Jenseits von rechts und links - Staats

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Jenseits von rechts und links - Staats
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Jenseits von rechts und links
Front National: Nicht nur der Bruch mit ihrem Vater zeigt die neue Zielrichtung von
Marine Le Pen
Friedrich-Thorsten Müller
Seit fünf Jahren ist Marine Le Pen Vorsitzende des Front National. Am 16. Januar 2011 folgte
sie als Wunschkandidatin ihrem Vater, dem Parteigründer Jean-Marie Le Pen nach, der das
Amt fast vier Jahrzehnte innehatte. Was zunächst nach Kontinuität und einer harmonischen
Stabweitergabe innerhalb eines „Familienbetriebs“ aussah, erweist sich rückblickend
betrachtet als klarer Bruch mit dem klassisch rechtsextremen, im 20. Jahrhundert verhafteten
Denken des Seniors.
Höhepunkt dieser Häutung waren vor ziemlich genau einem Jahr Äußerungen Jean-Marie Le
Pens gegenüber der rechten Wochenzeitung Rivarol, in denen er auf seiner altbekannten
Meinung, daß die Gaskammern lediglich ein „Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“
seien, beharrte. Unabhängig von der juristischen Aufarbeitung des Falles, die jetzt knapp ein
Jahr später mit insgesamt über 40.000 Euro Geldstrafe endete, entschied sich Marine Le Pen,
ihren Vater wegen parteischädigenden Verhaltens aus dem Front National zu drängen.
Gleichzeitig wurde ihm das extra für ihn geschaffene Amt des FN-Ehrenvorsitzenden
aberkannt.
Jüdische Aktivisten wollen FN unterstützen
Damit hatte die 47jährige endgültig freie Bahn, den Front National von teils unverhohlenem
Rassismus und Antisemitismus zu distanzieren und die „Entteufelung“ umzusetzen, die
notwendig ist, um nicht nur aus ersten, sondern auch aus zweiten Wahlgängen als Sieger
hervorzugehen.
Bisher kann der FN seine Wahlerfolge nämlich regelmäßig nicht in Mandate, Macht und
Einfluß umwandeln, da sich im französischen Mehrheitswahlrecht – bis hinunter auf die
kommunale Ebene – in der Stichwahl stets die Wähler der etablierten Parteien für das aus
ihrer Sicht „kleinere Übel“ entscheiden.
Ehrgeiziges Ziel Marine Le Pens ist es darum, den Front National von der früheren
Wahrnehmung als rechtsextreme Partei wegzuführen, um möglichst schon 2017 Frankreichs
erste Präsidentin werden zu können. Der FN soll eine Partei „neuen Typs“, jenseits des
bisherigen Rechts-Links-Schemas in der Politik, werden und damit für jeden wählbar. Den
französischen Journalisten hat Le Pen angedroht, künftig jeden zu verklagen, der den FN
„rechtsextrem“ nennt.
Daß diese Rechnung aufzugehen beginnt, ist an vielen Orten des gesellschaftlichen Lebens zu
beobachten. Ein diesbezüglicher Paukenschlag war im vergangenen Oktober, daß es dem FN
erstmals gelang, an der Eliteuniversität Sciences Po in Paris den Status einer offiziellen
Studentenvereinigung zu erlangen. Noch vor den Sozialisten wurde die nötige Zahl von 120
Unterstützern erreicht.
Wie ernst es Le Pen mit dieser Neupositionierung ist, kann man unter anderem an deren
ungezwungenem Umgang mit Schwulen und Lesben ablesen. So hat sie den
Homosexuellenaktivisten Sébastien Chenu zu ihrem Berater in Kulturangelegenheiten
gemacht. Der ebenfalls schwule Parteivize Florian Philippot darf in diesen Tagen außerdem
gegen die Organisatoren der konservativen „Manif pour tous“ ätzen, daß die Frage der
Homoehe ungefähr so interessant sei „wie die der Bonsai-Kultur“. Nicht nur bei der
Homoehe, sondern ebenso in der Abtreibungsfrage geht Marine Le Pen auch auf Distanz zu
konservativen Katholiken, die eine wichtige Säule des alten FN waren. Allerdings ist das
nicht offizielle Parteilinie und nicht nur ihre Nichte, Marion Maréchal-Le Pen, positioniert
sich in diesen Fragen anders.
Ein weiteres Indiz für den ideologischen Wandel ist die von der Parteiführung forcierte
positive Haltung zum Judentum und den über 500.000 französischen Staatsbürgern
mosaischen Glaubens. So befindet sich unter Leitung des FN-Zentralkomitee-Mitglieds
Michel Thooris eine – allerdings zunächst außerhalb der Partei organisierte – jüdische FNUnterstützerplattform im Aufbau. Niemand leidet in Frankreich so unter der
Bevölkerungsdynamik der häufig antisemitischen Muslime, so das Kalkül der Partei, die sich
in den letzten Jahren eine streng antiislamische, laizistische Ausrichtung gegeben hat.
In Wirtschaftsfragen blinkt Marine Le Pen links
Fast gänzlich aus dem rechten Parteienspektrum verabschiedet hat sich der Front National in
seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Selbst die geforderte Abschaffung des Euro ist
nicht wie bei der deutschen AfD marktwirtschaftlich begründet. Vielmehr soll die
Wiedereinführung des Franc Frankreich die Möglichkeit zurückgeben, ohne Einmischung aus
Brüssel oder Frankfurt dirigistisch tätig zu werden.
Pierre Gattaz, der Präsident des französischen Unternehmerverbandes (Medef), bemerkte zu
Recht, daß das Programm des FN dem von Mélenchons Linkspartei zum Verwechseln ähnlich
sehe. Auf der Wunschliste der FN-Wirtschaftspolitiker stehen neben der 20prozentigen
Abwertung des neu einzuführenden Franc die zinslose Refinanzierung großzügiger,
staatlicher Ausgabenprogramme über die Notenbank und Kapitalverkehrskontrollen.
Auch die Teilverstaatlichung der Geschäftsbanken, Schutzzölle und eine staatlich gelenkte
„Reindustrialisierung“ wären Teil einer FN-Wirtschaftspolitik. An der international nicht
wettbewerbsfähigen 35-Stunden-Woche will der FN dagegen festhalten. Das ebenfalls
allgemein als zu niedrig eingestufte Renteneintrittsalter soll sogar von 62 auf 60 Jahre gesenkt
werden, bei gleichzeitiger Anhebung des Rentenniveaus. Gegenfinanziert werden soll das
alles durch höhere Steuern für Reiche.
An einer sehr bedeutenden Stelle bleibt sich der FN allerdings treu: Dem Nationalismus mit
seiner Formel „Frankreich zuerst“ will und kann die Partei nicht abschwören. Darin
unterscheidet sie sich auch ganz wesentlich von den identitären Strömungen, die in
Frankreichs politischer Subkultur durch spektakuläre, an Greenpeace angelehnte, Aktionen
eine gewisse Bedeutung erlangt hatten. Der FN fremdelt mit den Regionalidentitäten zum
Beispiel im Elsaß, der Bretagne oder auf Korsika. Verhaftet im französischen Zentralismus
mißt er auch der gemeinsamen europäisch-abendländischen Vergangenheit und Zukunft
bisher nicht den selben Stellenwert bei, wie dies andere allgemein heute meist als
„rechtspopulistisch“ etikettierte Parteien in Europa tun.
Beatrix von Storch brachte diesen Unterschied auch zur AfD bei ihrer Suche nach einer neuen
Fraktion im Europaparlament auf den Punkt: „Der Front National ist sozialistisch, wir sind
liberal. Der Front National ist nationalistisch, wir sind patriotisch.“ Aus diesem Grund zog sie
es vor, nach dem De-facto-Rauswurf aus der Fraktion der europäischen Konservativen bei der
von Nigel Farage geführten EFDD-Fraktion und nicht bei Marine Le Pens ENF Anschluß zu
suchen.