Alltagskultur

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Alltagskultur
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Alltagskultur
Stromgitarre selber bauen
Von Thomas Kohler
Gitarristen brauchen nicht unbedingt
den finanziellen Ruin zu gewärtigen, um mit einem Instrument hinreichender Qualität auf der Bühne zu
stehen. Gut klingende Gitarren gibt es
schon für sehr kleines Geld. Und wer
es noch billiger mag, greift zum Eigenbau-Set.
D
ie drei Figuren auf der kleinen Club-Bühne wirken ein wenig verloren. Sie hampeln nicht energiegeladen rum wie die Mannen
von Red Hot Chili Peppers, und sie verzichten
auch auf Helden-Posen im Heavy-Metal-Stil.
Das derzeit wohl angesagteste britische IndieTrio Wave Pictures steht einfach nur da und
spielt. Erschwerend kommt hinzu, dass Gitarrist Dave Tattersall den üblichen Tricks seiner
Zunft abschwört: Er zieht den klaren Ton vor,
und spielt gänzlich ohne Verzerrer. Das verleiht der Band, die praktisch ausschliesslich
von Live-Konzerten lebt, den spröden Charme
von Vorgängern aus den späten 1950er Jahren
ensuite - kulturmagazin Nr. 116 | August 2012
Bilder: T. Kohler
– etwa der schwedischen Spotnicks oder der
britischen Shadows. Der Unterschied: Wave
Pictures rattern ihre Songs nicht Note für Note
deckungsgleich mit der Studioversion herunter, sondern improvisieren ihre Soli durchaus.
Auf die einfältigen Foxtrott-Tanzschritte und
den sägenden Twang-Sound der genannten
Vorbilder verzichten sie sowieso.
Guter Sound aus billigen Gitarren Wirklich
verblüffend ist, dass Wave Pictures auch beim
Equipment auf jegliches Posing verzichten. So
spielt Gitarrist und Sänger Tattersall hauptsächlich auf einer billigen Gitarre, die in China
gebaut wird – einer Danelectro ’63. Die Dano
’63 steht beim europäischen Branchenriesen,
dem auf Versand spezialisierten deutschen
Musikhaus Thomann, derzeit für schlappe 159
Euro im Katalog.
Zum Vergleich: Eine Les Paul, die legendärste aller Rockgitarren, kostet im vollen Ornat (mit Binding am Körper und Einlagen in
Perlmutt-Optik im Griffbrett) beim Originalhersteller Gibson mindestens 2’500 Franken.
Und wer ein streng nach den ursprünglichen
Spezifikationen gearbeitetes Instrument haben
möchte, muss dafür rund das Doppelte berappen. Echte Sammlerstücke aus den Produktionsjahren 1959 und 1960 wechseln an Auktionen gar für 100’000 bis 250’000 Franken den
Besitzer (je nach Zustand des Instruments).
Die Gibson Les Paul gilt entsprechend auch als
«Stradivari» der Gitarristen.
Am unteren Ende der Preisskala liegt ein
Les-Paul-Bausatz, den Thomann vertreibt: Das
Eigenbau-Instrument kostet 79 Euro. Kunden
aus der Schweiz zieht Thomann die deutsche
Warenumsatzsteuer ab, was den Kaufpreis auf
75 Euro verringert. Dafür fallen beim Verzollen
in der Schweiz 8 Prozent zusätzlich (Fr. 6.--) an.
Praktisch ist, dass das Versandhaus und DHL
den ganzen Papierkram erledigen.
Für unerfahrene Heimwerker geeignet «Ein
gewisses Mass an handwerklichem Geschick
ist Voraussetzung», wird Thomann nicht müde, in seinem online-Katalog zu betonen. Sogar
auf der Rechnung fehlt dieser Vermerk nicht.
Diese Warnung stammt freilich aus vergangenen Tagen. Einst hatten die Bausatz-Käufer
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Listening Post
Von Lukas Vogelsang
Jon Balke
Magnetic Works 1993 – 2001
D
er norwegische Jazzpianist Jon Balke
(1955) war mir bis anhin kein Begriff.
Allerdings scheint dieses vorliegende Doppelalbum, eine Compilation einer Album-Trilogie,
welche zwischen 1993 und 2001 entstanden
ist, die perfekte Gelegenheit, mein Unwissen
zu korrigieren. Mit Big-Band-Jazz konnte man
mich bisher oftmals jagen – Jon Balke hat mir
den Begriff neu definiert. Sehr angetan hat es
mir der zeitliche Horizont, welcher auf diesem
Album sehr schön die Musikgeschichte dokumentiert. Da ist viel Handwerk, Experimente
und vor allem eine gute Spannung zu hören.
Musik, die den Zuhörer einlullt, entführt – Kino
für die Seele eben. Dabei ist Jon Balke einfach
ein solider Pianist und Komponist, vielleicht ist
er vom norwegischen Klangvirus befallen – aber
auch die Art, musikalisch eine Geschichte erzählen zu können, beherrscht er bestens. Er hat
natürlich schon eine Hand für Theatralisches:
Er komponierte Musik für mehrere Schauspiele
und gewann auch Preise dafür. Gute Melodien,
Themen, gute Nachvollziehbarkeit, ohne Langeweile, gutes Klangerlebnis, und oft witzige Ausbrüche runden die Werke ab.
Interessant sind auch die MitmusikerInnen,
welche mit Jon Balke bereits zusammengearbeitet haben und welche zum Teil auch auf dem Album zu hören sind. Da sind Marilyn Mazur, Audun Kleive, Per Jorgensen – es gibt sogar Spuren
zum Schweizer Perkussionisten und Schlagzeuger Pierre Favre. Grund genug, den «Magnetic
Works» zu folgen. Grund genug, beim nächsten
Mal das Wort Big Band als Einladung zu verstehen und mich wieder darauf einzulassen…
ECM 2182/83
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Alltagskultur
die elektrischen Bauteile eigenhändig verlöten
müssen. Und das war mitunter recht knifflig.
Den heutigen Bausätzen liegen jedoch Tonabnehmer und Potentiometer bei, die nicht
verlötet, sondern einfach per Ministecker verbunden werden. Das ist kinderleicht, weil die
Kabel zwischen den einzelnen Bauteilen in
ihrer Länge so bemessen sind, dass nur die
richtige Montage möglich ist. Wer sich an die
mitgelieferte Bauanleitung hält, kann gar nicht
falsch vorgehen. Der Verfasser dieses Textes,
selbst mit zwei bemerkenswert linken Händen
gesegnet, schaffte die mit übertrieben grossen
Befürchtungen in Angriff genommene Elektromontage problemlos. Auch die übrigen «Bauarbeiten» sind jeder und jedem leicht möglich
und setzen kein Ingenieur-Studium voraus.
Die Bausatz-Les-Paul kommt unlackiert ins
Haus. Aber auch das stellt selbst ungeschickte Handwerker nicht vor unlösbare Rätsel. Das
weisse Binding am Korpus und am Hals der
Gitarre lässt sich leicht mit Maler-Klebeband
(aus Papier) abdecken. Danach ist das Instrument bereit fürs Lackieren. In Do-it-yourselfGeschäften finden sich dazu Holzlacke in diversen Farben (von «Mahagoni» über «Ahorn»
bis zu dunklem «Walnuss»). Den Lack dünn mit
einem billigen Schaumstoff-Roller (Stückpreis
mit Griff um die 6 Franken) auftragen, und
Korpus und Hals zum Trocknen aufhängen. Die
lackierten Bauteile haben beide Bohrlöcher
und lassen sich somit einfach zum Trocknen
aufhängen. Drahtkleiderbügel, wie man sie in
der Chemisch-Reinigung bekommt, eignen sich
dafür besonders gut.
Die Löcher zum Anbringen/Festschrauben
der Beschläge (Stimmschlüssel am Hals, Saitensteg und -halter sowie Klinkenbuchse am
Korpus) sind allesamt vorgebohrt. Nach einer
knappen Stunde Arbeit kann die Erbauerin
oder der Erbauer das fertige Instrument stolz
in den Verstärker einstöpseln.
Kann sich hören lassen Dort erwartet sie
die letzte und freudigste Überraschung des
Eigenbaus: Die Billig-Les-Paul klingt wirklich
gut. Und das, obwohl ihre Klanghölzer nicht
mit dem Original von Gibson übereinstimmen.
Beim Eigenbau besteht der Korpus aus Linde,
der Hals aus Ahorn mit Palisander-Griffbrett.
Ahorn verbaut zwar auch Gibson ­– namentlich
bei sündhaft teuren Jazz- und SemiakustikGitarren. Aber Linde (engl. «Basswood») als
Klangholz wird ansonsten nur beim grossen
Gibson-Konkurrenten Fender eingesetzt. Dennoch steht schon nach den ersten gespielten
Licks fest: Das Billigteil kann sich durchaus sehen, respektive hören lassen.