Publisher 5-05:Vektorgrafik

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Publisher 5-05:Vektorgrafik
Fokus
Publisher 5 · 2005
Vektorgrafik
Viele – und neue – Wege führen zu
schönen Kurven
Adobe Illustrator, Macromedia Freehand und CorelDraw sind nicht die allein selig
machenden Vektorgrafikprogramme. Es gibt günstige und sogar kostenlose Werkzeuge für
Illustrationen, Diagramme oder technische Zeichnungen.
■ MATTHIAS SCHÜSSLER Die Welt
der Vektorgrafik ist wohl geordnet und
beherbergt mit Illustrator, Freehand
und CorelDraw drei erprobte Werkzeuge. Mit diesen drei Programmen
lässt sich quasi «alles» machen. Sowohl
Gelegenheitsanwender wie Dauernutzer finden für ihre Arbeit alle nötigen
Befehle, und ob man das eine, das andere oder das dritte Programm bevorzugt, ist eine Frage der Vorliebe und
hängt davon ab, bei welchem der drei
Produkte man mit seiner Arbeit am
besten vorankommt.
Kostenlose Konkurrenz
Es gibt also – eigentlich – keinen
Grund, sich mit neuen Vektorgrafikprogrammen zu beschäftigen. Trotzdem sind in der letzten Zeit einige
neue Vektorgrafikprogramme auf dem
Markt erschienen. Zum einen sind mit
Sodipodi und Inkscape zwei kostenlose Programme aus der Open-SourceSzene am Anrollen. Zum anderen tut
sich auch bei den kommerziellen Anbietern Neues. Microsoft ist mit keinem geringeren Ziel beschäftigt, als
den Unterschied zwischen Vektor und
Bitmap zum Verschwinden zu bringen.
Der Softwarekonzern arbeitet an einem
Produkt namens Acrylic. Microsoft hat
2003 die Softwareschmiede Creature
House und deren Produkt Expression
übernommen. Bei diesem handelt es
sich um ein Vektorgrafikprogramm mit
vielen Echtzeit-3-D-Effekten wie Beleuchtung, fransligen Rändern und Comic-Linien. Gates’ Entwickler sind nun
dabei, aus Expression ein AllroundGrafikprogramm zu entwickeln, das
mit Vektorgrafik gleichermassen umgehen kann wie mit Bitmaps – «Vector?
Bitmap? It doesn’t care» heisst das bei
Microsoft.
Während es still wird um die alte
Garde der Vektorhaudegen, schleicht
sich eine neue Generation an Illustrationsprogrammen an den Start. Die
Antriebsfeder der Entwickler von Sodipodi und Inkscape ist klar – wer
auf freie Software setzt und mit dem
Betriebssystem Linux arbeitet, musste
bislang auf Vektorgrafik verzichten,
sofern er auch für ein Vektorgrafikprogramm nichts bezahlen wollte. Mit den
beiden kostenlosen Neulingen ist das
nun nicht länger der Fall.
Auch SVG ist ein fruchtbarer Dünger für
neue Vektorgrafikprogramme. Das Scalable-Vector-Graphics-Format ist ein of-
fener (nicht proprietärer) Standard für
zweidimensionale Vektorgrafiken. Das
World Wide Web Consortium (W3C)
steht seit 2001 hinter SVG, und man
darf damit rechnen, dass die Browser
der nächsten Generation SVG ohne
Extra-Plug-in anzeigen können (Firefox
und Opera beherrschen SVG schon,
Internet Explorer benötigt den SVGViewer von Adobe). Das skalierbare
Vektorformat hat gute Chancen, in näherer Zukunft Webseiten mit schlanken
Grafiken, Illustrationen und Animationen verschönern zu können. Das SVGFormat kann im Unterschied zu EPS
oder AI Objekte auch animieren.
Im Moment ist es ruhig um SVG, doch
das dürfte sich ändern, sobald die
Browser auf breiter Front mit dem
neuen Format umgehen können und
die Webdesigner auf den Geschmack
kommen. An Werkzeugen herrscht
längst kein Mangel mehr. Nebst Sodipodi und Inkscape gibt es auch kommerzielle Lösungen wie XStudio6 von
Evolgrafix. Und natürlich beherrschen
auch Illustrator und CorelDraw den
Export zu SVG.
Zwanzig Jahre Vorsprung der
Platzhirsche
Bezüglich Features und Funktionen
hinken die Vektorneulinge bislang hinterher. Das ist kein Wunder. Aldus
Freehand 1 erschien 1988, CorelDraw
1 1989, Illustrator sogar schon 1985
– gegen solch geschichtsträchtige Vektorerfahrung ist schwer anzukommen.
Das ist aber nicht a priori ein Nachteil.
Für die vielen Gelegenheitsanwender
bieten die etablierten Vektorwerkzeuge oft zu viel des Guten. In der langen Zeit der Evolution hat mitunter die
Bedienbarkeit und Übersicht gelitten
– ganz zu schweigen von der Arbeitsgeschwindigkeit. Neue, von Grund auf
frisch entwickelte Programme können sich auf die zentralen und wichtigen Werkzeuge konzentrieren, sich
die besten Konzepte der altbewährten
Vektorprogramme aneignen und sie
über eine durchdachte und einleuchtende Benutzeroberfläche zugänglich
machen.
Sodipodi und Inkscape: mehr sein als scheinen
Sodipodi und seine Inkarnation
Inkscape sind so kostenlos wie der
berühmte geschenkte Gaul und
kommen trotzdem ohne Pferdefuss
aus. Was den Funktionsumfang
anbelangt, sind Sodipodi und Inkscape mit soliden Basiswerkzeugen
ausgestattet. Über das Werkzeug
zum Auswählen lassen sich die
Vektorobjekte verschieben und in
die Länge oder Breite ziehen. Ohne
Dialogfeld oder Leiste stellt man
bei Rechtecken die Rundung der
Ecken ein und macht aus einem
vollen Kreis einen segmentierten.
Auch Skalieren, Drehen, Schneiden
und Spiegeln ist direkt mit dem
Auswahlwerkzeug möglich. Grundsätzlich löst man in Sodipodi viele
Aufgaben per Maus. Beispielsweise
die Verläufe: Mit dem Farbverlaufstool platzierte Füllungen zeigen
Anfasser, mit deren Hilfe die
Ausrichtung und die Abstufung des
Verlaufs wunschgemäss eingestellt
werden können. Sodipodi und
Inkscape können mit Transparenz
umgehen, bieten eine Reihe von
Verschmelzungs- und Kombinierungsmöglichkeiten für Objekte
(bei Illustrator kennt man diese
Funktionen als «Pathfinder»), sind
in der Lage, Objekte zu gruppieren
und Bitmap-Objekte in Vektoren
umzuwandeln (zu tracen). Als
Füllmuster kommen nicht nur
flächige Farben oder lineare bzw.
radiale Verläufe in Frage, sondern
auch Vektorfüllmuster, die sich
über den Befehl «Bearbeiten > In
Füllmuster umwandeln» einfach
aus einem bestehenden Objekt
kreieren lassen.
Für Objekte gibt es die Möglichkeit
des Klonens: Das geklonte Objekt
bleibt an sein Muster gekoppelt
und macht Modifikationen, die
diesem angedeihen, ebenfalls mit.
Über die Palette «Anordnen und
Abstände angleichen» verteilt man
seine Objekte und richtet sie aus.
Diese Palette funktioniert ähnlich
wie ihre Pendants aus Illustrator
oder InDesign, kann Objekte aber
zusätzlich auch «Entklumpen» (die
Zwischenabstände werden angeglichen) oder zufällig verteilen.
Die beiden Programme speichern
Dokumente natürlich im Format
SVG, verstehen sich aber auch auf
den EPS-Export. Zusätzlich findet
man im Speicherdialog auch das
Latex-Format und kann Elemente
für die freie Rendering-Software
PovRay ausgeben.
Inkscape und Sodipodi eignen
sich bestens für den gelegentlichen
Gebrauch. Wie es mit den Programmen weitergeht, ist offen – als
zentrales Produktionsmittel ist die
Software nicht geeignet.
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Fokus
Bislang spielen Sodipodi und Co.
diese Stärken aber nur bedingt aus.
Als Open-Source-Programme stammen
sie aus der Linux- bzw. Unix-Welt, und
dort ist es oft noch schlechter um die
Benutzerfreundlichkeit bestellt als bei
den Programmen für Windows. Durch
die Portierung leidet oft auch die Geschwindigkeit: Sodipodi hat zwar interessante Funktionen, ist aber sowohl bei
der Geschwindigkeit wie auch bei der
Bedienbarkeit kein Vorbild. Ähnlichkeiten zu dem Bildbearbeitungsprogramm
Gimp (siehe Publisher 3-2004 ab Seite
47) sind, vor allem was die eher ungewohnte Bedienung angeht, nicht zufällig. So kommt es, dass unter dem
Namen Inkscape eine so genannte Fork
(Abspaltung) von Sodipodi erhältlich
ist, die mit einer einfacheren Benutzeroberfläche aufwarten will.
Bedienung unzureichend
Inkscape wird diesem Anspruch teilweise gerecht: Die Bedienung ist stringent und einleuchtend und einfacher
als bei Sodipodi, wo die Werkzeugpaletten als frei schwebende Fenster
konzipiert sind und darum immer mal
wieder verloren gehen. Der Look des
Programms kann aber auch mit viel
Wohlwollen nur als dröge bezeichnet
werden. Wie bei anderen Open-SourceProgrammen kann man sich bei Inkscape des Eindrucks nicht erwehren,
dass sich die Entwickler regelrecht gegen ein ansprechendes Screendesign
sträuben. Mit dem kargen Look aus der
Unix-Welt ist auf dem Mac kein Staat
zu machen, und auch Windows-Anwender sind sich Programme gewohnt,
die schöner anzuschauen sind – aber
da Inkscape und Sodipodi noch nicht
zu Ende entwickelt sind, darf man auf
eine ansprechendere Optik hoffen.
Wer es bei der Mission Vektorgrafik
noch für verfrüht hält, mit den Vertretern der Open-Source anzubandeln,
und trotzdem als Gelegenheitsanwender keinen Bedarf für eine teure Software wie Freehand oder Illustrator hat,
der sollte einen Blick auf ZonerDraw
werfen. Die Version 3 von ZonerDraw
gibt es als kostenlosen Download (auch
auf www.publisher.ch), und die aktuelle
Version 5 ist online um 50 USD (ca. 63
Franken) zu haben. Für Version 4 zahlt
man bei www.arctis.ch oder tradeup.ch
übrigens schlappe 20 Franken.
Impulse von Microsoft
Auch wenn Microsoft selten als innovative Kraft in Erscheinung tritt und die
viel versprechenden Konzepte in Acrylic
durch den Aufkauf von Creature House
in Microsofts Besitz gelangten – im
Bereich der Vektorgrafik kommen die
besten Impulse zurzeit aus Redmond.
Das müsste dem Platzhirsch zu denken
geben. Während Adobe bei Illustrator Detailpflege betreibt, verschmilzt
Microsoft mit mutig-dreister Nonchalance Vektor- und Pixelbearbeitung zu
einem einzigen Produkt. Acrylic hat das
Potenzial, vom Fleck weg zum Liebling
der kreativen Gestalter und zum Bildbearbeitungsprogramm der nächsten
Generation zu werden.
■
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Acrylic: Microsofts neuer Wind in der Vektorwelt
Microsoft traut man im Bereich der
Grafikbearbeitung per se nicht viel
zu; die in Windows eingebauten
Bildbearbeitungstools verdienen
allesamt das Prädikat «dürftig bis
unbrauchbar». Mit Acrylic hat der
Softwareriese jetzt aber ein viel versprechendes Programm am Start.
Die Oberfläche ist aufgeräumt
und erinnert aufgrund der vielen
Paletten an Adobe-Programme.
Wie in Photoshop Elements gibt
eine «Hint»-Palette Erläuterungen
zu gewählten Werkzeugen zum
Besten.
Eine Besonderheit ist die Verheiratung von Vektoren und Pixeln.
Richtet man eine neue Ebene ein,
darf man zwischen «Pixel Layer»
und «Vector Layer» wählen. Je
nach Wahl ändern sich die Utensilien in der Werkzeugpalette; wobei
bislang die Tools für die Vektorbearbeitung deutlich umfangreicher
ausgefallen sind. Es gibt diverse
Pinsel, die unterschiedliche
Malwerzeuge und -materialien
simulieren. Praktisch auch das Zeichentool B-Spline: Damit zeichnet
man Geraden, an die Acrylic dann
Vektorkurven anschmiegt – so
kann man sanfte Kurvenverläufe
präzise konstruieren. Auch das
Drehen und Schneiden von Objekten funktioniert simpel: Microsoft
hat sich ganz offensichtlich viele
Gedanken zu der Bedienerführung
gemacht und dabei ein unaufdring-
liches, aber funktionales Programm
geschaffen.
Acrylic bringt einige der leistungsfähigen Konzepte aus der pixelbezogenen Bildbearbeitung in die
Welt der Vektoren. Beispielsweise
die verschiedenen Überblendmodi
für Objekte. Setzt man diesen auf
«Eraser» und legt zwei Objekte
übereinander, dann dient das
obere als Stanzform, die Partien
aus dem unteren herauslöscht.
Weitere Überblendmodi mischen
Objekte additiv oder subtraktiv
oder ermitteln die farbliche Differenz. Color Dodge hellt die Farbe
des darunterliegenden Objekts auf,
und Color Burn brennt die Farbe
im darunterliegenden Objekts ein.
Für die Kontur einer Linie hält
Acrylic nebst dem Verlauf auch
die Option «Skeletal» bereit, die
komplexe Strukturen entlang eines
Pfades aufträgt.
Ein Highlight sind auch die Ebeneneffekte, wie man sie aus Photoshop
kennt. In sieben Kategorien gibt es
gut fünfzig Effekte. Mit ihrer Hilfe
steuert man Farbe und Kontrast,
stattet die Elemente einer Ebene
mit einem Glühen oder Schlagschatten aus, bringt Oberflächeneffekte
wie Wellen oder Prägung ein oder
simuliert Papier oder Fotokorn.
Zoner Draw: für die simple Grafik zwischendurch
Die Macher von Zoner Draw
kennen CorelDraw, das zeigt
sich nicht nur daran, wie das
Programmfenster organisiert ist,
sondern auch an der Ausgestaltung
vieler Dialogboxen. Die Entwickler
haben sich aber das richtige Vorbild gesucht: Die Kanadier haben
in Sachen Benutzerfreundlichkeit
hervorragende Arbeit geleistet (es
allerdings auch immer wieder fertig
gebracht, die Übersichtlichkeit
ihrer Software mit immer neuen
Funktionen zunichte zu machen)
und entsprechend simpel ist Zoner
Draw in der Bedienung.
Der Funktionsumfang bei der
kostenlosen Version 3 ist auf das
absolut Nötigste beschränkt, aber
für einfache Infografiken oder
Illustrationen ausreichend. Immerhin beherrscht das Programm
auch Transparenz und kann mit
mehreren Ebenen umgehen. Ein
Nachteil sind die mangelnden
Exportoptionen; einzig WMF
steht als Vektorformat zur Verfügung. Exportiert man via den
generischen Postscript-Treiber von
Adobe, kommt man immerhin zu
soliden EPS- oder PDF-Dateien. Die
Version 3 ist wie erwähnt gratis
im Publisher-Downloadbereich verfügbar, wer die Software benützen
will, muss sich registrieren lassen.
Die Version 5 von Zoner Draw
ist für die wichtigsten Formate
offen. Auch diese Version eignet
sich eher für Anwender, die eine
aufgeräumte Oberfläche einer
unübersichtlichen Funktionsvielfalt
vorziehen. Zoner Draw 5 bietet ein
Tutorial, kann mit der Funktion
«Neu nach Assistent» massgeschneiderte Kalender drucken, und
wartet im Fenster «Galerie > Logische Operatoren» mit einer Pathfinder-Funktion auf. An sich gelungen
ist die Idee für fraktale Füllmuster
– da sich aber nur wenig einstellen
lässt, sind die Einsatzmöglichkeiten beschränkt.
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