Tipps für Schmerzpatienten bei Hitze

Transcrição

Tipps für Schmerzpatienten bei Hitze
27. Jahrgang 2011
Ehemals StK
3 I 2011
Editorial
Was Du nicht willst … __________________ 2
Schmerzkonsil
Was ist bei Schmerzpflastern und Hitze zu
beachten? ____________________________ 4
Originalie
Die sozialmedizinische Begutachtung von
Schmerzsyndromen ___________________ 6
Palliativmedizin
Patientenkontrollierte Analgesie (PCA)
im Rahmen ambulanter Palliativmedizin _10
Kongresse/BVSD
2. BVSD-Kongress SPAS ______________12
Psychiatrie
Schizophrenie und Schmerz ___________14
Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag
Mit bilanzierter Diät erfolgreich gegen die
Migräne? ____________________________17
Schmerztherapie und Umwelt
„CT-gesteuerte minimalinvasive“
Verfahren ____________________________18
Medizin und Recht
Interessante Rechtsprechung
zum Arztberufsrecht __________________20
Pharmakotherapie
Arthroseschmerzen mit starken Opioiden
wirksam und verträglich lindern _________22
Deutsche Schmerzliga _______________24
Der Schmerzfall aus der Praxis
Neuropathische Schmerzen nach
Halswirbelfraktur _____________________25
DGS Termine / Nachrichten ___________26
Bücherecke ________________________27
Tipps für Schmerzpatienten
bei Hitze
www.dgschmerztherapie.de
ISSN 1613-9968
Editorial
Was Du nicht willst …
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.“ Dieses
Sprichwort ist Ihnen seit Ihren Kindertagen geläufig. Es skizziert einen klaren
Verhaltenskodex, mit der Aufforderung, bei andern alles zu unterlassen, was
man selbst nicht erfahren möchte – eine Verhaltensregel also, die vernünftig für
den zwischenmenschlichen Umgang ist und der zu folgen im Allgemeinen nicht
schwierig sein sollte. Diffiziler wird dies alles mit der neutestamentlichen Aufforderung: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Sie fordert auf zu proaktivem
Handeln, sind wir doch auch bereit, für uns selbst und unser Wohlergehen in
vielfacher Weise aktiv zu werden.
Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen befin­
den sich viele Patienten mit chronischen Schmer­
zen in Deutschland: Anderen keinen Schmerz zuzufü­
gen erscheint nicht so schwierig, sich aktiv um ihre
Sor­gen und Leiden zu kümmern, stellt eine immense Heraus­
forderung dar.
Schauspielerin, Journalistin und Ärztin zu einem Zeitpunkt,
an dem die meisten Menschen das aktive Berufsleben ab­
schließen und sich den schönen und genussvollen Seiten des
Lebens zuwenden, die Herausforderung angenommen, sich
mit ihren vielfältigen Talenten um die Vergessenen, Ausge­
stoßenen und zu kurz Gekommenen in unserer Gesellschaft
– die chronischen Schmerzpatienten – zu kümmern.
Happy Birthday
Jahrzehntelanges Engagement
© M. Koch privat
Dr. med. Marianne Koch, die am 19. August dieses Jahres
ihren 80. Geburtstag feiern kann, hat diese Herausforderung
für sich ganz persönlich angenommen. Wegschauen und sich
Wegducken war in den vielen Berufen und Lebensbereichen,
die Dr. Marianne Koch gelebt hat, nie ihre Lebenseinstel­
lung. So hat sie nach turbulenten Jahren in einem Leben als
Marianne Koch in ihrem Arbeitszimmer, in dem sie unermüdlich für schmerzkranke Menschen wirkt.
2
Gerhard H. H. MüllerSchwefe, Göppingen
Seit 1997 hat sie ihr Wissen und Ihre Erfahrung als Ärztin,
ihre Intelligenz, ihre Empathie und ihre Popularität mit einer
unglaublichen Schaffenskraft für die Belange schmerzkranker
Patienten eingesetzt. In zahllosen Artikeln und Büchern, in
Rundfunk und Fernsehsendungen, in unzähligen Vorträgen
und Moderationen, in Gesprächen mit Journalisten, Politikern
und Funktionären hat sie ihre Stimme für viele Menschen in
Not erhoben und dafür gesorgt, dass das Leiden chronisch
schmerzkranker Menschen öffentlich wahrgenommen wird.
Als Präsidentin „zum Anfassen“ hat sie ihr Ohr jedem
einzelnen Patienten und Gegenüber geliehen, sein Anliegen
und seine Not zu ihrem Anliegen gemacht und Konsequenzen
ergriffen. Höchstpersönlich hat sie sich in die Politik einge­
mischt, sei es in dringend einberufenen Gesprächen mit dem
Vorstand der kassenärztlichen Bundesvereinigung, mit Minis­
tern, Gesundheitspolitikern aller Parteien oder, wie zuletzt,
mit dem von ihr persönlich vor dem Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages vertretenen Anliegen, Patienten vor
den oft verheerenden Folgen einer zwangsrabattierten Aus­
tauschpflicht von Opioiden zu bewahren.
Nicht Repräsentieren, sondern Formen und selbst Gestal­
ten war stets ihr Anliegen – sei es in den Vorstandssitzungen
der Deutschen Schmerzliga, die sie stets persönlich geleitet
hat, in zahllosen Moderationen von Patientenforen und Infor­
mationsveranstaltungen und auf den Jahrestagungen der Lei­
ter regionaler Selbsthilfegruppen der Deutschen Schmerzliga.
Vorbildlich für uns alle ist ihr unermüdlicher Einsatz,
der nicht nur dem galenischen Prinzip „nihil nocere“ also
niemanden schädigen, folgt, sondern oft unter großen Be­
schwerden, langen Reisestrecken, Termindruck und nicht
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Leserecho
unser aller Dank und Anerkennung. Ihre Auszeichnung mit
dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland 2002
ist nur ein äußeres Zeichen dieser Anerkennung. Viel wich­
tiger für sie selbst sind die Hoffnung, Zuversicht und Lebens­
perspektiven, die sie vielen Tausend Menschen in dieser
Republik wiedergegeben hat.
Liebe Marianne,
heute, am 19. August 2011, an Deinem Geburtstag, gilt Dir
unser aller Glückwunsch aber auch unser Dank. Es ist be­
glückend, mit Dir arbeiten zu dürfen und Dich zu erleben. Ich
wünsche Dir und allen Patienten mit chronischen Schmerzen,
dass Dir Deine Freude, Begeisterungsfähigkeit und Schaf­
fenskraft auch als Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerz­
liga lange erhalten bleibt. Ich freue mich auf viele Jahre enger
Zusammenarbeit mit Dir.
Herzlichst
Marianne Koch geht als Präsidentin, kommt jedoch als
neue Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerzliga
immer angenehmen Gesprächspartnern Menschen mit chro­
nischen Schmerzen, leidende Menschen, in den Mittelpunkt
ihrer Arbeit gestellt hat. Wer in so wunderbarer Weise seine
Talente, Energie und Lebenszeit für andere einsetzt, verdient
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe
Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.
© matttilda – fotolia.com
Neue Opioidphobie im Vormarsch
Erfahrungen vieler Schmerzpatienten bestätigen den Trend, dass zunehmend auch
qualifizierte Schmerztherapeuten von der
Verordnung von Opioiden zurückschrecken
und lieber riskante NSAR oder Coxibe verordnen. Dies zeigt der Leserbrief von A. G.
aus Maintal/ Hochstad.
S
ehr interessiert habe ich Ihren Artikel
„Die Scheiterhaufen brennen wieder“ in
Ausgabe 2/2011 der „Schmerztherapie“ gele­
sen. Ich bin seit vielen Jahren Schmerzpatient,
Mitglied der DSL, ehemaliges Mitglied
Deutschlands ältester Selbsthilfegruppe für
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
chronische Schmerzen (Frau Gibson) sowie
Initiator einer neuen Selbsthilfegruppe für „Jun­
ge Menschen mit chronischen Schmerzen
(U50)“ in Frankfurt am Main.
Sinneswandel aus Angst vor Regress
Auch ich musste jüngst feststellen, dass offen­
sichtlich eine – wie Sie es formulieren – „neue
Opioidphobie um sich greift“. Besonders er­
schreckend finde ich jedoch, dass sich jene
Entwicklung nun auch bei den Schmerzthera­
peuten zeigt. Von Ärzten anderer Disziplinen
wie z.B. Orthopäde, kennt man dies ja bereits
(„Sie nehmen Opiate? Um Himmels willen! Bit­
te setzen Sie diese sofort ab!“). Ich war in
jüngster Vergangenheit bei zwei Schmerzthe­
rapeuten. Beide versuchten bzw. versuchen
mich, trotz bestehender chronischer Rücken­
schmerzen, dazu zu bewegen, das momentan
verabreichte Opioid (Tilidin retard) abzusetzen
und stattdessen mit Voltaren und Celebrex wei­
terzumachen. Gerade bei meinem früheren
Schmerztherapeuten hat mich dies besonders
gewundert, da dieser seit Jahren glühender
Verfechter von Opioiden war. Deshalb auch der
Wechsel zu einem anderen Schmerzthera­
peuten, welcher - wie gesagt - ebenfalls in die­
se Richtung tendiert.
Licht im Dunkel?
Mir drängt sich massiv der Eindruck auf, dass
die bisher Opiate verordnenden Ärzte einge­
schüchtert werden. Patienten sprechen sogar
von Regressen. Offenbar haben jene Ärzte bis­
her nicht die o.g. Ausgabe der „Schmerzthera­
pie“ gelesen. Sowohl Ihr Artikel als auch der
Artikel „Licht im Dunkel der Leitlinien“ mit den
Qualitäten der Kombination aus Oxycodon und
Naloxon bei chronischen Rückenschmerzen
hätte hier sicherlich für andere Vorgehenswei­
sen sorgen können.
Mit freundlichen Grüßen
A. G.
3
Schmerzkonsil
Was ist bei Schmerzpflastern und
Hitze zu beachten?
Kann man mit transdermalen Schmerzpflastern problemlos in den Süden fahren
oder verändert sich die Resorption bei Hitze dramatisch? Dürfen Patienten damit
Sport treiben, unter den Sonnenschirm oder gar in die Sauna? Diese Fragen beantwortet Dr. med. Stefan Kusnik, Kinder- und Jugendklinik und interdisziplinäres
Schmerz­zentrum, Universitätsklinikum Erlangen.
S
eit Anfang der 1990er-Jahre erfreuen
sich transdermale Systeme auch in der
Schmerztherapie zunehmender Beliebtheit,
nachdem schon zuvor für andere medizinische
Indikationen Pflaster mit z.B. Nicotin, Nitro­
glyzerin und Scopolamin auf den Markt gebracht worden waren. Mittlerweile sind in der
Schmerztherapie Pflastersysteme mit Fentanyl, Buprenorphin, Lidocain, Diclofenac und
neuerdings auch Capsaicin verfügbar. Da zumindest von Fentanyl in der Zwischenzeit mehrere generische Produkte verfügbar sind und
die Verschreibungsraten für transdermale
Opioide in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg verzeichnen, stellt diese Form
der Medikamentenverabreichung „über die
Haut“ einen wichtigen Faktor in der Gesamt­
bevölkerung dar. Deswegen und aufgrund der
Tatsache, dass die transdermale Resorption
aus solchen Pflastersystemen erheblich von
der Hauttemperatur, der Hautfeuchtigkeit und
weiteren lokalen Faktoren wie dem venösen
Abtransport in den systemischen Kreislauf ab-
hängt, stellt sich die Frage, inwiefern bzw. ob
transdermal therapeutische Systeme (TTS)
durch weitverbreitete Freizeittätigkeiten wie
Sauna, Solarium, Sport, Fitness, aber auch
durch lange Aufenthalte in der prallen Sonne
oder Reisen in heiße Urlaubsländer beeinflusst
werden. Da bisher ausführliche Stu­dien zu diesem Thema fehlen, stützen sich die meisten
Erkenntnisse auf Fallberichte.
Saunaaufenthalt
In den Fachinformationen vieler TTS finden
sich explizite Hinweise darauf, dass bei einem
Saunabesuch mit erhöhter Wirkstoffresorption
aus dem Pflaster und somit unerwünschten
Nebenwirkungen bzw. sogar Überdosierungen
mit fatalen Folgen zu rechnen ist. Studien im
Rahmen der Einführung des Fentanyl-TTS zeigen, dass bei einer Erhöhung der Hauttemperatur um 5 °C verdoppelte Fentanyl-Plasmaspiegel im Blut resultieren [1]. In einer noch
nicht vollständig publizierten Untersuchung,
die bei uns im Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangens durchgeführt wurde,
fanden sich im Rahmen eines zehnminütigen
Saunaaufenthaltes von chronischen Schmerz­patienten, die mit Buprenorphin-TTS in
verschiedenen Dosierungen behandelt
wurden, signifikant erhöhte Buprenorphinspiegel im Blut [2]. Eine erhöhte Rate
an opioidtypischen Nebenwirkungen
konnte dagegen nicht festgestellt werden. Auch war
keine bessere Analgesie
zu beobachten, obwohl ja
durch die Hitze von einer
Fragen, Kritik, Anregungen:
Schreiben Sie der Redaktion!
[email protected]
4
Stefan Kusnik,
Erlangen
schnelleren und besseren Anflutung des Bu­
prenorphins auszugehen ist. Außerhalb der
Schmerztherapie existiert nur eine einzige Studie über Nicotin-TTS und Sauna [3]. Auf diesem Gebiet sind weitere Untersuchungen für
die Zukunft also sicher wünschenswert und
sinnvoll.
Für Solariumbesuche existieren zum jetzigen Zeitpunkt noch keinerlei Daten oder Fallberichte, jedoch ist auch hier von einem ähnlichen Gefährdungspotenzial für TTS-Patienten
wie bei einem Saunaaufenthalt auszugehen.
Sport
Newshan berichtet über einen Fall von Fentanyltoxizität bei einem HIV-Patienten, der im
Rahmen eines Sommercamps bei extremer
sportlicher und handwerklicher Tätigkeit in der
prallen Sonne mit Miosis, Atemdepression und
Koma aufgefunden wurde [4]. Zudem existieren Fallberichte bezüglich Überdosierungen
bei Nikotin-TTS während der Ausübung von
sportlichen Aktivitäten wie z.B. Squash, Karate
und Eishockey [5]. Auch über symptomatische
Überdosierungen nach Sport und einer heißen
Dusche wurde in Einzelfällen berichtet [6]. Zudem existieren mehrere Studien über erhöhte
Wirkstoffabgabe aus Pflastern bei sportlicher
Betätigung wie Langstreckenlauf oder Hometrainer/Fahrradergometer [7, 8, 9, 10, 11, 12,
13, 14]. Vor Kurzem veröffentlichten Lenz und
Gillespie eine Übersicht über bisher publizierte Fallberichte und Studien zum Thema Ausdauersport und erhöhte Wirkstoffresorption
aus transdermalen Systemen [15].
Heißes Wetter
Für Clonidin-TTS existieren Daten über erhöhte Wirkstoffabgabe, wenn das Pflaster in
den heißen Sommermonaten im Vergleich zu
den kälteren Wintermonaten getragen wurde
[16]. Beggs sieht in seiner Übersichtsarbeit
sogar im Rahmen des zu erwartenden Klimawandels hin zu heißeren und feuchteren Wet-
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Schmerzkonsil/Infotelegramm
terlagen ein Risiko für einen Anstieg von unerwünschten Nebenwirkungen durch erhöhte
Freisetzungsraten aus transdermalen Systemen [17]. Zum Teil wird sogar gefordert, bei
Reisen in heiße Länder vorher die Dosis des
klebenden Opioid-TTS zu reduzieren oder für
die Dauer der Urlaubsreise lieber auf orale
Opioide umzusteigen [4].
Andere Einflussfaktoren
Auch für beruflich bedingte Hitzeexposition wie
z.B. bei der Arbeit an einem Hochofen sind
Überdosierungen bei Fentanylpflastern beschrieben [18]. Außerdem existieren mehrere
Fallberichte über erhöhte Wirkstoffabgaben
aus transdermalen Pflastern nach versehentlicher, aber auch absichtlicher Applikation
eines Heizkissens an der Pflasterstelle sowohl
für Fentanyl [19, 20, 21, 22] als auch für Lidocain [23] und Nitroglycerin [24]. Dies ist vor
allem auch im intraoperativen Kontext zu beachten, wo oftmals Heißluftsysteme o. Ä, am
Patienten angebracht werden, um ein Auskühlen während der Operation zu vermeiden [25].
Anekdotische Berichte sind außerdem für
Überdosierungen nach Anbringen einer Trockenhaube beim Friseurbesuch in unmittelbarer Nähe eines klebenden Fentanyl-Pflasters
bekannt [26].
Kritisch zu bewerten ist darüber hinaus der
Einsatz von transdermalen Systemen, wenn
beim Patienten Fieber vorliegt. Hierfür sind
ebenfalls bereits Fälle von Überdosierungen in
der Literatur beschrieben worden [27]. In fast
allen Fachinformationen der gängigen TTS
wird auf eine erhöhte Gefährdung des Patien­
ten ab 38,5 °C Fieber hingewiesen.
Lidocain Schwindel, Arrhythmien o. Ä.) zu achten. Sowohl eventuelle Begleitpersonen als
auch das im Fall einer bedrohlichen Überdosis
herbeigerufene Rettungsdienstpersonal sollten
vermehrt auf Symptome einer solchen „Überdosis aus dem Pflaster“ achten.
■
Stefan Kusnik, Erlangen
E-Mail: [email protected]
Literatur beim Verfasser
INFO-Telegramm
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Organ der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie
Herausgeber
Gerhard H. H. Müller-Schwefe,
Schillerplatz 8/1, D-73033
Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477
E-Mail: [email protected]
Schriftleitung
Thomas Cegla, Wuppertal; Oliver Emrich, Ludwigs­hafen; Klaus
Johannes Horlemann, Kevelaer; Stephanie Kraus (verantw.),
Stephans­kirchen, Tel.: 08036/1031; Michael ­Überall, Nürnberg
Beirat
Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; HeinzDieter ­Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert,
Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle;
Gideon Franck, Fulda; Gerd Geiss­linger, Frankfurt; Hartmut Göbel,
Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein
Husebø, Bergen; Uwe Junker, Remscheid; Uwe Kern, Wiesbaden;
Edwin Klaus, ­Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing;
Bernd Koßmann, Wangen; Michael Küster, Bad Godesberg-Bonn;
Klaus Längler, Erkelenz; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A.
Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek,
Bonn; Thomas Nolte, Wiesbaden; Robert ­Reining, Passau;
Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter ­Schütze, Iserlohn; Harald
Schweim, Bonn; Hanne ­Seemann, ­Heidelberg; Ralph Spintge,
Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; ­Roland Wörz, Bad
Schönborn; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg
In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für Algesiologie
– Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung und Schmerztherapie; Deutsche Akademie für Algesiologie – Institut für
schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; Deutsche
Gesellschaft für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische
Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche Gesellschaft für
Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung
in Schmerztherapie und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband
der Schmerztherapeuten in Deutschland e.V. (BVSD).
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffent­lichung erwirbt
der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der
weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe
fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie
alle in ihr enthaltenen ­einzelnen Beiträge und Abbildungen sind
urheberrechtlich geschützt.
Fazit
Zusammenfassend ist nach Durchsicht der bisher verfügbaren Studien sowie der Fallberichte
festzustellen, dass der Einsatz von TTS bei
allen Settings, die mit einer erhöhten Hautpermeabilität einhergehen können (s.o.), äußerst
kritisch zu prüfen ist, und im Zweifelsfall dem
betreffenden Patienten eher dazu geraten werden sollte, sein wirkstoffhaltiges Pflaster wenn
möglich vor der entsprechenden Situation zu
entfernen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass auch nach dem Entfernen des Pflas­
ters noch relevante Wirkstoffmengen aus dem
gebildeten subkutanen Medikamentendepot
ins Blut abgegeben werden und somit kein sofortiger Stopp der Wirkstoffabgabe nach Entfernen des Pflasters resultiert. Falls ein Entfernen des TTS nicht möglich sein sollte, ist im
Rahmen der oben genannten Situationen verstärkt auf dementsprechende Symptome einer
Überdosierung (im Falle von Opioiden Übelkeit, Atemdepression, Miosis, Koma etc., bei
Impressum
Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen –
vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem
Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden.
Reiseratgeber für Schmerzen
Ein neuer Sprachführer bietet Patienten
mit chronischen Schmerzen Hilfe bei der
Verständigung im Ausland und liefert
schnell und übersichtlich die wichtigen
Vokabeln in den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und
Türkisch. Dies ist ein kostenloser Service
von Mundipharma und kann über die
Website www.mundipharma.de (Infomaterial) bzw. über die kostenfreie Telefonnummer 0800/8 55 11 11 oder über die
Website der Initiative Schmerz messen
www.schmerzmessen.de (Service-Bereich)
angefordert werden.
Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben
pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein.
Die Zeitschrift erscheint im 27. Jahrgang.
Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München,
Juni 2011
Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantw.)
Redaktion: Dr. Melanie Leshel
Druck: Stürtz GmbH, Würzburg
Titelbild: © John Orsbun – Fotolia.com
Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse
Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochter­gesellschaft
der Springer Medizin Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige
Gesellschafterin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die
Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die
Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft
der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH.
Die ­alleinige Gesellschafterin der Springer Science + Business
Media Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business
Media Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Science + Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige
Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media
Finance S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance
S.àR.L. ist eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business
Media S.A.
5
Originalie
Die sozialmedizinische Begutachtung
von Schmerzsyndromen
Die Begutachtung chronischer Schmerzsyndrome ist sehr komplex und nur im interdisziplinären Zusammenwirken von Gutachtern verschiedener Fakultäten zu bewerkstelligen. Sie muss reliabel sein (Übereinstimmungsgrad unterschiedlicher Beurteiler
bei Erfassung und Interpretation diagnostischer Information) und auch valide (Zusammenhang: Pathologischer Befund hinsichtlich der Auswirkung auf das Befinden).
Leider erfüllen viele Begutachtungen aus Gebieten wie der Orthopädie, Neurologie
oder Neurochirurgie nicht diese Anforderungen, da sie meistens rein somatisch sind.
Welche Kriterien an ein sozialmedizinisches Gutachten zu stellen sind, erläutert aus
ambulanter schmerztherapeutischer Sicht Dr. med. Albert Hein, Geldern.
B
isher fehlen Leitlinien der entsprechenden
Fachgesellschaften wie DGS oder DGSS.
Die wirklichkeitsgetreueste Leit­linie finden wir
unter AWMF-Online als S2-Leitlinie. Die Beschreibung des Gutachtens sollte auch nicht
„schmerztherapeutisches“ Gutachten heißen,
sondern eher als „Begutachtung von Schmerzen“ oder „unter besonderer Berücksichtigung
von Schmerzen“ dargestellt werden.
Hieraus erwächst die Verpflichtung des ärztlichen Sachverständigen zur Erstellung eines
wissenschaftlich begründeten Gutachtens, das
auf medizinische Erkenntnisse abstellt, die als
allgemeingesichert gelten!
Um diese Voraussetzung als Gutachter
und auch diese Verpflichtung zu erfüllen, wird
eine entsprechende gutachterliche Ausbildung
vorauszusetzen sein (Tab. 1).
Gutachten unter besonderer Berücksichtigung von Schmerzen werden hauptsächlich
angefordert aus dem Bereich der sozialen Ab-
sicherung des deutschen Staatsangehörigen
(Tab. 2). Weitere Gebiete des Tätigwerdens im
Rahmen der Schmerzbegutachtungen sind
u. a. die Berufsgenossenschaften (gesetzliche
Unfallversicherung, MdE), Haftpflichtversicherung (MdE), private Unfallversicherung (BdL =
Beeinträchtigung der körperlichen- und geistigen
Leistungsfähigkeit = Gliedertaxe).
Leider ist das chronische Schmerzsyndrom
als eigene Krankheitsentität bisher in keiner
der vorliegenden Gesetzesverordnungen aufgenommen. Im Bundesversorgungsgesetz
(BVG, Absatz 1 Satz 1) ist folgender Satz zu
finden: Nach dieser Vorschrift ist die Minderung
der Erwerbsfähigkeit nach den körperlichen
und geistigen Beeinträchtigungen im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei sind
seelische Begleiterscheinungen wie Schmerzen zu berücksichtigen!
Für die Beurteilung ist maßgebend, um wie
viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb
Tab. 1: Gutachterliche Ausbildung
B
esondere Kenntnisse über ursächliche Faktoren von Gesundheitsstörungen
A
uswirkung von Behinderungen
■ K
entnisse über die für die Begutachtung wichtigen rechtlichen und versorgungsrechtlichen Begriffe
■ S
tändige Informationen zu Gesetzen
Verordnungen
Verwaltungsvorschriften
■ S
tudium der Fachliteratur
■ W
enigstens eine Facharztanerkennung aus dem Bereich der schmerzversorgenden Fakultäten
■ Zusatzbezeichnung
„Spezielle Schmerztherapie“
und
Beteiligung an der Schmerztherapievereinbarung der KVen und der KK (besondere Qualifikation)
■ G
rundkenntnisse im Sinne der psychosomatischen Grundversorgung (z. B. Anhaltspunkte für
psychische Komorbidität)
■ E
rwerb der Zusatzbezeichung „Sozialmedizin“
■ S
tändige Diskussion und Dialog mit Entscheidungsträger wie Richtern etc.
■
■
6
Albert Hein,
Geldern
gerichteten Arbeit und der Ausnutzung im
wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen
einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind.
Von Kritikern der Gutachten mit besonderer
Berücksichtigung von Schmerzen wird immer
als Grund für die unzureichende Berücksichtigung von Schmerzen die vermeintlich fehlende Messbarkeit genannt. Dem muss aber
widersprochen werden, da die Qualifizierung
mit einem Messinstrument nicht möglich ist, da
Schmerz immer ein mehrdimensionales Erleben ist (Tab. 3).
Für jeden dieser Einzelfaktoren gibt es
aber valide Messinstrumente. Bereits in einem
BGH-Urteil vom 14.04.1999 wird darauf hingewiesen, dass der Nachweis einer Erkrankung
auch dadurch geführt werden kann, dass der
Arzt seine Diagnose auf die Beschwerdeschilderung eines Patienten stützt. Schmerz ist
immer als subjektiv einzuordnen. „Daher wird
auch darauf hingewiesen, dass die Selbstschilderung der Kläger häufig unzuverlässig
vor dem Hintergrund und der Überzeugung ist,
dass sie für die empfundenen Schmerzen eine
Rente oder Entschädigung verdient haben“!
Von gutachterlicher Seite aus allerdings
können Selbstbeurteilungsskalen und Fragebögen die Eigenschilderung der Beschwerden ergänzen und auch der Standardisierung
von Befunden dienen. Wir weisen allerdings
darauf hin, dass wegen der Wiedergabe von
Einschätzungen diese Selbstschilderung keine Bedeutung als objektives Kriterium hat. Sie
werden allerdings in Sozialgerichtsverfahren
ausdrücklich gefordert.
Hier ist anzumerken, dass die in Deutschland entwickelten Selbsteinschätzungsverfahren bei fremdsprachigen Probanden und Probanden aus anderen Kulturkreisen nicht valide
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Originalie
anwendbar sind, da hier Schmerzempfindung
und -schilderung oft andersartig verwurzelt
und auch ausgeprägt sind.
Ganzheitlicher Ansatz
Die Diagnostik von Schmerzen setzt nach einhelliger Meinung ganzheitliche Sichtweisen
voraus. Daher sollte ein Gutachter bei der Begutachtung von Schmerzen kein monodisziplinär ausgerichteter Gutachter sein, da er seinem Auftrag nicht gerecht werden kann. Ein
Gutachter sollte daher grundsätzlich aus einer
mit Schmerzen häufig konfrontierten Fakultät
wie Allgemeinmediziner, Anästhesisten, Neurologen, Psychiater kommen mit zusätzlicher
schmerztherapeutischer/psychosomatischer
Ausbildung sowie mit erheblicher kommunikativer Kompetenz. Die Inhalte der Begutachtung
sind in Tabelle zusammengefasst.
Aus den vorhergegangenen Erörterungen
folgt, dass Schmerzgutachten häufig kompliziert sind, sich häufig um eine widersprüchliche Befundgemengelage drehen und damit
einen deutlich erhöhten Zeitaufwand erfordern. Sie sind daher als Gutachten mit hohem
Schwierigkeitsgrad einzustufen, die nach dem
Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz
(JVEG § 9) mit 85 Euro pro Stunde honoriert
werden sollten.
Es ist darauf hinzuweisen, dass Diagnosen
häufig nicht den Schweregrad der Schmerzsymptomatik erklären. Diagnosen wie z.B.
„Zustand nach ...“ sind zu vermeiden, eher:
„Restbeschwerden“. Es ist jeweils der sogenannte „Vollbeweis“ gefordert.
Leidensdruck
Eine weitere (häufig vom Sozialgericht geforderte Fragestellung innerhalb eines Gutachtens) ist die Beschäftigung mit dem sogenannten Leidensdruck.
Leidensdruck ist nur dann anzunehmen,
wenn sich Beeinträchtigungen im privaten
und/oder beruflichen Alltagsleben und in der
sozialen Partizipation nachweisen lassen, was
im Gutachten immer detailliert darzustellen ist!
Antragsteller mit psychisch (mit-)verur­
sachten bzw. unterhaltenen Schmerzen sind
häufig einer Behandlung und auch Befragung/
Beobachtung schwer zugänglich (siehe hierzu
auch gutachterbedingtes Psychosyndrom).
Aber hier ist anzumerken, dass ein geringer
Behandlungserfolg nicht zwangsläufig einen
hohen Leidensdruck mit schweren Funktionsbeeinträchtigungen beweist! Hier ist oft nur
eine Deutung möglich (hermeneutisch), die
die Autonomie des Patienten beachtet.
Ein Patient hat immer das Recht, sich gegen
bestehende Daten- und Evidenzlage für und
gegen ein Medikament zu entscheiden, ohne
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
damit Rückschlüsse auf den Leidensdruck zu
bieten. Leider wird genau diese Konstellation
gerne von Kollegen der Rentenversicherung
oder anderen Institutionen herangezogen, um
Zweifel an der Schwere der Beeinträchtigung
aufkommen zu lassen, wenn ein Proband
wegen chronisch quälender Schmerzen noch
keine entsprechende Behandlung erfahren hat.
Simulation oder Aggravation?
schmerzhafte Zustände. In den Fällen, in de­
nen nach dem Sitz und dem Ausmaß der pa­
thologischen Veränderungen eine über das
übliche Maß hinausgehende, eine spezielle
ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaf­
tigkeit anzunehmen ist, können höhere Werte
angesetzt werden. Dies gilt insbesonder bei
Kausalgien und bei stark ausgeprägten
Stumpfbeschwerden nach Amputationen
(Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmer­
Eine weitere Nachfrage innerhalb des Gutachtens bezieht sich auf die Konstellation des Vorliegens einer Simulation, einer Aggravation
oder einer Verdeutlichungstendenz (Tab. 5).
Tab. 2: Die vier Säulen der sozialen
Drei Kategorien des Schmerzes
In der Gutachtenssituation selbst sind drei
Kategorien von Schmerz zu unterscheiden
(Tab. 6).
Eine weitere Besonderheit finden wir im
Rahmen der Versorgungsmedizinverordnung
vom Dezember 2008, die in keiner Weise
das chronische Schmerzsyndrom als eigene
Krankheitsentität ausdrücklich erwähnt. Wir
finden lediglich folgenden Absatz:
„Ähnliches gilt für die Berücksichtigung von
Schmerzen. Die in der GdB/MdE-Tabelle ange­
gebenen Werte schließen die üblicherweise
vorhandenen Schmerzen mit ein und berück­
sichtigen auch erfahrungsgemäß besonders
Absicherung des deutschen
Staatsangehörigen (Sozialmedizin)
1. Rentenversicherung
2. Krankenversicherung
3. Pflegeversicherung
4. Versorgungsmedizin
(Verordnung vom 10. 12. 2008)
Tab. 3: Qualifizierung des Schmerzes
1. sensorisch-diskriminativ
2. kognitiv
3. sozial
4. emotional-affektiv
Tab. 4: Inhalte der Begutachtung
■
■
■
■
■
■
D
etailierte Exploration der Beeinträchtigung alltäglicher Aktivitäten und der sozialen Partizipation
(„Wer Schmerzen bei der Arbeit hat, hat diese auch in der Freizeit.“)
E ingehende körperliche und psychopathologische Befunderhebung (z. B. Psychodynamik) mit
Erfassung aller Schmerzlokalisationen und weiteren Körperbeschwerden. Schon bei drei
Schmerzlokalisationen und weiteren Körperbeschwerden ist bei jedem zweiten Patienten in der
Primärversorgung von einem psychisch relevanten Störungsbild auszugehen.
E insatz spezieller Fragebögen und Skalen mit Diskussion der Ergebnisse im Kontext zu den übrigen
Befunden (soweit möglich und sinnvoll).
E ingehende differenzialdiagnostische Erwägung unter Berücksichtigung somatischer, psychischer
und sozialer Aspekte („bio-psycho-soziales Kosntrukt“, „hermeneutische Deutung“)
U
mfassende Konsistenzprüfung der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen im Kontext
mit Exploration, erhobenen Befunden und Beobachtung („Gutachter als Detektiv“) und
D
iskussion der willentlichen Steuerbarkeit der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen
Tab. 5: Darstellungsformen des Schmerzes durch Patienten
(oft symptomverstärkend)
Simulationbewusstes und ausschließliches Vortäuschen einer krankhaften
Störung zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken (eher selten)
Aggravationbewusste verschlimmernde bzw. überhöhte Darstellung von
Störungen (relativ häufig)
Verdeutlichungstendenzenmehr oder weniger bewusster Versuch, den Gutachter in der kurzen,
zur Verfügung stehenden Zeit vom Vorhandensein der Symptome/
Schmerzen zu überzeugen (evtl. Zusammenhang mit desinteressiertem und oberflächlichem Gutachter)
7
Originalie
zen): Ein Phantomgefühl allein bedingt keine
zusätzliche GdB/MdE-Bewertung.“
Weitere Erwähnungen von Schmerzen
finden wir z.B. hier auch nur im Rahmen des
Abschnittes Haltungs- und Bewegungsorgane,
rheumatische Krankheiten unter der Überschrift Allgemeines:
„Dieser Abschnitt umfasst Haltungsschä­
den, degenerative Veränderungen, osteopeni­
sche Krankheiten, posttraumatische Zustände,
chronische Osteomyelitis, entzündlich-rheu­
matische Krankheiten, Kollagenosen und Vas­
kulitiden sowie nicht entzündliche Krankheiten
der Weichteile.
Der GdS für angeborene und erworbene
Schäden an den Haltungs- und Bewegungs­
organen wird entscheidend bestimmt durch
die Auswirkungen der Funktionsbeeinträch­
Tab. 6: Die drei Kategorien von Schmerz in der Gutachtensituation
1. Schmerz als Begleitsymptom einer körperlichen Störung.
■ „
Üblicher Schmerz“: kein Problem, z. B. in der UV oder in der Versicherungsmedizin bereits
berücksichtigt.
■ „ Außergewöhnlicher Schmerz“: z. B. nach Amputationen, Stumpfphantomschmerz, Kausalgien
(CRPS)
2. Schmerz als Ausdruck einer primären psychischen Erkankung
■ Depressive Erkrankungen (Konversionssymptomatik)
■ Psychoreaktiv (z. B. PTBS) oder Anpassungsstörung
■ Angst- und Panikstörung
■ Psychose
■ In Verbindung mit psychotropen Substanzen (schädlicher Gebrauch, Abhängigkeit
3. Körperlicher, zum Teil erklärbarer Schmerz mit psychischer Komorbidität
(wohl die zahlenmäßig größte zur Begutachtung kommende Gruppe)
■ Fehlverarbeitung
■ D
epressive und/oder ängstliche Reaktion bei Gewebeschädigung, Anpassungsstörung
(siehe auch pschychoaktive Störung)
■ Gewebeschädigung bei psychischer Vorerkrankung („Verschlimmerung“)
■ F
unktionelles Schmerzsyndrom bei psychisch bedingter Stressreaktion (bei andernorts
klassifizierten Krankheiten)
Tab. 7: Punkte, die im Gutachten berücksichtigt werden müssen
1. Detaillierte und umfassende Exploration des AST/Probanden (regelmäßig deutlich
erhöhter Zeitaufwand)
Vor Begutachtung gegenüber AST
■ Identifikation
■ Zweck und Ablauf der Begutachtung
■ Auftraggeber
■ Tatsache: Gutachten
-> Entscheidungshilfe
-> keine sofortige Entscheidung
■ Mitarbeit steht frei
2. Spezielle Schmerzanamnese
Lokalisation, Häufigkeit, Charakter der Schmerzen (sensorsich/affektiv)
■ Abhängigkeit von
Körperhaltung
Tätigkeiten
Tageszeiten
■ Undulation
■ Verlauf mit/ohne Remission
3. Bisherige Behandlungsmaßnahmen
■ Dauer
■ Intensität
■ Ergebnis
■ Häufigkeit/Regelmäßigkeit der Besuche bei einem Arzt oder Therapeuten
■ Dauer und Wirksamkeit der bisherigen Einnahme von Medikamenten
■ Eigene
Bewältigungsstrategien (Coping: internales, externales, Katastrophisieren)
symptomverstärkende und unterhaltende ärztliche Maßnahmen (Cave: Deutung der
Medikamenten-Einnahmegewohnheiten (z. B. auf Leidensdruck zu schließen) lässt
Patientenautonomie außer Acht.
8
tigungen (Bewegungsbehinderung, Minder­
belastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer
Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden
Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt.
Außergewöhnliche Schmerzen sind ggf.
zusätzlich zu berücksichtigen. Schmerzhafte
Bewegungseinschränkungen der Gelenke
können schwerwiegender als eine Versteifung
sein.
Bei Haltungsschäden und/oder degenera­
tiven Veränderungen an Gliedmaßengelenken
und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteo­
chondrose) sind auch Gelenkschwellungen,
musmuläre Verspannungen, Kontrakturen oder
Atrophien zu berücksichtigen.“
Besondere Schmerzhaftigkeit
So können auch bei WS-Beschwerden bei
außergewöhnlichen Schmerzsyndromen auch
ohne nachweisbare neurologische Ausfallserscheinungen (z. B. Postdyskotomiesyndrom)
GdB/MdE/Werte über 30 in Betracht kommen.
Zur Festlegung, wann es sich um eine besondere Schmerzhaftigkeit im Sinne der Vers. Med.
Verordnung handelt, existieren bisher keine
harten Kriterien. Hier sollte vonseiten unserer
Fachgesellschaft eine entsprechende Grundlage gelegt werden, so dass hier die Unsicherheiten entsprechend behoben werden.
Unser Vorschlag hierzu lautet: „Eine besondere Schmerzhaftigkeit ist dann anzuerkennen, wenn ein chronisches Schmerzsyndrom
der Chronifizierungsstufe III nach Gerbershagen (auch hier sind entsprechende Nachbesserungskriterien hinsichtlich psychosomatischer Syndrome, Kopfschmerzsyndrome
u. a. zu fordern) vorliegen. Weitere Indizien
sind z. B. eine Medikamenteneinnahme der
WHO-Stufe III (cave: Autonomie des Patienten
beim Einnahmeverhalten), mehrere Antidepressiva, invasive Verfahren sowie eine starke
psychische/psychosomatische Mitbeteiligung
oder Verursachung der Schmerzen. Da auch
dies eine speziell dauernde ärztliche Behandlung erfordert, ist hier die Therapie durch qualifizierte Schmerztherapeuten im Rahmen der
Schmerztherapievereinbarung der KVen als
weiteres Indiz heranzuziehen.
Eine besondere Schmerzhaftigkeit würde
z. B. nach unserer fachlichen Ansicht dann nicht
vorliegen, wenn es sich nur um einen Chronifizierungsgrad I und II nach Gerbershagen, nur
um Analgetika der WHO-Stufen I und II, Medikation aus dem allgemeinärztlichen Bereich,
invasive Verfahren aus dem allgemeinärztlichen Bereich (Quaddeln), psychosomatische
Grundversorgung als auch die Mitversorgung
durch fachärztliche Schmerztherapeuten ohne
besondere Qualifikation (Schmerztherapievereinbarung) handelt.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Originalie
Punkte, die im Rahmen der Begutachtung
zu beachten sind, sind in Tabelle 7 aufgelistet.
Die Beurteilung der Einschränkung der
Partizipation ist mit das wichtigste Kriterium
zur Beurteilung der Behinderung durch das
Schmerzgeschehen. Hier sollte eine detaillierte Exploration des Tagesablaufes vorliegen
(Tab. 8).
Zu beachten ist immer: Wer Schmerzen bei
der Arbeit hat, hat diese auch im üblichen sozialen Umfeld.
Eine Fremdanamnese sollte nur in Abwesenheit des Probanden geschehen, aber mit
seinem Einverständnis.
Während der Begutachtung sollte auch eine
Beschreibung der Beobachtung des Probanden erfolgen mit Gangbild, Verhalten, Körpersprache, Körperpflege, äußeres Erscheinungsbild, Sprache, Tonfall, mnestischen/kognitiven
Funktionen, Selbstwahrnehmung, Kritikvermögen etc.
Die anschließende körperliche Untersuchung sollte eine Ganzkörperuntersuchung
beinhalten mit Berücksichtigung des Status
von Herz, Lunge, Hals-Nasen-Ohrenbereich,
Zahnstatus, Abdomen, neurologischer Status,
muskulo-skelettales System (nach der NeutralNull-Methode) etc.
Zusätzlich sollten fachspezifische Untersuchungen gefordert werden bei Vorliegen entsprechender Erkrankungen (z. B. neurologisch,
EEG, NLG etc.) so wie auch evtl. einen Medikamentenspiegel (aber nur nach Aufklärung
des Probanden). Berücksichtigt werden sollten
hier allerdings die Bedarfseinnahme und die
Unterschiede in der Verstoffwechslung.
Als Tests sollten psychometrische Tests im
Sinne einer Depressionsskala, eines TSDTestes, einer Phobieskala u. a. vorgenommen
werden.
Weiterhin ist die Psychodynamik mit einzubinden, wo versucht werden kann, Life-Events
mit dem aufgetretenen Zeitpunkt der Schmerzen in Verbindung zu bringen (z. B. Partnerschaft, Beruf, Kindheit, sexueller Missbrauch,
Verlusterlebnisse, Suizidalität).
Die endgültige Diagnosestellung hat sich
im Spannungsfeld objektivierbarer körperlicher
Befunde (gleichbedeutend mit Krankheit) und
subjektiver Seite des Krankseins zu bewegen.
Hier ist jeweils das Individuum in seiner
Gesamtheit betroffen (pathologisch entgleistes
Regelsystem im bio-psycho-sozialem Bereich).
Juristisch wird Krankheit definiert als anormaler körperlicher und/oder geistig/seelischer
Zustand der funktionellen Regelwidrigkeit,
hieraus folgen Funktionsminderung oder Funk­
tionsausfall.
An dieser Stelle hat die Begründung zu folgen.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Tab. 8: Beurteilung der Einschränkung der Partizipation (detaillierte Exploration
des Tagesablaufes)
■
■
Aktivitäten des täglichen Lebens
(Nachtschlaf, Tagesmüdigkeit, Aufstehen, Toilette, Zubereitung und Besorgung der Nahrung,
Haushalt, Putzen, Waschen, Bügeln, Auto- bzw. Radfahren)
Verschiedene soziale Lebensbereiche
(Hobbies, Sport, Vereine, Haustiere, Urlaubsreisen, Partnerschaft, Familienzusammenhalt etc.)
=> Indirekter Aufschluss:
Wie weit hat die Symptomatik/der Schmerz die Organisation der Lebensführung übernommen?
Der Schmerz regiert den Menschen.
Hierdurch einzig brauchbarer Parameter bei mangelnden objektivierbaren Befunden der
Beantwortung der entscheidenden Frage der Glaubwürdigkeit der Beschwerden und
Leistungsbeurteilung.
Weiterhin wird häufig auch eine Prognose
hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufes
zu stellen sein, die sich an der bisherigen
Chronifizierung und weiteren Chronifizierungsfaktoren zu orientieren hat.
Sodann befolgt eine Beurteilung, ob die
beklagten Beschwerden und die damit verbundenen Funktionsstörungen „ohne vernünftige
Zweifel nachweisbar sind im Rahmen einer
Konsistenzprüfung“.
Hier ist einzugehen auf Diskrepanzen zwischen Beschwerdeschilderung und körperlicher/oder psychischer Beeinträchtigung in
der Untersuchungssituation u. Ä.!
Der Prüfung der willentlichen Steuerbarkeit (oft gefordert im RV-Verfahren) stehen
ein sekundärer Krankheitsgewinn (bewusst/
unbewusst), eine Durchsetzung eigener
Wünsche (Versorgung, Rente, Zuwendung,
Entlastung von unangenehmen Pflichten) entgegen. Der Gutachter hat hier zu klären, ob
die Schmerzerkrankung den Lebensablauf
und die Lebensplanung übernommen hat, so
dass eine Überwindung nicht mehr möglich ist
(zunehmende Chronifizierung, zunehmende
Verselbstständigung, Abnahme der bewusstseinsnahen Steuerbarkeit).
Hierbei ist darauf zu achten, dass die Tatsache der lange andauernden Beschwerden eine
bewusstseinsnahe Steuerbarkeit jedoch nicht
ausschließt (z. B. Rückzug von unangenehmen
Tätigkeiten, aber gleichzeitig die Beibehaltung
von angenehmen Dingen).
In der abschließenden gutachterlichen Bewertung der geklagten Funktionsstörungen soll
beispielsweise darauf abgehoben werden, ob
die geklagten Funktionsbeeinträchtigungen
bestehen und willentlich oder durch Therapie
nicht mehr überwunden werden können im
Gegensatz dazu, dass der Gutachter zum
Beispiel nicht davon überzeugt ist, dass die
Funktionsbeeinträchtigungen in der geklagten
Form bestehen.
Die oft von der Rentenversicherung geforderte Reha vor Rente ist häufig frustran wegen
bestehenden Rentenwunsches, da der Proband gerne die Erfolglosigkeit der Behandlung
unter Beweis stellt. Daher sollte in der Reha
grundsätzlich auf eine Trennung von Therapeut
und Gutachter geachtet werden.
Im Rahmen der weiteren möglichen Tätigkeitsbeschreibung ist sodann ein positiv-negatives Leistungsbild zu erheben.
Weiterhin ist darauf zu achten, dass es zu
erheblichen Unterschieden hinsichtlich der
Geburtsjahrgänge bis zum Jahre 1961 und
danach kommen kann im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit/
Erwerbsunfähigkeit, teilweiser Erwerbsminderung oder einer vollen Erwerbsminderung.
Akzeptanz unzureichend
Desillusionierend soll aber ein letzter Satz hinweisen auf die derzeitige Stellung der Gutachter im schmerztherapeutischen Bereich in der
Rechtsprechung (Sozialgerichtsbarkeit, Dr.
Steffen Roller, 05/2007):
Die Beurteilung von Schmerz fällt nicht zwin­
gend in ein bestimmtes Fachgebiet. Notwendig
sind vielmehr fachübergreifende Erfahrungen
hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung von
Schmerzstörungen!
Wenn sich bereits ein Gutachter nach § 109
SGG eingehend mit dem geltend gemachten
chronischen Schmerz befasst hat, scheidet
die Benennung eines weiteren Arztes zur Er­
stattung eines algesiologischen Gutachtens
aus, auch wenn dieser die Zusatzbezeichnung
‚Schmerztherapie‘ führt!
Hier wartet also noch viel Arbeit, speziell durch unsere Fachgesellschaften, zur
Institutio­n alisierung der Begutachtung von
Schmerzen durch spezialistiche Schmerztherapeuten im Sozialgerichtsbereich.
■
Albert Hein, Geldern
9
Palliativmedizin
Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) im
Rahmen der ambulanten Palliativmedizin
Eine Vielzahl der Palliativpatienten leidet unter Schmerzen, die eine parenterale
Schmerztherapie erforderlich machen. Mit der Systematisierung der ambulanten Versorgung durch palliative Konsiliardienste (PKDs), spezialisierte Palliativpflegedienste
oder SAPV-Teams steht heute ein Betreuungsangebot zur Verfügung, welches
aufgrund seiner fachlichen Spezialisierung und kontinuierlichen Verfügbarkeit die
bedarfsgerechte Anwendung von PCA-Pumpen auch in der häuslichen Behandlungssituation sicher ermöglicht, berichten Dr. med. Eberhard Albert Lux und Jana Heine,
Krankenschwester von der Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin, Klinikum
St.- Marien-Hospital Lünen.
I
WalkMed
WalkMed–PCA-Pumpe
10
Jana Heine,
Lünen
einem Teil der Tumorschmerzpatienten eine
parenterale Schmerztherapie unumgänglich.
Seit Jahren stehen tragbare Pumpensysteme verschiedenster Hersteller zur Verfügung,
welche es dem Patienten erlauben, neben der
kontinuierlichen Medikamentenzufuhr eine
bedarfsadaptierte Medikamentengabe (Bolus)
abzurufen, wobei mit diesen Pumpensystemen
vorzugsweise eine intravenöse Medikamentenzufuhr erfolgt, gleichsam aber auch eine subkutane, epidurale oder intrathekale Medikation
möglich ist.
Tab. 1: Äquipotenzdosierungen von
Neue Wege durch Palliativmetze und
SAPV-Teams
Opioiden [1]
Mod. n. [1]
neffektive Schmerztherapie ist bei Palliativpatienten ein häufiger Grund für Aufnahmen
ins Krankenhaus, wobei die Mehrzahl der palliativ zu versorgenden Patienten den Wunsch
äußern, ihre letzte Lebensphase häuslich verbringen zu können. Unzureichende Kenntnisse
der Therapeuten hinsichtlich der Schmerztherapie wie auch organisatorische Lücken im
Rahmen der häuslichen Patientenversorgung
stehen der Realisationen dieses Patientenwunsches entgegen. Belastungsfähige Strukturen ambulanter Palliativversorgung wurden
in Deutschland erst in den letzten Jahren aufgebaut. Trotz Beachtung aller Regeln des
WHO-Stufenschemas zur Tumorschmerztherapie und der Anwendung alternativer Schmerzmittelapplikationen bei Unmöglichkeit der
oralen Zufuhr wie transkutane Therapiesys­
teme oder bukkale/nasale Opioidzufuhr ist bei
Eberhard A. Lux,
Lünen
Freiname
Analgetische
Äquivalenz zu Morphin
Morphin
1
Buprenorphin
60–70
Hydromorphon
7,5
Oxycodon
2
Fentanyl
70–100
In der Vergangenheit war die häusliche Anwendung derartiger Pumpensysteme aufgrund
unzureichender Organisationsstrukturen der
ambulanten Palliativversorgung eher die Ausnahme. Palliativnetze und SAPV-Teams schließen heute diese Versorgungslücke.
Im Bereich der KV Westfalen-Lippe regelt
eine Vereinbarung zur Umsetzung der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung von
unheilbar erkrankten Patienten im häuslichen
Umfeld die ambulante Versorgung von Pallia­
tivpatienten, wobei die Patienten durch den
Hausarzt in die Organisationsstruktur des
entsprechenden lokalen Palliativnetzes eingeschrieben und dem Koordinator des Palliativnetzes gemeldet werden. Dem Hausarzt steht
regional gegliedert eine Gruppe qualifizierter
Palliativmediziner (PKD) zur Verfügung, welche bei Bedarf sowohl eine Teil- als auch eine
Vollversorgung der Patienten in Kooperation
mit Pflegediensten oder spezialisierten Palliativpflegediensten übernehmen. Die Übergänge
von allgemeiner Palliativversorgung (AAPV) zu
spezialisierter ambulanter Palliativversorgung
(SAPV) sind fließend und ermöglichen den Patienten eine kompetente ärztliche und pflegerische Betreuung rund um die Uhr. Durch diese
Organisationsstruktur wurde erreicht, dass ca.
80% der Patienten häuslich versterben können.
In anderen Regionen übernehmen SAPV-Teams
die Versorgung definierter Palliativpatienten.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Pallitativmedizin
Parenterale Analgesie
PCA-Pumpe
Der Einsatz einer PCA-Pumpe ermöglicht sowohl die kontinuierliche als auch bedarfsgerechte Medikamentenzufuhr (Bolusfunktion).
Zur Vermeidung von Analgetika-Überdosierung
realisieren PCA-Pumpen Bolussperrintervalle,
in denen der Patient sich keinen erneuten Bolus abfordern kann. Diese Intervalle kommunizieren mit dem substanzspezifischen Wirkeintritt und werden mit 20–30 Minuten gewählt.
Die Bolusdosis orientiert sich an der Erfahrung, für einen Durchbruchschmerz 1/6-1/10
der Tagesdosis des Opioide zu wählen. Die
Elektronik der PCA-Pumpen ermöglicht die
Überwachung gegebener und verweigerter
Boli und damit ein spezifisches Anpassen der
Therapie (häufige Boli = wahrscheinlich zu geringe Basisrate, häufige verweigerte Boli =
wahrscheinlich Bolussperrzeit zu lang oder
Bolus zu klein). Heute ist eine Vielzahl unterschiedlicher Pumpenmodelle verfügbar, die
sich im praktischen Einsatz bewährt haben.
Diese Pumpen sind allerdings in ihrer Handhabbarkeit, Größe, Gewicht, in der Logik der
Programmierung und zusätzlichen Optionen,
der Größe des Medikamenten-Reservoirs etc.
unterschiedlich.
Die Medikamentenreservoirs müssen mit
Inhaltsangaben beschriftet sein, und ein Pumpenpass mit Angaben zu Pumpentyp, (Notfall-)
Telefonnummer/Adresse des betreuenden Arzt
(bzw. Teams) sowie Dosierungen und Füllintervallen/Wiederbefüllungsdaten unterstützt eine
sichere Handhabung des Systems.
Eigene Erfahrungen
Im Palliativnetz Lünen-Werne wurden während
der vergangenen zwei Jahre 108 Patienten von
insgesamt 964 versorgten Patienten im durch-
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Tab. 2: Kostenvergleich zwischen PCA und peroraler Schmerztherapie für 30 Tage
Per oral
Quelle: Daten des Palliativnetzes Lünen/Werne
Dem Einsatz parenteraler und invasiver
Schmerztherapieverfahren im Rahmen ambulanter Schmerztherapie bei Palliativpatienten
widmeten sich in der nationalen und internatio­
nalen Literatur nur wenige Autoren. Es scheint
allerdings so zu sein, dass etwa 10% der
Palliativpatienten im Rahmen der Schmerztherapie ein parenterales Analgetikaregime benötigen. Gründe hierfür liegen in Resorptionsproblemen der Analgetika- bei den transkutanen
Therapiesystemen in besonders trockener, faltenreicher Haut bei kachektischen Patienten,
starkem Schwitzen, Fehlen eines fettreichen
Unterhautgewebes oder lokaler Unverträglichkeitsreaktion, bei oraler Medikation in erster
Linie in anhaltender oder wiederkehrender
Übelkeit und in Erbrechen. Besonders augenscheinlich ist dies bei Patienten mit Darmobs­
truktion.
PCA
Pumpenmiete
6 Beutel à 15,90
6 Zuleitungen `s 29,50 Morphin ret 100 (3 x 1 Tbl.)
MSI 600 mg
Novaminsulfon (4 x 50 Tropfen)
Novaminsulfon 30 g
6 Beutel für 5 Tage
à 102,09 Euro
100 Tbl Morphin ret 100
192,30 Euro
300ml Novaminsulfon
50,16 Euro
Gesamtkosten/Monat
242,46 Euro
schnittlichen Alter von 65 Jahren mit einer
PCA-Pumpe versorgt und neben Palliativärzten
durch einen spezialisierten Palliativpflegedienst über eine durchschnittliche Zeit von 39
Tagen betreut. Die orale bzw. transkutane Medikation wurde in ihrer Dosis nach üblichen
Umrechnungsfaktoren (siehe Tabelle 1) auf die
parenterale Dosis (oral:parenteral = 3:1) umgerechnet.
Gründe für das Wechseln einer oralen bzw.
transkutanen Analgetikaapplikation auf eine
parenterale Anwendung waren bei 78% der Patienten eine unzureichende Schmerzlinderung,
22% der Patienten litten unter therapierefrakTab. 3: Voraussetzungen für eine
PCA-Therapie
1. Indikationsstellung (nicht invasive Behandlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft)
2. Patientenaufklärung
3. Stabiles Betreuungssystem mit 24-hBereit­schaft
4. Möglichst nur ein PCA-Pumpe-Typ im
Betreuungsteam (Bedienungssicherheit)
5. Geregelte Kooperation mit Apotheke
6. Verfügbarkeit von Ersatzmaterial und
Medikamenten
Weiterführende Literatur
1. Bausewein C, Roller S, Volz R. Leitfaden Palliativmedizin, Palliative Care. S. 349; Urban & Fischer München, Jena 3. Auflage 2007.
2. Lux E. Wie effektiv kann ambulante Palliativmedizin sein? Angewandte Schmerztherapie und
Palliativmedizin 2009;2:30–35.
3. Schiessl C, Bidmon J, Sittl R, Griessinger N,
Schüttler J. Patientenkontrollierte Analgesie (PCA)
bei ambulanten Tumorpatienten. Schmerz
2007;21:35–42.
4. Swanson G, Smith J, Bulich et al. Patient-controlled analgesia for chronic cancer pain in the
ambulatory settig: a report of 117 patients. J Clin
540,00 Euro
95,40 Euro
177,00 Euro
612,54 Euro
1.424,94 Euro
tärer Übelkeit/Erbrechen und tolerierten eine
orale Medikation (Dauer- oder Bedarfsmedikation) nicht. Die parenterale Schmerztherapie
mittels PCA-Pumpe erfolgte bei 101 Patien­
ten über ein venöses Portsystem, bei sieben
Patien­ten über einen subkutanen Zugang. Die
Patienten erhielten regulär als Nichtopioid
Novaminsulfon (4000 mg/24 h) und als Opioid
Morphin. Bei Patienten mit einer glomerulären
Filtrationsrate unter 60 ml/min verwendeten wir
Hydromorphon bzw Buprenorphin.
Das für 102 Patienten durchschnittlich
mit NRS-Werten von 7,4 unzumutbar hohe
Schmerzniveau reduzierte sich nach Einleitung
der PCA-Therapie auf durchschnittlich 4,2, womit Patienten und Angehörige hochzufrieden
waren.
Zur Anwendung kam die PCA-Pumpe Walkmed® (WalkMed Infusion, LLC, Englewood,
CO 80112, USA), wobei eine Standardlaufrate
von 2 ml/h und eine Bolusgröße von 4 ml mit
einer Sperrzeit von 20 Minuten angewandt
wurde (Abb. 1). Bei gefülltem Pumpenreservoir
(300 ml), welches neben der Pumpe in einer
Tragetasche untergebracht ist, wog das PCASystem einschließlich der Tragetasche 800 g.
Die Pumpe verfügt über einen Bolusrekorder,
welcher die Anzahl der gegebenen und verweigerten Boli dokumentiert.
Oncol 1989;7:1903–1908.
5. Classen B, Geck M, Hofmeister U, Weller H.
Palliativmedizin: Perspektiven für die Palliativversorgung. Westfälisches Ärzteblatt 2011;2:11–15.
6. Diemer W, Meiering J, Burchert H. Krebsschmerz-Initiative Mecklenburg-Vorpommern. In:
Aulbert E, Klaschik E, Schindler Th: Beiträge zur
Palliativmedizin, Band 6, S. 80–95. Schattauer
Verlag Stuttgart, New York, 2004.
7. Kern M, Wessel H, Ostgathe E: Ambulante Palliativbetreuung – Einflussfaktoren auf eine stationäre Einweisung am Lebensende. Palliativmedizin
2007;8:155–161.
8. http:www.KVWL.de.
11
Palliativmedizin/Kongresse
Kosteneffektiv?
Die Kosten parenteraler Schmerztherapie sind
hoch (siehe Muster Rechnung, Tabelle 2), relativieren sich jedoch mit der zu erreichenden
Schmerzreduktion, damit verbundenem Zuwachs an Lebensqualität und der Reduktion
von Einsätzen ärztlicher Notdienststrukturen
bzw. Einweisungen in Krankenhäuser. Eine
Krankenhausbehandlung im Rahmen der
Grenzverweildauer- z.B. kostet DRG J61c etwa
2000 Euro, nicht gerechnet der möglicherweise
notwendige Krankentransport. Eine nicht erreichte adäquate Schmerzreduktion mit der
Folge einer Krankenhauseinweisung kann somit erheblich höhere Kosten nach sich ziehen.
Während der insgesamt 3.889 Behandlungstage versagte bei unseren 108 Patienten
dreimal die Pumpe aufgrund eines irreparablen
technischen Pumpendefektes, 20-mal häufiger
waren ungeplante Einsätze des Palliativpflegedienstes aufgrund von Okklusionsalarmen,
dekonnektierter/abgeknickter/undichter Infu-
sionsleitung oder Fehllage der Portnadel/s.c.
Nadel notwendig.
Organisation
Die Anwendung technischer Hilfsmittel in der
häuslichen Patientenversorgung setzt ein stabiles Betreuungssystem voraus. Die Einbindung
einer spezialisierten Apotheke mit umschriebenen Bestellmodalitäten und Lieferfristen ist
unabdingbar, da die Medikamentenreservoirs
GCP-gerecht hergestellt werden müssen.
Im Falle von Funktionsausfällen muss zeitnah reagiert werden können, wobei Ersatzpumpe und Pumpenmaterial einschließlich der
Medikamente jederzeit verfügbar sein müssen
(Versorgungsdepot). In Ausnahmefällen können Medikamentenreservoirs durch ärztliches
oder pflegerisches Personal zur Überbrückung
der Versorgung befüllt werden.
Das betreuende Team muss schnell und sicher Problemsitua­tionen zu jeder Tages- und
Nachtzeit beherrschen können (24-stündige
Bereitschaft). Es ist sinnvoll, sich in Versorgungsregionen auf ein Pumpensystem zu einigen. Hierdurch ist es deutlich wahrscheinlicher,
dass Pflegende wie Ärzte aufgrund des regelmäßigen Gebrauchs das Pumpensystem auch
sicher handhaben (Tab. 3).
Fazit für die Praxis
Versagen im Rahmen der Tumorschmerztherapie orale/transkutane Opioid-Anwendungen,
ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass mit parenteraler Analgetikaapplikation unter äquipotenter Opioidmedikation eine suffiziente
Schmerztherapie erreicht werden kann. Diese
ist mit PCA-Pumpensystemen – sofern sie in
der Hand geschulter und regelhaft erreichbarer
Anwender stattfindet – häuslich sicher anwendbar und trägt zum Gelingen ambulanter
Versorgung von Palliativpatienten bei gebes■
serter Lebensqualität bei.
Eberhard A. Lux und Jana Heine, Lünen
2. BVSD-Kongress SPAS
Unter dem Eindruck einer katastrophalen Versorgungs- und Honorierungsrealität der Schmerztherapie
in Deutschland fand vom 27.-28. Mai 2011 der 2. Berufspolitische Kongress „SPAS: Schmerz- und Palliativmedizin – Politik – Abrechnung – Strategie“ des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen
Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) in Berlin statt. Es
berichtet vom „SPAS“ der DGS-Vizepräsident SanRat Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen am Rhein.
K
urz zuvor hatten in einer gemeinsamen
Vorstandssitzung in Frankfurt DGS
(Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie)
und DGSS (Deutsche Gesellschaft zum Stu‑
dium des Schmerzes) gemeinsam ihr Kons­
trukt einer organisierten Berufspolitischen
Vertretung der Schmertherapeuten massiv unterstützt und den BVSD als das originäre
Organ der berufspolitischen Interessen in
Deutsch­land bekräftigt.
Personalia
In der Delegiertenversammlung wurde der
Vorstand neu gewählt. Prof. Dr. Dr. Joachim
Nadstawek wurde zum neuen Vorsitzenden
des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerzund Palliativmedizin in Deutschland e.V.
(BVSD) gewählt. Der 62-Jährige ist Leiter der
Schmerzambulanz an der Bonner Universitätsklinik für Anästhesiologie und seit 2008 Vorstandsmitglied des BVSD. Der bisherige
12
BVSD-Vorsitzende, Dr. Reinhard Thoma, München, hat nach sechsjähriger Amtszeit aus
privaten Gründen nicht mehr für dieses Amt
kandidiert. Dipl.-Psych. Anne WillweberStrumpf, Göttingen, wurde in ihrem Amt als
stellvertretende Vorsitzende bestätigt. Dr.
Bernhard Arnold, Dachau (Schatzmeister),
und Dr. Hubertus Kayser, Bremen (Schriftführer), wurden gleichfalls erneut in den Vorstand
gewählt. Als neues Vorstandsmitglied wählte
die BVSD-Delegiertenversammlung Dr. Mi­
chael Schenk, Berlin. Komplettiert wird der
neue BVSD-Vorstand durch Priv.-Doz. Dr. med.
Frank Petzke, Göttingen, und Dr. Oliver Emrich,
Ludwigshafen, die von den schmerztherapeutischen Fachgesellschaften Gesellschaft zum
Studium des Schmerzes (DGSS) e.V. bzw. der
Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie
(DGS) e.V. entsandt sind. Auf einer außerordentlichen Versammlung Anfang Oktober 2011
soll ein weiteres Vorstandsmitglied gewählt
werden (aus der Pressemitteilung des BVSD).
Oliver Emrich,
Ludwigshafen
Katastrophale Versorgung
Zum Abschluss seiner Amtszeit stellte der
BVSD-Vorsitzende Thoma zur Lage der
Schmerztherapie in Deutschland fest (aus der
Pressemitteilung des BVSD):
■ Die Versorgung chronischer Schmerzpa­
tienten verschlechtert sich. Grund sind anhaltende Honorarverluste für schmerztherapeutische Leistungen bis zu 40%. Dies ist das
Ergebnis einer verfehlten Honorarpolitik
durch die Selbstverwaltung von Kassen und
Ärztevertretungen.
■ Vielen Kolleginnen und Kollegen bleibt derzeit nur noch die Rückkehr in ihr angestammtes Fachgebiet oder eine Quersubventionierung von schmerztherapeutischen
Leistungen. Dies ist umso bedauerlicher, da
wir in der Schmerztherapie von einer flächendeckenden Versorgung weit entfernt sind.
■ Wir brauchen jetzt die richtigen politischen
Entscheidungen, sonst droht der Schmerztherapie das Aus.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Kongresse
Die sich durch die Honorierungsfehlsteuerung bereits heute abzeichnende Verschlechterung der Versorgungslage von chronischen
Schmerzpatienten wird durch den fehlenden
Nachwuchs von ausgebildeten Schmerztherapeuten noch verschärft, denn in fünf bis
zehn Jahren werden etwa zwei Drittel der
heute ambulant tätigen Schmerzärzte in den
Ruhestand gehen.
■ Berlin – der Veranstaltungsort des
diesjährigen SPAS-Kongresses
Die Delegiertenversammlung des BVSD forderte deshalb die politischen Parteien, die
Kassenärztliche Bundesvereinigung und den
GKV-Spitzenverband auf, eine bundeseinheitliche Honorierung zu festen Preisen für die
Teilnehmer an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten
gem. § 135 Abs. 2 SGB V (SchmerztherapieVereinbarung) umzusetzen.
Programmatische Eckpunkte der BVSD-Tagung: Vertreter aus dem Bundesgesundheitsministerium, einigen Bundestagsfraktionen sowie G-BA, AWMF, IQWiG und KBV diskutierten
über die aktuelle Versorgungssituation in der
Schmerz- und Palliativmedizin. Medial wurde
der Kongress u.a. begleitet von einem Beitrag
im ARD-Mittagsmagazin: http://mediathek.
daserste.de/sendungen_a-z/314636_ard-mittagsmagazin/7295750_medizinische-versorgung-schmerztherapeuten-gesuch.
Die Lage bleibt schwierig, und einige wenige Beispiele zeigen, wie zum wiederholten
Male die Analysen der BVSD-Vertreter auf Unund Fehlverständnis in der Politik und auch bei
Standesvertretern treffen:
Für den kurzfristig verhinderten Bundes­
gesundheitsminister Bahr erschien Frau
Staatssekretärin Flach, die es in ihrem Grußwort an das Plenum geschafft hat, in 20 Minuten das Wort Schmerztherapie nicht ein
einziges Mal zu gebrauchen, dafür aber in
so ziemlich jedem Satz „Palliativmedizin und
würdiges Sterben“.
Sie verwies auf die Erfolge der jetzigen Koalition und Bundesregierung: Die Palliativversorgung sei durch die Schaffung gesetzlicher
Grundlagen enorm verbessert worden, was
sich darin zeige, dass Tausende Palliativmediziner mittlereile qualifiziert seien und an
einer steigenden Zahl von Professuren. Die
Gesellschaft würde zunehmend älter und damit steige die Notwendigkeit von Palliativmedizin. Die Politik setze sich deshalb weiter ein
für eine Förderung der SAPV und AAPV, mit
dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung.
Sie verwies in diesem Zusammenhang auch
auf die Reform des Betäubungsmittelrechts
(i.e. definiertes Dispensierrecht von Opiaten
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
© Eishier – Fotolia.com
Bundeseinheitliche Honorierung
für Notärzte und die Zulassung von Cannabis
als Fertigarzneimittel).
Risikoselektion unvermeidlich?
Prof. Dr. Dr. Nagel vom Deutschen Ethikrat,
Chirurg aus Essen, vertrat die Auffassung,
dass man Schmerz als Symptom nicht aus den
anderen Fachdisziplinen herauslösen könne,
weil es eben ein übergreifendes Symptom sei.
Eine Trennung in psychisch und physisch sei
auch nicht möglich. Deswegen habe Schmerztherapie auch nicht den Stellenwert wie andere
medizinische Fachdisziplinen, sondern sei ein
Teil derselben und müsse das auch bleiben.
Auch an seiner Universität könne er das beobachten. Es gebe zwar einen Schmerzdienst,
aber ansonsten wäre Schmerz bei den einzelnen Disziplinen geblieben. Er problematisierte,
ob es wirklich sinnvoll sei, neben der Palliativmedizin auch eine eigenständige Schmerz­
medizin zu verankern. Dazu zeigte er ein Bild
von Ferdinand Hodler, „die enttäuschte Seele“.
Aussichten auf Implementierung von Schmerzmedizin sieht er weiter nicht, dafür aber die
Palliativmedizin endlich so verankert, wie es
geboten sei: Dazu zitierte er Hippokrates: „Der
Heilkundige soll sich von jenen Patienten fernhalten, die schon ganz vo n der Krankheit überwältigt sind.“ Auf dieses Missverständnis habe
die DG Chirurgie schon 1996 reagiert mit Formulierung von Grundsätzen zur Sterbebegleitung, denn es könne ja nicht sein, dass man
am Ende des Lebens „nichts mehr tun könne“.
Die BÄK habe dann 1998 nachgezogen. Alles
in allem sieht er, dass es durchaus möglich sei,
dass die Palliativmedizin und vor allem aber
die Schmerztherapie zum Opfer der Risikoselektion im Gesundheitswesen werden könnten.
Risikoselektion sei zwar nicht solidarisch, aber
unter steigendem Kostendruck wohl Realität
und nicht zu vermeiden.
Taube Ohren
Die Vertreter des BVSD in den Diskussionsrunden haben sich zwar ausgesprochen gut geschlagen, doch sind die treffenden Argumente
doch teilweise auf die bekannt tauben Ohren
gestoßen. Zwar zeigte sich MDB Terpe von den
„Grünen“ sensibel für das Thema („Haben wir
vor lauter Palliativ den Schmerz etwas vergessen?“), jedoch zeigte MDB Zilajew, CDU, Köln,
im Stile eines Reiner Calmund, was wohl viele
Gesundheitspolitiker wirklich denken: „Mit Ihrer
Pressemitteilung sin se för mich nur noch ne
Bittsteller, dene es nett primär um de eijene
Kohle jeht.“
Übersetzt heißt dies, dass sein Credo ist,
wobei er die Pressemitteilung des BVSD
„Schmerztherapie retten durch wirtschaftliche Absicherung der Schmerztherapeuten“
hochhielt: „Auch euch geht es doch nur ums
Geld“. Wörtlich: „Und kommt mir ja nicht mit
unterversorgten Patienten. Das hat jede Medizinrichtung und stimmen tut das auch nicht.
Schließlich haben wir das beste Gesundheitssystem der Welt“.
Düstere Zukunftsperspektiven
Diese Splitter vom Kongress SPAS zeigen, wo
weiterhin die Baustellen sind. Dr. Jochen Leifeld, Schmerztherapeut in Schleswig-Holstein,
fasste das treffend zusammen: „Fast überall in
der Republik herrscht eher das Bild algesiologischer Versteppung: Einrichtungen werden
aufgelassen, Wartelisten rechnen mit Jahren
und Monaten, nicht Wochen und Tagen, und in
den verlassenen Innenstädten pfeift kalter
Wind durch hohläugige ehemalige Schmerzeinrichtungen, kein Telefon bimmelt mehr und die
Alten an Rollatoren machen sich in den Straßen immer rarer ...
■
Oliver Emrich, Ludwigshafen
13
Psychiatrie
Im Grenzgebiet menschlicher Leidensfähigkeit:
Schizophrenie und Schmerz*
Eine qualifizierte spezielle Schmerztherapie erfordert Grundkenntnisse in der
Psychiatrie, da chronische Schmerzzustände auf psychischen Erkrankungen und
Störungen beruhen können. Die Coenästhopathien gehören zu den schlimmsten
Formen menschlichen Leidens. Nur wer daran denkt, kann eine angemessene Behandlung einleiten, erläutert Priv.-Doz. Dr. Roland Wörz, DGS-Leiter Bad Schönborn.
D
er Begriff Schizophrenie wurde von Eu­
gen Bleuler (1857–1939) geprägt. Be­
reits in jungen Jahren zum Direktor und Arzt
der Psychiatrischen Pflegeanstalt Rheinau
(Schweiz) gewählt, arbeitete er gemeinsam mit
den psychisch Kranken und verbrachte die
Freizeit mit ihnen. Dabei notierte er unentwegt
eine Vielzahl von Beobachtungen. Nach ihm
werden die Grundsymptome der Schizophre­
nie gebildet
■ durch kognitive Störungen, durch den Verlust
des assoziativen Zusammenhangs mit unge­
wöhnlichem und oft logisch falschem Denk­
resultat, dem mangelnden Zusammenhalt
der Denkinhalte, ohne dass die Zielvorstel­
lung erreicht wird,
■ durch affektive Störungen, mit Gleichgültig­
keit, unangemessener Modulation und Reso­
nanz, Gereiztheit oder Verflachung,
■ durch intellektuelle, affektive und voluntaris­
tische Ambivalenz.
Kopfschmerzen, Parästhesien und
Hyperästhesien
Die schmerztherapeutisch relevanten Phäno­
mene ordnete er den sensorischen Störungen,
Illusionen und Halluzinationen zu: „Von senso­
rischen Störungen, die wir zu den körperlichen
zählen könnten, findet sich das Kopfweh sehr
häufig, namentlich schon in der Anamnese.
Viele unserer Patienten hatten von Jugend auf
an Kopfweh gelitten; während der manifesten
Krankheit findet man dieses Symptom oft in
den verschiedensten Formen: als Druck im
ganzen Kopf, hinter der Stirn und besonders
häufig im Hinterkopf; als reißende, bohrende,
ziehende, brennende Schmerzen, die sich
meist von irgendeiner Stelle aus über den
ganzen Kopf verbreiten. Es kann auch migrä­
neartigen Charakter annehmen und trotzdem
wieder verschwinden, sodass man keine Be­
rechtigung hat, es als eine einfache Komplika­
tion anzusehen (…). Brennende Gefühle, Sau­
Roland Wörz,
Bad Schönborn
sen, Surren und Pochen an verschiedenen
Stellen des Kopfes sind eine häufige Begleit­
erscheinung des Kopfwehs, kommen aber
auch sonst vor. Alle möglichen Parästhesien
sowie Hyperästhesien werden etwa beobach­
tet (…) die häufige Analgesie ist in anderem
Zusammenhang erwähnt (…).
Alle Organe können Sitz von argen Schmer­
zen sein; der Kopf wird so empfindlich, dass die
leiseste Berührung der Haare entsetzlich wehtut; das ganze Gerippe schmerzt. Die Patienten
werden geprügelt, gebrannt, man sticht ihnen
glühende Nadeln, Dolche, Spieße in den Leib;
die Arme werden ihnen aus- und eingerenkt;
der Kopf wird ihnen nach hinten übergezogen;
die Beine kleiner gemacht, die Augen heraus­
genommen, sodass sie sie im Spiegel als auch
ganz aus dem Kopf herausragend sehen; man
presst ihnen das Haupt zusammen; ihr Körper
ist wie eine Ziehharmonika geworden, er geht
auseinander und wieder zusammen; sie ha­
ben Eis im Kopf, sind ganz in einen Eiskeller
gesteckt worden; im Körper ist siedendes Öl.
Alle Organe werden herausgenommen, zer­
schnitten, gezerrt, umgedreht; der eine Hoden
ist geschwollen; die Nerven, die Muskeln, alle
möglichen Organe werden gespannt [1].“
Nozizeption und Schmerz bei
schizophren Erkrankten
In der Beziehung des nozizeptiven Systems
und des Schmerzerlebens sind gegenläufige
Prozesse zu beobachten: Einerseits wurde in
älteren Erfahrungsberichten auf Indolenz ge­
genüber gefährlichen Krankheiten und Schä­
den hingewiesen, was zum Teil die verringerte
Lebenserwartung der Betroffenen erklärt. So
wurden Herzinfarkt, Appendizitis, Ulkusleiden
und Peritonitis nach Darmperforation nicht er­
© photos.com PLUS
Schmerzerlebnisse sind bei
Schizophrenien oder affektiven
Störungen keine Seltenheit.
* Dem bedeutenden Schizophrenieforscher Gerd
Huber zum 90. Geburtstag gewidmet.
14
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Psychiatrie
kannt [8]. Ein 43-jähriger Mann mit Schizophre­
nie hielt in einer akuten Psychose seine Hand
in die Flammen eines Flüssiggasbehälters,
„um sich zu wärmen“. Er erlitt Verbrennungen
bis zu den Knochen, sodass der Unterarm am­
putiert werden musste [11].
Andererseits können im Rahmen der schizo­
phrenen Störungen Schmerzerlebnisse, Dysäs­
thesien, vielfältige Missempfindungen und Kör­
pergefühlsstörungen auftreten. Sie stehen bei
der von Gerd Huber (1957) beschriebenen und
so bezeichneten „coenästhetischen Schizophre­
nie“ im Vordergrund. Im Rahmen einer großen
Verlaufsstudie traten Coenästhesien bei insge­
samt 73% der Schizophrenen zu irgendeinem
Zeitpunkt auf. Solche qualitativ eigenartigen,
oft bizarr geschilderten Erlebnisse können sich
schon Jahre vor psychotischen Manifestationen
und auch danach einstellen, sind allerdings für
schizophrene Krankheiten nicht spezifisch [6].
Da Schmerzerlebnisse, unangenehme Miss­
empfindungen, bedrohlich erscheinende Leib­
gefühlsstörungen nicht nur Epiphänome sind,
sondern auch Kausalität besitzen, subjektives
Leiden, Beunruhigung, Ängste und Befürch­
tungen mit sich bringen, ist die sorgfältige Er­
hebung und Analyse von Beschwerden, Symp­
tomen und Vorgeschichte besonders wichtig.
Bei Schizophrenie-Kranken können Schmerz­­
erlebnisse auftreten
■ wie
bei nozizeptiver, neuropathischer oder
anderweitiger funktioneller Entstehung,
■ als
qualitativ eigenartige Coenästhesien, die
oft mit „als ob und doch anders“ oder „wie
wenn“ geschildert werden und
■ als
erkennbar psychotische Phänomene, als
wahnhafte Produktionen bzw. als leibliche
Beeinflussungserlebnisse, Leibhalluzina­tio­
nen mit dem „Kriterium des Gemachten“ (die
Schmerzen werden von fremden Menschen
und Mächten gemacht) [6].
Kasuistiken (unerkannter
Coenästhopathien)
Eine bereits psychotherapeutisch vorbehan­
delte 22-jährige Frau S.J.E. klagte seit vier
Jahren über Kopfschmerzen, angeblich nach
einem Fahrradunfall. Es sei „ein Drücken im
ganzen Kopf, wie ein Platzen nach innen (...),
dröhnende Ohrgeräusche (...), Schulter-Na­
cken-Schmerzen, Schluckstörungen, ein Kloß­
gefühl, ständiges Husten bis zum Erbrechen
(...), ein ständiges Hitzegefühl mit Brennen im
ganzen Körper, Ohrgeräusche, wie wenn man
eine Eisenstange über eine Säge zieht (...),
Kopfdrücken wie eine innerlich am Schädel
reibende flüssigkeitsgefüllte Kugel (...).“ Sie
werde von Arzt zu Arzt geschickt, fühle sich
nicht ernst genommen, ausgelacht, niemand
habe eine Diagnose gefunden.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Die 25-jährige Patientin P.W. schilderte,
dass sie vor 17 Monaten „plötzlich von Unru­
he und Angst“ überfallen worden sei. Sie habe
sich manchmal „wie programmiert, von außen
gesteuert gefühlt“. Dann seien „bohrende Ge­
sichtsschmerzen (...), zusammenziehend (...),
schließlich Kopfschmerzen wie ein Loch im Kopf
(...), wie wenn jemand stark darauf geschlagen
hätte“ aufgetreten. Manchmal fühle sie sich all­
gemein schlecht, „als ob alles weh tut“. Sie erle­
be oft einen „inneren Stress (...), einen inneren
Druck im Bauch, wie ein Kräftestau“.
Im Verlauf des diagnostischen Prozesses
konnten bei der bedrückt, zögerlich, ambi­
valent, ängstlich wirkenden Frau schließlich
Erlebnisse der Fremdsteuerung, imperatives
und kommentierendes Stimmenhören eruiert
werden. Erfreulicherweise bildeten sich die
akustischen Halluzinationen, die Kopf- und Ge­
sichtsschmerzen auf Thioridazin völlig zurück,
während ambivalente Verhaltensweisen, ruck­
artig-zackige Bewegungen, teils zwanghaftes
Verhalten zunächst persistierten. Wiederholt
wurde beobachtet, dass sie sich beim Hinaus­
gehen aus dem Haus plötzlich umdrehte und
unverständliches Verhalten bot. Eine Langzeit­
neurolepsie wurde in die Wege geleitet.
Coenästhesien, speziell Schmerzen und
Missempfindungen, treten nach den Erhe­
bungen von Gisela Gross und Gerd Huber
(1996) auch bei schizoaffektiven Psychosen
und affektiven Störungen auf.
Affektive Psychose mit Augen-, Rumpfund Beckenschmerzen
Dem affektiven Formenkreis war die Erkrankung
des 38-jährigen Patienten K.S. zuzuordnen. Im
Alter von 24 Jahren machte er die erste Episode
von drei bis vier Monaten mit Schmerzen am
ganzen Körper, an Brust, Rumpf und Armen
durch. Im Alter von 33 Jahren habe er sechs
Wochen lang Augenschmerzen gehabt. Vor zwei
Jahren habe er heftige brennende Schmerzen
im Rücken und im Becken bekommen und seit
vier Wochen habe er „immer die gleiche Taub­
heit am Kreuzbein“, ein Brennen und eine
Schwellung am Penis.
Seine aktuellen Rumpf- und Beckenschmer­
zen seien im Stehen und Sitzen gleich. Bei der
Defäkation würde das Brennen im Becken zu­
nehmen. Manchmal würde er beim Joggen bei
feuchtem Wetter ein Ziehen am linken Bein bis
zur Achillessehne bekommen. Wegen „Pros­
tatabeschwerden“ nehme er Kürbiskerne ein.
Nun sei eine Verschlimmerung eingetreten,
deshalb komme er zu mir: „Es verbrennt alles
von innen heraus.“ Bei regelrechtem neurolo­
gischem Befund fand sich psychopathologisch
eine depressive Störung mit innerer Unruhe,
Angst und Verzweiflung.
Schizophrenie nach ICD-10
Die allgemeine Diagnose „Schizophrenie“
wird heute nach psychopathologischen Befunden bestimmter Dauer und dem Ausschluss
einer anderen somatischen Erklärung gestellt.
Dia­gnostische Kriterien sind mindestens ein
eindeutiges Symptom (zwei oder mehr, wenn
weniger eindeutig) der Gruppen 1–4 oder min­
destens zwei Symptome der Gruppen 5–8. Die
folgenden Symptome müssen fast ständig
während eines Monats oder länger deutlich
vorhanden gewesen sein:
1. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung
oder Gedankenentzug, Gedankenausbrei­
tung
2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl
des Gemachten bzgl. Körperbewegungen,
Gedanken, Tätigkeit oder Empfindungen;
Wahnwahrnehmungen
3. Kommentierende oder dialogische Stimmen
4. Anhaltender, kulturell unangemessener und
völ­lig unrealistischer Wahn
5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmo­
dalität
6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in
den Gedankenfluss
7. Katatone Symptome wie Erregung, Hal­
tungsstereotypien, Negativismus oder Stu­
por
8. „Negative“ Symptome wie auffällige Apathie,
Sprachverarmung, verflachte oder inad­
äquate Affekte [3].
Differenziert werden die paranoide (para­
phrene), hebephrene, katatone Form und Schi­
zophrenia simplex. Weitere Unterformen sind
undifferenzierte (atypische) Schizophrenie,
postschizophrene Depression und das schizo­
phrene Residuum. Zu wenig beachtet wird die
coenästhetische Schizophrenie. Bezüglich der
Entstehung der Schizophrenien kann die Su­
che nach der singulären Ursache als geschei­
tert aufgefasst werden. Meines Erachtens hat
sie sogar lange den Zugang zur angemes­
senen Komplexitätstheorie versperrt.
Risikofaktoren
Erwiesene Risikofaktoren sind:
1. Genetische Belastung als ein Hauptfaktor
2. Störung der Hirnentwicklung durch intraute­
rine oder perinatale Schädigung; damit ver­
bunden erhöhte Vulnerabilität gegenüber
Stress (Vunerabilitäts-Stress-Modell [12])
3. Missbrauch/Vernachlässigung
4. Stadt/Land
5. Gehäuft bei Immigranten
6. Cannabiskonsum.
Eine Vernachlässigung in der Kindheit oder der
Missbrauch erhöhen die Bereitschaft zur Er­
krankung. Das Aufwachsen in Großstädten
geht mit doppelt so häufiger Inzidenz im Ver­
15
Psychiatrie
gleich zum Aufwachsen auf dem Land einher.
Immigranten sind im Vergleich zur Bevölkerung
des Einwanderungs- und Auswanderungs­
landes häufiger betroffen.
Die erhebliche Gefahr der Auslösung schi­
zophrener Erkrankungen durch Cannabis ist
validiert [2, 9]. Eine drastische Bestätigung er­
brachte das Großexperiment der Drogenlibera­
lisierung in der Schweiz in den 1990er-Jahren.
Bevölkerungsuntersuchungen im Raum Zürich
ergaben damals eine dramatische Zunahme
von Psychosen. Deshalb ist nur die wohlüber­
legte Anwendung von Cannabis medizinisch
verantwortbar. Die Gesamtproblematik kann
hier nicht erörtert werden.
Cannabis als Schmerzmittel
Cannabis wird aber seit Jahrzehnten bei
Krebskranken und bei AIDS-Patienten mit
Übelkeit und Erbrechen, Fatigue und Kachexie
zur Schmerzbehandlung und Muskelrelaxation
empfohlen. Bei Querschnittsgelähmten und bei
Multiple-Sklerose-Patienten liegen positive und
negative Erfahrungsberichte vor [4, 10]. Beim
Deutschen Schmerztag 2010 präsentierte
Sven Gottschling ein Poster über acht Kinder
© photos.com PLUS
Cannabis wird als Schmerzmittel
eingesetzt, kann jedoch Psychosen
auslösen.
16
mit Schwerst-Mehrfachbehinderung. Alle Kin­
der litten an therapierefraktärer Spastik, wobei
Baclofen ausdosiert war. Dronabinol (Tetra­
hydrocannabinol = THC) drei Monate bis fünf
Jahre lang verabreicht erbrachte eine anhal­
tende Verringerung der Spastik und verbes­
sertes Durchschlafen.
Sicher ist es keine Panazee, da Opioide
allgemein stärker analgetisch wirken, besser
evaluiert sind und es wirkungsvolle und gut
untersuchte Antiemetika gibt. Nach den vorlie­
genden Erfahrungsberichten ist es jedoch eine
medikamentöse Ultima-Ratio-Option.
Differenzialdiagnose der Schizophrenien
Bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während
einer Intoxikation oder während eines Ent­
zuges sollte Schizophrenie nicht diagnostiziert
werden. Demnach darf die Diagnose einer
funktionellen oder endogenen Psychose bei
klinisch fassbaren neurologischen Befunden
nicht gestellt werden. So finden sich in 5–8%
aller schizophrenieformen Psychosen [3)] z. B.
■ Epilepsien,
■ zerebrale Traumata oder Tumoren,
■ Infektionen des ZNS,
■ zerebrovaskuläre Erkrankungen,
■ degenerative Erkrankungen.
Bei weiteren 3% der schizophrenieartigen Psy­
chosen bestehen sekundäre Beeinträchtigun­
gen der Hirnfunktionen aufgrund internis­
tischer, metabolischer oder toxischer Erkran­
kung, z.B.
■ metabolische Störungen,
■ Autoimmunerkrankungen,
■ Hypo-/Hyperthyreoidismus,
■ Vitamin-B12-Mangel,
■ drogeninduzierte Psychosen und/oder,
■ medikamentös induzierte Psychosen.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der sorg­
fältigen somatischen, psychopathologischen,
algologischen und sozialen Diagnostik.
Nur durch Beschwerden, psychopatho­
logische Phänomene und das Ergebnis der
Schmerzanalyse lassen sich auch neurolo­
gische Krankheiten nicht hinreichend sicher
ausschließen. Der 28-jährige Schmerzpatient
T. M. listete schriftlich als Beschwerden von 15
Monaten Dauer auf:
1. Tumorartige Kopfschmerzen
2. Schwäche der linken Körperhälfte
3. Brennen in der linken Körperhälfte
4. Stromartige Strömungen im Gehirn
5. Druck über dem linken Auge
6. Gefühllosigkeit am ganzen Körper
7. Pulsieren an verschiedenen Stellen am
Körper
8. Essen wirkt wie Gift auf Gehirn
9. Gesichtsschmerzen
10.Ständige Gelenkschmerzen
11. Energielosigkeit
12.„Wahnsinnige Schmerzen“.
Bei der neurologischen Abklärung ergab sich
mithilfe von MRT und Liquordiagnostik eine
multiple Sklerose, welche entsprechend zu be­
handeln war.
Fazit für die Schmerztherapie
Differenzialdiagnostisch kommen bei auffal­
lenden Beschwerden und unangenehmen
Missempfindungen Coenästhopathien bei
Schizophrenien und affektiven Störungen (De­
pressionen) in Betracht. Dabei sind verschie­
dene neurologische und internistische Erkran­
kungen wegen der grundverschiedenen Diffe­
renzialtherapie mit Sorgfalt auszuschließen.
Vor der Anwendung von Cannabis bei schweren
Schmerzkrankheiten sollte eine psychiatrische
Stellungnahme eingeholt werden, um gefähr­
liche Komplikationen wie die Auslösung von
Psychosen möglichst zu vermeiden.
■
Roland Wörz, Bad Schönborn
Literatur
1.Bleuler E. Dementia praecox oder Gruppe der
Schizophrenien. Deuticke, 1911, Leipzig –
Wien.
2.Degenhardt L, Hall W. Cannabis and psychosis. Curr Psychiat Rep 2002;4:91–96.
3.Dtsch Ges Psychiat Psychoth Nervenheilk
(Hrsg). Behandlungsleitlinien Schizophrenie.
Darmstadt; Steinkopff, 1998.
4. Elsner F, Radbruch L, Sabatowski R. Tetrahydrocannabinol zur Therapie chronischer
Schmerzen. Schmerz 2001;15:200–2004.
5.Gottschling S. Cannabinoide bei Kindern mit
Spastik und Schmerzen. Med Report
2010;34(13):11.
6.Gross G, Huber G. Pain in psychotic disorders.
Neurol Psychiat Brain Res 1996;4:87–92.
7.Huber, G. Die coenästhetische Schizophrenie.
Fortschr Neurol Psychiat 1957;25:491–520.
8.Jakubaschik J, Böker W. Gestörtes Schmerzempfinden bei Schizophrenie. Schweiz Arch
Neurol Psychiat 1991;142(1):55–76.
9.Schneider U et al. Die Bedeutung des endogenen Cannabinoidsystems bei verschiedenen
neuropsychiatrischen Erkrankungen. Fortsch
Neurol Psychiat 2000;68:433–438.
10.Svendsen KB et al. Does the cannabinoid
dronabinol reduce central pain in MS? Randomised double blind placebo controlled cross­
over trial. Brit med J 2004;329:253–258.
11.Virit O et al. Lack of pain in schizophrenia: A
patient whose arm was burned and amputated.
Gen Hosp Psychiatrie 2008;30:384–385.
12.Zubin J, Spring B. Vulnerability – A new view
of schizophrenia. J Abnorm Psychol
1977;86(2):103–126.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Der Deutsche Schmerztag 2011/Neurologie
Mit bilanzierter Diät erfolgreich gegen
die Migräne?
Standard in der Prophylaxe von Migräneanfällen sind verschreibungspflichtige chemische Arzneimittel
wie z.B. Propranolol oder Topiramat, die Compliance in der Langzeittherapie und damit der Einsatz ist
aber aufgrund der Nebenwirkung eingeschränkt. Eine diätetische Behandlung mit der ergänzenden
bilanzierten Diät Migravent® kann die Zahl der Migränetage deutlich verbessern, und das ohne relevante
Nebenwirkungen, berichtet Privatdozent Dr. med. habil. Rüdiger Schellenberg, DGS-Leiter Hüttenberg,
aufgrund einer offenen klinischen Studie.
N
euere Studien zeigen, dass die Pathophysiologie der Migräne mit einer Störung des mitochondrialen neuronalen Energiestoffwechsel des Gehirns einhergeht. Die damit verbundene Abnahme in der ATP-Konzentration kann Störungen der Ionenkanäle und
damit Migränenattacken auslösen.
Die Mikronährstoffe Magnesium, Riboflavin
und Q10 spielen eine zentrale Rolle im mitochondrialen Energiestoffwechsel. Magnesium
wird als Kofaktor einer Untereinheit der ATPSynthase benötigt. Riboflavin spielt als
Precursor für die Koenzyme FMN und FAD
eine wichtige Rolle in der Atmungskette und
Coenzym Q10 transportiert Elektronen vom
Komplex I und Komplex II auf Zytochrom C.
Defizite an diesen Stoffen sind bei Migränepatienten beschrieben. Klinische Studien mit
jeweils 600 mg Magnesium, 400 mg Riboflavin oder 150 mg Q10 als Monosubstanzen
Abb. 1: Reduktion der Migränetage
durch Migravent®
7
6
6,6
Migränetage pro Monat [n]
3,8
3,4
2
1
0
xxxxxx
4,6
3
1
Studiendesign
In einer deskriptiven offenen Studie nahmen
31 Migränepatienten (Diagnose nach IHS-Kriterien IHS 1.1 und 1.2) über einen Zeitraum
von drei Monaten in einer fixen Kombination
täglich 2 x 2 Kapseln mit einer Tagesdosis von
600 mg Magnesium, 400 mg Riboflavin und
150 mg Q10 zusammen mit verschiedenen
Vitaminen und Mineralstoffen/Spurenelemen­
ten in Form der ergänzenden bilanzierten Diät
Migravent® von Orthoexpert® ein.
Die Patien­ten hatten mindestens drei Migräneattacken pro Monat. Vor der Behandlung
erfolgte eine einmonatige therapiefreie Run-inPhase zur Ermittlung der Baseline-Werte.
Migräneattacken, Dauer, Schmerzintensität
und Akutmedikation wurden von den Patienten
in einem Tagebuch dokumentiert, das im Internet online zur Verfügung stand. Die Einträge
erfolgten täglich zur Kontrolle der Compliance
und über die komplette Studiendauer von vier
Monaten. Zu Beginn und am Ende der Studie
fand eine Arztvisite mit zusätzlicher Daten­
erhebung statt.
Ermutigende Resultate
5
4
konnten eine Wirksamkeit in der MigräneProphylaxe zeigen.
2
3
Zeit [Monate]
4
1. Monat = Baseline / 2.−4.Monat = Therapie
Angaben sind Mittelwerte
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
27 Probanden konnten deskriptiv ausgewertet werden. Vier Patienten mussten ausgeschlossene werden, drei aufgrund mangelnder
Compliance und einer aufgrund eines Status
migrae­nosus in der Run-in-Phase. Das durchschnittliche Alter der Studienteilnehmer betrug
37 Jahre, davon waren 23 waren Frauen und
vier Männer. Alle Probanden hatten seit
mindes­tens einem Jahr Migräne.
In der Run-in-Phase kam es zu vier bis zehn
Migränetagen. Eine Reduktion aller MigräneParameter (Migränetage, -dauer und -intensität
sowie Einsatz von Schmerzmitteln) erfolgte
schon nach einem Monat Einnahme von Migra-
Rüdiger Schellenberg, Hüttenberg
vent®. Nach drei Monaten Einnahme konnten
die Migränetage um 47,6% gesenkt werden
(Abb. 1; Baseline: 6,56 ± 1,83 [6], 1. Monat:
4,63 ± 1,67 [4], 2. Monat: 3,81 ± 1,86 [4], 3.
Monat: 3,44 ± 2,26 [3]; Mittelwerte mit Standardabweichungen, Median in Klammer).
An Akutmitteln wurden 54,4% weniger eingenommen (Migränetage mit Akutmittel, Baseline: 5,04 ± 2,14 [4], 1. Monat: 3,63 ± 1,88 [3],
2.Monat: 2,70 ± 1,86 [2], 3. Monat: 2,30 ± 2,27
[2]; Mittelwerte mit Standardabweichungen,
Median in Klammer) und bei 51,9% aller
Patien­ten wurde die Anzahl der Migränetage
um mindestens 50% gesenkt. Patienten mit
mehr als fünf aber weniger als neun Attacken
in der Baseline-Phase profitierten noch deutlicher durch Migravent® , darunter hatten zwei
Patienten überhaupt keine Migräneattacken
mehr und vier Patienten eine Reduktion der
Migränetage um 71%, 80%, 83% und 89%.
Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit der bilanzierten Diät traten nicht auf,
die Verträglichkeit wurde von allen Patienten
als sehr gut bewertet. In einer abschließenden
Bewertung gaben 22 von 27 Probanden an, die
Therapie erneut einnehmen zu wollen.
Fazit
Die prophylaktische Einnahme von hoch dosiertem Magnesium, Riboflavin und Koenzym
Q10 zusammen mit einer Vitamin- und Mineralstoffmischung in der ergänzenden bilanzierten
Diät Migravent ® senkt die Ausprägung von
Migränesymptomen deutlich und im vergleichbaren Maße wie publizierte Werte von chemischen Migräneprophylaktika. Vorteile von
Migravent® sind neben der natürlichen Zusammensetzung die sehr gute Verträglichkeit und
das Fehlen von Kontraindikationen.
■
Rüdiger Schellenberg, Hüttenberg
Literatur beim Verfasser
17
Schmerztherapie und Umwelt
Mehr „CT-gesteuerte minimalinvasive“ Verfahren:
kein Benefit für Schmerzpatienten?
Schmerztherapeutische „Blockaden“ nach dem Kapitel 30.7.2 EBM haben seit der Einführung des EBM 2000plus und der Anpassungen des EBM z.T. deutlich abgenommen. Zugenommen haben aber um ca. 100% die sog. CT gesteuerten Interventionen
(Zahlen der KV Rheinland-Pfalz). Sowohl in radiologischen Instituten als auch in interventionell ausgerichteten orthopädischen
und neurochirurgischen Praxen und Klinikambulanzen werden immer häufiger bildgebende Verfahren angewendet, um periradikuläre Therapien (PRT) oder Blockaden von arthrogenen Strukturen des Achsenskeletts, z.B. Facettenblockaden bzw. Facettendenervationen, durchzuführen. Diese Entwicklung ist nicht nur aufgrund der Strahlenbelastung dieser Techniken problematisch,
warnt Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen.
Wenig bekannt ist, dass der größte Beitrag zur
mittleren effektiven Dosis der zivilisatorischen
Strahlenexposition der Bevölkerung nicht
durch Kernkraft oder durch natürliche Strahlung verursacht wird, sondern durch die medizinische Anwendung radioaktiver Stoffe und
ionisierender Strahlung.
Nach Angaben der Universität Zürich beträgt die lokale effektive Gesamtdosis einer
lumbalen CT mindestens ca. 2 mSV oder sogar höher bis ca. 6 mSV. Jede Sitzung einer
CT-gesteuerten Blockade besteht aber aus
mindestens zwei Durchläufen (nativer Orien­
tierungsscan und Nadelpositionskontrolle,
evtl. sogar bei Fehllagen mehrfach) und diese
Durchläufe werden bei Erfolg oder Misserfolg
auch mehrfach wiederholt, sodass weit höhere lokale Summendosen pro Behandlung
erreicht werden können. Das Bundesamt für
Strahlenschutz hat in seiner aktuellen Bekanntgabe der „aktualisierten Referenzwerte
für diagnos­tische und interventionelle Röntgenuntersuchungen“ vom 22. Juni 2010 die
Höhe der Strahlenexposition für CT im Bereich
der LWS bei 16–42 mGy für den orientierenden
Shot und für die Scanserie bei 250-500 mGy/
cm (bezogen auf das Dosis-Längenprodukt)
festgestellt. Die Werte für diagnostisch/therapeutische Röntgen-(Bildwandler-)Durchleuchtungen liegen sogar bezogen auf das Dosisflächenprodukt um mindestens den Faktor 10
höher. (Dies sind die angewendeten Dosen, die
die Betreiber von Geräten an das BfS übermitteln).
Nutzen-Risiko?
Den „wissenschaftlichen“ Hintergrund für diese
minimalinvasiven Wirbelsäuleninterventionen
bildet das Konzept der perineuralen/periradikulären Fibrose oder Entzündung bzw. der aktivierten Arthrose/Periostitis im Bereich von
Wirbelsäulengelenkstrukturen. Eine Überlegenheit der bildgebenden CT-gesteuerten Blockade wurde zwar in einigen Übersichtsarbeiten dargelegt, Letztere beziehen sich aber
auf eher spärliche und nicht kontrollierte Literaturbelege. Ebenfalls kaum belegt sind die
Abrechnungshinweis:
Berechnungsfähig nach EBM ist die CT-Steuerung nur dann, wenn der Arzt neben der CTSteuerung zusätzlich eine interventionelle Maßnahme durchführt. Für Radiologen bedeutet
dies, dass sie die Blockade zusätzlich zur CT-Steuerung selbst erbringen müssen, um die
EBM-Ziffer 34502 berechnen zu können. Die Alternative ist die Kooperation des Radiologen
mit einem Orthopäden, Neurochirurgen oder Schmerztherapeuten. Letzterer rechnet dann
z.B. eine Spinalnervenblockade nach EBM Nr. 30724 ab und der Radiologe die CT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule nach EBM Nr. 34311 (1.940 Punkte). Der kooperierende
Arzt rechnet in solchen Fällen die von ihm erbrachten Leistungen ab (zum Beispiel Punktio­
nen) und der Radiologe die durchgeführten CT-Untersuchungen. Diese Leistungen sind im
EBM deutlich höher bewertet als eine Schmerzanalyse nach EBM Nr. 30702. Der gemeinsame Bundesausschuss, dessen Beschlüsse Richtliniencharakter in der medizinischen Versorgung haben, hat nun auch den Krankenhausbereich für die ambulante Behandlung mit
diesen Methoden geöffnet.
18
© panthermedia.net Edward Bock
LWS-Untersuchungen belasten
meist üblichen Beimengungen hoher Dosen
von Kortikoiden zur Lokalanästhesie, meist
sogar in Kristall-Depotsuspensionen. Abgesehen davon, dass es sich dabei häufig um klassische „Off-Label“-Anwendungen handelt (d.h.
Kortikoide sind für perineurale Anwendung gar
nicht zugelassen), sind damit auch internis­
tische Risiken verbunden wie Stoffwechselinteraktionen (Diabetesentgleisung, Cushingoi­
de), die in der Regel wenig beachtet werden,
aber gleichsam immer häufiger beobachtet
werden können. Auch bezüglich der in anästhesiologischen Anwendungen definierten Sicherheitsprozeduren bei Anwendung von Lokalanästhetika bezüglich toxischer, allergischer UAWs oder unerwünschter Anästhesieausbreitungen bzw. Nebenwirkungen gelten in
radiologischen/orthopädischen oder neurochirurgischen Abteilungen offenbar andere oder
manchmal auch gar keine Regeln.
Unkritischer Einsatz bei Rückenschmerz
In der Praxis ist zu beobachten, dass diese Verfahren besonders häufig bei Rückenschmerz­
patienten angewendet werden. Nach radiologisch
festgestellten mutmaßlichen Schmerzgeneratoren (z.B. Facettengelenkshypertrophie, Foramenstenosen, Spinalkanalstenosen, Bandscheibenprotrusionen oder Prolaps) werden häufig
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Schmerztherapie und Umwelt
schon fast routinemäßig oder reflexhaft sehr zeitnah eine oder gar Serien dieser Blockaden, z.B.
unter dem Namen „Mikrotherapie“,„minimalinva­
sive Blockade“ oder „PRT“ (periradikuläre Therapie), durchgeführt. Eine „harte“ klinische Indizierung nach eingehender neuroorthopädischer
Untersuchung, die die Ergebnisse dieser Bildgebung mit dem klinischen Befund in Deckung brin-
gen würde, findet vorher aber nur selten statt.
Dabei ist die häufig geringe Relevanz angeblich
pathogener radiologischer Befunde für das tatsächliche klinische Beschwerdebild mittlerweile
gut bekannt. Die Patienten und Therapeuten gleichermaßen erhoffen sich aber vom technischen
Aufwand der Injektionen besonders gute und anhaltende Therapieergebnisse.
§ 6 StrSchuV, (Strahlenschutzverordnung) Vermeidung unnötiger Strahlenexposition
und Dosisreduzierung
(1) Wer eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 plant oder ausübt, ist verpflichtet, jede unnötige
Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt zu vermeiden.
(2) Wer eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 plant oder ausübt, ist verpflichtet, jede Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt unter Beachtung des Standes von
Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch
unterhalb der Grenzwerte so gering wie möglich zu halten.
Die gültige Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes
vom 29. August 2008 (BGBl. I S. 1793) geändert. Die Schwerpunkte der veröffentlichten Stellungnahme des Bundesumweltministeriums zur Novelle der StrlSchV:
Die Grundsätze des Strahlenschutzes
• Rechtfertigung für den Einsatz von radioaktiven Stoffen,
• Einhaltung der Grenzwerte,
• Pflicht zur Dosisbegrenzung und
• -reduzierung
werden an zentraler Stelle in der Verordnung verankert.
Folgende zentrale Neuregelungen sind hervorzuheben:
Der Dosisgrenzwert für die Bevölkerung wird von 1,5 auf 1 Millisievert abgesenkt, für Arbeitskräfte von 50 auf 20 Millisievert.
Tab. 1: Ungefähre effektive Dosen häufiger Röntgen-Untersuchungen in mSv
(Patient mit 75 kg)
Röntgen Röntgen von Extremitäten (Hand, Fuß) Röntgen-Thorax (Brustkorb) Mammografie bds. Röntgen Brustwirbelsäule in 2 Ebenen Röntgen Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen Röntgen Nieren (Ausscheidungsurografie) 0,01–0,1
0,05–0,1
0,2–0,6
0,5–0,8
0,8–1,8
2–5
Computertomografie Kopf Wirbelsäule Thorax (Brustkorb) Bauch (Abdomen, abhängig von der genauen Technik) Herz CT-Calcium-Scoring Herz CT-Koronarangiografie qCT (Knochendichtemessung) 2–4
2–11
6–10
10–20
2
10–15
0,05
Zum Vergleich:
Transatlantikflug (San Francisco, hin und zurück) Berufspilot Rauchen einer Zigarette Reaktorunfall Tschernobyl am 26.04.1986 im ersten Jahr zusätzlich Reaktorunfall Tschernobyl am 26.04.1986 zurzeit noch zusätzlich ca. 0,1
bis ca. 5 mSv/Jahr
ca. 0,07
ca. 1 mSv/Jahr (Bayern)
ca. 0,016 mSv/Jahr
Gerade chronische Rückenschmerzen sind
aber in der Regel ein multifaktorielles und poly­
kausales Geschehen und erfordern, da sind
sich alle Expertisen einig, ein – wenn möglich
– multimodales Vorgehen. Monomethodisches
Vorgehen ist hier häufig eher kontraproduktiv,
und die Erfolge sind erfahrungsgemäß vergleichsweise spärlich und selten lang anhaltend.
CT-Darstellung überflüssig?
Deswegen stellt sich die Frage, ob man im
Rahmen einer Schmerztherapie für die Routine einer diagnostisch/therapeutischen Blockade regelhaft einer Bildgebung wie CT oder
Röntgen bedarf. Tatsächlich gibt es relativ eindeutige anatomische „Landmarks“ zur Steuerung von Injektionen und strahlungsfreie Alternativen wie z. B. Sonografie. Selbst wenn diese
je nach Geschick und Erfahrung des Therapeuten zu Ungenauigkeiten führen mögen, ist
damit aber noch nicht belegt, dass größere
Genauigkeit zu besseren Ergebnissen führt.
Andererseits wäre es geradezu widersinnig,
einem Anästhesisten für die OP-Routine ein
CT als Hilfsmittel für die Platzierung eines Periduralkatheters als Vorteil zu empfehlen. Eine
ganze Reihe an Literatur belegt das „Legeartis“-Vorgehen anästhesiologischer Verfahren, die in der Regel gänzlich ohne Bildgebung
auskommen (Niesel, Jankovic, Büttner/ Meier).
Bildgebung wird nur für anatomische Ausnahmefälle empfohlen.
Strenge Indikationen gefordert
Es steht außer Frage, dass bei speziellen Indikationen, wo sich die Klinik der Beschwerden
mit den Ergebnissen einer Bildgebung deckt,
eine exakt platzierte diagnostische therapeutische Blockade im Wortsinne zielführend sein
kann. Dies erschließt sich vorwiegend auch bei
schwierigen anatomischen Verhältnissen (z. B.
Adipositas, Wirbelsäulenfehlformen etc.). Im
Rahmen der aktuellen Diskussion um die Unterschätzung von Gefahren medizinischer
Strahlenexposition kann deshalb die CT oder
Röntgen mit bildgebend gesteuerten, sog. „minimalinvasiven“ Verfahren im Bereich der Wirbelsäule keine einfache schmerztherapeutische Routine darstellen. Diese Verfahren
können jedoch für (seltene) monokausale
Schmerzgeneratoren (z.B. Facettenarthropathie, Foramenstenose), bei schwierigen anatomischen Verhältnissen und für bestimmte Prozeduren ausnahmsweise sinnvoll sein und
sollten aber in diesen Fällen vorher klinisch
zwischen den Behandlern konsentiert und in■
diziert werden.
http://www.radiologie-gp.de/index.php?option=com_content&task=view&id=23&Itemid=26
Oliver Emrich, Ludwigshafen
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
19
Medizin und Recht
Interessante Rechtsprechung zum
Arztberufsrecht
Wie schnell muss ein Vertragsarztsitz in einem MVZ wieder besetzt werden? Wann
erhöht sich das Regelleistungsvolumen in einer Berufsausübungsgemeinschaft und
wer hat Anspruch auf eine Sonderbedarfszulassung? Wann droht eine Zulassungsentziehung und wie schnell muss eine Abrechnung erfolgen? Diese Fragen beantworten aktuelle medizinrechtliche Entscheidungen, die Dr. Ralf Clement, Clement &
Ziegler Rechtsanwälte, Tübingen, vorstellt.
O
© Infinite XX - fotolia.com
bwohl seit der Einführung medizinischer
Versorgungszentren als zugelassene
Leistungserbringer in der vertragsärztlichen
Versorgung in 2004 bereits etliche Jahre vergangen sind, gibt es immer noch offene rechtliche Fragestellungen. So unter anderem die
Frage, ob für die Nachbesetzung einer Arztstelle in zulassungsbeschränkten Planungsbereichen eine Frist einzuhalten ist. § 103 Abs. 4a
SGB V selbst nennt keine Frist. Die Zulassungsgremien ziehen deshalb gerne die zur
Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes nach
§ 103 Abs. 4 SGB V entwickelte Spruchpraxis
heran und gehen i. d. R. von einem Zeitraum
von längstens sechs Monaten aus. Wegen des
20
sich zunehmend verschärfenden Ärztemangels entsteht so jedoch die Gefahr, dass Vertragsarztsitze für angestellte Ärzte, die nicht
rechtzeitig wiederbesetzt werden können, untergehen. Die Problematik betrifft nicht nur
medizinische Versorgungszentren sondern gilt
in gleichem Maße für gemäß § 103 Abs. 4b
SGB V bei Vertragsärzten angestellte Ärzte.
Zur Nachbesetzung der Stelle eines
angestellten Arztes im MVZ
Allerdings bedarf es für die Nachbesetzung der
Stelle eines angestellten Arztes in einem medizinischen Versorgungszentrum oder einer
vertragsärztlichen Praxis ausweislich der Re-
Ralf Clement,
Tübingen
gelung in §103 Abs. 4a bzw. 4b SGB V gerade
keiner fortführungsfähigen Praxis, womit die
Begründung für die sechsmonatige Frist zur
Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes entfällt. Man könnte daher daran denken, für den
Wegfall der Nachbesetzungsmöglichkeit von
angestellten Arztstellen einen förmlichen Beschluss über die Ent- bzw. Einziehung des entsprechenden Vertragsarztsitzes zu fordern.
Zu dieser Problematik gibt es nunmehr
eine erste, im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes ergangene Entscheidung des
LSG Baden-Württemberg. In dem streitgegenständlichen Fall war der ausscheidende Arzt
zunächst mit 34 Wochenstunden und ab dem
01.10.2009 aufgrund eines entsprechenden
Änderungsbeschlusses vom 23.09.2009 nur
mehr in einem Umfang von 20 Wochenstunden
als angestellter Arzt bei dem antragstellenden
MVZ beschäftigt gewesen. Den Beschluss vom
23.09.2009 hatte der Zulassungsausschuss
mit einer Nebenbestimmung versehen, nach
der die Anstellung des Arztes, soweit sie nicht
dem zeitlichen Umfang einer Vollbeschäftigung
von über 30 Stunden entspricht, nur innerhalb
von sechs Monaten nach Beginn der Anstellung bis zu einer Vollzeitbeschäftigung von
mehr als 30 Stunden pro Woche erweitert
werden konnte. Dies sollte auch für die Nach­
besetzung der Stelle mit einem angestellten
Arzt gelten. Nach dem Ausscheiden des Arztes
zum 31.01.2010 wurde beim Zulassungsausschuss erstmals in der Zulassungsausschusssitzung am 22.04.2010 ein wirksamer Antrag
auf Genehmigung der Beschäftigung eines
Nachfolgers für den ausscheidenden Arzt im
Umfang von 40 Stunden, hilfsweise 20 Stunden, gestellt. Der Zulassungsausschuss hat
daraufhin lediglich dem Hilfsantrag stattgegeben und den Antrag im Übrigen zurückgewie-
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Medizin und Recht
sen. Die dagegen vom antragstellenden MVZ
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Das
LSG stützte seine Entscheidung insbesondere
auf den Ablauf der vom Zulassungsausschuss
gesetzten sechsmonatigen Frist.
Verlängerung der Nachbesetzung beantragen
Wird wie im vorliegenden Fall von den Zulassungsgremien bereits im Rahmen der Anstellungsgenehmigung eine Frist für die Nachbesetzung Arztstelle bzw. für eine Erhöhung des
zeitlichen Umfangs derselben festgesetzt,
sollte man künftig unbedingt darauf achten,
ggf. rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung
der Nachbesetzungsfrist zu stellen, wenn damit zu rechnen ist, dass diese nicht eingehalten werden kann. Dem Antrag auf Verlängerung der Nachbesetzungsfrist wird regelmäßig
dann stattzugeben sein, wenn das MVZ bzw.
der Vertragsarzt aus Gründen, die es nicht zu
vertreten hat, nicht in der Lage ist, die Angestelltenstelle rechtzeitig wieder zu besetzen
und Sicherstellungsgründe für einer Wiederbesetzung sprechen. Parallel dazu kommt ggf.
auch ein Antrag auf Ruhen der Arztstelle in
Betracht; ob ein entsprechender Ruhensantrag
zulässig ist, ist allerdings ebenfalls noch nicht
geklärt.
Regelleistungsvolumen für Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ
Mit Beschluss des Bewertungsausschusses
vom 22.12.2010 wurden die Zuschläge für die
Erbringung von ärztlichen Leistungen in überörtlichen und fachübergreifenden Berufs­aus­ü bungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren mit Wirkung zum
01.04.2011 neu geregelt. Bei standortübergreifenden fach- und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit
angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe
wird das Regelleistungsvolumen zukünftig nur
mehr dann um 10% erhöht, wenn ein Kooperationsgrad von mindestens 10% erreicht wird.
Der Kooperationsgrad einer Praxis bzw. eines
Medizinischen Versorgungszentrums ist definiert als die Summe der Arztfälle geteilt durch
die Summe der Behandlungsfälle pro Quartal,
wobei jeweils das Vorjahresquartal maßgeblich
ist.
Bei fach- und schwerpunktübergreifenden
Berufsausübungsgemeinschaften, medizini­
schen Versorgungszentren und Praxen mit
angestellten Ärzten, in denen mehrere Ärzte
unterschiedlicher Arztgruppen tätig sind, erfolgt ein je nach Kooperationsgrad gestaffelter
Aufschlag auf das Regelleistungsvolumen. Ab
einem Kooperationsgrad von mindestens 10%
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
erhöht sich das RLV ebenfalls um zunächst
10% und dann in 5%-Schritten jeweils um
die Höhe des erreichten Kooperationsgrades
bis zu einem maximalen Anpassungsfaktor
in Höhe von 40%. Für eine Erhöhung des Ko­
operationsgrades ist es erforderlich, dass ein
Patient die Praxis im gleichen Quartal mehrmals aufsucht und dabei von unterschiedlichen
Ärzten der Praxis bzw. des MVZ behandelt
wird. Bei nicht standortübergreifenden fachund schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten
Ärzten der gleichen Arztgruppe bleibt es bei
der bisherigen Regelung, d. h. das Regelleis­
tungsvolumen wird unabhängig vom Kooperationsgrad pauschal um 10% erhöht.
Sonderbedarfszulassung wegen eines
besonderen Versorgungsbedarfs
Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 08.12.2010 – B 6 KA 36/09 R
– seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszulassung im
gesperrten Planungsbereich weiter präzisiert.
Dabei hat es klargestellt, dass bei der Bemessung des für eine Sonderbedarfszulassung
erforderlichen Versorgungsbedarfs der Bedarf
für sogenannte einpendelnde Patienten mit zu
berücksichtigen ist. Die Zulassungsgremien
hatten diese bei der Bedarfsermittlung herausgerechnet. Für Schmerztherapeuten ist das
Urteil insoweit interessant, als nach den vom
BSG nicht beanstandeten Ausführungen der
Vorinstanzen ein zusätzlicher Versorgungsbedarf insbesondere dann in Betracht kommen
kann, wenn einem anderen auf demselben
Fachgebiet tätigen Arzt eine Erhöhung der regelleistungsvolumenrelevanten Fallzahlen zugebilligt worden ist. Diese Argumentation lässt
sich ohne Weiteres auf eine Erhöhung der Fallzahlbegrenzung für Schmerzpatienten gemäß
Ziffer 6 der Präambel zu Kapitel 30.7 EBM
übertragen. Auch diese wird regelmäßig ein
Indiz für einen zusätzlichen Versorgungsbedarf
darstellen.
Vorschriften des Vertragsarztrechts
beachten
Die Praxis zeigt, dass es immer wieder einer
Erinnerung daran bedarf, dass es sich bei den
Vorschriften des Vertragsarztrechts um streng
formale Regelungen handelt. Dies gilt insbesondere für die gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1
Ärzte-ZV zwingend erforderliche Genehmigungen zur Beschäftigung vertragsärztlich tätiger Assistenten und das Verbot, für Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung von den
Patienten Zusatzentgelte zu verlangen.
Das Bayerische LSG hat mit Beschluss
vom 05.01.2011 – L 12 KA 116/10 B ER – die
Entziehung der Zulassung eines Orthopäden
zur vertragsärztlichen Versorgung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bestätigt,
der mittels Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr nebst Geldstrafe
verurteilt worden war, weil er Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung als individuelle Gesundheitsleistungen abgerechnet
und über mehrere Monate einen nicht genehmigten Assistenten beschäftigt hatte. Dem
Strafbefehl lag eine Schadenssumme von
191.621,79 Euro zugrunde. Der betroffene
Arzt war zuvor mehrfach aufgrund von Plausibilitätsprüfungen in Regress genommen und
disziplinarisch zur Zahlung einer Geldbuße
verurteilt worden.
Unabhängig von den massiven vertrags­
ärztlichen Verstößen, die eine Zulassungsentziehung im konkreten Fall sicherlich rechtfertigen, zeigt die Entscheidung bezüglich des
Vorwurfs der Beschäftigung eines nicht genehmigten Assistenten wieder einmal, dass es
in der vertragsärztlichen Versorgung gerade
nicht nur darauf ankommt, ob abgerechnete
Leistungen auch tatsächlich erbracht wurden,
sondern insbesondere auch da, dass die für
eine ordnungsgemäße Leistungserbringung
erforderlichen Genehmigungen eingeholt
wurden. Hierauf ist insbesondere bei der Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten zu
achten, da deren Anstellungsgenehmigungen
regelmäßig nur befristet erteilt werden.
Zur Pflicht des Vertragsarztes zur
pünktlichen Abrechnung
Sozialgerichtliche Entscheidungen in vertragsärztlichen Disziplinarverfahren sind relativ
selten. Das SG Marburg hat nunmehr in einer
Entscheidung vom 02.02.2011 – S 12 KA
902/09 – zur Pflicht des Vertragsarztes zur
peinlich genauen Abrechnung Stellung genommen und dargelegt, dass diese auch die Pflicht
zur pünktlichen Abrechnung umfasst, da eine
Kassenärztliche Vereinigung aufgrund der Regelungen zur Honorarverteilung regelmäßig
darauf angewiesen ist, alle Abrechnungen innerhalb der Abgabefrist zu erhalten. Bei wiederholt verspäteter Abgabe der Abrechnungen
rechtfertigt dies die Festsetzung einer Geld­
buße. Im streitgegenständlichen Fall hatte der
Vertragsarzt über mehrere Jahre seine Abrechnungen teilweise erheblich verspätet eingereicht. Der Disziplinarausschuss hatte daraufhin eine Geldbuße in Höhe von m 3.000,00
festgesetzt und die Kosten des Disziplinarverfahrens, die ebenfalls vom Arzt zu tragen sind,
mit m 2.500,00 bemessen. Beides wurde vom
Sozialgericht nicht beanstandet.
■
Dr. Ralf Clement, Tübingen
21
Pharmakotherapie
Arthroseschmerzen mit starken Opioiden
wirksam und verträglich lindern
© Foto : Küsters
Starke Arthroseschmerzen, die eine Knie-Totalendoprothese erforderlich machen, können im Umfeld einer Operation mit der
retardierten Fixkombination Oxycodon/Naloxon effektiv gelindert werden. Kommt dieses Opioid frühzeitig zum Einsatz, kann
die Funktionalität und Lebensqualität der betroffenen Patienten schnell wiederhergestellt werden, belegt eine neue nicht
interventio­nelle Beobachtungsstudie an über 80 Patienten, die Priv.-Doz. Dr. Jan Zöllner, Chefarzt am SRH Klinikum KarlsbadLangensteinbach vorstellte*.
Die beiden Referenten des Presse-Round­
table Cordelia Schott (li.) und Jan Zöllner
(re.).
J
ährlich werden laut Barmer GEK Krankenhausreport 2010 etwa 175.000 Erst-implantationen am Kniegelenk durchgeführt.
Damit sind Knieimplantate nach Hüftimplantaten die zweithäufigste Endoprothese. Über
80 Patienten wurden in die Studie einbezogen
und entweder mit Targin® oder mit anderen
Analgetika behandelt. Im Beobachtungszeitraum von sechs Monaten fanden sechs Untersuchungstermine statt.
Höhere Wirksamkeit und bessere Verträglichkeit
Insgesamt beurteilten die Studienteilnehmer
der Oxycodon/Naloxon-Gruppe ihre Behandlung deutlich positiver als die Patienten der
Kontrollgruppe. Mit sehr gut bzw. gut beurteilten 32,6 bzw. 58,1% des Targin ®-Kollektivs,
aber nur 10,8 bzw. 54,1% der Kontrollgruppe
die Verträglichkeit der Therapie. Auch die Wirksamkeit bewerteten die mit der Fixkombination
behandelten Patienten besser. Das Ergebnis
lag bei 39,5 bzw. 53,5% für sehr gut bzw. gut.
Im Vergleich dazu bewerteten 27,0% der Kontrollgruppe die Wirksamkeit mit sehr gut und
51,4% mit gut.
22
Deutliche Unterschiede ergaben sich auch
bei der Erhebung des Knee Scores nach Larson1. Hier verbesserte sich die Oxycodon/
Naloxon-Gruppe während der schmerztherapeutischen Behandlung von durchschnittlich 42,1 auf 58,3 Punkte. Die Patienten der
Kontrollgruppe starteten mit einem ähnlichen
Wert von 42,5 Punkten, steigerten sich jedoch
nur auf 50,8 Punkte. Unterschiedlich entwickelte sich auch die Fähigkeit der Patienten,
während der Rehabilitation eine Physiotherapie durchzuführen. Zwei bis drei Tage nach
der Knie-TEP-Implantation war nur ein geringer Teil der Patientenkollektive, 11,6% in der
Oxycodon/Naloxon-Gruppe und 13,5% in der
Kontrollgruppe, dazu uneingeschränkt in der
Lage. Zum fünften Untersuchungstermin verbesserte sich dieser Anteil in der Oxycodon/
Naloxon-Gruppe um etwa das Fünffache auf
58,1%. In der Kontrollgruppe verdoppelte sich
der Anteil auf 27,0%. In Bezug auf den HSSScore2 wiesen die meisten Patienten sowohl in
der Oxycodon/Naloxon-Gruppe als auch in der
Kontrollgruppe zum ersten Untersuchungstermin vor der Knie-TEP-Implantation schlechte
Ergebnisse auf: 60,5% bzw. 54,1% fielen in
diesen Bereich. Dies änderte sich deutlich
im Laufe der Behandlung. Etwa vier Wochen
nach der Operation lagen die Ergebnisse in der
Oxycodon/Naloxon-Gruppe zu 26,8% im exzellenten Bereich und somit etwa ein Drittel über
denen der Kontrollgruppe mit 19,4%.
Bessere Lebensqualität und
Funktionalität
„Die abschließenden Untersuchungen zeigen,
dass es mit einer adäquaten standardisierten
Schmerztherapie möglich ist, ein sehr gutes
funktionelles Ergebnis zu erreichen. Außerdem
verbessert sich im Rahmen der Rehabilitation
auch die Lebensqualität der Patienten“, so das
Fazit Zöllners. „Zu erkennen ist, dass ein Verändern, Umsetzen oder Absetzen der kontinuierlichen Schmerztherapie zum Beispiel auf eine
reine Bedarfsmedikation zu einem negativen
Einfluss in den gewünschten Behandlungszielen führt.“
Kasuistik
Wie wichtig eine effektive Schmerztherapie für
den Erfolg der Rehabilitationsmaßnahmen ist,
bestätigt auch die Kasuistik eines Patienten
von Zöllner. Der sportlich aktive 63-jährige Allgemeinarzt litt unter deutlichen degenerativen
Veränderungen im Bereich seines rechten
Kniegelenkes mit zunehmender Fehlstellung,
Einschränkung der Gehstrecke sowie Bewegungsschmerzen der Intensität 7–8 auf der
numerischen Ratingskala3. Dies schränkte ihn
stark ein, etwa beim Treppenlaufen, sodass er
keine Hausbesuche mehr machen konnte.
2007 erfolgte die Implantation einer Knie-­
Endoprothese.
Nach der Operation wurde der Patient zunächst mit zweimal täglich 20 mg/10 mg Targin® behandelt. Schon vier Wochen später
konnte er stundenweise seine Tätigkeit als
Allgemeinarzt wieder aufnehmen. Die Dosierung wurde nach sechs Wochen Therapie auf
zweimal täglich 10 mg/5 mg Targin® gesenkt
und nach zwei weiteren Wochen abgesetzt. Da
die Schmerz-Intensität nur noch unter NRS 3
lag, waren auch sportliche Aktivitäten wieder
möglich.
* Presse-Roundtable „Starke Opioide für Mobilität und Aktivität
von Schmerzpatienten: Mit Schmerzexperten im Dialog“, veranstaltet von Mundipharma am 29. Juni 2011 in Frankfurt am
Main.
1
nee Score nach Larson: erfasst die Resultate einer KnieK
TEP-Operation aufgrund der Kriterien Funktion, Schmerz,
Anatomie, Bewegungsausmaß; 5 = schlechte Kniefunktion,
100 = sehr gute Kniefunktion
2
Hospita-for-Special-Surgery-(HSS-)Score: erfasst anhand
der Kriterien Schmerz, Funktion, Bewegungsausmaß, Muskelkraft, Flexionsdeformität, Instabilität; Punktabzug für: Verwendung von Gehhilfen, Streckdefekten, Achsabweichungen
nach Varus bzw. Valgus; Ergebnisse sind aufgeteilt in exzellent, gut, befriedigend, schlecht
3
Numerische Ratingskala (NRS) 0 = keine Schmerzen, 10 =
stärkste vorstellbare Schmerzen
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Kongresse/Pharmakotherapie/Schmerzpreis/Internationale Presse
Der Patient begann mit dem Radtraining auf
der Straße mit dem Ziel, zehn Monate nach der
Operation am Radrennen Trontheim–Oslo (560
km) teilzunehmen. Es erfolgte ein entsprechendes Aufbautraining unter medizinischleistungsdiagnostischer Kontrolle. Das Ziel
wurde erreicht und die Strecke in 23 Stunden
bewältigt.
die Lebensqualität des Patienten verbessern.
„Hier bewährt sich oftmals der frühzeitige
Einsatz von starken Opioiden“, so Schott. Im
Gegensatz zu den häufig verwendeten nicht
steroidalen Antiphlogistika (NSAR) sind diese
nicht organtoxisch und dadurch auch für die
Langzeiteinnahme geeignet.
dk/StK ■
Eine Knie-TEP-Implantation steht erst am
Ende der Behandlungsmaßnahmen zur Arthrose. Doch schon zu Beginn der Therapie ist das
Ziel, die Schmerzen schnell und effektiv zu lindern und die Gelenkfunktion zu verbessern.
„Der Schmerz kann und muss sofort und nicht
erst nach Abschluss diagnostischer Maßnahmen sinnvoll reduziert werden, damit der Betroffene seine Lebensqualität und Alltagsfunktionen erhalten oder wieder zurückgewinnen
kann“, berichtete Dr. Cordelia Schott, Präsidentin der Interdisziplinären Gesellschaft für
orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie e.V. (IGOST). Zum einen
ermöglicht dies den Patienten, eine für den
Therapieerfolg relevante Physiotherapie durchzuführen. Zum anderen verhindert eine frühzeitige, effektive Schmerztherapie, dass die
Schmerzen chronisch und damit zu einer
eigenständigen Erkrankung würden.
Dabei ist es wichtig, jeden Patienten individuell auf die für ihn geeignete Medikation
in der optimalen Dosierung einzustellen. Das
Analgetikum sollte starke Schmerzen wirksam,
dauerhaft und verträglich lindern und somit
© psdesign1 – fotolia.com
Arthroseschmerzen frühzeitig mit
starken Opioiden effektiv lindern
Internationale Presse
Rückenschmerzen rauben
den Schlaf
Schlafstörungen sind bei chronischen Rückenschmerzen weit verbreitet und verstärken die
Pein am nächsten Tag. Welche Prozesse hinter
den Schlafstörungen stehen, versuchten die
Forscher um Kathi Heffner et al. mit einer Studie an 25 Patienten mit chronischem Rückenschmerz zu klären.
Neben dem inflammatorischen Zytokin IL-6 im
Plasma wurden bei diesen Patienten die
Schlafqualität und die Depressivität abgefragt
sowie das Niveau ihrer Schmerzen. Als Kontrollgruppe dienten 25 geschlechts- und altersgematchte gesunde Probanden. Nur bei
den Rückenschmerzpatienten mit ausgeprägten Schlafstörungen fanden sich im Plasma höhere IL-6-Konzentrationen wie bei den
Gesunden und die Höhe des IL-6-Spiegels
korrelierte auch gut mit dem Ausmaß ihrer
Schmerzen.
Aufgrund dieser Befunde folgern die Autoren,
dass Entzündungsprozesse bei chronischen
Rückenschmerzen bei den begleitenden
Schlaf­störungen eine Rolle spielen können
und therapeutisch auch an dieser Entzündungsstörung angesetzt werden sollte.
Heffner K, France C, Trost Z, Mei N, Pigeon W.
Chronic Low Back Pain, Sleep Disturbance, and
Interleukin-6 . Clinical Journal of Pain 2011;
27(1):35–41.
Starke Knieschmerzen erfordern oft Opioide.
D e utscher Schmerzpreis 2012 ausges c h r i e b e n
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie
e.V., Trägerin des Deutschen Schmerzpreises,
verleiht seit 1986 zusammen mit der Deutschen
Schmerzliga e. V. jährlich den DEUTSCHEN
SCHMERZPREIS – Deutscher Förderpreis für
Schmerzforschung und Schmerztherapie. Mit ihm
werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich
durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände verdient gemacht oder die durch ihre
Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend
zum Verständnis des Problemkreises Schmerz
und den davon betroffenen Patienten beigetragen haben.
Verliehen wird der Deutsche Schmerzpreis im
Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages 2012 in Frankfurt/Main. Er wird von der
Firma Mundipharma Vertriebsgesellschaft mbH
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
u. Co. KG, Limburg, gestiftet und ist mit 10.000
Euro dotiert.
Nominierungen und Bewerbungen müssen bis
spätestens 31. Oktober 2011 bei der Geschäfts­
stelle eingereicht werden. Die Wahl erfolgt durch
eine unabhängige Jury und den wissenschaftlichen Beirat.
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.,
Adenauerallee 18 · 61440 Oberursel
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie
e. V. ist die größte europäische Schmerzfachgesellschaft. Ihr Ziel ist die Förderung der Algesiologie als der Wissenschaft vom Schmerz, die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung, die Fort- und Weiterbildung sowie die
Gründung interdisziplinärer schmerztherapeutischer Kolloquien.
Die Deutsche Schmerzliga e. V. ist die Interessenvertretung der Schmerzpatienten. Ihr Ziel ist
eine bessere Lebensqua­
lität für Menschen mit
chronischem Schmerz
durch eine qualifizierte
schmerztherapeutische
Versorgung.
Die Deutsche Schmerzliga
vermittelt Informationen
über den chronischen
Schmerz sowie über dessen Diagnostik und Therapie und unterstützt die
Bildung von Selbsthilfegruppen. In der
Öffentlichkeit setzt sich die Deutsche Schmerzliga für die Anliegen der Schmerzpatienten ein.
23
Deutsche Schmerzliga / Patiententag
Schmerztherapie im Patientenrechtegesetz und
Ende der Austauschpflicht für Opioide!
Das Recht auf Schmerztherapie sollte in das Patientenrechtegesetz aufgenom­
men werden. Zudem müssen starke Analgetika endlich aus der automatischen
Austausch­pflicht. Dies fordern in der Petition der Deutschen Schmerzliga über
72 000 Unterzeichner.
Die Deutsche Schmerzliga erhielt 2006 für
ihr Engagement den Deutschen Schmerzpreis
D
as Patientenrechtegesetz, das derzeit in
Berlin vorbereitet wird, soll die Souveränität der Patienten stärken. „Das Recht auf
Schmerztherapie gehört nach unserer festen
Überzeugung ebenfalls in diesem Gesetz festgeschrieben«, forderte Dr. med. Marianne
Koch, die Präsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V. Doch die Versorgungsrealität zeigt,
dass Patienten dieses Recht noch immer vielfach vorenthalten wird.
Wie problematisch die Situa­tion für viele
Patien­ten noch immer ist, zeigt die Anfragestatistik der Deutschen Schmerzliga. Bei der
Geschäftsstelle laufen pro Woche zwischen
200 und 300 Anfragen per E-Mail ein. Im vergangenen Jahr waren es rund 15.000. Hinzu
kommen mehr als 6000 Briefe und mindestens
ebenso viele Anrufe. Auch das Forum auf der
Website der Patientenorganisation wird intensiv genutzt.
rungen. Entzugssymptome wechselten sich mit
Zeichen der Überdosierung ab. Er benötigte zusätzlich kurzwirksame Opiate, um Schmerzspitzen abzufangen.
Rabattverträge gefährden
Schmerzkranke
Petition beim deutschen Bundestag
Zu Beginn des Jahres reichte die Deutsche
Schmerzliga zu Beginn des Jahres eine Peti­
tion beim Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestages ein, um eine Gesetzesänderung
zu bewirken: Starke Schmerzmittel sollen aus
der automatischen Austauschpflicht herausgenommen werden. Mehr als 72 000 Menschen
haben bislang diese Petition unterstützt. Daher
wurde Dr. Marianne Koch zu einer öffentlichen
Anhörung vor dem Petitionsausschuss am
9. Mai geladen. „Wir sprechen uns aus rein
medizinischen und pharmazeutischen Gründen gegen eine medizinisch nicht indizierte
Umstellung bei gut eingestellten Patienten aus
– unabhängig davon, ob diese von einem Originalpräparat auf ein Generikum, von einem
Generikum auf ein anderes oder von Generikum auf Originalpräparat umgestellt werden.
Denn die Folgen einer solchen Umstellung sind
immer dieselben: Mehr Schmerzen oder mehr
Nebenwirkungen“, so Koch.
StK ■
Apotheker sind seit Einführung der Rabattverträge dazu verpflichtet, Patienten ein wirkstoffgleiches Präparat auszuhändigen, mit dessen
Hersteller die Krankenkasse des Patienten
einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Nur
der Arzt kann diesen Austausch ausschließen,
indem er das „Aut-idem-Kästchen“ auf dem
Rezept ankreuzt.
Opioide sind bei einer Umstellung eine kritische Substanzklasse, erklärte Dr. med. Gerhard
H. H. Müller-Schwefe. Durch eine Umstellung wird
das Therapiegleichgewicht gestört, weshalb die
Patienten vermehrt Schmerzen oder mehr unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Diese
Erfahrung machte Rolf Fahnenbruck, Vorstandsmitglied der Deutschen Schmerzliga, gleich
mehrfach. Er wurde innerhalb von sechs Monaten
fünfmal auf ein wirkstoffgleiches Präparat umgestellt und litt dadurch unter Schweißausbrüchen,
Juckreiz, Gliederschmerzen und Schlafstö-
P a t i ententag ein voller Erfolg
Mehr als 1000 Patienten und Interessierte
besuchten am Sonntag den Patiententag ,
SCHMERZ – DIABETES – OSTEOPOROSE –
PARKINSON, der erstmals vier PatientenSelbsthilfeorganisationen zu einer gemein­
samen Veranstaltung zusammenbrachte:
Die Deutsche Schmerzliga e.V. als Initiator
des Patiententages, der Deutsche Diabeti­
ker Bund, das Kuratorium Knochengesundheit e.V. und die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V, berichtete Birgitta Gibson
von der Deutschen Schmerzliga.
Ziel war es, die Besucher über die neuesten
Behandlungsmethoden und Forschungsergeb­
nisse auf dem Gebiet der chronischen Er­
24
krankungen Schmerz, Diabetes, Osteoporose
und Parkinson umfassend zu informieren. Es
fanden 24 Veranstaltungen mit namhaften
Medizinern statt, die sehr gut besucht waren
und von den Besuchern sehr positiv beurteilt
wurden. Jeweils nach einem Arztvortrag hat­
ten die Patienten die Möglichkeit, Fragen zu
stellen oder ihre Probleme zu schildern, die
dann von den Referenten beantwortet wur­
den. Zum Schluss des Patiententages fand
eine Podiumsdiskussion statt, in der die Be­
sucher die aktuellen Auswirkungen der Ge­
sundheitspolitik auf ihre Versorgung darstel­
len und mit den Ärzten und Vertretern der
Patientenorganisationen auf dem Podium dis­
kutieren konnten.
Positives Echo
Die Besucher des Pa­
tiententages sprachen
sich übereinstimmend
für eine Fortsetzung der
Veranstaltung im nächs­
ten Jahr aus und be­
dankten sich für das
große Angebot an Infor­
mationen. Die Vertreter
der vier Selbsthilfeorga­
nisationen auf dem Podium sagten zu, weiter
den Weg der Zusammenarbeit unter dem Motto
„Nur gemeinsam sind wir stark!“ zu planen.
Birgitta Gibson, Frankfurt/Main
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Der Schmerzfall aus der Praxis
Neuropathische Schmerzen nach
Halswirbelfraktur
Der Praxisfall
Der 80-jährige Patient erlitt im April 2011 bei
einem Sturz mit dem Fahrrad ein Hyperexten­
sionstrauma der Halswirbelsäule, Fraktur des
Dens und hinteren Atlasbogens. Nach intensivmedizinischer Betreuung und Frührehabilitation
bei einer partiellen linksseitigen Hemiparese
kam es während der Frührehabilitation zunehmend zu Schmerzen sowohl im Bereich der
osteosynthetisch versorgten Halswirbelsäule
(C1 bis C4) wie auch im Hinterkopf und der Seite und Vorderseite des Halses. Darüber hinaus
bestanden brennende und kribbelnde Schmerzen in der gesamten linken Körperhälfte.
Befund und Verlauf
Der geistig wache und interessierte Patient
stellt sich vor mit der Fragestellung, ob die
Schmerzen in diesem Ausmaß ertragen werden müssten. Insbesondere fällt ihm der Nachtschlaf schwer, da das Gewicht des Kopfes in
Rückenlage im Bett zu massiven brennenden
Schmerzen im Hinterhaupt führt. Seitenlage ist
aufgrund der Verletzung und der noch frischen
Osteosynthese für ihn nicht möglich. Der
Nachtschlaf ist anhaltend schmerzbedingt gestört. Die maximale Schmerzintensität beträgt
auf der visuellen Analogskala VAS 100 92. Das
individuelle Behandlungsziel liegt bei 24.
Die schmerzbedingte Beeinträchtigung der Lebensqualität (QLIP) ist mit einem Wert von 6 aus
40 massivst eingeschränkt. Gravierend sind insbesondere Dauerschmerzen, Schlafstörungen und
die Unfähigkeit, die Schmerzen positiv zu beeinflussen. In der Hospital Anxiety/Depression Scale
(HADS) finden sich auffällige Werte für Angst und
Depressivität, wobei die Ehefrau des Patienten
schildert, dass früher nie Anzeichen einer Depressivität oder Angststörung bestanden hätten.
Es besteht eine deutliche Kraftminderung
der linken Hand bei brennenden Schmerzen im
Bereich der linken Handfläche. Hier liegt auch
eine ausgeprägte dynamische Allodyniev vor mit
Kraftminderung der linken oberen Extremität, die
an der linken unteren Extremität geringer ausgeprägt ist.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Der Untersuchungsbefund zeigt im Bereich der
oberen Halswirbelsäule und des Hinterhauptes
eine ausgeprägte mechanische Allodynie mit
einschießenden Schmerzen bei Berührung, zudem eine statische Allodynie (Missempfindung
bei Druck bereits bei 0,2 kp/cm².
Die Operationsnarbe ist äußerlich reizlos,
die Beweglichkeit der Halswirbelsäule nach Verblockung C1 bis C4 in allen Richtungen eingeschränkt. Daneben finden sich massiv verkürzte
Muskeln im Bereich der Schulter-Nacken-Muskulatur mit aktiven Triggerpunkten im Bereich
des Musculus trapezius und Musculus sternocleidomastoideus beidseits mit schmerzhafter
Ausstrahlung in ihre Referenzzonen, ebenso des
Musculus semispinalis capitis und Musculus
splenius capitis beidseits.
Versuche, in der Rehabilitation mit Injektionen
von Lokalanästhetika im Bereich der Occipitalnerven eine Linderung herbeizuführen, waren
ebenso wie Pregabalin ergebnislos geblieben.
Therapie und Verlauf
Die geklagten Beschwerden stellen ohne Frage ein gemischtes Schmerzsyndrom dar, bei
dem sowohl neuropathische Komponenten im
Sinne eines Complexen Regionalen Schmerzsyndroms mit ausgeprägter Allodynie sowie
nozizeptive Komponenten eine Rolle spielen.
Darüber hinaus ist es zu massiven Veränderungen des körperaufrichtenden Systems und
der Muskulatur, insbesondere der Zervikalmuskulatur gekommen.
Die von uns eingeleitet Therapie bestand zunächst in der Gabe von Oxycodon mit Naloxon
5/2,5 mg. Oxycodon war in klinischen Studien
sowohl bei nozizeptiven als auch bei neuropathischen Schmerzen gut wirksam. Von daher lag
es nahe, beide Aspekte der Schmerzen mit einer
Substanz zu behandeln.
Bei deutlicher Schmerzlinderung (Schmerzreduktion von VAS 92 auf jetzt 54 haben wir
innerhalb von einer Woche die Dosis auf 10 mg
Oxycodon/Naloxon (Targin® 10/5) gesteigert. Bei
zweimal täglicher Einnahme sind die brennenden
Schmerzen vollständig verschwunden.
© Bildarchiv Müller-Schwefe
Neuropathische Schmerzen nach Wirbelsäulenverletzungen gehören oft zu den problematischen Schmerzerkrankungen, die aufgrund der Dramatik der primären Unfallursache und ihrer Versorgung häufig übersehen werden. Opiate in einer gut verträglichen
Galenik stellen eine Therapieoption dar, mit der sowohl nozizeptive als auch neuropathische Schmerzen effektiv und nebenwirkungsarm behandelt werden können.
Klinischer Befund und Röntgenbild
In dieser Zeit kam es zu einer deutlichen
Besserung der Mobilität des Patienten, darüber
hinaus haben sich die auffälligen Werte im HADS
hinsichtlich Angst und Depressivität vollständig
normalisiert. Der zuvor schmerzbedingte eingeschränkte Nachtschlaf (ein bis zwei Stunden
pro Nacht) normalisierte sich ebenfalls auf jetzt
sieben Stunden regelmäßigen Schlaf. Hierunter
auch Besserung des Gesamtzustandes.
Die unter Pregabalin ausgeprägten Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit trat unter
Oxycodon mit Naloxon nicht auf, die kognitive
Leistungsfähigkeit des Patienten blieb erhalten.
Die unter Opioiden häufige Obstipation wurde
unter dieser Therapie nicht beobachtet.
Zusammenfassung
Schmerzen mit nozizeptiver und neuropathischer Komponente treten nach Wirbelsäulenverletzungen und Osteosynthesen häufig
auf. Die Therapie stellt gerade bei Betagten
und Hochbetagten Patienten eine große
Heraus­forderung dar, da kognitive Beeinträchtigungen, Beeinträchtigung des Gleichge­wichts oder auch der Vigilanz die Rehabilita­
tionsfähigkeit erheblich einschränken. Auch
gastrointestinale Nebenwirkungen limitieren
häufig die Therapie mit stark wirksamen Analgetika. Oxycodon/Naloxon (Targin®) hat sich für
diese gemischten nozizeptiv-neuropathischen
Schmerzen auch für hochbetagte Patienten hervorragend bewährt.
■
Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Göppingen
25
DGS Termine / Nachrichten
DGS-Veranstaltungen
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle
des DGS Oberursel, Tel.: 06171/ 286060 Fax: 06171/ 286069, E-Mail: info@
dgschmerztherapie.de Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen
und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de mit der
Möglichkeit der Online-Anmeldung.
Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen – ISS
20.09.2010 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum
DGS–Siegen
Black Box Rückenschmerz? Myofasciale Verkettungen und Triggersyndrome
23.09.–25.09.2011 in Göppingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Göppingen
September 2011
17. Ahrenshooper Schmerzsymposium – Was ist „Mixed Pain“?
24.09.2011 im Ostseebad Ahrenshoop; Regionales
Schmerzzentrum DGS–Bielefeld
Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kurs 3
16.09.–17.09.2011 in Kassel; Geschäftsstelle DGS
Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block A
24.09.–25.09.2011 in Stuttgart; Geschäftsstelle DGS
Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS/Biofeedback-Trainer DGS – Ausbildungszyklus 2 – Grundlagenseminar 1
17.09.–18.09.2011 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS
Osteoporose im Jahr 2011: Aktuelle Updates
05.10.2011 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum
DGS–Gießen
Oktober 2011
Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block B
08.10.–09.10.2011 in Stuttgart; Geschäftsstelle DGS
Igel – Leistungen in der Schmerztherapie
10.10.2011 in Ludwigshafen; Regionales Schmerz-
zentrum DGS–Ludwigshafen
Opioidinduzierte Hyperalgesie
13.10.2011 in Miltenberg; Regionales Schmerzzentrum
DGS–Miltenberg
Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS/Biofeedback-Trainer DGS – Ausbildungszyklus 2 – Grundlagenseminar 2
15.10.–16.10.2011 in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle DGS
Kopfschmerzen und Migräne - ein Update
19.10.2011 in Dinslaken; Regionales Schmerzzentrum
DGS–Dinslaken
Bergischer Schmerztag 2011 - Aktuelle Aspekte der
Schmerztherapie
19.10.2011 in Wermelskirchen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Remscheid
Funktionelle Medizin 3
20.10.2011 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Bad Säckingen
14. Südwestdeutsche Schmerztage
21.10.–22.10.2011 in Göppingen; Regionales Schmerzzentrum DGS–Göppingen
Neue DGS-Leiter
DGS-Zentrum Burghausen
Karl E. Steinbach,
Burghausen
Horst Bredstetter,
Burghausen
Wir begrüßen Herrn Karl E. Steinbach und
Dr. Horst Bettstetter, Schmerzzentrum InnSalzach, als neue Regionalleiter in Burghausen. Der Leiter Karl E. Steinbach ist Facharzt
für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung:
Spezielle Schmerztherapie.Schwerpunkte:
Interventionelle Therapieverfahren mit Bildwandler, Neuropathische Schmerzen,
Kopfschmer­zen, Psychosomatische Grund­
versorgung,Genehmigung zur Teilnahme an
der Qualitätssicherungsvereinbarung zur
schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gemäß
§135 Abs.2 SGB V. Koleiter ist Dr. Horst
Bettstetter,Facharzt für Anästhesiologie, Zu-
26
satzbezeichnungen: Spezielle Schmerztherapie, Palliativmedizin, Chirotherapie, Akupunktur (A-Diplom).Schwerpunkt: Interven­
tionelle Therapieverfahren mit Bildwandler
Genehmigung zur Teilnahme an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerz­
kranker Patienten gemäß §135 Abs. 2 SGB V
seit 2010 erteilt von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern.
DGS-Zentrum Bad Staffelstein
Wir begrüßen Dr. med. Stefan Middeldorf als
neuen Regionalleiter in Bad Staffelstein. Stefan Middeldorf ist Facharzt für Orthopädie
und Unfallchirurgie, verfügt zudem über die
Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie und Balneologie, Naturheilverfahren, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin,
Akupunktur und Diagnostische Radiologie.
Derzeit befindet er sich zudem in der Ausbildung zur Erlangung der Zusatzbezeichnung
fachgebundene Psychotherapie. Seit 2004
leitet er die Orthopädische Klinik an der
Schön-Klinik Bad Staffelstein als Chefarzt. Zu
den Behandlungs- und Tätigkeitsschwerpunkten von Herrn Dr. Middeldorf und seinem
Team gehören insbesondere Schmerzsyndrome der Stütz- und Bewegungsorgane,
u. a. auch CRPS, darüber hinaus die Begutachtung bei chronischem Schmerz. Zu den in
der Klinik angewandten therapeutischen Verfahren gehören neben der gesamten Breite
der Therapieverfahren aus der konservativen
Orthopädie insbesondere auch die therapeutische Lokalanästhesie, wirbelsäulennahe Injektionsverfahren unter
Bildwandlerkontrolle,
Pharmakotherapie, Naturheilverfahren, Chirotherapie, Tens, Akupunktur, Spiegeltherapie, Biofeedback und
Psychologische Schmerz- Stefan Middeldorf,
therapie. Seit über zehn Bad Staffelstein
Jahren erfolgen regelmäßig wöchentlich interne und achtmal pro Jahr externe Schmerzkonferenzen, die sich einem regen Zulauf von in
Klinik und Praxis tätigen Kollegen erfreuen.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
Bücherecke
Schmerztherapie in der Übersicht
û Dieses Handbuch aus den Yale- und Harvard-Medical-Schools gibt
eine aktuelle Übersicht über die Therapiemöglichkeiten bei akutem und
chronischem Schmerz und fokussiert auf dem multidisziplinären Ansatz.
Nach der allgemeinen historischen Einleitung und Anatomie, klinischer Untersuchung und bildgebender Diagnostik werden in eigenen Kapiteln die
Pharmakologie sowie die nicht-medikamentösen Verfahren ausführlich dar­
gestellt. Die folgenden zwei klinischen Kapiteln widmen sich dem akuten
Schmerzmanagement und dem chronischen Schmerz (Neuropathien, ischämischer und viszeraler Schmerz, Fibromyalgien, Hals-, Nacken- und Rü­
ckenschmerzen, Kopfschmerzen, Krebsschmerzen und die Palliativmedizin).
Am Ende folgen besondere Themen wie Schmerz bei Kindern, Schmerztherapie bei Abhängigen, Älteren
und der orodentale Schmerz. Auch wenn dieses Buch in Englisch etwas mühsamer zu lesen ist als deut­
sche Lehrbücher ist es durch seine didaktisch ansprechende Aufmachung eine lohnende Lektüre, da zu
jedem Kapitel wesentliche Fragen im Multiple-Choice-System gestellt werden und alle theoretischen Inhalte auch in praxisnahen Fällen mit ihren Lösungen illustriert werden.
StK
Vadivelu, Nalini; Urman, Richard D.; Hines, Roberta L. (Eds.): Essentials of Pain Management. 1st Edition,
2011, XXIII, 834 S., 114 illus.. Softcover, 80,20 EUR, ISBN 978-0-387-87578-1. Springer Verlag, Heidelberg
Die Sprache des eigenen Körpers verstehen
û Viele Menschen sind »organisch gesund«, haben aber dennoch unerträgliche Schmerzen oder ein anderes körperliches Leiden. Daher müssen
sie lernen, die Sprache ihrer Symptome zu entschlüsseln. Aus ihrem reichen
Wissen über das feine Zusammenspiel von Körper und Psyche berichtet die
Diplompsychologin Hanne Seemann wieder ungemein praxisnah und allgemein verständlich. Plastisch und bildreich erläutert sie in diesem Ratgeber
für Betroffene, wie funktionelle Störungen entstehen, was Symptome mitteilen können und vor allem: wie die Freundschaft mit dem eigenen Körper
wiederhergestellt werden kann. Dieser Ratgeber ist auch für Therapeuten,
die mit diesen Krankheitsbildern tagtäglich konfrontiert werden, eine hilfreiche und spannende Lektüre.
Die Übungen auf der beigelegten Audio-CD erleichtern die praktische Umsetzung.
StK
Seemann, Hanne: Mein Körper und ich – Freund oder Feind? Psychosomatische Störungen verstehen. 1. Aufl.
2011, 129 Seiten, broschiert mit Audio-CD; 16,95 EUR, ISBN: 978-3-608-86028-3. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart.
Handbuch Neuraltherapie
û Dieses Handbuch umfasst alle Themen, die bei der therapeutischen
Anwendung von Lokalanästhetika heute relevant sind. Neben den anatomischen Grundlagen und neurophysiologischen Zusammenhängen werden
die systemischen Wirkmechanismen, die Wirksubstanzen sowie Indikationen, Möglichkeiten und Grenzen der Neuraltherapie intensiv diskutiert.
Neben der Organisation und Ausstattung werden die Diagnostik und die Injektionstechniken sowie ihr Einsatz in den verschiedensten Fachgebieten
kompetent und umfassend dargestellt.
Schritt für Schritt wird das sichere Vorgehen bei Injektionen in verschiedene
Körperstrukturen erklärt. Plastisch dargestellt in über 300 Abbildungen, mit
Angaben zu Anatomie, Schwierigkeitsgrad, Fehlerquellen und Praxistipps sowie Empfehlungen zum Behandlungsablauf, Erfolgsabschätzung und begleitenden therapeutischen Maßnahmen.
Der Code im Buch schaltet zusätzliche Inhalte im Internet auf dem Elsevier-Portal frei: Die interaktive
Anwendung zur Lokalisation von muskulären Triggerpunkten und deren Ausstrahlungsmuster, grafische
Darstellung der Injektionen an die Facettengelenke und wichtige Formulare, welche die tägliche Arbeit
erleichtern und optimieren (Aufnahmebefund, Beschwerdefragebogen, Verlaufsdokumentationsblatt u. v.
m.). Das Buch ist für alle Schmerztherapeuten, die die Neuraltherapie routinemäßig in ihrer Praxis einsetzen, eine lohnenswerte Anschaffung. StK
Weinschenk, Stefan (Hrsg.): Handbuch Neuraltherapie. Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika – mit
Zugang zum Elsevier-Portal. 1.120 Seiten, 103 s/w Abb., 213 farb. Abb., Pappband, Buch; 99,95 Euro, ISBN:
978-3-437-58210-3 2010. Urban & Fischer, München.
SCHMERZTHERAPIE 3/2011 (27. Jg.)
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