Lagerplatzanzahl die Durchsatzleistung
gleichzeitig geringer, da die Geräte
dann entweder weiter fahren oder
aber höher heben müssen. Die
Durchsatzleistung kann jedoch
durch eine zusätzliche Lagergasse
gesteigert werden. Dadurch steht
ein zusätzliches Regalbediengerät
zur Verfügung (welches natürlich
auch bezahlt werden muss), wobei
die Gassenlänge aller Gassen aufgrund der dann zusätzlich gewonnenen Lagerplätze wieder reduziert werden kann.
Weitere Optimierungspotentiale
bietet z. B. auch eine „doppeltoder mehrfach-tiefe Lagerung“,
bei der zwei oder mehr Paletten
hintereinander gelagert werden
können. Dies verursacht jedoch
Änderungen bei der Einlager-Logik, da (je nach Bauform) die
hinteren Paletten nur durch die
Entnahme der vorderen Paletten
entnommen werden können.
Diese Variante ist nur zu empfehlen, wenn die Artikel eine relativ
lange Verweildauer im Lager haben, da sich die Anzahl der La-
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Unterstützung, damit die maximal
10 m entfernte Palette auch
punktgenau auf den Regalplatz
abgesetzt werden kann). So ein
Breitganglager ist ebenfalls ein
hohes Regallager, aber auch kein
Hochregallager im engeren Sinne.
Den drei Lagertypen (Abb. 1) ist aber
gleich, dass durch ein elektronisches
Lagerverwaltungssystem alle Plätze
automatisch verwaltet und die logische Einlagerstrategie („welcher Ladungsträger soll auf welchen Platz
gestellt werden?“) nach strengen Regeln strukturiert werden kann.
gerplätze pro Gasse erhöht, das
Verhältnis von Regalbediengeräten zu Lagerplätzen jedoch halbiert wird (bei einer doppelt tiefen
Lagerung).
Beispiele
pharmazeutischer
Anforderungen
Beispielhafte bauliche
und gesetzliche
Anforderungen
Auch die bauliche Konstruktion des
Lagers hat starke Auswirkungen auf
die spätere Nutzbarkeit. So kann das
Regal schlanker gebaut werden,
wenn schwere Paletten nur auf den
unteren Ebenen gelagert werden und
die oberen Plätze nur für leichte Paletten zugelassen werden. Diese Beschränkung macht jedoch nur dann
Sinn, wenn man sicher ausschließen
kann, dass später doch eine stärkere
Belastbarkeit der oberen Regalebenen benötigt wird, denn eine Nachrüstung ist nicht möglich.
Ähnliche Probleme ergeben sich
in Bezug auf die Höhen der Lagerfächer. Denn auch wenn heute sichergestellt ist, dass alle Lieferanten eine
gewisse Palettenhöhe nicht überschreiten, so kann sich dieses bei einem neuen Lieferanten schnell ändern. Wenn diese Paletten vor der
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Einlagerung in der Höhe verringert
und umgepackt werden müssen,
nur weil im Lager keine hohen Palettenplätze mehr verfügbar sind, dann
würden zusätzliche, teure Arbeitsschritte erforderlich.
„Brandschutz spielt
eine Rolle“
Der Brandschutz spielt gleich in
mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Von
den Sachversicherern wird je nach
Art des Lagerguts die Sprinkler-Ausstattung vorgegeben. Wobei nicht jeder Lagerplatz für jeden Artikel geeignet sein muss: eine Holzpalette
mit unbrennbarem Hilfsmaterial benötigt weniger Schutz als leicht
brennbare Blister-Verpackungen in
ebenso feuergefährlichen Kunststoffbehältern. Also müssen auch deren
Standorte später restriktiv vergeben
werden oder aber das gesamte Lager
teuer auf erhöhte Brandschutzanforderungen aufgerüstet werden.
Wenn brennbare Flüssigkeiten gelagert werden sollen, so können diese
nicht mit Wasser, sondern nur mit
Schaum gelöscht werden. Daher
muss entweder die Feuerlöschanlage
modifiziert oder ein separater Lagerraum oder Lagerabschnitt für diese
geschaffen werden. Wenn es sich jedoch nur um sehr geringe Mengen
dieser Produkte handelt, dann können diese unter Umständen auch
über das gesamte Lager auf bestimmte Lagerplätze verteilt werden
oder aber mit Feuerwehr-Zugang in
einem kleinen Bereich gebündelt gelagert werden. Dadurch ergeben sich
wieder Auswirkungen auf die Lagerplatzvergabe. Diese wird zudem auch
durch die Kombination unterschiedlicher gefährlicher Produkte beeinflusst. Denn die Frage ob z. B. brennbare, giftige, ätzende oder wassergefährdende Stoffe zusammengelagert werden dürfen, beantworten
zum Beispiel die Richtlinien des Verbandes der Chemischen Industrie
(VCI). Diese geben in einer „Zusam-
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Wenn wir unseren Fokus vom Schuhlager-Beispiel in den pharmazeutischen Bereich verschieben, werden
die Anforderungen in Bezug auf die
Lagerlogik deutlich komplexer, denn
hier gibt es mehr Kriterien als im
ersten Beispiel:
Pharmazeutische Grundanforderungen (wie z. B. Temperaturführung,
Pest-Control, Hygienezonen, Zutrittsschutz oder die Validierung der
beschriebenen Logiken) werden in
diesem Artikel allerdings nur dann
berücksichtigt, wenn Sie direkt mit
den Lagerstrategien zusammenhängen. Der Schwerpunkt ist auf die logistikgetriebenen Anforderungen gelegt – denn auch diese variieren von
Lager zu Lager.
Die pharmazeutischen Anforderungen beginnen mit der Trennung
der einzelnen Artikel- und Chargennummer-Kombinationen und deren
Zugriffsschutz. Wenn Quarantäneund Sperrware in einem abgeschlossenen Lagerbereich gelagert werden
müssen und sich nur die freigegebenen Artikel im Zugriff für Mitarbeiter befinden dürfen, so ist in manuellen Lägern (z. B. Schmalgang- oder
Breitganglager) möglicherweise ein
separater, abschließbarer Bereich
dafür zu schaffen. In einem automatischen Hochregallager kann dieser Zugriffsschutz durch das Lagerverwaltungssystem
sichergestellt
werden, wenn nur berechtigte Mitarbeiter diese Ware auslagern dürfen. Damit kein Mitarbeiter ohne
technische Hilfsmittel Zugang zu
diesen Artikeln hat, darf die unterste
(möglicherweise manuell erreichbare) Lagerebene nur für freigegebene Ware Einlagerungen erlauben.
Allein dieser Unterschied in der baulichen Konstruktion von manuellen
und automatischen Lägern hat einen beträchtlichen Einfluss auf die
Investitionssumme eines Lagerneubaus, da sonst ggf. ein zusätzlicher,
baulich getrennter „Sperrware-Bereich“ erforderlich wäre.
In den obersten Lagerebenen ist
dagegen die Gefahr am größten (wenn
nicht mit entsprechenden Lüftungsund Monitoringsystemen Abhilfe geschaffen wird), dass die Temperatur
im Sommer die vorgegebene Maximaltemperatur überschreitet. Deswegen wird diese Ebene gerne mit temperatur-unempfindlichen Waren (z. B.
Verpackungen und Werbematerial)
gefüllt.
Weiterhin werden zur Fehlervermeidung in der manuellen Kommissionierung ähnliche Artikel oft nicht
direkt nebeneinander oder übereinander gelagert, um ein simples Verwechseln bei der Auslagerung auszuschließen. Das kommt in einem
automatischen Lager allerdings nur
dann zum Tragen, wenn hier ein manueller Kommissionierbereich innerhalb des Automatikbereichs integriert wird.
Fokus Lager und Logistik
Zielkonflikte
mit Negativ-Beispielen
aus den pharmazeutischen,
logistischen und
weiteren Anforderungen
Die wirklichen Schwierigkeiten beginnen jedoch erst bei der Kombination der oben aufgeführten Anforderungen. Zur Erklärung werden diese
mit einem beispielhaften pharmazeutischen Artikelspektrum dargestellt, welches folgende Artikel enthalten könnte: Gelagert werden in
diesem Beispiel Fertigprodukte als
Liquida (z. B. Desinfektions-Alkohol
und Massageöl), Solida (Kopfschmerz-Tabletten und CytostatikaVials) und Inhalativa (Asthma-Spray
sowie Sprühpflaster). Diese sind jeweils in den Packungsgrößen N1,
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N2 und N3 mit jeweils vier unterschiedlichen Chargen vorrätig. Daneben gibt es weitere Artikelnummern
im Lager, hinter denen sich Werbeund Packmaterialien verbergen. Weiterhin müssen in unserem Lager
mehrere Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe in großen Behältern für einen
angegliederten Produktionsbereich
gelagert werden.
Wir hoffen, dass bei den folgend
dargestellten, theoretischen und frei
erfundenen Konflikten niemand an
Schwierigkeiten aus dem eigenen Lager erinnert wird:
. Wenn Desinfektionsalkohol als
schnelldrehender A-Artikel aus
logistischer Sicht möglichst weit
vorne und unten gelagert werden
soll, jedoch die für Alkohol-Lagerung geeigneten Plätze über das
ganze Lager verteilt sind, ergibt
sich bereits nach wenigen eingelagerten Paletten eine ungünstige
Verteilung.
. Selten verkauftes Massageöl (CArtikel) in großen Behältern sollte
(logistisch sinnvoll) möglichst
oben und/oder hinten im Lager
gelagert werden, was wegen des
hohen Gewichts der Paletten in
den oberen Lagerebenen aus baulichen Einspargründen nicht möglich ist.
. Die oft verkauften Kopfschmerztabletten sollten möglichst auf den
schnell erreichbaren A-Plätzen
eingelagert werden, bieten sich
wegen ihres geringen Gewichts jedoch eher für die oberen Etagen
an, welche wegen der leicht
brennbaren Blister-Verpackungen
hoffentlich mit dem benötigten
Sprinklerschutz ausgestattet wurden.
. Cytostatika-Vials könnten aufgrund
des Gewichts in die oberen Regalbereiche gelagert werden, sind dann
jedoch ggf. Temperaturschwankungen ausgesetzt. Weiterhin wären Sie dort nur schwer durch die
Feuerwehr erreichbar und würden
bei einem Sturz aus großer Höhe im
schlechtesten Fall das komplette
Lager mit karzinogenem Feinstaub
kontaminieren.
Das Asthma-Spray bietet als CO2Druckgas-Artikel weniger Probleme und Anforderungen als das
Sprühpflaster, welches aufgrund
des brennbaren Treibgases und der
Explosionsgefahr im Brandfall
entweder in einem separaten Bereich gelagert werden muss, oder
aber mit den anderen Gefahrstoffen um die leicht zugänglichen
„Feuerwehr“-Plätze im Lager konkurriert, die aus logistischer Sicht
eher für Schnelldreher genutzt
werden sollten (in Bodennähe).
. Da die bisher genannten Artikel in
unterschiedlichen Packungsgrößen und Chargen vorrätig sind,
kann die Anzahl der separat zu
lagernden Artikelnummer-/Chargen-Kombinationen schnell um
den Faktor 12 wachsen (drei Packungsgrößen mit jeweils vier
Chargen, bei insgesamt gleichbleibendem Lager-Volumen), was den
Bautyp und die Dynamik des Lagers in jedem Fall beeinflussen
wird.
. Wenn die Ware nach der Einlagerung zuerst unter Quarantäne gelagert wird, könnte man jetzt
überlegen, diese für die Zeit des
Freigabeprozesses in den Bereich
der nur selten benötigten C-Artikel
zu lagern. Dies würde jedoch zu
Umlageraufwand nach der Freigabe führen, den man sich aufgrund der automatischen Lagerverwaltung ersparen kann – und
aufgrund der dazu erforderlichen
erhöhten Lager-Dynamik gerne
ersparen möchte.
. Die Pack- und Werbematerialien
würde man aufgrund des großen
Volumens, der Temperatur-Unempfindlichkeit und des relativ
leichten Gewichts gerne auf die
oberen Lagerebenen verteilen, benötigt aber für den täglichen Bedarf unter Umständen so viele Paletten pro Tag, dass darunter die
Dynamik des Lagers leidet.
Die Liste der Zielkonflikte ließe sich
beliebig fortsetzen, insbesondere für
die ebenfalls erwähnten Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe in Kombination
mit den zu lagernden Fertigwaren.
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menlagerungs-Matrix“
bestimmte
Stoffgruppen-Kombinationen
vor,
für welche eine Zusammenlagerung
pro Brandabschnitt erlaubt oder verboten ist.
Dass bei der Überschreitung bestimmter Mengen dieser Stoffe zusätzlich spezielle Lagerbereiche,
Rückhaltebecken für Löschwasser
oder ein spezieller Genehmigungsantrag gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlich werden
(z. B. ab 10 t giftiger Stoffe), verkompliziert die Planung und spätere
Nutzbarkeit weiter.
Auch unternehmensintern besteht ein großes Interesse an einer
Risikominimierung insofern, dass
nicht der komplette Lagerbestand eines Artikels einem Feuer zum Opfer
fallen darf. Während der Warenwert
versichert werden kann, geraten
durch so einen Fall oft auch Lieferfähigkeit oder Markanteil in Gefahr.
Schon aus diesen Gründen kann es
sich anbieten, den Bestand baulich
zu trennen (also ggf. zwei gleiche Läger durch eine feuerfeste Wand zu
trennen oder den Bestand sogar auf
zwei Standorte aufzuteilen). Wie die
Bereich oder gar Standorte sinnvoll
aufgeteilt werden können, ist wiederum eine Frage für die Lagerplatzvergabe.
Fazit und StandardLösung
Damit eine „chaotische Lagerung“
niemals im Chaos endet, ist eine
sorgfältige Planung notwendig, die
durch die genaue Analyse der Bewegungen und der Lagerdauer des Lagerguts böse Überraschungen verhindert.
Auch ein bereits existierendes
„langsames“ oder „übervolles“ Lager
kann unter Umständen durch eine
Artikel-Analyse und geschickte Überarbeitung der Ein-, Aus- und Zusammenlagerstrategien optimiert werden. Aber Wunder können nicht erwartet werden, wenn wichtige Kriterien bei der Planung übersehen wurden oder sich diese erst später ergeben.
Eine Standard-Lösung gibt es für
diese Problematik jedoch leider
nicht. Denn da sich die Eigenschaften der Artikel in jedem Lager voneinander unterscheiden, sollte jede
Lagerplanung individuell erfolgen.
Das Ergebnis darf aber kein Lager„Maßanzug“ sein. Denn ein Maßanzug beginnt sowohl in der Logistik
als auch im „echten Leben“ schnell
zu zwicken, wenn man an Gewicht
(bzw. Bestand) zulegt, und er beginnt
zu rutschen, wenn man den Gürtel
enger schnallen muss. Weiterhin
kann man mit den meisten Maß-
anzügen schlecht rennen, falls eine
schnellere Gangart gefordert wird.
Wenn ein Lager für wechselhafte
Anforderungen bereits von Anfang
an mit eingebauter Multifunktionalität errichtet werden soll, dann entstehen hierbei deutlich erhöhte Kosten im Bau- und Technik-Bereich.
Man rüstet sich quasi mit Gürtel
und Hosenträger gleichzeitig aus.
Aber eine multifunktionale Anpassungsfähigkeit für spätere Veränderungen kann und muss bei geschickter Planung immer berücksichtigt werden.
Deshalb sollten in jeder Planung
die möglichen Veränderungen in alle
Richtungen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen worden sein
– wobei es sich bei den oben aufgeführten Beispielen nur um die elementarsten Anforderungen handelt.
Durch diese Vorgehensweise wird
vermieden, dass überraschende
Marktentwicklungen zu bösen Überraschungen im eigenen Lager führen.
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Meist ändern sich so bei der Analyse die ursprünglich ins Auge gefassten Lagervorstellungen insoweit,
dass nicht mehr „ein Hochregallager“
angestrebt werden sollte. Vielmehr
ist es meist eine Kombination der
besten Lösungen aus den verschieden Lagertechniken, wie automatischen Hochregal- und Kleinteilelägern, manuellen Lagerbereichen
und z. B. Shuttlesystemen oder Satelliten-Lägern. Die „Rosinen“ für jedes
Lager individuell aus dem Markt zu
picken ist dabei die eigentliche Herausforderung.

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