Lagerkonzepte: Vorteile und Anforderungen einer chaotischen
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Lagerkonzepte: Vorteile und Anforderungen einer chaotischen
Fokus Lager und Logistik Achim Sponheimer . Miebach Consulting GmbH, Frankfurt Korrespondenz: Achim Sponheimer, Miebach Consulting GmbH, Untermainanlage 6, 60329 Frankfurt; e-mail: [email protected] Zusammenfassung Autor „Chaotische Lagerung“ hört sich für logistik-fremde Ohren nach einem unordentlichen Lager an – doch das Gegenteil ist der Fall. Durch chaotische Lagerung wird in einem Lager neben der Lieferfähigkeit unter anderem auch die Durchsatzleistung gesteigert. Denn im Gegensatz zu ihrem Namen muss diese Einlager-Logik in Wirklichkeit hochkomplexen Strategien folgen, um zur Optimierung der Logistik beizutragen. Deshalb spricht man mittlerweile eher von „dynamischer Lagerplatzvergabe“. Die folgende Betrachtung erklärt wesentliche im GxP-Bereich für Planung, Bau und Betrieb zu berücksichtigende Kriterien und Gründe, weshalb eine fundierte Planung Voraussetzung für ein optimal funktionierendes und kosteneffizientes Lagersystem ist. Denn nur eine ausgefeilte Logik zur Belegung des Lagers bringt den benötigten Erfolg für Logistik und Wirtschaftlichkeit. So ist das teuerste oder modernste System weder zwangsläufig das Beste, noch für jeden Anwendungsfall geeignet. Ein einfaches System kann durchaus die beste Lösung für eine logistische Aufgabenstellung sein. Andererseits ist es oft notwendig durch „CherryPicking“ die beste Lagerstrategie mit passendem Lagerkonzept zu entwickeln. Dabei werden die Lagertechnik-Lösungen unterschiedlicher Anbieter miteinander kombiniert. Dadurch entsteht eine optimale Logistik für die Aufgaben der Gegenwart – mit modularer Anpassungsfähigkeit für Wachstums- oder Strukturveränderungen in der Zukunft. Ein einfaches Lager-Beispiel Der Begriff „chaotische Lagerung“ entstand in der Vergangenheit, als durch die Einführung von elektronischen Lagerverwaltungssystemen eine Veränderung bei der Lagerplatzvergabe innerhalb eines Lagers stattfand und deshalb auf den ersten 94 Sponheimer . Chaotische Lagerung Blick keine klare Ordnung eines Lagers mehr erkennbar war. In früheren Zeiten wurde die Lagerplatzvergabe-Logik eines Lagers meist durch eine feste Artikelzuordnung pro Lagerfach abgebildet und die Plätze manuell verwaltet. Die Mitarbeiter konnten so die benötigten Waren schnell und einfach wiederfinden, da sie sich immer an der gleichen Achim Sponheimer Achim Sponheimer, Diplom-Ingenieur, arbeitete im Distributionsbereich eines internationalen Konsumgüter-Herstellers, bevor er 2005 zur internationalen Supply-Chain-Beratung Miebach Consulting (The Supply Chain Engineers) wechselte. Als Principal und Senior-Projektleiter ist er in Projekten verantwortlich für die Planung und Detaillierung von Logistiklösungen sowie für das Projektmanagement in der Realisierungs- und Inbetriebnahmephase. Weiterhin begleiten er und Miebach Consulting die geplanten Anlagen und dort eingesetzten Mitarbeiter während der Anlaufphase. Ein Schwerpunkt liegt in der Gestaltung von Logistiklösungen im Pharmabereich. Stelle befanden. Trotz der auf den ersten Blick einleuchtenden Einfachheit barg dieses System auch Gefahren. Ein einfaches Beispiel zur Erklärung der Schwierigkeiten einer solchen Lagerhaltung wirkt auf den ersten Blick etwas fachfremd, erklärt sich jedoch dann von selbst: ein Schuhlager! Um in einem Lager mit manueller Platzverwaltung alle Artikel über- TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only Lagerkonzepte: Vorteile und Anforderungen einer chaotischen Lagerung in der pharmazeutischen Industrie TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Sponheimer . Chaotische Lagerung 95 Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only . Weitere hohe Regalläger sind zum sichtlich zu lagern, werden in diesem deren Lagergassen keine Aktivität Beispiel die Damenschuhe rechts und Beispiel „Schmalgangläger“. Diese stattfindet. Es entsteht ebenfalls ein die Herrenschuhe links gelagert. Inwerden meist ca. 14 m hoch gebaut (dynamischer) Engpass. nerhalb dieser Bereiche werden dann Aus diesen Beispielen wird ersichtund zwischen den Regalzeilen die Winterschuhe wieder nach links lich, dass an vielen Stellen mit Spitfahren (induktiv oder durch Rolund die Sommerschuhe rechts gela- zenbelastungen zu rechnen ist, die len) geführte Hochregalstapler in gert. Die unterschiedlichen Schuh- sich vermeiden lassen. Dementspresehr engen Gassen, welche nur modelle werden dabei in den Regal- chend muss das Lager größer und wenige Zentimeter breiter sind als gassen nebeneinander aufgereiht und teurer als eigentlich benötigt gebaut die eigentliche Palette. Die Geräte innerhalb der einzelnen Schuhmo- werden. werden hierbei von Personal gedelle nach Größe sortiert. Von den steuert, welches meist in einer Palettenplätzen auf ebener Erde wer- Hochregallager, Steuerkabine mit der Gabel zuden die Bestellungen der Schuh- Schmalganglager und sammen nach oben fährt und geschäfte kommissioniert (also die Breitganglager durch die Nähe zur Palette diese Aufträge zusammengestellt). Wenn präzise in das Regal einlagern von einem Artikel eine zusätzliche, Vor der Erklärung der „chaotischen kann. Solche Schmalgangläger sind volle Palette im Lager steht, so wird Lagerung“ und deren Optimierungsjedoch keine Hochregalläger im diese direkt über der jeweils angebro- ansätze ist ein Begriff zu klären, der engeren Sinne. chenen Palette gelagert von der die vielfach unterschiedlich verwendet . Eine dritte Variante sind die sogenannten „Breitgangläger“. Diese einzelnen Kartons für die Aufträge und dadurch oft missverstanden werden meist ungefähr 10 m hoch entnommen werden. So kann die wird: das „Hochregallager“. gebaut und zwischen den einzelNachschub-Palette im Bedarfsfall ein- . Mit dem Begriff „Hochregallager“ ist normalerweise ein „vollautonen Regalen befinden sich ca. 3 bis fach auf den Boden gestellt werden matisches Paletten-Hochregal5 m breite Gänge. In diesen Gänund von dieser die Kommissionielager“ gemeint, welches bis zu ca. gen können sich Gabelstapler und rung fortgesetzt werden. Die daraus entstehenden Schwie40 m hoch gebaut wird und ohne Kommissionierfahrzeuge gegenrigkeiten sind einfach erkennbar: Personal im Regalbereich ausseitig überholen und die genutzten . Während der Produktionszeit für kommt. Vollautomatische RegalFahrzeuge werden von bodennah Winterschuhe steigt deren Bestand bediengeräte (auch kurz „RBG“ sitzenden Personen gesteuert, an, und sie benötigen mehr Lagenannt) und Fördertechnik lagern welche die in den oberen Ebenen gerplätze. So werden die Plätze auf die Waren auf standardisierten gelagerten Paletten ein- und ausder Winterschuh-Seite bald knapp Paletten selbständig ein und aus. lagern (teilweise mit Kameraund ein (statischer) Engpass entsteht – während bei den Sommerschuhen leere Plätze unbelegt bleiben. . Wenn ein großes Damenschuh-Geschäft eine Bestellung aufgibt, entsteht im Damen-Bereich auf der rechten Lagerseite ein (dynamischer) Kommissionierengpass. Denn dort findet jetzt gleichzeitig die gesamte Kommissionieraktivität statt, während in der Herrenabteilung keine Aktivität stattfindet. . Falls ein bestimmtes Modell besonders erfolgreich verkauft wird, so ballt sich die Kommissionieraktivität im Bereich dieses MoAbb. 1: Schematische Darstellung: Hochregallager, Schmalganglager und Breitganglager (Quelle: Miebach Consulting GmbH). dells, während in den an- Fokus Lager und Logistik Die „chaotische“ Lagerung und logistische Einflussgrößen Wie lassen sich die im obigen Schuhlager-Modell aufgezeigten Spitzen nun durch eine zufällige (also chaotische) Verteilung der Artikel (Schuhe und Größen) im gesamten Lager vermeiden? Bei einer zufälligen Verteilung aller Artikel im Lager ergibt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass bei der Nachfrage nach einem einzelnen Artikel dessen Verteilung innerhalb des Lagers so gestreut ist, dass z. B. die Auslagerung von Paletten über das gesamte Lager verteilt bearbeitet werden kann und die unterschiedlichen Schuhgrößen in unterschiedlichen Gassen kommissioniert werden können. So werden Engpässe durch eine statistisch gleichverteilte Streuung vermieden. „In der Realität verlässt man sich aber nicht auf den Zufall“ In der Realität verlässt man sich aber nicht auf den Zufall („chaotische Lagerung“), sondern nutzt die bereits erwähnte gesteuerte Verteilung („dynamische Lagerplatzvergabe“) unter der Berücksichtigung von mehreren Nebenbedingungen. Die Begriffe „chaotische Lagerung“ und „dynamische Lagerplatzvergabe“ haben 96 Sponheimer . Chaotische Lagerung sich aber über Jahre für den gleichen Sachverhalt etabliert. Obwohl die „dynamische Lagerplatzvergabe“ eigentlich die richtige Umschreibung ist, hat sich der Begriff „chaotische Lagerung“ in den meisten Köpfen festgesetzt. Eine mögliche Verbesserung der Lagersituation sieht in unserem Schuh-Beispiel so aus, dass bereits bei der Einlagerung folgende Kriterien berücksichtigt werden: . Querverteilung: Von jedem Modell und jeder Größe sollte in mindestens zwei Gassen Bestand vorhanden sein. So kann bei einem Unfall, Defekt oder Stau in einer Gasse immer noch auf die jeweils andere Gasse ausgewichen werden. Weiterhin können bei der gleichzeitigen Auslagerung mehrerer Paletten des gleichen Artikels diese Aufgaben auf mehrere Gassen verteilt werden. So kann die Auslagerzeit deutlich verkürzt werden und es muss nicht darauf gewartet werden, dass alle Paletten nacheinander aus der gleichen Gasse geholt werden. . Zonung: Die am häufigsten nachgefragten Modelle und Größen sollten in den Regalgassen möglichst weit vorne liegen. So wird der Kommissionierweg insgesamt kürzer, da man oft den kurzen Weg nutzen kann, und nur selten einen längeren Weg zurücklegen muss (zu den weniger nachgefragten Modellen im hinteren Bereich des Lagers). Bei dieser „Zonung“ werden die Artikel meist in unternehmensinterne Klassen eingeteilt, für die sich der Begriff „A-, B-, C-Artikel“ durchgesetzt hat (wobei die Benennung mit „ABC“ laut Lehrbuch eigentlich die Werthaltigkeit von Artikeln beschreiben soll und für die logistische Gängigkeit eher eine Benennung wie z. B. „X-, Yoder Z-Artikel“ zu wählen wäre. Doch auch hier hat sich mittlerweile der „nicht ganz richtige“ Begriff durchgesetzt). Bereits beim Bau des Lagers müssen dabei für einen optimalen späteren Betrieb noch weitere Kriterien berücksichtigt werden: . . Lager-Proportionen: Ein Hochregallager muss den für Spitzenzeiten erforderlichen Durchsatz („dynamische Kapazität“) bewältigen können und eine ebenfalls für Spitzenzeiten ausreichende Anzahl an Lagerplätzen („statische Kapazität“) bieten. Leider kostet jede Leistungssteigerung oder Erhöhung der Platzanzahl Geld und so leidet die Wirtschaftlichkeit des Lagers, wenn diese Leistung oder Plätze außerhalb der Spitzentage brach liegen. Die dynamische Auslegung wird dabei z. B. beeinflusst durch die Geschwindigkeit der in den Regalgassen fahrenden Regalbediengeräte sowie von der Frage, ob diese einen oder mehrere Ladungsträger gleichzeitig einund/oder auslagern können. Die Fahrstrecke bzw. die Hubhöhe beeinflussen dabei die maximal in einer Stunde ein- und auslagerbaren Ladungsträger (sogenannte „Lager-Spiele“). Dadurch wird bei einer Erhöhung der Lagerplatzanzahl die Durchsatzleistung gleichzeitig geringer, da die Geräte dann entweder weiter fahren oder aber höher heben müssen. Die Durchsatzleistung kann jedoch durch eine zusätzliche Lagergasse gesteigert werden. Dadurch steht ein zusätzliches Regalbediengerät zur Verfügung (welches natürlich auch bezahlt werden muss), wobei die Gassenlänge aller Gassen aufgrund der dann zusätzlich gewonnenen Lagerplätze wieder reduziert werden kann. Weitere Optimierungspotentiale bietet z. B. auch eine „doppeltoder mehrfach-tiefe Lagerung“, bei der zwei oder mehr Paletten hintereinander gelagert werden können. Dies verursacht jedoch Änderungen bei der Einlager-Logik, da (je nach Bauform) die hinteren Paletten nur durch die Entnahme der vorderen Paletten entnommen werden können. Diese Variante ist nur zu empfehlen, wenn die Artikel eine relativ lange Verweildauer im Lager haben, da sich die Anzahl der La- TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only Unterstützung, damit die maximal 10 m entfernte Palette auch punktgenau auf den Regalplatz abgesetzt werden kann). So ein Breitganglager ist ebenfalls ein hohes Regallager, aber auch kein Hochregallager im engeren Sinne. Den drei Lagertypen (Abb. 1) ist aber gleich, dass durch ein elektronisches Lagerverwaltungssystem alle Plätze automatisch verwaltet und die logische Einlagerstrategie („welcher Ladungsträger soll auf welchen Platz gestellt werden?“) nach strengen Regeln strukturiert werden kann. gerplätze pro Gasse erhöht, das Verhältnis von Regalbediengeräten zu Lagerplätzen jedoch halbiert wird (bei einer doppelt tiefen Lagerung). Beispiele pharmazeutischer Anforderungen Beispielhafte bauliche und gesetzliche Anforderungen Auch die bauliche Konstruktion des Lagers hat starke Auswirkungen auf die spätere Nutzbarkeit. So kann das Regal schlanker gebaut werden, wenn schwere Paletten nur auf den unteren Ebenen gelagert werden und die oberen Plätze nur für leichte Paletten zugelassen werden. Diese Beschränkung macht jedoch nur dann Sinn, wenn man sicher ausschließen kann, dass später doch eine stärkere Belastbarkeit der oberen Regalebenen benötigt wird, denn eine Nachrüstung ist nicht möglich. Ähnliche Probleme ergeben sich in Bezug auf die Höhen der Lagerfächer. Denn auch wenn heute sichergestellt ist, dass alle Lieferanten eine gewisse Palettenhöhe nicht überschreiten, so kann sich dieses bei einem neuen Lieferanten schnell ändern. Wenn diese Paletten vor der TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Einlagerung in der Höhe verringert und umgepackt werden müssen, nur weil im Lager keine hohen Palettenplätze mehr verfügbar sind, dann würden zusätzliche, teure Arbeitsschritte erforderlich. „Brandschutz spielt eine Rolle“ Der Brandschutz spielt gleich in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Von den Sachversicherern wird je nach Art des Lagerguts die Sprinkler-Ausstattung vorgegeben. Wobei nicht jeder Lagerplatz für jeden Artikel geeignet sein muss: eine Holzpalette mit unbrennbarem Hilfsmaterial benötigt weniger Schutz als leicht brennbare Blister-Verpackungen in ebenso feuergefährlichen Kunststoffbehältern. Also müssen auch deren Standorte später restriktiv vergeben werden oder aber das gesamte Lager teuer auf erhöhte Brandschutzanforderungen aufgerüstet werden. Wenn brennbare Flüssigkeiten gelagert werden sollen, so können diese nicht mit Wasser, sondern nur mit Schaum gelöscht werden. Daher muss entweder die Feuerlöschanlage modifiziert oder ein separater Lagerraum oder Lagerabschnitt für diese geschaffen werden. Wenn es sich jedoch nur um sehr geringe Mengen dieser Produkte handelt, dann können diese unter Umständen auch über das gesamte Lager auf bestimmte Lagerplätze verteilt werden oder aber mit Feuerwehr-Zugang in einem kleinen Bereich gebündelt gelagert werden. Dadurch ergeben sich wieder Auswirkungen auf die Lagerplatzvergabe. Diese wird zudem auch durch die Kombination unterschiedlicher gefährlicher Produkte beeinflusst. Denn die Frage ob z. B. brennbare, giftige, ätzende oder wassergefährdende Stoffe zusammengelagert werden dürfen, beantworten zum Beispiel die Richtlinien des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Diese geben in einer „Zusam- Sponheimer . Chaotische Lagerung 97 Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only Wenn wir unseren Fokus vom Schuhlager-Beispiel in den pharmazeutischen Bereich verschieben, werden die Anforderungen in Bezug auf die Lagerlogik deutlich komplexer, denn hier gibt es mehr Kriterien als im ersten Beispiel: Pharmazeutische Grundanforderungen (wie z. B. Temperaturführung, Pest-Control, Hygienezonen, Zutrittsschutz oder die Validierung der beschriebenen Logiken) werden in diesem Artikel allerdings nur dann berücksichtigt, wenn Sie direkt mit den Lagerstrategien zusammenhängen. Der Schwerpunkt ist auf die logistikgetriebenen Anforderungen gelegt – denn auch diese variieren von Lager zu Lager. Die pharmazeutischen Anforderungen beginnen mit der Trennung der einzelnen Artikel- und Chargennummer-Kombinationen und deren Zugriffsschutz. Wenn Quarantäneund Sperrware in einem abgeschlossenen Lagerbereich gelagert werden müssen und sich nur die freigegebenen Artikel im Zugriff für Mitarbeiter befinden dürfen, so ist in manuellen Lägern (z. B. Schmalgang- oder Breitganglager) möglicherweise ein separater, abschließbarer Bereich dafür zu schaffen. In einem automatischen Hochregallager kann dieser Zugriffsschutz durch das Lagerverwaltungssystem sichergestellt werden, wenn nur berechtigte Mitarbeiter diese Ware auslagern dürfen. Damit kein Mitarbeiter ohne technische Hilfsmittel Zugang zu diesen Artikeln hat, darf die unterste (möglicherweise manuell erreichbare) Lagerebene nur für freigegebene Ware Einlagerungen erlauben. Allein dieser Unterschied in der baulichen Konstruktion von manuellen und automatischen Lägern hat einen beträchtlichen Einfluss auf die Investitionssumme eines Lagerneubaus, da sonst ggf. ein zusätzlicher, baulich getrennter „Sperrware-Bereich“ erforderlich wäre. In den obersten Lagerebenen ist dagegen die Gefahr am größten (wenn nicht mit entsprechenden Lüftungsund Monitoringsystemen Abhilfe geschaffen wird), dass die Temperatur im Sommer die vorgegebene Maximaltemperatur überschreitet. Deswegen wird diese Ebene gerne mit temperatur-unempfindlichen Waren (z. B. Verpackungen und Werbematerial) gefüllt. Weiterhin werden zur Fehlervermeidung in der manuellen Kommissionierung ähnliche Artikel oft nicht direkt nebeneinander oder übereinander gelagert, um ein simples Verwechseln bei der Auslagerung auszuschließen. Das kommt in einem automatischen Lager allerdings nur dann zum Tragen, wenn hier ein manueller Kommissionierbereich innerhalb des Automatikbereichs integriert wird. Fokus Lager und Logistik Zielkonflikte mit Negativ-Beispielen aus den pharmazeutischen, logistischen und weiteren Anforderungen Die wirklichen Schwierigkeiten beginnen jedoch erst bei der Kombination der oben aufgeführten Anforderungen. Zur Erklärung werden diese mit einem beispielhaften pharmazeutischen Artikelspektrum dargestellt, welches folgende Artikel enthalten könnte: Gelagert werden in diesem Beispiel Fertigprodukte als Liquida (z. B. Desinfektions-Alkohol und Massageöl), Solida (Kopfschmerz-Tabletten und CytostatikaVials) und Inhalativa (Asthma-Spray sowie Sprühpflaster). Diese sind jeweils in den Packungsgrößen N1, 98 Sponheimer . Chaotische Lagerung N2 und N3 mit jeweils vier unterschiedlichen Chargen vorrätig. Daneben gibt es weitere Artikelnummern im Lager, hinter denen sich Werbeund Packmaterialien verbergen. Weiterhin müssen in unserem Lager mehrere Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe in großen Behältern für einen angegliederten Produktionsbereich gelagert werden. Wir hoffen, dass bei den folgend dargestellten, theoretischen und frei erfundenen Konflikten niemand an Schwierigkeiten aus dem eigenen Lager erinnert wird: . Wenn Desinfektionsalkohol als schnelldrehender A-Artikel aus logistischer Sicht möglichst weit vorne und unten gelagert werden soll, jedoch die für Alkohol-Lagerung geeigneten Plätze über das ganze Lager verteilt sind, ergibt sich bereits nach wenigen eingelagerten Paletten eine ungünstige Verteilung. . Selten verkauftes Massageöl (CArtikel) in großen Behältern sollte (logistisch sinnvoll) möglichst oben und/oder hinten im Lager gelagert werden, was wegen des hohen Gewichts der Paletten in den oberen Lagerebenen aus baulichen Einspargründen nicht möglich ist. . Die oft verkauften Kopfschmerztabletten sollten möglichst auf den schnell erreichbaren A-Plätzen eingelagert werden, bieten sich wegen ihres geringen Gewichts jedoch eher für die oberen Etagen an, welche wegen der leicht brennbaren Blister-Verpackungen hoffentlich mit dem benötigten Sprinklerschutz ausgestattet wurden. . Cytostatika-Vials könnten aufgrund des Gewichts in die oberen Regalbereiche gelagert werden, sind dann jedoch ggf. Temperaturschwankungen ausgesetzt. Weiterhin wären Sie dort nur schwer durch die Feuerwehr erreichbar und würden bei einem Sturz aus großer Höhe im schlechtesten Fall das komplette Lager mit karzinogenem Feinstaub kontaminieren. Das Asthma-Spray bietet als CO2Druckgas-Artikel weniger Probleme und Anforderungen als das Sprühpflaster, welches aufgrund des brennbaren Treibgases und der Explosionsgefahr im Brandfall entweder in einem separaten Bereich gelagert werden muss, oder aber mit den anderen Gefahrstoffen um die leicht zugänglichen „Feuerwehr“-Plätze im Lager konkurriert, die aus logistischer Sicht eher für Schnelldreher genutzt werden sollten (in Bodennähe). . Da die bisher genannten Artikel in unterschiedlichen Packungsgrößen und Chargen vorrätig sind, kann die Anzahl der separat zu lagernden Artikelnummer-/Chargen-Kombinationen schnell um den Faktor 12 wachsen (drei Packungsgrößen mit jeweils vier Chargen, bei insgesamt gleichbleibendem Lager-Volumen), was den Bautyp und die Dynamik des Lagers in jedem Fall beeinflussen wird. . Wenn die Ware nach der Einlagerung zuerst unter Quarantäne gelagert wird, könnte man jetzt überlegen, diese für die Zeit des Freigabeprozesses in den Bereich der nur selten benötigten C-Artikel zu lagern. Dies würde jedoch zu Umlageraufwand nach der Freigabe führen, den man sich aufgrund der automatischen Lagerverwaltung ersparen kann – und aufgrund der dazu erforderlichen erhöhten Lager-Dynamik gerne ersparen möchte. . Die Pack- und Werbematerialien würde man aufgrund des großen Volumens, der Temperatur-Unempfindlichkeit und des relativ leichten Gewichts gerne auf die oberen Lagerebenen verteilen, benötigt aber für den täglichen Bedarf unter Umständen so viele Paletten pro Tag, dass darunter die Dynamik des Lagers leidet. Die Liste der Zielkonflikte ließe sich beliebig fortsetzen, insbesondere für die ebenfalls erwähnten Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe in Kombination mit den zu lagernden Fertigwaren. . TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only menlagerungs-Matrix“ bestimmte Stoffgruppen-Kombinationen vor, für welche eine Zusammenlagerung pro Brandabschnitt erlaubt oder verboten ist. Dass bei der Überschreitung bestimmter Mengen dieser Stoffe zusätzlich spezielle Lagerbereiche, Rückhaltebecken für Löschwasser oder ein spezieller Genehmigungsantrag gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlich werden (z. B. ab 10 t giftiger Stoffe), verkompliziert die Planung und spätere Nutzbarkeit weiter. Auch unternehmensintern besteht ein großes Interesse an einer Risikominimierung insofern, dass nicht der komplette Lagerbestand eines Artikels einem Feuer zum Opfer fallen darf. Während der Warenwert versichert werden kann, geraten durch so einen Fall oft auch Lieferfähigkeit oder Markanteil in Gefahr. Schon aus diesen Gründen kann es sich anbieten, den Bestand baulich zu trennen (also ggf. zwei gleiche Läger durch eine feuerfeste Wand zu trennen oder den Bestand sogar auf zwei Standorte aufzuteilen). Wie die Bereich oder gar Standorte sinnvoll aufgeteilt werden können, ist wiederum eine Frage für die Lagerplatzvergabe. Fazit und StandardLösung Damit eine „chaotische Lagerung“ niemals im Chaos endet, ist eine sorgfältige Planung notwendig, die durch die genaue Analyse der Bewegungen und der Lagerdauer des Lagerguts böse Überraschungen verhindert. Auch ein bereits existierendes „langsames“ oder „übervolles“ Lager kann unter Umständen durch eine Artikel-Analyse und geschickte Überarbeitung der Ein-, Aus- und Zusammenlagerstrategien optimiert werden. Aber Wunder können nicht erwartet werden, wenn wichtige Kriterien bei der Planung übersehen wurden oder sich diese erst später ergeben. Eine Standard-Lösung gibt es für diese Problematik jedoch leider nicht. Denn da sich die Eigenschaften der Artikel in jedem Lager voneinander unterscheiden, sollte jede Lagerplanung individuell erfolgen. Das Ergebnis darf aber kein Lager„Maßanzug“ sein. Denn ein Maßanzug beginnt sowohl in der Logistik als auch im „echten Leben“ schnell zu zwicken, wenn man an Gewicht (bzw. Bestand) zulegt, und er beginnt zu rutschen, wenn man den Gürtel enger schnallen muss. Weiterhin kann man mit den meisten Maß- anzügen schlecht rennen, falls eine schnellere Gangart gefordert wird. Wenn ein Lager für wechselhafte Anforderungen bereits von Anfang an mit eingebauter Multifunktionalität errichtet werden soll, dann entstehen hierbei deutlich erhöhte Kosten im Bau- und Technik-Bereich. Man rüstet sich quasi mit Gürtel und Hosenträger gleichzeitig aus. Aber eine multifunktionale Anpassungsfähigkeit für spätere Veränderungen kann und muss bei geschickter Planung immer berücksichtigt werden. Deshalb sollten in jeder Planung die möglichen Veränderungen in alle Richtungen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen worden sein – wobei es sich bei den oben aufgeführten Beispielen nur um die elementarsten Anforderungen handelt. Durch diese Vorgehensweise wird vermieden, dass überraschende Marktentwicklungen zu bösen Überraschungen im eigenen Lager führen. CONSULTING & EX E C U T I O N Qualität ohne Grenzen Als global agierendes Unternehmen kennen und erfüllen wir Kunden- und Behördenanforderungen - überall auf der Welt. BERATUNG · KONZEPTION · DURCHFÜHRUNG GMP, GLP, GXP Validierungs- Masterplan Risikoanalyse TechnoPharm 2, Nr. 2, 94–99 (2012) © ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany) Audits Schulung & Training DQ, IQ, OQ, PQ www.gempex.de Kalibrierung IT-/Reinigungsvalidierung Reinraummessungen Sponheimer . Chaotische Lagerung 99 Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only Meist ändern sich so bei der Analyse die ursprünglich ins Auge gefassten Lagervorstellungen insoweit, dass nicht mehr „ein Hochregallager“ angestrebt werden sollte. Vielmehr ist es meist eine Kombination der besten Lösungen aus den verschieden Lagertechniken, wie automatischen Hochregal- und Kleinteilelägern, manuellen Lagerbereichen und z. B. Shuttlesystemen oder Satelliten-Lägern. Die „Rosinen“ für jedes Lager individuell aus dem Markt zu picken ist dabei die eigentliche Herausforderung.